Geschichten von Jar

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Er überragte Fenta und Sinah, Whins Reitgefährtin um einiges. Es war Heral, ein wahrer König der Pferde.

Die Wanderer schlossen ein Bündnis mit ihren Reitgefährten. Sie nahmen sich die Pferde nicht einfach, sondern beide suchten sich gegenseitig aus. Und Heral hatte noch nie jemanden akzeptiert.

Aber nun trug er ein elfjähriges Mädchen auf dem Rücken. Kel hatte schon immer gespürt, dass Katja etwas Besonderes an sich hatte, aber anscheinend konnte selbst er nicht sehen, was es ist.

Fenta erreichte ihn als erste. Ein freudiges Wiehern erfüllte die Luft. Er schob seine Nüstern unter Kels Arme und Kel streichelte ihm den Hals. Kurz darauf folgten Whin und Katja. Katjas Stolz war nicht zu übersehen.

„Whin sagte mir, dass Heral etwas ganz Besonderes ist. Er kam sofort zu mir, als wir auf die Weide gingen.

Sie beugte sich vor und fing an mit Heral zu schmusen. Das Pferd wieherte und genoss die Liebkosungen. Kel-Nor lächelte und strich ihr über das Haar. Dabei schaute er zu Whin. Doch der schüttelte ungläubig den Kopf.

„Es ist verrückt, aber, als wir auf die Wiese kamen, schoss Heral direkt auf uns zu. Ich versuchte Katja hinter meinen Rücken zu ziehen, aber sie wollte es nicht und hat sich vor mich gestellt. Ich habe gedacht, Heral wollte sie zertrampeln, aber, was macht dieser Kerl? Er stoppte vor ihr. Dann hat er sie von oben bis unten begutachtet und ging auf einmal auf die Knie, damit sie auf seinen Rücken steigen konnte.

Kel, diese Kleine ist etwas Besonderes. Eigentlich können wir Dinge erahnen, die andere nicht sehen. Ich spüre auch etwas, aber irgendwie habe ich das Gefühl vor einer Wand zu stehen. Sie ist von der Erde, sie hat keinerlei Bezug zu Jar. Und trotzdem spüre ich, dass sie zu uns gehört.

Kel und Whin schauten sich an, dann blickten sie auf Katja, die mittlerweile wieder auf Heral saß und ihm den Hals streichelte.

„Sieh Dir das an. Dieser Kerl ist ganz verrückt nach ihr. Wenn ich mir vorstelle, was der immer für ein Getümmel machte, wenn wir ihm uns nur näherten. Verdammt, wie kann das sein?

Kel schien nach innen zu blicken. Jedenfalls hatte Whin den Eindruck.

„Was ist? Hast Du etwas gefunden, was das Ganze erklärt?

Kel schüttelte den Kopf. Nein, das, was er dachte, war einfach zu unwahrscheinlich.

„Nein. Aber ich denke, sie wird einmal eine richtig wilde Wanderin. Schau sie Dir nur an.

Ein warmes Gefühl durchströmte Kel, als er Katja betrachtete. Auch Whin lächelte.

„Was ist denn mit Euch? Was schaut Ihr mich so an? Da kann man ja richtig Angst bekommen...

Kel ging zu Heral und nahm Katja von seinem Rücken. Seltsamerweise schien er nichts dagegen zu haben. Er stupste sogar sanft unter Kels Armen. Der tätschelte ihm sanft den Hals und Heral schnaubte zufrieden. Dann drehte er sich zu Katja herum, sah sie an und sagte zu Whin:

„Nun, eine Wanderin sieht aber ganz anders aus. Als erstes braucht sie passende und zweckmäßigere Kleidung. Und Waffen braucht sie auch. Ich denke, sie ist eine gute Bogenschützin. Was meinst Du?

Whin nickte.

