Verrat der Intellektuellen

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Auch Gottfried Benn nahm sich in seiner konservativen Kulturkritik wie Ernst Jünger den Bürger als Spottobjekt – stilistisch souverän – zu Herzen: »Der Mitmensch, der Mittelmensch, das kleine Format, das Stehaufmännchen des Behagens, der Barrabasschreier, der bon und propre leben will, auf den Mittagstisch die vergnügten Säue, die sterbenden Fechter ins Hospital –, der große Kunde des Utilitaristen: eines Zeitalters Maß und Ziel.«

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 Verbraucht, so Benn 1920 in seinem kampfes- und kriegslüsternen Essay »Das moderne Ich«, sind die Affekte des »Mittelmenschen«, für die Jugend soll dagegen gelten das Unbequeme, der Schmerz – eben der Kampf: »Schmerz, Faustschlag gegen das Pamphlet des Lebens aus dem ausgefransten Maule hedonistischer Demokratien, Schmerz, Chaos, das die Rieselfelder bürgerlicher Ratio überfegt und tief vernichtet und den Kosmos sich neu zu falten zerstörend zwingt – Wort aus den Reichen, wo das Schicksal waltet«.

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 Benns verquaste Beschreibung der »inneren Lage des deutschen Ich« fand den rauschenden Beifall der Mitte und der Rechten. Kaum einer, Jünger ausgenommen, polemisierte so frech und wortstark gegen den »kleinbürgerlichen Sinn des demokratischen Fortschritts«. Die demokratische »Gesellschaftsordnung« und ihr politisches Personal, konstatierte er ironisch, seien doch außerordentlich »gut«: »Man bedenke doch diese Rasse, die aus dem Dunkel ins Helle strebt ganz ohne Revanchefurcht vorm Licht. Diese Politiker und Minister, was verjauchen sie nicht alles rhetorisch vom Pfingstwunder bis zur Apokalypse, und wenn sie gestorben sind, welche sonderbaren und tiefgeschlagenen Firmen inserieren ihnen einen Nachruf.«



Krämer, Advokaten, Gewerkschaftssekretäre – für Jünger ist das Sicherheitsdenken des Bürgers zurückzuführen auf einen Grundwert der Aufklärung, die Egalité. »Das humanitäre Gewissen richtet sich an das Idealbild einer gleichförmigen Menschheit, an ein Weltbürgertum, das keine Grenzen und Unterschiede kennt.«

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 Jünger bedient sich fortlaufend des von Benda beschriebenen Tricks. Er unterstellt – nicht anders als heute etliche Politiker von FDP und Union –, daß politische Forderungen wie die nach Gleichheit und Gerechtigkeit auf bloße Gleichmacherei – die keine Unterschiede mehr gelten lassen wolle – hinausliefen. Verlangen nach Gleichheit bedeutet indes nicht, daß alle Menschen gleich (»gleichförmig«) sind – sie sind ja von Natur aus ganz unterschiedlich –, sondern daß jeder Mensch – ohne Ansehen der Person, Herkunft und des Ranges – vor dem Gesetz gleich zu sein hat. Gebetsmühlenhaft wiederholt Jünger gleichwohl das festgefahrene Mißverständnis, man könnte auch sagen: die bösartige Unterstellung, nämlich daß sich seit der Aufklärung das humanitäre bürgerliche ›Gewissen‹, das linke Weltbürgertum, bemühe, das Ungleiche gleich zu machen, indem es das nun einmal Unberechenbare steuerbar zu machen versuche.



