Rein in die Führung

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Was einfache Regelungen bewirken

In Indien gibt es beispielsweise eine Schule, die nur eine bestimmte Haltung von Lehrern und Schülern verlangt. Wenn alle diese Haltung verinnerlichen, dann braucht das Miteinander kaum noch andere Regeln und Prozesse. Diese Einstellung, zu der sich jeder bekennen muss, der an dieser Schule sein möchte, heißt: »Wir lernen, um anderen zu helfen.« Diese Schule hat inzwischen einen enormen Zulauf. Die Einigkeit in der übergeordneten Haltung macht ein starres darunterliegendes System überflüssig.

Dieser Grundsatz ist allerdings nicht flexibel handhabbar. Wer dem System beitritt, akzeptiert das. Übertragen auf ein Unternehmen bedeutet das, dass nur jene Menschen an Bord genommen werden, die in die Unternehmenskultur passen. Kommt es bei aller Unterschiedlichkeit im Denken und Handeln zu Unterschieden in der grundsätzlichen Haltung, dann wird man in der Regel versuchen, diese Einigkeit über starre Regeln und Prozesse wieder herbeizuführen. Dass das nicht gelingen kann, haben Sie sicher schon an vielen Stellen selbst erfahren.

Fokussierung statt Konzentration

Planungen schränken darüber hinaus immer den Blickwinkel ein. Mit der Konzentration auf bestimmte Ziele lasse ich andere außer Acht. Ich treffe Annahmen über meine Erwartungen, die meine Aufmerksamkeit genau auf diese Aspekte lenken. Aufgrund dieser Erwartungen werden gelenkte Entscheidungen getroffen. Erwartungen schaffen genauso viele Probleme wie Pläne und Ziele. Das macht es eben so schwierig, achtsam zu handeln, wenn man zu sehr mit Plänen und Zielen beschäftigt ist. Deswegen unterscheiden wir hier so genau zwischen Konzentration und Fokussierung. Eine Fokussierung ermöglicht immer noch den Seitenblick – eine Konzentration nicht.

Ziele flexibel gestalten

Ziele schaffen Erwartungen und Erwartungen mobilisieren die Energie, seine Ziele zu erreichen. Durch die Konzentration auf das Erreichen des Ziels und die stetig steigende Erwartungshaltung wird häufig viel Energie und damit auch Hoffnung gebunden. Die Wahrnehmung ist oft sehr eingeschränkt und enttäuschte Gefühle sind fast unvermeidbar. Die meisten Ziele gehen nicht genau so in Erfüllung, wie man es sich vorgenommen hat: weder im Unternehmen noch im Leben. Es gibt immer Abstriche, Kompromisse und Ergänzungen. Das ist auch in Ordnung und manchmal sogar noch besser als das ursprüngliche Ziel. Doch viele von uns nehmen diese Abweichungen eher als Abstrich oder Zugeständnis wahr und sehen darin eben nicht eine viel bessere Lösung für das ursprüngliche Problem.

Zufällige Ziele: ein Geschenk

Sich über alles zu freuen, was gelingt, unabhängig davon, ob es nun in meinem Zielkorridor war oder nicht – das ist eine Haltung, die viel mehr Erfolg verspricht. Auch Ziele, die Sie sich nicht bewusst gesetzt und quasi nebenbei erreicht haben, machen den Erfolg aus. Viele bahnbrechende Erfindungen sind rein zufällig entstanden. Denken Sie zum Beispiel an die Entdeckung der Röntgenstrahlen, die aus purem Zufall gelang, oder an die Erfindung des Penicillins, die im Grunde nur das Ergebnis von Faulheit war: Weil die Reinigung einer Petrischale vergessen wurde, konnte der Pilz wachsen.

