Brand und Mord. Die Britannien-Saga

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Ordulfs Blick wurde wieder klar.

„Bist du verrückt?“, schrie Swæn und lief zu dem verletzten Agill. Der blickte mit hängender rechter Schulter erschrocken auf Ordulf. Im Verlauf des Schlüsselbeins zeichnete sich eine scharfe Kante ab, die vorher nicht dort gewesen war. Swæn betastete den verletzten Bereich und es gab ein hässliches reibendes Geräusch.

„Aua, verdammt“, stöhnte Agill.

„Was sollte das?“, rief Swæn mit einem finsteren Blick auf seinen jüngsten Bruder.

Da trat Vater Swæn aus dem Schatten des Langhauses. Langsam schritt er zu seinem Sohn herüber und besah sich die Verletzung.

„Tja, das Schlüsselbein ist gebrochen“, stellte er trocken fest. „Du hättest deinen Bruder nicht so sehr reizen dürfen, du weißt doch, wie heiß das swænsche Blut ist! Mit einem Kriegszug wird es dieses Jahr jedenfalls nichts mehr.“

Agill ließ erschrocken und enttäuscht auch die andere Schulter hängen. Ordulf überkam eine Welle der Reue und des Mitleids. Was hatte er nur getan? Seinen eigenen Bruder kampfunfähig schlagen! Da richtete Vater Swæn seinen Blick streng und fest auf ihn. Ordulf schluckte. Er hatte keine Ahnung, wie ihn der Vater strafen würde, aber es war alles selbst eingebrockt. Seinem ältesten Bruder Swæn hatte er schon einmal einen Zahn ausgeschlagen, aber damals war er noch sehr klein gewesen und es hatte sich auch nur um einen Milchzahn gehandelt.

„Du kommst auf deinen Großvater“, stellte der Vater düster fest. „Vielleicht ist das ein Wink der Schicksalsfrauen, dass nicht Agill, sondern du mit nach Britannien ziehen sollst.“

Hatte Ordulf richtig gehört? Keine Strafe, sondern im Gegenteil, er durfte mit Hengist ziehen?

„Aber jetzt musst du erst einmal die Arbeit deines Bruder und die Waffenübungen gleichzeitig hinbekommen. Bevor wir nicht alle Gräben neu ausgehoben haben, geht mir keiner von euch nach Haduloha, ganz egal was eure Mutter sagt.“

Ordulf hätte seinen Bruder Agill am liebsten umarmt, aber der war natürlich wenig begeistert und außerdem verbot die verletzte Schulter solche Annäherungen.

Eine alte Magd, die sich auf Kräuter und Heilkunde verstand, half Swæn schließlich, seinem Sohn einen Verband anzulegen, der, um beide Arme geschlungen, am Rücken verknotet wurde. Ganz so, dass er die hängende Schulter an ihrem eigentlichen Platz hielt.

Für Ordulf wurden es zwei harte Wochen. Vater Swæns Drohungen bezüglich der Gräben waren weniger besorgniserregend, denn sie hatten bereits im Frühjahr die meisten Gräben kontrolliert und Pflanzenreste und Schlick daraus entfernt. Aber es gab auch so noch genug zu tun. Pferdebohnen, Gerste, Hafer, Lein und Leindotter mussten gesät werden. Dazu kam, dass Agill ihn mit Verachtung strafte. Und auch sein ältester Bruder Swæn maulte über Ordulf.

„Deinetwegen kommen wir noch zu spät und die Keydinger und Haduloher nehmen uns die Plätze weg!“

Aber das alles machte Ordulf nichts aus. Er durfte mit Hengist nach Britannien!

Nach der Arbeit übte er verbissen mit den Waffen. Er kämpfte gegen seinen Bruder Swæn, den Vater oder einen der Knechte sooft sie Zeit für ihn erübrigen konnten, auch wenn gerade der älteste Bruder nun keinerlei Nachsicht mehr mit ihm übte und Ordulf manche Beule davon trug. Dann warf er Speere nach immer neuen Zielen. Meist waren es Grasbüschel im Umland und er lief hinter seinen Geschossen her und suchte ein neues Ziel, bis es zu dunkel wurde, um weiter zu machen. Anschließend stand Ordulf oft auf dem Hof und hielt Schild und Speer mit den Armen weit von sich gestreckt, bis sie zu zittern begannen und er erschöpft aufgeben musste.

