Es würde Knochen vom Himmel regnen…

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Die private Übungsstunde begann harmlos. Die Trainerin befestigte das Halsband sorgfältig an Chances Hals und schlug dann vor, eine halbe Stunde zu warten, bis der Hund das neue Halsband vergäße, bevor sie mit ihm auf einem großen eingezäunten Feld arbeiten würden. Während sie warteten, fiel Wendy auf, dass Chance bereits Zeichen von Stress zeigte, obwohl noch nicht viel passierte. Seine Ohren, die normalerweise interessiert aufgestellt waren, zeigten flach zur Seite, in einer Position, die sie als „Flugzeugohren“ bezeichnete. Das war kein gutes Zeichen. Auf dem Feld wurde er sogar noch besorgter, als Wendy auf Anweisung der Trainerin die Leine abnahm und Chance befahl, sich zu setzen und in der Position zu bleiben, während sie sich etwa sechs Meter entfernte.

„Ruf ihn!“, sagte die Trainerin, was Wendy tat. Als die Worte ihren Mund verließen, wusste sie bereits, dass der Hund wie von Sinnen war. Seine Augen wurden auf vertraute Weise leer. Die Ohren waren fest nach hinten am Kopf angelegt, Chance rannte an Wendy vorbei und rannte außer sich im Kreis am Zaun des Felds entlang.

„Ruf ihn noch einmal!“, drängte die Trainerin, aber der Hund nahm Wendys Rufen nicht wahr und rannte weiter und weiter. Die Trainerin drückte den Knopf auf der Fernbedienung, die ein Signal an das Halsband sendete. Als der Elektroschock einsetzte, sprang Chance hoch, schrie und knurrte überrascht und schmerzvoll. Er verdrehte sich in der Luft, als er verzweifelt versuchte, in das Halsband zu beißen. Mit der Bemerkung: „Er übertönt Sie wahrscheinlich mit seinem Gejaule und kann Sie daher nicht hören“, wies die Trainerin Wendy an, ihn wieder und wieder zu rufen, aber nichts durchdrang Chances Entsetzen. In dem Moment wurde Wendy bewusst, dass man einen Hund, den man liebt, nicht so behandelt. Ohne zu beachten, was die Trainerin sagte, fing Wendy den erregten Hund ein und schloss ihn in die Arme. Erst da nahm die Trainerin ihren Finger vom Knopf – sie hatte Chance die ganze Zeit Elektroschocks verpasst.

„Das sollte sein Gehirn gebraten haben“, meinte die Trainerin zufrieden und fügte hinzu, dass in einigen Monaten eventuell eine weitere Übungsstunde zur Auffrischung nötig sei. Sie wies darauf hin, wie erfolgreich diese Trainingsstunde gewesen sei. Tatsächlich beobachtete Chance Wendy jetzt ängstlich und der Hund ließ sich nicht mehr dazu bewegen, weiter als ca. einen Meter von ihr wegzugehen. Es stimmte, dass das Wegrennen jetzt nicht mehr auftrat. Zu diesem Zeitpunkt war Wendy noch nicht klar, dass es durch ein neues Verhalten ersetzt wurde. Nach dieser Übungsstunde war Chance nicht mehr bereit, in einer Position zu verharren, selbst wenn Wendy nicht weiter als bis zum Ende einer zwei Meter langen Leine ging. In den darauf folgenden Monaten musste Wendy auf die winzigen Schritte des Welpentrainings zurückgreifen, um sein Vertrauen wieder aufzubauen, das in den wenigen schrecklichen Sekunden zerstört worden war. Schlimmer noch, als Chance wieder erfolgreich das Kommando „bleib“ ausführte, trat das Wegrennen noch stärker auf als zuvor. Jetzt allerdings rannte er in jeder Situation davon, ohne die vorherigen Warnzeichen, die Wendy früher auf ein potentielles Problem hinwiesen.

