Kate Glory Lie

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Halbschlaf

Ein Handy klingelt. Scheiße! Beim Versuch, meinen Oberkörper aufzurichten, stürze ich vom Bett. Es knallt und bebt.

»Autsch!«

Ich habe mir den Kopf angeschlagen. Stehe auf. Ich kann meine Augen kaum öffnen. Reibe mir durchs Gesicht und sehe vor mir diesen Knäuel an Menschen. Arme. Beine. Gesichter. Haare. Wundervoll. Ich mache mich daran, sie zu zählen, und komme auf fünf. Hätte nicht gedacht, dass so viele in mein Bett passen. Wieder was dazugelernt. Suche Odette. Ach ja, da ist sie ja. Ganz unten vergraben unter Cesar und Abla. Wie süß sie aussieht, wenn sie schläft. Werfe ihr einen Luftkuss zu. Plötzlich wird dieser schnucklige Moment von einem Schnarchen ruiniert. Es kommt von Simon. Verdrehe die Augen. Wie ich diesen Kerl hasse! Gehe in die Küche, hole den Minirevolver und komme zurück. Wie mache ich das am besten? Nehme ein Kissen, drücke es auf seinen Kopf und dann die Pistole. Ich möchte ja niemanden aufwecken. Spanne den Hahn und drücke ab. Es knallt nicht allzu laut. Gut gemacht. Die anderen schlafen noch. Langsam verfärbt sich das Kissen. Das ist natürlich blöd. Jetzt muss das in die Reinigung. Dort bin ich bereits Stammkunde. Leider bleibt das alles nur Kopfkino. Er schnarcht weiter. Ich verlasse den Raum und gehe ins Wohnzimmer. Trete auf einen Dildo, der zur Seite wegspringt. Halte mich gerade noch an der Wand fest. Das ist ja ein Minenfeld hier. Überall liegt etwas herum. Unterwäsche. Sexspielzeug. Nackte Menschen. Und ein kleiner Hund. Wie kommt der denn hierher? Den hab ich gestern gar nicht bemerkt. An was kann ich mich überhaupt noch erinnern? Alles ist ein wenig verschwommen. Ist der echt? Ja. Es ist ein Zwergdackel. Der ist ja süß. Mir kommen gleich die Tränen. Springe völlig euphorisch über all die Fallen auf dem Boden und beuge mich runter zu ihm.

»Du bist ja niedlich.«

Er wedelt mit seinem kleinen Schwanz. Nehme ihn auf den Arm und streichle sein Fell. Er gähnt mit seinem süßen Maul. Ich drücke meinen Kopf auf seinen Körper und kuschele mit ihm.

»Braves Kerlchen. Ganz brav.«

Stehe auf und trage ihn in die Küche. Ich brauche unbedingt einen Espresso. Auch die Küche ist voll mit nackten Menschen. Ich fasse es nicht. Es ist immer das Gleiche mit den beiden. Wenn sie eine Party schmeißen, endet es in einer Orgie. Die Wände mussten schon einmal komplett neu gestrichen werden. Kibum schläft auf dem Herd. Da muss ich aber eigentlich ran. Schaue den Zwergdackel an.

»Na, mein Kleiner. Das ändern wir gleich mal, oder?«

Er zieht den Kopf ein. Ich könnte ihn auffressen, so süß ist er. Gehe an die Herdplatte und drehe auf Stufe zwölf. Den Rest bereite ich schon vor. Schnappe mir die Mokkakanne. Fülle sie mit Wasser, Kaffee rein und zudrehen. Es kommt noch keine Reaktion. Ich grinse. Der Zwergdackel quietscht. Ob auch Hunde ein Faible für schwarzen Humor haben? Setze mich hin und warte auf den großen Moment. Der Hund legt sich auf den Küchentisch. Schon quillt ein wenig Rauch unter der Hose hervor. Merkwürdig. Er sollte es eigentlich merken. Ich bin erstaunt. Die Küchenuhr tickt. Das ist der große Countdown. Plötzlich verzieht er das Gesicht und reibt seine Nase. Jetzt reißt er die Augen auf. Er schreit und springt auf. Fasst sich an den Hintern und hampelt hin und her. Mein kleiner Zwergdackel erschreckt sich und wird zu einer Kampfmaschine. Eine neue Seite an ihm. Er springt vom Küchentisch und beißt Kibum in den Schritt. Kibum schreit nun noch lauter. Mein süßer kleiner Freund hängt zwischen seinen Beinen. Es ist ein wundervoller Anblick! Kibum ähnelt jetzt einem Karatekämpfer. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Und dazu knurrt auch noch der Hund. Ist das nicht zum Schießen!

