Brand und Mord. Die Britannien-Saga

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Aber Ordulf wollte nicht in die Unterwelt, er wollte nach Britannien oder auch heim auf die Wurt. Er war noch niemals aus Dithmarschen fortgekommen, hatte noch nie bei einem Mädchen gelegen und schon sollte sein junges Leben enden? Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, als er nun auf der anderen Seite des Waldes wieder ins blasse Mondlicht gezerrt wurde. Zwei grob behauene Holzfiguren flankierten einen Bohlenweg, der in ein besonders sumpfiges Stück Morast hinausführte. In der Runde am Waldrand hingen die Häute geopferter Tiere auf Holzgestellen. Ordulf blickte in die leeren Augenhöhlen eines fahlen Rosses. Da ergriff von hinten ein Mann die geflochtene Hanfschnur, die ihm um den Hals hing. Ordulf würgte, obwohl die Schlinge noch nicht zugezogen war. Der Gedanke, dass sein lebloser Körper für immer in dem kalten, zähen Morast verschwinden sollte, ließ ihn erschauern.

Plötzlich erklang Hufgetrappel auf dem Weg hinter ihnen.

„Horsa, halte ein“, gellte eine Stimme. Dann trabte ein Krieger aus dem Waldweg auf die Lichtung. „Haltet ein“, wiederholte er außer Atem.

„Was gibt es nun schon wieder?“, fragte Horsa streng. Die andauernden Unterbrechungen schienen seine Geduld zu strapazieren.

„Der Britannier ist gerade wieder ins Lager gestolpert. Du solltest dir anhören, was er zu berichten hat!“

„Das hat doch sicher Zeit, bis dieser verdammte Mörder hängt“, drängte Hoger sich mit etwas näselnder Stimme dazwischen.

Horsa sah ihn finster an und wandte sich dann wieder an den Boten. „Eins nach dem anderen. Lasst uns diese unerfreuliche Geschichte hier zuerst zu Ende bringen“, knurrte er.

„Nein, Herr, bei Uuodens Zorn, es muss sein!“, drängte der Bote.

Horsa sah ihn erstaunt an. Der Mann gehörte zu seinen eigenen Knechten und das gab wohl den Ausschlag. „Na gut, wenn du es sagst, Witiko. Warum reitest du überhaupt den Braunen des Britanniers? Und wo ist Ceretic selbst?“

Nun grinste Witiko breit. „Der Britannier wollte gerade zurück zum Hof reiten, da hat er am Fleet etwas beobachtet und ist vor Aufregung vom Gaul gefallen. Du wirst seine verbeulte Visage gleich selbst zu Gesicht bekommen, er folgt mir zu Fuß, damit er nicht noch einmal vom Pferd fällt. Da Eile geboten war, habe ich den Gaul genommen und bin ihm vorausgeritten.“

Und tatsächlich erschien bald darauf ein schmutziger Ceretic mit verschwollenem Gesicht.

„Du siehst ja bedauernswert aus, man könnte meinen, du hättest den ganzen Tag über mit einem Mückenschwarm gekämpft“, empfing ihn Horsa und grinste dünn.

Ceretic schnaufte verärgert. „Ich bin von dem wackligen Biest dort gefallen. Aber nur weil er nicht so schnell wollte wie ich.“

Dann trug Ceretic vor, was ihm Gutha berichtet hatte, so als habe er alles mit eigenen Augen gesehen. „Ich wollte sofort dazwischengehen und drückte dem Gaul dort“, er schaute den unschuldigen Wallach finster an, „die Schenkel in die Flanken. Und da hat er mich einfach abgeworfen, dieses Mistvieh. Ich muss wohl kurz bewusstlos gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, war der Fleet verlassen und ich habe auf der anderen Seite nur einige Männer getroffen, die mir berichteten, ihr wäret hierher unterwegs. Der Mann dort“, dabei zeigte er grimmig auf Witiko, „wollte mich auf keinen Fall selbst hierher reiten lassen, sondern hat mein Pferd genommen und ist vorausgaloppiert.“

Hoger hatte mehrfach angesetzt, um den Vortrag zu unterbrechen, aber ein Blick Horsas brachte ihn jeweils wieder zum Schweigen. Nun schaute der Häuptling mit finsterer Miene zwischen Ordulf und Hoger hin und her.

