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II

Als Hartwig am andern Morgen in die Eßstube kam, fand er den Tisch gedeckt, es stand Brot und Butter darauf, aber sein gewöhnliches Frühstück war nicht da, und auch Ingeborg fehlte. Er ging eine Weile im Zimmer auf und nieder, von Zeit zu Zeit knipste er ungeduldig mit den Fingern.

Ärgerlich, daß es in der letzten Zeit alle Augenblicke Scenen mit der kleinen dummen Frau setzte!

Und er erinnerte sich der nächtlichen Erlebnisse!

Gestern abend, als er hinaufgekommen war und zu ihr hineinwollte, hatte er im selben Augenblick, als er den Thürdrücker berührte, ein Schnappen des Schlosses gehört. Sie schloß ab! Er war so verdutzt, daß er ohne ein Wort weiter gegangen war, in die Fremdenstube hinein. Er entsann sich, daß er ein klein wenig böses Gewissen gehabt hatte, weil er Frau Thomsen doch wohl reichlich kräftig den Hof gemacht hatte, – er entsann sich auch, daß Ingeborg traurig ausgesehen hatte, als sie sich unten im Garten trennten. Ja, ja, hatte er bei sich gedacht, man ist verheiratet, oder man ist es nicht, – gehen wir zu Bett.

Aber heute morgen war die Situation noch ganz unverändert. Als er erwacht war, hatte er lange dagelegen und nach der Thür hinübergesehen! Jeden Augenblick hatte er erwartet, daß sie sich ein wenig öffnen und ihr kleines, blondes Gesicht mit dem reuigen und verliebten Lächeln, das er so gut kannte, einlassen würde. Aber die Thür öffnete sich gar nicht.

Verdrießlich und hungrig war er endlich aufgestanden. Die Sektion, die er schon lange für sie aufgespart hatte, sollte sie wahrhaftig heute haben. Er hatte ihre Launen satt, man konnte niemals wissen, wozu sie ausarten würden.

Er sah nach seiner Uhr! Das war doch zu arg! – Es war gleich halb zehn und präcise neun Uhr sollte sein Beefsteak auf dem Tische stehen. Was fiel ihr nur ein?

Sie fühlt sich gewiß schon reichlich sicher im Sattel, das gute Kind, dachte er und nickte mit einem kleinen, drohenden Lächeln vor sich hin.

Vor dem Tisch blieb er stehen. Du großer Gott, wie hungrig er war! – Sollte er sich wirklich so weit erniedrigen, daß er sie rief? Plötzlich griff er nach einem Cakes und steckte ihn schnell in den Mund.

Sie ist ja verhätschelt, dachte er, aus Leibeskräften kauend. Dann nahm er noch einen Cakes und fing wieder an mit grübelnder Miene auf und nieder zu gehen. – — Als einziges Kind aus guter Familie ist sie ihr Lebenlang in Kopenhagen umhergegangen und hat alles bekommen, was sie wollte, dachte er. Schließlich hat sie mich auch noch bekommen. Die alte Mama war gerade nicht sehr entzückt, dafür war aber die andre Familie reichlich stürmisch in ihrer Freude über die Partie. Ob es wirklich mein Geld ist, hinter dem sie so her waren, dachte er plötzlich. Das war ihm bisher noch nie eingefallen, – — aber, wenn das der Fall ist, müßte sich Ingeborg doch wirklich ein wenig dankbar und gefügiger zeigen, der Vorteil war ja schließlich auf ihrer Seite.

Noch ein paar Cakes, – jetzt hatte er bald den ganzen Brotkorb geleert. Er kam sich plötzlich ein wenig komisch ein wenig kleinlich vor, – aber, auch das war also ihre Schuld. Ja, es war ja gerade das Sonderbare, was ihn früher auch beunruhigt hatte: ehe er sich verheiratete, hatte er sich niemals Skrupeln über sich selber gemacht, es gab ja nichts in der ganzen Welt, was er nicht besaß oder vorweisen konnte. Aber jetzt, seit dies kleine fremde Menschenkind, – und das war sie doch eigentlich für ihn – seit sie ihm nahe getreten war, war er seiner gar nicht mehr sicher.

Er trat an das Fenster und starrte sinnend hinaus. Die Cakes hatten seinen ersten Hunger gestillt, sein Geist hatte das Gleichgewicht wiedergefunden.