Die Leitwerte der Aufklärung sind für Jünger intellektuelle Kopfgeburt und Ausfluß bürgerlichen Sicherheitsdenkens; Leben und das es steuernde Schicksal würden in der Denktradition der Aufklärung gründlich mißverstanden: »In diesem Sinne erscheint die Abdichtung des Lebens gegen das Schicksal, jene große Mutter der Gefahr, als das eigentliche bürgerliche Problem, das den mannigfaltigsten ökonomischen oder humanitären Lösungen unterzogen wird. Alle Fragestellungen dieser Zeit, seien sie künstlerischer, wissenschaftlicher oder politischer Natur, laufen darauf hinaus, daß der Konflikt vermeidbar ist. Tritt er dennoch auf, wie es etwa den permanenten Tatsachen des Krieges oder Verbrechens gegenüber nicht zu übersehen ist, so kommt es darauf an, ihn als Irrtum nachzuweisen, dessen Wiederholung durch Erziehung oder durch Aufklärung zu vermeiden ist. Diese Irrtümer treten nur deshalb auf, weil die Faktoren jener großen Rechnung, deren Ergebnis die Bevölkerung des Erdballes mit einer einheitlichen, sowohl von Grund auf guten als auch von Grund auf vernünftigen und daher auch von Grund auf gesicherten Menschheit sein wird, noch nicht zur allgemeinen Kenntnis gekommen sind. Der Glaube an die Überzeugungskraft dieser Aussichten ist einer der Gründe, aus denen die Aufklärung dazu neigt, die Kräfte zu überschätzen, die ihr gegeben sind.«

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Irdische Existenz bedeutet für den Sozialdarwinisten und Spenglerianer Jünger immerzu Konflikt, Kampf und Krieg – auf Leben oder Tod. 1925 schreibt er in der Stahlhelm-Beilage »Die Standarte«: »Jeder Löffel voll Nahrung, den Du zu Dir nimmst, bedeutet Leiden und Untergang der lebenden Kreatur, bedeutet die Verdrängung und Verletzung eines fremden Rechts. Jeder Schnitt, den die Sense tut, jeder Axthieb, der in den Schlachthäusern fällt, wird gegen das volle Leben geführt … Das Leben äußert sich jedoch nicht nur im Kampfe der Arten untereinander, sondern auch im Kampfe innerhalb der Arten selbst. So steht auch der Mensch, wann und wo es auch sei, im Kriege wie im Frieden in einem unaufhörlichen Kampfe gegen den Menschen selbst … Dasselbe gilt für das Verhältnis der Staaten unter sich. Das Gegenteil behaupten, hieße sich Lebenseinheiten denken wollen, die den Gesetzen des Lebens nicht unterworfen sind. Das sind utopische Konstruktionen theoretisierender Gehirne ohne Fleisch und Blut.«

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 Kampf und Krieg sind kein »Problem«, sondern »dramatische Offenbarung des Lebens« und gehören wie »Sonnenauf- und -untergang« elementar zur Wirklichkeit hinzu. Wer glaubt, in dieses biologische Prinzip des »Friß-Vogeloder-Stirb« (das ›Gesetz‹ des Sozialdarwinismus, das auch Grundelement der NS-Ideologie ist und vielen Alltagsüberlebensmaxime) korrigierend eingreifen zu können, macht sich für Jünger intellektueller Hybris und »Humanitätsduselei« schuldig. Sinn verleihen dem Dasein nur biologische »Gesetze der Macht«. So schreibt Jünger 1926 im »Vorwort« zu »Aufmarsch des Nationalsozialismus«, einem Essayband seines Bruders Friedrich Georg Jünger: »Der moderne Nationalismus« »will nicht die Abmessung oder Abwägung der Rechte, sondern er will das Recht, das das Leben zum Leben besitzt, das eine unzertrennliche, schicksalsmäßige Einheit bildet mit ihm, und das mit Notwendigkeit andere Arten des Rechtes einschränken oder verdrängen muß, wenn es ihnen nicht unterliegen will.« Nicht »Abwägung der Rechte« durch Gleichheit vor dem Gesetz, sondern das »Recht«, das das »Recht zum Leben« setzt. Das Recht setzt der Stärkere. Rechtlichen Schutz für den Schwächeren gibt es nicht. Unverhohlen Klartext – partikularistisch wie Barrés in der Dreyfusaffäre argumentierend – sprach Jünger auch im Januar 1927 in seinem Artikel »Das Sonderrecht des Nationalismus«: »Wir Nationalisten glauben an keine allgemeinen Wahrheiten. Wir glauben an keine allgemeine Moral. Wir glauben an keine Menschheit als an ein Kollektivwesen »mit zentralem Gewissen und einheitlichem Recht. Wir glauben vielmehr an ein schärfstes Bedingtsein von Wahrheit, Recht und Moral durch Zeit, Raum und Blut. Wir glauben an den Wert des Besonderen.«