Über zwei Jahre später standen sie auf meinem Übungsfeld, das gesammelte Gewicht von Fehlern und Missverständnissen zwischen ihnen wog schwer. Von Schuldgefühlen wegen dem, was sie zugelassen hatte, geplagt, hatte Wendy sich langsam mit der Tatsache abgefunden, dass Chance ein eingeschränktes Leben haben würde. Nur die sanfte Beharrlichkeit eines gemeinsamen Freundes hatte sie überzeugt, dass ich helfen könne, ohne Chance irgendwie zu verletzen. Nachdem sie an einem meiner Seminare teilgenommen hatte, um mich bei der Arbeit zu beobachten, hatte Wendy zugestimmt, mich mit Chance aufzusuchen. Als ich Wendy und Chance beobachtete, wie sie zu meinem Trainingsfeld gingen, hatte ich keine Zweifel, dass sie ihn liebte und er sie. Aber aus lebenslanger Erfahrung mit den Fehlern, die im Zusammenhang mit Tieren gemacht werden, weiß ich, dass Liebe alleine nicht immer ausreicht, damit jemand dorthin gelangt, wo er sehnsüchtig hingelangen möchte. Ich verstand, wie verwirrend es war, verloren am Ende des Weges zu stehen, der in gutem Glauben eingeschlagen worden war, jeder Schritt getrieben von dem tiefen Wunsch, an einen Ort zu gelangen, der so ganz anders aussah als dieses unerwartete Ziel. Den von ihr beschrittenen Weg mit seinen Biegungen und Kurven kannte ich nur zu gut. Aber ich kannte auch den Rückweg. Ich wusste, dass alles, was Wendy erkennen musste, um ihren eigenen Weg zurückzufinden, dorthin, wohin immer sie gehen wollte, in einem einfachen Satz zu finden ist: Was zwischen einem Menschen und einem Tier möglich ist, ist nur innerhalb einer Beziehung möglich.

Die Beziehung zwischen Wendy und Chance war beschädigt, nicht zerstört. Ohne eine Wiedergutmachung des Schadens würde so für immer eingeschränkt bleiben, was zwischen den beiden eigentlich möglich war. Die Wiederherstellung des Vertrauens und der Freude, die einst zwischen den beiden bestanden hatte, begann, als ich sie aufforderte, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Er war einfach ein Hund, und trotz seiner Intelligenz wurde sein Verständnis der Welt von dem geprägt, was die Person, die er liebte und der er vertraute, getan und zugelassen hatte. Er verstand gute Absichten nicht. Er verstand nicht, dass ihre Fehler das Ergebnis unangebrachten Vertrauens in Trainer waren. Er wusste nur, dass es keinen Spaß mehr machte, mit ihr zu arbeiten, dass sie wiederholt ignoriert oder missverstanden hatte, was er ihr sagen wollte, wenn er sich in stummer Resignation auf den Boden legte oder angstvoll flüchtete, wenn er überfordert wurde. Auf jede ihm mögliche Weise zeigte er, wie er sich fühlte, aber sie hatte ihn nicht gehört. Er war nur ein Hund und hatte keine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen. Er hatte nur noch seine Gebete. Früher einmal hatte er vielleicht darum gebeten, gehört zu werden, jetzt betete er dafür, entkommen zu können.

Behutsam fragte ich die traurige, reizende Frau, die jetzt an der Stelle stand, an der auch ich bereits gestanden hatte: „Wenn Sie Chance wären und das von Ihnen Beschriebene Ihnen passiert wäre, würden Sie sich sicher fühlen? Würden Sie Ihrem Menschen trauen? Würden Sie sich erwartungsvoll und voller Vorfreude auf die gemeinsame Arbeit freuen? Wären Sie gerne in einer solchen Beziehung?“ Ihr Gesicht sackte zusammen, und sie schüttelte den Kopf. Einen langen Augenblick starrte sie auf ihre Füße, hob dann den Kopf und schaute mich an: „Ich liebe meinen Hund, ich wollte ihn nie verletzen. Ich wollte ihn nur ausbilden, ihm Freiheiten geben. Ich vertraute darauf, dass diese verdammten Trainer mehr wüssten als ich.“ Sie machte eine Pause, versuchte nicht zu weinen. Sie holte tief Luft und fragte: „Was soll ich jetzt machen?“

Um das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen, mussten Wendy und Chance neue Wege für die gemeinsame Arbeit finden. Bei allem, was sie tat, hatte Wendy die Wahl: Würde es die Beziehung zu ihrem Hund unterstützen bzw. verbessern oder verschlechtern? Sie musste lernen, die Welt aus der Sicht ihres Hundes zu sehen, um zu verstehen, wie und warum ihre Handlungen seine Augen aufleuchten lassen oder trüben konnten. Unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen sich und einem Hund musste sie Chance so behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollte, mit dem liebevollen Respekt, mit dem sie auch einen geliebten Freund behandeln würde. Die Kommunikation zwischen den beiden würde sich verbessern, wenn sie lernte, ihre Wünsche so auszudrücken, dass sie vom Hund verstanden werden würde, und wenn sie lernte, die Körpersprache und die Reaktionen von Chance zu erkennen. Ihr Hund würde sie nie anlügen, aber sie musste lernen, darauf zu vertrauen, dass das, was er ihr mitteilte, seine momentane Wahrheit war. Alles, was sie mit Chance tat, musste von einer Frage bestimmt sein: Hilft es oder schadet es der Beziehung?