Beufleet, Mai 441

Ceretic

Schon wieder ging ein Tag zu Ende. Inzwischen bedauerte Ceretic es zutiefst. Die Tage, die ihm zuvor endlos erschienen waren, verstrichen seit seinem ersten Treffen mit Rowena wie im Fluge. Seither war es immer schwieriger geworden, unbemerkt zu bleiben, denn das Lager am Fuße von Hengists Wurt wuchs mit jeder Woche, wenn Krieger aus dem gesamten nördlichen Sachsen herzuströmten. Kein Ort auf dem Hof versprach Ceretic und Rowena völlige Sicherheit vor Entdeckung. So blieben die Begegnungen mit ihr meist auf einen kurzen Händedruck und ein paar innige Worte beschränkt.

Nach zehn Tagen kehrte dann auch Hengist aus Dithmarschen zurück. Während die bereits versammelten Haduloher täglich in Keilen gegeneinander anstürmten und mit Holzschwertern um sich hieben, hatte er jenseits der Ælf zahlreiches junges Volk für seine Fahrt begeistern können.

„Sie folgen mir alle“, prahlte Hengist und Ceretic war sich nicht sicher, ob er sich dabei auf den johlenden Haufen der Haduloher oder die jungen Dithmarscher bezog, von denen er gerade berichtet hatte. „Wenn dein König nur genügend Silber hat, werde ich ihm das ganze Land der Pikten unterwerfen!“

Ceretic war unschlüssig, ob er sich über den raschen Fortgang der Dinge freuen sollte. Einerseits brachte ihn die erfolgreiche Anwerbung der Erfüllung seines Auftrages und der Rettung Britanniens näher. Andererseits raubte ihm der Gedanke an eine Trennung von Rowena fast den Atem. Er hatte seit Hengists Rückkehr keine einzige Gelegenheit mehr gefunden, ein intimes Wort mit ihr zu wechseln.

Zu Ceretics großer Erleichterung meldete sich Hengist bereits drei Wochen später erneut ab.

„Ich muss dringend nach Keydingen, um die Ausrüstung des dritten Schiffes zu überprüfen und die Männer dort auf Vordermann zu bringen“, eröffnete er eines Abends. „Wir haben inzwischen viele gute Recken versammelt. Wenn die Werbung weiter so voranschreitet, können wir wie geplant Ende des Monats in See stechen. Immerhin stoßen jetzt noch die ganzen Dithmarschen zu uns. Ihr, Horsa und Ceretic, werdet sie hier in meinem Namen empfangen.“ Bei diesen Worten schnaufte Horsa vernehmlich, aber Hengist sprach ungerührt weiter. „Ich reite Morgen bei Sonnenaufgang nach Keydingen und in drei Wochen rudern wir über die See gen Britannien!“

Ceretic schluckte. Drei Wochen nur noch! Die nahende Abreise legte sich wie ein düsterer Schatten auf sein Gemüt. Er musste Rowena unbedingt vorher unter vier Augen sprechen, koste es, was es wolle.

Die ganze folgende Nacht lag er wach auf seinem Lager und wälzte sich von einer auf die andere Seite. Er sann darüber nach, wie er sie nur einige Stunden für sich allein haben könnte. Doch schließlich war es Gutha, die kleine rothaarige Magd, die sich einmal mehr als treue und listige Botin erwies.

„Heute Abend wird Rowena zum Waschplatz kommen“, raunte sie ihm am Morgen nach Hengists Abreise zu, während sie seine Morgensuppe schöpfte.

Vor Aufregung schlug Ceretics Herz ganz wild. Vielleicht war das die letzte Gelegenheit, sich Rowena zu erklären.

Gegen Mittag erbat er von Horsa wieder ein Pferd für einen Ausritt. Inzwischen vertraute ihm Horsa ein ganz ordentliches Tier an. Einen braunen Wallach von vierzehn Jahren, ein wenig träge, aber ausgezeichnet zugeritten. Horsa suchte ihn selbst heraus und sah gemeinsam mit Ceretic zu, wie ein Knecht das Fell bürstete, die Hufe auskratzte und schließlich Sattel und Zaumzeug anlegte.

„Mir scheint, du hast große Fortschritte im Reiten gemacht und das ganz ohne Lehrer“, bemerkte Horsa schmunzelnd.

Ceretic lief rot an. Hatte Horsa ihn durchschaut oder plauderte er nur höflich? „Ich bin früher mehr geritten und komme langsam wieder rein“, antwortete er knapp.

Horsa ließ es dabei bewenden und hielt die Steigschlaufe auf der Gegenseite fest, als Ceretic diesmal nach sächsischer Art aufstieg.

„Fall nicht runter – du musst uns noch nach Britannien führen“, gab Horsa dem Britannier augenzwinkernd mit auf den Weg.

