Rassismus und kulturelle Identität

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Was hat es mit dem zweiten, beunruhigenden Term in unserer Identitäts-Gleichung, der europäischen Präsenz auf sich? Für viele von uns besteht hier das Problem nicht in einem Zuwenig, sondern in einem Zuviel. Während Afrika ein Fall des Ungesagten war, leiden wir im Falle Europas darunter, dass es ununterbrochen spricht und uns spricht. Die europäische Präsenz unterbricht die Unschuld des ganzen Diskurses über ›Differenz‹ in der Karibik, indem sie die Frage der Macht einführt. ›Europa‹ ist unwiderruflich mit dem ›Spiel‹ der Macht, mit den Linien von Gewalt und Zustimmung und mit der Rolle des Herrschenden in der karibischen Kultur verknüpft. Es ist die europäische Präsenz in Form von Kolonialismus, Unterentwicklung, Armut und Rassismus gegen Farbige, die innerhalb ihrer dominanten Repräsentationsregimes das schwarze Subjekt positioniert hat: im kolonialen Diskurs, dem der Abenteuer- und Entdeckungsliteratur, dem über die Romantik des Exotischen, im Auge des Ethnografen und Reisenden, in den Topoi des Tropischen im Tourismus, den Reiseführern und in Hollywood und in den gewalttätigen und pornografischen Sprachen des Ganja und der städtischen Gewalt.

Da es bei der Présence Européenne um Ausgrenzung, Zwang und Enteignung geht, erliegen wir oftmals der Versuchung, diese Macht als vollkommen außerhalb von uns zu sehen, als eine äußerliche Kraft, deren Einfluss wir – ähnlich wie die Schlange ihre Haut – einfach abstreifen könnten. Woran uns Frantz Fanon in seinem Buch Schwarze Haut, weiße Masken erinnert, ist die Tatsache, dass und wie diese Macht zu einem konstitutiven Element unserer eigenen Identitäten geworden ist.

»… und der Andere fixiert mich durch Gesten, Verhaltensweisen, Blicke, so wie man ein Präparat mit Farbstoff fixiert. Ich wurde zornig, verlangte eine Erklärung. Nichts half. Ich explodierte. Hier die Bruchstücke, die von einem anderen Ich wieder zusammengesetzt wurden.« (Fanon 1952, 113; dt. 1980, 71, eig. Übers.)4

Dieser ›Blick‹ von dem Ort des Anderen aus fixiert uns nicht nur durch seine Gewalt, Feindseligkeit und Aggressivität, sondern auch durch die Ambivalenz seines Begehrens. Dies konfrontiert uns nicht einfach direkt mit der herrschenden europäischen Gegenwart als einem Ort oder ›Schauplatz‹ der Integration, an dem all diejenigen Gegenwarten, die sie aktiv zerstört hatte, neu zusammengefügt und in einem Rahmen gefasst werden. Als Schauplatz einer tiefgreifenden Spaltung und Verdopplung, die Homi Bhabha »die ambivalenten Identifikationen der rassistischen Welt« genannt hat, »das ›Anderssein‹ des Selbst, ist sie in das perverse Palimpsest der kolonialen Identität eingeschrieben« (Bhabha 1986).

Der Dialog von Macht und Widerstand, von Verweigerung und Anerkennung mit und gegen die Présence Européenne ist fast ähnlich komplex wie der ›Dialog‹ mit Afrika. Im alltäglichen kulturellen Leben lässt er sich in seiner reinen und unberührten Form nirgendwo wiederfinden. Er ist zu jeder Zeit und immer schon mit anderen kulturellen Elementen synkretistisch verschmolzen, kreolisiert – nicht verloren jenseits der Mittleren Passage, sondern immer schon präsent: von den Harmonien unserer Musik bis zum basso continuo Afrikas durchquert und durchkreuzt er unser Leben an jedem Punkt. Wie können wir diesen Dialog so inszenieren, dass wir endlich diejenigen sind, die ihm, ohne Terror und Gewalt, seinen Platz zuweisen, anstatt für immer und ewig durch ihn unseren Platz zugewiesen zu bekommen? Werden wir jemals in der Lage sein, seinen unumkehrbaren Einfluss anzuerkennen und gleichzeitig seinem imperialisierenden Blick zu widerstehen? Bisher konnte dieses Rätsel noch nicht gelöst werden, höchst komplexe kulturelle Strategien sind dafür erforderlich. Denken wir zum Beispiel nur an den Dialog eines jeden karibischen Filmemachers und Autors, den er auf die eine oder andere Weise mit dem dominanten Film und der dominanten Literatur des Westens führen muss. Denken wir an das komplexe Verhältnis junger schwarzer britischer Filmemacher/innen zur ›Avantgarde‹ des europäischen und amerikanischen Kinos. Wer würde diesen angespannten und qualvollen Dialog als ›eindimensional‹ beschreiben?

