Exentanz

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Und Thomas Wenger nahm als Abschluss seiner Gedanken noch einen genüsslichen Schluck Rotwein und sammelte seinen ganzen Mut, um seine Schlingen nach Frau Irmgard auszuwerfen.

Die aber war auch tief in Gedanken versunken. Dieser Doktor Joseph Hofstätter ging ihr nicht aus dem Sinn. Einerseits hasste sie ihn. Er hatte sich zwischen Josefine und sie gedrängelt, entzweite Mutter und Tochter.

Aber andererseits?

»Mein Gott, Töchterlein, so toll ist dieser Schlawiner im Bett?«, räsonierte sie. »Da kauf ich dir einen zehnmal Besseren. Wenn du dich schon austoben musst, warum dann nicht mit so einem Trottel wie dieser Barta einer gewesen ist? Mit dem wurde ich spielend fertig. Aber dieser Hofstätter ist schlau. Der weiß, wie er dich manipulieren kann. Du Dummerchen. Irgendwann kriegt er dich noch vors Standesamt. Und er muss nur noch zwei Jahre durchhalten, dann hast du Zugriff auf dein Erbe von deinem leiblichen Vater. Das kann ich kaum verhindern. Obwohl – ich hab ja Vollmacht, das Geld zu verwalten. Was wäre wohl, wenn in zwei Jahren nichts mehr davon da ist? Wie dumm guckst du dann aus der Wäsche? Und erst dein Joseph! Und glaub ja nicht, liebes Töchterlein, dass du auf meine Mailänder Erbschaft hoffen kannst! Wenn du nicht spurst, bist du ganz schnell enterbt. Auf den Pflichtteil hoffst du? Kannst lange hoffen. Ich will mein Leben genießen und das kostet. Bin ja erst fünfundvierzig. Wer weiß, was noch kommt, was mir noch so über den Weg läuft?«

Die um das Feuer versammelte Gesellschaft lachte laut auf. Das schrille Gejapse der blöden Düsseldorferin riss Irmgard aus ihren Gedanken. Zwangsweise lachte sie mit.

»Tja, Töchterlein, deine Mutter hat sich auch noch nicht ins Kloster zurückgezogen«, setzte sie ihre Gedanken fort. »Es muss nur der Richtige kommen. Dein Joseph ist ja ganz knusprig, das hab ich wohl gespürt. Wenn ich wollte, hätte ich ihn längst haben können. Freilich, so schamlos wie diese Charlotte Trenkhoff könnte ich nie sein. Die hat ihn sich einfach gegriffen. Vor allen Leuten im Golfclub! Schleppt ihn einfach ab! Im Clubhaus! Er hat sie ja bestens bedient, ihren Brunftschreien nach zu urteilen. Waren ja nicht zu überhören. Dieses Flittchen. Jetzt ist sie tot. Hat sie davon. Nein, solche Eskapaden liegen mir nicht. Mein Freund Dildo hilft mir über die ärgsten Trockenperioden hinweg. Der ist wenigstens diskret. Aber auf die Dauer?«

Sie sah ins flackernde Feuer, dann fiel ihr Blick auf den Ranger, der Holz nachlegte, dass die Funken stoben.

»Na ja, dieser William Sutherland ist ja auch schon recht alt. Obwohl, seine Männlichkeit konnte ich riechen, als er mir das Weinglas gereicht hat. Und sein Blick dabei? Very British. Und sonst? Das Angebot auf dieser Safari ist ja recht dürftig. Ein einziger Mann, dazu noch ein Schwätzer, dieser Düsseldorfer. Ein einziger Mann? Irmgard, wo hast du deine Augen? Da sitzt ja noch einer!«

Und sie lugte verstohlen nach Thomas Wenger. Der merkte nichts davon, war tief in Gedanken versunken.

»Thomas Wenger«, überlegte Frau Irmgard. »Mitte vierzig, geschieden, Kosmetikfabrikant. Die Frau ist ihm weggelaufen. Warum wohl? So schlecht sieht er doch gar nicht aus. Der Safarianzug steht ihm. Was steht ihm sonst noch?«

Sie versuchte, Herrn Wengers Körpermitte mit ihren Augen zu vermessen, doch er hielt die Hände über der Wolldecke gefaltet, gerade da, wo es interessant gewesen wäre.

