Brand und Mord. Die Britannien-Saga

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Und tatsächlich ließen die ersten Regenschauer nicht lange auf sich warten. Die ungeschützten Männer waren sofort durchnässt und Ceretics Pferd stolperte auf den glatten, nassen Steinen der Straße ein ums andere Mal. Roggen, Hafer und Gerste auf den kleinen Feldern, die zu beiden Seiten aus dem Grau tauchten und von nahen Dörfern kündeten, waren vom Regen niedergedrückt. Es würde eine schlechte Ernte werden dieses Jahr.

Erst gegen Mittag erreichten sie endlich das Ende des Höhenzuges. Unter ihnen entdeckte er ein kleines Dorf am Ufer eines sehr breiten Flusses oder Meeresarms. In dem gesamten Tal hingen die Regenwolken nun als dichter Nebel fest. Das musste der Abus sein, überlegte Ceretic. Am anderen Ufer, von den Wolken verborgen, wartete also der Schauplatz des gräulichen Gemetzels, dem Vortigern vor wenigen Tagen nur mit knapper Not entronnen war.

Doch Ceretic blieb nicht lange mit seinen Gedanken allein. Ein Bote des Königs kam auf seinem Pony die nassen Reihen entlang geprescht. Die Hufe warfen den Kriegern Dreck ins Gesicht, doch er achtete nicht darauf. Als er Ceretic erreichte, dampfte das kleine Pferd in der Kälte. „Ritter Ceretic! Der König lässt euch rufen.“

Ceretic drückte seinem Pferd die Hacken in die Flanken und scherte aus der Kolonne aus.

„Vortimer, du nimmst zwanzig Krieger meiner Eskorte und siehst nach, ob irgendwo am Flussufer Boote zu finden sind“, befahl der Hochkönig in dem Moment, als Ceretic in Hörweite kam. „Wir wissen nicht, ob sich Feinde auf unserer Seite des Flusses befinden, also sei vorsichtig.“ Sein Blick fiel auf den gerade herangeeilten Übersetzer. „Du, Ceretic, schließt dich ihm an. Die Sachsen werden nämlich als erste über den Fluss setzen.“

Ceretic stöhnte innerlich, doch er reihte sich gehorsam hinter Vortimer ein. Die Römerstraße führte steil in das kleine Dorf hinab, welches der ortskundige Krieger mit dem ziemlich einfallslosen Namen Ad abum bezeichnet hatte. Die Hütten der Flussschiffer und Fischer standen verlassen und windschief wie eh und je. Die Blaken waren vom Regen geschwärzt und das alternde Reed mit dicken Brocken Moos bedeckt. Nirgends Spuren von Kampf, Brand und Plünderung. Aber auch hier zeigte sich keine Menschenseele und so hielt es Vortimer offenbar nicht für notwendig, die ärmlichen Hütten einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

„Kein Wunder, dass hier niemand ist. Bei dem Wetter schickt man ja keinen Hund vor die Tür, wobei ich bei Pikten eine Ausnahme machen würde“, schimpfte er.

Sie trabten auf der alten Straße weiter bis zum Flussufer. Vor ihnen strömte das graue Wasser rasch in Richtung See. Der Regen und die hereinkommende Flut hatten den Strom über die Ufer treten lassen. Von der gegenüberliegenden Seite war hier im Tal noch weniger zu erkennen als oben von der Höhe aus.

„Seht nur, die Boote liegen noch da, wo wir sie verlassen haben!“ Einer der Reiter, der die Flucht des britannischen Heeres miterlebt hatte, zeigte nach vorn.

Tatsächlich entdeckte nun auch Ceretic durch die wallenden Nebelschwaden die Umrisse mehrerer Boote, die kieloben verlassen auf den Kieseln des Flussstrandes lagen.

„Bei unserem Rückzug haben wir die Boote aber nicht umgedreht. Irgendjemand muss hier gewesen sein!“, rief ein anderer Krieger alarmiert.

Einen Augenblick herrschte erschrockenes Schweigen. Dann sprach Vortimer aus, was alle dachten: „Die Pikten müssen mit den übrigen Booten über den Fluss gekommen sein.“

Ceretics Rechte tastete unwillkürlich nach seinem Schwert.

„Halt, wer da?“, erklang plötzlich hinter ihm die Stimme eines von Vortimers Männern.

Ceretic fuhr im Sattel herum, während sich seine Finger um den römischen Schwertknauf schlossen. Doch es waren keine bemalten Pikten, die sich aus einem Hinterhalt auf sie stürzten. Drei einfache alte Männer näherten sich schüchtern zu Fuß.