In der Gegenwart der dritten Präsenz, der ›Neuen Welt‹, geht es weniger um Macht als um den Boden, den Ort und das Territorium. Die ›Neue Welt‹ ist der Treffpunkt, an dem die vielfältigen kulturellen Nebenflüsse zusammenlaufen, sie ist das ›leere‹ Land (das die europäischen Kolonisatoren entleert haben), in welchem Fremde aus allen Teilen der Welt zusammenstießen. Niemand von den heutigen Bewohner/innen der Inseln – den schwarzen, braunen, weißen, afrikanischen, europäischen, amerikanischen, spanischen, französischen, ostindischen, chinesischen, portugiesischen, jüdischen und niederländischen – ›gehörte‹ ursprünglich dorthin. Die Neue Welt ist der Ort, an dem die Kreolisierungen, Assimilationen und Synkretismen ausgehandelt wurden. Die Neue Welt ist der dritte Term, die erste Szene, auf der die verhängnisvolle und tödliche Begegnung zwischen Afrika und dem Westen inszeniert wurde. Sie muss auch als Ort vielfältiger und kontinuierlicher Vertreibungen verstanden werden: die der prä-kolumbianischen Ureinwohner/innen, der Arawaks, der Kariben und Indianer – die ständig aus ihrer Heimat vertrieben und dezimiert wurden –, die zahlreicher Völker aus Afrika, Asien und Europa; die ständigen Vertreibungen durch Sklaverei, Kolonisation und Eroberung. Die Neue Welt steht für die endlosen Wege, auf denen die karibischen Völker zur Migration bestimmt wurden. Sie ist zum Signifikanten für die Migration selbst geworden, für das Reisen, Unterwegssein und für die Rückkehr als gemeinsame Erfahrung und Bestimmung, für den Antillaner als den Prototypen des Nomadentums der modernen oder postmodernen Neuen Welt, der sich ständig zwischen dem Zentrum und der Peripherie hin- und herbewegt. Die Beschäftigung mit Bewegung und Migration ist dem karibischen Film und anderen ›Dritte-Welt-Filmen‹ gemeinsam. Aber es ist für uns eines der bestimmenden Themen, das sich in allen – den Drehbüchern und filmischen Bildern zugrunde liegenden – Erzählungen wiederfinden lässt.

Die Présence Américaine ist weiterhin durch Erfahrungen des Schweigens und der Unterdrückung gekennzeichnet. In seinem Aufsatz Inseln des Zaubers (1987) erinnert uns Peter Hulme daran, dass wir es bei dem Wort ›Jamaika‹ mit der spanischen Version des Namens der eingeborenen Arawaks – ›das Land der Wälder und des Wassers‹ – zu tun haben, der durch Kolumbus’ Umbenennung in ›Santiago‹ nie ersetzt worden ist. Die Präsenz der Arawaks ist heute die von Geistern, die auf den Inseln hauptsächlich in Museen und archäologischen Stätten als Teil der kaum wahrgenommenen und nutzbar gemachten ›Vergangenheit‹ sichtbar ist. Hulme bemerkt, dass sie zum Beispiel im Emblem des Jamaican National Heritage Trust nicht auftaucht. Stattdessen wurde die Figur von Diego Pimienta gewählt, die Figur ›eines Afrikaners, der 1655 auf der Seite seiner spanischen Herren gegen die englische Invasion der Inseln gekämpft hat‹ – eine verzerrte, metonymische, schwache und demütigende Repräsentation der jamaikanischen Identität, sollte es diese jemals gegeben haben! Hulme erzählt, wie Premierminister Edward Seaga einst versuchte, das Wappen Jamaikas zu ändern. Das Wappen zeigt zwei Arawaks, die ein Schild mit fünf Ananas, gekrönt von einem Krokodil, halten. Premierminister Seaga fragte rhetorisch:

