Das verschleierte Tor

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Wo er sich genau befand, wusste er nicht, westlich der Straße, das war klar. Am besten würde er versuchen, auf geradem Weg nach Vartel zu kommen. Die Berge waren von Weitem schon zu erkennen. Da musste er hinüber, über den Pass und dann war es nicht mehr weit. Stonek pfiff leise vor sich hin. Er war jetzt das erste Mal so weit von zu Hause weg, das erste Mal über den Boon. Über den Boon zu gehen, das war ein Schritt, den die wenigsten Menschen in den Dörfern rund um Haffkom machten. Es war ein großer und schwerer Schritt.



Haffkom, Hallkol, Hannkol, die Namen hatten für Stonek immer noch den falschen Klang in den Ohren. All die Fremden, die jetzt in seine Heimat eingedrungen waren. Natürlich waren Hallkol und die anderen Dörfer immer noch einsam und abgeschieden, aber allein die Nähe zur Grenze nach Narull gaben seiner Heimat jetzt eine Bedeutung, die sie nie gekannt hatte. Heute konnte es schon manchmal passieren, dass sich ein Händler aus Narull in ihrem Dorf verirrte. Für Stonek und auch für die anderen Dorfbewohner waren die Narull immer noch die Drachenkrieger.




***




Einer hatte am Ende doch geredet. Ein bisschen Schmeichelei, eine gute Portion Drohung und am Ende etwas Geld hatten es schließlich doch bewirkt. Hanrek war mit zwei seiner Kumpane nach Narull gereist.



Blutero konnte sich keinen Reim darauf machen. Was wollten sie dort?



Er trommelte rhythmisch mit seinen Fingern auf die Tischplatte vor sich. Ihm gegenüber saß ein Mann in einem gelben Gewand.



„Irgendwelche Ideen, was sie in Narull wollen?“



Der Mann in gelb schüttelte den Kopf.



„Dazu haben wir nichts in Erfahrung bringen können.“



„Hm. Und irgendwelche eigene Ideen, dazu?“, fragte Blutero spitzt.



Der Mann schüttelte erneut den Kopf, sagte aber nichts.



Blutero schob seinen Stuhl zurück und ging hinter seinem Schreibtisch nervös auf und ab. Der Mann auf der anderen Seite des Tisches folgte ihm mit seinem Blick ohne seinen Kopf zu drehen.



„Ich möchte, ...“, Blutero blieb stehen, „... ich möchte, dass ihr die Grenze und das dazugehörige Grenzgebiet überwacht. Jeder, der aus Narull raus kommt und nur irgendetwas mit Hanrek zu tun haben könnte, wird verfolgt. Ich will über jeden einen ausführlichen Bericht. Klar?“



Der Mann nickte. Die Grenze wurde sowieso genau überwacht und über fast alles wurde ein Bericht geschrieben.



„Irgendwann muss er auch wieder herauskommen. Und dann will ich, dass er geschnappt wird. Dieses Mal will ich ihn haben. Ist das auch klar?“



Der Mann nickte wieder, er war kein Mann großer Worte. Doch eines musste er noch los werden.



„Eines noch.“



Blutero schaute ihn überrascht an.



„Ja.“



„Als sie über die Grenze sind, hat Hanrek Flöte gespielt. Niemand hat sie angehalten, niemand hat sie kontrolliert. Warum sie nicht kontrolliert wurden, weiß keiner, es wusste überhaupt niemand etwas Richtiges über diesen Zeitpunkt zu erzählen. Es ist ...“, er suchte nach dem richtigen Wort, „... eigenartig.“



„Eigenartig?“, Blutero wog das Wort ab.