»Dich bring ich schon auf Trab, wenn es sein muss«, dachte sie. »Mein Giorgio Bardolino konnte sich auch nicht beschweren, und der war zwanzig Jahre älter als du. Warum hat er mich wohl geheiratet? Der wusste, eine erfahrene und glutvolle Frau zu schätzen. Obwohl, lieber Thomas, bist du nicht zu jung für mich? Mein Motto war stets, überlebe deinen Mann. Am Ende überlebst du mich? Aber was soll’s? Ich muss sehen, aus meinen ererbten Millionen ordentlich Rendite herauszuschlagen. Und bei den gegenwärtigen Zinsen kommt da wenig rum. Ich muss investieren, Risiko eingehen. Kosmetik läuft immer. Und du, lieber Thomas, hast einige recht vielversprechende Marken im Sortiment. Soviel ich weiß, deckst du nur den inländischen Markt ab. Mit etwas Kapital und einer taffen Frau wie mich an deiner Seite rollen wir beide doch den ganzen internationalen Markt auf. Den Rubel bringen wir schon zum Rollen. Und wenn ich dann noch einen Mann aus Fleisch und Blut im Bett habe, umso besser. Dildo adieu!«

Und Irmgard Karloff-Bardolino nahm als Abschluss ihrer Gedanken noch einen genüsslichen Schluck Rotwein und sammelte ihre ganze weibliche List, um ihre Schlingen nach Thomas Wenger auszuwerfen.

Da ließ die bislang eher schweigsame Hamburger Witwe verlauten, dass sie jetzt müde sei und sich zu Bett begeben wolle. Das Düsseldorfer Ehepaar, der Mann erschöpft von seiner Erzählung, die Frau ausgepumpt von ihrem Gelächter, schloss sich an.

Nun waren sie alleine übrig am Lagerfeuer, Thomas und Irmgard. Der Ranger fühlte, dass hier ein Zwiegespräch in der Luft lag, bei dem er nicht stören sollte. Mit angeborener britischer Diskretion zog er sich zurück.

»Sie haben mir ja vorhin ganz ordentlich Kontra gegeben, Herr Wenger. Sie führen eine scharfe Klinge«, sagte Frau Irmgard nun in vertraulichem Ton.

»Ich hoffe, ich habe sie nicht verletzt«, antwortete er erschrocken.

»Wie könnten sie? Aber wissen sie, weißt du, lieber Thomas, ich finde, es ist an der Zeit, dass wir vom unpersönlichen Sie auf das vertrautere Du übergehen. Ich heiße Irmgard.«

Sie stießen mit dem letzten Rest an, der sich in ihren Gläsern befand. Thomas erhob sich aus seinem Klappstuhl, trat dicht vor sie hin und machte eine Verbeugung.

»Und ich heiße Thomas. Darf ich sie, ich meine, darf ich dich, liebe Irmgard, brüderlich umarmen?«

Irmgard erhob sich gleichfalls, warf die Decke auf die Erde und bot ihm ihren halb geöffneten Mund.

»Du darfst mich sogar küssen, Thomas«, gurrte sie. Er versuchte, sie auf die Wange zu küssen, doch sie verstand es, sich so zu drehen, dass seine Lippen auf ihren Lippen landeten.

»Oh!«, rief er erschrocken aus. »Verzeih meine Ungeschicklichkeit.«

»Sei nicht albern, Thomas’, sagte sie »wir sind doch erwachsene Leute.«

Und sie nahm seine Hand und zog ihn, der sich noch halbherzig sträubte, hinter sich her in ihre Lodge.

»Hast du nicht gemerkt, wie ich dich schon die ganze Zeit über angesehen habe?«, flüsterte sie und knöpfte seine Safariweste auf. »Du hast meine Sinne benebelt, du Schlimmer. Du hast mich schmoren lassen. Am ausgestreckten Arm verhungern. Aber ich bin eine Frau, eine leidenschaftliche Frau. Mich lässt man nicht so verhungern.«

Während sie so sprach und ihre Stimme immer lockender und sinnlicher wurde, entfernte sie seine Weste, sein Hemd und den Gürtel seiner Hose. Da stand er nun und versuchte, das über seine Hüften hinabrutschende Beinkleid mit einer Hand festzuhalten, während er sich mit der anderen Hand nervös durch den blonden Haarschopf strich. Aber Irmgard ließ sich nicht mehr bremsen. Mit einem beherzten Griff stieß sie seine störende Hand beiseite und öffnete den Reißverschluss seiner Hose.

»Du verstehst es, Frauen zu verführen«, raunte sie und vollendete die Entkleidung dieses zögerlichen Mannes.