»Können die Arawaks, die unterdrückt und vernichtet wurden, das unerschrockene Wesen der Jamaikaner repräsentieren? Symbolisiert das langsam kriechende, vom Aussterben bedrohte Krokodil, ein kaltblütiges Reptil, etwa die Wärme und den schwungvollen Optimismus unserer Menschen?« (Zit. bei Hulme 1987, 84)

Es gibt wenige politische Äußerungen, die in dieser Deutlichkeit etwas über die Komplexitäten aussagen, die mit dem Prozess und dem Versuch, ein Volk aus so unterschiedlichen Menschen mit einer so unterschiedlichen Geschichte durch eine einzige, hegemoniale ›Identität‹ zu repräsentieren, verknüpft sind. Der Vorschlag von Herrn Seaga an die jamaikanischen Menschen, die zum größten Teil afrikanischer Abstammung sind, ihre ›Erinnerung‹ damit zu beginnen, einen Teil ihrer Geschichte zu ›vergessen‹, bekam glücklicherweise die Ablehnung, die er verdiente.

Die Gegenwart der ›Neuen Welt‹ – Amerika, Terra Incognita – ist daher selbst der Beginn der Diaspora, der Verschiedenheit, der Vermischung und der Differenz. Afrokaribische Menschen sind immer schon Menschen der Diaspora. Ich benutze den Begriff hier metaphorisch und nicht im wörtlichen Sinne: Ich verstehe uns nicht als zerstreute Stämme, deren Identität nur im Verhältnis zu einem gelobten Heimatland gesichert werden kann und die unter allen Umständen, und sei es, dass sie andere Völker ins Meer treiben, in ihre Heimat zurückkehren müssen. Diese Vorstellung entspricht der imperialistischen und hegemonialen Form von ›Ethnizität‹. Wir kennen das Schicksal des palästinensischen Volkes, das unter einem solchen rückwärtsgewandten Konzept von Diaspora leiden musste, und wir wissen von der Mittäterschaft des Westens. Das Verständnis der Diaspora-Erfahrung, um das es mir geht, wird nicht von Essenz oder Reinheit bestimmt, sondern von der Anerkennung notwendiger Heterogenität und Verschiedenheit; von einem Konzept von ›Identität‹, das mit und von – nicht trotz – der Differenz lebt, das durch Hybridbildung lebendig ist. Die Identitäten der Diaspora produzieren und reproduzieren sich ständig aufs Neue, durch Transformation und Differenz. Wenn wir das einmalige, das ›eigentlich‹ Karibische benennen wollen, dann finden wir es gerade in der Mischung der Farben, der Pigmentierungen, der Physiognomien, in den ›Variationen‹ des Geschmacks, die die karibische Küche ausmachen, und in der Ästhetik des ›Cross-over‹, des ›Cut-and-Mix‹ – ich gebrauche den aussagekräftigen Begriff von Dick Hebdige –, der das Herz und die Seele der schwarzen Musik ist. Junge schwarze Künstler und Kritiker in Britannien gehen immer häufiger dazu über, in ihren eigenen Werken ›die Ästhetik der Diaspora‹ und ihre Formationen innerhalb der postkolonialen Erfahrung anzuerkennen und zu entdecken:

 

»Eine ganze Reihe kultureller Formen besitzt eine ›synkretistische‹ Dynamik, die die Elemente des herrschenden Codes der dominanten Kulturen kritisch aneignet und ›kreolisiert‹, vorgegebene Zeichen desartikuliert und ihre symbolischen Bedeutungen reartikuliert. Die subversive Kraft dieser hybridisierenden Entwicklung zeigt sich besonders deutlich gerade auf der Ebene der Sprache; dort sind es Kreolisch, Patois und schwarzes Englisch, die die linguistische Dominanz des ›Englischen‹ – der Nationalsprache des Herren-Diskurses – durch strategische Flexionen, Akzentverschiebungen und andere performative Umbrüche in den semantischen, syntaktischen und lexikalischen Codes dezentrieren, destabilisieren und karnevalisieren.« (Mercer 1988, 57)