Ja, ja, dachte er, dies alles ist vielleicht ganz natürlich. Ich bin nicht lange genug verheiratet gewesen. Ich habe mich noch nicht an den Zustand gewöhnt. Diese verdammten Junggesellengewohnheiten, die mir noch von alters her anhaften, – ich muß wirklich sehen, daß ich die fein artig ablege. Gehe ich doch noch in dem süßen Wahn umher, daß ich das Recht habe, mich in jede Frau zu verlieben, die ich sehe! – — Natürlich liebe ich Ingeborg, so hübsch und zärtlich und eifrig wie sie ist! Sie sollte nur das ewige Necken nachlassen, so lange wir noch nicht ganz miteinander zur Ruhe gekommen sind —

Und plötzlich mußte er an Frau Thomsen denken.

Während er dastand und vor sich hinstarrte, that sich die Thür hinter ihm auf.

St! – Das war sie! Er wendete sich nicht um, – stand still und starrte zum Fenster hinaus.

Nicht einmal Guten Morgen sagt sie! – Kommt sie denn wirklich nicht zu mir?

Er hörte, wie sie am Tisch umherging. Ganz leicht trat sie auf, – als wolle sie nicht gehört werden. Leise rückte sie die Teller und Schüsseln zurecht, – so, da fiel ein Glas um! Ob ihr die Hände zitterten! —

Er mußte lächeln, – er sah ihr kleines, feierliches Gesicht so deutlich vor sich. Er wußte, wie der Mund ganz zusammengekniffen war, er kannte die drollige Falte auf der Stirn, wenn sie die eine Augenbraue zu einem betrübten kleinen Dreieck verzog – — Jetzt ging sie da herum und war schrecklich unglücklich, weil sie unartig gegen ihn gewesen war.

Aber sie, sollte gefälligst zuerst zu ihm kommen. Ein wenig Strafe mußte sein.

»Danke, Martha!« hörte er ihre leise Stimme Ach so, das war das Mädchen, das die Speisen brachte, – und bei dem Beefsteakgeruch erwachte sein ganzer Hunger von neuem. Unwillkürlich lugte er zu ihr hinüber, – ach, was war denn das! pommes frites – sein Leibgericht! – — Ei, ei! dachte er vergnügt, – sie will sich einschmeicheln, die Kleine! Wenn sie doch nur rufen wollte, dann würde er sofort kommen.

Aber sie rief nicht.

Nun, machen wir der Sache ein Ende! dachte er ein wenig ärgerlich, – das Essen wird ja ganz kalt! Und er wandte sich hastig nach dem Tische um.

Da saß sie in ihrem geblümten Musselinkleidchen, fein, schlank, schmächtig, das blonde Haar im Nacken aufgesteckt, der bloße Hals, – den Kopf von ihm abgewendet.

»Inga, Inga!« rief er aus, »was sollen doch die Verdrehtheiten!« Er nahm ihren Kopf zwischen beide Hände und suchte ihn in die Höhe zu biegen, aber sie widerstrebte. »Warum hast du mich nicht gerufen?«

Sie antwortete nicht, – warf hilflose Blicke über den Tisch.

»Ach, nun hat Martha das Brot ja wieder vergessen,« flüsterte sie nervös und schellte.

»Bewahre!« rief er aus, – »das habe ich aufgegessen!«

»Das hast du aufgegessen?«

»Ich hatte einen solchen Heißhunger,« sagte er und setzte sich.

»Warum hast du mich dann nicht gerufen?«

Sie sahen sich an, und brachen im selben Augenblick beide in ein schallendes Gelächter aus. Im nächsten Moment saß sie auf seinem Schoß, beide Arme um seinen Hals geschlungen.

»Ach, du gräßlicher, abscheulicher Junge!« rief sie aus und schmiegte sich an ihn.

Er saß da und wiegte sie langsam hin und her, während er über das ganze Gesicht lächelte. Dann küßte er sie auf den Hals, wie entzückend sie doch war! Wie fein und jung ihre Haut duftete! Wie er sie doch liebte! – —

Sie sah zu ihm auf, ernsthaft, mit vor Zärtlichkeit strahlenden Augen, und lehnte dann den Kopf an seine Schulter.

»Ich bin so böse auf dich gewesen, Ernst,« flüsterte sie leise und fuhr fort, sich zu wiegen.

»Ja, ich danke,« lächelte er, »das habe ich gemerkt.«

»Hast du es gemerkt?« fragte sie und öffnete die Augen.

»Ach ja! wenn eine junge Frau ihrem Mann die Schlafstubenthür vor der Nase zuschlägt, so —«

»Hast du das gehört?« fragte sie ganz vergnügt und sah ihn an.

»Ob ich das gehört habe?«

»Ich war so bange, daß du es nicht gehört hättest!« gestand sie ganz offenherzig.