Den Anblick, der sich ihr bot, konnte man selbst bei wohlwollender Beurteilung nicht gerade als vielversprechend bezeichnen. Das Wort Hängeregistratur kam Irmgard in den Sinn und sie biss sich auf die Lippen, um nicht zu lächeln. Aber nun gab es kein Zurück.

»Du willst mich doch nicht so angezogen ins Bett schicken?«, sagte sie mit tiefer Stimme und drängte sich an ihn.

Thomas Wenger geriet in Bedrängnis. Er musste jetzt seinen Mann stehen, das war ihm bewusst. Aber die Standhaftigkeit seiner Männlichkeit gehorchte leider nur unbewussten Regungen, und die hatten sich bisher noch nicht eingestellt. Er begann, Irmgards Safariweste aufzuknöpfen. Langsam, viel zu langsam. Sie assistierte ihm. Auch die Bluse wies zahlreiche Knöpfe auf, viel zu kleine Knöpfe. Auch hier war Irmgard ihm eine unverzichtbare Assistentin. Den BH öffnete sie selbst. Ihre Brüste, prall und lockend wie zwei Honigmelonen, wogten seinen vorsichtig tastenden Händen entgegen.

»Du Schlimmer, du Don Juan, du Casanova«, gurrte sie und stöhnte unter den Berührungen seiner kalten Finger.

Während Thomas sich noch mit der Fülle der dargebotenen Früchte beschäftigte, stieg Irmgard behände aus ihrem Safarirock und stand nun vor ihm, nur mit einem rosa Schlüpfer bekleidet. Sie ergriff seine Rechte und führte sie an ihr Delta.

»Verwöhn mich, du wilder Stier!«, wisperte sie und versetzte seine Hand in reibende Bewegung.

Er spürte die Wärme ihrer Haut unter der Seide ihres Slips. Und er spürte die Rundung ihres Venushügels, das zarte Rascheln ihres Haarflaums und das Zucken ihres Schoßes unter seinen Liebkosungen. Ihm schien, als fühlte sich der Stoff etwas feucht an.

»Nimm mich«, hauchte sie und veranlasste ihn, ihr den Slip abzustreifen.

Sie standen vor dem breiten Doppelbett, das aus dunklem Tropenholz im Kolonialstil gefertigt war. Irmgard zog ihn sanft hernieder, und während Thomas noch die störende Bettdecke beiseiteschob, griff sie rasch in die Schublade ihres Nachtschränkchens und holte zwei Gegenstände heraus, die ihr für den weiteren Verlauf der Geschehnisse dienlich sein sollten.

»Leg dich auf den Bauch!«, forderte sie ihn auf, nachdem sie festgestellt hatte, dass sich auf der Vorderseite nichts regte.

Er tat wie befohlen und schloss die Augen. Da spürte er, wie eine ölige Flüssigkeit zwischen seine Pobacken geträufelt wurde. Es fühlte sich ungewohnt an. Was hatte sie vor? Er brauchte nicht lange zu warten, bis er ihre Finger dort verspürte, wo er sonst nur seine mit saugfähigem Vierlagenpapier bewehrte Hand hinführte. Vorsichtig kreiste ihr Finger um das Zentrum ihres Zielgebietes. Ohh! Jetzt drang der Finger ein in ihn, schob sich langsam voran und vollführte sachte Bewegungen. Es fühlte sich nicht schlecht an. Und plötzlich – hui! – was war das? Ein scharfer Schmerz, der sogleich in Lustgefühl umschlug, durchzuckte seinen Unterleib. Wie gelähmt lag er still. Dann spannte er alle seine Muskeln an, streckte seinen Rücken, hob den Kopf.

 

»Lass dich verwöhnen, du starker Mann«, hörte er sie flüstern.

Dann sah er nur noch Sterne vor den Augen, und ein heißes Wogen durchflutete seinen Körper. Ein tiefer, wohliger Seufzer der Lust entrang sich seiner Brust. Er spürte, wie ihr Finger sich zurückzog. Langsam ließ er den wohligen Schauer abebben. Dann drehte er sich auf den Rücken und streckte seine Hände Irmgard entgegen.

»Hat es dir gefallen?«, fragte sie. Er konnte nur schwer atmend nicken.

Zwar hatte Irmgards Kunstgriff seinen Blutkreislauf in Schwung gebracht, doch das Blut fand seinen Weg nur langsam in jenen Körperteil, der in der aktuellen Situation im Mittelpunkt ihres Interesses stand. Und so griff sie zu dem zweiten Gegenstand, den sie ihrem Nachtschränkchen entnommen hatte.

»Verwöhn mich, du Lüstling, schone mich nicht!«, sirrte sie und drückte ihm ihren Freund Dildo in die Hand.

