Za darmo

Die Äbtissin von Castro

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

DIE CENCI
ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL

Molières Don Juan ist ohne Zweifel galant, doch vor allem ist er ein Mann der guten Gesellschaft. Bevor er sich der unwiderstehlichen Leidenschaft überläßt, die ihn zu hübschen Frauen zieht, hält er darauf, einem bestimmten Ideal zu gleichen; er will der Mann sein, der am Hof eines galanten und geistvollen jungen Königs unumschränkt bewundert würde.

Mozarts Don Juan ist schon weit natürlicher und viel weniger französisch; er denkt weniger an die Meinung der andern über ihn, denkt nicht vor allem daran, zu scheinen, wie der Baron Foeneste d'Aubigné sagte.

Wir besitzen aus Italien nur zwei Porträte des Don Juan, so wie er diesem schönen Lande im sechzehnten Jahrhundert zu Beginn der wiedergeborenen Zivilisation erschienen ist.

Von diesen beiden Porträten kann ich das eine durchaus nicht bekanntgeben, denn das Jahrhundert ist zu prüde; man muß sich an das große Wort erinnern, das Lord Byron unzählige Male wiederholt hat: This age of cant. Diese so langweilige Heuchelei, die niemand täuscht, hat den ungeheuren Vorteil, daß die Dummen etwas zu reden haben; es entrüstet sie, daß man gewagt hat, über etwas zu sprechen; es entrüstet sie, daß man gewagt hat, über etwas zu lachen, usw. Der Nachteil ist, daß das Bereich der Geschichte dadurch unendlich verengt wird.

Hat der Leser den guten Geschmack, es mir zu gestatten, so werde ich ihm in aller Bescheidenheit eine historische Aufzeichnung über den zweiten Don Juan vorlegen, von dem es im Jahre 1887 möglich ist, zu sprechen; er hieß Francesco Cenci.

Don Juan zu ermöglichen, muß es die Heuchelei in der Welt geben. Im Altertum wäre Don Juan eine Wirkung ohne Ursache gewesen; die eher heitere Religion ermahnte die Menschen zum Genuß: wie hätte sie also jemand auszeichnen, ja verdammen können, der in einer Lust seine einzige Aufgabe sieht? Nur die herrschende Regierung sprach von Enthaltsamkeit; aber wohl verstanden, sie verbot bloß Dinge, die dem Vaterland schaden konnten, und nichts, was nur den einzelnen schädigte.

Jeder, der Geschmack an Frauen fand und reich war, konnte in Athen ein Don Juan sein, ohne daß jemand daran etwas auszusetzen gefunden hätte. Niemand nannte dies Leben ein Jammertal und daß es verdienstvoll sei, zu leiden.

Ich glaube nicht, daß der athenische Don Juan so leicht hätte zum Verbrecher werden können wie der Don Juan der modernen Welt; ein großer Teil des Vergnügens des modernen Don Juan besteht darin, die öffentliche Meinung herauszufordern, womit er schon in seiner Jugend damit beginnt, daß er sich einbildet, nur gegen die Heuchelei anzukämpfen.

Gesetze zu übertreten in einer Monarchie Louis XV., auf einen Dachdecker einen Flintenschuß abzufeuern und ihn von seinem Dach herunterrollen zu lassen – ist das nicht ein Beweis, daß man in der Gesellschaft um den Fürsten lebt, daß man zum besten Ton gehört und daß man sich sonst was aus dem Richter macht, der ja ein Bürgerlicher ist? Seinem Richter zu spotten – ist das nicht der erste Schritt des kleinen werdenden Don Juan?

Bei uns sind die Frauen nicht mehr Mode, und das ist der Grund für die Seltenheit der Don Juane. Aber wenn es deren gäbe, würden sie immer mit sehr natürlichen Vergnügungen beginnen und ihren Ruhm darin suchen, den Ideen zu trotzen, die ihnen in der Vernunft nicht begründet zu sein scheinen, trotzdem sie den festen Glauben ihrer Zeitgenossen bilden. Erst viel später, wenn er pervers zu werden beginnt, findet der Don Juan eine erlesene Wollust darin, Meinungen zu bekämpfen, die ihm selber richtig und vernünftig scheinen.

Dieser Übergang muß bei den Alten sehr schwierig gewesen sein; erst unter den römischen Kaisern und nach Tiberius findet man Freigeister, welche die Verderbnis um ihrer selbst willen lieben, das heißt: wegen des Vergnügens, den vernünftigen Ansichten ihrer Zeitgenossen Trotz zu bieten.