„Ja, das denke ich auch. Kleidung sollte sie nur vom Besten bekommen. Und die bekommt sie nur von Bogar, dem Schneider von Jarson. Das liegt auf unserem Weg und er kann ihr etwas Ansprechendes anfertigen. Aber einen Bogen für sie, da muss ich wirklich überlegen.

Kel-Nor schaute auf Katja und maß ihre Größe mit den Augen.

„Nun, sie braucht einen leichten Halbbogen. Nicht zu schwer und vor allem nicht zu straff gespannt. Das sollte erst im Laufe der Zeit geschehen. Die Pfeile sollten keinen Meter sein. Ich denke 80 Zentimeter mit gehärteter Metallspitze. So etwas wird Bogar auf Lager haben.

Als Stichwaffe tut es wohl erst einmal ein gutes Kurzschwert. Das bekommt sie aber erst, wenn wir wieder zurück sind. Sie soll es sich selber schmieden. Aber zuerst sollten wir uns in Jarson ausrüsten. Wir brauchen Proviant und Medizin. Mal sehen, wie du durchhältst, Kleines? In spätestens fünf oder sechs Tagen sollten wir die Außengrenzen erreicht haben. Lasst uns reiten.

Er nahm Katja und hob sie hoch. Heral kam zu ihm und er setzte sie auf seinen Rücken. Der Rappe schnaubte erfreut. Kel musste lächeln, dann schwang er sich auf Fenta und Whin bestieg Sinah. Sie gaben sich ein Zeichen und dann ritten sie in Richtung Jarson.

1 3. Das Leben als Monarchin

Derweil erreichte die Kutsche den Innenhof des Schlosses. Ricarda war von den Ausmaßen und der unbeschreiblichen Vielfalt beeindruckt. Alleine der Innenhof maß bestimmt 200 Meter in der Breite. Drumherum waren kleinere Gebäude angeordnet. Dem Tor zum Schloss gegenüber befand sich das Haupthaus.

Ricarda schätzte seine Höhe auf bestimmt 40 Meter. Alleine die Eingangstüren waren gewaltig. Sie waren bestimmt 8 Meter breit und 12 Meter hoch. Nach oben hin liefen sie rund zu und sie waren von mächtigen Balken durchzogen. Die vorderen Fenster deuteten darauf hin, dass hinter der Tür eine große Halle liegen musste. Über der Tür war ein Rundgang. Ein Balkon, der anscheinend um das ganze Gebäude lief, war mit Fahnen geschmückt. Überall verzierten Figuren und Ornamente das Bauwerk.

Ricarda war sprachlos dem Detailreichtum gegenüber, der ihr entgegen schlug. Auch Johanna war nur am staunen. Sie hatte einiges erwartet, aber das hatte sie nicht vermutet. Die Kutsche hielt an und ein Diener öffnete die Tür.

An der Seite der Kutsche standen Soldaten. 20 nebeneinander und in 7 Reihen hintereinander. Sie hielten ihre Schwerter über ihrer Brust gekreuzt und salutierten, als Johanna und Ricarda ausstiegen.

Einar trat zum Hauptmann der Truppe und redete ein paar Worte mit ihm. Dieser nickte mit dem Kopf und dann schrie er Befehle über den Hof, die Ricarda nicht verstand. Einar half Ricarda beim Aussteigen und geleitete sie ins Hauptgebäude. Dort warteten schon die Dienerschaft und auch die Weisen von Jar. Es waren bestimmt 200 Bedienstete, die in der Eingangshalle nebeneinander standen und gespannt schauten. Einer der Weisen löste sich aus der Gruppe und trat zu ihnen vor.

„Wenn es der Mutter genehm ist, würden wir gerne mit der Kunde beginnen.

Ricarda schaute Johanna und Einar fragend an. Einar, Toms besten Freund.

Irgendwie fühlte sie sich bei ihm sicher, als er an ihrer Seite war.