„Der ganze Kerl ist eigenartig. Jedes Mal, wenn er mir in die Nähe kommt, geschehen eigenartige Dinge. Ja, ich denke, eigenartig ist keine schlechte Beschreibung, für das, was da passiert. Er hinterlässt Spuren, die so fein und flüchtig sind, dass ihnen kaum jemand folgen kann, er taucht mal hier mal da auf, und dann hört man ewig lange Zeit gar nichts mehr von ihm. Und jetzt geht er nach Narull.“



Blutero nickte dem Mann im gelben Gewand zu, dieser erhob sich und verließ den Raum durch eine geheime Tür.



Blutero setzte sich wieder und stützte seinen Kopf in die Hände.



Eigenartig, ja das traf es.




***




Jeden Morgen, wenn er aufwachte, dachte er als Erstes daran. Jeden Morgen dachte er zuerst an seinen toten Exzarden Carmeon und dann schaute er auf seine Hand. Auch sie war tot. Oder so gut wie. Sie war nicht mehr zu gebrauchen, war nur noch ein Stück nutzloses Fleisch, das ihn bei allem mehr behinderte, als sie ihm half. Sie schmerzte bei allem, was er damit tun wollte, und sie war eines Reiters nicht würdig. Und deshalb war er jetzt auch kein Reiter mehr. Er hatte seinen Exzarden verloren, hatte nicht gut genug auf ihn aufgepasst. Und ein Reiter, der seine Hände nicht mehr gebrauchen konnte, wurde sang- und klanglos aus dem Dienst entlassen.



Mühsam und antriebslos drehte er sich auf die Seite und stand auf, darum bemüht, mit seiner Hand nirgends anzustoßen. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Das kam vom Schnaps, den er in letzter Zeit zu häufig trank und den er auch gestern Abend wieder in sich hinein gekippt hatte.



Am Anfang hatte es gegen die Schmerzen und gegen den Verlust geholfen. Jetzt half es gegen beides nicht mehr. In der Nacht wachte er oft mit großen Schmerzen auf, wenn er sich auf seine Hand gedreht hatte. Dann lag er oft die halbe Nacht lang wach und konnte nicht wieder einschlafen.



Schull seufzte und erhob sich. Wenigstens hatte Carmeon nicht lange leiden müssen. Was auch immer diese Stimme in seinem Kopf bedeutet hatte, sie hatte sein Leben in einem Moment verändert. Auch das war ein Grund, warum er nachts manchmal aufwachte, diese grausame Stimme in seinem Kopf.





Ich bin Schtarak. Ich bin geboren.





Wer war

Schtarak

? Niemand wusste es. Auch die Gelehrten konnten nicht sagen, was es mit dieser Stimme auf sich hatte.



Sie hatten viele Exzarden verloren. Diese hatten so lange gegen ihre Ketten angekämpft, bis sie sich tödlich verletzt hatten, genauso wie Carmeon, sein toter Exzard.



Schull stand auf und machte sich fertig. Er musste arbeiten. Wenigstens hatte er die Gelegenheit erhalten, weiter mit Exzarden zu arbeiten. Es war Piora gewesen, die Tochter des Primus, die ihm eine neue Aufgabe gegeben hatte. Er sollte ihr bei ihrer Zucht mit Exzarden helfen. Es war eine gute Arbeit, die ihm hätte Spaß machen sollen, die jemanden wie ihn ausfüllen konnte. Er sollte froh sein, dass er diese Arbeit hatte, warum nur war er es trotzdem nicht? Er starrte auf seine Hand und kannte den Grund. Diese Stimme hatte alles verändert. Er hasste diese Stimme und das was dahinter stand, was immer es auch war.




***




Lucek wurde jetzt ständig bewacht. Offen. Jeder wusste, dass er von seiner Geliebten beschützt wurde, von Piora, einer Frau mit Einfluss. Heute Abend würden sie gemeinsam zu einem offiziellen Empfang gehen, Piora in ihrer Rolle als Tochter des Primus und er als Botschafter des Königreichs. Aber sie würden gemeinsam auftreten und darauf war Lucek ungemein stolz. Es tat ihm gut, neben Piora herzugehen und die Blicke der Männer zu bemerken, bewundernd, sofern es Piora betraf und neidisch, wenn sie auf ihn trafen. Lucek musste lächeln. Neid war eine sehr ehrliche Form der Anerkennung.