»Bravo! Bravo!«

Kibum versucht, das Tier loszuwerden. Vergeblich.

»Fantastisch!«

Ich beginne zu klatschen. Nun rastet er völlig aus. Er läuft mitsamt dem Dackel im Schritt zum Gewürzschrank. Oh nein, was hat er vor? Er öffnet den Schrank und greift sich die Waffe. Shit.

»Nein! Mach das nicht!«

Er drückt ab. Meine flüchtige Bekanntschaft fällt zu Boden. Ich hebe die Hand vor den Mund. Kibum atmet hysterisch. Er hat den Gesichtsausdruck eines Mörders. Noch immer richtet er den Revolver auf das kleine Kerlchen. Was für eine Szene. Ich bin total geschockt.

»Du bist doch verrückt geworden!«

Er reagiert nicht. Er steht noch völlig neben sich.

Ich frage: »Na toll. Weißt du wenigstens, wem der gehört?«

So langsam beruhigt er sich wieder.

»Nein. Ja, doch! Ich glaub, der ist von Susi. Oder doch von Cesar. Ach, was weiß ich.«

»Du bist so durch. Wenn ich in Zukunft einen Auftragskiller brauche, melde ich mich bei dir. Du warst nicht zufällig … wie heißt noch gleich diese kriminelle Bande, da, wo du herkommst?«

»Du meinst Yakuza? Das ist Japan! Ich komme aus Südkorea.«

»Ach so. Stimmt.«

Er verdreht die Augen.

»Tut mir leid.«

»Ja, ist schon okay.«

»Überleg dir besser mal, was wir mit dem Hund machen sollen.«

Er kratzt sich im Schritt.

»Es tut immer noch weh.«

Ich nicke verständnisvoll. Dann plötzlich Geräusche aus dem Wohnzimmer.

»Schnell, beeil dich. Der Schuss muss sie geweckt haben. Mach was!«

»Was denn?«

»Na irgendwas!«

Er dreht sich verzweifelt im Kreis. Plötzlich hält er sich den Revolver an die Schläfe und kneift die Augen zusammen. Ich springe auf.

»Wow. Wow. Komm runter!«

Reiße ihm die Waffe aus der Hand und lege sie zurück in den Schrank.

»Du Spinner, ey.«

Schnappe mir den Köter, öffne das Fenster und werfe ihn so weit weg, wie ich nur kann. Schließe schnell wieder das Fenster. Plötzlich hören wir einen lauten Knall auf der Straße. Verdammt. Verstecke mich unter dem Fenstersims. Erhebe mich leicht, um etwas sehen zu können.

»Das sind wirklich zwei Autos gewesen. Scheiße.«

»Habt ihr das gehört? Draußen muss wohl ’n Unfall gewesen sein.«

Wir erschrecken und drehen uns um. Es ist Odette, die die Küche betritt.

»Wie seht ihr denn aus?«

Sie lacht.

»Wart ihr etwa die ganze Zeit wach?«

Kibum nickt angespannt mit dem Kopf. Odette schaut ihn mit abwertendem Blick an. Den hat sie drauf. Dann richtet sie ihre Augen auf mich. Und schon ändert sich das ganze Gesicht. Was für eine Diva!