„Willkommen, willkommen, werte Krieger!“, rief einer von ihnen noch von weiten und hob die leeren Hände. „Ich bin der Comarchus von Ad abum!“, stellte er sich beim Näherkommen vor. „Werdet ihr die Pikten nun für ihre Frevel züchtigen, werter König?“, sprach er Vortimer an und verneigte sich tief.

„Ich bin Prinz Vortimer und habe allerdings vor, die Pikten mit blutigen Köpfen hinter den hohen Steinwall zu werfen“, entgegnete der Angesprochene. Ein schmallippiges Lächeln zeigte, wie sehr ihm die Anrede „König“ gefiel. Er hielt sich auch wie ein Herrscher im Sattel, während sein Pferd unruhig auf den Kieseln des Strandes tänzelte. Die eisernen Hufsandalen schlugen trotz der Nässe Funken aus dem Stein. Widerwillig erkannte Ceretic an, dass dieser Mann von allen Beratern des Königs wohl am ehesten fähig wäre, seinen Worten Taten folgen zu lassen.

„Dem Herrn sei Dank!“, stieß der Dorfvorsteher hervor. „Wir fürchteten, die Pikten könnten den Fluss im Westen umgehen und uns so überfallen. Nach dem …“ Hier machte er eine kurze Pause und sprach dann schnell weiter: „Nach dem Abzug des britannischen Heeres haben wir alle Boote ans Südufer des Abus geholt.“ Er zeigte auf die Boote am Ufer. „Leider hat das Hochwasser inzwischen etliche weggeschwemmt, die weiter unten lagen.“

„Und was ist dann passiert? Habt ihr Pikten gesehen?“, wollte Vortimer wissen.

„Wir hatten kaum die Boote auf unserer Seite, da erschienen ihre Reiter dort drüben am Ufer.“ Der Comarchus machte eine ausladende Geste in Richtung Norden. „Am Abend haben sie Peturaria niedergebrannt. Zum Glück sind die Frauen, Kinder und Alten von dort vorher mit an unser Ufer gekommen.“ Er schaute traurig zu Boden. „Den wenigen, die ihr Dorf nicht verlassen wollten, ist es nicht gut bekommen. Bevor gestern Abend dieser Nebel aufzog, haben wir auf der anderen Seite immer noch Pikten gesehen. Zu uns herüber konnten sie nicht ohne Boote und wegen des Hochwassers.“

„Seht her. Hier ist ein einfacher Fischer, der seinen Kopf behält und das einzig Richtige tut. Anstelle ‚Pikten, Pikten‘ zu schreien und sich zu verstecken, hat er die Boote in Sicherheit gebracht und dem Feind so den Übergang über den Fluss unmöglich gemacht“, lobte Vortimer den alten Dorfvorsteher. Einige der Männer, die dieser indirekte Tadel traf, sahen beschämt zu Boden oder blickten ihren Prinzen finster an. Vortimer zog eine Silbermünze aus der Tasche und warf sie dem alten Mann zu. „Für deine Dienste. Die Boote werden wir jetzt brauchen. Nur schade, dass so viele abgetrieben sind. Sind diese hier denn noch einsatzfähig?“

„Unsere eigenen Fischerboote haben wir hoch auf den Strand gezogen. Die sind gut und dicht. Und einige der anderen Boote konnten wir auch noch retten“, beteuerte der Comarchus. „Das Bootsgerät und die Ruder haben wir in unseren Hütten in Sicherheit gebracht.“

Ceretic konnte sich gut vorstellen, wie sich die Menschen in diesem von Vortigern und seiner Armee im Stich gelassenen Kaff gefühlt hatten, als sich von Süden ein Heer näherte. Schließlich hatten sie die wilde Flucht der Britannier gerade erst vor wenigen Tagen erlebt. Und ohne ihn und die Sachsen wäre nun kein Retter gekommen, sondern tatsächlich das Verderben über sie hereingebrochen.

Vortimer blickte derweil nachdenklich zu den Booten hinüber. Dann sah er auf und zeigte auf zwei seiner Leute.

„He da, ihr zwei: Reitet zu meinem Vater und lasst die Männer hier ins Tal kommen“, befahl er ihnen. Dann fiel sein Blick auf Ceretic und ein Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. „Ritter Ceretic, du reitest mit ihnen und holst als erstes die Sachsen hierher. Wir haben ja beschlossen, dass sie die Vorhut bilden sollen. Und schließlich sagt man doch, dass sie sich mit Booten bestens auskennen.“

Ceretic wendete gehorsam seinen Wallach, während sich seine Nackenhaare sträubten. Vortimers Grinsen gefiel ihm gar nicht. Und tatsächlich war das noch nicht alles gewesen.

