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Inmitten der Bucht erhob sich ein Felsenriff, auf dem sich Badegäste auf einer hölzernen Terrasse sonnten.

»Wer zuerst auf dem Riff ist!«, rief Josefine und spurtete ins Wasser. Sie war eine gute Schwimmerin und pflügte mit flottem Crawlstil durch die flachen Wellen. Joseph beherrschte nur Brustschwimmen und folgte ihr mit Mühe.

»Also bei deinen Schwimmkünsten ist noch Luft nach oben«, meinte sie lächelnd, als sie auf der Sonnenterrasse standen. »Da kannst du noch was von mir lernen.«

»Na ja, in irgendeiner Disziplin musst du ja auch mal besser sein als ich«, antwortete er und bemühte sich, kein verdrießliches Gesicht zu machen. Aber heimlich war er stolz, so eine sportliche Geliebte zu haben.

»Ach, habe ich deinen männlichen Stolz verletzt? Komm her, ich mach es wieder gut.« Sie zog ihn an sich, streichelte über sein triefnasses Haar und drückte ihm einen salzigen Kuss auf den Mund, den er leidenschaftlich erwiderte. Dann ließ sie sich wieder ins Wasser gleiten.

Joseph sprang kopfüber vom Steg hinter ihr her, tauchte mit offenen Augen und schwamm unter Wasser dem Ufer zu, ohne viel zu sehen, weil der Sand alles trüb und verschleiert erscheinen ließ. Das Wasser wurde flacher, hier konnte man schon stehen. Er sah vor sich zwei hübsche Beine, dachte, sie gehörten Josefine und zog sich daran hoch. Ein wildfremdes, recht appetitliches Mädchen sah ihn erstaunt an, ein zögerndes, vielleicht ermunterndes Lächeln auf den Lippen.

»Sorry«, murmelte er und sah sich nach Josefine um. Sie schwamm hinter ihm.

»Wenn du schon fremdgehst, dann bitte so, dass ich es nicht merke«, feixte sie.

Dann tauchte sie ab, packte seine Beine und brachte ihn zu Fall. Sie alberten und balgten eine Weile, schwammen abermals hinaus zum Riff und ließen sich auf der Terrasse von der Sonne trocknen. So verging der Vormittag. Als die Sonne am höchsten stand, fragte Josefine:

»Hast du eigentlich keinen Hunger?«

Sie aßen eine Kleinigkeit im Restaurant der Badeanstalt und legten sich dann in den Schatten einer Pinie. Sie dösten vor sich hin, tauschten träge ein paar Worte und nickten dann ein. Als sie nach fast zwei Stunden erwachten, zog sich der Himmel allmählich mit grauen Wolken zu. Es war schwül. Kein Lufthauch.

Sie kleideten sich wieder an und marschierten zur Bushaltestelle. Sie kamen an einem Denkmal vorbei, einer hohen, schwarzen Statue. Es war wohl ein Bischof mit einer reich verzierten Mitra, der mit seiner Linken ein Buch an seine Brust drückte, die Rechte schüttelte er drohend gegen unsichtbare Angreifer. Sein grimmiges Aussehen wurde noch durch einen wallenden Vollbart unterstrichen.

Joseph glaubte, die Gestalt einer jungen Frau erblickt zu haben, die Josefine und ihn beobachtet hatte und blitzartig hinter dem Denkmal verschwand, als sich ihre Blicke trafen. Ein blonder Schatten, mehr nicht. Und wieder verspürte Joseph für einen Herzschlag lang diese Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Er blickte sich scheu um, konnte aber nichts Auffälliges mehr erspähen. Vielleicht hatte er sich auch nur getäuscht. Josefine merkte nichts.

Der Bus rollte heran, sie stiegen ein und fuhren zurück zum Hafen. Bis zur Abfahrt des Schiffes waren noch fast zwei Stunden Zeit. Sie deponierten ihre Koffer in einem Schließfach am Bahnhof, flanierten entlang der Kaimauer und bogen wieder ein in die Altstadt. Nach einem Bummel durch die Andenken- und Modegeschäfte erfrischten sie sich mit einem Eiskaffee.

Joseph war glücklich. Ein Traum war in Erfüllung gegangen. Vor 4 Monaten noch hatte er zaghaft um Josefines Freundschaft geworben, wohl wissend, dass er für dieses millionenschwere Mädel aus der Oberschicht nichts weiter sein konnte, als eine flüchtige, eher exotische Bekanntschaft. Und nun hatte sie seinetwegen sogar auf eine luxuriöse Flugsafari durch Südafrika mit ihrer Mutter verzichtet. Auch die Aussicht, auf der Insel in Dalmatien nur sehr rustikal in einer Blockhütte zu wohnen, konnte sie nicht abschrecken. Dabei war sie doch den Komfort von Luxushotels gewohnt. Liebte sie ihn so sehr? Joseph gab sich ganz seinem wohligen Gefühl hin.

Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf das Display – seine Eltern aus Wien.

»Geh Joseph, wo steckst du denn?«, vernahm er die vorwurfsvolle Stimme seiner Mutter. Er verfiel augenblicklich in die Rolle des gehorsamen Sohnes.

»Wir sind in Split, Mama.«

»Geh, was machst denn in Split. Bist net allein?«

»Nein, mit meiner Freundin.«

»Ah, hast jetzt eine Freundin? Geh, könntest dich auch öfter melden. Der Papa macht sich schon Sorgen.«

Oh Gott, die ganze Enge und Bedrängnis kam wieder hoch, die er so gehasst hatte in den letzten Jahren. Eingesperrt hatte er sich gefühlt in der Wohnung in Wien, fürsorglich bevormundet von den Eltern. Nur raus, weg, Flucht, waren seine Gedanken gewesen. Aber die wenigen Monate, die seit seinem Auszug aus dem Elternhaus vergangen waren, reichten nicht aus, um die Atmosphäre der Unfreiheit und Unselbständigkeit ganz aus seinem Inneren zu tilgen. Schon sah er sie wieder vor sich, seine Eltern. Da war der Vater, hager, gebeugt, den Kopf raubvogelartig nach vorne gereckt. In seinen Augen der stechende, Gehorsam fordernde Blick. Da ließ der Gedanke an das asketische Wesen des alten Mannes wieder Josephs so junge Lebensfreude verdorren. Joseph durchschaute diese so demonstrativ zur Schau gestellteAblehnung aller sinnlichen Genüsse seines Vaters, der seine Befriedigung aus der Bescheidung auf Mineralwasser und Müsli bezog und sich in unbeobachtet geglaubten Momenten vor dem Spiegel an der jugendlich-schlanken Figur ergötzte. Und da war die Mutter. Hilflos den Launen des Vaters ausgesetzt, ihn aber doch mit weiblicher Hartnäckigkeit dominierend. Wieder sah Joseph sie vor sich, wie sie im letzten Jahr ihren unförmigen Persianermantel mit lästigem Raunzen und, wie man in Wien sagte, mit unablässigem Benzen durchgesetzt hatte. Er sah ihre leicht schräg nach oben gezogenen Mundwinkel, wie sie abschätzig mit »A ganz a primitive Person« über eine seiner Urlaubsbekanntschaften geurteilt hatte. Und Joseph hatte noch ihre schroffe Ermahnung »Lasst’s euch ja nicht von Weibern anreden!« im Ohr, die sie ihm und seinen Freunden mit auf den Weg gegeben hatte, als sie vor Jahren das soeben bestandene Abitur beim Heurigen feiern gingen.

Da saß er nun mit seiner geliebten Josefine im sonnendurchfluteten Dalmatien, weit weg von den Eltern. Und doch: der Anruf aus Wien schnürte ihm wieder die Luft ab.

»Geht’s euch gut?«, fragte er wie ein gehorsames Kind.

»Na jaaa, wie’s einem halt so geht, wenn der einzige Sohn sich in der Welt herumtreibt, statt dass er den Eltern a bisserl zur Hand geht. Das Einkaufen is halt schon mühsam, so ohne Auto. Der Papa holt ja immer seine Körndln vom Naschmarkt. Und zum Arzt muss ich auch wieder hin«, klagte die Mutter.

»Weißt was, Mama, in drei Wochen kommen wir euch besuchen, die Josefine und ich«, versprach er völlig entnervt. Josefine nickte ihm freundlich zu.

»Wird ja amal Zeit, dass’d dich um deine alten Eltern kümmerst«, raunzte es vorwurfsvoll aus dem Handy.

Joseph presste mit letzter Nervenkraft ein paar Abschiedsworte hervor, dann brach er die Verbindung ab. Auf die Information, dass er ihnen seine Freundin vorstellen wollte, hatte die Mutter gar nicht reagiert. Er spürte Beklemmung, wenn er sich vorstellte, wie diese Begegnung wohl ablaufen würde.

»Deine Frau Mama?«, fragte Josefine ganz arglos.

Er seufzte nur.