Daher sehe ich in der christlichen Religion die Voraussetzungen für die satanische Rolle des Don Juan. Ist es doch diese Religion, welche die Welt lehrte, daß die Seele eines armen Sklaven, eines Gladiators an Fähigkeit und an Würde der des Cäsar selber völlig ebenbürtig sei; daher muß man der christlichen Lehre für das Auftauchen zarter Gefühle dankbar verpflichtet sein. Ich zweifle übrigens nicht daran, daß früher oder später diese Gefühle auch ohne die christliche Lehre im Busen der Völker aufgetaucht wären – ist doch die Äneide schon um vieles zarter, gefühlsreicher als die Ilias.

Die Lehre Jesu war die der zeitgenössischen arabischen Philosophen, und das einzig Neue, das in der Welt infolge der vom heiligen Paul gepredigten Lehren eingeführt wurde, ist eine Armee von Priestern, die gänzlich von den übrigen Bürgern getrennt sind und sogar diesen entgegengesetzte Interessen haben.

Die einzige Aufgabe dieser Priestergilde war, das religiöse Empfinden zu pflegen und zu stärken; sie erfanden bezaubernde Gaukeleien und Kulte, um die Gemüter aller Klassen, vom ungebildeten Hirten bis zum blasierten Höfling im Gefühle zu bewegen; sie verstanden ihre Interessen mit den entzückenden Eindrücken der ersten Kindheit zu verknüpfen; sie ließen nicht die kleinste Pest oder das kleinste große Unglück vorübergehn, ohne daraus Nutzen zu ziehn, die Furcht und das religiöse Empfinden zu verdoppeln oder wenigstens eine schöne Kirche zu bauen, wie die Maria della Salute in Venedig.

Diese Kirche bringt das bewundernswerte Ereignis hervor: der heilige Papst Leo widersteht ohne jede materielle Macht dem wilden Attila und seinen barbarischen Scharen, die China, Persien und die Gallier in Schrecken versetzt hatten.

So hat die Kirche, wie die absolute, nur durch Chansons gemäßigte Macht, welche man die französische Monarchie nennt, sonderbare Dinge hervorgebracht, welche die Welt vielleicht niemals gesehn hätte, wenn sie diese beiden Einrichtungen hätte entbehren müssen.

Unter diese guten oder schlechten, immer aber sonderbaren und seltsamen Dinge, die Aristoteles, Polybius, Augustus und alle andern Köpfe des Altertums sehr in Erstaunen gesetzt hätten, stelle ich ohne Zögern den modernen Charakter des Don Juan. Er ist, wie ich meine, ein Produkt der asketischen Institutionen, welche die Päpste nach Luther geschaffen haben; denn Leo X. und sein Hof folgten noch ungefähr den Prinzipien der Religion Athens.

Molières Don Juan wurde zu Beginn der Regierung Ludwig XIV., am 15. Februar 1665 aufgeführt; dieser Fürst war damals noch nicht im geringsten fromm und trotzdem ließ die kirchliche Zensur die Szene des Armen im Walde streichen. Diese Zensur wollte, um sich Nachdruck zu verschaffen, dem so wunderbar unwissenden König einreden, daß das Wort Jansenist gleichbedeutend mit Republikaner sei.

Das Original ist von dem Spanier Tirso de Molina; eine italienische Truppe spielte gegen 1664 eine Nachdichtung davon in Paris und erregte Aufsehn. Das Stück ist vielleicht die am meisten gespielte Komödie der Welt, denn sie handelt vom Teufel und von der Liebe, von der Furcht vor der Hölle und von einer überschwenglichen Leidenschaft für eine Frau, von allem also, was es Schreckliches und Liebliches in den Augen der Menschen gibt, sofern sie nur aus dem Zustand der Wilden heraus sind.