Aus dem gefangenen Assassinen hatten sie natürlich nichts heraus bekommen. Wie wollte man auch von jemandem, der keine Zunge hatte, etwas erfahren. Wie barbarisch, jemandem die Zunge herauszuschneiden, damit er nichts verraten konnte. Wahrscheinlich wusste er auch nichts, zumindest nichts, was ihnen geholfen hätte, die Person, die hinter dem Anschlag steckte, zu ermitteln.



Mit seinen Leibwächtern hatte Lucek sich arrangiert. Was sollte er auch tun? Und wenn er ehrlich war, dann war es ihm lieber, eine Leibwache zu haben, als getötet zu werden.



Luceks Gedanken wanderten zurück zu dem bevorstehenden Empfang.



Eine komplizierte Sache. Piora versuchte immer wieder, ihm die Politik ihres Landes zu erklären. Aber für einen Außenstehenden war es sehr schwer zu verstehen, warum die Koalitionen dauernd wechselten und vor allem, warum sie gerade so wechselten, wie sie es taten. Die vielen Fürstentümer in diesem Land machten das Regieren für den Primus sehr schwer und für einen Botschafter aus einem fremden Land war die Arbeit umso schwerer. Und trotzdem, Lucek liebte seine Arbeit, zumindest im Sommer, wenn die Temperaturen einigermaßen erträglich waren.




***




Heute hatte die Kaufmannsgilde eine Audienz beim König und Pilroos sollte den Umgang mit den Kaufleuten kennenlernen. Sie wusste, dass sie sich tödlich langweilen würde. Es ging ihr ja nicht darum, wie ein kleines Kind herum zu tollen, oder ihre Zeit mit Nichtstun zu vertändeln. Nein, sie wollte nur ab und zu vernünftige Gespräche mit vernünftigen Menschen führen. Es sollte nicht nur immer um das Erlernen des Regierens gehen, nicht nur immer um Gespräche mit langweiligen Menschen, die ihrem Vater irgendeinen Vorteil abschwatzen wollten. Nein, sie wünschte sich, ab und zu einmal unter normale Menschen zu kommen.



Mittlerweile begann sie sich schon nach einer Entführung zu sehnen, damit sie vielleicht einmal wieder ein Abenteuer erleben konnte. Natürlich verblassten hinterher die schmerzhaften und schlechten Erlebnisse und die schönen blieben erhalten, aber sie hatte vor allem schöne Erinnerungen an die Entführung vor... , wie lange war das schon her? Vor ewigen Zeiten.



Ihre Tage waren ausgefüllt, Langeweile hatte sie nicht, weil sie keine Arbeit hatte, nein, Langeweile litt sie, weil viele Menschen um sie herum langweilig waren.



Und dann kamen zwischendurch immer wieder die Versuche ihres Vaters, sie zu verheiraten. Wahrscheinlich hatte sie schon die Hälfte aller standesgemäßen heiratsfähigen jungen Männer des Königreichs kennen gelernt. Natürlich ganz zufällig wurden sie ihr vorgestellt. Ja, manchmal waren Männer dabei, die ihr vielleicht gefallen hätten, aber sie alle erfüllten ihre Vorstellungen nicht. Sie vermisste die Stärke, die ehrliche Wärme und die Fürsorge, die sie bisher nur bei einem richtig gespürt hatte. Aber dieser eine war zu alt für sie, bereits vergeben, nicht standesgemäß und außerdem nicht an einem jungen Ding, wie sie es war, interessiert. Hanrek war ihr großer Held, der sie vor den Räubern gerettet hatte, der das Königreich, ihr Königreich, gerettet hatte.