Ceretic schluckte seinen Stolz herunter und antwortete nicht. Das bevorstehende Treffen mit Rowena hatte ihm ohnehin den Mund ausgetrocknet.

Er lenkte sein Ross im Schritt von der Wurt. Wie beim vorigen Mal folgte er dem Beufleet nach Süden, aber diesmal überquerte er das Fleet bereits vor dem Moor. Die Erfahrung vom vorherigen Mal wollte er nicht wiederholen. Besorgt blickte er sich in alle Richtungen um. Zu leicht konnte einem der müßigen Krieger sein merkwürdiges Verhalten auffallen. Doch als er schließlich nach gut zwei Stunden die Baumgruppe, an der er sein Pferd schon während des ersten Stelldicheins angebunden hatte, erreichte, war er sich ziemlich sicher, dass ihm niemand gefolgt war. Er wartete dennoch eine Weile in Ruhe ab. Es war ohnehin noch viel zu früh, um sich zu seinem Versteck am Fleet zu begeben. Er versuchte, ein Gedicht für Rowena zu ersinnen, aber die sächsische Sprache war einfach zu ungelenk und seine keltische Muttersprache würde sie nicht verstehen. Schließlich gab er es auf und machte sich an den letzen Abschnitt seines Weges.

Diesmal folgte er gleich einem schmalen Wasserlauf, von dem er sich zu erinnern meinte, dass er zum Beufleet hinabführte. Die Ufer waren dicht mit Schilf und Rohr gesäumt, sodass er sich nicht um eine Entdeckung sorgen musste. Die letzen Schritte bis zum Fleet legte er dennoch in dem fast ausgetrockneten Graben kriechend zurück. Gierig stürzten sich die Mücken auf ihn, aber das wollte er für ein paar ungestörte Augenblicke mit Rowena gern auf sich nehmen. In seinem Versteck im Gebüsch hinter dem Waschplatz wurde es nur unwesentlich besser. Ceretic fragte sich, ob ihm die Mücken vom Graben her gefolgt waren, oder ob in jedem Gebüsch neue Blutsauger warteten.

Die Sonne stand noch immer hoch am Himmel und während er vergeblich versuchte, die Insekten von seiner verschwitzten Haut fernzuhalten, merkte er, wie durstig er war. Schließlich döste er erschöpft ein. Als er aufwachte, dämmerte es bereits. Sein gesamter Körper juckte und er fragte sich erschrocken, ob Rowena ihn mit seinem zerstochenen und geschwollenen Gesicht noch erkennen würde. Wo war sie überhaupt? Vorsichtig schob er die Zweige auseinander und blickte zur Wurt hinüber.

 

Das Lager lag friedlich und nun gegen Abend ruhig am Fuße der Wurt. Die Ebbe hatte inzwischen voll eingesetzt und im Fleet schwappte nur wenig Wasser träge der Ælf entgegen. Die tief stehende Sonne spiegelte sich rot darin. Einzelne Rauchfahnen stiegen vom Lager senkrecht in den fast wolkenlosen Himmel. Endlich entdeckte er zwei Mädchen auf der anderen Seite des Fleets. Ceretics Herz machte einen Luftsprung. Das konnten nur Rowena und Gutha sein.

IV. Ein Sturm braut sich zusammen

Dithmarschen, Juni 441

Ordulf

Weniger als zwei Monde trennten sie noch von der Sonnenwendfeier. Es wurde höchste Zeit aufzubrechen. Sicher strömte das Volk von allen Seiten in Hengists Lager. Und Ordulf beschäftigte sich mit Schafen. Nur der neu erworbene Respekt vor dem Widder Hinnerk verhinderte, dass er seine Wut an den blöden Viechern ausließ. Er wollte endlich nach Haduloha und nach Britannien. Die notwendige Ausrüstung hatten Swæn und er bereits zusammengetragen. Der alte Swæn wollte sie gut bewaffnet auf den Kriegszug senden.

„Niemand soll sagen, die Swænen wären nicht vermögend genug, ihre junge Mannschaft auszurüsten. Und schon gar keiner dieser verdammten Ebbingemannen!“, verkündete er stolz. Vier Schilde und ebenso viele Wurflanzen hatte er persönlich ausgesucht. Weiterhin ein gutes Langschwert für Swæn und natürlich für jeden einen Sax.