„Und verrate ihnen nichts von dem Bootsgerät in den Häusern dieser armen Fischer. Wir wollen ja nicht, dass diese Barbaren unsere beherzten Untertanen doch noch ausplündern“, rief Vortimer ihm nach.

Ceretic sah ihn verwundert an, drückte seinem Reittier dann aber die Fersen in die Flanken und galoppierte hinter den beiden Boten den Hang hinauf. Einen Reim konnte er sich auf Vortimers Befehle nicht machen. Was sollte nur der Unsinn mit dem Bootsgerät?

Dann kam ihm ein böser Verdacht. Sehenden Auges schickte Vortimer die Sachsen in ihr Verderben. Aufgrund des Mangels an Riemen konnten sie nur mit einem oder zwei Booten gleichzeitig über den Abus setzen und mussten so auf einen überlegenen Gegner treffen. Mit welcher Hinterlist und Geschwindigkeit er diesen Plan ersonnen hatte, versetzte Ceretic in Staunen. Aber Vortimer hatte ja bereits angekündigt, dass er die Sachsen züchtigen wollte. Und er selbst sollte es sein, der seine stolze Truppe und damit auch Rowenas Vater ins offene Messer führte. Auf einmal hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Oh Herr im Himmel, ich weiß, ich sollte dich nicht immer nur in Not anrufen, schickte er ein Stoßgebet in den grauen Himmel hinauf, aber du bist der einzige, der mir jetzt helfen kann!

IX. Die Herren des Nordens

Ab Abum, Juni 441

Ordulf

Die Sachsen hielten hinter dem britannischen Heer auf einem Höhenzug. Vor ihnen lag ein nebliges Tal mit einem breiten Fluss. Das gegenüberliegende Ufer war im Nebel nicht auszumachen. Ordulf hatte versucht hinter einigen Haselsträuchern am Straßenrand Schutz gegen Wind und Wetter zu finden, aber längst war er, wie vermutlich das gesamte Heer, völlig durchnässt. Unbarmherzig blies ein kräftiger Ostwind Regenböen und Nebelschwaden von der See in das Flusstal hinein. Verstohlen strich Ordulf über den Knauf seines neuen Schwertes. Hengist hatte ihm als Anteil aus der Piktenbeute ein eigenes Langschwert geschenkt. Der Knauf war noch etwas rau, dort wo Hengist vermutlich eine goldene oder silberne Verzierung herausgebrochen hatte. Aber die Klinge war lang und scharf und was mehr konnte sich Ordulf wünschen? Endlich erschienen einige Reiter dort, wo der Königssohn zusammen mit Ceretic ins Tal herabgestiegen war. Und dann erkannte Ordulf auch Ceretics graues Pferd. Schon trieb er es an der Marschkolonne vorbei auf die wartenden Sachsen zu.

 

„Hengist, ordne deine Männer“, rief er schon von weitem. „Prinz Vortimer erweist euch die Ehre, als seine Vorhut über den Abus zu setzen.“

Hengist selbst legte die Hände trichterförmig um den Mund. „Aufstehen Männer. Genug gerastet. Wir marschieren weiter.“

Ordulf beobachtete, wie der Held seinen Sattelgurt festzurrte, den er für die Pause gelockert hatte, und schon saß er wieder auf dem Pferd.

Ordulf schüttelte seine eigene Trägheit ab und griff nach dem schweren Gepäck. Mit langsamen, festen Schritten zogen sie an Britanniens Heer vorbei zu Tal, während ein neuer Regenschauer vom Britannischen Ozean herüberwehte. Die Steine der Römerstraße verwandelten sich im Regen in eine glatte Bahn und es fehlte nicht viel, dann wäre Ordulf mit seinem schweren Gepäck das steile Stück zum Dorf hinunter auf dem Hosenboden gerutscht. Er fluchte leise, was ein belustigtes Schnaufen von Gerolf zur Folge hatte.

„Gefällt dir das Wetter nicht, Junge?“

Ordulf ging nicht auf die Neckerei des Veteranen ein. Stattdessen versuchte er, sich von der Höhe des Weges einen Überblick zu verschaffen. Vor ihnen standen einige windschiefe Fischerkaten. Rechter Hand lagen Boote. Es roch bereits nach Tang und Salz, die Mündung in den Oceanus konnte nicht weit entfernt sein. Ordulf kniff die Augen zusammen, während der Regen ihm gegen die Stirn prasselte. Verbarg sich in dem Schatten dort das andere Ufer?