Ich lächle sie an und sage: »Ach, Süße. Die Pille, die du mir gegeben hast, die lässt mich ja gar nicht mehr schlafen.«

»Das ist merkwürdig. Eigentlich sollte die Wirkung nicht so lange dauern.«

»Das nennt man anhalten.«

»Das machen doch der Zug oder das Auto?«

»Ja, so ist nun mal die deutsche Sprache. Manche Wörter haben mehrere Bedeutungen.«

Okay. Dann eben – anhalten.«

Giftig, die Kleine. Ich mache eine Klaue und fauche ihr zu. Sie lächelt. Auf der Straße schreien Menschen entsetzt durch die Gegend.

»Ich sollte mich wieder hinlegen.«

Kibum steht völlig fassungslos da. Eigentlich ein lustiger Anblick. Rauche ich noch eine Zigarette? Ja. Greife mir die Schachtel, die auf dem Küchentisch liegt. Die beiden schauen mir zu. Drücke die Slim auf die heiße Herdplatte und verteile den Rauch in der Luft. Gebe Kibum ein High Five und Odette einen Kuss auf den Mund.

»Mach’s gut, meine Süße.«

Sie zwinkert mir zu.

Als ich die Küche verlassen will, hält sie mich zurück.

»Kate.«

»Ja?«

»Ich hab ’nen Auftrag für dich.«

»Einen Auftrag? Schon wieder?«

»Ja. Außer es ist dir zu viel gerade?«

»Nein. Nein. So hab ich das nicht gemeint. Ich brauch das Geld.«

»Sehr gut. Ich hab Fabio schon alle Informationen gegeben. Sprich mit ihm, wenn du wieder fit bist.«

»Okay.«

Sie wirft mir einen Luftkuss zu. Ich erwidere ihn und gehe in mein Zimmer. Werfe alle aus meinem Bett und lege mich schlafen. Auch wenn ich nicht wirklich müde bin, will ich wenigstens so tun. Dann verschwinden sie endlich. Ich habe für heute genug von Menschen. Und besonders von Simon! Trete ihm noch einmal in die Kniekehle, so dass er hinfällt. Ich lasse es so aussehen, als hätte ich mich im Schlaf gedreht. Lache in mein Kissen.

Nach ein paar Stunden

Ich könnte mich direkt übergeben. Dieser Alkoholgeschmack auf der Zunge. Appetitlich. Doch das muss man in Kauf nehmen. Auf das eine folgt das andere. Stehe auf und ersticke fast an dem Qualm, der sich in meinem Zimmer angesammelt hat. Ganz schön bedeckt hier. Wedle mir mit der Hand ein wenig Luft zu. Das erinnert mich an die Geschichte von gestern. Oder vorgestern? Diese Chaoten. Laufe als Leiche ins Bad. Meine Augen sitzen drei Zentimeter tiefer als sonst. Meine Mundwinkel zeigen nicht nach oben, sondern nach unten. Meine Haare, ach, meine Haare. Damit will ich gar nicht erst anfangen. Sie sehen aus wie diese vorbeirollenden Steppenläufer in den Westernfilmen. Das genügt. Ziehe die Nase hoch und kratze mich am Bein. Sebastião stürmt durch die Badtür herein und wirft sich über die Toilettenschüssel.

»Du hast es ja eilig.«

Er übergibt sich. Ich mache weiter vorm Spiegel.

»Ist es nicht beeindruckend, wie viel in so einen Magen passt?«

Er muss wieder würgen.

»Ich sollte zur Kosmetik gehen und alles machen lassen. Schau mich mal an. Das geht so nicht. Ich sehe aus wie ’ne Vogelscheuche.«

Er dreht sich zu mir und schaut mich an. Gleich darauf ist sein Kopf wieder in der Kloschüssel, und er kotzt weiter.

»Na, Dankeschön! Das hätte man auch ein wenig sanfter ausdrücken können.«

 

Verdrehe die Augen und schnappe mir zwei Einwegrasierer. Ziehe mich aus. Stelle mich unter die Dusche und rasiere mich.

»Sebastião. Hast du mal wieder Lust auf Waxing?«

Er gibt leidende Geräusche von sich.

