Störtebekers Erben

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Kapitel 6

Margo hatte die gesamte Schrankwand Zentimeter für Zentimeter mit der Taschenlampe abgeleuchtet. Wie viel Plunder Menschen in ihrem Leben ansammelten. Meterweise Geschirr, Zinnbecher, Bierkrüge mit Jahreszahlen, Holzfigürchen, Deckchen und Dekorationsartikel für sämtliche Jahreszeiten. Aber nirgendwo persönliche Unterlagen, keine Fotoalben, wie sie gehofft hatte.

Ihre Wirtin hatte an ihrem Schlüsselbord an der Rezeption auch die Zweitschlüssel ihrer Nachbarn hängen. Jedes Jahr im Spätherbst, wenn die Übernachtungsgäste abgereist waren, gingen viele Insulaner auf Reisen, gönnten sich den verdienten Urlaub. Jeder, der auf der Insel blieb, kümmerte sich so lange um die leer stehenden Nachbarhäuser. Margo hatte den Kommissaren Tee und Kaffee in den Ratssaal des Leuchtturms gebracht, der sich in der Etage über der Küche befand. Das war der einzige Raum in der Pension, der noch weitgehend im Original erhalten war mit seiner dunklen Wandtäfelung und den historischen Gemälden der Hamburger Ratsherren. Unter dem schweren Kronleuchter stand ein alter Eichentisch, der nun zum Arbeitstisch umfunktioniert worden war. Zwei weitere Schreibtische hatten die beiden Polizisten, die mit dem zweiten Hubschrauber eingetroffen waren, mit ihr aus einem Lagerraum über der Senatswohnung heruntergetragen. Die blonde Kommissarin, offenbar die Chefin, hatte sie dann aufgefordert, die Tür zu schließen, und mitgeteilt, dass sie in den nächsten beiden Stunden nicht gestört werden wollten.

Sie hatte den Moment genutzt, um dem Nachbarhaus einen Besuch abzustatten. Der Inselkaufmann Peter Hein hatte in der ersten Etage über seinem Laden gewohnt. Der Eingang befand sich auf der Westseite des Hauses und war so von den Besuchern, die auf den Sitzbänken vor dem Laden verköstigt wurden, nicht einsehbar.

Es galt, leise zu sein, denn Barbara, Heins Tochter, lebte mit ihrem Vater in einer Einliegerwohnung Wand an Wand.

Am Nachmittag hatte Margo die Zimmer der Polizisten vorbereitet und dabei aus dem Fenster im Leuchtturm gesehen, wie die junge Frau mit einer Tasche in der Hand in westlicher Richtung über den Ringdeich lief.

Barbara war dann in den Karlshof gegangen, einen ehemaligen Bauernhof, der als einziges Haus an der Westseite der Insel lag. Das Wohnhaus war, wie die meisten anderen Häuser, zur Pension und Gasthof ausgebaut worden, dahinter befanden sich Pferdeställe, Hallen mit Wattwagen und Kuhweiden.

Vermutlich wollte Barbara die Nacht nach dem grauenvollen Ende ihres Vaters bei ihrer Freundin Simone verbringen, die dort eingeheiratet hatte. Peter Hein hatte Margo bei einem ihrer Gespräche anvertraut, dass er selbst sich immer gewünscht hatte, dass seine Tochter den jungen Karl heiraten würde. Doch es war ihre Freundin, die dann die gute Partie gemacht hatte. Margo tastete sich an der Vorderseite des Schreibtischs entlang, konnte aber die Schubladen nicht öffnen und wollte sie auch nicht aufbrechen. Unten am Eingang hatte sie ein Schlüsselbrett gesehen, vielleicht wurde sie dort fündig. Doch da war ein Geräusch, das eindeutig aus Heins Wohnung kam. Margo lauschte und verharrte still im Dunkeln. Es kam von oben und war jetzt wieder verstummt. Vielleicht war es nur ein Fensterladen, der sich im Wind bewegt hatte, manche alten Gebäude knarrten und ächzten ja.