„Nun, die Kunde ist nichts, was Euch gefährlich werden könnte, Ricarda. Sie werden Euch in Trance versetzen und Euch das Wissen der Sprache und das der Geschichte geben. Hier geht das Lernen etwas schneller als bei Euch.

Er sah trotzdem noch Unsicherheit in ihren Augen. Einar musste lächeln.

„Soll ich Euch begleiten?

Ricarda nickte. Es war beruhigend, dass er dabei sein würde. Johanna schaute ihn an und zog eine Augenbraue hoch. Das tat sie immer, wenn sie etwas merkwürdig fand. Aber sie wurde abgelenkt, weil der Schlossmeister zu ihr trat und ihr zu verstehen gab, dass sie sich zunächst um die Dienerschaft kümmern müsse. Aufgaben, die für Johanna äußerst neu sind.

Der Schlossmeister stellte ihr das Personal vor. Mit Namen und mit Aufgaben. Aber sie hörte nur halbherzig zu, denn ihre Gedanken waren zu sehr bei Kel und ihrer Schwester.

Zuerst wurde ihr vom Schlossmeister ihr persönliches Personal vorgestellt. Es waren drei Zofen, die nur für ihr Nachtgemach zuständig waren und drei, die sich ausschließlich um ihre persönlichen Belange kümmerten.

Zwei waren für ihre allmorgendliche Toilette und wiederum zwei für ihr abendliches Bad zuständig. Johanna war erstaunt. Wenn sie bedachte, dass sie sich vor noch nicht einmal zwei Stunden in Bremen vor dem Spiegel befunden und sich für die Dusche vorbereitet hatte. Hier brauchte sie sich nicht einmal selbst zu waschen. Sie erschauerte bei den Gedanken. Wollte sie die Abhängigkeit wirklich?

Sie musste sich innerlich schütteln. Nein, soweit will sie es gar nicht erst kommen lassen. Sie winkte dem Schlossmeister zu.

„Euer Name ist Willehad? Gut, Willehad, ich brauche nicht so viel Dienerschaft. Wir erwarten harte Zeiten und auch die Prinzessin muss sich daran halten. Es kann nicht sein, dass sich das Volk auf einen Krieg vorbereitet und ihre Prinzessin lebt in Saus und Braus. Ich möchte bis morgen einen genauen Plan der Häuser haben und ihren Verwendungszweck.

Wir sollten schon jetzt damit beginnen auch hier im Schloss alles dafür vorzubereiten, um Verwundete und Sterbende aufnehmen zu können. Dann können wir überlegen, wie viele der Dienerschaft dafür abgezogen werden müssen.

Dennoch möchte ich gerne meine persönliche Dienerschaft in meinen Vorgemächern sehen, damit ich mir meine persönliche Zofe wählen kann. Und in einer Stunde, wenn meine Mutter wieder da ist, möchte ich, dass das Essen in meinen Gemächern aufgetischt wird. Veranlasst das Nötige dafür, Willehad.

Sie legte ihm ihre Hand auf die Schulter und nickte mit dem Kopf. Man konnte deutlich sehen, wie sehr ihm die Anerkennung der Prinzessin gefiel. Beflissen ordnete er die Diener und wies sie in ihre Arbeiten ein. Johanna ging zur Haupttreppe, um ihre Gemächer aufzusuchen.

Einar begleitete Ricarda derweil in die Zimmer des Rates. Als sie dort ankamen, wurde Ricarda in einen roten Raum geleitet. Einar verabschiedete sich, da er noch die Truppen inspizieren und einweisen wollte.

 

Ricarda wurde gebeten auf einem braunen, großen Stuhl Platz zu nehmen. Er sah bequem aus und vermittelte ihr ein Gefühl der Behaglichkeit. Als sie saß, fingen die anwesenden Ratsmitglieder an etwas zu murmeln. Sie merkte, wie sie schwindelig wurde. Immer mehr fiel es ihr schwer sich zu konzentrieren. Auf einmal schreckte sie hoch. Sie war wieder hellwach. Der Schlossmeister und zwei Zofen standen vor ihr.