Da diese Neue Welt für uns als ein Ort, als eine Erzählung der Vertreibung dargestellt wird, entsteht daraus eine bildliche Fülle, die die endlose Sehnsucht nach einer Heimkehr zu ›verlorenen Ursprüngen‹ weckt, den Wunsch nach der Wieder-Verschmelzung mit der Mutter. Niemand, der sie einmal aus der blau-grünen Karibik hervortauchen sah, kann die Inseln des Zaubers je vergessen. Wer hat nicht bei diesem Anblick gespürt, wie er/sie von einem nostalgischen Drang nach verlorenen Ursprüngen und ›vergangenen Zeiten‹ überwältigt wurde? Doch ist diese ›Rückkehr zu den Anfängen‹ wie das Imaginäre bei Lacan – sie kann weder erfüllt noch erwidert werden. Sie ist der Beginn des Symbolischen, der Repräsentation, die unbeschränkt erneuerbare Quelle unserer Sehnsüchte, Erinnerungen, Mythen, Suche und Entdeckungen, kurz, das Reservoir unserer filmischen Erzählungen.

Wir haben anhand einer Reihe von Metaphern versucht, ein anderes Verhältnis zu unserer Vergangenheit zu entfalten und dabei eine andere Denkweise über kulturelle Identität einzuführen, die neue Momente des Erkennens in den Diskursen des gerade entstehenden karibischen und schwarzen Films konstituieren könnte. Wir haben versucht, Identität als etwas zu denken, das innerhalb und nicht außerhalb der Repräsentation konstituiert wird. Daher verstehen wir den Film nicht als zweitrangigen Spiegel zur Reflexion des schon Existierenden, sondern als die Form der Repräsentation, die in der Lage ist, uns als neue Subjekte zu konstituieren, und die es uns ermöglicht, Orte zu entdecken, von denen aus wir sprechen können. Benedict Anderson hat in Die Erfindung der Nation aufgezeigt, dass Gemeinschaften nicht mit Kriterien wie Falschheit/Echtheit gemessen werden können, sondern dass sie sich durch den Stil der Imagination unterscheiden (Anderson 1988, 15). Dies leistet das moderne schwarze Kino, indem es uns erlaubt, unsere unterschiedlichen Teile und Geschichten zu betrachten, zu erkennen und jene Identifikationspunkte oder Positionierungen zu konstruieren, die wir im Nachhinein unsere ›kulturellen Identitäten‹ nennen.

»Es genügt also nicht, in der Vergangenheit des Volkes unterzutauchen, um hier Elemente einer Kohärenz gegenüber den verfälschenden und abwertenden Unternehmungen des Kolonialismus zu finden … Die nationale Kultur ist nicht jene Folklore, in der ein abstrakter Populismus die Wahrheit des Volkes hat entdecken wollen … Die nationale Kultur ist die Gesamtheit der Anstrengungen, die ein Volk im geistigen Bereich macht, um die Aktion zu beschreiben, zu rechtfertigen und zu besingen, in der es sich begründet und behauptet hat.« (Fanon 1981, 197)

Übersetzt von Joachim Gutsche und Dominique John

1 Aimé Césaire (geb. 1913 auf Martinique), Dichter und Politiker; Léopold Senghor (geb. 1906 in Thies, Senegal), Dichter und Literaturwissenschaftler, 1960–1980 Staatspräsident des Senegal.

2 Im zitierten Text wird nicht deutlich, dass es sich im Französischen nur um ein Verb mit zwei Bedeutungen, différer, handelt, die im Englischen mit differ und defer, postpone wiedergegeben werden.

3 Marcus Moziah Garvey, geb. 1887 auf Jamaica, gest. 1940 in London, gründete 1914 auf Jamaica die Universal Negro Improvement Association, vertrat eine Doktrin der Reinheit und Trennung der Rassen.

4 Die englische, von Hall zitierte Übersetzung von 1986 enthält eine leichte Akzentverschiebung im letzten Satz: »Now the fragments have been put together by another self«, 109.

Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität

Die Debatte über Globalisierung als weltweiter Prozess und ihre Konsequenzen wird seit einiger Zeit in unterschiedlichen wissenschaftlichen Arbeitsfeldern geführt. Ich werde im Folgenden einige der sich verändernden Konfigurationen der Frage des Lokalen und des Globalen, insbesondere im Zusammenhang mit Kultur und Kulturpolitik, aufzeigen. Ich möchte herausfinden, was dabei entsteht und wie im Zuge der Entfaltung der neuen Dialektik globaler Kultur unterschiedliche Subjektpositionen transformiert oder produziert werden.