 



Pilroos wusste, dass es die dumme Spinnerei eines jungen aber verliebten Mädchens war, und trotzdem wurde sie diese Spinnerei nicht los und sie bestimmte ihre Einstellung gegenüber den hoffenden und doch chancenlosen Bewerbern.



Wahrscheinlich würde auch heute wieder ganz zufällig ein junger Bewerber dabei sein, der versuchen durfte, sie zu umgarnen, vielleicht derjenige, der die Kaufmannsgilde einführte oder jemand, der zufällig eine Botschaft überbrachte.



Pilroos seufzte, auch das würde sie überstehen, und gute Miene zum bösen Spiel machen.








Die Bibliothek




Am Rande von Rimpoon führte eine unscheinbare Straße in die nahen Hügel, westlich der Stadt. Es dauerte ungefähr einen halben Tagesritt, bis man in diesen Hügeln auf einen sehr alten Gebäudekomplex stieß, der eine sehr alte und ehrwürdige Bibliothek enthielt.



Da die Straße an dem Gebäudekomplex vorbei in die benachbarten Hügel führte, konnten nun die drei Freunde, die der Straße gefolgt waren, von ihrem erhöhten Platz aus in den Gebäudekomplex hineinsehen, nicht von der offenen Straße aus, sondern gut geschützt von einem Platz hinter dichtem Strauchwerk. Der Komplex war mit einer hohen Mauer umgeben, die nur von zwei Toren durchbrochen war. Innerhalb dieser Mauern gab es zahlreiche Gebäude, wie Ställe, Handwerksbetriebe und Wohnhäuser und natürlich die Bibliothek selbst, aber auch die Küche und einen schönen großen Garten. Die Bibliothek hatte einen schönen alten Glockenturm, in dem eine Glocke pünktlich jede Stunde einen Schlag tat.



Das Ganze sah aus, wie eine Stadt in Miniaturausgabe. Die Gelehrten aus ganz Narull trafen sich hier zum Studium des gesammelten Wissens, das in der Bibliothek vorhanden war. Es hatte sich rund um die Bibliothek eine Schule entwickelt, die außer den Gelehrten viele Studenten anzog. Gelehrte, Lehrer und Studenten wohnten auf dem Gelände. Damit sie ihr Studium nicht zu lange unterbrechen mussten, gab es daher die Küche, die alle mit einem schmackhaften Essen versorgte.



Dresson kannte sich hier bestens aus, er hatte hier schließlich eine lange Zeit seines Lebens verbracht. Voller Wehmut dachte er an diese Zeit zurück. Er hatte seine Arbeit geliebt. Doch er lebte auch gerne im Königreich und erst recht liebte er den Beruf des Instrumentenbauers.



Im Hintergrund zwitscherten und sangen die Vögel, es war mittlerweile für die Verhältnisse in Narull fast warm. Dementsprechend war der Schnee geschmolzen, und wenn man die Straße verließ, befand man sich sofort in sumpfigem Gelände. Die Mücken surrten in der Luft und piesackten die heimlichen Beobachter.



In den ganzen Bibliothekskomplex kam man als Außenstehender nicht so einfach hinein. Es war ein Privileg dort ein- und auszugehen. Die Wachen kannten jeden, der hier wohnte oder der das Recht hatte, die Bibliothek aufzusuchen. Wer keinen guten Grund anführen konnte, kam nicht in den Komplex hinein. Genauso wie Dresson die Bibliothek gut kannte, so kannte man auch ihn. Und jeder wusste, dass er mittlerweile kein Recht mehr dazu hatte, den Komplex zu betreten, oder genauer gesagt, wenn er sich dort blicken ließ, würde er sofort verhaftet.



„Wir brauchen jemanden in der Bibliothek, der uns hilft. Gibt es dort drin jemanden, den du kennst und dem du vertraust? Jemand, der dich nicht verrät, wenn du Kontakt zu ihm aufnimmst?“, fragte Mico. Er hatte natürlich wieder die Führung übernommen, denn es ging um ein Geschäft, das er beherrschte. Es ging um Einbruch und Diebstahl.



