Geschichte im Text

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Dass es bei dieser neuen Fokussierung auf kulturelle Repräsentationsprozesse keineswegs um eine Profilierung der Kulturgeschichte als einer neuen »großen Erzählung«33 der Geschichtswissenschaften geht, sondern im Gegenteil um ein Festhalten am poststrukturalistischen Abschied von der Meistererzählung, verdeutlicht Stephen Greenblatts Veröffentlichung Wunderbare Besitztümer aus den 1990er Jahren. Hier begibt sich Greenblatt auf die Spuren der Reisenden und Entdecker und versucht, deren »Erfindung des Fremden« nachzuzeichnen. Als literarische Gattung scheint ihm die Anekdote hilfreich zu sein, die er als Gegenbegriff zum »grand récit einer totalisierenden, integrativen, progressiven Geschichtsschreibung, die weiß wohin sie will«, versteht.34 Anekdoten, die mit Greenblatt die Welt nicht »in würdevoller und harmonischer Ordnung« präsentieren und »eher mit dem Rand verbunden sind als mit dem unbeweglichen und lähmenden Zentrum«, avancieren hier zum wichtigsten Medium »zur Aufzeichnung des Unerwarteten und daher auch zur Beschreibung der Begegnung mit der Differenz«.35 Die Anekdoten werden damit zu Mikrogeschichten der Geschichtsschreibung und als solche einer kulturanthropologischen Lektüre unterworfen, die sie als »wichtigste[] Erzeugnisse[] der Repräsentationstechnologie einer Kultur« begreift.36 Damit ist Greenblatt bei einer neohistoristischen Lektürepraxis angelangt, die den Bogen von den ethnologischen Befunden Geertz’ zu den postkolonialen Theorien Homi K. Bhabas spannt. Die im Kontext des linguistic turn und des New Historicism konstatierte Unzuverlässigkeit der Geschichte aufgrund ihrer sprachlichen Verfasstheit wird hier um einen weiteren Aspekt bereichert. Greenblatt weist darauf hin, dass sich hinter dem Text der Geschichte stets kulturelle Diskursformationen verbergen, denen ein genuin eurozentrischer Blick eingeschrieben ist – ein Blick, der letztlich weniger über die verrät, die er zu beschreiben sucht, als vielmehr über diejenigen, die für die Beschreibung verantwortlich zeichnen:

Es geht mir in den folgenden Kapiteln weniger darum, zwischen wahren und falschen Darstellungen zu unterscheiden, als um eine Untersuchung der Repräsentationspraktiken als solcher, welche die Europäer nach Amerika mitnahmen, um ihren Landsleuten daheim zu beschreiben, was sie dort sahen und taten. Ich habe mich davor gehütet, die geschriebenen und gezeichneteten Repräsentationen der Europäer als genaue und verläßliche Dokumente über Land und Leute der Neuen Welt anzusehen. […] Fest steht nur, daß die europäischen Darstellungen der Neuen Welt etwas über die europäische Repräsentationspraxis aussagen.37

Mit diesem Interpretationsansatz landet Greenblatt bei einer postkolonialen Lektüre im Sinne Saids – und damit bei einer kritischen Auseinandersetzung mit historischen wie fiktionalen Texten, welche die Loslösung des Signifikats vom Signifikanten nicht mehr allein semiotisch begründet, sondern als Folge kultureller Einschreibungs- wie Ausgrenzungsprozesse begreift, die Form und Inhalt der Texte prägen. Eine solche Perspektive auf Texte in ihrer Teilhabe an einer fächerübergreifenden Kulturgeschichtsschreibung führt erneut zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit historischer bzw. historiografischer Narration – deren Referenzebene, darin stimmen Foucault, Said wie Greenblatt überein, keine eindeutig zu definierende historische Wirklichkeit und Wahrheit bezeichnet, sondern politische wie gesellschaftliche Machtverhältnisse, die ihren hegemonialen Ausdruck auch in den Texten finden.