Ich werde diese Frage von einer – wie man annehmen könnte – privilegierten oder doch nicht so privilegierten, im Niedergang begriffenen Region dieses Prozesses aus betrachten, nämlich vom Vereinigten Königreich, und speziell von England aus. Globalisierung ist sicherlich aus jeder Perspektive der historischen Darstellung der englischen Kultur alles andere als ein neuer Prozess. Es ist in der Tat unmöglich, die Formierung der englischen Gesellschaft oder des Vereinigten Königreiches und all dessen, was ihm eine Art privilegierten Platz in den Geschichtsdarstellungen der Welt verleiht, außerhalb eines Prozesses zu erfassen, den wir hier als Globalisierung bezeichnen.

Im gegenwärtigen Kontext sprechen wir jedoch nur über die neuen Formen, Rhythmen und Impulse dieses Globalisierungsprozesses. Ich möchte dies zunächst nicht genauer definieren, aber ich gehe davon aus, dass die Globalisierung Teil einer sehr viel längeren Geschichte ist. Wir leiden zunehmend an einer fortschreitenden historischen Amnesie, indem wir, nur weil wir gerade über eine Idee nachdenken, annehmen, diese wäre auch erst jetzt neu entstanden.

Das Vereinigte Königreich als Einheit und nationale Kultur erlebte seinen Aufstieg und Niedergang zur gleichen Zeit wie eine bestimmte Epoche oder ein Zeitalter der Globalisierung – das Zeitalter, in dem sich der Weltmarkt unter der Vorherrschaft mächtiger Ökonomien, Kulturen und Nationalstaaten herausbildete. Dieser Zusammenhang zwischen der Herausbildung und Transformation des Weltmarktes und seiner Beherrschung durch die Ökonomien machtvoller Nationalstaaten konstituierte die Ära, in welcher die englische Kultur ihre heute existierende Form annahm. Das System des Imperialismus ebenso wie die Verschärfung der weltweiten Rivalitäten zwischen imperialen Formationen bildete den Rahmen, der die Welt in sich hineinzog. In dieser Periode lässt sich kulturell die Konstruktion einer besonderen Identität, die ich die Identität des Englischseins nennen möchte, beobachten. Wenn Sie danach fragen, welches die konstituierenden Bedingungen dafür sind, dass eine solche nationale Kultur nach einer weltgeschichtlichen Identität strebt und diese auch erreicht, so hängt dies sicher eng mit der Stellung einer Nation als führender Welthandelsmacht zusammen, ebenso mit ihrer Führungsposition innerhalb einer hochgradig internationalisierten und sich industrialisierenden Weltwirtschaft sowie mit der Tatsache, dass diese Gesellschaft und ihre Zentren schon lange den Mittelpunkt eines Geflechts globalen Engagements bildeten.

Doch will ich das hier nicht weiter ausführen. Ich möchte nach dem Charakter der kulturellen Identität fragen, die zu diesem spezifischen historischen Moment gehört. Und ich muss feststellen, dass sie tatsächlich als eine stark zentrierte, sich hochgradig abschließende und ausschließende Form einer kulturellen Identität definiert wurde. Es ist eine lange Geschichte, wann genau die Transformation zum Englischsein stattfand. Aber von einem bestimmten historischen Zeitpunkt an machten Engländer die Erfahrung, dass sie innerhalb der Diskurse ihrer eigenen, englischen Identität die Diskurse fast aller anderen bestimmen konnten.

Der kolonisierte Andere wurde sicherlich innerhalb des Repräsentationsregimes eines solchen metropolitanen Zentrums konstituiert. Er wurde durch das allumfassende ›Englische Auge‹ in seinem Anderssein marginalisiert. Das ›Englische Auge‹ sieht alles andere, erkennt aber weniger deutlich, dass es selbst etwas ist, das seinen Blick auf die Welt richtet. Es wird gleichbedeutend mit dem Sehen an sich. Es ist natürlich trotzdem eine strukturierte und eine kulturelle Repräsentation, die immer binär, d. h. stark zentriert ist. Dadurch, dass es weiß, wo es ist und was es ist, platziert es alles andere. Das Wundervolle an der englischen Identität ist, dass sie nicht nur den kolonisierten Anderen, sondern jeden anderen platziert.