Achtsamkeit als Indikator für Veränderungen

Wenn wir uns auf ein Ziel konzentrieren, gibt uns das das Gefühl, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Wir glauben, einen Prozess genau zu kennen und die Parameter so einstellen zu können, dass wir erfolgreich sind. Das kann auch gelingen. Es klappt aber nicht immer. Denn wir verlieren den Fokus, also die Achtsamkeit gegenüber den Dingen, die sich entweder verändern, mehr Gewicht bekommen oder deren Wirkung nachlässt. Weick (2003) formuliert das so:

»Achtsamkeit gründet in der Erkenntnis, dass Wissen und Unwissenheit gemeinsam wachsen. Wenn das eine zunimmt, nimmt auch das andere zu. Achtsame Menschen akzeptieren die Tatsache ihrer eigenen Unwissenheit und geben sich große Mühe, ihre Lücken aufzudecken, weil sie sehr wohl wissen, dass jede neue Antwort eine Vielzahl von Fragen aufwirft.«

Mit unliebsamen Informationen umgehen

Weick empfiehlt, sich nicht auf der sicheren Seite zu fühlen – sich also nicht auf die gefühlte Kontrolle zu verlassen –, sondern immer offen für neue Informationen zu bleiben. Das gilt insbesondere für die Informationen, die man eigentlich gar nicht so gerne hören will: die Dinge, die man bisher für irrelevant gehalten hat, unangenehme Dinge, ungewisse Dinge, implizite Schlüsse oder Widersprüchlichkeiten. Die Fähigkeit, diese unliebsamen Dinge auszublenden, schützt uns nicht davor, dass sie eintreten und berücksichtigt werden müssen. Beziehen wir sie von vorneherein mit ein und widmen ihnen beständig einen Teil unserer Aufmerksamkeit, dann fällt es leichter, flexibel zu agieren und den Handlungskorridor so zu öffnen, dass diese Dinge in unsere Entscheidungen mit einfließen können.

Eine gute Achtsamkeit öffnet außerdem die Wahrnehmung für positive Ereignisse. Möglicherweise habe ich in meinen Prozessen sehr viele Sicherheitsschleifen eingebaut, die ich so gar nicht brauche. Oder – um ein konkretes Beispiel zu nennen – es werden in langen Exceltabellen Zahlen produziert, die niemand nachfragt und mit denen nicht wesentlich weitergearbeitet wird. Achtsamkeit und die Fähigkeit, über den Prozess hinaus denken zu können, lassen uns bis dahin unberücksichtigte Dinge entdecken, die nun eine hohe Wirkung entfalten können.

Die ideale Flexibilität

Flexibilität ist ein sehr wichtiger Wert, der Führung erfolgreich machen kann. Sie ist jedoch kein Wert an sich, der unabhängig von anderen Werten ein System erfolgreich führt. Flexibilität auf der Basis von starken Annahmen und in verantwortlichen Grenzen scheint das zu sein, was Unternehmen in ihrer Kultur anstreben können.

Es ist sehr wichtig, in seinem Denken immer flexibel zu bleiben. Hilfreich sind Perspektivwechsel, antizipierende Betrachtungen und die Fähigkeit, Erfahrungen aus der Vergangenheit modifizieren und zukunftsfähig machen zu können. Das sollte immer von einer Erkenntnis geleitet sein: Es gibt ohnehin nicht die richtige Entscheidung und was heute wichtig und richtig erscheint, kann morgen ganz anders aussehen. Aber für diese neuen Probleme suchen wir dann morgen die geeignete Lösung.

Veränderung als Chance

Veränderungen fordern von uns, immer wieder Abschied zu nehmen und mutig einen neuen Weg zu beginnen. Das muss keineswegs radikal sein. Im Grunde genommen verabschieden wir uns fast täglich von etwas und bauen etwas Neues auf. Eine bewährte Verkaufsstrategie funktioniert nicht mehr, die Lizenz für ein Produkt läuft aus, neue Technologien erschließen neue Märkte und Vertriebswege, neue Mitarbeiter bringen neuen Wind in das Unternehmen, bewährte Mitarbeiter verlassen das Unternehmen, neue Qualitätsvorschriften kommen auf den Tisch – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Kein Tag, an dem sich nichts verändert oder weiterentwickelt. Die meisten Veränderungen erleben wir nicht dramatisch, sondern wir wenden intuitiv ein bestimmtes Schema an: nachdenken, Möglichkeiten suchen, auswählen und weiter geht es. Jedem Anfang geht ein Ende voraus. Es ist ein ständiger Neubeginn: Jede Tasse Kaffee ist eine neue, jeder Golfball, unabhängig vom Ball zuvor, jedes neue Produkt eröffnet neue Chancen …

Strategie 2: Energie –
Kraft an der richtigen Stelle einsetzen

Energiebilanz beachten!