»Ja, ich weiß. Es tut ziemlich weh. Aber es lohnt sich.«

Keine Reaktion. Ich dusche weiter und erhole mich ein wenig von der Nacht. Als ich die Dusche verlasse, sehe ich Sebastião mit dem Kopf auf der Kloschüssel. Er ist eingeschlafen. Herrlicher Anblick. Ich schleiche in mein Zimmer und hole die Polaroid-Kamera. Komme zurück und mache ein Foto. Es sieht umwerfend aus. Das sollte er in seine Unterlagen fürs Jobcenter legen. Drücke doppelseitiges Klebeband auf die Rückseite und schmücke damit den Kühlschrank.

»Mein Geburtstag. Happy Birthday, Kate.«

Das Apartment sieht schrecklich aus. Der Küchentisch ist von einer weißen Schicht überzogen. Es riecht nach Zigarettenqualm, Sex und Latex. Fabio jammert in seinem Zimmer herum. Ein typischer Sonntag. Und wenn der Sonntag nicht so ist, dann spätestens der Montag. Es klingelt an der Tür. Erschrecke und springe auf. Wer klingelt denn sonntagmorgens an der Tür? Schaue auf die Uhr, um mich zu bestätigen. Es ist 15:27. Es klingelt noch mal. Gehe zur Tür und sehe, daneben steht ein Paket. Es ist nicht für uns. In meinem Kopf macht es Klick. Wir müssen ein Paket für die Nachbarn angenommen haben. Erlaube mir einen kleinen Streich und ziehe mich bis auf die Unterwäsche aus. Die Beine sind rasiert, also können sie nichts sagen. Auf dem Küchentisch liegt noch eine Latexmaske herum, die einen BVG-Kontrolleur darstellen soll. Die ist ja schrecklich! Sie hat Narben, Blut und alles, was einen schaudern lässt. Ziehe sie über. Es ziept ganz schön an den Haaren. Nehme das Paket und öffne die Tür.

Stürze auf meine Nachbarin zu und brülle sie an: »Wo ist Ihr Ticket?«

Sie reißt die Augen auf und schreit los. Ich schüttle das Paket. Sie zittert am ganzen Körper und ist schlagartig blass im Gesicht. Mit unverändert schockiertem Gesichtsausdruck steht sie da und bekommt keinen Ton mehr heraus. Es vergehen einige Sekunden. Merkwürdig. Was hat sie denn? Ob die gleich ohnmächtig wird?

»Hallo? Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«

Keine Reaktion. Genauso wie Sebastião auf dem Klo. Das scheint der Sonntag wohl mit den Menschen zu machen. Ziehe mir die Maske vom Kopf und muss schmunzeln. Echt gute Idee mit dem Kontrolleur. Reiche ihr vorsichtig das Paket. Sie, noch immer apathisch, kann es gerade so entgegennehmen. Sie zeigt mir die Karte, auf der die Adresse und die Paketdaten geschrieben stehen. Als ob ich die sehen will.

Ich nicke und sage: »Alles gut, Kleine.«

Immer noch keine Reaktion. Sie ist wie erstarrt.

»Also. Dann noch ’nen schönen Tag.«

Mache einen Schritt nach hinten und schließe langsam die Tür. Habe ich merkwürdige Nachbarn. Ach ja, ich sollte mich später noch bei meinen beiden für die schöne Überraschungsparty bedanken. Gehe in mein Zimmer und versuche, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Meditation