Er blickte den unbekannten Gegenstand etwas ratlos an. Geduldig zeigte sie ihm den Schalter der Fernbedienung und führte seine Hand, während sie sich entspannt auf den Rücken legte und die Schenkel öffnete. Mit geübten Griffen dirigierte sie ihn dahin, wo sie ihn spüren wollte. Leise surrte der Motor und versetzte den vorderen Teil ihres Freundes in rotierende Bewegung, währen die Spitze der seitlich angebrachten Ausbuchtung emsig vibrierte. Thomas staunte über dieses Wunderwerk der Technik. Langsam begriff er auch, wozu die einzelnen Teile dienten, diese Ersatzteile defekter Männlichkeit. Irmgards Atem ging stärker. In ihren Augen begann Feuchtigkeit zu schimmern, ihre Lippen öffneten sich und sie stöhnte immer lustvoller.

»Oh Thomas, wie stark du bist und wie raffiniert«, gurrte sie mit vibrierender Stimme.

Das erregte ihn schließlich so stark, dass er den Drang verspürte, das elektrische Ersatzteil durch sein Originalwerkzeug aus Fleisch und – jetzt endlich auch! – Blut zu ersetzen. Irmgard jubelte still. Sie hatte es geschafft. Sie hatte es bisher immer geschafft. Sie hatte ihn. Vorsichtig führte sie ihn, gab ihm Sicherheit und Mut, ermunterte ihn zu gewagteren Bewegungen und steigerte unmerklich das Tempo, indem sie ihr Becken rotieren ließ. Ahh. Wie lange, wie viele Jahre hatte sie auf diesen Genuss verzichten müssen! Jetzt kam Thomas in Fahrt. Unmerklich bremste sie ihn, wollte seine Glut noch länger lodern lassen. Und sie wusste, wie es ging. Nun stellte er sich gar nicht mehr so ungeschickt an. Er hatte, wie er es als Analytiker wohl ausdrücken würde, den Break-Even-Point überwunden. Jetzt konnte er den Return-Of-Investment auf seinem Konto verbuchen. Und auf ihrem Konto. Es war eine Win-Win-Situation.

Als sie beide ermattet, aber in höchstem Maße befriedigt nebeneinander lagen und dem Brüllen der Löwen draußen vor der Lodge lauschten, nahm Thomas sich ein Herz und fragte:

»Willst du meine Frau werden, Irmgard?«

»Bin ich das nicht schon, Thomas?«, gab sie zurück, richtete sich auf, näherte sich ihm und küsste ihn zum ersten Mal mit heißer Leidenschaft.

»Ich meine, ob du mich heiraten willst«, stellte er klar.

»Sofort. Sofort, wenn wir wieder daheim sind«, sagte sie lächelnd und streichelte sanft sein Haar.

Und sie dachte: Morgen schicke ich meinem Rechtsanwalt eine SMS, damit er schon mal den Ehevertrag aufsetzt.

Und er dachte: Die Investition ist gesichert, ich kann expandieren. Mein Banker wird staunen.

Danach nahmen sie sich fest in den Arm, sie kuschelte sich an seine Brust und sie schliefen ein, tief, traumlos und zufrieden.

Über der Savanne hing eisig und fahl der bleiche Mond.

3.

Das Blockhaus

Donnerstag, 15. Juli Abend

Ivo, der sonnenverbrannte, drahtige Bootsmann, steuerte seine Nussschale trotz der rasch hereinbrechenden Dämmerung unbeirrt durch die drohend anrollenden Wellen auf den kleinen Landungssteg des Dorfes Sveta Marija zu.Das Manöver beherrschte er im Schlaf. Er brachte täglich zwei Fuhren sonnenhungriger Touristen aus der Stadt Hvar in dieses kleine Fischerdorf mit seinen romantischen Buchten.

Als das Boot schon fast an die Kaimauer schrammte, sprang Branko, der Gastwirt von Sveta Marija, an Land. In der Hand hielt er die Leine, mit der er Ivos Kahn an einem Poller festmachte. Dann war er den Mitreisenden beim Aussteigen behilflich, dem blonden Mädchen, das er Djanna genannt hatte, als erste. Sie packte ihre Reisetasche und verschwand oberhalb der Bucht im Dunkeln, ohne sich noch einmal umzudrehen. Josefine folgte als nächste. Joseph blieb noch im Boot und hievte die Koffer hoch. Branko nahm sie in Empfang. Zuletzt zog er Joseph an Land. Ivo rief Branko noch etwas zu, das die beiden Neuangekommenen nicht verstanden, Branko schleuderte das Ende der Leine ins Boot und Ivo drehte ab, steuerte seine Nussschale zurück nach Hvar.