Dresson überlegte und ging gedanklich die einzelnen Personen durch.



„Hm. Es gibt den einen oder anderen, der in Frage käme.“



„Es ist egal, ob es eine wichtige oder unwichtige Person ist. Ob er in der Küche arbeitet oder in der Bibliothek selbst, ist nicht so wichtig. Natürlich wäre es besser, wenn er sogar Zugang zur Bibliothek hätte. Aber grundsätzlich könnte jeder hilfreich sein.“



Hanrek fragte.



„Was hast du denn im Sinn, damit Dresson weiß, nach was er suchen soll?“



Mico grinste.



„Ich weiß es selbst noch nicht genau. Erst einmal auf einfachem Weg in diese alten Gemäuer rein zu kommen, wäre schon eine große Hilfe. Außerdem brauchen wir einen Platz, wo wir uns vielleicht vor oder nach dem Einbruch in der Bibliothek für einige Stunden verstecken können. Einen Platz, an den wir uns zurückziehen und uns vorbereiten können. Es könnte auch hilfreich sein, wenn wir einen Platz ausfindig machen können, an dem man einige Sachen deponieren kann, Verkleidungen, Seile, Haken, vielleicht etwas, mit dem wir eine Tür aufbrechen können.



„Am besten zähle ich euch die Leute auf, die ich hier kenne, beschreibe euch ihre Aufgabe, und ob sie mir gut oder schlecht gesonnen sind.“, schlug Dresson vor.



„Vielleicht ist aber auch der eine oder andere gar nicht mehr da.“



Die Bibliothek und die dazugehörigen Gebäude hatte er ihnen schon früher aufs Genaueste beschrieben.



Die Aufzählung der Personen dauerte lange, und noch länger dauerte es, bis sie die Personen identifiziert hatten, mit denen sie in Kontakt treten konnten.



Sie hatten sich in einem Gasthaus einquartiert, das abseits der Hauptstraße an einer Seitenstraße lag. Es war ruhig dort und es waren nur wenige Gäste untergebracht.



Am Abend entwarfen sie einen ersten Plan und am nächsten Morgen gingen sie voller Enthusiasmus an seine Verwirklichung. Sie hatten sich entschlossen, mit ihrer Suche nach Verbündeten in der Küche zu beginnen.



Dresson hatte einige junge Burschen gekannt, die dort einfache Küchenjungen gewesen waren. Mit diesen war er mehrfach durch die umliegenden Schenken gezogen. Vielleicht arbeitete ja der eine oder andere noch immer im Bereich der Bibliotheksküche und vielleicht hatte sich einer von ihnen sogar mittlerweile hochgearbeitet. Die jungen Burschen boten eine große Chance, aber sie konnten auch zu einer großen Enttäuschung werden. Ein weiterer Vorteil der jungen Burschen war der, dass sie mit Leuten, denen die Drei auf keinen Fall in die Quere kommen wollten, keinen Kontakt hatten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Küchenjunge mit dem Leiter der Bibliothek oder mit dem Hauptmann der Wache verkehrte, war ziemlich unwahrscheinlich.



Sie begannen damit, in der näheren Umgebung Informationen über die Küchenjungen zu sammeln, ob sie noch in der Bibliotheksküche arbeiteten, wo sie wohnten, ob sie mittlerweile verheiratet waren, wo man sie abends treffen konnte und so weiter und so weiter.