Es ist nicht erstaunlich, daß das Bild des Don Juan durch einen spanischen Dichter in die Literatur eingegeführt worden ist. Die Liebe nimmt eine große Stelle im Leben dieses Volks ein; sie ist da eine ernste Leidenschaft, imstande, mit Gewalt alle andern sich zu unterjochen, sogar die Eitelkeit. Ebenso ist es in Deutschland und in Italien. Wohl überlegt ist einzig und allein Frankreich vollkommen frei von dieser Leidenschaft, um derentwillen andere Nationen so viele Torheiten begehn, wie zum Beispiel ein armes Mädchen zu heiraten, unter dem Vorwand, daß sie hübsch und daß man in sie verliebt sei. Den Mädchen, welchen nichts als die Schönheit fehlt, fehlt es nicht an Bewunderern in Frankreich; wir sind unvorsichtige Leute. Anderswo sind sie darauf angewiesen, Nonne zu werden, weshalb die Klöster in Spanien unentbehrlich sind. Die Mädchen bekommen in diesem Lande keine Mitgift und dies Gesetz hat den Triumph der Liebe gesichert. Hat sich die Liebe in Frankreich nicht ins fünfte Stockwerk zurückgezogen, das heißt, zu den Mädchen, die sich ohne Vermittlung des Notars und der Familie verheiraten?

Man soll hier nicht an den Don Juan des Lord Byron denken, der nichts als ein Faublas ist: ein schöner, unbedeutender junger Mann, auf den sich die unwahrscheinlichsten Arten und Gattungen des Glücks stürzen.

Es war, wie gesagt, in Italien, und zwar erst im sechzehnten Jahrhundert, daß dieser sonderbare Charakter zum erstenmal auftauchte. Es war in Italien, und zwar im siebzehnten Jahrhundert, daß eine Fürstin sagte, als sie am Abend eines sehr heißen Tages mit Entzücken ein Eis nahm: ‚Wie schade, daß Gefrorenes zu essen nicht eine Sünde ist!‘

Diese Gefühlseinstellung bildet nach meiner Ansicht die Charaktergrundlage des Don Juan und dazu gehört, wie man sieht, die christliche Religion.

Ein neapolitanischer Autor meint dazu: „Ist es nichts, dem Himmel Trotz zu bieten und dabei zu glauben, daß im gleichen Augenblick Euch der Himmel zu Staub zermalmen kann?“ Davon, sagt man, rühre die unvergleichliche Wollust her, eine Nonne als Geliebte zu haben, eine von Frömmigkeit erfüllte Nonne, die weiß, daß sie Böses tut und Gott so leidenschaftlich um Verzeihung anfleht, wie sie leidenschaftlich sündigt.

Denken wir uns einen sehr perversen Christen, zu der Zeit in Rom geboren, als der strenge Pius V. sich anschickte, eine Menge kleiner religiöser Übungen wieder zu Ehren zu bringen oder neu zu erfinden, welche der einfachen Alltagsmoral völlig fremd sind, die ja nur das Tugend nennt, was den Menschen nützlich ist. Eine Inquisition, so unerbittlich, daß sie sich nur kurze Zeit in Italien halten konnte und bald nach Spanien flüchten mußte, war noch verstärkt worden und jagte aller Welt Schrecken ein. Jahre hindurch setzte man sehr harte Strafen auf die Unterlassung oder auf die öffentliche Mißachtung dieser kleinen und kleinlichen religiösen Übungen, die zum Rang heiligster religiöser Pflichten erhoben wurden. Jener perverse Römer, von dem wir sprachen, wird die Achseln gezuckt haben, als er die ganze Masse der Bürger vor den schrecklichen Gesetzen der Inquisition zittern sah.

 

‚Gut,‘ wird er sich gesagt haben, ‚ich bin der reichste Mann von Rom, dieser Hauptstadt der Welt, ich werde auch der kühnste sein; ich werde mich öffentlich über all das lustig machen, was diese Leute respektieren und was so wenig dem gleicht, was zu respektieren ist.‘

Denn ein wirklicher Don Juan muß ein Mann von Herz sein und jenen lebhaften und klaren Verstand besitzen, der die Motive der Handlungen der Menschen durchschaut.

Francesco Cenci also wird sich gesagt haben: ‚Durch welche auffallenden Taten könnte ich, ein Römer, in Rom im Jahre 1527 geboren, genau während der sechs Monate, in denen die lutheranischen Soldaten des Connetable von Bourbon die gräßlichsten Entweihungen an den heiligen Dingen begingen – durch welche Taten könnte ich meinen Mut bemerkbar machen und mir so eindringlich wie möglich das Vergnügen bereiten, der öffentlichen Meinung Trotz zu bieten? Womit soll ich meine einfältigen Zeitgenossen in Erstaunen setzen? Wie kann ich mir das so lebhafte Vergnügen verschaffen, mich anders als die große Masse zu fühlen?‘

Es konnte einem Römer, und dazu einem Römer jener Zeit nicht in den Sinn kommen, sich auf bloße Worte zu beschränken. Es gibt kein Land, wo prahlerische Worte mehr verachtet werden als in Italien.