Ordulf betrachtete seine Waffen mit unverhohlenem Stolz. Die Schilde waren aus gutem Lindenholz. Einer war mit Leder bespannt und reichlich mit Eisen beschlagen, auf dem Schildbuckel war ein stilisierter Schlangenwirbel aus Bronze aufgelötet. Der andere Schild war leichter und schmucklos. Die Latten wurden lediglich von dem schlichten Schildbuckel und einigen Querleisten auf der Rückseite zusammen gehalten – ein reines Arbeitsgerät. Auch sein Sax war einfach und mit einem simplen Holzgriff und etlichen ausgewetzten Scharten nicht so prächtig wie das Langschwert seines älteren Bruders, welches am Griff aufwendig mit Granat eingelegt war. Es passte perfekt zu der Fibel, die Swæns dunkelblauen Wollmantel über der Schulter zusammen hielt. Auch dort hatte der Schmied kleine Granatstückchen sorgsam in Gold gefasst. Ein dünnes, speziell gefaltetes Blattgoldscheibchen unter den Steinen ließ diese im Sonnenlicht feurig funkeln.

„Freu dich an deinem Eisen. Ein Schwert muss vor allem hart, scharf und gut ausbalanciert sein. Der Schmuck ist Weibersache“, riss ihn sein Vater aus der Betrachtung, aber Ordulf hätte trotzdem lieber so eine prächtige Waffe wie sein Bruder besessen. Noch mehr erregte es aber seinen Neid, dass Swæn ein Pferd bekam, wohingegen er selbst zu Fuß gehen würde.

„Als Stammhalter des Swænengeschlechtes wird er einmal dein Häuptling sein“, betonte der Vater ernst. „Und als solcher ziemt es sich, zu Pferde in die Schlacht zu reiten. Du wirst deinem Bruder den nötigen Respekt zollen und dafür sorgen, dass er auch als das anerkannt wird, was er ist. Der zukünftige Führer des Swænengeschlechtes.“

Ein ziemlich kleines Geschlecht, dachte Ordulf bitter, aber immerhin würde das Pferd den Großteil ihrer Ausrüstung tragen, was dann auch ihm zugutekam.

Endlich kam die letzte Nacht vor ihrer Abreise. Ordulf konnte vor Aufregung kein Auge zutun. Schließlich, als er am frühen Morgen gerade übermüdet in einen erschöpften Schlaf gesunken war, weckte ihn der alte Hinnerk. Er machte sich schon vor Sonnenaufgang auf, um Hilda, eine achtjährige Stute, eines der besten Pferde des Hofes, von der Außenweide zu holen.

Bei der Verabschiedung trug Ordulfs Bruder Agill immer noch demonstrativ den rechten Arm in der Schlinge. Beim Anblick seiner säuerlichen Miene überkam Ordulf wieder ein Anflug von Reue. Eigentlich hätte Agill an seiner Stelle stehen sollen, aber die Gewissensbisse hielten nicht lange vor. Er war schließlich selbst schuld. Die Mutter dagegen sah aus, als hätte sie die Nacht über geweint, doch zum Abschied blickte sie ihre zwei Söhne fest und voller Stolz an, bevor sie beide ein letztes Mal umarmte. Dann zogen sie endlich los.

Bald schon erreichten sie die Wolderichswurt. Dort verabschiedete sich Vater Swæn von ihnen, der behauptet hatte, irgendein Geschäft mit dem Nachbarn verhandeln zu müssen, auch wenn Ordulf insgeheim annahm, dass er das lediglich vorgeschoben hatte.

„Seid immer wachsam. Streitet nicht untereinander und auch nicht mit anderen Sachsen. Besonders du, Ordulf, musst deinen Hitzkopf im Zaum halten. Höre auf deinen Bruder. Einig könnt ihr gegen alle Feinde bestehen. Was Hengist euch sagt, das tut, als ob ich es euch befohlen hätte. Egal was er will, er ist auf dieser Fahrt euer Herr. Saxnot stehe euch in allen Kämpfen bei.“

Mit diesen Ermahnungen und dem Segen entließ der bereits graubärtige Swæn seine beiden Söhne. Abrupt wandte er sich der Wurt der Wolderichsmannen zu. Ordulfs Blick folgte ihm noch kurz, wie er allein den Hügel hinaufstapfte. Schweigend setzten die Brüder ihre Reise fort. Für beide war es das erste Mal, dass sie auf eine ungewisse Wiederkehr hin ihrem Vaterhof den Rücken zukehrten.