»Ach, meine Mutter ist auch nicht besser. Die jettet jetzt mit Herrn Thomas durch Südafrika. Ich bin sicher, sie ist sauer auf mich, weil ich nicht mitgefahren bin auf Safari. Aber ich hab keine Lust, mich mit diesem Secondhand-Mann verkuppeln zu lassen.«

Immer wieder hatte Frau Irmgard Karloff-Bardolino versucht, ihre Tochter mit diesem Kosmetikfabrikanten zusammenzubringen. Er war ein langweiliger Schwätzer, wie sie fand. Gefühle konnte sie für ihn beim besten Willen nicht aufbringen. Sie empfand höchstens Mitleid mit diesem Mittvierziger, dem die Frau mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Aber Mitleid war für sie keine Basis für eine Ehe.

Dennoch verspürte Josefine ein schlechtes Gewissen und bedauerte es fast, dass sie es abgelehnt hatte, ihre Mutter auf dieser Safari zu begleiten. Interessant wäre diese Reise schon gewesen. Und sicher luxuriöser als dieser Urlaub mit Joseph. Aber sie hatte sich ja selbst entschieden, mit ihm zu fahren. Ferien an jenen angesagten Orten, die sie sonst mit ihrer Mutter aufzusuchen pflegte, konnte Joseph sich nicht leisten. Ihn zog es wie in jedem Jahr auf seine Insel in Dalmatien, wo amouröse Abenteuer lockten. »Aber deine Liebesabenteuer, mein lieber Joseph, wirst du ausschließlich mit mir erleben«, dachte sie, »sonst Gnade dir Gott!«

Joseph bemühte sich, seine eingetrübte Stimmung abzuschütteln. Der Anruf seiner Mutter hatte ihm gerade noch gefehlt. Josefine merkte sein Unbehagen und wollte ihn aufmuntern.

»Willst du gar nicht wissen, womit du meinen neuen Bikini verdienen kannst?«

»Nun?«

Sie rückte näher und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn überraschte. Jedenfalls aus ihrem Mund. Hui!!

»Josefine! Erbprinzessin von und zu Karloff! Ich darf doch um Contenance bitten«, lachte er los.

Sie zwinkerte ihm nur zu und stimmte ein in sein Lachen.

Es wurde langsam Zeit, die Koffer zu holen und zum Anlegeplatz des Schiffes zu gehen. Als sie über den Kai schlenderten, fiel ihr Blick auf das graue Karstgebirge, das sich hinter der Stadt steil erhob. Schwarze Wolken quollen jetzt über den Bergkamm und drängten aufs offene Meer hinaus. Es war unglaublich schwül. Kein Windhauch. Das Hafenbecken lag schon zum Großteil im Schatten der Wolken, obwohl die Sonne noch hoch stand. Schleimiger Dunst breitete sich über dem Wasser aus. Am Horizont wurde der schwefelgelbe Streifen des Tageslichts immer schmaler. Das Meer lag dumpf und dunkel in trügerischer, angespannter Ruhe.

 

Bei der Schiffsanlegestelle sammelten sich schon die Passagiere. Urlaubshungrige Touristen in lichter, luftiger Sommerkleidung mit schicken Koffern, und geduldige Einheimische, zumeist in dunklen Gewändern mit Stoffbündeln und abgeschabten Taschen. Dazwischen Jugendliche mit Rucksäcken, langhaarig, lässig, cool.

Joseph beobachtete diese Jungs und Mädchen, die nur unwesentlich jünger als er waren. In den letzten Jahren war er einer von ihnen gewesen, ebenso cool und in freudiger Erwartung spannender Urlaubsflirts auf der Insel. Wobei man nie wusste, ob sich ein brauchbarer Partner finden würde. Diese Sorge war er jetzt los. Neben ihm stand die heißeste Braut, die er sich nur wünschen konnte. Und sie hatte ihm Dinge zugeflüstert, die sein Innerstes zum Beben brachten! Hoffentlich würde er ihr gewachsen sein. War Josefine schon dabei, sich von seiner Schülerin in seine Lehrerin zu verwandeln?

Eigentlich hätte man ihr Schiff schon bei der Hafeneinfahrt sehen müssen. Aber dort regte sich nichts. Unterdessen hatten die schwarzen Wolken den Himmel bis zum Horizont ausgefüllt. Immer noch kein Lufthauch.