„Los Männer, an die Boote“, rief Hengist sie zur Tat.

Ordulf zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Da er vom anderen Ufer ohnehin nichts erkannte, konnten sie seinetwegen auch gleich hinüber rudern und nachschauen.

„Das hier sieht ganz stabil aus“, rief Thiadmar von rechts und klopfte auf eines der breiten Holzboote. „Schau doch mal, ob du irgendwo passende Riemen findest, Ordulf!“

Doch Ordulf war nicht der einzige, der danach suchte.

„Das ist doch nur ein Wrack!“ und „Verdammt, das Ruder gehört zu unserem Boot!“ tönte es wild durcheinander.

„Jetzt mal Ruhe!“, rief Horsa über den Lärm hinweg. „Wir können nicht alle gleichzeitig über den Fluss. Wir haben hier zu wenige Riemen. Ihr bringt jetzt alle Riemen zum Strand!“

Murrend schleppten die Männer, welche ihre Beute erfolgreich gegen die Kameraden verteidigt hatten, die wenigen Riemen zum Strand. Ordulf war einer von ihnen.

„Wir haben hier wie viele Riemen?“, wollte Horsa wissen. „Halt! Jeder Mann, der einen Riemen hergebracht hat, bleibt stehen wo er ist!“, unterbrach er sich, als einige Männer die Ruder ablegten und wieder zu ihren Kameraden zurückschlurften. Als alle wieder an ihrem Platz standen, schritt er die Reihe ab und musterte ihre Beute. „Der hier nicht, das Ding ist zu wurmstichig“, schickte er den einen fort, „der ist zu kurz“, einen anderen.

„Siebenundzwanzig Riemen“, fasste er schließlich stirnrunzelnd seine Bestandsaufnahme zusammen. „Nicht mehr als dreizehn Paare. Dafür zumindest reichen die Boote. Jeder, der einen Riemen ergattert hat, wird mit mir in der ersten Welle über den Fluss rudern.“

„Ihr solltet das Gepäck hierlassen“, bemerkte Ceretic, „ich habe das Gefühl, dass ihr drüben erst einmal eure Waffen braucht. Gestern sind zumindest noch Pikten am anderen Ufer gesehen worden.“

Ordulf blickte zu dem unruhig von einem auf das andere Bein tretenden Britannier hinüber, doch der wich seinem Blick aus. Was hat er nur?, fragte sich Ordulf.

Horsa hatte derweil drei große und einigermaßen feste Boote ausgesucht. „Ab ins Wasser damit, wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit“, befahl er.

Ordulf packte gehorsam zu und half, das erste Boot auf den Kiel zu drehen und ins Wasser des Flusses zu schieben. Augenblicklich erfasste die Strömung des hochgehenden Flusses das Fahrzeug. Ordulfs Finger umklammerten das Dollbord und er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Strom.

„Willerich, du kümmerst dich darum, dass hier alle für die nächste Welle bereitstehen, falls wir drüben Verstärkung brauchen“, übernahm Hengist jetzt wieder das Kommando von seinem Bruder. Er trat an eines der anderen Boote heran. Ordulf gehörte diesmal also zu Horsas Bootsbesatzung. Neben den Ruderern und Horsa selbst zwängten sich noch drei weitere Männer in den alten Fischerkahn. Schließlich standen nur noch Ordulf und Thiadmar am Ufer und hielten das Boot, während die anderen bereits ihre Riemen einlegten und sich so gut es ging auf den schmalen Ruderbänken einrichteten. Auf einen Wink Horsas hin schoben Thiadmar und Ordulf das Fahrzeug schließlich vollends ins Wasser. Da sie ohnehin vom Regen völlig durchnässt waren, machte Ordulf das kalte Flusswasser auch nicht mehr viel aus. Im letzten Moment sprang er an Bord und während die Kameraden vor ihm bereits anpullten, legte auch er seinen Riemen ein.

„Los jetzt, rasch hinüber! Wenn drüben irgendwo Pikten sind, gelingt es uns vielleicht sie zu überraschen“, befahl Horsa und Ordulf passte seinen Riemen in den Rhythmus der übrigen Ruderer ein.

Horsa stand am Bug und spähte in den Nebel hinaus. Sie waren zwei Bootslängen flussabwärts getrieben, aber den beiden anderen Booten war es nicht viel besser ergangen, sodass sie weiterhin dicht beieinander lagen.