Der Mann, der so zu sich sprechen konnte, Francesco Cenci, ist am 15. September 1598, unter den Augen seiner Tochter und seiner Frau getötet worden. Nichts Liebenswürdiges bleibt uns von diesem Don Juan zu erinnern. Sein Charakter wurde durch nichts, vor allem nicht durch die Manie, ein guter Gesellschafter zu sein, gemildert und verkleinert, wie bei dem Don Juan Molières. Er kümmerte sich um die andern Menschen nur, wenn er ihnen seine Überlegenheit beweisen, sich ihrer bedienen oder ihnen seinen Haß zeigen wollte. Denn der Don Juan findet nie Gefallen an Sympathiegefühlen, an süßen Träumereien oder an den Einbildungen eines zärtlichen Herzens. Er braucht vor allem Freuden, welche Triumphe sind, von andern bemerkt und nicht abstreitbar; er braucht die Liste, die der freche Leporello vor den Augen der unglücklichen Elvira aufrollt.

Der römische Don Juan hat sich gut vor der kindlichen Ungeschicklichkeit gehütet, den Schlüssel zu seinem Charakter zu geben und sich einem Lakaien anzuvertrauen, wie jener Don Juan bei Molière. Er hat ohne einen Vertrauten gelebt und hat nichts andres gesprochen, als was ihm für die Förderung seiner Pläne nützlich war. Niemand überraschte ihn in Augenblicken wirklicher Zärtlichkeit und entzückender Heiterkeit, wegen deren man dem Don Juan von Mozart viel verzeiht. Kurz: das Porträt, das ich hier hinsetzen werde, ist abstoßend.

Aus freier Wahl hätte ich nicht diesen Charakter nachgezeichnet. Ich hätte mich damit begnügt, ihn zu studieren; denn er ist dem Gräßlichen näher als dem Seltsamen. Aber Reisegefährten, denen ich nichts abschlagen konnte, baten mich darum. Ich hatte im Jahre 1823 das Glück, Italien zusammen mit liebenswürdigen unvergeßlichen Menschen zu sehn. Ich war gleich ihnen vom Bildnis der Beatrice Cenci hingerissen, das im Palazzo Barberini in Rom hängt.

Die Galerie dieses Palastes ist heute auf sieben oder acht Bilder zusammengeschmolzen, doch sind vier Meisterwerke darunter: zunächst das Porträt der berühmten Fornarina, der Geliebten Raffaels, von Raffaels eigener Hand.

Das zweite wertvolle Bildnis der Galerie ist vom Guido Reni: das Porträt der Beatrice Cenci, von dem es soviel schlechte Stiche gibt. Der große Maler hat um den Hals Beatrices ein Stück nichtssagenden Stoffs gelegt, und er hat sie mit einem Turban ausgestattet: er getraute sich wohl nicht, die Wahrheit bis zum Fürchterlichen zu treiben, indem er das Kleid, das sie sich für die Hinrichtung hatte machen lassen, getreu wiedergegeben hätte, und das Haar in der ganzen Unordnung eines sechzehnjährigen Mädchens, das sich der Verzweiflung überläßt. Der Kopf ist zart und schön, der Blick sehr sanft und die Augen sehr groß: sie haben den erstaunten Ausdruck einer Person, die im Augenblick heftigen Weinens überrascht wird. Die Haare sind blond und sehr schön. Dieser Kopf hat nichts von dem römischen Stolz und von dem Bewußtsein der eignen Kraft, wie man beides so oft in dem zuversichtlichen Blick einer Römerin antrifft, einer figlia del tevere, wie sie mit Stolz von sich selber sagen. Unglücklicherweise sind die Halbtöne dieses Bildnisses während des langen Zeitraums, der uns von der Katastrophe trennt, brandig geworden.

Das dritte Bildnis der Galerie Barberini ist das der Lucrezia Petroni, der Stiefmutter von Beatrice, die mit ihr hingerichtet worden ist. Sie ist der Typus der römischen Matrone in ihrer natürlichen Schönheit und ihrem Stolz, der nicht, wie auf van Dycks Bildnissen, Stolz auf die gesellschaftliche Stellung ist. Die Züge sind groß und die Hautfarbe ist blendend weiß, die schwarzen Brauen sind scharf gezeichnet, der Blick ist gebieterisch und gleichzeitig von Wollust beschwert. Ihr Kopf bildet einen schönen Kontrast mit dem so sanften, einfachen, fast deutschen Aussehen ihrer Stieftochter.