Wenn Sie gerne arbeiten, erfolgreich sind und immer wieder neue Ideen und Projekte haben, dann scheint Ihnen die Energie nie auszugehen. Durch den Spaß beim Arbeiten tanken Sie einen Teil von dem, was Sie verbrauchen, wieder auf. Da stimmt die Energiebilanz. Erfolg zeigt sich vor allem dann, wenn die Energie an richtiger Stelle eingesetzt wird. Welche Projekte treiben Sie mit viel Energie voran? Welche laufen einfach mit, werden aber von Ihnen nicht besonders gepusht? Hier genau zu differenzieren hilft uns, bei einer guten Energiebilanz zu bleiben. Geben Sie kontinuierlich mehr Energie hinein, als Sie zurückbekommen, kann es schwierig werden. Was auch nicht funktioniert: sich im Job leer fahren und hoffen, dass das Privatleben diese negative Energiebilanz wieder ausgleichen kann. Der folgende Abschnitt zeigt, was uns energetisiert, wie die Kraft eingesetzt werden sollte und wie die Energiebilanz im positiven Bereich gehalten werden kann.

Wir widmen uns auf den nächsten Seiten diesen drei Themen:

Energie 1: Leidenschaft, Freude und Neugier

Energie 2: Experimentier- und Risikofreude

Energie 3: Bodenhaftung

Energie 1: Leidenschaft, Freude und Neugier

Die zentralen Faktoren: Freude, Leidenschaft …

Erfolg ist die Frucht von harter Arbeit und Disziplin. Hart und diszipliniert zu arbeiten, kostet sehr viel Energie, wenn Freude und Leidenschaft fehlen. Arbeiten Sie gerne, dann gewinnen Sie sofort Energie zurück. Und die Chance, erfolgreich zu sein, steigt.

Sicher kann man einwenden, dass es auch Menschen gibt, die furchtbar schlecht Klavier spielen, es aber sehr gerne tun. Wir setzen hier aber einfach einmal voraus, dass die Kompetenz selbstverständlich vorhanden ist. Das Können ist die Basis, um Freude zu entwickeln. Aus Nicht-Könnern wird kein Meister, auch nicht mit einer großen Portion Leidenschaft – das Ergebnis ist eher eine Plage für die Ohren der Mitmenschen.

… und Neugier

Leidenschaft, Freude und Neugier erzeugen das nötige Feuer, um die Kompetenz so einzusetzen, dass ein Unternehmen erfolgreich geführt werden kann, Motivation entsteht und sich Menschen gut aufgehoben fühlen. Manchmal ist es ja so, dass Berufe aus »Vernunftgründen« ergriffen werden. Da studiert jemand Betriebswirtschaft, obwohl ihn die Psychologie begeistert. Oder er wird Jurist, obwohl er schon als Kind die Mäuse in den Hosentaschen mit sich herumtrug.

 

Leidenschaft, Freude und Neugier sind die Faktoren, mit denen erfolgreiche Menschen an das Leben herangehen. Mit Leidenschaft denkt man gerne an alles und widmet sich mit voller Energie den Projekten. Niemand muss Sie darauf hinweisen, wo die wesentlichen Punkte sind, für die Sie Energie bereitstellen sollen. Sie können diese Punkte nur erkennen, wenn Sie sehr offen bleiben, neugierig sind und sich nicht durch Standardskripte leiten lassen.

Skripte steuern unser Tun

Die Funktion von »Drehbüchern«

Psychologen gehen davon aus, dass wir für alle Situationen im Leben so etwas wie ein Skript, also ein Drehbuch, anfertigen. Wir lernen neue Situationen kennen und schreiben dann innerlich ein solches Skript. Kommen wir wieder in diese Situation, dann wissen wir schon, wie wir uns zu verhalten haben. Fatal, wenn es dann einmal anders läuft.