„Aber wo soll ich anfangen?“ fragte sie. In meinem Kopf war ihre Frage das Echo vieler vorheriger Ratsuchender, die auch gefragt hatten: „Wie machen Sie das?“, als ob das Aufbauen oder Wiederaufbauen von Beziehungen zu einem Tier eine spezielle Fähigkeit ist, die erklärt und gelehrt werden kann, wie das „bei Fuß“-Gehen oder das Kommen auf Kommando. Bei dem Versuch, ihnen zu antworten, habe ich mich immer ein bisschen wie der Künstler gefühlt, der, wenn er gefragt wurde, wie man malt, antwortete: „Es ist einfach. Sie malen die rote Farbe dahin, wo das Rot hingehört, und die grüne dahin, wo das Grün hingehört, und die gelbe dahin, wo das Gelb hingehört…“ Ich erinnere mich auch an die Antwort von Matisse, als eine Frau ihn gedankenlos fragte, wie lange er an einem Bild gemalt habe: „Einige Stunden … und mein ganzes Leben.“

Ich weiß, was es bedeutet, sich ein Patentrezept zu wünschen, die Hoffnung auf die Zauberknoten, der Wunsch nach Abkürzungen zu Wissen, das nur auf eine Art erworben werden kann – Übung, Ausdauer und Erfahrung. Als ich das erste Mal von Linda Tellington-Jones1 lernte, fragte ich sie, an welcher Stelle ich mit den Berührungen anfangen solle. Linda antwortete: „Überall ist gut, es sei denn, das Tier sagt etwas anderes. Suche in dem Fall eine andere Stelle.“ Diese Antwort ärgerte mich anfangs. Ich wollte, dass das, was ich tat, perfekt war, und ich wollte ein genaues Rezept, um die Ergebnisse zu erreichen, die ich an Lindas Arbeit mit Tieren so bewunderte. Aber langsam wurde mir klar, dass die Antwort, die mich so frustrierte, eine völlig richtige Antwort war, die viel von der Weisheit enthielt, die Lindas Arbeit mit Tieren prägt. Der Beginn eines Dialogs zwischen Mensch und Tier, um eine Beziehung zu ermöglichen, ist wie der Beginn einer Unterhaltung. Sie müssen einen Anfangspunkt wählen, wenn dieser nicht funktioniert, suchen Sie einen neuen aus, und wenn nötig einen weiteren, bis Sie schließlich eine Übereinstimmung finden. Dann beginnen Sie, Gemeinsamkeiten zu erkunden, erfühlen dabei Ihren Weg, hören immer auf das Tier, das als Einziges sagen kann, wann Sie es richtig machen.

 

„Ok“, sagte ich zu Wendy. „Wir beginnen folgendermaßen, diese Beziehung zu kitten: Lassen Sie Chance, wo er ist – es macht nichts, dass er nicht in unsere Richtung schaut. Sagen Sie einfach nichts und gehen Sie einen Schritt parallel zu ihm. Gehen Sie nicht auf ihn zu, gehen Sie mit langsamen Schritten, bis er Sie beachtet. Wenn er in Ihre Richtung schaut, sagen Sie nichts. Werfen Sie ihm nur ein Leckerchen zu.“

Verwirrt tat sie, worum ich sie gebeten hatte. Chance war am Ende der Leine noch immer in sein Gebet vertieft, schaute jedoch über die Schulter, als er in seinem peripheren Gesichtsfeld Wendys Bewegung bemerkte. Er war überrascht über das unerwartete Leckerchen, das in seiner Nähe landete. Er schaute Wendy kurz an, bevor er sich das Leckerchen nahm, und drehte sich wieder weg, um sein Gebet wieder aufzunehmen. Sie ging einen Schritt weiter, und er schaute erneut über seine Schulter. Ein weiteres Leckerchen und diesmal ein nachdenklicher Blick des Hundes, bevor er sich wegdrehte. Einige Schritte und Leckerchen später passierte es. Chance schluckte das Futter und ging dann langsam auf Wendy zu. Er schaute fragend zu ihr hoch. Sie fütterte ihn noch ein bisschen, und wir konnten sehen, dass er, während er fraß, die Situation überdachte. Wie um zu testen, ob das, was er glaubte, passieren würde, drehte er sich von Wendy weg und starrte in die Ferne. „Warten Sie“, sagte ich. „Bewegen Sie sich nicht und warten Sie einfach.“ Für einen scheinbar ewig dauernden Moment standen Wendy und ihr Hund bewegungslos voneinander getrennt. Dann drehte er sich bewusst um, ohne darum gebeten worden zu sein, und sah ihr schwanzwedelnd direkt in die Augen.