Sie setzten sich auf ihre Koffer und beobachteten die Leute rings um sie her. Ein nervöser Tourist im Khakianzug mit Strohhut brachte sie zum Lachen, wie er seine pummelige Frau anfauchte, die ihn gar nicht beachtete. Er hätte ja die Kreuzfahrt durch die Karibik buchen wollen, aber nein, Madame hatte Angst vor dem langen Flug, das hätten sie jetzt davon – und so fort. Einer der Jungs schälte eine Gitarre aus der Stoffhülle und schlug ein paar Akkorde an. Eine Gruppe Jugendlicher scharte sich um ihn. »We are the Champions«, stimmte er an, die Umstehenden stimmten mit ein.

Endlich tauchte aus dem Wolkenschleim bei der Hafeneinfahrt ein Schiff auf und steuerte allmählich auf die Mole zu. Jetzt kam Bewegung in die Wartenden. Der nervöse Tourist im Khakianzug rief nach seiner Frau, die sich unter die Jugendlichen gemischt hatte. Ein Hafenarbeiter näherte sich aus Richtung des Bahnhofs undzog einen Handwagen hinter sich her, auf dem ein Berg Koffer gestapelt war. Ein Angestellter der Schifffahrtslinie in Uniform begleitete ihn. Er bedeutete den Wartenden, eine Schlange zu bilden.

Das Schiff legte an. Die Schrauben arbeiteten im Rückwärtsgang, schäumten das träge Wasser auf, Dieselgeruch breitete sich aus, Trossen flogen an Land, der Uniformierte legte sie über die Poller am Kai, der Anker senkte sich langsam ins Wasser und das Fallreep rasselte von Bord. Eine Gruppe Reisender verließ das Schiff. Ein Offizier postierte sich am Fallreep, kontrollierte die Karten der Einsteigenden.

Das Schiff kam von Dubrovnik und war schon gut besetzt. Joseph bahnte sich den Weg zum Vorderdeck, Josefine folgte ihm. Sie fanden einen freien Sitzplatz an der Reling, sie setzte sich, er hockte sich vor ihr auf seinen Koffer.

Und wieder erspähte Joseph das flüchtige Schattenbild jener Blondine, von der er sich bereits bei dem Denkmal beobachtet gefühlt hatte. Wieder trafen sich die Blicke für einen Wimpernschlag, dann verschwand die Erscheinung hinter einer Gruppe von Passagieren. War es eine Sinnestäuschung? Er hatte das Gesicht nicht erkennen können, nur die hellen Augen, die Silhouette und den blonden Haarschopf. Wer war das? Er wusste es nicht.

Eine Glocke schlug an, eine Dieselwolke quoll aus dem Schornstein, der Kapitän beugte sich aus der Kommandobrücke, rief dem Uniformierten an Land etwas zu. Dieser löste die Trossen, das Fallreep wurde an Bord gezogen, der Anker rasselte hoch und das Schiff legte ab.

»Sitzt du einigermaßen bequem?«, fragte Joseph seine Begleiterin.

»Geht so. Wie lange dauert die Überfahrt?« Wohl fühlte Josefine sich nicht.

»Etwas mehr als eine Stunde«, antwortete er.

»Na, das geht ja’, sagte Josefine tapfer und hielt ihr Gesicht in den langsam aufkommenden Fahrtwind. Wenigstens etwas frische Luft!

Der Himmel war jetzt schwarz und das Meer bewegungslos und unsichtbar unter dem Schiffsrumpf. Nur am Stampfen der Motoren und an den Lichtern der Stadt, die kleiner wurden hinter ihnen, und an den Positionslichtern entlang des Hafenbeckens, an denen sie sachte vorüberglitten, merkte man, dass sich das Schiff bewegte.

Joseph betrachtete seine Geliebte, die mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrte, den Kopf auf ihren Arm geschmiegt. Wie schön sie war!

Das Schiff passierte die Leuchtfeuer an der Ausfahrt des Hafenbeckens. Die nahen Küsten warfen das Geräusch der Maschinen verstärkt zurück. Sie erreichten das offene Meer.

Plötzlich zuckte ein Blitz über den schwarzen Himmel, erleuchtete für einen Augenblick den schwefelgelben Spalt zwischen zwei Wolken. Es war kein Donner zu hören. Weitere Blitze folgten, ließen den dunklen Spiegel des bleiern daliegenden Meeres aufblinken. Dann klatschten die ersten Regentropfen aufs Deck und in ihre Gesichter. Die warmen, großen Tropfen waren lautlos gekommen, nun prasselten sie schnell und dicht herab. Ein Sturm heulte los, fegte über Bord, fing sich in ihren Haaren und Gewändern und peitschte die dicken Regenschnüre auf das Deck.