Nach zwei Tagen war die ursprünglich lange Liste auf eine sehr kurze geschrumpft, dafür hatten sie einige gute Ansätze gefunden. Ihr Favorit war Oris, ein ehemaliger Küchenjunge, der jetzt zum Chef der Küchenjungen aufgestiegen war. Seine Aufgabe war es, die vielen ungelernten Kräfte zu koordinieren. Die Küche wurde mit Unmengen von Lebensmitteln versorgt, die herangekarrt und eingelagert werden mussten. Der Weinkeller musste mit schweren Weinfässern bestückt werden, ebenso der Bierkeller. Die Lebensmittel mussten vorbereitet werden, dem Wild musste das Fell abgezogen werden, Geflügel musste gerupft werden, das Gemüse musste geputzt werden, es mussten riesige Mengen Wasser vom Brunnen in die Küche geschleppt und dort erhitzt werden. Das Holz für die Feuer musste geschlagen und ofengerecht vorbereitet werden. Und die Schar junger Burschen, die diese Arbeiten tat, wurde von Oris befehligt, der natürlich wieder auf Befehl der Köche handelte.



Zwar bei der Arbeit verantwortungsbewusst, trank Oris nach der Arbeit gerne einen über den Durst, spielte gerne und hatte deswegen Schulden bei allen möglichen Leuten. Außerdem war er nicht verheiratet, sondern lebte allein in einer kleinen Wohnung innerhalb der Mauern des Bibliotheksgeländes. Er war deshalb für die Einbrecher der perfekte Kandidat.



Mico sollte derjenige sein, der mit ihm Kontakt knüpfte.




„Trinkst du noch einen, Oris? Ich spendiere.“, gab Mico den Großzügigen. Sie hatten gerade ein gemeinsames Spielchen gewagt, in dem Mico absichtlich einiges Geld an den Chef der Küchenjungen verloren hatte.



„Da sage ich nicht nein.“, Oris war kurz vor dem Lallen. Er hatte schon kräftig gebechert und war in einer redseligen Laune.



„Setzen wir uns doch da ins Eck, da zieht es nicht so, es ist leiser und es lässt sich besser trinken und reden.“



Auch dabei ließ sich Oris nicht lange bitten. Die Chance, vielleicht noch ein weiteres kostenloses Bier spendiert zu bekommen, verlockte ihn.



Es wurden noch einige feuchtfröhliche Stunden, mit einigen Bechern für Oris, die natürlich allesamt von Mico bezahlt wurden. So abgefüllt musste Mico ihn fast nach Hause tragen.



„Na, hat Oris mal wieder zu viel über den Durst getrunken?“, wurden Mico und Oris von der Wache zum inneren Ring empfangen.



Mico grinste.



„Ihr kennt ihn ja.“, ahmte Mico die lallende Stimme eines Betrunkenen nach, obwohl er fast nüchtern war.



„Kommst du zurecht mit ihm?“, fragte die Wache.



„Ja, ja. Geht schon. Wenn er nicht mehr kann, lasse ich ihn eben etwas ausruhen. Dauert halt ein bisschen länger.“, antwortete Mico schleppend. Mico war stehen geblieben und ließ zur Demonstration seinen Begleiter auf den Boden sinken. Das gab Mico die Gelegenheit, sich umzuschauen, was er ausgiebig tat.



„Ich gebe dir den Tipp, Oris zuliebe den etwas längeren Weg an den Schuppen da drüben mit ihm zu nehmen, auch wenn es weiter ist und länger dauert. Ihr kommt dann aber nicht an der Wohnung des Chefkochs vorbei. Wenn der Oris in diesem Zustand sieht, dann hat er morgen den größten Ärger.“, plauderte der Wachmann vertrauensvoll.



„Gibt's da Hunde in den Schuppen? Ich hab' Angst vor Hunden, da mach' ich mir in die Hosen.“ fragte Mico ängstlich.



„Nein, nein. Nur an der Tür zur Bibliothek gibt es einen Hund, der war Mal ein scharfer Wachhund, ist aber mittlerweile zu alt für diese Aufgabe. Er bleibt trotzdem in Amt und Würden, weil er der Liebling vom alten Bibliotheksleiter ist. Die haben wahrscheinlich beide keine Zähne mehr.“, der Wachmann lachte ausgiebig.