»Das ist unsere Badebucht«, sagte Joseph und wies auf den steinigen Strand, der in der Dämmerung nur noch schwach zu sehen war. Eingefasst wurde die Bucht von zackigen Klippen, deren bleiche, zerklüftete Felsen steil anstiegen. Oberhalb der Klippen ragten dunkle Bäume in den Abendhimmel.

Josefine betrachtete die gischtenden Wellen, die sich tosend überstürzten, bevor sie am flachen Ufer in breiten Schaumlinien ausliefen. Sie lauschte auf das Rollen der Kiesel und auf das Gurgeln des Wassers, wenn die Wellen sich zurückzogen.

»Hier kann man aber nicht am Strand liegen«, meinte sie, »da sind ja nur Steine.«

»Dafür haben wir ja unsere Luftmatratzen mit«, antwortete Joseph.

Josefine blickte skeptisch, sagte aber nichts mehr. Sie dachte wehmütig an den Strand von Marbella. Sehr bequem würde dieser Badeurlaub wohl nicht werden. Was Joseph an diesem Ort so toll fand? Es waren wohl wirklich nur die lockenden Liebesabenteuer, die flüchtigen Urlaubsaffären, die ihn seit Jahren hierher zogen.

Branko ergriff einen der Koffer und stieg den schmalen Pfad empor, der oberhalb der Bucht entlang einer aus Bruchsteinen aufgeschichteten Mauer in einen Pinienwald führte. Seine Gäste folgten ihm. Es roch nach Harz. Auf dem Weg lagen Büschel von Nadeln der Pinien, die beim Drauftreten leise knackten. Der Weg war schwach beleuchtet durch weit auseinander stehende Laternen. Zwischen den Bäumen sahen sie kleine Holzhütten. Aus den Fenstern einiger Hütten schimmerte Licht. Radiomusik war leise zu hören.

Vor einer dieser Hütten hielt Branko, stellte den Koffer ab und schloss die Tür auf. Er trat einen Schritt ins Innere und drehte an einem Schalter. Im Schein einer Deckenlampe wurde an der Stirnseite des Raumes ein Doppelbett sichtbar, flankiert von zwei Stühlen. Links davon stand ein Kleiderschrank, daneben ein kleiner Tisch. Auf der rechten Seite führte eine Tür in einen Anbau, in das Bad. Die Holzwände waren frisch gestrichen, rochen noch nach Farbe.

Branko verabschiedete sich und ging. Sie traten ein. Joseph legte seinen Koffer auf das Bett und sah Josefine an. Sie war an der Eingangstür stehen geblieben.

»Da wollen wir die nächsten zwei Wochen hausen?«, fragte sie mit vorwurfsvoller Stimme.

»Ich hab dir ja gesagt, meine Liebe, auf meiner Insel kannst du keinen Komfort erwarten. Hier gibt es kein Luxushotel«, versuchte Joseph, sich zu rechtfertigen.

Aber Josefine war nicht zu beruhigen. »Also zwischen Luxushotel und dieser Bretterbude hier liegen ja wohl noch Welten. Ein wenig mehr Komfort habe ich schon erwartet.«

Joseph zuckte nur hilflos die Achseln. Er konnte es ja nicht ändern. Sie wollte ihn unbedingt auf dieser Urlaubsfahrt begleiten und er hatte sie gewarnt. Mehr konnte er ihr hier nicht bieten.

Josefine trat ans Bett, schob seinen Koffer beiseite und setzte sich. Sie wippte auf und ab, legte sich dann ganz ausgestreckt hin.

»Na wenigstens die Matratze geht so.«

Joseph atmete auf. Aber er spürte, dass Josefines Enttäuschung und Ärger noch nicht verraucht waren. Sie musterte das Kopfende des Bettes.

»Leselampen am Bett gibt es auch nicht«, nörgelte sie.

»Wer liest denn hier schon nachts?«, versuchte er die Situation zu entschärfen.

»Du bestimmt nicht. Das ist mir schon klar, was du nachts hier getrieben hast.«

Er schmunzelte gequält: »Dafür reicht die Beleuchtung.«

Sie ließ nur ein unwirsches »Jaja« vernehmen, dann erhob sie sich und inspizierte das Bad. Es enthielt ein schmales Waschbecken, eine Toilette und eine Dusche mit einem geblümten Vorhang aus Kunststoff. Der Spiegel über dem Waschbecken wies blinde Flecken auf. Ein feuchter Schimmelgeruch lag in der Luft.