Dann ging alles sehr schnell, Margo nahm eine Bewegung am oberen Absatz der Treppe wahr, doch sie fühlte sich wie in einem Albtraum, wo sämtliche Gliedmaßen gelähmt scheinen. Starr vor Schreck empfing sie einen heftigen Stoß und konnte sich nicht mehr halten. Als sie stürzte, hechtete ein Schatten an ihr vorbei aus dem Haus. Margos linkes Handgelenk pochte schmerzend und schien anzuschwellen. Unter ihrem Fuß klirrte etwas, sie hob den Gegenstand auf und ertastete einen Rahmen und Glas mit einem Sprung, offenbar ein Foto. Sie steckte es mit der gesunden Hand in die mitgebrachte Tüte und beschloss, das Haus schnellstmöglich zu verlassen. Bevor die Polizisten ihre Sitzung beendet hatten, wollte sie wieder im Turm sein. Es würde sicher Ärger geben, wenn diese das zerstörte Siegel am Eingang des Nachbarhauses entdecken würden. Sie wollte nicht unter Verdacht geraten.

Sie eilte in ihr Leuchtturmbüro, kühlte die verletzte Hand mit einem Eisbeutel, bis der Schmerz endlich nachließ. Dann dachte sie an das mitgebrachte Fundstück und suchte die Tüte, die sie von nebenan mitgenommen hatte. Doch sie konnte diese nirgendwo finden. Dabei war sie sich sicher, dass sie die Tüte in der Hand hielt, als sie das Nachbarhaus verlassen hatte. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, wo sie diese abgelegt hatte. Sollte die ganze Mühe etwa umsonst gewesen sein?

Wer war dieser Mann, der an ihr vorbeigestürmt war? Sie dachte an ihren Hotelgast, doch der war in sein Zimmer gegangen. Merkwürdig, genauso wie diese merkwürdige lange schwarze Tasche neulich. Sie hatte an ein Instrument gedacht, vielleicht befand sich etwas ganz anderes darin.

Kapitel 7

Rike sah von der breiten Fensterbank ihres Leuchtturmzimmers in die Dunkelheit und konnte an einem Lichterband das gegenüberliegende Ufer von Sahlenburg erahnen, das nur zehn Kilometer entfernt in südlicher Richtung lag, und doch im Moment unerreichbar war. In der Ferne glitt ein Containerschiff vorüber, das aussah wie ein Hochhaus mit Festbeleuchtung. Im Osten der Insel befand sich die Schifffahrtsrinne in Richtung Elbe. Die Verbindung in den Hamburger Hafen war seit Jahrhunderten ein wichtiger Wasserweg, um diesen zu sichern, hatten die Senatoren vor über 700 Jahren diesen Turm gebaut. Lange bevor er ein Leuchtturm wurde, diente er der Überwachung der Nordsee. Vielleicht hatten genau hier, von der Fensterbank, wo Rike saß, Wachmannschaften nach feindlichen Piraten Ausschau gehalten. Damals waren die Öffnungen noch nicht verglast, die Männer Wind und Wetter ausgesetzt, allerdings stand damals bestimmt auch noch keine derart spießige Einrichtung im Raum. Sie hatte zweimal nachgefragt, ob das wirklich die Schlafräume der Senatoren waren. Die Einrichtung bestand aus einfachen Holzmöbeln, jede freie Fläche schien mit Blümchenstoff bedeckt zu sein, vor dem Fenster hingen Blümchenvorhänge, Blümchenkissen bedeckten die Fensterbank und natürlich zierten auch die Bettwäsche rosafarbene Rosen. Das Dekor stand so im Gegensatz zu dem Todesfall, den sie aufzuklären hatte. Wie gerne wäre sie jetzt eine ganz normale Urlauberin. Prinz hätte die Spaziergänge auf dem Deich genossen und wäre durch das Watt getollt. Langsam bürstete sie ihre langen, lockigen blonden Haare, die sie am Tag immer streng hochgesteckt hatte.

Dieser Fall war deprimierend und beängstigend, und das auch noch nach Jahren bei der Mordkommission. Diese grausame Art der Tötung, die so gar nicht in diese Naturidylle passte und diese Insel inmitten der tosenden Naturgewalten zusätzlich bedrohlich machte. Rike dachte an Karl Roth und dessen Erwartung, dass sie den Mörder auf der kleinen Insel schnell finden würde, sie hoffte, dass sie seinen Erwartungen gerecht werden konnte. Sie hatte alle Gespräche, die sie geführt hatte, zusammengefasst und wollte nochmals alle Informationen durchgehen. Vielleicht ergab sich mit etwas zeitlichem Abstand irgendein Ansatzpunkt.