Ab diesem Moment der Trainingsstunde wich er nicht mehr von ihrer Seite. Wohin Wendy ging, ging auch er. Verblüfft und hocherfreut bewegte Wendy sich in jede mögliche Richtung, versuchte sogar vor ihm wegzurennen, aber Chance blieb immer an ihrer Seite, mit leuchtenden Augen. Immer wieder schüttelte sie ungläubig den Kopf und sagte, dass es nicht so einfach sein könne. Ich stimmte ihr zu: „Ich weiß, es klingt zu einfach. Aber schauen Sie Ihren Hund an. Was sagt er Ihnen?“

Mit einem traurigen Lächeln schaute sie ihren Hund an, der mit leuchtenden Augen und sanftem Schwanzwedeln zu ihr aufsah. „Er sagt mir, dass er glücklich ist.“

„Dann glauben Sie ihm!“ Ich lächelte. „Er hat Sie nie angelogen und wird es nie tun. Wenn Sie herausfinden möchten, ob etwas bei Chance funktioniert, fragen Sie ihn. Es kümmert ihn nicht, wie albern oder einfach Ihnen etwas erscheint. Ob es bei ihm funktioniert, ist alles, was zählt.“

Für Wendy erforderte die Arbeit an ihrer Beziehung zu Chance in den nächsten Monaten Konzentration, aber sie nahm sie gerne auf sich. Mit jedem Tag wurde ihre Beziehung stärker. In Chances Widerstand sah sie nicht länger seinen „Willen zum Ungehorsam“. Sie sah einen geliebten Freund, der sagte: „Ich verstehe das nicht“ oder „Das langweilt mich“ oder „Das kann ich nicht tun“. Dann half sie ihm zu verstehen, machte es interessanter, ging zu etwas Abwechslungsreicherem über oder fragte nach etwas, was er tun konnte. Sie öffnete ihre Augen für die Feinheiten seiner Bewegungen und begann zu verstehen, was die schnelle Drehung eines Ohres oder ein Blick wirklich bedeutete. Chance musste nicht mehr weglaufen oder sich hinlegen, um verstanden zu werden. Er begann darauf zu vertrauen, dass Wendy die leiseren Mitteilungen sah, wie ein leichtes Abfallen der Rute oder das Anlegen der Barthaare an den Fang. Mit dem Vertrauen auf ihre Unterstützung begann er, sich mehr anzustrengen, und war jetzt bereit, partnerschaftlich mit ihr zu arbeiten und freudig neue Fähigkeiten zu erlernen.

1 Anm. d. Ü.: Linda Tellington-Jones ist die Begründerin des TTouches und der TTeam-Methode. Diese dienen zur Kommunikation mit Tieren und zur Steigerung der Fähigkeiten und des Wohlbefindens von Hunden und anderen Tieren.

3

TANZEN MIT HUNDEN

Die Menschen erkennen daran,

wie du einen Hund behandelst,

wie groß deine Seele ist.

CHARLES F. DORAN

Ich weiß nicht, was die Schildkröte dachte. Ich hoffe, dass die Angst, die sie möglicherweise empfand, schnell verflog und nur eine vage, traumhafte Erinnerung hinterließ. Für mich ist die Erinnerung ein reizendes, klares Bild: Ich reite an einem Sommerabend durch das hohe Gras, das durch die Schritte meines Ponys zu meinen Füßen raschelt. Am Feldrand, wo das Gras unter dem Schatten der Bäume dünner und kürzer ist, schnüffelt Bear an etwas. Ich drehe mein Pony in seine Richtung, und als wir uns nähern schaut Bear hoch, seine Augen leuchten vor Aufregung. „Was hast du gefunden?“, frage ich, und als Antwort dreht er sich um, um sanft eine Schildkröte aufzunehmen.