Josefine zog den Kopf ein. Joseph ergriff ihre Hand, half ihr auf die Beine, dann packte er beide Koffer und schloss sich den übrigen Passagieren an, die den Weg unter Deck suchten. Josefine hielt sich dicht hinter ihm. Sie stiegen die Treppe hinab ins Innere des Schiffes und kamen vor dem Eingang des Speisesaales zum Stehen. Hier ging nichts mehr weiter.

Jetzt erst kamen die Wellen. Das nicht übermäßig große Schiff hob sich, schlingerte und senkte sich in die wuchtig anrollenden Wogen.

»Geht’s dir gut?«, fragte er Josefine. Sie war so still. Er war ja seefest, aber sie?

»Es geht«, hauchte sie und schmiegte sich an ihn. Er nahm sie schützend in den Arm, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie wollte ihm auf keinen Fall zeigen, wie sehr sie unter den Unbequemlichkeiten dieser Reise litt. War sie denn wirklich so ein verwöhntes Prinzesschen? Nein, sie wollte tapfer sein, auch wenn es ihr schwerfiel. Joseph zuliebe.

Der Tourist im Khakianzug drängelte rücksichtslos an ihnen vorbei zur Treppe nach oben ins Freie. Er war grün im Gesicht und hielt sich eine Hand vor den Mund.

»Wollte der nicht eine Kreuzfahrt ins Bermudadreieck machen?«, flüsterte Joseph ihr zu. Josefine lächelte gequält.

Allmählich beruhigte sich das Gewitter. Die schwarzen Wolken hatten ihren Inhalt verströmt, lichteten sich. Als sie in den Hafen von Hvar einliefen, blinkten auf den nassen Dächern schon wieder die Strahlen der allmählich untergehenden Sonne.

Das Schiff legte an, man ging von Bord. Und da war sie wieder, diese rätselhafte Blondine. Joseph sah jetzt nur ihren Rücken, als sie dicht vor ihnen über das Fallreep schritt. In der Hand hielt sie eine kleine Reisetasche. Die Unbekannte beachtete sie nicht. Vielleicht hatte Joseph sich ja doch geirrt, als er glaubte, von ihr beobachtet zu werden?

Auf einer Bank vor der Anlegestellte saß ein älterer, hochgewachsener, schlanker Mann, braungebranntes Gesicht mit weißer Löwenmähne. Branko, der Gastwirt von Sveta Marija, dem kleinen Fischerdorf, wo sie ihren Urlaub verbringen wollten. Er erhob sich, ging den Ankommenden ein paar Schritte entgegen und breitete die Arme aus.

»Djanna!«, rief er strahlend, schloss die Blondine in seine Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er ihr die Reisetasche ab, und die beiden gingen ein Stück die Mole entlang.

»Unser Gastgeber«, erklärte Joseph seiner Freundin. »Branko. Er geht zu dem kleinen Motorboot da vorne, das bringt ihn nach Sveta Marija. Das ist unser Urlaubsort. Wir müssen ihn einholen. Wir wollen auch mitfahren.«

Sie beeilten sich und erreichten Branko und die Blondine. Sie war schon in ein kleines Boot geklettert, in dem ein stoppelbärtiger Seemann hockte und den Motor ankurbelte. Branko stand noch an Land.

»Branko!«, rief Joseph. »Nimm uns mit!«

Der Angesprochene drehte sich um, erkannte Joseph und breitete abermals seine Arme aus. Er setzte ein strahlendes Lächeln auf und schloss ihn in seine Arme.

»Willkommen Josip, bravo, bravo!«, rollte er im Bass hervor.

»Das istmeine Freundin Josefine«, sagte Joseph und trat zur Seite. Branko umarmte auch sie.

Dann kletterten sie in das kleine Boot. Ivo der Seemann hatte unterdessen den alten Diesel in Gang gebracht. Sie setzten sich auf eine Bank an der Reling. Branko nahm gegenüber Platz, neben ihm saß die Blondine. Sie würdigte die Fremden keines Blickes.

Sie tuckerten los. In einer halben Stunde würden sie Sveta Marija erreichen.

2.

Heia Safari!

Mittwoch, 14. Juli

Lodernd war die riesige Scheibe der Sonne Südafrikas über der Savanne eingetaucht in eine gleißende, weißgelbe Wolke. Dahinter schimmerte sie nur noch wie erlöschendes Feuer, färbte die Wolke blutrot und verschwand dann sehr schnell, schneller als die europäischen Safarigäste dies erwartet hatten, hinter dem Horizont. Die Akazienbäume ragten noch eine Weile schwarz gegen den Himmel, der sich jetzt rasch verdunkelte und die Silhouetten der Bäume verschluckte.