Er lachte: »Ach, du kleines Ungetüm!«

»Ich glaubte, du seiest vorübergegangen und wolltest nicht zu mir hereinkommen!«

»Warum sollte ich nicht hereinkommen?«

»Ich glaubte, du wärest böse.«

»Ha, ha, ha!« lachte er, – da haben wir das böse Gewissen!«

»Warst du denn nicht böse?«

»Keine Spur!«

»Warum hast du denn nicht angeklopft?«

»Weil, – ja, – du machtest ja solche Scene unten im Garten!« sagte er ein wenig verlegen. »Ach so!« Sie umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und schüttelte ihn. »Du hast wohl ein schlechtes Gewissen, mein Freund!«

Er lachte laut auf, zog sie an sich und küßte sie.

Im selben Augenblick steckte das Mädchen den Kopf zur Thür herein, wollte sich aber lächelnd zurückziehen.

»Martha!« rief Hartwig, »Martha, bringen Sie noch etwas Brot.«

»Mein Mann ist so schrecklich hungrig,« fügte Ingeborg hinzu und stand von seinem Schoß auf.

»Ja, du lieber Gott, wie hungrig ich wieder bin!« rief er aus, »und das Beefsteak wird ganz kalt, und deine pommes frites! – hab Dank dafür!«

»Eigentlich hast du sie gar nicht verdient, du langer Laban,« sagte sie in sehr ernsthaftem Ton und legte ihm vor.

»Das weiß ich sehr wohl, aber um so besser schmecken sie.«

Jetzt aß er aus Leibeskräften.

»Du liebe kleine Inga!« sagte er, »wie brillant du doch kochen kannst! – Worüber habe ich mich eigentlich zu beklagen?«

»Ei, ei!« sagte sie, »jetzt bist du ja wieder boshaft!«

»So? Was habe ich denn jetzt gethan?« fragte er verstimmt.

»Deine Köchin also! Weiter bin ich dir nichts!«

Er runzelte die Brauen, suchte die Sache aber ins Lächerliche zu ziehen: »Du bist typisch, Inga! Du ähnelst, weiß Gott, einer von diesen jungen, neuvermählten Frauen in den »Fliegenden Blättern«, lachte er.

»Das ist nicht wahr!« sagte Ingeborg, »die können ja gerade kein Essen kochen!«

»Aa ja, dann einem andern typischen Exemplar!« Er wurde plötzlich ernsthaft und streckte die Hand nach ihr aus. »Aber das muß die kleine Inga nicht, denn ich hasse Typen!«

»Dann haßest du mich also deswegen!« rief sie heftig aus.

Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Du bist hysterisch, Ingeborg,« sagt er und griff wieder zu Messer und Gabel. »Aber deine pommes frites sind, Gottlob, ganz normal. Auf dein Wohl!« Er nahm sein Porterglas und nickte ihr zu.

 

»Nein!« sagte sie und erhob sich.

»Halloh!«

Sie begann, im Zimmer auf und nieder zu gehen.

»Es nützt nicht, daß du dich herausreden willst!« sagte sie mit einem wütenden Blick, »denn ich habe mir die Sache diese Nacht überlegt!«

»Herr du meines Lebens!« rief er aus, – »wollen wir jetzt miteinander abrechnen?«

Im selben Augenblick kam das Mädchen mit dem Brot herein.

»Setzen Sie es nur da hin, Martha,« sagte Ingeborg in befehlendem Ton, und dann gehen Sie hinaus.

Das Mädchen sah ihre Herrin ein wenig verwundert an und zog sich zurück.

»Komm jetzt und iß, Ingeborg,« sagte Hartwig ungeduldig und streckte den Arm nach ihr aus. »Laß uns Frieden schließen.«

Sie blieb stehen: »warum sollen wir nicht darüber reden?« fragte sie.

»Worüber – in Gottes Namen!« rief er nervös aus.

Sie ging eine Weile auf und nieder, dann setzte sie sich zu ihm. »Hör' einmal, Ernst,« sagte sie und sah ihn an, – »da ist etwas nicht in Ordnung zwischen uns beiden!«

»Nicht in der Ordnung, – nicht in der Ordnung!« warf er flott hin, »du faßt gleich alles so tragisch auf. Ein wenig Zankerei gehört doch bei jungen Eheleuten mit dazu.«

Sie saß da und sah vor sich nieder, während sie das Tischtuch mit dem Finger ritzte.

»Ich finde, wir sprechen gar nicht miteinander,« sagte sie dann, »ich weiß nicht, aber alles, was du sagst, ist so gemacht, so gekünstelt, wie auf dem Theater. Du kennst mich nicht, das ist die Sache. Wir gehen umeinander herum und tasten und sagen das, was anstandshalber dazu gehört.«

Er wurde plötzlich ernsthaft. »Darin kann ja etwas Wahres liegen,« sagte er, »aber trotzdem finde ich, daß das keine Tragödie wert ist. Natürlich wissen wir nicht viel voneinander, das thun Mann und Frau anfänglich nie, – »Ja, da siehst du selber,« rief sie aus, »du gestehst selbst zu, daß du mich nicht kennst.«

Er erhob sich. »kennen und nicht kennen!« sagte er nachdenklich.