So haben wir beispielsweise alle ein Skript dafür, wie ein effektives Teammeeting zu gestalten ist. Manche Manager laufen nur noch von Meeting zu Meeting und versuchen, in den Folgemeetings die Arbeitsaufträge der vorherigen Konferenzen zu erledigen. Damit stören sie wahrscheinlich die Skripte der anderen Beteiligten, die sich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wünschen. Für diese spezielle Situation existieren unterschiedliche Skripte. Hier eine kleine Auswahl:

A: In einem Meeting begegnen wir uns mit ungeteilter Aufmerksamkeit für jedes Thema, wir diskutieren sachlich und treffen Entscheidungen am besten einheitlich.

B: In einem Meeting kann ich, wenn es um für mich uninteressante Themen geht, andere Aufträge erledigen. Wenn die anderen diskutieren, höre ich manchmal zu und enthalte mich grundsätzlich lieber bei Entscheidungen.

C: In einem Meeting diskutieren wir die Dinge lange und ausführlich, um eine tragfähige Analyse zu erhalten. Entschieden wird im Anschluss an anderer Stelle. Das ist nicht unsere Aufgabe.

Das ideale Skript? Das eigene!

In allen Fällen werden wir mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert, die zu Konflikten führen können. Skripte helfen uns, die Welt zu verstehen. Sie helfen uns, uns zurechtzufinden und nicht jedes Mal die Abläufe neu verstehen zu müssen. Das Interessante daran ist, dass wir unsere Skripte für völlig natürlich halten. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Richtig spannend wird es dann, wenn Menschen selbstverständlich davon ausgehen, die anderen Personen hätten das gleiche Skript verinnerlicht. Sie erleben diese anderen als unhöflich, wenn sie sich nicht so verhalten, wie sie es von ihnen erwarten.

Neugierig bleiben und gut beobachten

Neugierig auf kulturelle Unterschiede?

Verlassen wir unsere Kultur, kann es sein, dass unser Verhalten plötzlich auffällt. Werden Sie beispielsweise in Indien von einem Geschäftspartner nach Hause eingeladen und entschließen sich, der Dame des Hauses einen Strauß Blumen mitzubringen, dann verhalten Sie sich wahrscheinlich klassisch deutsch: Sie packen vor der Tür die Blumen aus und wenn Sie die Dame sehen, gehen Sie auf sie zu und drücken ihr mit ein paar freundlichen Worten die Blumen in die Hand. Trotz perfekter deutscher Verhaltensweise sind Sie nun schon unangenehm aufgefallen. In Indien ist es deutlich höflicher, die Blumen verpackt zu lassen und sie einfach unauffällig auf einem Nebentisch abzulegen. Schlecht gelaufen, könnten Sie sagen oder auch: nicht neugierig genug gewesen. Kulturen kann man durch genaues Beobachten sehr gut erschließen. Wenn Sie als souveräner deutscher Geschäftsmann in ein fremdes Land fahren und ihre deutschen Skripte verwenden, dann erreichen Sie wahrscheinlich nicht viel. Neben allem sachlichen Know-how ist es maßgeblich für den Erfolg, neugierig und offen zu bleiben, Freude am Erkennen des anderen zu entwickeln und so zu neuen Skripten über das geschäftliche Miteinander zu kommen.

Skript ist nicht gleich Skript

Aber wir müssen gar nicht Tausende Kilometer fliegen, um auf andere Skripte zu stoßen. Vermutlich gehen viele Menschen davon aus, dass in unserer Kultur ein hohes Maß an Einverständnis darüber besteht, welche Skripte wann zu nutzen sind. Aber das trifft so nicht zu, weil unsere Skripte so unterschiedlich sind. Wenn wir von unseren eigenen Selbstverständlichkeiten ausgehen, erkennen wir kaum, wie der andere »tickt«. Ohne neugierig zu sein, können wir deswegen viel weniger erreichen.

Bestätigung vs. Infragestellung

Viele Erwartungen werden bestätigt, weil sie schon ein Extrakt aus unseren Erfahrungen sind. Interessanterweise sind wir sehr großzügig, wenn es darum geht, Erfahrungen zu bestätigen – auch wenn es dafür nötig sein sollte, Realitäten umzudeuten. Das sind relativ feste Konzepte in der Persönlichkeit und in der Wahrnehmung. Deutlich neugieriger und damit flexibler sind Menschen, die diese Konzepte immer wieder aktiv infrage stellen.