Auf einer sandigen Rasenfläche vor den Lodges hatten sich die Teilnehmer der Flugsafari im Kreis auf bequeme Klappstühle gesetzt. In der Mitte des Platzes kümmerte sich der Ranger um das Lagerfeuer. Er warf klobige Stämme in die Flammen, die prasselnd hochschossen. Sie sollten die Wildtiere fernhalten, in deren Territorium die Ferienanlage gebaut worden war.

Irmgard Karloff-Bardolino zog ihre perlweiße Stola enger um die Schultern. Es wurde geradezu schlagartig kühler. In ihrem leichten Safari-Kostüm aus sandfarbenem Leinen fröstelte sie. Ihr Reisebegleiter Thomas Wenger neigte sich zu ihr.

»Darf ich ihnen mein Jackett anbieten, gnädige Frau?«, fragte er, sprang behände auf und hielt ihr das Kleidungsstück hin.

»Zu freundlich, Herr Wenger. Aber ich werde dem Boy Anweisung geben, uns Decken zu holen«, antwortete sie und winkte den Ranger zu sich heran.

William Sutherland, der Ranger, war ein knochiger, gedrungener Mittsechziger, englischer Offizier alter Schule. Den Nationalpark kannte er wie seine Westentasche.

»Milady?« Er bewegte kaum seine steifen Lippen.

Frau Irmgard übermittelte ihm ihren Wunsch, den er umgehend an einen der schwarzen Boys weitergab, die sich stumm im Hintergrund hielten. Keine zwei Minuten später erschien der Boy mit einem Stapel Decken und reichte sie dem Ranger, der sie an seine Safarigäste verteilte.

Die Reisegruppe, die an dieser individuellen Flugsafari teilnahm, bestand nur aus fünf Personen. Neben Frau Irmgard und Herrn Thomas saßen ein älteres Ehepaar aus Düsseldorf und eine Witwe unbestimmbaren Alters aus Hamburg in der Runde. Eigentlich war die Zahl der Teilnehmer auf sechs Personen ausgelegt, aber diese sechste Person hatte kurzfristig abgesagt. Es war Josefine Karloff, die Tochter der Frau Irmgard, die sich geweigert hatte, ihre Mutter und ihren Bekannten aus dem Golfclub, Thomas Wenger, nach Südafrika zu begleiten.

Frau Irmgard ärgerte sich immer noch maßlos darüber, denn sie musste auch für ihre abwesende Tochter einen Großteil der Reisekosten bezahlen. Und sie hasste es, für etwas zu bezahlen, das ihr keinen Nutzen brachte.

Unterdessen loderten die Flammen des Lagerfeuers hoch auf und verströmten angenehme Wärme, allerdings nur von vorne. Für die innere Wärme sollte nun der südafrikanische Wein sorgen, den der Ranger jetzt aus dem Dekantiergefäß in bauchige Gläser goss. Er reichte jedem seiner Gäste ein Glas, dann hob er seines in die Höhe und blickte in die Runde.

»Cheers, Ladies and Gentlemen!«

Man trank einander zu. Der erlesene Tropfen kitzelte mit seinem fruchtigen Bouquet den Gaumen und erwärmte die Seele angenehm im Abgang.

»Nicht übel«, bemerkte Herr Thomas, spitzte die Lippen und ließ das Aroma aus dem Glas genüsslich in seine Nüstern steigen.

»Na ja, wir haben ja dafür bezahlt. Und angemessen, wie ich finde«, antwortete Frau Irmgard. »Da darf man schon das Exklusivste erwarten.«

 

»Sehr richtig!«, pflichtete ihr der Düsseldorfer bei. Die Witwe aus Hamburg beließ es bei einer zustimmenden Geste, ohne ihre vornehmen Gesichtszüge zu bewegen.

»Die Leute hier in Afrika sind doch angewiesen auf uns Touristen«, ergänzte die Gattin des Düsseldorfers. »Sonst haben sie ja nichts.«

»Nur Diamanten«, warf Herr Thomas ein.

»Die kann man nicht essen«, meinte der Düsseldorfer scherzhaft und erntete Gelächter.

Der Ranger verzog keine Miene.

»Very funny«, versuchte Herr Thomas, ihm die Situation zu erklären. Keine Reaktion.

»Ach wissen sie, Herr Wenger«, raunte Frau Irmgard ihm zu »der englische Humor ist für uns Kontinentaleuropäer schwer zu verstehen. Und umgekehrt.« Thomas Wenger nickte.

»Darf ich mal so unhöflich sein und fragen, ob sie ein Ehepaar sind?«, wandte sich der Düsseldorfer an Frau Irmgard.