„Du wirst diesem dahergelaufenen Fremden doch wohl nicht glauben?“, prustete Hoger los. „Ich bin ein freier Sachse und zwei weitere können mein Wort bezeugen. Du weißt doch wohl, was das Wort eines Fremden in Sachsen gilt! Jedenfalls nicht so viel wie das dreier freier Männer.“

„Du musst mich nicht über unser Recht belehren!“, fauchte Horsa gereizt. „Der freie Sachse da“, dabei zeigte er auf Ordulf, „ist sicher anderer Meinung. Und der dahergelaufene Fremde ist der geachtete Botschafter König Vortigerns und ebenfalls ein freier Mann. Sag, ist alles so geschehen, wie der Britannier berichtet?“, wandte er sich nun an Ordulf.

Dieser wurde nur noch locker von seinen Wachen gehalten. Noch benommen hatte er die Geschichte des Britanniers mit angehört und nach und nach erstaunt festgestellt, dass der offenbar jedes Detail kannte. „Ja, Herr, genau so war es“, antwortete er verblüfft. Dann kam ihm ein Einfall. „Wenn ich nicht zu Unrecht angegriffen worden wäre, hätte mir Thunær dann den ihm geweihten Dolch zur Wehr gegeben?“

Horsa sah ihn nachdenklich an, während Hoger erbleichte. „Aber der Britannier ist und bleibt ein Fremder“, beharrte er. „Und außerdem habe ich einen Eideshelfer mehr. Recht muss Recht bleiben.“

„Ich schwöre für Ordulf“, rief Swæn düster dazwischen.

„Drei gegen drei“, stellte Horsa säuerlich fest. „Der Dolch spricht tatsächlich für den Jungen. Aber darin stimme ich mit Hoger überein, unserem alten Recht muss genüge getan werden und Ceretic ist kein Sachse.“ Sein Blick richtete sich finster auf Ceretic. „Wenn du bei deiner Aussage bleibst, steht dein Wort gegen Hogers. Dann musst du beweisen, dass du die Wahrheit sprichst. Ihr müsst einen Holmgang wagen! Übermorgen, wenn die Dämmerung anbricht, wirst du mit Halvor auf eine Insel gebracht, jeder nur mit Schwert und Schild bewaffnet. Wer den Sonnenaufgang erlebt, dem bestätigen die Götter sein Recht.“

Beufleet, Juni 441

Ceretic

Ceretic schalt sich einen Narren. Zu seinen übrigen Sorgen kam nun also auch noch ein Zweikampf auf Leben und Tod. Auch Malo und Tavish fielen eine große Zahl an Vorhaltungen ein, die sie ihrem Anführer sogleich zu Gehör brachten. Wo hatten die überhaupt die letzten Tage gesteckt? Egal. Ceretic überlegte hin und her, wie er wohl wieder aus der Sache herauskäme. Sein Tod würde den Erfolg seines Auftrages in Frage stellen und Vortigern hatte ihm doch das Schicksal Britanniens anvertraut. Nun mischte er sich in sächsische Händel, die ihn nicht betrafen! Aber es war ihm alles so klar erschienen, eine Eingebung Gottes, wie er Rowena schützen und gleichzeitig den unschuldigen Jungen retten könnte.

Das sächsische Recht sollte einer verstehen. Es kam offenbar gar nicht darauf an, was in Wahrheit vorgefallen war, wenn man nur genügend Eideshelfer stellen konnte. Männliche, einheimische und freie Eideshelfer ergänzte er in Gedanken. Kein Wunder, dass Rowena ihn gewarnt hatte.

Und da begann das nächste Problem: Rowena. Zunächst hatte sie getobt, wie wohl nur eine Hengisttochter toben konnte. Nun würdigte sie ihn bereits den ganzen Abend keines Blickes. Lediglich Gutha funkelte ihn, sozusagen stellvertretend, von Zeit zu Zeit an. Aber Ceretic konnte sich nicht recht entscheiden, ob es Zorn oder andere Gefühle waren, die sie so erregten. Schließlich war sie es doch gewesen, die um die Rettung des jungen Kerls gefleht hatte.