Das vierte Bildnis, glänzend durch die Wahrheit und die Pracht seiner Farben, ist eines der Meisterwerke Tizians: eine griechische Sklavin, die Geliebte des berühmten Dogen Barberigo.

Fast alle Fremden, die nach Rom kommen, lassen sich alsbald nach der Galleria Barberini führen; besonders die Frauen sind von den Porträts der Beatrice Cenci und ihrer Stiefmutter angezogen. Ich habe die allgemeine Neugier geteilt; dann habe ich, wie jedermann, versucht, Einsicht in den berühmten Prozeß zu erhalten. Wer diese Möglichkeit hat, wird, wie ich glaube, erstaunt sein, in diesen Berichten, in denen alles, bis auf die Antworten der Angeklagten, lateinisch ist, fast gar keine Darstellung der Tatsachen zu finden. Vermutlich, weil im Rom des Jahres 1599 jeder die Tatsachen kannte. Ich habe die Erlaubnis erkauft, eine zeitgenössische Darstellung zu kopieren, und habe geglaubt, eine Übersetzung davon wagen zu können, ohne den Anstand zu verletzen; zum mindesten konnte diese Übersetzung im Jahre 1823 den Damen laut vorgelesen werden. Aber es hört, wie ich bemerken muß, der Übersetzer auf, treu zu sein, wenn es nicht mehr möglich ist: denn anders würde das Grauen leicht stärker sein als die Neugier.

Die traurige Rolle des wahren Don Juan, der sich keinem Ideal nachbilden will und der an die Meinung der Welt nur denkt, um sie herauszufordern, ist hier in ihrem ganzen Schrecken dargestellt. Das Übermaß seiner Verbrechen zwingt zwei Unglückliche, ihn vor ihren Augen töten zu lassen; diese beiden Frauen waren: die eine seine Gattin und die andre seine Tochter. Der Leser wird nicht zu entscheiden wagen, ob sie schuldig sind. Ihre Zeitgenossen fanden, daß man sie nicht mit dem Tode hätte strafen dürfen.

Ich bin überzeugt, daß die Tragödie von Galeoto Manfredi, der von seiner Frau getötet wurde, ein Stoff, den der große Dichter Monti behandelt hat, und viele andre häusliche Tragödien des fünfzehnten Jahrhunderts, die weniger bekannt und kaum in den Sonderurkunden der italienischen Städte eingetragen sind, mit einer ähnlichen Szene wie der im Schloß von Petrella endete.

Was folgt, ist die Übersetzung der zeitgenössischen Darstellung, sie ist in römischem Italienisch verfaßt und wurde am 14. September 1599 niedergeschrieben.

Das fluchwürdige Leben, das Francesco Cenci, in Rom geboren und einer unsrer wohlhabendsten Mitbürger, von jeher geführt hat, brachte ihn schließlich ins Verderben. Er hat seine Söhne, starke und mutige junge Leute, vorzeitig in den Tod gebracht, ebenso seine Tochter Beatrice, die, obwohl sie kaum sechzehn Jahre alt war, als sie zur Todesstrafe geführt wurde – es ist heute vier Tage her – , doch schon für eines der schönsten Wesen in den Staaten des Papstes und in ganz Italien galt. Man hört die Neuigkeit, daß Signor Guido Reni, einer der Schüler der bewundernswerten Bologneser Überlieferung, letzten Freitag das Porträt der armen Beatrice gemacht hat, also gerade am Tage vor ihrer Hinrichtung. Wenn dieser große Maler sich dieser Aufgabe in der gleichen Weise entledigt hat wie bei den andern Gemälden, die er in dieser Hauptstadt gemalt hat, wird sich die Nachwelt einen Begriff davon machen können, wie groß die Schönheit dieses außerordentlichen Mädchens gewesen ist. Damit aber auch die Erinnerung an ihr Unglück ohnegleichen und an die erstaunliche Kraft bewahrt bleibe, mit welcher diese wahrhaft römische Seele es zu bekämpfen wußte, habe ich beschlossen, das niederzuschreiben, was ich über die Begebenheiten, die sie in den Tod führten, erfahren konnte, und auch was ich selbst am Tage ihres stolzen Untergangs gesehen habe.