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Das nicht vom Allgemeinen, von den – so Jünger – »Phrasen der Aufklärung« wie Gewissen, Moral, Recht, Wahrheit, Universalisieren mitangeleitete Leben, sondern das vom »Besonderen« bestimmte – von Nation, Blut, Rasse, biologischer Ausstattung – schafft Recht, das »Sonderrecht des Nationalismus«: »Ein Recht des Schwächeren gibt es nicht, alles Lebendige dehnt die Grenzen seines Rechtes so weit aus, als es vermag. Daher heißt, über Ungerechtigkeit erstaunen, soviel wie über das Leben selbst erstaunen, es heißt, dem Leben fremd gegenüberstehen. Ein Gewissen anrufen, das außerhalb der eigenen Lebenseinheit, also außerhalb der eigenen Rechtseinheit steht, das heißt, von falschen Voraussetzungen ausgehen … Das Leben handelt, vom Besonderen aus gesehen, immer recht, vom allgemeinen aus immer unrecht.«

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 Das »Besondere« – das Deutsche – ist immer im Recht.



Jünger folgte damit dem deutschen Sonderweg, jenem Irrweg, der die Menschenrechtsuniversalien der Aufklärung verachtete. Am eindeutigsten formulierte er 1929 im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband »Der Kampf um das Reich« den deutschen Abweg: »Der späte Liberalismus, der Parlamentarismus, die Demokratie als Herrschaft der Zahl, ein geistiges Franzosentum und ein Europäertum, dessen Metaphysik die des Speisewagens ist, ein Amerikanismus mit der Gleichsetzung von Fortschritt und Komfort … – dieses ganze Gewirr von überalterten und überfremdeten Dingen gleicht einem dichten Telefonnetz, zu dem das deutsche keinen Anschluß hat.«

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 Anschluß fand das deutsche Telefon Ernst Jüngers ausschließlich beim »Horchen auf die geheime Ursprache des Volkes«. Allein das, so Jünger, gewährte »sichere Zuflucht zum mütterlichen Sein«, zum Elementaren. Als undeutsch, weil bloße, zu universellen Prinzipien erklärte Abstraktionen galten Leitwerte wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Undeutsch war es dabei auch, den Staat zu verstehen als notwendige Organisation zum Schutze der Menschenrechte, deutsch dagegen, dem ständestaatlich organisierten und autoritär geführten Staat die Qualität eines lebendigen Organismus zuzuschreiben. Volk und Nation der Deutschen waren so das Maß aller Dinge. Ihm hatte sich der einzelne total unterzuordnen. Geht es biologistischer, kriegerischer, kämpferischer und totalitärer als bei Jünger? All das ist in Karl Heinz Bohrers Lesart seiner künstlich konstruierten – und im Grunde nichtssagenden – Kategorie der Plötzlichkeit ohne Bedeutung.

 








3. Gottfried Benn: »Ich erkläre mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich hier seinen Weg bahnt«





Der deutsche Sonderweg – ein Irrweg für ganze Generationen und ihre geistigen Eliten. Für den national erglühten Berufssoldaten Ernst Jünger ebenso wie für den skeptischen Arzt Gottfried Benn. Im »Horchen auf die geheime Ursprache des Volkes« schloß Benn sich – 1930 im Libretto für Paul Hindemiths Oper »Der Unaufhörliche« – an das Existential des »Unaufhörlichen«, das heißt des ewigen Auf und Ab der Geschichte, des Blühens und Vergehens von Kulturen, das biologisch und historisch als Schicksal verhängt zu sein scheint. Kulturen, so codiert Benn, ›vollziehen‹ sich unabhängig von Menschen. Was Menschen also denken, tun, politisch wollen, ist unerheblich. Bestätigung für diesen fatalistischen Determinismus-Code fand Benn in Oswald Spenglers rechtem Kultbuch »Untergang des Abendlandes«. Durch Spenglers eklektizistisches Handbuch des Konservativismus sah sich Benn darin weithin bestätigt: Die westliche Demokratie, der ihr zugrundeliegende Individualismus, das Menschenrechtsdenken der Aufklärung – waren sie nicht Ausdruck eines allgemeinen Verfalls, der nur durch den »Gang zu den Müttern« zu überwinden war? Spenglers großer Erfolg, der erste Band erschien im letzten Kriegsjahr 1918, rührte daher, daß die deutsche Niederlage mit dem Untergang des Abendlandes verklärt werden konnte. Auch Benn traf mit seinem apolitischen Geschichtspessimismus und seiner Verfalls- und Untergangsmelancholie die Lebensstimmung derer, die der schlechte Kriegsausgang enttäuscht hatte. Den ideologischen Kern von Benns Libretto »Der Unaufhörliche« lobte die »Berliner Börsen Zeitung« nach der Uraufführung im September 1931 ausdrücklich: Benn, dieser Mann »aus dem Blute der Mystiker«, ließ Peter Hamecher verlauten, wolle mit seiner Rationalismuskritik dem Leben durch »Hereinnahme des Irrationalen« endlich »wieder Weite geben und Sinn«