„Geht es Ihnen gut, Majestät?

Ricarda schaute sich um. Wo waren die Ratsmitglieder? Sie waren doch eben noch hier.

„Wie lange bin ich denn schon hier?

Der Schlossmeister schaute sie an.

„Fast eine Stunde, Majestät. Wenn Ihr mich jetzt verstehen könnt, dann hatte der Rat Erfolg gehabt.

„Anscheinend, denn ich verstehe Euch gut. Aber mir kommt es so vor, als wäre ich gerade erst hierher gekommen.

„Nun, das ist immer so. Die Trance wirkt recht schnell. Man merkt überhaupt nicht, dass sie angewendet wird. Eure Tochter, die Prinzessin, möchte Euch in ihren Gemächern sehen. Eure beiden Zofen werden Euch geleiten.

Es sind Mara und Jina. Ich selbst habe die beiden ausgebildet. Sie sind exzellente Zofen mit den besten Manieren und sehr verschwiegen. Ich hoffe, sie sind zu Eurer Zufriedenheit.

Ricarda schaute ihre beiden Zofen an. Welch ein Irrsinn. Bisher war sie immer auf sich alleine gestellt. Erst, seitdem sie Tom, oder Kel-Nor, wie er ja hieß, kennen lernte, wurde ihr ab und zu die Arbeit abgenommen. Es machte ihm Spaß ihr alles zu erleichtern. Sie gab gerne zu, dass sie es sehr genossen hatte. Er zwang sie ja richtig dazu sich einfach mal hinzusetzen und ihn machen zu lassen.

„Du hast zwei Kinder aufgezogen und bist immer noch dabei. Du hast einen wunderbar geführten Haushalt und das sollte auch mal gewürdigt und belohnt werden.

Sogar Johanna und Katja bezog er mit in die Arbeit ein und Ricarda wurde dann von vorne bis hinten bedient. Sie hatte es unwahrscheinlich genossen. Vor allem, weil sie wusste, dass es von Herzen kam.

Aber Zofen? Das war keine Liebe, das war einfach nur bequem. Aber an den Blicken der beiden Zofen konnte sie erkennen, dass sie begierig auf Befehle von ihr warteten. Nun gut, dann wollen wir mal, dachte Ricarda.

„Bringt mich zu meiner Tochter, der Prinzessin.

Sie wunderte sich, wie leicht ihr diese Worte über die Lippen kamen. Jina half ihr aus dem Sessel aufzustehen. Dann gingen beide vor ihr hinweg und Ricarda folgte ihnen.

Sie kamen wieder in den großen Saal und sie steuerten auf eine riesige Treppe zu. Ricarda schaute in der Halle nach oben. Sie war bestimmt 15 Meter hoch und unter der Decke waren wunderbare Gemälde, die wohl Teile und wichtige Geschehnisse aus der Geschichte Jars zeigten.

Der Maler musste ein wahres Genie gewesen sein, denn die Fresken wirkten so lebendig. Sie kamen bei der Treppe an und die beiden Zofen gingen vor ihr die Treppe hoch. Oben angekommen bogen sie schräg nach links ab und steuerten auf eine große Tür zu. Sie kamen in einen langen Gang, wo auf der linken Seite Türen abgingen und auf der Rechten war eine weite Fensterfront, so dass der Gang sehr hell wirkte. Vor der ersten Tür blieben sie stehen und verbeugten sich vor Ricarda.

„Dieses, Eure Majestät, sind die königlichen Gemächer.