»Da siehst du! Du hast bisher nie darüber nachgedacht!«

Er mußte über ihren Eifer lächeln. »Huh!« sagte er und schlug sich gegen die Stirn, »mir schwindelt vor deinen Tiefen!« Als er aber sah, daß sie ärgerlich wurde, setzte er sich zu ihr hin und sagte in einem sanften, belehrenden Ton zu ihr: »Ich habe mich in dich verliebt, weil du so schön und liebreizend warst. Deshalb nahm ich dich, und so kenne ich dich. Ist dir das denn nicht genug?« Er nahm ihre Hand und wollte sie küssen.

Sie aber entzog sie ihm hastig, dann saß sie eine Weile da und sah ihn mit einem forschenden Ausdruck in ihren hellen Augen an.

»Ja, ich verstehe es so gut,« sagte sie dann. »Genau so habe ich es mir gedacht.«

»Nun, wie hast du es dir denn gedacht?« fragte er geduldig, indem er sich über die letzten pommes frites her machte.

»Das Ganze ist ein Zufall, Ernst!«

»Ja, ja, – vielleicht!«

»Ja, für dich!« rief sie heftig aus, »denn es war ein Zufall, daß du mich kennen lerntest, weißt du noch die Eisenbahnfahrt von Kopenhagen nach Helsingör? – — Es war ein Zufall, daß du dich in mich verliebtest, weil wir auf dem Lande ganz in der Nähe von einander wohnten, es war ein Zufall, daß du dich mit mir verlobtest, weil du im vorigen Sommer im Juli allein warst.«

»Wohl möglich, – wohl möglich!«

»Und es war auch ein Zufall, daß wir uns verheirateten, weil deine Mutter so krank war, daß du erst hinterher mit ihr darüber sprechen wolltest.«

»Das ist gewiß alles ganz richtig, liebe Ingeborg,« sagte Hartwig, »aber ungefähr so verheiraten sich beinahe alle Menschen miteinander. Und was weiter? Was willst du damit sagen?«

»Ich meine, das erklärt das Ganze,« sagte er, »denn das mit mir ist dir doch nichts Neues! Es ist mir etwas, was auf die eine oder die andere Weise kommen mußte, weil es dich langweilte, so weiter zu leben wie bisher, du mochtest deine vorigen Aperitive, oder wie die Dinger heißen, nicht mehr trinken, und da nahmst du dir ein Beefsteak!«

»Aux pommes frites!« lächelte er. »Ach ja, wohl wahr!«

»Aber dessen wirst du auch überdrüssig werden.«

»Das wollen wir doch nicht hoffen,« sagte er. »Nun, aber du, Inga,« fuhr er nach einer Weile fort. »Du hältst dich beständig an das Beefsteak? Ist dein Appetit noch immer gleich ungeschwächt?«

»Ja,« sagte sie und wandte den Kopf ab.

»Wie kann das nur sein, Inga?«

»Weil ich nie etwas anderes zu essen bekommen habe.«

»Als mich?« lachte er.

»Ja«

Er brach in ein schallendes Gelächter aus, und auch sie mußte lächeln.

Dann beugte er sich zu ihr hinab.

»Könnte es dich nicht reizen, die kleinen Beißer an einen neuem Knochen zu versuchen?« fragte er lächelnd.

»Was für einer sollte das wohl sein?«

»Nun, der ließe sich schon finden!«

»Hans? Hans Vedel?« Sie sah auf.

»Ja, zum Beispiel Hans!«

Einen Augenblick starrte sie gedankenvoll vor sich hin, während er sie aufmerksam beobachtete. Aber dann sah sie zu ihm auf, schnitt eine Grimasse, lachte, und umfaßte seinen Nacken mit beiden Händen. »Das würde wohl nicht viel nützen, du eingebildeter Mensch!« sagte sie und schüttelte ihn, während sie die Zähne zusammenbiß.

»Es wäre auch ein Jammer um die kleinen Beißer!« lächelte er.

»Wie so?«

»So ein verteufelt trockner Knochen wie der Baron, davon kämen sie nicht heil weg.«

»Ach!« rief sie heftig aus und gab ihn frei. »Ist deine dicke, rote Madame etwa besser?«

»Weicher jedenfalls!« lächelte er, »zum hineinbeißen!«

Sie legte den Kopf in den Arm, um ihr Lachen zu verbergen.