Zunächst folgten sie einem Graben, der in Richtung Geest führte. Bald wichen die salzigen, beweideten Marschen dichtem, von zahlreichen Wasserläufen durchzogenem Buschwerk, welches seinerseits von Mooren, Schilfsümpfen und kleineren Bruchwäldern unterbrochen wurde. Immer wieder mussten Swæn und Ordulf die Richtung ändern, um Hindernisse zu umgehen, und so erreichten sie die höhere Geest erst gegen Mittag. Von nun an kamen sie schneller voran und als sie schließlich wieder in die Elbmarschen hinabstiegen, hatte die einsetzende Ebbe das Wasser aus den Gräben gezogen. So erreichten sie ihr Ziel, den Weulesfleet, mit Einbruch der Dämmerung. Hier lagerten bereits einige Bauern aus der Nordermarsch, die ihre Bullen auf einem Markt in Keydingen feilbieten wollten.

„Wir haben bereits mit einem Fischer gesprochen, der sich auch als Fährmann verdingt“, begrüßte ihr Anführer die jungen Swænen. „Morgen früh wird er uns übersetzten, ihr könnt mitfahren, wenn euch unsere Bullen nicht zu doll stinken.“

„Wir Wurtmannen müssen schließlich zusammenhalten“, pflichtete ihm ein älterer Bauer zu und lud die beiden Jungen ein, sich zu ihnen ans Feuer zu setzen.

„Habt Dank für die Gastfreundschaft“, antwortete Swæn hocherfreut und ließ sich gleich am Rande des Feuers nieder. „Mein Bruder wird noch rasch das Pferd versorgen“, bemerkte er, scheinbar an die Bauern gewandt, aber sein vorwurfsvoller Blick traf Ordulf, der sich gerade neben ihn setzen wollte. Ordulf schnaufte verärgert, nahm dann aber Hilda den Sattel ab und führte sie zur Tränke an das Fleet. Durch einen Gürtel aus Schilf und Rohr konnte er bereits den großen Ælfstrom erkennen. Das schlammige Wasser wälzte sich träge Richtung Meer. Dorthin würde auch ihre Reise führen, in die unbekannte Weite des Ozeans bis nach Britannien.

Am nächsten Morgen weckte sie das Brüllen der Rinder. Ordulf stand auf und reckte die steifen Glieder. Dann ging er, um nach Hilda zu sehen.

Der große, flachbodige Kahn, der als Fähre diente, lag zwischen mehreren Fischerbooten. Anders als bei ihnen, oder den großen Seeschiffen der Sachsen, wurde der Boden aus einer Reihe platt nebeneinanderliegender Planken gebildet, an die die Bordwand kastenförmig ansetzte. Viel Raum bei wenig Tiefgang, aber sicher nicht geeignet für eine Wettfahrt oder schweres Wetter.

Ordulf half dem Fährmann und seinen zwei Jungen, die Fähre in die Strömung zu rudern. Da das Wasser gerade stieg, trieb sie nur sehr langsam mit dem Strom, und der Fährmann nutzte sein Ruder geschickt, um die Fähre in Richtung des Keydinger Ufers zu lenken. Die Sonne brannte vom Himmel und die Ælf strömte ruhig dahin.

„Jetzt müsst ihr noch einmal an die Ruder und pullen“, rief der Fährmann plötzlich. „Wir treiben gefährlich nahe an den Krudt Sand heran. Bei unserer schweren Ladung setzen wir gleich auf, auch wenn der größte Teil schon überschwemmt ist.“

Ordulf und einer der Bauern griffen zusammen mit den Söhnen des Fährmanns gehorsam nach den Riemen.

„Das wird dir auch nicht mehr lange erspart bleiben, wenn wir erst bei Hengist und den Schiffen sind“, rief Ordulf seinem Bruder zu, der Hilda am Zügel hielt und keinerlei Anstalten machte, mit anzupacken. Doch Swæn zuckte nur gelangweilt die Schultern und strich gedankenverloren über das Fell seines Rosses.

Als die Sonne bereits im Zenit stand, erreichten sie das Keydinger Ufer. Beim Entladen schienen zwei der Nordermarscher ebenso erleichtert wie Hilda und die Bullen, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

„Thunær sei Dank!“, rief der eine und zog einen Eisendolch aus seinem Gürtel. Den warf er im hohen Bogen als Dankesopfer in die langsam strömende Ælf.

„Hab Dank für die gute Überfahrt, Wogenglätter!“, pflichtete ein weiterer Nordermarscher bei und schleuderte eine Silbermünze hinterher.

Swæn, Ordulf und die übrigen Bauern standen andächtig still, als die Fluten die Dankesopfer gierig verschlangen.