In einer entspannten Situation ist alles oft noch im grünen Bereich. Spannend wird es, wenn Druck aufkommt. Dann handeln die meisten Menschen in fast neurotischer Art und Weise skriptkonform und es kommt zu Konflikten, Unfällen oder anderen schwerwiegenden Ereignissen. Flexibel sind die meisten von uns nicht mehr. Erinnern Sie die Feuerwehrleute? Nachdem sie einmal gelernt hatten, wie sie mit den richtigen Tools umgehen mussten, haben sie die Fähigkeit verloren, diese Tools abzulegen und sich selbst zu retten. Sie waren sicher bis zum Schluss davon überzeugt, dass nur ihre Tools sie retten können.

Gefährliches skriptkonformes Verhalten

In vielen Bereichen gibt es Beispiele für unflexibles, skriptkonformes Handeln, das zu Katastrophen führen kann. Viele kommen aus der Flugsicherung. Wenn ein Offizier auf einem Flugzeugträger davon überzeugt ist, dass eine kleine überflüssige Schraube auf dem Deck keine große Sache ist – eben nur eine kleine Schraube –, dann lässt er sie achtlos liegen und handelt skriptkonform. Er erwartet keinen Unfall und kümmert sich nicht um die kleine Schraube. Wenn diese Schraube später aber in einen Jetmotor kommt und das zu einer Explosion führt, dann ist das keine kleine Sache mehr und der Offizier hat hoffentlich etwas gelernt. Im schlechtesten Fall wird er andere Gründe für die Explosion anführen, um sein Skript: »Eine Schraube ist keine große Sache« zu verifizieren.

Flexibilität und Lernbereitschaft gefragt

In sicherheitsrelevanten Bereichen, in denen man gut beobachten kann, was welche Auswirkungen hat, sind Menschen häufig sehr flexibel und lernfähig. Sie behalten den offenen Fokus und damit die Neugier auf optimale Prozesse. In vielen Bereichen des Managements ist das anders. Hier gibt es oft nur Hypothesen darüber, was das Unternehmen zum Erfolg geführt hat. Realitäten können hier viel einfacher und länger ausgeblendet werden.

Sie merken schon, wir sind wieder bei dem Thema »Flexibilität im Denken und Handeln« angelangt. Mit viel Neugier bleibt man eher flexibel. Und das macht eine Menge aus. Es gibt die Kraft, die Dinge immer wieder neu zu betrachten und immer weiter dazuzulernen. Auch das wurde im Golftraining schon erkannt: Eine gute Performance hängt davon ab, ob ein Lernen mit Spaß stattfindet. Sonst geht sie merklich zurück – denken Sie an das Call-Center-Beispiel.

Gefühlte Kontrolle

Kontrolle: meistens eine Illusion

Wenn wir etwas gerne tun, spielt sich oft Folgendes ab: Wir arbeiten unter Einsatz unserer Kompetenz an der Grenze zur Überforderung, haben aber die Dinge »gefühlt« immer noch unter Kontrolle. Ich spreche hier deshalb von gefühlter Kontrolle, da es nicht viel im Leben gibt, was wir tatsächlich kontrollieren können – auch wenn wir uns das sehr wünschen und Tools nutzen, die uns das Gefühl geben, es wäre so. Ein kleiner Ausflug in das Thema Kontrolle?

Gehirnforscher stellen heutzutage immer wieder die Autonomie des Menschen infrage. Wolf Singer drückt es beispielsweise so aus: »Keiner kann anders, als er ist. Verschaltungen legen uns fest: Wir sollen aufhören, von Freiheit zu reden.« Bei Gerald Hüther hört sich das so an: »Wir tun nicht, was wir wollen, wir wollen, was wir tun.« Auch nett. Und damit stößt er uns unsanft aus dem Paradies des Managements – aus dem Gefühl, Komplexität kontrollieren zu können. Wir werden offensichtlich viel stärker durch unsere eigene Hard- und Software gesteuert, als uns lieb ist.