Am nächsten Morgen wurde es noch schlimmer. Als Ceretic Rowena unter den anderen Frauen beim Brot backen sah, verrieten ihre rot verschwollenen Augen, dass sie die Nacht über geweint hatte und ihr Blick war nun die pure Verzweiflung. Wie gern hätte Ceretic sie tröstend in den Arm genommen. Aber hier in der stickigen Backstube? Ihr Onkel wunderte sich auch so schon über ihren Zustand.

Ärgerlich stampfend verließ er die dunkle Stube, die er doch gerade erst betreten hatte, um einen Blick auf seine Liebe zu erhaschen. Er knallte die Tür lauter zu als er geplant hatte. Verdammt, traute sie ihm denn gar nichts zu? Hielt sie ihn, Ceretic ap Ruohim, etwa für einen Weichling, der nur die Harfe, aber kein Schwert schwingen konnte? Langsam keimte Wut in Ceretic auf. Warum wohl hatte Vortigern aus seinem ganzen Gefolge gerade ihn ausgewählt? Er würde kämpfen und diesem mörderischen, verlogenen Hoger seine Untaten aufs Haupt vergelten.

Früh am Morgen kam der zweite Eideshelfer von der vorhergehenden Nacht aus dem Lager herauf.

„Ich bin Swæn, Ordulfs Bruder“, stellte er sich Ceretic respektvoll vor.

Wer ist denn Ordulf?, fragte sich Ceretic, aber die nächsten Worte des Sachsen erklärten es.

„Ich weiß nicht wie ich dir danken soll, dass du meinen Bruder gestern gerettet hast!“

Also war Ordulf der junge Bursche und sein Bruder hier, hieß der wirklich Schwein? Ceretic musste sich wohl verhört haben. Er nahm sich vor, den Sachsen lieber nicht mit Namen anzusprechen.

„Ordulf sendet auch seine Grüße, aber er wird noch bewacht. Weil er, falls, ja also falls morgen die Sache …“ Nun war Swæn sichtlich verlegen.

„Falls ich verliere, wird er dennoch aufgehängt?“, half ihm Ceretic aus der Verlegenheit.

„Ja, genau“, stimmte Swæn zu. „Ich wollte dich fragen, ob ich nicht an deiner Stelle kämpfen kann. Du weißt nicht, wie wir Sachsen kämpfen. Horsa lässt sich sicherlich überzeugen.“

Ceretic furchte verärgert die Stirn. Wollte ihm dieser Sachse etwa Feigheit unterstellen? Rasch sah er sich um. Und richtig – das musste wohl so sein –, Rowena befand sich auch gerade dort. Sie stand im hinteren Teil der Halle und sah mit weit aufgerissenen Augen zu ihnen hinüber. Sie hielt eine Schale voll Milch in den Händen und hatte ganz offensichtlich gelauscht. Dachten etwa alle Sachsen, einschließlich Rowena, die Britannier könnten nicht kämpfen?

„Du bist für den geplanten Zug viel wichtiger als ich“, beeilte sich Swæn zu beteuern, als ihm klar wurde, wie seine Aussage gewirkt haben musste.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage“, fauchte Ceretic verärgert. „Ich bin Manns genug zu beweisen, dass ein Britannier nicht lügt!“

Hinter ihm klirrte es. Ceretic fuhr herum und da stand Rowena, die Milch vor ihr auf dem Boden in einem Scherbenhaufen. Sie starrte ihn kurz aus schreckgeweiteten Augen an, dann presste sie die Hände auf den Mund und stürzte schluchzend aus der Halle.

 

Swæn schaute verdutzt. „Was ist denn mit der Frau los?“, fragte er, aber Ceretic wollte weitere Fragen vermeiden.

„Es bringt nichts, über verschüttete Milch zu weinen“, bemerkte er lakonisch. „Aber das ist jetzt ja auch egal. Wir schauen bei deinem Bruder vorbei und dann solltest du mir bis morgen noch so viel über eure Kampfesweise beibringen wie möglich.“

Dabei packte er Swæn am Arm und zog ihn mit hinaus. Sie marschierten zu Ordulfs Verschlag, der von zwei Knechten bewacht wurde, aber sie machten keine Anstalten, Ceretic und Swæn den Zugang zu verwehren.