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. Der Komponist Robert Oboussier dagegen wies in der »Frankfurter Zeitung« auf den Widerspruch hin, in den Benn sich verstrickte, wenn er das »Unaufhörliche« zum universellen Prinzip erhob. Was denn genau, fragte Oboussier, bezwecke Benn mit diesem »Unaufhörlichen«, wenn er doch auf dem Hintergrund seines Nihilismus das Ringen des Menschen mit ihm als religiöses oder philosophisches Prinzip wiederum für sinnlos erkläre? Herausgekommen sei daher nicht mehr als ein »klagendes Lied vom Katzenjammer der vom Daseinsapparat eingestampften Menschen«

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. Das »Unaufhörliche« war die – ja ebenso auch von Heidegger philosophisch betriebene – Rechtfertigung dessen, was geschah, was sich geschichtlich ereignete, also auch der völkischen, nationalen »Bewegung«. Solche Verweigerung von Aufklärung und politischem Gestaltungswillen wurde gedankliches Allgemeingut; es erhielt im Laufe der Weimarer Republik immer mehr Beifall aus der Mitte der Gesellschaft.



Als Gottfried Benn Heinrich Mann 1931 zum 60. Geburtstag auf dem Bankett des »Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller« mit einer Rede ehrte, lobte er den Artisten und Ästheten, würdigte den politischen Ziehvater von Republik und Demokratie jedoch mit keinem Wort. Den Architekten Werner Hegemann verleitete das zu der Feststellung: Benn rutsche immer weiter ins faschistische Lager ab, seine Kunsttheorie sei »im Geiste Hitlers«

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 empfunden. Und es war – vorübergend – auch so: Als Benn am 9. Januar 1932 in die »Section Dichtkunst« der Preußischen Akademie der Künste gewählt wurde, empfand er Genugtuung. Wurde ihm nicht endlich jene Anerkennung zuteil, die ihm schon lange gebührte? In seiner »Akademie«-Rede am 5. April 1932 skizzierte er – sich der Theorie des Wiener Neurologen Konstantin von Economo bedienend – in Gegenwart der sichtlich irritierten Brüder Heinrich und Thomas Mann sein für einen Mediziner erstaunlich irrationalistisches Weltbild: Die »progressive Zerebration«, »die unaufhaltsam fortschreitende Verhirnung der menschlichen Rasse«, ideologisierte er, führe zur »Frigidisierung des Ich«

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. Die Überspezialisierung des Leitorgans Gehirn bedeute den Untergangs der Gattung Mensch, sofern dem nicht, stellte er ganz im Sinne Nietzsches und Spenglers dar, ein neuer Menschentyp entgegenarbeite: der »höhere«, »tragisch kämpfende Mensch«. In seiner »Nach dem Nihilismus« überschriebenen Einleitung des gleichnamigen Essaybandes von 1932 beschrieb Benn das zur Überwindung der Misere notwendige »Gesetz« des »Willens zur Macht« bereits mit unmißverständlich faschistischem Vokabular: »Es bekäme dann für ihn den Charakter einer volkhaften Verpflichtung, kämpfend, den Kampf seines Lebens kämpfend, sich an die eigentlich unerkämpfbaren Dinge heranzuarbeiten, deren Besitz älteren und glücklicheren Völkern schon in ihrer Jugend aus ihren Anlagen, ihren Grenzen, ihren Himmeln und Meeren unerkämpft erwuchs: Raumgefühl, Proportion, Realisierungszauber, Bindung an einen Stil.«