„Gib sie mir“, sage ich zu ihm und lehne mich aus dem Sattel nach unten. Er streckt sich, um mir sein Geschenk zu geben. Ich kann mich nicht so weit herunterbeugen, und als Bear das sieht, stellt er sich auf die Hinterpfoten und stemmt die Vorderpfoten gegen die Schulter des Ponys. Ich nehme ihm die Schildkröte ab und danke ihm für die reizende Überraschung. Während ich die verschlungenen Muster der Maserung und der Rillen untersuche, sagt mir die Größe und die Abnutzung des Panzers, dass diese alte Schildkröte schon viel erlebt hatte. Ich nehme jedoch an, dass die kurze Reise im Maul von Bear eine neue Erfahrung war. Während mein Pony ruhig steht und wartet, halte ich die Schildkröte gerade auf meiner Hand und hoffe, dass sie ihren Kopf herausstreckt. Vorsichtig erscheint der runzlige Kopf und der Spieß wird umgedreht – ein tieforangenes Auge blickt mich unverwandt an, die Farbe hebt sich stark von dem matten Braungrau des Schildkrötenkopfes ab. Da sie mich nicht besonders interessant findet, schließt sie die Augen und zieht ihren Kopf wieder zurück.

„Wir müssen sie jetzt zurücklegen“, sage ich zu Bear, und er stemmt sich wieder gegen das Pony. Mit überraschender Zartheit legen sich seine kräftigen Kiefer um die Schildkröte, und mit unendlicher Vorsicht legt er die Schildkröte mit der richtigen Seite nach oben auf den Boden, bevor er einige Schritte zurückgeht, um zu sehen, was jetzt passiert. Ungeduldig gibt Bear ihr einen kleinen Stups, seine nasse Nase zieht eine Spur über den staubigen Panzer, die herrliche Farben zum Vorschein bringt. Aber die Schildkröte bewegt sich nicht. Ich drehe mit dem Pony um und rufe meinen Hund, um unseren Weg fortzusetzen.

Wenn ich an Bear denke, erfüllen mich Erinnerungen wie diese mit Freude. Aber unsere gemeinsame Reise war nicht immer so unkompliziert wie dieser Ritt durch den Sommerabend, der nur dazu diente, auf einem alten, grauen Pony über die Felder zu reiten, mit einem Hund neben mir, der an einen dunklen Wolf erinnert. Es wäre nett, wenn ich behaupten könnte, dass alle meine Erfahrungen mit Tieren reizend und gut waren, dass mich die Leute ab dem Tag meiner Geburt irrtümlich für die Schwester von Franz von Assisi oder die Tochter von Dr. Doolittle hielten. Ich würde von mir selbst lieber erzählen, wie ich instinktiv alle Tiere mit äußerstem Respekt und zärtlicher Zuneigung behandelt habe. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass es mir ein Rätsel sei, wie und warum Leute, die behaupten, ihre Tiere zu lieben, bereit sind, trotzdem schreckliche Ausbildungstechniken anzuwenden. Das wäre jedoch nicht wahr, obwohl die meisten meiner Fehler und egoistischen Handlungen unbemerkt stattfanden und persönliche Angelegenheiten zwischen mir und einem Tier sind.

Es gibt jedoch auch weniger schöne Erinnerungen. Ich bin vierzehn Jahre alt, und, da ich mir verzweifelt einen eigenen Hund wünsche, verbringe ich so viel Zeit mit dem Collie unserer Nachbarn, dass mich jeder für seinen Mitbesitzer hält. Ich habe ihm viele Tricks beigebracht, einige mit einem so geschickten Signal, dass leichtgläubige Zuschauer glauben, der Hund habe magische Kräfte. Frustriert darüber, dass ich keinen eigenen Hund habe, habe ich Brandy trainiert, eine seltsame Anordnung von Stühlen, Besenstielen und Gartenmöbeln zu überspringen, die ich aus der Garage herbeischleppe und mit einiger Ähnlichkeit zu einem olympischen Parcours für Springreiter drapiere. Er ist ein sportlicher Hund und führt bereitwillig aus, worum ich ihn bitte. Eines Nachmittags, nachdem er auf Kommando fehlerfrei über meinen Kopf gesprungen war, behaupte ich frech gegenüber den Nachbarskindern, dass dieser Hund wahrscheinlich über alles springen kann – selbst über das Auto meiner Mutter. Als sie sich über meine Prahlerei lustig machen, zeige ich auf das Auto und befehle Brandy zu springen. Er fliegt freudig durch die Luft, mit seinem fließenden zobelweißen Fell, und kommt hart auf der Motorhaube auf. Während er versucht, festen Halt auf dem rutschigen Metall zu finden, dreht er sich leicht zu mir um und ich sehe seine Augen, voller Überraschung und Angst, die mich fragend anschauen. Mir wird übel von der Erkenntnis, dass ich sein Vertrauen missbraucht habe.