Die Personen, die mir meine Informationen gegeben haben, waren so gestellt, daß sie die geheimsten Umstände wußten, die selbst heute noch in Rom unbekannt sind, obwohl man seit sechs Wochen von nichts anderm als vom Prozeß der Cenci spricht. Ich werde mit Offenheit sprechen, sicher wie ich bin, daß aus meinem Bericht, den ich in angesehene Archive zu hinterlegen vermag, alle schöpfen werden. Mein einziger Kummer ist, daß ich – aber so will es die Wahrheit – gegen die Unschuld dieser armen Beatrice Cenci sprechen muß, die von allen, die sie kannten, ebenso angebetet und geachtet wurde, wie ihr schrecklicher Vater verhaßt und verabscheut war.

Dieser Mann, dem vom Himmel unleugbar erstaunlicher Scharfsinn aber auch Absonderlichkeit verliehen wurde, war der Sohn des Monsignore Cenci, welcher es unter Pius V. Ghislieri bis zur Stellung eines Schatzmeisters, Finanzministers, gebracht hatte. Dieser heilige Papst, der, wie man weiß, ganz mit seinem gerechten Haß gegen die Ketzer und mit der Wiedereinführung seiner bewunderungswürdigen Inquisition beschäftigt war, hatte für die weltliche Verwaltung seines Staates nur Verachtung, so daß sein Schatzmeister in den Jahren vor 1572, Monsignore Cenci, es möglich machen konnte, jenen schrecklichen Menschen, der sein Sohn und Beatrices Vater war, ein Einkommen von 160 000 Piastern zu hinterlassen. Außer diesem großen Vermögen hatte Francesco Cenci einen Ruf von Kühnheit und Klugheit, worin ihm in seinen jungen Jahren niemand in Rom gleichkam, und dieser Ruf verschaffte ihm um so mehr Geltung am Hofe des Papstes und beim ganzen Volke, als die verbrecherischen Handlungen, die man ihm zuzuschreiben begann, nur solcher Art waren, wie die Welt sie leicht verzeiht. Viele Römer erinnern sich noch mit bitterem Bedauern der Freiheit des Denkens und Handelns, die man zur Zeit Leos X. genoß, der uns 1513 genommen wurde, und auch unter dem 1549 verstorbenen Paul III. Schon unter diesem letzten Papst begann man von dem jungen Francesco Cenci zu sprechen wegen gewisser sonderbarer Liebschaften, die durch noch sonderbarere Mittel zum guten Gelingen geführt wurden.

Unter Paul III., also zu einer Zeit, wo man noch eine gewisse Redefreiheit genoß, sagten viele, daß Francesco Cenci ganz besonders lüstern auf absonderliche Ereignisse sei, die ihm peripezie di nuove idee, neue und beunruhigende Empfindungen verschaffen könnten. Man stützte sich dabei darauf, daß man in seinen Rechnungsbüchern Aufzeichnungen dieser Art gefunden hat:

„Für Abenteuer und peripezie von Toscanella 3500 Piaster (im Jahre 1837 etwa 60 000 frcs.) e non fu caro, und es war nicht teuer.“

Man weiß vielleicht in den andern Städten Italiens nicht, daß hier in Rom unser Schicksal und unsre Art des Lebens je nach dem Charakter des herrschenden Papstes wechseln. So war während dreizehn Jahren, unter dem guten Papst Gregor XIII. Buoncompagni, alles in Rom erlaubt; wer wollte, ließ seinen Freund erdolchen und wurde nicht verfolgt, wenn er sich in bescheidener Art zu benehmen wußte. Auf dieses Übermaß von Nachsicht folgte während der fünf Jahre, die der große Sixtus V. regierte, ein Übermaß von Strenge, und von diesem wurde, wie vom Kaiser Augustus gesagt: er hätte niemals kommen dürfen oder immer bleiben müssen. Damals wurden Unglückliche für zehn Jahre lang vergessene Mordtaten oder Vergiftungen hingerichtet, die sie zu ihrem Unglück früher einmal dem Kardinal Montalto, dem späteren Sixtus V. gebeichtet hatten.

Besonders viel wurde unter Gregor XIII. von Francesco Cenci gesprochen. Er hatte eine sehr reiche und in jeder Hinsicht zu einem so angesehenen Herrn passende Frau geheiratet, welche starb, nachdem sie ihm sieben Kinder geschenkt hatte. Kurz nach ihrem Tode heiratete er in zweiter Ehe Lucrezia Petroni, eine Frau von seltner Schönheit und vor allem berühmt durch die blendende Weiße ihrer Hautfarbe, aber sie war ein wenig zu beleibt, welcher Fehler unter Römerinnen so häufig ist. Von Lucrezia hatte er keine Kinder.