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Auch Benn beeindruckten am 30. Januar 1933 die nächtlichen Fackelzüge der »nationalen Erhebung«. »Schicksalsrausch« ergriff von ihm wie von Millionen »Volksgenossen« Besitz, er sah sich als Teil des »mythischen Kollektivs« und glaubte an die Erneuerung des deutschen Volkes, an einen rassisch-völkischen Ausweg aus all dem, was er für fatal hielt: Aufklärung, Rationalismus, Funktionalismus und kapitalistische Selbstbereicherung. Eilfertig formulierte er, nach Heinrich Manns Rücktritt als Präsident selbst kommissarischer Vorsitzender der Preußischen Akademie, eine Loyalitätserklärung. Sie wurde auch an die vor und nach dem Reichstagsbrand geflüchteten Akademiemitglieder geschickt: »Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage.«

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 Benn war zu mehr als loyaler Mitarbeit bereit. Vor dem Mikrophon des Berliner Rundfunks bekannte er sich vier Wochen nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, am 24. April 1933, öffentlich zum NS-Regime. Alles, begann Benn seine »Der neue Staat und die Intellektuellen« programmatisch überschriebene Rede, was sich in der Weimarer Republik zu den Intellektuellen zählte, habe das Entstehen des NS-Staates bekämpft und begeistert »jeden revolutionären Stoß von Seiten des Marxismus« begrüßt. Heute jedoch habe weder der Internationalismus Schillers noch der der Sozialisten gesiegt, sondern die »nationale Revolution«. Anfällig für sakrales Pathos, trug Benn feierlich auf: »Eine echte neue geschichtliche Bewegung ist vorhanden, ihr Ausdruck, ihre Sprache, ihr Recht beginnt sich zu entfalten, sie ist typologisch weder gut noch böse, sie beginnt ihr Sein … und es tritt ein in ihr Sein die Diffamierung von Seiten aller sich zu Ende neigender Geschlechter, die Kultur ist bedroht, die Ideale sind bedroht, das Recht, die Menschheit ist bedroht, es klingt wie Echo; aus der Lombardei, aus Ungarn, aus Versailles, als die Gallier kamen, die Goten, die Sansculotten, klang es schon so. Sie beginnt ihr Sein, und alles Feine, Abgestimmte, zu was Gelangte wirft sich ihr entgegen; aber es ist die Geschichte selber, die diese Angriffe entkräftet, ihr Wesen, das nicht abgestimmt undemokratisch verfährt. Die Geschichte verfährt nicht demokratisch, sondern elementar, an ihren Wendepunkten immer elementar. Sie läßt nicht abstimmen, sondern sie schickt den neuen biologischen Typ vor, sie hat keine andere Methode, hier ist er, nun handele und leide, baue die Idee seiner Generation und deiner Art in den Stoff der Zeit, weiche nicht, handele und leide, wie das Gesetz des Lebens es befiehlt.«

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Der Nationalsozialismus, er war in Benns – wie auch in Jüngers und Heideggers sowie in etlicher Millionen – Verständnis gerechtfertigt als das »Unaufhörliche«, als aus der »Schöpfung« aufsteigende Welt und somit als das »geschichtlich Echte«: »Für den Denkenden gibt es seit Nietzsche nur einen Maßstab für das geschichtlich Echte: sein Erscheinen als die neue typologische Variante, als die reale konstitutionelle Novität, also kurz gesagt als der neue Typ, und der, muß man sagen, ist da. Die typologische Majorität – wer könnte bezweifeln, daß sie vorhanden, auf Seiten des neuen Staates vorhanden ist?«

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 Benn – dem heilsgeschichtliches Vokabular wie das vom neuen deutschen Menschen leicht zur Hand war – stellte sich vor und hinter NS-ideologische Leitvorstellungen wie: »Rückzug auf die gemeinsam von einem Volk geschichtlich durchlebte Landschaft, auf die sprachliche und kulturelle Tradition, und wir empfinden in dieser geschichtlichen Bewegung durchaus die vorwärtsgerichtete, ordnende, positive, die moderne Staatstendenz, die moderne Staatsidee, die den unfruchtbar gewordenen marxistischen Gegensatz von Arbeitnehmer und Arbeitgeber auflösen will in eine höhere Gemeinsamkeit, mag man sie wie Jünger ›Der Arbeiter‹ nennen oder nationalen Sozialismus.«