„Dort drüben, ist das Land oder nur eine Wolke?“, rief Horsa zu seinem Bruder hinüber.

„Nein, das ist das Ufer“, antwortete Hengist nach einigen weiteren Zügen. „Zieht durch Männer, gleich sind wir da!“

Ordulf sah das südliche Ufer langsam im Nebel verschwimmen. Außer den Rufen der Brüder hörte man nur das Knarren der Riemen und das regelmäßige Plätschern der Ruderblätter im Wasser. Plötzlich surrte es und neben Ordulf erklang ein merkwürdig dumpfer Laut. Er schaute erstaunt auf. Ein Pfeil steckte zitternd in der Bordwand. Auch Horsa hatte es gesehen.

„Rudert weiter. Ihr anderen in den Bug und Schilde hoch, gebt den Ruderern Deckung!“

Dann surrte es wieder und wieder.

„Dort oben sind zwei Bogenschützen!“, rief einer der Männer, die mit ihren Schilden in der Mitte des Bootes standen und versuchten, die Ruderer zu decken. Es folgten wieder Einschläge im Holz des Bootes und den Schilden der Männer.

„Achtung, wir setzen gleich auf“, rief Horsa und im nächsten Augenblick fuhr ein scharfer Ruck durch das Boot und einige Ruderer stürzten von ihren Bänken. Alle griffen gleichzeitig nach ihren Schilden, was das Durcheinander nur noch verschlimmerte.

„Schilde hoch, wir gehen an Land!“, rief Horsa laut über den Tumult hinweg.

Endlich hatte Ordulf seinen Schild oben. Er griff nach seinem neuen Langschwert und sprang über die Bordwand. Das Wasser war nur knietief. Eilig folgte er Horsa, der bereits vor ihm an Land stürmte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie auch Hengists Boot neben ihnen auf den steinigen Strand lief. Horsa rannte direkt auf die piktischen Bogenschützen zu. Ordulf konnte sie nun klar erkennen und sie die Sachsen ebenfalls. Eilig drehten sie um und flohen den Hang hinauf.

„HENGIST!“, brüllte Ordulf begeistert und lief los. In Erwartung des Kampfes raste sein Herz und seine Aufregung suchte ein Ventil in wilder Mordlust.

„Halt!“, rief ihn da Hengists Befehl zurück. „Nicht weiter den Hang hinauf. Wir müssen erst mehr Krieger holen, wir wissen nicht, wie viele Feinde hier sind.“

Horsa blieb unvermittelt stehen und Ordulf wäre fast gegen ihn geprallt. Doch der unerwartete Halt brachte ihn wieder zu Besinnung, die tagelangen Übungen in Beufleet machten sich bezahlt. Schwer atmend trat er neben Horsa und hob den Schild. Sie standen vor einem kleinen Absatz, an dem die Grasnarbe in einem kleinen Erdrutsch herabgebrochen war.

„Ich nehme zwölf Ruderer und die Boote mit“, ertönte da wieder Hengists Stimme. „Wir holen die nächste Ladung Männer. Horsa, du bleibst mit deinen Leuten hier. Rücke auf gar keinen Fall weiter vor. Das ist in diesem verfluchten Nebel viel zu gefährlich.“

Ordulf sah sich um und erkannte, wie Hengist mit elf Männern bereits die Boote zurück ins Wasser schob. Andere Männer schlossen zu ihm und Horsa auf.

„Also machen wir es uns gemütlich“, schlug Horsa spöttisch vor.

Im gleichen Moment ertönte wieder ein unheimliches Surren, diesmal gefolgt von einem Schmerzensschrei. Ordulf fuhr herum und sah einen der Krieger in die Knie gehen. Er presste sich die Hand an die Schläfe, doch zwischen den Fingern quoll Blut hervor. Mit einem Mal prasselte ein Hagel von Steinen und Pfeilen auf sie nieder. Ordulf zog den Kopf ein, um sich hinter dem Schild zu schützen. Dröhnend prasselten große Steine dagegen. Neben ihm kniete sich Thiadmar nieder und kauerte hinter seinem Schild am Boden. Ordulf überlegte nicht lange, sondern tat es ihm gleich. Weitere Schreie ertönten. Er lugte über den Schildrand. Sofort schlug ein Stein dicht neben ihm in den Sand.