Die wahren Entscheidungsebenen

Sie entscheiden sich beispielsweise, eine Tasse Kaffee zu trinken. Das ist Ihre eigene Entscheidung – glauben Sie. Hirnforscher sehen das anders. Ihre Entscheidung wird Ihnen erst am Schluss des Prozesses bewusst. Wenn Sie denken: »Ich möchte gerne eine Tasse Kaffee trinken«, dann ist der Entscheidungsprozess bereits gelaufen. Abgeschlossen. Völlig ohne Ihren bewussten Einfluss. Befremdlich, aber wahr. Gerade bei lustverschaffenden Dingen im Leben läuft der Entscheidungsprozess auf einer anderen Ebene. Keinesfalls bewusst. Also wollen wir das, was andere neuronale Ebenen für uns längst entschieden haben, und nicht umgekehrt: Wir wollen eben, was wir tun. Wir entschließen uns nicht aktiv dazu.

Aber es gibt doch die Erfahrung, frei wählen zu können – oder? Ja und nein. Das Gefühl existiert schon, denn letztendlich lebt es uns und nicht wir das Leben. Staunen und Dankbarkeit liegen hier näher als der Wunsch nach Kontrolle.

Wo waren wir stehen geblieben? Bei Leidenschaft, Freude und Energie. Nun, da Sie wissen, es lebt Sie und die Entscheidungen werden zum großen Teil in anderen Instanzen getroffen (die Sie nicht im Griff haben), können Sie sich doch ganz frei fühlen und das Leben genießen, oder? Genießen Sie auch Ihre Arbeit und trifft Ihre Kompetenz am oberen Limit auf die Aufgaben, dann fühlen Sie eine positive Herausforderung und sind in dem Bereich, den Mihály Csíkszentmihályi als »Flow« bezeichnet. Hier kann sich Leidenschaft entwickeln, hier halten Sie genau die richtige Menge an Fokus und an Energie und bringen Ihre Projekte erfolgreich zum Ende. Es braucht keine Anstrengung und Sie haben das Gefühl, stundenlang in diesem Zustand arbeiten zu können.


Fokus und Energie in voller Ausprägung machen dies möglich. Das gelingt nicht, wenn eines fehlt: der Spaß an der Sache und damit die Energie oder der Fokus.

Energie 2: Experimentier- und Risikofreude

Chancen für junge Führungskräfte

Verschiedene Studien zeigen es immer wieder: Die jungen Führungskräfte oder High Potentials, die ihren Weg an die Spitze machen, sind besonders experimentier- und risikofreudig. Sie haben schlichtweg keine Angst, einen Fehler zu machen, sondern suchen immer wieder nach ungewöhnlichen Lösungen, die sie ausprobieren. Das hat vor allem das Projekt »Kids-Management« in Osteuropa gezeigt. Junge Führungskräfte übernahmen dort große Verantwortung und entwickelten auf ihre Weise aktiv die Wirtschaft ihres Landes.

In dem Wissen, dass nicht alle Risiken kalkulierbar sind und nicht im Voraus betrachtet werden können, haben diese jungen Führungskräfte ihre Chancen genutzt. Gleichzeitig haben sie Strategien, die sich nicht als erfolgreich erwiesen, auch wieder verlassen. Wenn sie sich einmal für einen Weg entschieden hatten, war dieser für sie nicht »in Stein gemeißelt«. Sie blieben flexibel und schauten sich genau an, welche Maßnahmen welche Erfolge brachten: kurzfristig wie langfristig.

Risiken als Herausforderungen

Der Coach und Unternehmensberater Lee Sears konnte in einer Interviewstudie mit jungen Führungskräften zeigen, was diese erfolgreich macht. Er beobachtete sie über viele Jahre und fand Kriterien, die den Erfolg maßgeblich steuern. Eines davon war der Umgang mit dem Risiko. Die erfolgreichen Führungskräfte waren eher Entrepreneure als Angestellte. Sie hatten Spaß an Neuem. Bei ihnen war die Neugier größer als die Angst vor dem Ungewohnten. Das Risiko, das ihre Entscheidungen bargen, spielte für sie keine allzu große Rolle. Das Wort »Risiko« benutzten sie selbst nicht. Ihre Haltung war eher von einer großen Improvisationsfähigkeit geprägt und zeigte sich in Aussagen wie »Let’s try« – lass es uns einfach versuchen. Alles, was neu war, fanden sie spannend und auch Schwierigkeiten sahen sie eher als Herausforderung denn als Blockade.