Die beiden Zofen verbeugten sich und öffneten für Ricarda die Tür. Sowie Ricarda das Zimmer betrat, traf sie der Schlag. So einen Luxus hatte sie noch nie gesehen. Das Zimmer hatte eine sehr hohe Decke und die Wände waren mit Bildern und Wandteppichen behangen. An der Decke konnte man edle Fresken sehen und Stuck, der fein gearbeitet war. Selbst die Möbel waren verziert bis in das kleinste Detail.

Sie versuchte den Blick loszureißen, denn sie hörte jemanden singen. Sie musste lächeln. Diese Stimme kannte sie nur zu gut. So sang nur Johanna. Es erfreute sie, dass es Johanna so gut ging. Obwohl sie auch wusste, dass es bald wohl anders werden würde.

Sie trat ins Nebenzimmer. Johanna saß in einer riesigen Wanne aus Holz und ließ sich von einer Zofe ihre Haare waschen. Wenn es eine Eitelkeit gab, die Johanna hatte, dann waren es ihre Haare. Katja war da ganz anders. Sie war schon immer mehr Junge gewesen als Mädchen. Ungleich wilder und risikobereiter. Sie dachte nie so viel über die Dinge nach, wie es Johanna schon seit ihrer Kindheit getan hatte.

Ach, Katja. Ricarda musste schlucken. Es fiel ihr immer noch schwer, dass Katja nicht hier war. Sie war nun mit Tom, oder Kel-Nor, - sie würde sich nie an diesen Namen gewöhnen -, unterwegs. Wie es ihr wohl ging? Tom würde nie zulassen, dass ihr etwas passieren würde.

Dass sie bei ihm sicher war, das wusste sie, aber eine Mutter war doch immer das Beste für ein Kind. Sie wusste aber auch, dass Katja es selbst war, die eben diese Reise antreten wollte. Und irgendwie fühlte sie, dass es richtig war.

„Worüber grübelst du nach? Denkst du auch gerade an die Kleine? Ich vermisse sie auch schon.

Johannas Stimme riss Ricarda aus ihren Gedanken. Sie war aus der Wanne gestiegen und ließ sich nun ein großes Tuch um ihren Körper wickeln.

„Ich weiß nicht wie es dir geht, Mama, aber ich habe Hunger. Lass uns etwas essen.

Loussana, gehe bitte in die Küche und gebe dort Bescheid, dass wir jetzt zu Essen wünschen. Und bitte, richte dem Rat und dem Hauptmann der Wache aus, dass ich sie heute noch sehen möchte. Es gibt noch vieles zu besprechen und festzulegen. Dann komme bitte wieder zu mir.

Johanna betrachtete die Zofen ihrer Mutter und sagte:

„Ihr beide könnt Euch nun zurückziehen. Ich möchte mit meiner Mutter alleine sein. Ihr seid meiner Mutter zugeteilt, daher werdet Ihr nicht in andere Dinge eingebunden. Lasst es dem Schlossmeister wissen. Geht in die Küche und lasst Euch etwas zum Essen servieren, wenn Ihr hungrig seid.

Jina und Mara verbeugten sich und schauten Johanna dankbar an. Sie hatten vor Aufregung schon seit Stunden nichts mehr gegessen. Sie waren in voller Aufregung darüber, dass sie in den königlichen Gemächern dienen durften.

Beide hatten zwar eine strenge und lange Ausbildung durchlaufen, aber, dass sie es soweit schaffen würden war nicht voraus zu sehen. Die Prinzessin und ihre Mutter machten einen sehr freundlichen Eindruck. Vor allem die Prinzessin, die noch so jung war. Sie war fast vier Jahre jünger als Jina und über 10 Jahre jünger als Mara, aber sie erschien ihnen ebenso weise wie eine erfahrene Dame. Sie zogen die Tür hinter sich zu, als sie auf den Flur traten.

„So, nun sind wir auch einmal wieder ganz für uns.

Johanna ging zu ihrer Mutter und ließ sich von dieser in den Arm nehmen.