Draußen ist es still. Merkwürdig. Normalerweise kann man sich vor Lärm kaum retten. Das Fenster steht offen und trotzdem hört man nichts. Schaue raus. Niemand auf der Straße. Nichts los. Obwohl wir hier in Mitte sind. Eigentlich ganz schön so. Setze mich ans Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Durch meinen Kopf fliegen all die Bilder der letzten Tage. Ich wundere mich über mich selbst, wie ich das alles so gut überstehe. Der einzige Weg, jung zu bleiben, nicht? Beobachte, wie der Wind durch die japanischen Blütenkirschen bläst. Ein süßer Duft verteilt sich in der Luft. Meine Augen werden ein wenig feucht. Nur ein wenig. Reibe sie mir sofort wieder trocken. Ich möchte nicht sentimental werden. Das passt jetzt nicht. Leise schwebt eine dieser wundervollen pinken Blütenblätter an meiner Fensterscheibe vorbei. Ich lächle. Wie einfach das geht. Fliegen. Wohin fliegst du denn, meine Kleine? Sie verschwindet hinter der Mauer. Es ist mit die schönste Zeit im Jahr. Der April hat etwas Leichtfüßiges. Ich weiß auch nicht. Plötzlich sehe ich mich selbst als kleiner Junge. Der Außenseiter der Klasse. Ein Schulausflug irgendwo, in einem Randbezirk von Berlin. Es war auf jeden Fall ziemlich grün. Ich allein auf Entdeckungsreise. Entferne mich von der Gruppe und streife durch das Gras. Und auf einmal steht da vor mir dieser Baum. Die Rinde schimmert im Sonnenlicht. Höre das Schwirren der Bienen, die den Nektar aus den pinken Blüten saugen. Ein Moment, in dem es in meinem Kopf plötzlich leise wird. Die Stimmen meiner Klassenkameraden. Die Stimme meiner Mutter. All die Probleme. Alles weg. Ich laufe von einem Baum zum nächsten. Geleitet von diesem süßen Duft. Überall Farben und die friedlichen Geräusche der Natur. Mit großen Augen bewundere ich alles. Dann auf einmal steht Ben hinter mir. Hinter ihm die ganze Klasse mit Frau Schäfer. Ben zeigt mit dem Finger auf mich und brüllt, wie schwul ich doch sei und wie ich darauf käme, mir Blüten ins Haar zu stecken. Die ganze Klasse mitsamt der Lehrerin lacht. Und plötzlich sind all die Probleme wieder da. Kinder können so grausam sein. Zum Glück hab ich mittlerweile ein solides Selbstbewusstsein. Wenn mir jetzt jemand ans Bein pisst, folgt direkt eine Antwort. Danach ist Ruhe.

Erneut fliegt eine Blüte an meinem Fenster vorbei. Der April. Trotz dieser blöden Kindheitserinnerung finde ich das Ganze immer noch schön. Und damit bin ich nicht allein. In Japan ist das ein großes Spektakel. Überall Zeremonien, Tänze und strahlende Gesichter, alles rund um diese wunderschöne Kirschblüte. Ich glaub, ich hab’s! Dieses Jahr werde ich einen Kimono tragen. Einen, der für meine Größe gemacht ist. Das braucht bestimmt einen Schneider, aber es wird sich lohnen. Das ist die Idee! Lange habe ich darüber nachgedacht, was ich zum Karneval der Kulturen anziehen soll. Und jetzt hab ich’s. Einen Kimono. Dazu noch einen Sonnenschirm? Mal schauen. Mein Motto: Geisha. Das ist perfekt. Ich gebe doch eine gute Geisha ab, oder? Ich bin charmant, gebildet und weiß mich elegant zu bewegen. Ja okay, ein Instrument spiele ich jetzt nicht wirklich. Und was Teezeremonien angeht, hab ich auch keinen blassen Schimmer, aber ich bin eine gute Rednerin. Ja, wenn ich einmal anfange, dann bin ich kaum mehr zu stoppen. Das müsste doch ausreichen. Wenn ich das noch richtig im Kopf habe, dauert die Ausbildung zur Geisha sechs Jahre, sechs Monate und sechs Tage. Na ja. Die hatten auch noch kein Internet. Keine YouTube-Tutorials und so was. Das schaff ich doch mit links in einem Monat. Mich in die Rolle einfinden und das Ganze glaubwürdig präsentieren. Easy going. Es klopft an der Tür. Drücke die Slim aus und drehe mich um.

»Wer wagt es, die Königin zu stören?«

Fabio tritt ein.