So gewinnbringend, wie sich die verschiedenen Ansätze des cultural turns für die Literatur- wie Kulturwissenschaft der letzten Jahrzehnte daher erweisen – die mit dem linguistic turn einsetzende Frage nach der historischen Referenzialität radikalisieren sie, gerade weil, wie der Historiker Lucian Hölscher zu Recht anmerkt, sie nun von einer methodischen zu einer ethischen Frage avanciert.38 Um den Begriff der Wirklichkeit als zuverlässigen Referenten historischen Erzählens ist es am Ende des 20. Jahrhunderts schlecht bestellt. Mit Hölscher steht die »wissenschaftliche Rationalität« der Geschichtswissenschaft ebenso auf dem Spiel wie das traditionelle historische Wirklichkeitsverständnis, das im Kontext dieser neuen Kulturgeschichtsschreibung, so prophezeit der Historiker, vor seiner Auflösung steht.39

4 Geschichte in der Postmoderne – Geschichte nach der Postmoderne

Die Frage nach der Verwandtschaft von Geschichte (als narrative Repräsentation der Fakten) und Dichtung mündet im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert in eine Standortbestimmung der Geschichtswissenschaft in und nach der Postmoderne. Diese vergegenwärtigt sich in scharf formulierten öffentlichen Kontroversen, wie sie etwa in der renommierten Zeitschrift History and Theory zu Beginn des neuen Jahrtausends geführt werden. Allen voran Vertreter der angloamerikanischen Geschichtstheorie machen in ihren Beiträgen deutlich, wie verhärtet sich die Fronten zwischen Anhängern einer modernen Auffassung von Geschichte und jenen der postmodernen darstellen, vor allem aber, wie sehr diese theoretische Auseinandersetzung bisweilen an der Praxis historischer wie historiografischer Arbeit vorbeiläuft. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Brisanz der Auseinandersetzung im angloamerikanischen Raum nicht immer eine vergleichbare Entsprechung in Deutschland findet. Der vorrangige Grund ist in den prekären Schlüssen zu suchen, die sich mit der Idee einer postmodernen Historiografie mitunter verbinden: Mit Derridas These, dass man sich auf das Reale nur noch in der »Praxis der Interpretation« beziehen könne,1 geraten Geschichtsbegriff wie historiografische Tätigkeit zu Deutungsverfahren, deren zugrunde gelegte Fakten nicht mehr zuverlässig zu ermitteln sind. Dieser Gedanke lässt sich nur schwer mit dem dringenden Auftrag der deutschen Geschichtsschreibung vereinbaren, eine möglichst lückenlose, wissenschaftlich angemessene Aufarbeitung der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts, allen voran des Holocausts, zu gewährleisten. Gerade die Tatsache, dass die Ereignisse der NS-Zeit zum Ende des 20. Jahrhunderts vom zeitgeschichtlichen zum historischen Thema avancieren,2 führt zu Auseinandersetzungen unter deutschen Historikern. Die kontroverse Debatte um die Historisierung des Holocausts, die häufig mit seiner Relativierung gleichgesetzt wurde, ist hier beispielhaft.3 (Vgl. Kap. 4.2.3) In dieser besonderen Sensibilisierung mag, gerade im direkten Vergleich mit den ungleich ›streitlustigeren‹ britischen und amerikanischen Historikern, eine leichte Theorie-Müdigkeit deutscher Geschichtswissenschaftler, zumindest aber der grundsätzliche Vorbehalt gegenüber einer sich als postmodern ausweisenden Geschichtswissenschaft gründen. Dabei sind die Fragen, die in und außerhalb Deutschlands an die Historiografie der NS-Zeit gestellt werden, oft die gleichen – unterschiedlich aber sind ihre Kontextualisierungen. Diese Differenzen benennt der aus Deutschland stammende und in den USA lehrende Historiker Wulf Kansteiner präzise, wenn er den mit dem Generationswechsel einhergehenden Prozess der 1990er Jahre darstellt, im Zuge dessen die NS-Zeit und ihre Verbrechen von einer außergewöhnlichen (exceptional) zu einer beispielhaften (exemplary) historischen Periode avancieren.4 Dieser Prozess, erläutert Kansteiner in seinem programmatischen Beitrag, schlage sich in Deutschland im Historikerstreit und in einer emotional geführten Diskussion um die Singularität des Holocausts nieder. In den USA hingegen sei er mit der enormen Popularität strukturalistischer und poststrukturalistischer Ansätze innerhalb der Geschichtswissenschaft verknüpft – mit theoretischen Positionen also, welche den epistemologischen Rahmen maßgeblich destabilisieren, welcher die Idee der Singularität (»notion of singularity«) gestärkt habe.5