Die Entwicklung eines wirklich humanen Umgangs mit Tieren war ein langsamer und schmerzhafter Prozess, für den ich sorgfältig in die dunklen Winkel meiner Seele schauen musste. Anders als der externe evolutionäre Druck auf einen Vogel, außergewöhnliche Federn zu entwickeln, um einen Partner anzuziehen, kommt der Selektionsdruck auf die Seele von innen. Sie können spüren, dass diese Kraft wirkt, wenn Sie sorgfältig hinhören. Es ist die kleine, leise, innere Stimme des Gewissens, die man auch einfach überhören kann.

Ich war einundzwanzig Jahre alt und hatte bereits drei Jahre Erfahrung mit der beruflichen Arbeit mit Tieren, als ich Bear, meinen ersten Deutschen Schäferhund, erwarb. Obwohl meine Begeisterung für das Training von Tieren meine Fähigkeiten bei weitem überstieg, schaffte es Bear, herauszufinden, was ich meinte. In meinem täglichen Leben war er ein wunderbarer Begleiter. Ob er mit mir durch eine dichte, hektische Menge bei einem Konzert im Central Park lief oder die nahe gelegenen Wälder mit mir erkundete, ich musste nur ein Wort sagen oder ein Handsignal geben, um eine schnelle, freudige Reaktion von Bear zu bekommen. Wenn er im Kaufhaus ruhig in der Umkleidekabine lag, fühlte er sich genauso wohl wie während des Wartens vor dem örtlichen Postamt. Er war ein sehr angenehmer Hund.

Die Probleme begannen, als ich beschloss, mit ihm an Obedience-Wettbewerben teilzunehmen. Es erschien einfach, die Anforderungen zu erfüllen, schließlich bewältigte er im täglichen Leben viel anspruchsvollere Situationen. Da ich eine Perfektionistin bin, konzentrierte ich mich auf unangenehme Weise auf die Präzision der Ausführung, aus Angst um die Punkte, die möglicherweise abgezogen werden könnten, wenn seine Reaktion einen Hauch zu langsam ist oder er ein bisschen schief sitzt. Ich begann, an ihm herumzunörgeln, beklagte seine hartnäckige Weigerung, die gleiche Übung immer wieder zu trainieren. Manchmal, während wir die Freifolge übten, schwenkte Bear von mir weg, um sich auf die Veranda zu legen, ignorierte meine Appelle und war unempfänglich für meine Kommandos. Ich wurde frustriert, da er mangelndes Interesse für das Apportieren der offiziellen Holzhantel zeigte. Wie konnte es sich um denselben Hund handeln, der Stöckchen und Bälle holte, bis mein Arm lahm wurde? Das war der Hund, der freiwillig Schildkröten apportierte, aber meine Anweisungen, eine einfache Holzhantel zu apportieren, wurden zögerlich oder sogar überhaupt nicht befolgt.

Wenn mich jemand gefragt hätte, hätte ich selbstsicher darauf bestanden, dass Bear und ich eine wundervolle Beziehung hatten. Es gab jedoch einen Unterschied zwischen unserer Beziehung während des Trainings und der, die wir hatten, wenn er zu meinen Füßen liegend den Sonnenuntergang betrachtete oder freudig neben meinem Pony hergaloppierte. In einem Maße, das ich noch nicht definieren konnte, schob das Training uns voneinander weg. Irgendwie schwächte es unsere Beziehung zueinander, wir waren nicht mehr synchron, oft frustriert und manchmal geradezu unglücklich. Manchmal mochte ich Bear nicht – besonders, wenn er sich weigerte, zu machen, was ich wollte – obwohl ich nie aufhörte, ihn zu lieben. Ich weiß auch, dass es Zeiten gab, in denen Bear mich nicht sehr mochte, und das aus gutem Grund: Unsere Kommunikation wurde zu einer Einbahnstraße, die ausschließlich in meine Richtung führte. Das störte mich sehr – jedoch nicht genug, um meine Ziele zu vernachlässigen, meinen Ehrgeiz zu zügeln und darauf zu achten, was mein Hund mir mitteilte.