»Es ist bloß der Hofnarr. Bitte entschuldigen Sie, Gebieterin. Ich war bis jetzt noch völlig benommen in meinem Dornröschenschlaf. Lange habe ich gewartet, doch der Prinz ist nicht erschienen. Traurig über sein Nichterscheinen, musste ich mich ein paar Mal übergeben. Die Pflanzen des Nachbarn unter uns sind leider nicht verschont geblieben.«

»Was?! Du hast auf die Pflanzen gekotzt?«

»Ja, scheiße. Sorry.«

»Mein hübscher kleiner Fabio. Du weißt, dass wir seit einer geraumen Zeit kein gutes Karma sammeln?«

Er nickt betroffen mit dem Kopf.

»Ja, ich weiß. Aber komm schon. Das ist noch harmlos. Kibum hat mir gebeichtet, dass ihr den toten Hund von Cesar auf die Straße geworfen habt. Wie konntet ihr den erschießen? Das war ein Zwergdackel.«

Er bekommt sich nicht mehr ein vor Lachen. Ich finde das Ganze auf einmal auch unglaublich komisch und lache mit.

»Wir sollten einfach mit diesem ganzen Karma-Denken aufhören. Das bringt doch eh nichts, das kommt aus Indien und wir sind keine Inder.«

»Anjali schon.«

»Anjali, spinnst du! Die ist ja noch schlimmer als wir. Ich glaub, die hat jegliche Moral beerdigt, als sie nach Berlin gezogen ist.«

»Das stimmt.«

Wir schauen beide an die Decke und sagen verträumt: »Anjali.«

»Die ist schon hart unterwegs.«

»Oh ja. Aber auch eine brillante Tänzerin.«

»Das kannst du laut sagen.«

»Das letzte Mal hat sie für ein Theater von Lorenzo einen arabischen Bauchtanz hingelegt. Ja genau, das war das Märchen von Tausendundeiner Nacht. Wow! Und dann auch noch die Nummer mit dem brennenden Hula-Hoop-Reifen. Starke Frau.«

»Ja. Eine Klasse für sich. Jetzt aber Themawechsel: Hat Odette schon mit dir gesprochen?«

Ich antworte: »Sie hat etwas erwähnt. Mehr aber auch nicht.«

»Pass auf. Es handelt sich um ein ziemlich heißes Ding.«

Meine Augen werden groß. Ich reibe mir die Hände.

»Schön. Schieß los!«

»Also, du hast ja auch gestern diese Pille geschluckt, nicht? Odette nennt sie Monde de l’amour.«

»Ja, die ist unglaublich.«

»Ich weiß.«

Wir kreischen wie zwei Mädchen und springen in die Luft. Wir beruhigen uns wieder.

»Also. Auf jeden Fall ist das ihr neues Ding. Ihre ›nouvelle création‹, wie sie immer sagt. Ich kann mich echt an Französisch gewöhnen. Schöne Sprache. Ja, ihre neue Pille also. Gerade findet hier in Berlin die Promo statt. Sie geht in die Clubs, und du weißt, the love train is always a big deal. Die Pille wird gut angenommen und gewinnt Fans. Die Zusammensetzung ist gelungen und die Wirkung fantastisch. Du hast es selbst erlebt. Bevor jetzt aber irgendwelche Hobbychemiker diese Pille kopieren und den Gewinn einheimsen, müssen wir handeln. Die muss nach Amerika, Kate. Dort ist ein Typ, der mit Odette zusammenarbeitet. Sie möchte, dass ihm jemand die Pille bringt.«

Meine Augen beginnen zu glitzern. Ich kann das natürlich nicht sehen, aber ich stelle es mir so vor.

»Erinnerst du dich, dass mir Leute vom Olivia Black Theatre geschrieben hatten?«

»Äh, ja.«

Eigentlich nicht.

»Ich hatte denen gesagt, dass du keine Zeit für eine Tour hättest, weil du hier in irgendwelchen Projekten eingespannt wärst. Was war das noch mal? Ach ja! Das war dein Cinderella-Theater.«

»Ach wie schrecklich. Ich erinnere mich. Was für ein Desaster. Eine Cinderella, fast zwei Meter groß, mit Schuhgröße 47. 47 ist Übergröße. Cinderella mit Übergröße! Ich hab mich eher wie Godzilla gefühlt. Da kommt also der Prinz und will mir den Schuh anziehen, dabei ist der größer als sein eigener. Stell dir das vor. Wie rot ich in dem Moment geworden bin. Du glaubst es nicht.«

Er beginnt herzhaft zu lachen. Ich schüttele den Kopf und zünde mir eine weitere Slim an.