Die lachte vornehm, aber freundlich auf und verneinte. »Nein, nur flüchtige Bekannte. Wir golfen zusammen.«

Sie wandte sich wieder Herrn Thomas zu und senkte die Stimme. »Apropos flüchtig. Ich darf doch auch so unhöflich sein, Herr Wenger, und fragen, ob sie Neuigkeiten von ihrer gewesenen Frau Gemahlin haben?«

Thomas Wenger errötete. Da hatte Frau Irmgard einen ganz wunden Punkt getroffen. Aber sie hatte ihre Frage so dezent gestellt, so unausweichlich direkt, aber doch mit dem Charme einer geradezu mütterlich Vertrauten, dass er sich um die Antwort nicht drücken konnte.

»Ich vermute sie in Portugal«, murmelte er.

Hass stieg in ihm auf, denn die Scheidung hatte ihn viel Geld gekostet. Der Scheidungsrichterin, offenbar eine Emanze, war es ganz egal gewesen, dass seine Frau ihn böswillig verlassen hatte und mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Es lag kein Ehevertrag vor. Also hieß es zahlen, und nicht zu knapp. Die Ausweitung seines Kosmetikunternehmens auf internationale Ebene musste er vorerst auf Eis legen. Er war froh, den Betrieb überhaupt einigermaßen unbeschadet weiterführen zu können. Aber sein Kreditlimit war ausgeschöpft, wie sein Bankier ihn höflich und mit Bedauern in der Stimme, aber mit unerschütterlicher Bestimmtheit wissen ließ. Er müsste eine neue Geldquelle auftun, darüber war Herr Thomas sich im Klaren.

Und nun bohrte Frau Irmgard auch noch in dieser Wunde!

»Scheidungen können ja so unverschämt teuer sein«, sagte sie leichthin, ohne ihn direkt anzusehen. »Mir blieb dieses Schicksal ja gottlob erspart.«

»Nun ja, gnädige Frau, nicht jedem ist es vergönnt, seine Ehepartner zu überleben«, gab Herr Thomas ärgerlich zurück und hoffte, Frau Irmgard getroffen zu haben.

Die aber lachte glockenhell. »Drum prüfe, wer sich ewig bindet – das sagte schon unser Schiller so treffend, lieber Herr Wenger.« Und sie nahm kichernd einen Schluck Rotwein.

Darauf hatte Herr Thomas keine Antwort mehr. Zunächst jedenfalls. Aber halt! Drum prüfe, wer sich ewig bindet? Wie war das denn mit Frau Irmgards Tochter?

»Das gnädige Fräulein Josefine, wenn ich nicht irre, verbringt ihren Urlaub gerade mit einem jungen Mann«, sagte er nach kurzer Pause. »Wie war doch der Name?«

»Doktor Hofstätter«, antwortete Frau Irmgard trocken. Das Lachen war aus ihrem Gesicht gewichen.

»Aus guter Familie?«, stieß er nach.

»Natürlich. Und Akademiker, Jurist«, antwortete sie, aber ihre Stimme klang eine Nuance zu schrill. Herr Thomas wusste Bescheid.

»Eine Jugendliebe muss ja nicht gleich vor das Standesamt führen«, meinte er beruhigend.

Jetzt war der Moment gekommen, in dem Frau Irmgard ihre klassische Bildung ins Spiel bringen konnte. »Wie sagt schon unser Goethe im Faust: Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet, es gibt zuletzt doch einen ganz passablen Wein. Zum Wohl, Herr Wenger!« Und sie prostete ihm zu.

»Ja, aber man sollte den stürmischen Most besser im hölzernen Fass gären lassen, unsichtbar sozusagen, und nicht im gläsernen Krug«, gab Herr Thomas spitz zurück. »Der zukünftige Genießer könnte sonst abgeschreckt werden.«

Oh ja, Frau Irmgard verstand wohl, was er meinte. Ein guter Ruf ist schnell ruiniert. Doch sie beschwichtigte sich selbst. Josefine tobte sich weit weg aus, da unten in Dalmatien auf einer Insel. Und wenn sie wieder zurück nach Frankfurt kommt, dann wird Frau Irmgard aber ganz energisch einschreiten. Sie wusste nur noch nicht, wie. Auf keinen Fall durfte Josefines Zukunft an der Seite eines standesgemäßen Ehemannes gefährdet werden.

Der Düsseldorfer hob nun an, eine unendlich scheinende Reihe von Anekdoten von seiner letzten Kreuzfahrt zu erzählen. Frau Irmgard und Herr Thomas beendeten ihr Zwiegespräch und lauschten erleichtert seinen Ausführungen. Jedenfalls taten sie so, als ob.