»Oh je!«, seufzte sie nur und sah Joseph vorwurfsvoll an.

Er fühlte sich wie ein geprügelter Hund. Er schämte sich, seinem Mädchen nichts Besseres bieten zu können. Sie hatte ja Recht. Da verzichtete sie schon auf die Luxusreise mit ihrer Mutter nach Südafrika und dann mutete er ihr diese Behausung zu, die ja noch nicht einmal einen einzigen Stern in der Hotelbewertung aufweisen konnte. Als Student hatte ihm das genügt. Da kam es nicht auf den Komfort des Badezimmers an, da reichte ein vernünftiges, nicht zu schmales Bett. Und die Mädchen, mit denen er dieses Bett teilte, hatten auch andere Prioritäten, als eine Duschkabine mit Regenwaldbrause.

Josefine begann, ihren Koffer auszuräumen. Die Fächer des schmalen Schranks waren bald zur Gänze belegt mit ihren Kleidern, Hosen und Hemdchen. Die Unterwäsche musste sie schon mühsam dazwischen quetschen. Dabei war ihr Koffer erst zur Hälfte geleert. Sie seufzte resigniert, legte ihren Kulturbeutel aufs Bett, schloss den Kofferdeckel und stellte das Gepäckstück neben den Schrank. Dann trug sie den Kulturbeutel ins Bad.

»Hier gibt’s ja nicht einmal einen Haken an der Wand«, rügte sie enttäuscht, kam wieder in den Schlafraum und legte den Beutel auf den Tisch. Ihre Geduld, das erkannte Joseph, neigte sich dem Ende zu. Er musste dringend ein besseres Quartier finden. Aber jetzt hieß es, die erste Nacht heil zu überstehen.

Joseph ließ die Schließen seines Koffers aufschnappen, holte sein Waschzeug heraus und ging stumm ins Bad. Er putzte sich die Zähne, warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht und suchte ein Handtuch. Der wacklige Handtuchhalter war leer. Oh Gott, wenn Josefine das auch noch bemerkt, dachte er und holte rasch sein Badetuch aus dem Koffer.

Also so hatte sich Josefine diesen Urlaub nicht vorgestellt. Romantische Visionen eines abgeschiedenen, mediterranen Paradieses hatten sie veranlasst, auf die exklusive Flugsafari mit ihrer Mutter und Herrn Thomas in Südafrika zu verzichten, um mit ihrem Geliebten zwei unbeschwerte Wochen voll Liebe und Harmonie zu genießen. Halt, nein! Das stimmte ja nicht. Sie rief sich selbst zur Ordnung. Joseph, zu jener Zeit bloß ihr kameradschaftlicher Freund, hatte von seinem Inselurlaub gesprochen, als Herr Thomas und ihre Mutter die gemeinsame Safari zu dritt planten. Dann hatte Josefine einen Eifersuchtsanfall gehabt und beschlossen, Joseph auf keinen Fall alleine zu seinen amourösen Abenteuern nach Dalmatien fahren zu lassen. Sie waren zwar damals nur Kameraden, aber sie war eine Frau! Na, das hatte sie jetzt davon. Selbst schuld. Aber das musste sie Joseph ja nicht merken lassen. Ein bisschen mehr wie eine Prinzessin durfte er sie schon behandeln. Und jetzt hatte sie Hunger.

»Wo können wir denn zu Abend essen?«,wollte sie wissen.

»Gleich oberhalb der Anlegestelle liegt das Restaurant«, antwortete er. »Vom Strand aus kann man es nicht sehen.«

»Was zieht man hier denn an zum Dinner?«, fragte sie mit spitzer Betonung.

»Großes Abendkleid und Dinnerjacket sollten es schon sein«, gab er ebenso zurück. Dann trat er auf sie zu. »Komm her, mein Engel. Entspann dich. Gib mir erst mal einen Kuss.«

Widerwillig bot sie ihm ihren geschlossenen Mund. Er zog sie ganz in seine Arme, drückte sie zärtlich an sich und versuchte, sie leidenschaftlicher zu küssen. Doch sie entzog sich ihm.

 

»Lass uns essen gehen!«, befahl sie.

Draußen war es jetzt ganz dunkel. Unbestimmte Geräusche drangen aus dem Wald, verschlafenes Piepsen und das Rauschen der Schwingen eines Nachtvogels. Mäuse oder vielleicht sogar größere Nager schienen über den nadeligen Waldboden zu huschen. Aus einer der Holzhütten traten zwei junge Männer und bogen vor ihnen auf den Weg ein, offenbar strebten auch sie dem Restaurant zu. Sie folgten ihnen.