In Deutschland wird die poststrukturalistische Beschneidung des Geschichtsbegriffes vorerst nicht mit den Diskussionen um die Darstellbarkeit des Holocausts verknüpft – theoretische Positionsversuche fallen hier insgesamt reservierter aus. So kann Richard J. Evans im Vorwort seines programmatischen Bandes In Defence of History (der im Deutschen bezeichnenderweise den deutlich neutraleren Titel Fakten und Fiktionen trägt) noch im Jahr 1998 anmerken, dass der »Hauptstrom der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft« weiterhin »sehr stark auf den in den 70er Jahren verbreiteten sozialwissenschaftlichen Modellen« beruht.6

4.1 Der Abschied von der Geschichte

Exemplarisch für die angloamerikanische Debatte liest sich die theoretische Auseinandersetzung zwischen dem amerikanischen Historiker Perez Zagorin, Vertreter eines modernen Geschichtsverständnisses, und dem britischen Historiker Keith Jenkins, einem erklärten Repräsentanten der Postmoderne, der in verschiedenen Veröffentlichungen den Standpunkt stark macht, dass Postmodernität keine Frage der Entscheidung oder der Ideologie, sondern die Bedingung der Gegenwart, folglich ohne Alternativen sei.1 1999 veröffentlicht Zagorin in der Zeitschrift History and Theory seinen Beitrag History, the Referent, and Narrative, in dem er die postmodernen Schlussfolgerungen der Geschichtswissenschaft vergangener Jahrzehnte pointiert zusammenfasst und deren Vertreter, darunter allen voran Keith Jenkins, mit Nachdruck angreift.2 Zagorin erkennt in der postmodernen Zurückweisung historischer Referenzialität und vermeintlichen Ablehnung jeder Form von Realismus die Hauptthesen der postmodernen Geschichtstheorie, die er in den Schlagworten »anti-realism« und »narrativism« zu erfassen sucht. Beide führen mit Zagorin zu einer problematischen Gleichsetzung von Fiktion und historischer Wirklichkeit, mithin von Dichtung und Geschichte:

 

According to this thesis, the fictional stories invented by writers and the narrations fashioned by historians do not differ from one another in any essential respect because both are made out of language and equally subject to the latter’s rules in the practice of rhetoric and the construction of narratives. […] By the same token they also place historical narratives in the same category as the fictional discourses of novelists and artists, so that it is impossible to make a distinction between histories and fiction or to adjudicate between different historical interpretations on the basis of facts or evidence.3

Zagorins Kritik an den postmodernen Positionen bezieht sich sowohl auf wissenschaftsspezifische wie moralisch-politische Kategorien: Zum einen blende die postmoderne Narrativitätsdebatte der Historiografie, so Zagorin in Anlehnung etwa an die White-Kritik durch Jörn Rüsen (vgl. Kap. 3.2.1), wesentliche wissenschaftsspezifische Merkmale des Faches (Analyse, Reflexion, Quellenkritik) vollkommen aus und reduziere die Historiografie irrtümlicherweise auf »a mimesis, description, or picture in words.«4 Zum anderen warnt Zagorin davor, dass sich der postmoderne Skeptizismus und Relativismus allen politischen und moralischen Normen entziehe, die Geschichtsschreibung demzufolge nicht überprüfbar und keiner historischen Realität verpflichtet sei. Um die prekären Folgen einer solchen von allen Auflagen befreiten und mit Fiktion gleichgesetzter Geschichtsschreibung zu vergegenwärtigen, führt Zagorin das Beispiel historischer Holocaust-Darstellungen an.5