Englisch zu sein heißt, sich in Beziehung zu den Franzosen, den heißblütigen Südländern und der leidenschaftlichen, traumatisierten russischen Seele zu wissen. Man umrundet den gesamten Globus: wenn man weiß, was jeder andere ist, dann ist man, was diese nicht sind. In diesem Sinne ist Identität immer eine strukturierte Repräsentation, die ihr Positives nur mit dem engen Auge des Negativen wahrnimmt. Sie muss durch das Nadelöhr des Anderen gehen, bevor sie sich selber konstruieren kann. Sie produziert ein sehr manichäisches Ensemble von Gegensätzen. Diese englische Art, in der Welt zu sein, gründet sich nicht nur auf eine ganze Geschichte, ein Ensemble von Geschichten, ökonomischen Beziehungen, kulturellen Diskursen, sondern ebenso auf bestimmte Formen der Sexualität. Sie können sich nicht vorstellen, was ein echter gebürtiger Engländer ist – ich meine, können Sie sich die Freiheiten einer echten gebürtigen Engländerin vorstellen? Das ist undenkbar. Ein solcher Satz wäre abwegig. Eine frei geborene englische Person war eindeutig nur ein freier englischer Mann. Und der bis oben zugeknöpfte, steiflippige, korsettartige Begriff englischer Männlichkeit ist eine der Weisen, auf die diese spezifische kulturelle Identität fest verankert wurde. Diese Art des Englischseins gehörte zu einem bestimmten Moment in der Entfaltung globaler Prozesse. Sie ist selber eine Art Ethnizität.

Bis vor kurzem war es sehr unhöflich, dies überhaupt so zu benennen. Derzeit beginnt in England gerade eine Diskussion, in der versucht wird, die Engländer davon zu überzeugen, dass sie letztendlich nur eine weitere ethnische Gruppe sind. Ich meine, sie sind eine interessante ethnische Gruppe, die sich am äußersten Rande Europas herumtreibt, mit ihrer eigenen Sprache, ihren eigenen besonderen Gewohnheiten, ihren Ritualen und Mythen. Wie über andere eingeborene Völker kann etwas zu ihren Gunsten und über ihre lange Geschichte gesagt werden. Aber Ethnizität als etwas, das von sich selbst spricht, als ob sich alles andere innerhalb ihres Geltungsbereiches befände, ist letztendlich eine sehr besondere und außergewöhnliche Form ethnischer Identität. Sie befindet sich an einem Ort und in einer spezifischen Geschichte und könnte nicht von außerhalb dieses Ortes und dieser Geschichten sprechen. Sie steht in Beziehung zu einem ganzen Bündel von Begriffen über das Territorium, über die Frage, wo Heimat und wo Übersee liegen, und über das, was uns nah und was fern ist. Dies ist allen Begriffen, mit denen wir verstehen können, was Ethnizität ist, eingeschrieben. Eine Zeit lang ist es zwar unglücklicherweise diese Ethnizität, die alle anderen Ethnizitäten platziert, aber das ändert nichts daran, dass sie auch in ihren eigenen Begriffen eine ist.

Wer die Nation untersucht, für die englische Identität die wichtigste Repräsentation von Ethnizität war und die sich selbst kulturell und ideologisch nur im Bild dieser Identität oder Ethnizität repräsentieren konnte, findet natürlich das, was bei der Erschließung und Erforschung einer Ethnizität immer gefunden wird. Sie stellt sich selbst als völlig natürlich dar: Als Engländer geboren, wird man immer Engländer bleiben, gefestigt, homogen, einheitlich. Worin besteht der Sinn einer Identität, wenn sie nicht einheitlich ist? Deshalb hoffen wir weiter darauf, dass uns Identitäten begegnen, weil der Rest der Welt so unübersichtlich ist: Alles andere ist in Bewegung, aber Identitäten sollten stabile Referenzpunkte sein, die in der Vergangenheit, der Gegenwart und für alle Zukunft Ruhepunkte in einer sich wandelnden Welt darstellen.