„Das sind mindestens hundert!“, rief er erschrocken, als er hoch über sich am Hang eine unübersehbare Anzahl von grauen Schatten erkannte. „Dort oben auf dem Hang.“

„Verdammt, wenn Hengist nicht bald zurückkommt, sind wir verloren“, jammerte Thiadmar neben ihm verzweifelt. „Er wird uns doch nicht im Stich lassen?“

Ordulf sah sich um. Gerade einmal zwanzig Sachsen kauerten, notdürftig durch ihre Schilde gedeckt, an der Böschung. Plötzlich merkte Ordulf, wie Wut in ihm aufstieg. Den verdammten Pikten würde er es schon zeigen! Er spannte seine Muskeln zum Sprung, doch da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Ordulf drehte sich um und versuchte den roten Schleier vor seinen Augen wegzublinzeln. Schließlich erkannte er Horsa. Langsam wurde das Bild wieder klar.

„Ruhig Blut“, zischte der. Dann fügte er laut hinzu: „Haltet aus, Hengist kommt gleich mit den übrigen Männern!“

Trotz der aufmunternden Worte bemerkte Ordulf seinen besorgten Gesichtsausdruck. Als Horsa Ordulfs Blick spürte, zwang er sich zu einem aufmunternden Lächeln.

„Wenn Hengist uns vielleicht auch nicht aus Liebe zu Hilfe kommt, so würde sein Stolz es nicht vertragen, einfach davonzulaufen. Er kommt sicher zurück.“

„Sie kommen näher!“, unterbrach ihn ein schriller Ruf. Wieder ertönte ein Schmerzensschrei. Ordulf fuhr herum. Thiadmar ließ den Schild fallen und krümmte sich wimmernd am Boden. Ordulf sprang vor ihn, um den Verwundeten so gut er konnte mit seinem eigenen Schild zu decken. Dann wagte er wieder einen Blick nach vorn. Die Pikten waren tatsächlich näher gekommen, aber nicht nahe genug, um sie mit dem Schwert anzugreifen.

„Sie haben gemerkt, dass wir keine Bögen und Speere dabei haben und auf diese Entfernung harmlos sind“, stellte Horsa nüchtern fest.

Ordulf lugte erneut über den Schildrand. Die Pikten waren inzwischen so nah, dass er sie gut erkennen konnte. Sie mussten von ihrer Ankunft überrascht worden sein, denn die meisten zeigten sich ohne die typische blaue Kriegsbemalung. Rasch zog er den Kopf hinter den Schildrand zurück, als ein erneuter Steinregen auf die sächsischen Schilde prasselte. Horsa fluchte unterdrückt. Auf die schwindende Entfernung wurden die Steinwürfe immer zielsicherer.

„Das sind zu viele! Selbst wenn Hengist mit noch einmal dreißig Kriegern hier ankommt, haben wir keine Chance“, raunte er Horsa zu, während Panik in ihm aufstieg.

Der klopfte ihm als Zeichen, dass er verstanden hatte, auf die Schulter, rief aber laut: „Ruhig Männer, gleich ist Hengist wieder da und dann rennen wir sie über den Haufen!“

Ordulf fasste unwillkürlich nach dem Kreuz, das ihm Ceretic in einer ähnlich verzweifelten Situation überlassen hatte. Könnte ihn der britannische Zauber vielleicht auch dieses Mal retten?

Ad Abum, Juni 441

Ceretic

Der gemeine Verrat an seinen Sachsen nagte an Ceretic. Und ihn selbst hatte der verdammte Vortimer zu seinem Handlanger gemacht. Nicht nur das Schicksal der Verbündeten, nein, ganz Britanniens setzte dieser Ehrgeizling einzig und allein aus Neid aufs Spiel. Doch wie könnte er sich über den Befehl des Prinzen hinwegsetzen? Die erste Welle der Sachsen war im Nebel verschwunden. Nur drei Boote mit insgesamt etwa dreißig Mann. Und vielleicht standen sie am anderen Ufer dem gesamten Heer der Pikten gegenüber.

Da schallten vom anderen Ufer, seltsam gedämpft durch den Nebel, die ersten Schreie herüber. Also waren dort drüben tatsächlich Pikten! Die Sachsen um ihn herum sprangen auf, die Waffen in den Händen und auch Ceretic griff unwillkürlich nach seinem Schwert.

 

„Was ist da los?“

„Macht sie fertig!“

„Lasst uns noch welche übrig!“

Alle riefen und schrien wild durcheinander, doch der breite Strom trennte sie von den bedrängten Kameraden. Und Hengist, Rowenas Vater, war mit ihnen dort drüben … Wie sollte er Rowena nur jemals wieder unter die Augen treten? Er, der Verräter, der diese Männer nach Britannien gelockt und nun bei der ersten Gelegenheit in die Falle geführt hatte. Die Strömung auf dem Hochwasser führenden Strom war einfach zu stark, um ihn ohne Riemen zu überqueren. Verzweifelt rang Ceretic seine Hände und schickte ein weiteres Stoßgebet zum Himmel. Herr, kannst du uns nicht hinüberziehen?, flehte er stumm.