„Und beide taugen nur noch als Abschreckung für brave Leute.“, nach diesem Witz stimmte Mico höflich in sein Gelächter ein.



Eine Weile unterhielten sie sich noch, dann seufzte Mico und machte sich wieder an die Arbeit, Oris in seine Wohnung zu bringen.



„Danke für den Tipp.“, verabschiedete sich Mico.



Die nächste Stunde nutzte Mico zusammen mit und ohne Oris an der Schulter, um sich einen guten Überblick zu verschaffen.



Zufrieden mit sich und der Welt verließ Mico nach getaner Arbeit den Gebäudekomplex wieder. Er hatte viele gute Möglichkeiten entdeckt, die ihnen bei ihrem Einbruch weiterhelfen würden.



Auch in den folgenden Tagen traf er sich häufig mit Oris. Erst stellte Mico seinem Spielkumpanen Hanrek vor und schließlich wagten sie es, dass auch Dresson mit Oris Kontakt aufnahm. Es wurde ein feuchtfröhliches und konspiratives Wiedersehen zwischen den beiden. Die Gefahr, dass Oris Dresson verraten würde, schätzten sie als äußerst gering ein.



Die drei Freunde waren zufrieden, ihr Plan war auf einem guten Weg und bis jetzt hatte alles gut geklappt.



In den Bibliothekskomplex konnte Oris sie, auch wenn der es noch nicht wusste, sicher hineinbringen. Und dabei mussten sie nicht einmal über Mauern steigen oder nachts Wachen niederschlagen.



Jetzt gingen sie an den nächsten Schritt. Dresson sollte zu einem guten alten Freund, der noch in der Bibliothek arbeitete, Kontakt aufnehmen. Er hatte ihm vor einigen Tagen einen Brief geschrieben. Der Freund hieß Freino und hatte jetzt die gleiche Arbeit, wie Dresson sie früher gehabt hatte. Als Hilfsarchivar durfte er, wie Dresson damals auch, in gewissen Bereichen der Bibliothek arbeiten, zu den verbotenen Bereichen hatte er aber keinen Zugang.



Freino war kränklich, die Arbeit in den kalten Räumen der Bibliothek hatten seine Gesundheit angegriffen. Er konnte häufig nicht zur Arbeit gehen, oder er schleppte sich schwer krank in die Bibliothek. Der Leiter der Bibliothek hatte ihm schon zweimal klar gemacht, dass er nicht so häufig ausfallen durfte, da er sonst seine Arbeit jemand anderem übertragen würde. Als kleine Warnung hatte er ihm kurz danach seinen Lohn gekürzt. Da Freinos Frau außerdem ihr zweites Kind erwartete, befand er sich jetzt in einer verzweifelten Lage.

 



Besonders Dresson hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er daran dachten, dass sie Freino durch ihren geplanten Einbruch vielleicht noch in eine zusätzliche Gefahr bringen würden. Aber sie benötigten dringend die Informationen, die er besaß, also biss er in den sauren Apfel und traf sich mit Freino in einer Schenke.




„Ich will dir gleich reinen Wein einschenken.“, sagte Dresson zu Freino, kurz nachdem sie sich überschwänglich begrüßt und die brennendsten Neuigkeiten ausgetauscht hatten.



„Du weißt, nachdem man mich im verbotenen Teil der Bibliothek erwischt hat, haben sie mich dazu gezwungen in die Armee einzutreten. Sie haben mich gleich auf den Feldzug nach Süden ins Königreich geschickt, in die vorderste Reihe, dort wo es eine Frage der Zeit ist, wann der Feind dich erwischt.“



„Ein Todesurteil ohne offizielles Urteil.“, nickte Freino.



„Ich habe desertiert.“



Freino schaute ihn erschrocken an.



„Darauf steht die Todesstrafe.“



Dresson zuckte mit den Schultern.