Es war häufiger so, dass die Angehörigen ein Mordopfer als Menschen ohne Fehl und Tadel darstellten, dem niemand etwas Böses gewollt haben könnte. Auch die Tochter des Opfers, Barbara Hein, hatte das Offensichtliche zunächst nicht glauben wollen, dass ihr Vater durch einen Mord ums Leben gekommen war, dieser bei allen so beliebte Inselkaufmann, der sieben Tage in der Woche für seine Kunden da war.

Nur konnte man in diesem Fall ausschließen, dass er durch einen Unfall ums Leben gekommen war. Barbara Hein hatte ihren Ex-Mann als einzig möglichen Verdächtigen genannt, allerdings lebten die beiden gerade in Scheidung.

Von Anfang an hatte Hein seinen Schwiegersohn nicht gemocht und mit seiner Meinung nicht gerade hinter dem Berg gehalten, das hatte ihr der Ortsvorsteher verraten. Nach der Trennung hatte er Cors auch wirtschaftlich das Wasser abgraben wollen, indem er in seinem Inselladen auch Bernsteinschmuck und allerlei Modeartikel ins Sortiment aufnahm und diese stets günstiger anbot als der kleine Laden im Leuchtturm.

Natürlich war Cors empört über dessen Geschäftsgebaren. Das hatte er offen eingeräumt, als sie ihn in seinem Laden im Leuchtturm aufgesucht hatte. Er hatte jedoch ein wasserdichtes Alibi für den ganzen Abend. Denn er war auch nach der Trennung von seiner Frau Mitglied der Inselfeuerwehr geblieben, und an dem Abend hatten sich vier Kameraden im Feuerwehrschuppen getroffen und das Rettungsboot repariert. Auf der Insel kannte nicht nur jeder jeden, es gab auch ein komplexes Beziehungsnetzwerk, wer mit wem in der Feuerwehr, im Leuchtturmverein war oder miteinander die Schulbank gedrückt hatte. Dazu kamen Liebschaften, Exliebschaften, Ehen zwischen den Familien und Ex-Ehen. Sie mussten morgen nochmals bei den Freunden des Kaufmanns nachhaken, um sich ein besseres Bild von ihm zu machen. Der Inselbürgermeister Kai-Uwe König war offenbar seit früher Jugend mit ihm befreundet ebenso wie der Sänger Jo Prell.

Der Alte, der immer mit seinem Fernglas im Rollstuhl auf dem Platz vor dem Leuchtturm saß, hatte auf Plattdeutsch gekrächzt: »Bagaluten, Bagaluten, de Hein. Dat hat so kommen müssen.« Etwas Konkretes ließ er sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht entlocken. Aber Rike hatte erfahren, dass Bagaluten auf Plattdeutsch Bösewichte bedeutete. Allzu viel wollte sie jedoch darauf nicht geben, denn der alte Herr schien doch reichlich verwirrt zu sein, wenn man seinem Gerede lauschte.

Rike seufzte, als sie ihren Computer verstaute.

Nachdem der Tote mit der »Libelle« in die Gerichtsmedizin geflogen worden war, hatte sich das Team im Ratssaal des Leuchtturms versammelt und seine bisherigen Erkenntnisse ausgewertet. Viele Ansatzpunkte hatten sie nicht. Sie hatten weder ein Mobiltelefon des Opfers gefunden noch hatte die Auswertung der in der Funkzelle benutzten Mobiltelefone brauchbare Hinweise ergeben. Ihr war dann noch eine Aussage eingefallen, die sie noch nicht aufgeschrieben hatte, weil Heins Tochter dies erst erwähnt hatte, als sie die Vernehmung eigentlich schon abgeschlossen hatte und gerade gehen wollte. Diese Margo, die Rezeptionistin im Leuchtturm, sollte sich an den Kaufmann herangemacht haben. Wie lange war die nochmal auf der Insel? Die Tochter hatte sie im Verdacht, den Alten beerben zu wollen. Rike nahm sich vor, die Wirtin schnellstmöglich zu befragen, denn sie war die nächste Nachbarin des Opfers gewesen.