„Du bist also der Mann, für den ich morgen kämpfen werde“, stellte Ceretic trocken fest.

Ordulf war aufgesprungen und griff nach seiner Hand. „Wie kann ich dir nur danken?“, stammelte er. „Warum hast du das für mich getan?“

„Da gibt es tatsächlich etwas, was ihr für mich tun könnt“, entgegnete Ceretic. „Aber ihr dürft es keiner Seele verraten. Und wenn ich morgen überlebe, ist es niemals geschehen.“

Ordulf und Swæn sahen ihn überrascht an.

„Was immer du bittest, werde ich tun“, antwortete Swæn und Ordulf versprach: „Bis zu meinem Tode werde ich schweigen.“ Mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: „Jetzt könnte das ja doch noch eine Weile dauern.“

Na, wenigstens einer, der nicht gleich den Kopf hängen lässt und mir etwas zutraut, dachte Ceretic. Der Gedanke versöhnte ihn mit seiner Situation. Der Junge war tatsächlich einen Kampf wert.

Ceretic nahm das kleine Bronzekreuz von seinem Hals und reichte es Ordulf. „Wenn ich morgen falle und du hingerichtet wirst, dann gib dieses Stück zuvor an Rowena weiter“, sagte er. Ordulf sah ihn erstaunt an. „Die Tochter von Hengist meine ich“, fügte Ceretic hinzu, um sicher zu stellen, dass er richtig verstanden wurde.

„Aber wieso …“, begann Ordulf.

„Kein weiteres Wort, das habt ihr versprochen“, unterbrach ihn Ceretic. „Los jetzt, wir haben noch Arbeit vor uns“, wandte er sich an Swæn. Sie ließen Ordulf zurück, der grübelnd auf das kleine Metallkreuz starrte.

Den ganzen letzten Tag hatte er mit seinem neuen Waffenbruder Swæn, sowie Tavish und Malo auf der anderen Seite des Fleetes hinter den Büschen verbracht. Jenseits der neugierigen Blicke der Mannschaft im Lager, insbesondere der der Ebbingemannen, versuchte er wieder in Form zu kommen. Malo hatte sein Schwert sorgfältig geschärft. Es war eine wertvolle Waffe, das Werk eines römischen Schmiedes. Ein Gladius hispanicus, wie es die römischen Legionäre seit uralten Zeiten trugen. Viel kürzer jedenfalls als die sächsischen Langschwerter, in erster Linie eine Stichwaffe. Ceretic hatte sie von Wulf geerbt. Einen eigenen Schild hatte Ceretic in der kleinen Curach nicht mitgebracht und da Horsa ihn als unparteiischer Richter nicht unterstützen durfte, brachte Swæn seine beiden Schilde zur Auswahl mit. Beide waren rund und kleiner als die rechteckigen oder ovalen Römerschilde, die Ceretic bevorzugte. Er entschied sich schließlich für den unbeschlagenen Schild aus Lindenholz. Der war immerhin leicht. So ausgerüstet fühlte er sich für den Kampf ausreichend gewappnet.

Ceretics Hoffnung, vor dem Kampf noch einmal mit Rowena zu sprechen, erfüllte sich nicht. Er bekam sie nicht mehr zu Gesicht. Auch Gutha mied ihn seit dem Abend im Moor. Ceretic seufzte. Er wollte Rowena kein Herzeleid zufügen, aber vor den Augen der Geliebten konnte er sich doch auch nicht wie ein Feigling von dem Sachsen mit dem seltsamen Namen auslöschen lassen!

Aus Sorge um Rowena schlief er in der folgenden Nacht lange nicht ein. Er wälzte sich auf seinem Lager hin und her, bevor er schließlich, erst nach Mitternacht, in einen unruhigen Schlummer verfiel. Tavish weckte ihn viel zu früh. Horsa wartete bereits in der Halle auf ihn.