 

Das kleinste Laster, das man Francesco Cenci vorwerfen konnte, war sein Hang zu infamer Liebe, das größte war, daß er nicht an Gott glaubte. Sein ganzes Leben lang sah man ihn nicht in eine Kirche eintreten.

Dreimal wegen seiner schändlichen Liebschaften ins Gefängnis gebracht, machte er sich durch Geldspenden an die Günstlinge der zwölf Päpste, unter denen er der Reihe nach gelebt hat, immer wieder frei. Auf diese Weise verschenkte er 200 000 Piaster, das sind jetzt etwa 5 000 000 fr.

Ich habe Francesco Cenci erst gesehen, als er schon ergrautes Haar hatte, unter der Regierung des Papstes Buoncompagni, wo alles erlaubt war, was man zu tun wagte. Er war ein Mann von etwa fünf Fuß vier Zoll, sehr gut gebaut, obgleich zu mager; man hielt ihn für außerordentlich stark, vielleicht hatte er selbst dies Gerücht verbreitet; er hatte große ausdrucksvolle Augen, doch fiel das obere Augenlid ein wenig zu sehr herab, eine zu große und zu weit vorspringende Nase, schmale Lippen und ein Lächeln voll Anmut. Dies Lächeln wurde schrecklich, wenn er den Blick auf einen seiner Feinde heftete; wenn er nur etwas bewegt oder gereizt war, zitterte er heftig und in einer Weise, die ihm lästig wurde. Ich habe ihn in meiner Jugend, unter dem Papst Buoncompagni von Rom nach Neapel reiten sehen, ohne Zweifel wegen irgendeiner Liebesgeschichte; er ritt durch die Wälder von San Germano und La Faggiola, ohne sich um die Briganten zu kümmern und legte, wie man sagt, den Weg in weniger als zwanzig Stunden zurück. Er reiste stets allein und ohne jemanden vorher zu benachrichtigen; wenn sein erstes Pferd erschöpft war, kaufte oder raubte er ein andres. Wenn man ihm Schwierigkeiten machte, fand er jedoch keine Schwierigkeit darin, einen Dolchstoß auszuteilen. Aber es ist die volle Wahrheit, daß in meiner Jugend, als er also etwa achtundvierzig oder fünfzig Jahre alt war, niemand kühn genug war, ihm Widerstand zu leisten. Sein größtes Vergnügen war, seine Feinde herauszufordern.

Er war auf allen Straßen der Staaten seiner Heiligkeit wohlbekannt; er zahlte freigebig, aber war auch fähig, wenn ihn jemand beleidigt hatte, zwei oder drei Jahre danach einen seiner Meuchelmörder zu schicken, um den Beleidiger zu töten.

Die einzige tugendhafte Handlung, die er während seines langen Lebens vollbracht hat, bestand darin, im Hofe seines ausgedehnten Palastes am Tiber, eine dem heiligen Thomas geweihte Kirche zu erbauen, und auch zu dieser schönen Handlung wurde er nur durch den seltsamen Wunsch getrieben, die Gräber aller seiner Kinder vor Augen zu haben, welche er ausnehmend und in ganz unnatürlicher Weise haßte, schon seit ihrer zartesten Kindheit nämlich, wo sie ihn noch in keiner Weise beleidigt haben konnten.

„Dorthin will ich sie alle bringen“, sagte er mit einem bittern Lächeln zu den Arbeitern, die er beim Bau seiner Kirche beschäftigte. Er schickte die drei älteren, Giacomo, Cristofo und Rocco zum Studium auf die Universität Salamanca in Spanien. Als sie erst dort in diesem fernen Land waren, machte es ihm ein boshaftes Vergnügen, ihnen gar kein Geld zukommen zu lassen, so daß diese unglücklichen jungen Leute, nach zahlreichen Briefen an ihren Vater, die alle unbeantwortet blieben, zu der elenden Notwendigkeit gezwungen waren, kleine Geldbeträge auszuborgen, um in ihre Heimat zurückzukehren, oder sich längs des Weges durchzubetteln.

In Rom fanden sie ihren Vater strenger, härter und rauher als je: trotz seines unendlichen Reichtums wollte er sie weder kleiden, noch ihnen das zum einfachsten Leben nötige Geld geben. Diese Unglücklichen waren gezwungen, den Papst um Hilfe zu bitten, welcher Francesco Cenci dazu zwang, ihnen eine kleine Rente auszusetzen. Mit dieser sehr geringen Unterstützung trennten sie sich von ihm.