 

Kapitel 8

Margo glaubte sich noch mitten in ihrem Traum, dann schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Es klopfte leise an ihre Tür, nach einem Moment Stille ging das Klopfen weiter.

Schlaftrunken torkelte sie der schweren Eichentür entgegen. Als sie einen Spalt geöffnet hatte und den stechenden Schmerz im Handgelenk fühlte, dachte sie an die Ereignisse vom Vortag.

Da sah sie Paul und wollte die Tür sofort wieder zudrücken. »Rezeption geschlossen«, murmelte sie. Da hielt er den Bilderrahmen mit dem Foto hoch, den sie vermisst hatte.

»Gehört dir das vielleicht?«

»Wo haben Sie das her?«, fragte sie ärgerlich und nahm ihm den Rahmen mit der unverletzten Hand ab.

»Als Archäologe finde ich so einiges.«

»Haben Sie immer so eine zuvorkommende Art wie vorhin?«

»Wir waren doch beim Du«, antwortete Paul.

»Ach ja, und das gibt Ihnen das Recht, mich umzurennen wie ein Irrer?«, fragte Margo wütend.

»Umrennen gehört nicht zu meinem Flirtrepertoire«, parierte Paul.

Entweder wusste er nicht, worauf sie anspielte, oder er konnte es gut verbergen. Sicher war sie sich nicht über die Identität des Schattenmanns. Einen Mitwisser wollte sie allerdings auch nicht für ihren Ausflug haben. Wie sollte sie erklären, was sie einen Tag nach dem Mord im Haus des Toten gesucht hatte?

Aber was wollte der Mann um ein Uhr nachts an ihrer Zimmertür?

»Und nächtliche Zimmerbesuche gehören sehr wohl zu Ihrem Flirtrepertoire? Da muss ich Sie bei den Erfolgsaussichten aber leider enttäuschen«, beschied ihm Margo kühl.

Paul zögerte. »Tut mir leid, Frau Wirtin. Ich habe eine Bitte und konnte nicht bis morgen warten. Ich würde gerne ein paar Papiere von dir aufbewahren lassen, falls das möglich wäre. Das darf auf keinen Fall in die falschen Hände kommen. Damit meine ich auch eine gewisse Dame, die im Hause logiert.« Er zeigte nach oben in Richtung Senatsetage, wo die Polizisten untergebracht waren.

Margo wurde hellhörig: »Warum sollte sich diese Dame für Ihre Papiere interessieren?«

»Nun ja, wegen Hein …«, stammelte Paul. »Ich stehe schon seit Jahren mit ihm im Kontakt. Er war ein Sammler seltener Urkunden und Karten und hat mir Material verkauft.«

»Und dabei ist etwas schief gelaufen, und er ist ums Leben gekommen?«, fragte Margo ihn provokativ.

Paul sah sie entsetzt an. »Das denkst du doch nicht wirklich, dass ich einen Menschen auf dem Gewissen habe? Wir haben miteinander Geschäfte gemacht, das war alles.«

So richtig konnte sich Margo auch nicht vorstellen, dass er ein Mörder war. Warum sollte er den Inselkaufmann wegen irgendwelcher alter Papiere, so spektakulär diese auch sein mochten, umbringen? Allerdings hatte er ihre Nachfrage geschickt umgangen.

»Also nochmal: Was sind das für Unterlagen? Ich werde ja nicht selbstgedruckte 500er oder Heins Testament verstecken und die Insel per Heli in Handschellen verlassen?«

»Och, das sind also … ähm … ein paar historische Dokumente für meine Mittelaltervorlesung.«

Jetzt riss Margo der Geduldsfaden. Für wie dämlich hielt er sie eigentlich, dieser Typ, der mit Mitte 40 immer noch den großen Jungen gab und seinen Charme für unwiderstehlich hielt. Natürlich hatte sie ihn amüsant gefunden, als er mit seinem trockenen norddeutschen Humor über seine Reisen zu Ausgrabungsstätten sprach und berichtete, über welche Umwege er manchmal an sein Ziel kam. Aber ansonsten hatte sie gerade genug von Männern, die in erster Linie sich selbst liebten.