Und da kam ihm plötzlich ein Gedanke. „Dreht die übrigen Boote um und bringt sie ins Wasser, wir müssen unseren Kameraden helfen“, rief er den nächsten Sachsen zu.

Erstaunt drehten sie sich zu ihm um.

„Wir haben keine Riemen und die Strömung ist zu stark …“, wandte Willerich mit hochgezogenen Brauen ein.

Doch Ceretic fuhr ihm über den Mund. „Keine Zeit zu verlieren, tut was ich sage, sie schicken sicher gleich die ersten Boote zurück.“

Verwundert, aber froh wenigstens etwas tun zu können, kamen die Sachsen seinen Anordnungen nach, während Willerich ihn immer noch stirnrunzelnd musterte. „Ich verstehe, dass du nicht untätig zuschauen magst, aber es gibt nichts, was wir tun könnten.“

„Und legt ein paar Seile bereit“, fuhr Ceretic fort, ohne auf den Einwand einzugehen. Erst als er sich überzeugt hatte, dass seine Anweisungen ausgeführt wurden, wandte er sich wieder Willerich zu. „Tut mir leid, aber Eile ist geboten, ich will …“

Weiterkam er nicht. In diesem Moment tauchten die drei Boote im Nebel auf. Noch bevor sie das Ufer erreichten, brüllte Hengist seine Befehle herüber: „Los, wir brauchen die nächsten Krieger. Dort am anderen Ufer warten die Pikten auf uns!“

„Hengist!“, schrie Ceretic und lief ihm durch das aufspritzende Wasser entgegen. „Nimm die kräftigsten Ruderer zu dir an Bord. Die anderen sollen sich auf die übrigen Boote verteilen!“

Ad Abum, Juni 441

Ordulf

Ordulfs linker Arm drohte vom Gewicht seines Schildes und den andauernden Stößen zu erlahmen, doch der Steinhagel ließ nicht nach. Er stemmte die Schulter an die Innenseite des Schildes und drückte darüber den Kopf flach gegen die Latten. Plötzlich durchfuhr ein scharfer Ruck das Holz und splitternd durchbohrte die Spitze eines Speeres die Lindenbretter. Genau vor seinen erschrockenen Augen. Ordulf fuhr mit einem Aufschrei zurück. Die Feinde hatten sich ihre Wurfspieße für die kürzere Distanz aufgehoben. Glücklicherweise blieb der Spieß nicht stecken, um den Schild zusätzlich zu beschweren, sondern fiel vor ihm zu Boden. Das laute Krachen von splitterndem Holz und weitere Schreie zeigten an, dass auch andere Pikten ihre Speere zielsicher schleuderten. Inzwischen konnte Ordulf die kehligen Laute, mit denen sich die Pikten gegenseitig ermutigten, nur zu deutlich hören.

„Die wetten, wen von uns es zuerst erwischt“, jammerte ein junger Mann neben Ordulf. Er wandte kurz den Blick in seine Richtung. Der Junge gehörte zu Horsas Besatzung und Ordulf kannte ihn nur flüchtig. Wenn sein bleiches Gesicht nicht schon genug über seine Gemütsverfassung verraten hätte, die Panik in seiner Stimme war unverkennbar. Plötzlich nahm Ordulf den stechenden Geruch von Urin wahr. Sein Nachbar hatte sich vor Angst in die Hosen gepisst. Er fasste seinen Schild so fest, dass sich die Nägel seiner linken Hand schmerzhaft in den Daumenballen gruben und biss die Kiefer fest aufeinander.

Wahrscheinlich würden sie sterben, doch das jämmerliche Schauspiel des Kampfgenossen neben sich hatte ihn gerade noch rechtzeitig zur Besinnung gebracht, bevor auch er in Panik verfiel. Er würde kämpfen und, wenn es nicht anders ging, sterben wie ein Mann. Unwillkürlich glitten seine Gedanken zu dem Opfermoor in Haduloha. Wie kurz war das erst her, aber wie anders sah er heute dem Tod ins Auge. Eine Woge von Stolz brandete in ihm auf, doch ein Ausruf zu seinen Füßen beendete den Fluchtversuch seiner überstrapazierten Nerven.