Im darauffolgenden Jahr erscheinen im zweiten Band von History and Theory sowohl eine umfangreiche Stellungnahme Keith Jenkins zu Zagorins Kritik wie auch die erneute Antwort Zagorins auf diese Replik.6 Jenkins begegnet Zagorins Vorwürfen, indem er zum einen dessen vermeintlich falsche Lesart postmoderner Theorien zu entlarven und das durch die Postmoderne ausgerufene ›Ende der Geschichte‹ als Chance für einen Neuanfang positiv zu werten sucht.7 Den Vorwurf Zagorins, die postmodernen Theorien seien »anti-realistic« und »antic-referentialistic«, weist Jenkins als »ridiculous accusation«8 zurück. Statt dessen besteht er darauf, dass die postmodernen Theoretiker die Materialität eines ›Außerhalb des Textes‹ keineswegs bestreiten würden, sondern lediglich die Möglichkeiten, ein solches mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln (der Sprache) jemals erkennen und einen objektiven Zusammenhang zwischen Welt und Wort herstellen zu können. Postmoderne Historiker seien damit weder Antirealisten noch Anti-Referenzialisten, sondern, wie Jenkins im Rückgriff auf eine Terminologie Richard Rortys bekräftigt, einzig »antirepresentationalists«.9 Tatsächlich lässt sich diese Behauptung Jenkins’ mit Blick auf die geschichtstheoretischen Standpunkte des auslaufenden 20. Jahrhunderts kaum aufrecht halten. Vielmehr ist Zagorin zuzustimmen, wenn dieser in seiner Antwort dem Briten einen konfusen Umgang mit dem Begriff des philosophischen Realismus unterstellt.10 Mit seiner Unterscheidung zwischen Realisten und Repräsentationalisten ignoriert Jenkins in der Tat die Differenzierung zwischen einem ontologischen und einem philosophischen Realismusbegriff, der in einem erkenntnistheoretischen Sinne nicht allein die Materialität der Dinge, sondern Prozesse ihrer Wahrnehmung, ihres Beschreibens und ihrer Erfahrung bezeichnet.11 Während der ontologische Realismus lediglich die Existenz der Dinge an sich behauptet, baut der erkenntnistheoretische Begriff auf dem ontologischen auf, behauptet jedoch zusätzlich die Erkennbarkeit des ontologisch Seienden. Postmoderne Theoretiker sind insofern als Anti-Realisten zu verstehen, als sie einen epistemologischen Realismus, nämlich die Möglichkeit, zutreffende Erkenntnisse über die Wirklichkeit gewinnen zu können, entschieden negieren. Allen voran Roland Barthes, den Jenkins in seinem Beitrag indirekt mit seinem Verweis auf den »reality-effect« zitiert, steht für einen solchen geschichtstheoretisch bedeutsamen Anti-Realismus, wenn er dem historischen Diskurs nicht mehr das Reale selbst, sondern, wie bereits ausgeführt wurde, lediglich den Effekt des Realen (l’effet de réel) zugrundelegt. Jenkins’ Verteidigung der postmodernen Theoretiker als Repräsentationalisten (statt Anti-Realisten) greift an dieser Stelle nicht nur zu kurz, sondern sie überführt seine eigene Argumentation genau jener theoretischen Naivität, die er ursprünglich Zagorin zu unterstellen versucht.

Mit der Postmoderne etabliert sich innerhalb der Geschichtswissenschaften demzufolge ein im epistemologischen Sinne historischer Anti-Realismus, der in letzter Konsequenz nicht nur das Ende der Geschichte bedeutet, sondern dieses positiv im Sinne eines Befreiungsschlages (»enormous liberating potential«) interpretiert.12 Das insbesondere von Jenkins an verschiedenen Stellen ausgerufene ›Ende der Geschichte‹ im Sinne der Postmoderne ist dabei keinesfalls mit dem Ende der Geschichte im Kontext der Posthistoire-Diskussion zu verstehen, wenngleich Jenkins selbst auf eine Differenzierung verzichtet und beide Begriffe synonym verwendet.13 Lutz Niethammers programmatischer Studie folgend wird Posthistorie hier als Begriff verstanden, der

eine sich seit einem halben Jahrhundert ausbreitende Zeitdiagnose und Form rückbezüglichen Geschichtsdenkens [bezeichnet], wonach am ›Ende der Geschichte‹ ein geronnener Zustand der technisierten Massengesellschaft eintrete, der sich durch ›stationäre Beweglichkeit‹ ohne sinnhafte Alternative oder erinnerungswürdige Ereignisse auszeichne.14

Dieser durch den konservativen Soziologen und Philosophen Arnold Gehlen bereits in den 1950er Jahren in dessen kulturkritischen Schriften eingeführte Begriff erfährt im Jahr 1992 eine äußerst fragwürdige und kontrovers diskutierte Erneuerung durch Francis Fukuyama. Fukuyama stellt in The End of History and the last man die These auf, dass nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten das Ende der Geschichte mit dem US-amerikanischen Modell liberaler Demokratie erreicht sei, »as it conquered rival ideologies like hereditary monarchy, fascism, and most recently communism.«15 Dabei lässt Fukuyama sich von einem entschieden nicht postmodernen Geschichtsverständnis leiten, das Geschichte als singulären, kohärenten und evolutionären Prozess versteht, der mit dem alternativlosen »ideal of liberal democracy« an sein Ende gelangt sei, denn: »[…] all of the really big questions had been settled.«16