Plötzlich raschelte es hinter ihnen im Gebüsch. Ordulf fuhr herum. Eine Schar von fünf oder sechs Bewaffneten brach mit drohend gesenkten Lanzen aus dem Dickicht. Die Dithmarschen zogen ihre Saxe und bildeten sofort einen Halbkreis vor der Fähre.

Der größte der Fremden, vermutlich ihr Anführer, musterte die Dithmarschen misstrauisch.

„Was wollt ihr hier in Keydingen?“, fragte er schroff.

„Wir treiben unsere Bullen zum Markt“, erwiderte der Anführer der Nordermarscher erstaunt und verärgert zugleich. „Empfängt man in Keydingen neuerdings so seine Gäste?“

„Von euch Bauern will ich nichts. Aber was ist mit den zweien dort?“, wandte sich der große Keydinger unwirsch an Swæn und Ordulf. „Handelsgut habt ihr keines dabei, oder wollt ihr zum Pferdemarkt?“

„Wir wollen zum Lager Hengists in Haduloha“, beeilte sich Swæn zu erklären.

Der Keydinger sah ihn scharf an. „Wie ist dein Name?“, fragte er.

„Swæn vom Geschlecht der Swænen aus Dithmarschen“, erwiderte Swæn stolz.

„Das dachte ich mir“, knurrte der Keydinger. „Ihr seid landesflüchtige Räuber und Verräter. Man hat uns vor euch gewarnt.“ Bei diesen Worten winkte er seinen Männern, die grimmig die Lanzen auf die Brüder richteten.

Swæn und Ordulf waren wie vom Donner gerührt. Als freier Sachse konnte man die Gaugrenzen nach Gutdünken passieren. Aber noch bevor Swæn etwas erwidern konnte, stellte sich einer der Bauern mit gezogenem Sax schützend vor ihn.

„Überleg dir gut, mit wem du Hader anfängst. Wir Dithmarschen halten zusammen“, sagte er ruhig. Seine Begleiter nickten grimmig und auch der Fährmann nahm zwei Speere aus dem Boot und reichte sie schweigend seinen Söhnen.

„Wir haben nichts gegen euch Dithmarschen“, beeilte sich der Anführer der Keydinger zu erklären. „Aber diese zwei sind Verbrecher, die bei euch gesucht werden. Swæn, so war doch der Name? Und die Beschreibung passt haargenau.“ Er schaute Bestätigung heischend zu seinen Männern.

Ordulf erholte sich vor seinem Bruder von dem Schreck. „Was sagt ihr da über uns?“, fragte er und seine Hand schloss sich so fest um den Griff des Saxes, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Sein Bruder hatte wohl das unterschwellige Brodeln in Ordulfs Stimme bemerkt. „Wir sind freie Männer und haben uns nichts zuschulden kommen lassen“, erklärte er rasch und griff nach Ordulfs Arm. „Wer hat etwas anderes behauptet?“

„Die Swænen sind in Dithmarschen als gute, freie Männer bekannt, wenn auch etwas jähzornig vielleicht“, pflichtete ihm einer der nordermarscher Bauern bei. Sein besorgter Seitenblick streifte Ordulf.

Der Keydinger wurde unsicher. „Vor einer Woche kam eine Gruppe Krieger aus Dithmarschen vorbei, die uns von ein paar landesflüchtigen Räubern berichteten, auf die man in Dithmarschen ein Kopfgeld ausgesetzt hätte. Swænen, würden sie heißen, wie Sch…“ Er hatte offensichtlich „Schwein“ sagen wollen, hielt das Wort aber gerade noch rechtzeitig zurück. „Wir sollten uns in Acht nehmen, möglicherweise hätten sie das Land Dithmarschen auch noch gar nicht verlassen.“

„Was waren das für Männer?“, fragte Ordulf und überhörte die nicht ganz ausgesprochene Beleidigung.

„Ebbingemannen nannten sie sich und auch sie wollten sich Hengist anschließen“, antwortete einer der bisher schweigsamen Keydinger Krieger. „Wenn ihr wirklich auch dorthin wollt, könnt ihr das ja untereinander regeln.“

„Ja, am besten ihr geht direkt dorthin“, pflichtete ihm sein Anführer bei, froh eine Lösung gefunden zu haben, ohne sich mit den Dithmarschen schlagen zu müssen. „Nehmt den alten Weg am Moor entlang. Dort hinauf über Wörden und am Dösemoor entlang bis zur Oste.“ Dabei wies er mit der Hand den Weg. „Aber seht zu, dass ihr Keydingen noch heute verlasst, wir wollen hier keinen Ärger“, fügte er nach einer kurzen Pause drohend hinzu, eher um sein Gesicht zu wahren, als dass es ihm etwas bedeutete.