„Ich habe etwas Angst, Mama. Ich habe Angst, dass es zu viel für mich werden könnte. Ich weiß plötzlich so viel. Ich habe auf einmal so viel Wissen und das macht mir Angst. Lass mich bitte nicht alleine. Ich brauche dich, sonst schaffe ich es nicht.

Ricarda gab ihrer Tochter einen Kuss auf ihre Haare und streichelte den Kopf.

„Ich bin ja bei dir. Und das bleibe ich auch. Seit dieser Kunde schwirrt mir der Kopf. Jar hier, Jar da. Ich muss auch erst einmal alles sortieren.

Sie musste lächeln.

„Aber wenigstens verstehe ich nun, was alle reden und ich brauche nicht mehr so dümmlich zu grinsen.

Beide lachten.

Johanna löste sich und stieg in die bereitgelegten Kleider.

Es wurde an der Tür geklopft. Johanna bat den Störenfried herein. Es war Willehad. In seinem Gefolge waren drei Diener, die einen Wagen fuhren, der voll war mit allerlei Köstlichkeiten. Er verbeugte sich vor Johanna und Ricarda.

„Majestät. Sie wünschen zu speisen? Ich habe Ihnen eine Auswahl der Küche vorfahren lassen. Ich denke, eure Majestät wünschen in Ruhe und alleine zu speisen. Haben Sie noch einen Wunsch?

Er schaute erwartungsvoll von Johanna zu Ricarda.

„Ja, Willehad. Unsere Zofen werden von allen weiteren hier im Schloss ausgenommen. Ich möchte nicht, dass sie in weitere Arbeiten eingebunden werden. Es werden schwere Zeiten kommen. Und es wird Zeiten geben, da brauche ich sie. Vielleicht könnten es einige als Schwäche auslegen, aber ich denke, das Ende wird zeigen, ob es so war. Schickt bitte Loussana zu mir.

Willehad schaute auf Johanna.

„Schwäche, Eure Majestät? Wer sich selbst kennt und weiß, wann er Hilfe benötigt, ist nicht schwach, er ist stark und vor allem weise. Euer Volk wird es auch so sehen. Wir hatten leider zu viele, die gedacht hatten, sie stünden über ihren Kräften. Nein, Majestät, Euer Volk weiß es und niemand wird Euch Schwäche unterstellen wollen.

Willehad verbeugte sich tief und zog sich zurück.

„Ich werde Eure Zofe zu Euch schicken.

Damit schloss er die Tür hinter sich. Ricarda schaute zu ihrer Tochter.

„Johanna, bist du sicher, dass du diesem allen auch wirklich gewachsen bist? Du bist erst 18 und jeder erwartet von dir hier Wunderdinge. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.

Johanna drückte ihre Mutter fest an sich.

„Nein, solange du bei mir bist werde ich es schaffen. Also bitte verlasse mich nie. Ich weiß, dass dort draußen Kel ist. Er, Katja und Whin haben die wirklich schweren Aufgaben vor sich. Den Krieg werde ich nicht führen, aber ich habe Angst vor ihm. Angst davor, was kommt. Angst davor, so viele Menschen sterben zu lassen.

Welche Entscheidungen ich auch treffen werde, es wird Menschenleben kosten. Du musst bei mir sein, da ich mich davor fürchte sonst zu versagen. Zu versagen auch in dem Sinne die richtigen Befehle zu geben. Ich habe das Gefühl, dass Katja diese Angst nicht hat.

Weißt du eigentlich, dass sie eine Wanderin ist? Was ist denn mit ihrem Vater? Was weißt du noch über ihn? Ach, das soll mir jetzt auch egal sein. Ich möchte erst einmal etwas essen.

Es klopfte an der Tür und Loussana betrat den Raum. Sie verbeugte sich tief vor den Beiden und blieb vor Johanna stehen.

„Hast Du heute eigentlich schon etwas gegessen, Loussana?

Johanna schaute sie an.