 

Überzeugt, dass technisches Wissen der Schlüssel zu dem sei, was ich vermisste, verschlang ich Bücher über Ausbildung und Verhalten von Hunden, nahm an Seminaren teil, las noch mehr und beobachtete andere Trainer bei der Arbeit. So erwarb ich neue Trainingsmethoden und ein tieferes Verständnis der Hunde. Dieses Wissen war nützlich für einen strukturierteren und analytischeren Ansatz für das Entwirren der Geheimnisse von Verhalten und Ausbildung. Ich wurde eine bessere Trainerin, gemäß dem Motto der Royal Air Force: „Jeder Hundeführer bekommt den Hund, den er verdient.“ Durch meine fleißigen Bemühungen, einem unstillbaren Wunsch, mehr zu wissen, und der Leidenschaft, eine noch bessere Trainerin zu werden, begann ich, Bears bereitwillige Zusammenarbeit zu verdienen und zu bekommen. Stolz auf die Beherrschung von Jargon und Technik fiel mir nicht auf, dass vieles von dem, was ich gelernt hatte, die Klarheit meiner Beziehung zu Tieren trübte. Trotz zunehmendem technischen Können hatte ich etwas verloren (oder verdrängt), was ich nicht genau definieren konnte, etwas, was da gewesen war, bevor mein erwachsenes Ich mehr wusste und es besser wusste. Unfähig, in Worte zu fassen, was verloren gegangen war, fühlte ich mich immerhin zu unwohl, um es unberücksichtigt zu lassen. Am Ende konnte ich es mir nur so erklären, dass es nicht so sehr daran lag, dass etwas fehlte, sondern dass sich vielmehr etwas verändert hatte.

Meine vorherigen Erfahrungen waren geprägt von meiner kindlichen Sicht auf Hunde und deren Ausbildung, jetzt jedoch, versicherte ich mir, hatte ich eine reifere, erwachsenere Perspektive, die manchmal auch unangenehme, aber notwendige Realitäten umfasste. Ernsthaft versuchte ich dem Beispiel des Trainers zu folgen, den ich bewunderte, ich wandte mich der intellektuellen Beherrschung des von mir gewählten Berufes zu – und weg von meinem Herzen.

Mit der Zeit begannen die Leute, mich um Rat zu fragen, daraus erwuchs eine Hundeschule. Zurückblickend erschauere ich in dem Bewusstsein, dass ich, obwohl ich mich Hundetrainerin nannte (und ernsthaft versuchte, mich auf verschiedene Arten [weiter] zu bilden), doch nur ein Beweis dafür war, dass jemand mit geringen Kenntnissen hilfreich sein kann für jemanden mit noch weniger Wissen. Oft war mir ziemlich unbehaglich zu Mute bei den vielen verbreiteten Trainingsmethoden, von denen ich las und die ich bei anderen Trainern beobachtete, außerdem war ich oft unzufrieden mit den Ergebnissen, die Leute mit meiner Hilfe erreichten, daher suchte ich weiter – nach mehr Freundlichkeit, mehr Harmonie, mehr Freude bei Hund und Mensch. In meinem Hinterkopf quälte mich ständig das Bewusstsein über den Unterschied zwischen dem Training und der Art, wie ich täglich mit all meinen Tieren lebte. Ich suchte einen Weg, diesen Unterschied zwischen dem täglichen Leben und einer Übungsstunde zu überbrücken. Ich musste einen Weg finden, wie der Übergang vom Alltag zum formalen Training zwar meinen Schwerpunkt, nicht aber die Beziehung zwischen mir und dem Tier veränderte.

In meinem Herzen bildete sich ein neuer Ansatz. Um genauer zu sein, eine in meinem Herzen entstehende Philosophie begann meine Denkweise zu prägen. Es gab nicht den einen einzigen Tag der Erkenntnis, vielmehr ein wachsendes Bewusstsein, dass ich nur in die Augen eines Hundes schauen muss, um den exakten Moment zu erkennen, in dem die Beziehung zwischen mir und dem Hund nicht mehr von deutlicher und freiwilliger Übereinstimmung geprägt ist. Entstand durch meine Vorgehensweise bei dem Hund Widerstand, Angst, Misstrauen oder Schmerz, wurde der klare, vertrauensvolle Blick seiner Augen getrübt? Dann musste ich einen besseren Weg finden. Zuerst unbewusst, später bewusst begann ich, alle Methoden, Philosophien und Techniken anhand dieses einfachen, aber deutlichen Standards zu beurteilen: dem Leuchten in den Augen eines Hundes. Immer wieder fragte ich mich: „Leuchten seine Augen dadurch?“ Ich fand die Antwort in den Augen der Hunde. Bei der Überprüfung anhand dieses Standards zeigte sich, dass viele verbreitete Theorien und Prinzipien nicht zu mehr Vertrautheit und den tieferen, freudigeren Beziehungen führten, von denen ich wusste, dass sie mit Tieren möglich sind. Langsam gab ich die gemeinhin üblichen Weisheiten auf und begann, mein Herz und meine Gedanken zu öffnen, um das, was ich wollte und brauchte, von denen zu lernen, die es mir am besten beibringen konnten – von den Tieren selbst.