»Aber wir werden so poetisch!« sagte Hartwig und richtete sich auf. »In guter Prosa bedeutet das Ganze ja nur, daß wir nicht das Geringste weder von einander noch von uns selber oder von irgend etwas auf der Welt wissen, wie es gehen soll und was daraus werden soll. Wir sind vor Gott Mann und Frau, aber könnten ebensogut zwei Omnibuspassagiere sein, die sich auf dem Rathausplatz getroffen haben und die sich jetzt auf dem Königs-Neumarkt Lebewohl sagen. Vielleicht nehmen sie auch eine Droschke und fahren nach dem Strandweg hinaus, – nach Skotterup zum Beispiel, oder noch weiter, das weiß ja niemand. Aber es hat ja seinen Reiz, so lange die Fahrt währt. Nicht wahr, Kleine?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist lauter Unsinn,« sagte sie. »Du bist auch so schrecklich dumm, Ernst!«

»Verzeih!« sagte er ein wenig verletzt, »ist das nicht genau dasselbe, was du vorhin sagtest?«

»Ich sprach ja von dir, du Narr! – Keinen Augenblick von mir selber! – Nein, ich will nicht mehr hören!« unterbrach sie sich und hielt sich die Ohren zu. »Ich kann nicht mehr reden! Ich glaube, ich habe noch nie im Leben so viel geredet wie heute, und dabei ist die Uhr erst zehn. Wie ist das Wetter eigentlich?«

»Wundervoll!« sagte er und erhob sich. »Wollen wir nach dem Frühstück eine Spazierfahrt machen?«

»Ja, gern!«

Sie traten an das Fenster und sahen hinaus.

Die Sonne stand gerade über dem Sund, der blank und träge da lag und mit seinen zahllosen kleinen Kräuselungen zu dem starken Licht hinaufzwinkerte. Breite, blanke Stromstreifen zogen sich ruhig hindurch. Die Schiffe hatten alle Segel gesetzt, kamen aber doch nur langsam vorwärts.

Diese ruhige Wasserfläche machte auf sie beide einen eigentümlichen Eindruck von Unruhe. Sie war so fest und so hart zu sehen, – so sicher und zuverlässig, schlug man aber hinein, so zersplitterte sie in tausend Scherben.

Trat man darauf, so versank man in die Tiefe.

Was würde geschehen? – — —

III

Hans Vedel hatte nicht weit zu gehen, um nach Hause zu gelangen, außerdem ging er schnell seines Wegs, nachdem er Ingeborg und ihrem Mann Adieu gesagt hatte.

Ihm war so froh und dankbar zu Mute, waren doch Ingeborg und er den ganzen Abend auf einer Seite gewesen, gegen die andern. Er hatte sie verteidigt, und sie hatte ihm beigestanden. So war es gut und schön, mehr verlangte er nicht. Und er fühlte noch immer ihren Händedruck dort auf seiner linken Hand.

Als er nach dem Hafen hinabkam, bog er links ab und ging durch einen schmalen Garten dem Hause zu, in dem er wohnte. Es war ein kleines, nettes, zweistöckiges Gebäude, strohgedeckt, mit großen Giebeln. Er sah zu den Fenstern hinauf: Alles war dunkel. Ja, Mamsell Paulsen ist natürlich zu Bett gegangen, dachte er, aber ich finde mich auch wohl allein hinauf.

Er kam in sein Wohnzimmer, zündete die Hängelampe an und öffnete das Fenster. Die Luft war immer so schwer und eingeschlossen von dem Duft der Lavendel und getrockneten Veilchen, die die alte Haushälterin überall hinsteckte. Aber die Fenster mußten geschlossen bleiben. Sonderbar mit der alten Person, dachte er lächelnd, ihre Angst vor Dieben verliert sich nie. Als ob die Einbrecher wie Fliegen an den Mauern in die Höhe kriegen könnten! – —

Er trat an einen alten, geschnitzten Louis XIV. Eichenschrank, der fast die eine ganze Wand des kleinen Zimmers einnahm, öffnete ihn und nahm einen kleinen, metallbeschlagenen Kasten heraus. Dann ging er an den Schreibtisch am Fenster und setzte sich. In dem Kasten lag ein zierlich gebundenes Buch, das er herausnahm und öffnete. Es war voll weißer, beschriebener Blätter.

Er saß eine Weile da und starrte vor sich hin, dann nahm er eine Feder, und langsam und beschwerlich mit seiner ungeschickten kindlichen Handschrift zirkelte er folgende Linien auf das Papier:

Freitag den 28. Juni.