***

Das Restaurant war in einem dreihundert Jahre alten Herrenhaus einer dalmatinischen Adelsfamilie untergebracht. Branko hatte die letzte weibliche Angehörige dieser Sippe geheiratet, Maja mit Namen. Eine hohe Mauer aus roh zugehauenen Steinquadern umgab das Anwesen. Ein übermannsgroßes, zweiflügliges, mit schweren eisernen Nagelköpfen bewehrtes Holztor führte in den Innenhof. Hier standen etwa ein Dutzend Tische, es gab nur diesen Speisesaal unter freiem Himmel. Entlang der Einfassungsmauern reihten sich steinerne Gefäße, in denen Oleander blühte. In einer Ecke des Hofes war der kunstvoll verzierte Brunnenkopf einer Zisterne zu sehen, mit einem Deckel aus Holz abgedeckt. Dahinter hing ein kupferner Schöpfeimer an einem Haken an der Wand. Elektrische Laternen spendeten gedämpftes Licht. Fast alle Tische waren besetzt. Die leicht bekleideten Gäste waren schon beim Abendessen. Der Geruch ihrer Speisen war nur schwach wahrzunehmen.

»Romantisch«, bemerkte Josefine, jetzt schon um eine Spur versöhnlicher gestimmt.

Sie fanden einen freien Tisch und nahmen Platz. Branko erschien im offenen Türrahmen, der ins Haus führte. Er bemerkte die neu angekommen Gäste, setzte ein strahlendes Lächeln auf, breitete die Arme aus und kam an ihren Tisch.

»Bravo, bravo, willkommen«, rollte er hervor, »Was wünschen zu speisen? Wir haben Cevapcici und Mussaka. Original dalmatinische Spezialität.«

Josefine entschied sich für Mussaka. Joseph schloss sich ihrer Wahl an. Dazu eine Karaffe Wasser und Rotwein.

Eine ältere Kellnerin in schwarzer Kittelschürze brachte die Getränke. Joseph erkannte sie. Es war Jovanka, die hier bediente, seit er den Urlaub in Sveta Marija verbrachte. Sie nickte ihm freundlich zu.

»Auch eine von deinen Urlaubsbekanntschaften?«, fragte Josefine schelmisch und stupste ihn unter dem Tisch an.

»Nicht füßeln, Madame. Das schickt sich hier nicht«, antwortete er mit gespielter Entrüstung.

In diesem Augenblick huschte eine schwarze Katze aus der Haustür. Hinter ihr erblickte Joseph für den Bruchteil einer Sekunde die Gestalt des blonden Mädchens. Wieder beschlich ihn das leichte Gefühl von Angst, Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Kannte er dieses Mädchen namens Djanna? Er konnte sich nicht erinnern.

Nun brachte Jovanka die Teller mit der Mussaka. Der gratinierte Käse war knusprig, die aufeinander geschichteten Auberginen und Tomaten sowie die Füllung aus Hackfleisch dampften noch und rochen appetitlich nach mediterranen Kräutern.

Obwohl das Ambiente rustikal war und die Tischdekoration eher schlicht, fühlte sich Josefine ganz wohl. Die Mussaka schmeckte ihr, ebenso der Wein. Ihre Stimmung besserte sich. Mit Grausen dachte sie allerdings an die Nacht in der Holzhütte.

Als sie aufgegessen hatten, entschuldigte sich Joseph.

»Ich bin gleich wieder da, Prinzessin«, sagte er, stand vom Tisch auf und verschwand im Haus. Josefine nahm unterdessen ihr Handy aus der Handtasche und prüfte, ob sie Verbindung hatte, denn sie wollte ihrer Mutter eine Nachricht schicken.

In dem neben der Küche gelegenen Raum saßen Branko und Djanna beim Abendessen. Joseph trat an ihren Tisch.

»Branko, ich habe eine Bitte.«

»Ja?« Branko legte Messer und Gabel beiseite und sah auf. Djanna würdigte Joseph keines Blickes.

»Du siehst ja, dass ich diesmal nicht allein gekommen bin’, begann Joseph.

»Ein schönes Mädchen, bravo, bravo. Deine Braut?«, fragte Branko und verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. Djannas Augen verengten sich, sie starrte auf ihren Teller.