Bald nachher wurde Francesco zum dritten und letztenmal wegen seiner infamen Liebessachen ins Gefängnis gebracht, worauf die drei Brüder eine Audienz bei unserm zur Zeit herrschenden heiligen Vater dem Papst erwirkten, und ihn gemeinsam baten, ihren Vater Francesco Cenci sterben zu lassen, der, wie sie sagten, ihr Haus entehre. Clemens VIII. hatte große Lust dazu, aber er wollte seiner ersten Eingebung nicht nachgeben, um diese entarteten Kinder nicht zufriedenzustellen, und jagte sie schmählich aus seiner Gegenwart.

Der Vater befreite sich aus dem Gefängnis, wie wir schon früher erzählten, indem er denen, die ihm helfen konnten, große Summen Geldes gab. Man begreift, daß der sonderbare Schritt seiner drei ältesten Söhne den Haß, den er gegen seine Kinder hatte, noch verstärkte. Er verfluchte sie jeden Augenblick, die großen wie die kleinen, und alle Tage überhäufte er seine beiden jungen Töchter, die mit ihm im Palast wohnten, mit Stockschlägen.

Die Ältere gab sich so lange Mühe, bis es ihr trotz strenger Überwachung gelang, dem Papst eine Bittschrift zukommen zu lassen; sie beschwor darin Seine Heiligkeit, sie zu verheiraten oder sie in einem Kloster unterzubringen. Clemens VIII. hatte Mitleid mit ihrem Unglück, er verheiratete sie mit Carlo Gabrielli, aus der vornehmsten Familie von Gubbio; Seine Heiligkeit verpflichtete auch den Vater, ihr eine große Mitgift zu geben.

Nach diesem unvorhergesehenen Schlag geriet Francesco Cenci in furchtbare Wut, und um zu verhindern, daß Beatrice, wenn sie größer wurde, auf den Einfall käme, dem Beispiel ihrer Schwester zu folgen, sperrte er sie im Innern des Palastes ein; dort war es niemand erlaubt, Beatrice zu sehen, die damals kaum vierzehn Jahr alt war und schon im vollen Glanz einer entzückenden Schönheit stand. Sie war so fröhlich, so unschuldig und hatte ein so heiteres Gemüt, wie ich das noch bei niemand andrem gesehen habe. Francesco Cenci brachte ihr selbst das Essen. Es ist wahrscheinlich, daß der Unmensch sich damals in sie verliebte oder wenigstens Verliebtheit heuchelte, um seine unglückliche Tochter noch mehr zu quälen. Er sprach oft zu ihr von dem schändlichen Streich, den ihm ihre ältere Schwester gespielt habe, und brachte sich durch den Klang seiner eigenen Worte so in Zorn, daß er Beatrice mit Schlägen überschüttete.

Mittlerweile wurde sein Sohn Rocco Cenci von einem Fleischhauer umgebracht und Cristofo Cenci wurde im Jahre darauf von Paolo Corso de Massa getötet. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich seine schwarze Gottlosigkeit, denn beim Leichenbegängnis seiner beiden Söhne wollte er nicht einmal einen bajocco für Wachskerzen ausgeben. Als er das Schicksal seines Sohnes Cristofo erfuhr, rief er aus: er könne erst ein wenig Freude genießen, wenn alle seine Kinder begraben seien und er wolle beim Tode des Letzten zum Wahrzeichen des Glücks seinen Palast anzünden. Rom war über diesen Ausspruch verwundert, doch hielt man bei einem Mann, der seinen Ehrgeiz darin suchte, die ganze Welt und selbst den Papst herauszufordern, alles für möglich.

Hier nun wird es völlig unmöglich, dem römischen Erzähler in dem sehr dunklen Bericht der sonderbaren Dinge zu folgen, durch welche Francesco Cenci seine Zeitgenossen zu erstaunen vermochte. Seine Frau und seine arme Tochter wurden allem Anschein nach die Opfer seiner abscheulichen Einfälle.

Als alles dies ihm nicht genug schien, versuchte er mit Drohungen und mit Anwendung von Gewalt seine eigne Tochter Beatrice, die schon groß und schön war, zu schänden. Er schämte sich nicht, sich nackt in ihr Bett zu legen. Er ging ganz unbekleidet mit ihr in den Sälen seines Palastes umher, dann nahm er sie ins Bett seiner Frau; damit die arme Lucrezia beim Schein der Lampe sehen könne, was er mit Beatrice treibe.