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 Das geschichtlich »Echte« ist für Benn der »nationale Sozialismus«, will sagen: Nationalsozialismus. Und dessen Modellfigur: Jüngers »Arbeiter«. Wie sehr Benn damit das ideelle Menschenrechtsreservoir der Aufklärung schon immer suspekt war, zeigt auch die folgende Passage aus seiner Rundfunkrede »Der neue Staat und die Intellektuellen«, die am 25. April 1933 auch in der »Berliner Börsenzeitung« zu lesen war: »Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Lehrfreiheit in einem Sechzigmillionenvolk, von dem jeder einzeln den Staat für seine Unbeschädigtheit sittlich und rechtlich verantwortlich macht – ist da der Staat nicht aus Rechtsbewußtsein verpflichtet, diese Freiheit aufs speziellste zu überwachen? Das Wort ist aber der stärkste physiologische Reiz, sagt Pawlow, den das Organische kennt, auch der unabsehbarste, muß man hinzufügen. Läßt sich da überhaupt ein Argument gegen einen Staat finden, der erklärt, die öffentliche Meinungsäußerung nur denen zu gestatten, die auch die öffentliche Staatsverantwortung tragen? … Geistesfreiheit: daß an sie überhaupt die Entstehung von Kultur gebunden sei … ist eine gänzlich erkenntnislose Betrachtung: alles, was das Abendland berühmt gemacht hat, seine Entwicklung bestimmte, bis heute in ihm wirkt, entstand, um es einmal ganz klar auszudrücken, in Sklavenstaaten. Säule, Tragödie, kubischer Raum, Geschichtsschreibung, erste Selbstbegegnung des Ich: Ägypter, Hellas, Rom: es handelte sich um eine Oberschicht, oft eine sehr geringe, und dann die Heloten.«

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Der Pfarrerssohn Benn wünschte, daß der gottlose Materialismus und das bloße Nützlichkeitsdenken des naturwissenschaftlichen Zeitalters ein Ende finden. Endlich müsse die Jugend ideell motiviert werden: durch Leitgedanken wie Nation, Volk, durch Bereitschaft zu »militanter Transzendenz«. »Ein Jahrhundert großer Schlachten wird beginnen«, prophezeite er 1933 in seinem Essay »Züchtung I«, in denen der »neue deutsche Mensch«, die »schwarzen Scharen« der SS, als Sieger hervorgehen werden über »den östlichen wie … den westlichen Typ«.

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 Benn rief die Jugend zu den Waffen, zum Aufbau des NS-Staates. Zugleich schmähte er mit poetisch stilisiertem Pathos den Lieblingsteufel der Rechten und Ganzrechten: die liberalen und linken Intellektuellen der Weimarer Republik: »Große, innerlich geführte Jugend, der Gedanke, der notwendige Gedanke, die überirdischste Macht der Welt … gibt dir recht: die Intelligenz, die dir schmähend nachsieht, war am Ende; was sollte sie dir denn vererben; sie lebte ja nur noch von Bruchstücken und Erbrechen über sich selbst. Ermüdete Substanzen, ausdifferenzierte Formen und darüber ein kläglicher, bürgerlich-kapitalistischer Behang. Eine Villa, damit endete für sie das Visionäre, ein Mercedes, das stillte ihren wertesetzenden Drang. Halte dich nicht auf mit Widerlegungen und Worten, habe Mangel an Versöhnung, schließe die Tore, baue den Staat!«

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Im In- und Ausland fand Benns emphatische und peinlich deutliche Konversion zum Nationalsozialismus große Beachtung: Genugtuung bei Nazis und Sympathisanten, Verwunderung, Entsetzen und Abscheu bei Oppositionellen und Emigranten. Aus seinem Exilort Le Lavandou in Südfrankreich stellte Klaus Mann in einem Offenen Brief Fragen: »Was konnte Sie dahin bringen, Ihren Namen, der uns der Inbegriff des höchsten Niveaus und einer geradezu fanati