»Ja also«, sagte Joseph verlegen, »wir hätten gerne ein anderes Zimmer. Meine Braut ist ein wenig anspruchsvoll, du verstehst? Also das soll jetzt keine Kritik….«

Branko unterbrach ihn. »Aber Josip, kein Problem. Wir finden Lösung.« Er dachte nach. Dann fiel sein Blick auf Djanna. Er wies mit einer Handbewegung auf das Mädchen. »Josip, du kennst doch meine Enkelin Djanna, du erinnerst dich?«

Ah! Jetzt fiel der Groschen. Djanna! Brankos Enkelin! Natürlich erinnerte sich Joseph. Es war vor zehn Jahren, bei seinem ersten Urlaub in Sveta Marija. Er war vierzehn, sie etwa acht oder neun Jahre alt. Ein mageres Kind war sie gewesen, ein Wildfang, der ihn, den etwas pummeligen Jungen, pausenlos attackierte. Kaum erblickte sie ihn, stürzte sie auf ihn los und traktierte ihn mit Boxhieben oder zwickte ihn in Arme und Beine. Er hatte alle Mühe, dieses Energiebündel abzuwehren. Und er erinnerte sich noch, was ihre Großmutter Maja damals zu seiner Mutter gesagt hatte: »Djanna ist ein bisschen verliebt in Josip. Sie meint es nicht böse.« Auf diese Art von Liebe konnte Joseph verzichten. In den folgenden Jahren hatte er sie nie wieder gesehen. Er vermisste sie auch nicht. Und jetzt war sie eine reife junge Frau. Die aschblonde Mähne fiel noch immer in lockigen Kringeln bis auf ihre Schulter. Die hellblauen Augen leuchteten wie zwei Saphire. Die spitze Nase aber und die zu einem dünnen Strich zusammengepressten Lippen gaben Djanna ein aggressives Aussehen. Der spindeldürre Körper des Kindes hatte sich in den blühenden Leib einer mit allen weiblichen Attributen versehen jungen Frau verwandelt.

Djanna blickte nur kurz auf, als ihr Großvater sie Joseph vorstellte. In ihren Augen lag ein kalter Schimmer. Als Joseph sie freundlich ansprechen wollte, senkte sie wieder den Kopf und setzte schweigend ihre Mahlzeit fort.

»Hör zu, Josip. Wir finden Lösung für dein Problem«, sagte Branko noch einmal, dann begann er, in seiner Muttersprache mit Djanna zu reden.

Joseph verstand kein Wort. Ab und zu fiel der Begriff »Solitudo«, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Branko trug Djanna offenbar eine Bitte vor, sie aber schien abzulehnen und schüttelte wiederholt ihren Kopf, dass die Lockenmähne nur so flog. Aber Branko war hartnäckig. Seine Stimme änderte mehrfach den Klang, war einmal bittend, dann wieder fordernd, dann schien er etwas zu erklären oder zu versprechen. Djannas Widerstand wurde schwächer. Schließlich schien sie nachzugeben und der Bitte ihres Großvaters zuzustimmen. Sie warf Joseph noch einen eiskalten Blick zu, dann stand sie schweigend auf und verschwand in der Küche.

Branko wandte sich an Joseph, er setzte wieder sein übliches Strahlen auf. »Wir haben Problem gelöst, Josip. Morgen nach Frühstück, ihr könnt haben Villa Solitudo. Ganz neu renoviert. Ganz neue Möbel. Alles für Djanna, wenn sie heiratet. Im Winter. Jetzt noch nicht. Jetzt kannst du in Solitudo wohnen mit Braut, bravo bravo. Ihr geht morgen an Strand, wir bringen Sachen nach Solitudo, okay, Josip?«

Joseph dankte überschwänglich. Damit hatte er nicht gerechnet. Er kannte die Villa Solitudo von außen. Sie stand oberhalb der Holzhütten auf einer Waldlichtung. Von dort hatte man sogar freien Blick aufs Meer. Als er sie zum letzten Mal bewusst betrachtet hatte, das war vor drei oder vier Jahren, da schien sie ihm schon recht verfallen zu sein. Und jetzt sollte diese Villa das Domizil für Djanna und ihren Ehemann werden. Vornehm. Dalmatinischer Landadel eben. Josefine würde zufrieden sein. Jetzt galt es nur, diese eine Nacht in der Holzhütte zu überstehen.

Er kehrte zurück an ihren Tisch. Josefine war immer noch mit dem Handy beschäftigt.

»Ich kriege keine Verbindung«, klagte sie. »Ich wollte Mama nur mitteilen, dass wir gut angekommen sind und alles okay ist.«