„Da sind sie!“ Der Ruf kam von Thiadmar. Ein schneller Blick zu dem Verwundeten verriet Ordulf, dass er seine Augen starr auf den Strand in seinem Rücken gerichtet hielt. Die verdammten Pikten hatten sie umgangen. Mit einem Schlag kehrte die mühsam bezwungene Panik zurück und nahm Rache für die Missachtung, die er ihr einen Augenblick lang abgetrotzt hatte. Zitternd duckte er sich hinter seinem Schild und wagte es nicht, sich umzudrehen. Fast glaubte er, schon den Stich eines Pfeiles im Rücken zu spüren. Jeder Atemzug konnte sein letzter sein. Als nichts geschah, nahm er allen Mut zusammen und drehte widerwillig den Kopf. Der Mund blieb ihm vor Staunen offen.

Am Strand lagen die drei Boote, mit denen sie über den Abus gekommen waren. Doch nicht allein diese. Aus insgesamt acht Booten sprangen seine Landsmänner ans Ufer und Hengist selbst führte das sächsische Heer den Strand hinauf.

„HENGIST“, erschallte der sächsische Schlachtruf.

Ordulf ließ das kleine Bronzekreuz los, welches er immer noch mit der Rechten umklammert gehalten hatte, und griff nach seinem neuen Langschwert. „Hengist!“, stimmte er in den Ruf mit ein und stürmte vor dem nachdrängenden Heer den Hang hinauf, den fliehenden Pikten nach. Auf dem Plateau über dem Uferhang des Abus machte er die Silhouetten aufgezäumter Pferde aus.

„Lasst sie nicht entkommen!“, brüllte er. Die gerade erlittene Angst und Schmach entlud sich in wildem Zorn.

Als er endlich keuchend und schnaufend die letzten Schritte des Abhanges erklommen hatte, preschten die ersten Pikten bereits im vollen Galopp nach Norden, tief über die Hälse ihrer kleinen Ponys gebeugt. Doch einige Nachzügler saßen noch nicht im Sattel. Ordulf nahm sich keine Zeit zum Verschnaufen, sondern stürzte sich mit einem Hechtsprung auf einen Feind, der gerade versuchte, ein scheuendes Pony zu beruhigen. Sein Schildbuckel prallte hart in den Rücken des Pikten, der stöhnend zu Boden ging. Das Pony nutzte die Freiheit und galoppierte wild wiehernd den Flüchtenden nach. Ordulf trat dem am Boden Liegenden in die Seite und an den Kopf, mit einem grunzenden Laut fiel er vollends in sich zusammen. Ordulf suchte nach dem nächsten Gegner, doch um ihn herum standen nur noch Sachsen. Sie hatten gesiegt!

„Du nimmst dir ein Dutzend Männer und ihr haltet hier oben Wache“, befahl Hengist Ordulf, sobald auch er das Plateau erreicht hatte. „Und gebt gut auf die Gefangenen acht“, fügte er mit einem Nicken in Richtung der Gestalten, die gerade von den Siegern auf die Knie gezwungen und gebunden wurden, hinzu.

Ordulf blickte sich um. Das war das erste Mal, dass Hengist ihm das Kommando anvertraute. „Ihr bleibt bei mir“, rief er, immer noch außer Atem, den Männern zu, die sich mit ihm auf der Kuppe der Anhöhe und bei den Gefangenen befanden. Dann stützte er sich keuchend auf seinen Schild. Sie hatten gesiegt und er hatte überlebt. Sobald sein Atem wieder ruhiger ging, machte er sich ein Bild von der Lage.

Insgesamt waren bei dem Scharmützel am Nordufer des Abus zwölf Pikten gefallen, weitere elf hatten sie gefangen. Unter ihnen befand sich auch jener Mann, den Ordulf am Aufsteigen gehindert hatte. Die Sachsen selbst zählten vierzehn Verwundete. Vor allem Platzwunden und einige gebrochene Knochen durch Steinwürfe. Tote gab es nicht zu beklagen. Thiadmar zählte zu den Verwundeten, offenbar hatte er einen harten Schädel. Eine lange Platzwunde zog sich quer über seine Stirn, blutete aber glücklicherweise kaum noch. Zwischen den Blutspuren im Gesicht sah er äußerst blass aus. Ordulf nickte ihm zu und schaute weiter in der Runde herum. Fast hätte er gelacht, denn unter den Männern, die er nun befehligte, war auch Halvor, der Ebbingemanne. Finster starrte er ihn aus seinem einen Auge an. Wurd spielte diesem Mann schon seltsame Streiche.