Ich war heute wieder zu Tische bei J. Wir waren nur dreie, Hartwig, sie und ich. Nach Tische kam die Unterhaltung auf die Ehe, die ich verteidigte. Am Abend kamen Herr Thomsen und Frau, und wir verbrachten eine gemütliche Stunde in der Laube miteinander. Als ich zu einem bestimmten Zeitpunkt von den andern angegriffen wurde, nahm mich J. in Schutz. S.+d.+m.+H.+u.+d.+T.

Sie drückte meine Hand unter dem Tisch, sagte er zu sich selber, aber es ist vorsichtiger, es nicht ganz auszuschreiben.

Und er schloß mit dem Gewöhnlichen:

Morgen werde ich sie wiedersehen.

Hans Vedel.

Dann schloß er das Buch mit einer vergnügten Miene, und verschloß es wieder sorgfältig in den Kasten und den Schrank.

Einen Augenblick stand er am Fenster und sah über das dunkle Wasser hinaus. In weiter Ferne schimmerte etwas zu ihm herüber, das ihm bekannt und lieb war: das Blinckfeuer auf der Südspitze von Hveen. Er dachte daran, wie oft er in dunklen, unruhigen Herbstnächten das Feuer umkreuzt, damit gespielt, sich damit belustigt hatte, sein Licht in seinen Kegeln zu fangen. Er liebte es. Es war ein guter, treuer Freund.

Dann schloß er das Fenster, ließ den Vorhang herab und ging langsam in den Alkoven neben der Wohnstube. Er entkleidete sich, und bald darauf schlief er fest.

Als er am nächsten Morgen erwachte, sah er zu seinem Staunen, daß die Uhr bereits über elf war. Das muß der Whisky gestern abend bei Hartwigs verschuldet haben, dachte er, ich bin ja nicht daran gewöhnt. Und er stand auf, ganz ärgerlich, daß so viel von seinem Tage verloren war. Gerade heute hatte er so viel zu thun, und nun war seine ganze Zeitordnung gestört!

Vor dem Frühstück hatte er seine Briefmarkensammlung durchsehen wollen, er hatte gestern die neuen Kataloge bekommen, und es sei die höchste Zeit, hatte ihm sein Händler geschrieben: es lägen seltene Marken da und warteten seiner. Außerdem wollte er gern den Nachmittag frei haben: es war Aussicht, Hartwigs heute mit auf die See zu bekommen. – —

Aber wie sollte das jetzt werden. Vielleicht erhaschte er heute nicht einmal einen Schimmer von Ingeborg!

Er beeilte sich in die Kleider zu kommen, machte aber so sorgfältige Toilette wie immer. Heute Nachmittag blieb ihm doch für nichts mehr Zeit. In Mamsell Paulsens Gesellschaft verzehrte er sein gewöhnliches Frühstück; eine Portion Hafergrütze und zwei Spiegeleier, – und dann wollte er an seine Briefmarken gehen. Plötzlich aber erfaßte ihn der brennende Wunsch, sein Boot zu sehen, und er beschloß einen Augenblick nach dem Hafen hinabzugehen, ehe er sein Tagewerk begann.

Soigniert, fein und korrekt, kam er an den Strandweg hinab, mit Wohlgefallen den starken Geruch nach Tang, Salzwasser und Theer einatmend, der ihm aus dem gegenüberliegenden Hafen entgegenströmte. Mit seinem gewohnten Lächeln begrüßte er die Fischer, die ihre Netze am Strande reinigten, tauschte ein paar Worte mit ihnen über das Wetter aus und ging dann auf die Mole hinaus.

 

Ja, da lag das Boot, sein liebes, kleines weißes Entlein. Alf II stand mit goldenen Buchstaben an dem Steven, und es sah so rein, so zierlich und geputzt aus, als sei es vor einer Stunde gespült worden. Es hielt sich die Nacht hindurch gut. Und da war Platz genug für ihn und für Ingeborg und Hartwig. Selbst wenn sie ein wenig dicht zusammensitzen mußten, machte das ja nichts, Hartwig erlaubte vielleicht sogar, daß er neben Ingeborg saß, – ja dazu war er ja geradezu gezwungen, wenn er steuern wollte! – Es sollte schon gemütlich werden!

Er schlenderte ein wenig weiter auf die Mole hinaus, – und plötzlich hörte er eine Stimme, die er kannte, eine laute, helltönende, erregte Frauenstimme: war das nicht Frau Thomsens? Aber wie heftig und scharf sie klang!

Ja, ganz recht, da unten auf dem Boot des Fischhändlers stand Frau Thomsen, in heftigem Streit mit dem Händler, der eine große, zappelnde Scholle vor ihr in die Höhe hielt. Sie war im Morgenkleid, einen roten Shawl lose um den Kopf geworfen, und sah ziemlich salop und unordentlich aus, fand Vedel.

