Das verschleierte Tor

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„Eins ...“, er hatte auf Dresson gedeutet, wendete den Kopf erneut und schaute den Wirt fragend an, so als ob er kontrollieren wollte, ob dieser gedanklich folgen konnte.

„Zwei ...“, jetzt deutete Mico auf Hanrek.

„Drei.“, zuletzt deutete Mico auf sich selbst.

Mico nickte mehrmals zustimmend mit dem Kopf.

„Ja, drei Reiter und drei Pferde.“

Der Wirt lief rot an, Mico hatte seine Rolle des überheblichen reichen Reisenden sehr überzeugend gespielt. Vielleicht hatte er es gerade etwas übertrieben. Das Ganze tat er nicht, weil er den Wirt nicht mochte oder mit diesem Streit anfangen wollte. Er tat es aus der Not heraus, eventuell die Unterkunft für seine Kameraden und die Pferde nicht bezahlen zu können, jedenfalls nicht im Voraus, aber vielleicht gab es ja die Möglichkeit später doch alles zu bezahlen. Er hatte einen Plan und darum spielte er die Rolle weiter.

„Nun. Wenn mir das Zimmer nicht gefällt, dann schauen wir uns vielleicht als Alternative dazu eine Box in eurem Stall an. Der Preis zumindest passt ja schon. Für 5 Stengel erwarte ich in einer guten Schenke zu der Schlafmöglichkeit auch noch ein gutes Frühstück und eine große Schüssel Schannos sowie ein kühles Bier zum Abendessen.“, dann lachte er gekünstelt.

Der Wirt wusste nicht, was er sagen sollte. Eigentlich hätte er diesen arroganten Schnösel am liebsten der Tür verwiesen.

Mico ersparte ihm die Antwort, indem er in fragte.

„Gibt es hier einen Heiler in der Nähe, der sich unseren Freund einmal ansehen kann?“

„Äh, ja. Im nächsten Dorf ...“, der Wirt fuchtelte mit seiner Hand in eine undefinierbare Richtung, „... dort gibt es einen Heiler.“

„Könntet ihr ihn bitte für uns rufen lassen. Ich danke euch. Ihr seid sehr aufmerksam.“, und damit ging Mico, ohne eine Antwort abzuwarten, schon in Richtung Treppe und ließ den verdutzten Wirt stehen.

***

Nachdem Mico einen kurzen Blick in die natürlich einwandfreien Zimmer geworfen hatte, half er Hanrek dabei, Dresson die Treppen hoch zu tragen. Im Vorbeigehen orderte er beim Wirt noch drei Portionen Schannos und zwei kühle Bier sowie einen großen Krug kaltes Wasser aufs Zimmer.

Die Schankmagd brachte ihnen alles aufs Zimmer. Von Vorausbezahlung war zumindest für den Moment nicht mehr die Rede. Hanrek und Mico atmeten auf.

„Ich denke, ich schaue mir später mal an, was man hier für Kartenspiele spielt. Vielleicht schaffe ich es ja, uns unsere Unterkunft zu erspielen.“

Hanrek schaute etwas unglücklich drein. Es war ihm nicht recht, von Micos Glück bei der Spielerei abhängig zu sein, und nach wie vor war Hanrek nicht sicher, ob Mico nicht hin und wieder diesem Glück etwas nach half.

Hanrek seufzte und sagte dann.

„Ich wünsche dir viel Glück. Bitte belasse es dabei.“

Mico lächelte.

„Glück ist eines, aber ich gewinne mehr Geld durch Bluffen als durch Glück.“

***

Der Heiler verordnete Dresson strenge Bettruhe und eine Salbe, die sie ihm mehrmals am Tag auf die Brust reiben sollten. Er machte ihnen keine Hoffnung, dass Dresson schnell wieder gesund wurde. Er vermutete, dass es mehrere Tage dauern würde, bis Dresson wieder auf die Beine kam. Nachdem der Heiler fort war, machte sich Mico auf den Weg in die Schankstube.

Er bestellte sich ein Bier, trat an einen Spieltisch heran und beobachtete die Kartenspieler, um zu verstehen, wie das Kartenspiel funktioniert, das sie spielten. Es war ein ihm unbekanntes Spiel, aber es gefiel Mico.

Nach etwa einer Stunde traute er sich zu, das Spiel spielen zu können, und es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis er einen Platz in der Runde bekommen hatte.

Man spielte das Spiel mit mindestens 5 Spielern, und in jeder Runde bildeten zwei Spieler aufgrund ihrer Spielkarten spontan eine Allianz. Nur die Allianz konnte gewinnen und die, die nicht Teil der Allianz waren, versuchten natürlich zu verhindern, dass diese gewann. Das Besondere war, dass alle Spieler erst am Ende der Runde erfuhren, mit wem man tatsächlich zusammen gespielt hatte, wer Allianz und wer Opposition war. Wenn die Allianz nicht gewann, blieb der Spieleinsatz in der Mitte liegen und wurde dem Einsatz der nächsten Runde zugeschlagen. Die Allianz gewann eher selten und darum wurden die Münzstapel in der Mitte immer größer und attraktiver.