Sich auf die Intuition verlassen

Die relative Bedeutung von Daten

Der Autor David Dotlich und seine Kollegen vertreten die Auffassung, dass die Fähigkeit, auch ein kalkuliertes Risiko in Kauf zu nehmen, sehr wenig mit einer angemessenen Datenlage zu tun hat. Wie ein Ingenieur vorzugehen, ist manchmal müßig. Bis alle relevanten Daten gefunden und ausgewertet sind, ist das kritische Zeitfenster vielleicht schon abgelaufen. Nach Meinung der Autoren spielen Faktoren wie Intuition und Beliefs (Glaubenssätze) eine weitaus wichtigere Rolle. Sind die Beliefs unangemessen und die Intuition falsch, geht die Entscheidung schief. Oft aber werden sehr gute Entscheidungen ohne signifikante Datenlage getroffen. Die Autoren beschreiben sogar die Situation, dass eine Datenlage eigentlich eine bestimmte Entscheidung notwendig machen würde. Das Management weiß aber mit jeder Pore seines Körpers, dass diese Entscheidung falsch sein würde. Dieses Gefühl legt einfach eine andere Entscheidung nahe. Das relativiert die Bedeutung von Daten erheblich.

 

Oft sind die relevanten Daten sehr schnell veraltet und man kann mit den Daten von gestern schlecht eine Entscheidung für morgen treffen. Wie so oft liegt die gute Balance in der Mitte: so oft wie möglich verlässliches Datenmaterial verschaffen und gleichzeitig die Intuition nicht vernachlässigen. Außerdem kann die Intuition durch konsequente Perspektivwechsel unterstützt werden: Wie sieht das aus Kundensicht aus? Wie sieht das vom ausländischen Markt betrachtet aus?

Perfektion vs. Risikofreude

Demgegenüber steht der Wunsch nach Perfektion, der ein gesundes Maß an Risikofreude eher verhindert. Die Sorge davor, etwas falsch zu entscheiden, lässt uns lieber in den bewährten Bahnen bleiben, als neue Wege zu suchen, die zwar nicht vertraut sind, aber deutlich erfolgreicher sein könnten. Im Unbekannten liegt stets eine gewisse Gefahr. Wie in allen Führungsbereichen geht es auch hier um uns selbst und die anderen. Wir müssen selbst in einem vertretbaren Rahmen risikofreudig sein und gleichzeitig so führen, dass Menschen dazu ermutigt werden, auch Neues zu versuchen und zu experimentieren.

Je weniger Spielraum Menschen haben, umso weniger experimentieren sie. Zeitdruck und eine geringe Fehlertoleranz erlauben es gar nicht, alternative Möglichkeiten zu testen. Und gleichzeitig beschränken diese engen Bahnen auch den Erfolg.

Energie 3: Bodenhaftung

»Je höher man fliegt, desto tiefer fällt man« – Sie kennen sicherlich diese Volksweisheit. Man könnte auch einfach sagen: dumm gelaufen. Nicht jeder hat eine Partnerin, die dafür sorgt, dass man die Bodenhaftung nicht verliert, wie Bahn-Chef Rüdiger Grube, der in einem Interview im Mai 2009 seine Ehefrau als Grund für seinen Sinn für Realität angibt. Es sind die Erfahrungen, die Menschen dazu bringen, auf sicherem Boden zu bleiben.

Höhenflug vorprogrammiert

Wie kommt es dazu, dass Menschen die Bodenhaftung verlieren? In der Regel überschätzen sie die eigene Leistungsfähigkeit und sind nicht mehr bereit, Expertenwissen zu nutzen. Geht der CEO mit dieser Denkweise voran, dann überschätzt in kurzer Zeit die ganze Organisation ihre Leistungsfähigkeit. Die Mitarbeiter sind kaum motiviert, über gravierende Fehler nachzudenken, weil jeder selbstverständlich davon ausgeht, dass es keine geben wird. Oft treten sie dann auch ihren Kunden mit einer gehörigen Portion Arroganz gegenüber, sodass diese sich sehr wundern und über Alternativen nachdenken.