 

Aber natürlich konnte und kann das Englischsein dies nicht sein, nicht einmal in der Beziehung zu den Gesellschaften in Übersee, mit denen England als globale politische Handelsmacht tief verbunden war. Eines der bestgehüteten Geheimnisse der Welt ist die Tatsache, dass es dies auch auf ihrem eigenen Territorium nicht sein konnte. Nur kraft Ausschließung oder Absorption aller Differenzen, die Englischsein konstituierten, der Vielzahl unterschiedlicher Regionen, Völker, Klassen und Geschlechter, aus denen sich die unter der ›Unions-Akte‹1 zusammengefassten Menschen zusammensetzten, konnte Englischsein für jeden auf den britischen Inseln gelten. Es wurde gegen die Unterschiede ausgehandelt. Englischsein musste immer die Unterschiede der Klassen, der Regionen und der Geschlechter absorbieren, um sich als eine homogene Einheit darzustellen. Und erst jetzt, da wir anfangen, uns dem Ende dieser Einheit zu nähern, beginnen wir, ihre wahre Natur zu erkennen. Mit dem Prozess der Globalisierung beginnt, zumindest in Britannien, diese Form der Beziehung zwischen nationaler kultureller Identität und Nationalstaat zu verschwinden. Und es besteht der Verdacht, dass dies nicht nur bei uns so ist. Die Vorstellung einer nationalen Formation, einer nationalen Wirtschaft, die durch eine nationale kulturelle Identität repräsentiert werden konnte, gerät unter beträchtlichen Druck.

Im britischen Fall ist dies vor allem durch einen langen Prozess des ökonomischen Niedergangs bedingt. Von der ersten Industrienation und der führenden ökonomischen Weltmacht an der Spitze der Entwicklung von Handel und Industrie sank Britannien einfach zu einer Nation unter anderen, stärkeren, wettbewerbsfähigeren und sich neu industrialisierenden Nationen herab. Britannien steht sicherlich nicht länger an der vordersten Front der industriellen und ökonomischen Entwicklung.

Die Entwicklung hin zu einer stärkeren Internationalisierung der Ökonomie, die auf den multinationalen Firmen und auf fordistischen Modellen der Massenproduktion und des Massenkonsums beruht, überforderte selbst die führenden Sektoren der britischen Ökonomie. Seitdem sich mit den neuen Akkumulations-, Produktions- und Konsumregimes in der globalen Wirtschaft neue führende Nationen entwickelten, ist Britannien zunehmend von seiner Position an der vordersten Front zurückgefallen.

Die kapitalistische Krise der siebziger Jahre beschleunigte den Prozess der Öffnung neuer globaler Waren- und Finanzmärkte, dem Britannien sich anpassen musste, um in diesem Wettlauf nicht zurückzubleiben. Vom entsetzlichen Lärm der Deindustrialisierung begleitet, versucht Britannien unter dem Thatcherismus sich auf die Seite der neuen führenden Technologien zu schlagen, die, durch eine neue Welle der Internationalisierung des Kapitals vorangetrieben, die Produktion und die Märkte miteinander verbinden. Die Deregulierung der City ist nur ein Zeichen für den Eintritt der britischen Ökonomie und Kultur in die neue Epoche des Finanzkapitals. Die neue multinationale Produktion, die neue neue internationale Arbeitsteilung, verbindet in der Form der multinationalen Produktion nicht nur die rückständigen Sektoren der Dritten Welt mit den sogenannten hochentwickelten Sektoren der Ersten Welt, sondern versucht zunehmend auch die rückständigen Sektoren in der eigenen Gesellschaft wieder aufzurichten. Dies zeigt sich in den Formen der Produktionsauslagerung und der Lizenzvergabe, die zur Schaffung kleiner abhängiger lokaler Ökonomien in Verbindung mit der multinationalen Produktion führt. All dies hat das ökonomische, politische und soziale Terrain aufgebrochen, auf dem die frühere Vorstellung des Englischseins gedieh.