»Fünfundfünfzig Öre das Pfund!« hörte er sie ausrufen, – »Sie sind ja nicht recht gescheit, Mensch! In Kopenhagen hab' ich nie im Leben mehr als fünfundvierzig gegeben! Nein, wissen Sie was, – dann esse ich lieber gleich Steinbutt!«

Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und wandte sich um. Im selben Augenblick gewahrte sie Vedel, der grüßte.

»Sie sind es, Herr Baron, – ach, kommen Sie doch einmal her und helfen Sie mir, mit diesem schrecklichen Menschen fertig zu werden! Er verlangt fünfundfünfzig Öre für seine Schollen, nur weil man aus Kopenhagen ist! Ich bin überzeugt, die Leute hier am Ort bekommen sie für fünfundreißig! Was geben Sie?

Vedel räusperte sich. »Ja, ich besorge ja meine Einkäufe niemals persönlich,« sagte er, »da weiß ich das nicht so genau. Aber Hansen dort soll übrigens ein durchaus ehrlicher Mann sein.« Er sah mit einem leisen Unbehagen auf Frau Thomsen herab. So würde sich Ingeborg niemals benehmen, dachte er bei sich.

Der Fischhändler stand da und wog seine Scholle in der Hand. »Es ist übrigens der Marktpreis, Frau Thomsen,« sagte er, »aber —«

»Nein, es nützt Ihnen nichts, ich will sie nicht haben!« sagte sie ärgerlich. »Haben Sie sonst was?«

»Prächtige, große Steinbutt!«

»Was kosten die denn?«

»Fünfundachtzig.« Er nahm sein Netz und langte bedächtig in ein anderes Hüttfaß hinein.

»Na ja, meinetwegen,« sagte Frau Thomsen. »In Kopenhagen gebe ich selten mehr als achtzig, aber wenn ich doch einmal übers Ohr gehauen werden soll, dann doch lieber um fünf als um zehn Öre, – Ja, geben Sie mir die da, die muß wohl ungefähr ein Pfund wiegen.«

Der Fischhändler beugte sich mit einem listigen Lächeln über die Wagschale. »Akkurat ein Pfund!« rief er aus, erfreut, seinen teuren Fisch auf redliche weise abgesetzt zu haben. »Soll ich ihn hinaufschicken?«

»Nein, geben Sie ihn mir nur gleich mit,« sagte Sie, – der Herr Baron hilft mir schon.«

Sie stieg die Treppe hinan, die von dem Boot nach der Mole hinaufführte, – und reichte lächelnd Vedel die Hand. »Guten Tag, lieber Baron, wollen Sie meinen Korb die kleine Strecke tragen?«

Vedel verbeugte sich abermals. »Mit Vergnügen!« sagte er.

»Ich habe nämlich beide Hände voll,« fuhr sie fort und zeigte auf eine Menge Pakete, die in einiger Entfernung auf einer Bank lagen. »Man muß ja seine Einkäufe selber machen, sonst ahnt man ja nicht, wo das Geld abbleibt, nicht wahr?«

Vedel hatte nichts dagegen einzuwenden. Er bekam den Korb mit dem zappelnden Fisch, und sie gingen zusammen die Mole hinab.

»Ich weiß wirklich nicht, warum wir unglückseligen Kopenhagener uns immer betrügen lassen sollen, sobald wir auf dem Lande wohnen,« sagte Frau Thomsen. »Und namentlich ich, die ich nun also jeden Sommer hier wohnen werde, ich halte es geradezu für meine Pflicht, die Leute wissen zu lassen, daß ich nicht die Absicht habe, auch nur einen Öre mehr zu bezahlen, als sie selber das ganze Jahr hindurch bezahlen. Wir sind ja erst vierzehn Tage hier gewesen, aber Sie sollen sehen, ich werde meinen Krieg schon durchsetzen. Das ist doch zu ärgerlich!«

»Ja, ich begreife es sehr wohl,« bemerkte Vedel entgegenkommend.

»Was geben Sie für Gemüse?«

Vedel räusperte sich. »Ja —«

»Ach, das ist wahr, Sie ahnen es nicht. Aber es ist unverschämt, was sie hier verlangen! Denken Sie nur, gestern mußte ich dreißig Öre für eine winzig kleine Gurke bezahlen! In Kopenhagen hätte ich sie für fünfzehn bekommen. So groß!« Sie zeigte mit dem Finger.

»Ja,« stimmte Vedel bei. »Und dabei sind wir in der Gurkenzeit!«

Sie sah ihn an, – und lachte plötzlich laut.