Hierarchiehörigkeit als Falle

Was bringt den CEO dazu, sich so sehr zu überschätzen? In vielen Fällen entspricht das Zahlenmaterial, das dem CEO vorliegt – vorsichtig ausgedrückt – nicht in vollem Umfang den Tatsachen. Auch die Beratungen orientieren sich häufig eher daran, was der CEO erwartet, als an den tatsächlichen Realitäten. Hierarchische Strukturen und der Respekt vor Macht und Rolle machen ein solches Verhalten möglich. Je nahbarer ein CEO sich zeigt, je konstruktiver im Unternehmen mit Fehlern umgegangen wird und je stärker die Vertrauenskultur ausgeprägt ist, umso eher kann man erfolgreich miteinander arbeiten. Wichtig in den Meetings und Diskussionen ist allein die Sache, nicht die Frage, von wem die Information kommt. In einer effizienten Entscheidungsstruktur entscheidet ohnehin der CEO nicht alle Dinge selbst. Eine ideale Struktur bietet eine Kombination aus Hierarchie und Spezialisierung. Fach- und Führungskräfte sind in einem guten Dialog zur Entscheidungsfindung. In einer solchen Struktur kann in einem Fall die Hierarchie und in einem anderen die Spezialkompetenz stärker gewichtet werden.

Erfolge machen nachlässig

Eine weitere Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren, sind Erfolge. Erfolge machen nicht per se erfolgreich. Ändern sich die Rahmenbedingungen im Markt, kann ein bisher erfolgreiches Unternehmen von vorne anfangen. Das ist im Sport ganz ähnlich. Ein Golfball mit einer wunderbaren Flugkurve garantiert Ihnen nicht, dass der nächste Golfball genauso schön, hoch und weit fliegt. Im Gegenteil – wer an Erfolg gewöhnt ist, wird eher nachlässig und spielt den nächsten Ball vielleicht mit weniger Fokus und mehr Energie. Das Ergebnis: Er fliegt sehr viel weniger schön, hoch und weit. Jede neue Aufgabe erfordert ein neues Maß an Fokus und Energie, unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Dinge vorher gelaufen sind.

Alternative Führungswerte

Pater Anselm Grün betrachtet in seinem Buch über Menschenführung die Bodenhaftung als zentrales Element. Die Werte, die er empfiehlt, führen automatisch dahin. So rät er, schon in der Führungsausbildung vor allem auf Nüchternheit und Besonnenheit zu achten. Daneben sind Werte wie Bescheidenheit, Demut, Unaufgeregtheit und Sparsamkeit für ihn wichtige Elemente. Führen heißt für ihn, den Menschen und einem Unternehmen zu dienen. Diese Werte und Ansichten stehen den üblichen Motivationsstrategien, die den Aufbau des Selbstwertgefühls ins Zentrum stellen, entgegen. Es geht nicht darum, im Unternehmen zu zeigen, wie toll und erfolgreich wir sind. Grün glaubt eher an eine starke Führungskultur, die sich durch Zurückhaltung, Klarheit, Zuverlässigkeit und Vertrauen auszeichnet. Erfolge dürfen genauso wenig das System stören und unachtsam machen, wie Misserfolge lähmen oder zu blindem Aktionismus führen dürfen.

Die Menschen tendieren dazu, eher ihre Bedürfnisse zum Beispiel nach Anerkennung, Wertschätzung oder Macht im Unternehmen zu befriedigen, anstatt dem unternehmerischen Bedarf mit ihrem Handeln zu begegnen. Das erzeugt eine gewisse Schieflage. Für einen langfristig erfolgreichen Manager steht der Bedarf des Unternehmens an erster Stelle. Nach dieser Maßgabe handelt er. Werden auf diese Weise auch seine Bedürfnisse befriedigt, ist das sicherlich angenehm. Er inszeniert sich im Unternehmen allerdings nicht so, dass seine Bedürfnisse an erster Stelle stehen.