 

Swæn und Ordulf warfen den Bauern, deren Landmannstreue sie gerade gerettet hatte, noch einen dankbaren Blick zu und zogen schleunigst ihres Weges. Die finsteren Blicke der Keydinger brannten ihnen im Nacken.

„Was für eine Gemeinheit von diesen hinterhältigen Kerlen!“, schimpfte Ordulf.

„Ja, ein ziemlich übler Streich“, pflichtete ihm sein Bruder bei. „Wenn nicht die Bauern bei uns gewesen wären, hätte es schlimm ausgehen können.“

„Wenn ich die erwische, kommen sie nicht so einfach davon“, schimpfte Ordulf weiter.

Trotz Mittagshitze und dem Heer von Fliegen, welches aus den nahen Mooren aufstieg, um sie zu peinigen, marschierten die Brüder ohne Pause. Schließlich, als der Mond schon hoch am Firmament stand, erreichten sie endlich die Oste. Hier mussten sie die Ebbe erwarten. Sobald das Wasser sank, wateten sie eilig über die durch eingeschlagene Pfähle bezeichnete Furt ans andere Ufer. Damit überschritten sie endlich auch die Gaugrenze nach Haduloha, und da Mitternacht bereits verstrichen war, getrauten sie sich nun die Augen für einige Stunden zu schließen.

Am folgenden Morgen führte der Weg auf die Geest hinauf. Kiefern und Birken standen auf dem sandigen Boden und bald verschluckte ein lichter Wald die beiden Wanderer. Nach einer weiteren Gehstunde lichteten sich die Bäume und sie traten auf freies Feld hinaus. An einer kleinen Geestsiedlung wies ein junger Mann den Brüdern den Weg nach Beufleet und bald ließen Swæn und Ordulf die sandige Geest hinter sich und stiegen in die fruchtbare Marsch hinab. Schon von weitem kündigten mehrere Rauchfahnen, die vor ihnen in den tiefblauen Himmel stiegen, ihr Ziel an. Swæn und Ordulf folgten einem festen Weg am Wasserlauf entlang, den der junge Geestler als Beufleet bezeichnet hatte.

„Sieh mal, ob der Weg hier abgeht?“, fragte Ordulf seinen Bruder, als er ein paar frische Hufspuren entdeckte, die den schmalen Fleet kreuzten.

„Nur ein einzelner Reiter“, urteilte Swæn mit gefurchten Brauen. „Der Junge hat doch gesagt, wir sollten dem Fleet bis an die Ælf folgen.“

Und tatsächlich wich das dichte Buschwerk wenige hundert Schritte weiter einer saftigen Salzmarsch. Direkt vor den beiden Jungen lag die gesuchte Wurt, zu deren Füßen sich bereits ein beachtliches Heerlager ausdehnte.

„Schau nur“, meinte Swæn und zeigte auf die weite Wasserfläche der Ælfmündung hinaus. „Dort liegt die Südermarsch.“

Ordulf blickte in die angegebene Richtung und kniff die Augen zusammen. „Hmpf“, antwortete er zustimmend. In Wahrheit konnte er außer Wasser nicht das Geringste erkennen, aber es war ihm peinlich, dass seine Augen so viel stumpfer waren als die seines Bruders. Sein Interesse wurde ohnehin von anderem gefesselt: Ein gutes Stück von der Mündung des Fleets entfernt erkannte er die hochgezogenen Steven von Hengists Seeschiffen. Bald würden sie damit ihrem ersten Abenteuer entgegenrudern! Daneben lagen mehrere kleine Boote, darunter ein kleines Schwarzes ungewöhnlicher Bauart. Wahrscheinlich ein einfacher Einbaum, vermutete Ordulf und ließ seinen Blick weiter über das Lager schweifen.

Es machte einen ungeordneten Eindruck. Zelte und Feuerstellen standen überall durcheinander und zwischendrin grasten Pferde. Immerhin hielt sie bei Erreichen des Lagers ein Wachtposten an und fragte nach ihrem Begehr.

„Wir sind Dithmarscher Sachsen vom Swænengeschlecht und wollen uns dem Heer Hengists anschließen“, antwortete Swæn stellvertretend für sie beide.

„Hengist ist derzeit nicht hier, aber vielleicht trefft ihr seinen Bruder Horsa dort hinten an dem großen Feuer“, erwiderte der Wachtposten und wies ihnen mit einem Kopfnicken die Richtung.