»Ich glaube, die von der Theaterleitung haben nicht umsonst eine Drag Queen als Cinderella ausgesucht.«

»Was willst du jetzt damit sagen?!«

»Ach nichts.«

Draußen ist immer noch nichts los. Ich zucke mit den Schultern.

»Für mich warst du auf jeden Fall die schönste Cinderella, die ich je gesehen habe.«

Ich schmunzle verlegen und werfe ihm einen Luftkuss zu.

»Also zurück zum Thema: Ich hab deren Newsletter abonniert und für den Sommer ist dort etwas geplant mit Drags. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Irgendetwas ziemlich Glamouröses, du weißt schon, typisches Programm eben. Auf jeden Fall habe ich mir gedacht, du trittst dort auf. Ich organisiere wie immer alles, Reise, Unterkunft, bla, bla, und du bringst so gleich noch diese hübsche Monde de l’amour in die Staaten. Wir kassieren das Geld von dem Auftritt und von der Drogenübergabe. Ich denke, da kommt einiges rum. Olivia Black ist Broadway.«

Asche fällt auf den Boden.

»Ich verstehe nicht ganz, warum die Pille extra dorthin gebracht werden muss? Man kann dem Typen doch einfach die Anleitung für die Herstellung schicken und dann ist das alles gegessen.«

»Kate. Willst du mich verarschen? Was glaubst du, sind das für Leute, mit denen Odette arbeitet? Familienväter? Altenpfleger? Kate, denk doch mal nach! Das sind Leute, die das Zeug im großen Stil verkaufen. Von der Ostküste bis zur Westküste und hoch nach Kanada!«

»Ja, ja. Du brauchst mich ja nicht gleich so anzuschreien. Come down. Du bist immer so grantig, nachdem du Drogen genommen hast.«

»Grantig! Wo hast du das Wort jetzt her?«

»Von Simon. Der kommt aus Bayern.«

Er lässt das Gesicht in die Hände fallen. So genervt hab ich ihn schon lange nicht mehr gesehen. Sebastião sollte ihm mal wieder ein bisschen LSD unterjubeln.

»Kate, das sind kriminelle Leute.«

 

»Na toll! Jetzt schickst du mich also in die Arme von Kriminellen!«

»Du umgibst dich doch ständig mit solchen Leuten!«

»Ich bin eine Frau!«

»Du bist fast zwei Meter groß!«

»Na und!«

Sebastião tritt völlig aufgelöst in das Zimmer.

»Könnt ihr mal bitte nicht so rumschreien.«

Sein Gesicht ist total bleich. Er rennt wieder raus und übergibt sich im Flur. Fabio und ich schauen uns an.

»Also. Weil sie kriminell sind, heißt das, dass sie kein Facebook haben und keine E-Mails schreiben können? Versteh ich das richtig?«

»Nein! Du Doofbacke.«

Ich verziehe beleidigt das Gesicht.

»Es braucht eine persönliche Geldübergabe.«

»Schon mal was von Online-Banking gehört?«

»Jetzt stell dich nicht so dumm an, Online-Banking? Als Dealer?! Außerdem sind die von der alten Schule. Also, wie sieht’s jetzt aus?«

Ich verdrehe die Augen.

»Ja, ja. Ist okay. Ich mach’s. Du kannst ein ganz schöner Choleriker sein. Und buch mir bitte ein anständiges Hotel, mit Swimmingpool, Sauna, Solarium, einem großen Spiegel im Zimmer, einem Friseur fußläufig entfernt, weichen Handtüchern – und nicht das Zimmer Nr. 13.«

Fabio schaut mich verzweifelt an. Ein ähnlicher Blick wie der von Sebastião gerade eben. Ob ich anstrengend bin? Na ja. Einfach bin ich nicht.

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