„Ich hoffe, du weißt, was du tust“, sagte er düster, drückte dann aber Ceretics Unterarm einen Augenblick länger als notwendig und sah ihm ernst in die Augen. „Mögen die Götter mit dir sein.“

„Ich brauch nur einen“, brummte Ceretic peinlich berührt. Musste ihn ausgerechnet der Heide Horsa daran erinnern, vor dem Kampf sein Leben in Gottes Hand zu legen?

Dann brachten ihn Tavish und Malo zu der kleinen Curach. Malo blieb am Ufer und Tavish ruderte ihn schweigend in der gerade anbrechenden Dämmerung hinaus. Sie hielten sich in Richtung der von Horsa für den Kampf ausgewählten Sandbank, einer der zahlreichen Sanden in der Ælfmündung. Dicht über der Wasseroberfläche lag Nebel, sodass man die flache Insel nur verschwommen erkennen konnte. Während die Wellen leise an das Boot schwappten und Tavishs Riemen knarrten, konzentrierte sich Ceretic auf ein stummes Gebet.

Endlich langten sie an dem flachen Eiland an und Ceretic sprang aus dem Boot. Durch den Nebel konnte er auf der anderen Seite bereits eine Gestalt erkennen. Zweifellos Hoger. Dahinter lag ein weiteres Boot. Swæn hatte ihm erklärt, dass die Boote mit jeweils einem Ruderer an der Insel blieben. Die Ruderer durften das Eiland aber vor Sonnenaufgang nicht betreten.

Ceretic nahm Schild und Schwert, schluckte und schritt dann langsam auf die wartende Gestalt zu. Zunächst sank er tief in den feuchten Strand, doch bald schon knirschten seine Sohlen auf trockenem Kies. Hier wuchs allerhand Kraut, die Flut stieg offenbar nur selten und in unregelmäßigen Abständen darüber. Der Nebel legte sich feucht auf Ceretics Gesicht und die Kälte des Morgens begann in ihn zu dringen. Nun kam auch die fremde Gestalt näher.

War dieser Hoger gestern auch schon so groß?, wunderte sich Ceretic.

Dann standen sie sich gegenüber. Dünner Nebel wehte zwischen ihnen hin. Doch der zweite Mann war nicht Hoger! Er war tatsächlich größer und bedeutend jünger!

„Was soll denn das?“, fragte Ceretic verärgert. Vor Erstaunen vergaß er, dass vor Sonnenaufgang auf der Insel nicht gesprochen werden durfte.

Der andere holte stumm zum Schlag aus und Ceretic parierte mit seinem Schild. Sein Gegner sprang einen Schritt zurück. Langsam umkreisten sich Ceretic und der Fremde. Unvermittelt sprang Ceretic vor und stieß mit dem Schwert nach dem unteren Schildrand seines Widersachers. Scheppernd prallte die Klinge an dem rasch gesenkten Holz ab. Im Gegenzug hieb der Fremde mit voller Wucht von oben auf Ceretic. Ein großes Stück Lindenholz splitterte von seinem Schild ab und traf Ceretic an der Schulter. Vielleicht hätte er doch den eisenbeschlagenen Schild wählen sollen. Aber es blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sein Gegner schlug wieder zu und dann noch einmal. Ceretic merkte, dass er nicht den richtigen Rhythmus fand. Er wurde in die Defensive gedrängt und wehrte nur die Schläge seines Feindes ab. Und dieser schien sehr viel stärker als Hoger. Wieder flog eine Latte von Ceretics Schild auf den Kies.

Was würde nur Rowena sagen, wenn ich hier fiele?, schweiften seine Gedanken ab.

Der Gegner bemerkte es und schwang sein Schwert blitzschnell in einem Bogen nach unten. Ceretic reagierte einen Augenblick zu langsam. Die Schwertspitze beschrieb einen tiefen Kreis und traf Ceretic oberhalb des linken Knöchels. Der Schmerz riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken schaute er auf seine karierte Hose, deren Saum sich dunkel färbte. Ein stechender Schmerz fuhr bis in seine Fußsohle. Der Knochen schien jedoch unverletzt, zumindest konnte er noch fest stehen.