»Dann brauche ich ja nichts zu verstecken. Die gänzlich unspektakulären historischen Dokumente für die Mittelaltervorlesung, typisches Skandalthema auf Seite 1 der ›Bildzeitung‹, sind für die Polizei sowieso völlig irrelevant.«

»So unspektakulär sind sie nun auch wieder nicht«, sagte Paul zerknirscht. »Wenn sich das als echt erweist, wäre es eine wissenschaftliche Sensation. Das wäre eine Riesenchance für mich, einen Lehrstuhl zu bekommen.«

Misstrauisch hakte Margo nochmals nach: »Und worum geht es dabei?«

Paul zögerte: »Das muss aber streng geheim bleiben. Ich sage nur ›Störtebeker und seine Zeit auf Neuwerk‹.« Dann wurde er nachdenklich und fragte sie:

»Im Übrigen: Was willst du eigentlich mit dem Foto?«

Touché, dachte Margo. Aber er wäre der Letzte, den sie in ihre persönlichen Probleme einweihen würde. Ein Glas zu viel an der Bar und ein tiefer Blick der Adelszicke, und der würde wahrscheinlich alles brühwarm weitererzählen. Wenn die Frau nicht immer so verkniffen wäre, würden Männer die große Blondine sicher attraktiv finden. Auf jeden Fall wollte sie es nicht darauf ankommen lassen, Paul einzuweihen, lieber wollte sie seine Papiere verstecken. Dann könnte sie immer noch selbst einen Blick darauf werfen und später entscheiden.

»Okay, es gibt eine geheime Tür im Keller, die in eine Art unterirdisches Labyrinth führt. Das waren einmal Fluchtwege für die Turmbesatzung im Fall eines Angriffs. Dort können Sie die Dokumente ablegen.«

Paul drängte, das umgehend zu tun, und fragte nochmals: »Auf dem Bild, sind das nicht Hein und seine Jugendfreunde? Das habe ich übrigens vor der Rezeption auf dem Boden gefunden, es gehört dir doch?«

Margo überlegte kurz, ihn in das Labyrinth einzuschließen, allerdings hätte sie sich dann wohl verdächtig gemacht, und sagte resigniert: »Dann wollen wir mal in die Unterwelt hinabsteigen.«

*** Das kleine Holzschiff mit der Kerze schaukelte auf den Wellen, bis die ablandige Strömung seinen Rumpf umschlang und das Licht immer kleiner wurde. Einen Moment tanzte es noch auf den Wellenkämmen, während es vom auflaufenden Wasser in die Unendlichkeit des offenen Meeres getrieben wurde. Die drei Männer standen bewegungslos und still am Ufer und sahen dem Flackern hinterher, bis es nur noch ein ganz kleiner leuchtender Punkt war, der sich schnell gen Norden bewegte. Keiner sagte ein Wort. Sie sahen dem Licht noch nach, bis es außer Sichtweite war. Dann griff einer der drei Gefährten zu seiner Gitarre und stimmte ein Lied an, in das die beiden anderen brummend einfielen.

My boat’s by the tower, and my bark’s on the bay,

and both must be gone at the dawn of the day.

The moon’s in her shroud, and to light thee afar

On the deck of the daring’s a lovelighted star.

So wake, lady wake, I am waiting for thee,

Oh, this night or never my bride thou shalt be,

So wake, lady wake, I am waiting for thee,

Oh, this night or never my bride thou shalt be.

»Du warst unser Bruder, leb wohl«, sagte einer der beiden kleineren Männer, der bis dahin geschwiegen hatte. Alle drei senkten ihre Köpfe und blieben für eine Weile stehen. »Jetzt sind nur noch wir drei übrig«, sagte der Dritte. Schweigend umarmten sie sich, und ihre Schatten verschwanden in der Dunkelheit.

Kapitel 9

Margo stand ruckartig von ihrem Stuhl im Frühstücksraum auf und schloss das Fenster. Draußen hob sich der dichte milchige Morgennebel nur langsam.