»So, Sie sind mockant, Herr Baron! Aber es ist wirklich wahr, was ich sage!« »Ja natürlich!« beeilte er sich zu erklären, – es war wirklich gar nicht meine Absicht —«

Sie lachte abermals. »Ja, Ihnen ist nicht zu trauen, Baron Vedel! Sie gehen gewiß so still und ruhig einher und machen sich über uns alle lustig!«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Sie irren wirklich, Frau Thomsen,« sagte er, – weshalb sollte ich mich wohl über die Leute lustig machen?«

Sie waren jetzt auf den Strandweg gekommen, der in der starken Sonnenglut beinahe öde da lag; langsam bogen sie nach links hin ab.

»Warum sagen Sie eigentlich nie ein Wort, Vedel?« fragte sie nach einer Weile und sah ihn an. »Macht es Ihnen kein Vergnügen, sich mit Leuten zu unterhalten?«

»Ja,« sagte er, »das thut es allerdings!«

»Aber warum sind Sie denn so ganz phänomenal schweigsam?«

Vedel räusperte sich ein wenig und lächelte.

»Ja,« sagte er, »ich habe selber eigentlich keine Empfindung davon, aber wenn alle Menschen es sagen, muß es sich natürlich so verhalten. Es kommt wohl daher, weil ich fast mein ganzes Leben mit mir allein verbracht habe, – in meiner eigenen Gesellschaft, – —Aber ich bin immer froh, wenn ich mit andern zusammen bin,« schloß er.

»Das war ja ein ganzes Bekenntnis,« lachte sie. »Ja, die Einsamkeit muß einem wohl den Mund verschließen. – — Sind Sie immer allein gewesen?«

»Ja, seit meine Eltern starben!«

»Ist das schon lange her?«

»Fünfzehn Jahr. Sie starben im selben Jahr, kurz nacheinander. Ich war damals erst sechzehn Jahre.«

Und haben Sie sonst keine Verwandte?«

»Nein, kaum. Jedenfalls sehe ich nie etwas von ihnen.«

»Keine Geschwister?«

»Nein!«

»Das muß herrlich sein. Großer Gott, wenn ich an meinen Anhang denke! Wir haben einmal ausgerechnet, daß wir in der nächsten Familie vierunddreißig sind! Und wenn wir Thomsens nächste Verwandte mitnehmen, so werden es einundfünfzig! Sie können mir glauben, das füllt in einem Eßzimmer! Na, im übrigen amüsieren wir uns ganz gut untereinander,« lachte sie und sah ein wenig vor sich hin. »Aber schrecklich ist es doch! Ein Geburtstag jede Woche, das ganze Jahr hindurch, stellen Sie sich das nur vor! Und die Sache wird immer schlimmer, denn jetzt fangen ja die Kinder an, wie Pilze aus der Erde hervorzuschießen, – drei neue Nichten oder Neffen jeden Monat, hätt' ich beinah gesagt! Es ist mir bei Gott im Himmel ganz unbegreiflich, wo die alle herkommen!« rief sie aus und lachte aus vollem Halse.

»Sie haben keine Kinder, nicht wahr?« bemerkte Vedel.

»Nein, ich habe keine,« sagte sie. »Thomsen ist —« Sie hielt plötzlich inne, errötete leicht und schwieg.

Sie gingen eine Weile schweigend dahin.

Da sahen sie plötzlich einen kleinen Jagdwagen den Weg entlang, auf sie zu kommen. Er wurde von zwei schnellen Ponys gezogen.

»Na, da haben wir ja das eheliche Idyll!« rief Frau Thomsen vergnügt aus, – »in vollem Galopp!«

Auf dem Bock erblickte man Hartwigs hohe Gestalt, neben ihm saß Ingeborg, aufrecht, blond und schmal.

Sie waren schon neben den andern.

»Guten Morgen!« rief Hartwig munter und hielt die Pferde an.

»Guten Tag!« lächelte Frau Thomsen. »Ist Ihnen der gestrige Abend gut bekommen?«

Vedel stand da, die Mütze in der Hand und starrte Ingeborg an. Sie grüßte nicht, sondern musterte ihn scharf.

»Ich bin auf Fischfang gewesen, wie Sie sehen!« lachte Frau Thomsen und hielt Vedels Arm in die Höhe. Der Fisch fing wieder an zu zappeln.

»Ich sehe es, ich sehe es!« Hartwig zeigte mit der Peitsche auf Vedel: »Guter Fang?«

»Das wird sich zeigen!« lachte Frau Thomsen. »Wohin wollen denn Sie?«

»Nur an der Küste entlang.«

Frau Thomsen sah mütterlich zärtlich zu Ingeborg hinauf. »Wie geht es Ihnen denn, liebe kleine Frau?« »Danke!« sagte Ingeborg kurz; sie runzelte die Brauen und versetzte ihrem Mann einen leisen Puff in die Seite.