Ceretic musste langsam etwas unternehmen. Im Geiste erinnerte er sich an seinen Lehrer Wulf. Er hatte ihn immer wieder aufs Kreuz gelegt, obwohl Ceretic damals schon viel größer und stärker war als der alternde Söldner. Nun war er es, der nicht mehr in Übung war und sein Gegner besaß sicherlich eine größere Ausdauer. Doch wie alle Barbaren hieb er mit seinem Langschwert wild um sich, statt einen einzigen gezielten Stoß zu führen.

„Eine Spanne Spitze ist mehr wert als zwei Ellen Schneide“, hatte Wulf behauptet, als er unter Ceretics wuchtigem Schlag abtauchte und ihm das Holzschwert schmerzhaft in die Rippen rammte. Dankbar erinnerte sich Ceretic nun an diese Lektion. Ja, Wulf hatte ihn Besseres gelehrt. Er trat einen Schritt rückwärts und täuschte vor, auf dem verletzten Bein einzuknicken.

„Jetzt nehme ich dich aus wie einen Fisch und werfe deine Eingeweide den Möwen zum Fraß vor“, höhnte der Fremde und hob sein Schwert zu einem letzten mächtigen Hieb.

Damit besiegelte er sein Schicksal. Ceretic drehte seinen Schild so, dass der ungefasste Holzrand mit der Maserung nach oben wies und das Schwert seines Gegners fraß sich tief hinein. Im gleichen Augenblick drehte er seinen Oberkörper mitsamt Schildarm und Schild nach links und riss die verkeilte Klinge des Ebbingemannen mit sich. Sein Gegner hielt den Griff der Waffe verzweifelt umklammert und stolperte einen Schritt nach vorn. Darauf hatte Ceretic gewartet. Er tauchte unter dem gegnerischen Schildrand durch und stieß sein Schwert in die Achselhöhle seines Widersachers. Heißes Blut wallte aus der Wunde und ein Schleier aus feinen Wassertröpfchen trübte schlagartig das kalte, blanke Eisen.

Schwer atmend richtete sich Ceretic auf, während der gefällte Hüne in einer rasch wachsenden Blutlache sein Leben aushauchte. Außer dem eigenen pfeifenden Atem hörte er nichts. Ceretic schwindelte. Er zwang sich, ruhiger zu atmen und bemerkte den metallischen Geruch des Bluts und was war da noch? Ach ja, der Geruch, wenn Staub nach langer Trockenzeit vom ersten Regen benetzt wird. Er schüttelte den Kopf. Dem Staub war es wohl gleich, ob er Menschenblut oder Regen trank.

Ceretic setzte sich in einigem Abstand zu dem Toten auf den Boden. Dann krempelte er vorsichtig seine blutgetränkte Hose hoch und untersuchte seine Beinwunde. Der Schnitt war ungemütlich tief, aber er konnte keine Knochensplitter in der Wunde erkennen. Er riss einen Streifen von seiner Hose und band ihn um die Wunde. Wenn er nicht den Brand bekam, sollte es in einigen Tagen wieder verheilt sein. Dann blickte er in Richtung Osten, wo die Sonne jeden Moment aufgehen würde.

Tavish kam – unter Missachtung des Verbotes, die Insel vor Sonnenaufgang zu betreten – auf ihn zugerannt. Ceretic winkte: er solle bleiben, wo er war; wegen des Schweigegebotes wollte er nicht laut rufen. Da blendeten ihn die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

„Alles gut, du brauchst nicht zu eilen“, rief er auf Britannisch.

Doch da war Tavish schon heran und umarmte seinen Gefährten und Meister wild. Dann sah er das Blut an der Hose. „Du bist verletzt?“, fragte er besorgt.

Ceretic winkte ab. „Nicht so schlimm, ich brauche nur an Land einen sauberen Verband, damit ich mir nicht den Brand hole. Aber sieh dir mal den da an.“ Dabei zeigte er auf den Toten. „Das ist nicht der alte Hoger.“

Tavish sah erstaunt zu dem Toten, der inzwischen reglos in seinem Blute lag. „Der war aber immer mit ihm zusammen. Hoger, dieser Feigling, hat einen seiner Männer geschickt. Was machen wir denn nun mit ihm?“

Ceretic zuckte die Achseln und ließ seinen Blick zur anderen Seite der Insel schweifen, wo das gegnerische Boot angelegt hatte. Doch da war kein Boot mehr.