Jenkins’ Begriff eines »Endes der Geschichte« ist nicht durch die posthistoire, sondern die Postmoderne bestimmt, entsprechend versammelt er gemeinsam mit Alun Munslow in dem Herausgeberband The Nature of History Reader unter der Kapitelüberschrift Endisms jene Beiträge, die das postmoderne Ende der Geschichte diskutieren.17 Dieses Ende der Geschichte beruft sich darauf, dass die Vergangenheit nicht mehr zuverlässig zur Verfügung stehe, erteilt den »großen Erzählungen« (metanarratives) eine Absage, bestreitet einen Hoheitsanspruch der Historiker über die Geschichte und plädiert für einen grundsätzlichen Relativismus:

In that sense the past is now seen as being overtly promiscuos; it will go with anybody, obey any ›order‹: Marxists, Whigs, empiricists, racists, feminists, structuralists, phenomenologists, postmodernists – anybody can have it.18

Dieses im Sinne postmoderner Auffassungen prognostizierte Ende der Geschichte läuft auf die endgültige Einebnung der Differenz von Fiktion und Wirklichkeit, Geschichte und Literatur hinaus, die Zagorin kritisiert und Jenkins historischem Denken vorgeworfen hatte. Tatsächlich ist Geschichte mit Jenkins ausschließlich als Text aufzufassen, der sich zusammensetzt aus »things ontologically unconnected« und der dabei nicht zurückzuführen ist auf »empirically verifiable ›epistomological‹ elements.«19 Eine Unterscheidung zwischen historischen Fakten und subjektiv imaginierter Fiktion ist demnach nicht mehr möglich:

In the end, therefore, history is best seen as an act of the imagination, a fictive product; a figure, a shape, a way of carving up ›the past‹ that the past ›itself‹ has no way of determining not only ›once and for all‹ but at all.20

Zu dieser Auffassung der Geschichte als einem allein ästhetischen Diskurs existiert mit Jenkins keine Alternative – die postmoderne Erkenntnis versteht sich insofern nicht als Nachfolger eines modernen Geschichtsverständnisses, sondern als Korrektur einer immer schon falschen (modernen) Auffassung von Geschichte:

And I think we should accept this homecoming; should recognize that it was just an enormous category mistake to have ever thought of histories as being not of an aesthetic but of an epistemological kind; that it was just a mistake to make histories in ways which were ›modern‹.21

Das Ende der Geschichte, wie sie bislang gedacht wurde, will Jenkins als Beginn einer neuen Zeitrechnung verstehen – sämtliche Prozesse des »endism« (die Jenkins keineswegs nur auf die Geschichte beschränkt) signalisieren einen Neuanfang, der endgültig von der »Last der Geschichte« (burden of history) befreie. Jenkins feiert die Postmoderne als Befreiungsschlag für die Geschichtswissenschaft wie für den Geschichtsbegriff, schließt damit an jenen Lobgesang an, der von Beginn an den postmodernen Abschied von den Meta-Erzählungen begleitet hatte, etwa bei Wolfgang Welsch:

Diese großen Erzählungen sind für uns – nicht zuletzt angesichts moderner Totalitarismen – unglaubwürdig geworden. Das postmoderne Denken hat daraus die Konsequenz gezogen. Es reagiert auf den Verlust der großen Erzählungen nicht mit Trauer, eben weil es die Kehrseite all solcher Ganzheiten erkannt und eingesehen hat, daß deren »Verlust« eher einen Gewinn bedeutet. Die Kehrseite von Ganzheit ist Zwang und Terror, ihr »Verlust« hingegen ist mit einem Gewinn an Autonomie und Befreiung des Verschiedenartigen verbunden. Daher sieht die Postmoderne […] keinen Anlaß zur Betrübung.22

Konkreten Fragen allerdings, welche Aufgaben sich etwa mit diesem Befreiungsschlag für den Historiker und Historiografen in der Praxis verbinden, wie eine Geschichte als ›Wissenschaft‹ und deren Texte nach dem Ende der Geschichte überhaupt auszusehen haben, bleibt Jenkins eine klare Antwort schuldig. Entsprechend konturlos, fast schon tautologisch, mutet sein die Replik auf Zagorin beschließender Ausblick auf eine Geschichtswissenschaft im postmodernen Gewand an: »[…] to me postmodernism seems to be a vehicle through which […] a little bit of newness may be entering our world.«23

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