»Ich wüsste nicht, was Sie mein Privatleben angeht«, sagte sie schnippisch. »Oder soll das ein Verhör werden?« Irgendjemand hatte dieser Adelszicke etwas von ihrem Treffen mit Hein gesteckt. Wahrscheinlich dessen hysterische Tochter, vielleicht war es auch Paul, den sie einmal nach einem Besuch bei ihrem Nachbarn getroffen hatte und der sie voller Neugier gefragt hatte, ob sie mit Peter Hein befreundet sei. Sie fragte sich noch immer, ob er es war, dem sie im Dunkeln begegnet war. Ob er ihr nachspionierte? Sie glaubte nach ihrem nächtlichen Gespräch aber nicht, dass er sie bei der Polizei anschwärzen würde. Ganz klar, die tappten bei ihren Ermittlungen komplett im Dunkeln und suchten nun krampfhaft einen Verdächtigen. Sie wollte sie nur ganz informell als Zeugin vernehmen. Statt sie in die Rats­etage zu einer förmlichen Vernehmung einzuladen, hatte die Kommissarin sie am Frühstücksbüffet überrascht und sie gebeten, am Tisch ihr gegenüber Platz zu nehmen. Das war wahrscheinlich deren persönliche Taktik.

»Praktisch, so ein Sugar-Daddy, dann muss man keine Betten mehr machen, um seine Miete zu bezahlen«, sagte die Kommissarin spitz. Heute schien die Gute sogar Reißzwecken gefrühstückt zu haben. Vielleicht sollte sie ihr mal einen Hanftee kochen, damit sich die Dame etwas entspannen konnte.

Margo ließ einen kurzen verächtlichen Zischlaut hören, dann besann sie sich, ging zum Büffet zurück und begann, die Schälchen mit Konfitüren zu füllen. Das war doch ein ziemlich durchsichtiger Trick, um sie zu provozieren. »Sehr praktisch, ganz genau. Sie scheinen ja beste Erfahrungen zu haben mit Sugar-Daddys.« Sie lächelte kühl. »Aber mit einem Familienschloss im Hintergrund muss man sich ja über so etwas keine Gedanken machen«, giftete Margo zurück.

Die von Menkendorf schwieg, die Lippen zusammengepresst. Hatte sie einen wunden Punkt erwischt, obwohl sie einfach nur ihrer Fantasie mit ein paar Adelsklischees freien Lauf gelassen hatte? Die Dame kam also wirklich aus einem Schloss, wollte dies aber unter allen Umständen geheim halten, vermutete Margo.

»Wie nah standen Sie dem Opfer, hatten Sie eine Liebesbeziehung?«, wechselte die Polizistin abrupt das Thema.

Margo war sonst selten um eine Antwort verlegen, doch von dieser Frage so verblüfft, dass sie plötzlich in der Bewegung stoppte und der Tellerstapel, den sie gerade auf das Büffet stellen wollte, ihr aus der Hand glitt und klirrend zu Bruch ging. Wütend fegte sie die Scherben mit einem Handfeger in einen Eimer, dessen Inhalt sie dann geräuschvoll in einen Müllsack pfefferte.

Das grenzte an üble Nachrede, sie fragte sich, ob sich das die Menkendorf ausgedacht hatte oder jemand von der Insel? Sie ging nochmals zum Tisch zurück, an dem diese noch immer saß und in ihren Laptop tippte. »Was wollen Sie eigentlich von mir? Glauben Sie, dass ich einen Menschen hinrichten könnte?«

Dann ging sie zurück in die Küche, um den Käseteller zu holen, und spürte die Blicke der Kommissarin im Rücken. »Ich muss dann mal wieder an die Arbeit. Danke noch für das erhellende Gespräch und weiter gute Erholung auf Neuwerk.« Diese Spitze konnte sie sich nicht verkneifen. Kurz hatte sie überlegt, ob sie etwas von dem nächtlichen Besuch von Paul und dem Schattenmann erzählen sollte. Aber warum sollte sie der aufgeblasenen Schlossherrin ihre Arbeit abnehmen? Außerdem hätte sie sich damit sogar noch verdächtiger gemacht.