„Ja, wenn sie mich erwischen, werden sie mich zum zweiten Mal zum Tode verurteilen. Dieses Mal dann offiziell.“



„Aber warum kommst du dann ausgerechnet hier her, wo dich vielleicht noch jemand erkennt?“



„Weil ich eine Aufgabe habe.“



„Eine Aufgabe? Arbeitest du etwa fürs Königreich als Spion?“, Freino war ehrlich entrüstet.



„Nein, nein. Damit hat es nichts zu tun. Aber dessen würden sie mich natürlich auch bezichtigen, wenn sie mich in die Finger bekämen.“



„Nein. Der Grund ist der, dass ich damals in der Bibliothek ein Buch gelesen habe ...“, Dresson stockte, da er nicht wusste, wie er es genau erklären sollte. Freino starrte ihn erwartungsvoll an. „... ja und dieses Buch enthält ein geheimes Wissen. Da ich es aber nicht genau lesen konnte, habe ich vielleicht einen großen Fehler gemacht. Ich meine ...“, Dresson schaute unglücklich. Er wollte nicht die ganze Geschichte vom Drachenei und dem Drachen der geschlüpft war, erzählen. Er raufte sich die Haare und dann entschloss er sich, zumindest einen Teil der Geschichte zu erzählen.



„Weil ich das Buch nicht ganz lesen konnte, haben wir einen großen Fehler gemacht und im Königreich ist deshalb ein Drache aus einem uralten, aber noch lebenden Drachenei geschlüpft.“



„Ein Drache? Aus einem Drachenei. Und wer ist wir?“, kam die langsame, ungläubige und überdeutlich betonte Nachfrage von Freino.



„Ja, ein Drache. Ich weiß es klingt so nach einem Märchen, dass man es fast nicht glauben kann.“



„Fast.“



„In Ordnung. Der Reihe nach. Nachdem ich bei dem Feldzug ins Königreich aus dem Lager der Armee geflohen bin, bin ich der feindlichen Armee direkt in die Arme gelaufen. Sie haben mich schlecht behandelt, haben mich geschlagen und wollten natürlich Informationen über unsere Armee. Hanrek, Mico und zwei weitere Freunde von ihnen haben mich befreit, und da sie ebenfalls desertieren wollten, haben sie mich mitgenommen. Ich bin überzeugt, sie haben mir damals das Leben gerettet. Hanrek ist ein

Flüsterer

 und ...“



„Ein

Flüsterer

? Ist er auch ein Reiter?“, unterbrach Freino ihn.



„Nein, im Königreich gibt es keine Exzarden.“



„Keine Exzarden. Die Glücklichen.“, sagte Freino



Dresson musste lächeln.



„Es ist so manches anders im Königreich, doch der größte Unterschied ist das Wetter. Im Süden ist es immer warm und im Norden ist es nur in einigen Monaten im Winter kalt.“



Freino schaute ihn überrascht an. In Narull war wenig bekannt über das Königreich hinter dem südlichen Gebirge.



Die Erklärungen dauerten noch lange und erst nach mehreren Stunden kam Dresson zu dem Punkt, vor dem er sich am meisten scheute.



„Ich habe dir jetzt wirklich fast alles erzählt, und ich weiß, dass manches schwer zu glauben ist. Wenn ich nicht alles selbst erlebt hätte, würde ich einiges davon nicht glauben.“



Freino hatte zwar häufig nachgefragt, war jetzt aber schon längere Zeit still.



„Und jetzt komme ich zu dem Punkt, weswegen ich hier bin.“



Sein Gegenüber schaute ihn gespannt an.



„Ich muss nochmal in die Bibliothek, in den verbotenen Teil, und ich muss den anderen Teil des Buchs lesen. Ich muss. Und außerdem sind wir auf der Suche nach altem Wissen über Drachen. Ich kenne keinen Ort auf der Welt, wo die Wahrscheinlichkeit größer ist, dieses Wissen zu finden.“



Wortlos starrte Freino seinen alten Freund an. Dann sagte er.



„So etwas in der Art h

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