In Wirklichkeit aber hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

Thomas Wenger dachte voll Grimm an dieses junge Ding, diese Josefine Karloff. Wieso wollte sie ihn eigentlich nicht? Wieso hatte sie seinen, doch so romantisch arrangierten Heiratsantrag auf Sylt abgelehnt? Eine ganze Etage des Strandlokals Wellenbrecher in Kampen hatte er gemietet, teuersten Champagner geordert und einen wertvollen Diamantring in ihrem Sektkelch platziert. Dann war er vor ihr auf die Knie gesunken. Wie peinlich! Sie hatte ihn ungerührt verschmäht, war sogar aus dem Lokal geflohen und Hals über Kopf zurück nach Frankfurt geflogen. Wahrscheinlich direkt in die Arme, wenn nicht ins Bett dieses Habenichts, ins Bett dieses schmierigen Typen aus Wien.

»Aber warte nur, meine liebe Josefine«, tröstete er sich, »Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Dein Honeymoon mit diesem Taugenichts wird schneller vorbei sein, als du denkst. Dann stehst du da mit leeren Händen.« Er stutzte eine Sekunde lang. »Mit leeren Händen? Leider nein, denn in 2 Jahren muss deine Frau Mama dir dein Erbe auszahlen. Aber was, wenn sie dieses Geld, nein sagen wir mal nicht veruntreut, sagen wir mal langfristig anlegt. Wieviel mag es wohl sein? Dein Vater war Rechtsanwalt und Notar. Das Vermögen der Familie Karloff ist nicht unbeträchtlich. Ich habe mich informiert. Die Villa in Bad Homburg, die Mietshäuser im Frankfurter Westend – da kommt schon was zusammen. Tja, mein Mädchen, du wärst schon die richtige Frau für mich gewesen. Hättest mich sanieren können. Da hätte mich auch deine zickige Art nicht gestört. Und deine Affäre mit diesem hergelaufenen Kerl? Geschenkt. Und sei mal ehrlich, Josefine: so schön bist du nun auch wieder nicht.«

Thomas Wenger blickte irritiert auf. Was labert der Düsseldorfer da? Ach ja, jetzt lachen alle, war wohl eine Pointe. Hahaha! Er stimmte meckernd ins Gelächter der Übrigen ein.

»So, mein liebes Josefinchen, da bin ich wieder. Es gibt schönere Bräute als dich, wollte ich dir nur sagen. Ich steh nicht auf intellektuelle Brillenschlangen. Und dein Busen liegt ja auch eher im Flachland. Da hat deine Mutter mehr aufzuweisen. Hmm.«

Herr Thomas wandte den Blick seitwärts auf Frau Irmgard. Tatsächlich, die gepflegte Mittvierzigerin ließ unter der malerisch um ihren Leib geschlungenen Decke einige recht ansehnliche Rundungen vermuten. Sie hatte sich gut gehalten. Dass sie zweifache Witwe war, sah man nur ihrem Konto an. Na schön, am Hals zeigten sich erste Falten, aber wer sieht schon auf den Hals, wenn es ums Ganze geht.

»Ja, liebe Irmgard«, dachte er, »So übel wäre das gar nicht mit uns beiden. Gut, ich bin um ein, zwei Jährchen jünger als du. Na und? Zsa Zsa Gabor amüsierte sich mit einem viel Jüngeren. Also, wie wäre es mit uns beiden Hübschen, liebes Irmchen? Wie lange hast du keinen Mann mehr angefasst? Drei Jahre? Fünf Jahre? Dein Zweiter war ja schon bei eurer Heirat nicht mehr ganz gesund. Hast ihn ja deshalb genommen, stimmt«s? Du Luder. Aber die Fabriken in Mailand waren wohl ein guter Ersatz für seine fehlende Potenz. Oder hattest du einen Liebhaber? Oder mehrere? Wenn ich dich so ansehe, liebes Irmchen, traue ich dir alles zu. Tu nur nicht so etepetete. Unter deiner eiskalten Oberfläche schlummert ein Vulkan. Glaubst du, das merke ich nicht? Wie du den Ranger ansiehst! Was willst du denn von diesem knochentrockenen Inselaffen? Hier spielt die Musik! Hier sitze ich! Und deine Mailänder Millionen, deine schöne Erbschaft, die wäre bei mir gut angelegt. Schöne Erbschaft, schöne Frau. Mal sehen, was der Abend noch so bringt.«