In vielen Fällen konnte ich trotz meines Wunsches nach einem besseren Weg keinen besseren finden, was mich frustrierte und mich in Bezug auf meinen Weg verunsicherte. Unglücklich verwendete ich die einzigen mir bekannten Techniken, wenn auch so sanft und effektiv wie möglich. Ich mochte es nicht, dass ich mich bei den Hunden entschuldigen und ihnen sagen musste: „…auf lange Sicht ist es so am besten für dich…“ Ich beobachtete, wie das Leuchten aus ihren Augen verschwand und versuchte so schnell ich konnte, die freudige Klarheit in den Augen wieder herzustellen und damit die Spiegelung dessen, was ich getan hatte, zu überdecken. Tief in meinem Inneren fühlte ich mich manchmal ziemlich erbärmlich. Wenn ich nicht zu arrogant oder zu selbstgefällig beschäftigt war, hörte ich die kleine Stimme in mir protestieren. Zu deutlich sah ich den Schmerz und die Verwirrung in den Augen zu vieler Tiere. Immer versuchte ich zu verstehen, wie und warum das, was ich tat, das Leuchten in den Augen trübte. Außerdem suchte ich ständig nach dem, was laut meinem Herzen existieren musste: Eine Methode, wie das Leuchten beibehalten wird.

EIN GESCHENKTER GAUL

Ironischerweise kam der von mir gewünschte Wegweiser aus der Welt der Pferde. Das war die Welt, in der ich in meiner Teenager-Zeit gelernt hatte, Gewalt schnell und effektiv einzusetzen, um Tiere zu beherrschen. (Ich hatte meine Lektionen gut gelernt, wodurch ich manchmal große Anerkennung meiner Mentoren erlangte. Es war jedoch oftmals schwer, genau diese Lektionen zu vergessen.) An einem verschneiten Märzmorgen in einer kalten Reithalle in Maryland fand ich, wonach ich gesucht hatte.

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich zu diesem Wochenendseminar von Linda Tellington-Jones, einer international anerkannten Pferdefrau, kam. Ich war überrascht, dass es keine langweiligen Vorträge oder Vorführungen mit trainierten Pferden gab. Stattdessen begann die Trainerin nach einer kurzen Einführung, anhand von Beispielen zu unterrichten. Sie arbeitete direkt mit den Pferden, die wegen eines Problems zu dem Seminar gebracht wurden. Das erste Pferd war eine Vollblutstute, die, trotz erstklassiger Blutlinien und erheblichem Geldwert als Zuchtstute, so gefährlich war, dass sowohl der Tierarzt als auch der Hufschmied sich weigerten, sie zu behandeln. Nur einer der Farmarbeiter konnte überhaupt mit ihr umgehen. Die Teilnahme des Pferdes war nur auf Grund der Tatsache möglich, dass es auf der Farm lebte, auf dem das Seminar stattfand. Vielleicht eine halbe Stunde beobachtete ich, wie diese begabte Pferdefrau mit der Stute arbeitete, ihr half, von einem verzweifelt und wild mit den Hufen schlagenden Pferd zu einer Stute zu werden, die trotz ihrer Angst und Wut ernsthaft versuchte mitzuarbeiten.

Unsichtbar auf dem Rücken dieser aufgewühlten, wunderschönen Stute reitend überwand das Verständnis die Verteidigung meines Intellekts und drang direkt in mein Herz ein. Was ich beobachtete, zuerst mit arroganten inneren Gegenargumenten und später mit bescheidener Dankbarkeit für das, was ich nicht leugnen konnte, erschütterte vieles von dem, was ich fleißig gelernt und gewissenhaft angewendet hatte. Das Erlernen von Theorien und Prinzipien wurde zu trockenen, eindimensionalen und unzulänglichen Erklärungen für die wertvolle, multisensorische Erfahrung einer Verbundenheit mit einem Tier in einer menschlichen und wirklich ganzheitlichen Art und Weise. Die Philosophie von Linda Tellington-Jones, die auf dem Papier gut erschien, erhielt ihre authentische Form in jeder ihrer Gesten und in ihren Reaktionen auf das Pferd. Es gab keine Lippenbekenntnisse für ein „menschliches Training“ – das war die Integration von Herz und Denken. Als ich sie mit dieser scheinbar unmöglichen Stute beobachtete, war ich zu Tränen gerührt. Wenn mich in diesem Moment jemand aufgefordert hätte, etwas zu sagen, wäre ich nicht in der Lage gewesen zu antworten.