Ein anderes Element, das zum Aufbrechen der älteren, einheitlichen Formation geführt hat, ist sicherlich die enorme und kontinuierliche Arbeitsmigration in der Nachkriegszeit. Hier gibt es ein gewaltiges Paradox, an dem ich großen Gefallen finde: Genau in dem Moment, als Britannien sich endlich davon überzeugt hatte, dass es sich entkolonisieren und die anderen loswerden müsse, kommen wir alle zurück nach Hause. Als sie die Flagge einholten, bestiegen wir den Bananendampfer und segelten direkt nach London. Dies ist ein schreckliches Paradox, weil sie die Welt dreihundert Jahre lang regiert hatten, und als sie sich dann endlich entschieden hatten, diese Rolle abzulegen, hätten die anderen zumindest dort am Rande bleiben und sich benehmen oder andere Schutzmächte suchen sollen. Aber nein, sie haben immer gesagt, dass dies unsere wirkliche Heimat wäre und dass die Straßen mit Gold gepflastert seien, und verdammt noch mal, dann sind wir eben gekommen, um herauszufinden, ob das nun stimmt oder nicht. Und ich bin das Produkt von alldem. Ich bin einfach hergekommen. Jemand fragte mich: »Warum lebst du nicht in Milton Keynes, wo du arbeitest?« Du musst in London leben. Wenn du aus dem Busch kommst, dem kolonialen Busch, dann möchtest du wirklich mitten auf der Eros-Statue des Piccadilly Circus leben. Du möchtest nicht einfach in irgendeinem metropolitanen Hinterland leben. Du möchtest zum Nabel der Welt gehen, und du kannst es auch. Du hast seit deinem ersten Lebensmonat davon gehört. Als ich 1951 das erste Mal nach England kam, sah ich mich um und da waren Wordsworths Osterglocken.2 Natürlich, was sollte man anderes erwarten? Darüber wusste ich Bescheid. Das genau war die Bedeutung von Bäumen und Blumen. Die Namen der Blumen, die ich gerade in Jamaika zurückgelassen hatte, kannte ich nicht. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass Englischsein nicht nur durch die breite Streuung des Kapitals zwischen Washington, der Wall Street und Tokio dezentriert wurde, sondern auch durch diesen enormen Zustrom, der zu den kulturellen Konsequenzen der Arbeitsmigrationen und der Migrationen von Völkern gehört, die sich in der modernen Welt immer mehr beschleunigt.

Ein weiterer Aspekt der Globalisierung beruht auf einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich der zunehmenden internationalen Interdependenz. Dies kann aus zwei sehr verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.

Zuerst ist da die Zunahme der monetären und regionalen Abkommen, die Britannien an die NATO, den Gemeinsamen Markt und ähnliche Organisationen bindet. Die Zunahme dieser regionalen, supranationalen Organisationen und Zusammenschlüsse macht jeden Versuch, die Ereignisse in der englischen Gesellschaft auf eine rein interne Dynamik zurückzuführen, einfach unmöglich – sofern dies überhaupt jemals möglich war. Und dies ist ein sehr tiefgreifender Wandel in der Konzeption der Souveränität und des Nationalstaates. Es ist ein Wandel in der Vorstellung dessen, was eine englische Regierung tun kann, was ihrer Kontrolle unterliegt, sowie der Transformationen, die sie aus eigenen Kräften herbeiführen könnte. Diese Dinge werden zunehmend als interdependent mit den Ökonomien, Kulturen und Politiken anderer Gesellschaften wahrgenommen.

Schließlich sind die enormen Auswirkungen der globalen ökologischen Interdependenz zu nennen. Als die schädlichen Winde Tschernobyls in unsere Richtung wehten, haben sie nicht an der Grenze angehalten, ihren Ausweis vorgezeigt und gefragt: »Darf ich jetzt den Regen auf Ihr Territorium tragen?« Sie kamen einfach herein, und es regnete auf Wales und auf Orte, in denen niemand wusste, wo Tschernobyl lag. Vor kurzem konnten wir einige der Freuden der globalen Erwärmung genießen und einige ihrer Katastrophen vorausahnen. Die Ursachen und ihre Folgen sind meilenweit entfernt. Wir könnten nur auf der Grundlage einer Form ökologischen Bewusstseins beginnen, etwas dagegen zu tun, deren Subjekt etwas sein müsste, was übergreifender als der frei geborene Engländer ist. Der freie Engländer kann nichts gegen die Zerstörung des Regenwaldes in Brasilien tun. Und er weiß kaum, wie man Ozon buchstabiert.

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