Swæn und Ordulf bedankten sich. Beklommen schritten sie zwischen den versammelten Recken einher, doch niemand beachtete sie. Unter den Männern entdeckte Ordulf viele junge Burschen wie sie selbst, aber auch ältere Krieger mit wertvollen Rüstungen und vernarbten Gesichtern und Armen. Das mussten erfahrene Schiffsführer und Seeleute sein, die jeden Sand der Ælf und des Britannischen Ozeans kannten. Sein Blick glitt an sich selbst hinab und zu seinem Bruder hinüber. Swæn zog Hilda hinter sich am Zügel. Mit ihren hohen schlanken Fesseln über den harten Hufen und mit dem edel gebogenen Hals konnte wenigstens sie sich durchaus sehen lassen.

Schließlich erreichten sie das vom Wachtposten bezeichnete Feuer. Ordulf suchte nach jemandem mit demselben harten Blick wie Hengist, konnte sich aber zwischen den düster dreinblickenden Gestalten nicht recht entscheiden.

„Ein prächtiges Tier habt ihr da“, sprach sie von hinten auf einmal eine sanfte Stimme an. Er fuhr herum und sah einen großen schlanken Mann neben Hilda stehen und ihre Mähne streicheln. Hilda schnaubte zufrieden und drückte den Kopf freundlich an die Brust des Fremden.

„Sonst ist sie nie so zutraulich“, wunderte sich Ordulf.

Der Fremde schaute ihn aus hellen blauen Augen leicht spöttisch, aber durchaus freundlich an. „Nun, es sollte dich nicht wundern, dass Pferde mich mögen, schließlich ist mein Name Horsa.“

„Verdammt noch eins“, entfuhr es Ordulf. Dann verneigte er sich erschrocken. „Herr! Ich ahnte nicht …“

„Du brauchst nicht zu erröten, ich hatte mich ja noch gar nicht vorgestellt“, erwiderte Horsa lachend. „Ihr wollt euch uns anschließen?“

„Wir haben Hengist gehört, als er drüben bei uns in Dithmarschen war, um Krieger zu werben, und sind seinem Ruf gefolgt“, antwortete Swæn rasch. Es gefiel ihm offenbar nicht, dass sein jüngerer Bruder die Unterhaltung mit dem neuen Häuptling führte. „Wir hoffen, dass ihr uns noch in eure Schar aufnehmen werdet.“

„Nun, wenn wir schon genug Leute beisammen hätten, wären wir nicht mehr hier, oder?“, frage Horsa zurück. „Wenn ihr genauso gut kämpft, wie ihr Pferde züchtet, seid mir willkommen! Das sind zwei neue Mitstreiter aus Dithmarschen“, wandte er sich dann an die Männer am Feuer. „Und zwar …?“ Nun blickte er wieder Swæn auffordernd an.

„Ich bin Swæn und das ist mein Bruder Ordulf, auch ein Swæn“, brachte Swæn hervor.

Ihr Name sorgte für allgemeine Erheiterung.

„So, also Swæn Swænsunu und Ordulf Swænsunu?“, vergewisserte sich Horsa. „Wenn ihr erlaubt, wollen wir euch lieber nur Ordulf und Swæn nennen, der Einfachheit halber. Ihr seid nun Hengists und Horsas Mannen und euer Geschlecht und auch alle eure Zwistigkeiten und Fehden sind, solange ihr mit uns zieht, ohne Bedeutung. Verstanden?“ Horsa blickte ihnen nacheinander fest in die Augen. Swæn und Ordulf nickten zustimmend. „Na dann wollen wir unseren neuen Gefährten mal was zu trinken besorgen. Gero, kümmerst du dich darum?“ Horsa sah einen der finster blickenden Hünen fragend an. Swæn ließ sich nieder. Als Ordulf seinem Beispiel folgen wollte, blickte er auf und fragte beiläufig: „Du bringst Hilda gerade noch auf die Weide, ja?“

Ordulf schnaufte verärgert. Hilda war nicht sein Pferd, aber dauernd musste er sich um sie kümmern. Er nahm sie am Zügel und zerrte sie unsanft vom Feuer weg. Doch sein Zorn verrauchte rasch. Was konnte die arme Stute schon dafür? Außerhalb des Lagers sah er mehrere andere Rösser auf einem besonders saftigen Stück Weide stehen. Ihre Vorderläufe waren zusammengekoppelt, damit sie sich beim Grasen nicht zu weit entfernen konnten. Das wäre ein guter Platz für Hilda. Entschlossen steuerte er auf die anderen Pferde zu.