„Nein, Majestät. Ich bin noch nicht dazu gekommen.

„Das habe ich mir schon fast gedacht.

Johanna musste lächeln.

„Dann nehme bitte Platz und iss mit uns. Ich möchte dir einige Fragen zu meinen Eltern stellen.

Ricarda fühlte sich, als ob ihr jemand einen Dolchstoß versetzte. Sie wusste ja, dass Johanna nicht ihre Tochter war, aber es tat sehr weh, es so hart vorgesetzt zu bekommen. Johanna hatte es bemerkt. Sie lächelte Ricarda an, als sie ihr an den Arm fasste.

„Keine Angst, du bist meine Mutter. Auch, wenn es nicht biologisch ist. Aber ich sollte doch etwas über meine richtigen Eltern erfahren. Wer sie waren und vor allem, wie sie waren.

Das hat nichts mit dir zu tun. Auch, wenn du nicht meine wahre Mutter bist, hast du mich zu dem gemacht, was ich bin. Die anderen haben mich nur gezeugt. Ich glaube, man erwartet es auch von mir, dass ich mich damit beschäftige.

Ich möchte sehr gerne, dass du mich begleitest, wenn ich ihre Gräber besuche. Ich möchte, dass meine Mutter dabei ist.

Ricarda schaute Johanna überrascht an. Sie merkte, dass ihr diese Rede gut tat. Sie lächelte Johanna an.

„Natürlich werde ich dich begleiten, denn auch ich bin sehr daran interessiert. Schließlich möchte ich ja auch gerne wissen, wessen Kind ich so sehr liebe und aufgezogen habe. Ich spüre jetzt ebenfalls einen fürchterlichen Hunger.

 

Loussana, würdest Du mir bitte die Früchte und das Brot herüber reichen?

Loussana schaute Ricarda ängstlich an und tat, was ihr befohlen wurde.

„Kleines, sei nicht so schüchtern. Lass mal für eine Stunde die Majestäten weg und iss in Ruhe mit uns. Oder sehen wir so aus, als ob wir beißen würden?

Ricarda lachte laut auf, als sie diese Worte sprach. Loussana schüttelte mit dem Kopf und langte dann auch zu. Sie tat sich etwas Braten, Obst und Brot auf den Teller.

So aßen die drei gemütlich an der Tafel und redeten über die Könige vor Johanna. Loussana war eine gute Erzählerin und Johanna und Ricarda hörten ihr gespannt zu. Ab und an stellten sie Fragen, die Loussana so gut es ging beantwortete. Sie verlor so langsam ihre Scheu vor den beiden Frauen und taute langsam aber sicher auf. Sie lachte mit ihnen und ab und an scherzte sie auch mal. Es tat ihr richtig gut.

Sie merkte, dass sie die Prinzessin und ihre Mutter sehr liebte. Sie waren so ganz anders, als man es ihr lehrte. Sie waren nicht streng und fordernd. Nein, sie behandelten sie sogar wie eine der ihren. Es kam ihr eher so vor, als wäre sie unter guten Freunden. Daher genoss sie dieses Essen über alle Maßen.

Als sie mit dem Essen fertig waren, wollte Loussana aufstehen und die restlichen Speisen abräumen. Doch Johanna gab ihr zu verstehen, dass sie sitzen bleiben solle.

„Du bist nur für mich persönlich da, Loussana. Und auch, wenn Du meine persönliche Zofe bist, möchte ich nicht, dass Du mir alles aus der Hand nimmst. Ich komme mir ja schon recht eigenartig vor, dass mir hier anscheinend jeder alle Arbeit abnehmen will. Lasse ich das zu, dann werde ich nur zu faul und vergesse zu schnell, wer ich wirklich bin.

Wir werden einfach sitzen bleiben, weiter reden und das Geschirr da lassen, wo es ist. Ich denke nicht, dass es von selbst wegläuft.

Alle drei lachten vergnügt.