Das Kartenspiel erinnerte die Narull an das tägliche Ränkeschmieden der vielen kleinen Fürsten, die es in Narull gab, und daher nannten sie es einfach „das Spiel der Fürsten“. Wechselnde Allianzen waren in Narull an der Tagesordnung und der einfache Mann wusste nie, wer mit wem verbündet und wer mit wem verfeindet war. Darum hielt sich ein kluger Mann in Narull aus der Politik heraus, wenn er nicht unter die Räder kommen wollte.

Ziel des Spiels war es, die goldene Fürstenkrone zu fangen, ein schwieriges Unterfangen, das sowohl Glück als auch Geschick erforderte. Außerdem gab es eine Reihe von Spezialkarten wie die Herzdame oder den eisernen Junker. Es gab Soldaten, Bauern und Spione. Es war also fast wie im richtigen Leben.

Natürlich versuchte man schon vor dem Ende des Spiels herauszufinden, wer der eigene Mitspieler war und wer gegen einen spielte. Die lockeren Sprüche, die sich in jeder Runde von Neuem wiederholten, waren zwar nicht erlaubt, aber normal, und sie dienten nur dem einen Zweck, genau das herauszufinden.

Mico erkannte schnell, dass das Spiel wie für ihn gemacht war. Er wusste meist sehr schnell, wer die Allianz bildete oder, wenn er selbst Teil des Bündnisses war, wer sein Mitspieler war. Außerdem gelang es ihm gut, seine Mitspieler darüber im Dunkeln zu lassen, auf welcher Seite er stand.

„Na los. Mach schon deinen Einsatz. Wir haben nicht ewig Zeit.“, nörgelte Micos Gegenüber den Spieler rechts neben Mico an.

Dieser überlegte lange, bevor er zu seinen Münzen griff. Mico hoffte inständig, dass er nicht zu viel setzte, denn er wollte mitziehen und dann wäre er komplett blank. Er hatte bis auf einen kleinen Rest alles in die Mitte gelegt. Der Haufen in der Mitte war stetig angewachsen. Schon eine ganze Weile hatte die Allianz nicht mehr gewonnen und jetzt lag da in der Mitte des Tischs ein richtig großer Einsatz, den Mico unbedingt gewinnen wollte, ja musste. Und dieses Mal würde Mico tatsächlich Teil der Allianz sein, das war klar, da er dazu die nötigen Karten besaß, und wenn er nun noch ein bisschen Glück hatte, und sein Bündnispartner sich nicht zu dumm anstellte, dann würden sie diese Runde sicher gewinnen.

Doch wer war sein Partner?

Der pickelgesichtige junge Spieler, der links neben ihm saß? Vielleicht. Er hatte vorhin beim Aufnehmen der Karten kurz gezuckt. Es war auf seiner Hand die dritte Karte von links, bei der er seine Gefühle nicht unter Kontrolle gehabt hatte, wenn er also im Laufe des Spiels diese Karte ausspielte und sie war nicht die Bündniskarte, dann war er sicher nicht sein Partner.

Oder war es etwa der rechts neben Mico sitzende Spieler, groß, schlank, aber mit einem furchtbar hässlichen Gesicht, der die passende Karte zu der seinen hatte und damit zu seinem Bündnispartner werden würde? Die Bemerkungen, die er im Laufe der Runde gemacht hatte, ließen es vermuten, aber diese Bemerkungen konnten auch ein Täuschungsmanöver gewesen sein. Hm.

Der, der rechts neben dem Hässlichen saß, war ein braun gebrannter Typ, den ganzen Abend hatte er wenig gesagt, er hatte auch wenig gewonnen und im Vergleich zu den anderen spielte er auch schlecht. Mico hoffte, dass nicht ausgerechnet er sein Partner war, da er es für möglich hielt, dass dieser die gute Chance, die Mico witterte, durch sein schlechtes Spiel zunichte machte.

Blieb noch der Spieler, der Mico gegenüber saß. Dieser war ein Choleriker, immer rot im Gesicht und ungeduldig trieb er stets das Spiel an. Wenn eine Runde beendet war, brannte er darauf, gleich die nächste Runde zu beginnen. Er trieb alle am Tisch an, schnell zu spielen, nicht zu lange zu überlegen und auch er selbst überlegte nie lange, er spielte fast überhastet. Es war ihm zuwider, wenn seine Mitspieler am Tisch sich unterhielten, die üblichen Sprüche aufsagten und dabei insgeheim Informationen austauschten. Informationen, die nur der verstand, der darauf achtete. Der Choleriker hatte kein Gespür für solcherlei Zwischentöne. Und er war ein schlechter Verlierer. Solche Spieler mochte Mico, da man sie leicht provozieren konnte und sie dann umso unüberlegter spielten. Das Schöne daran war, dass man dann immer so unschuldig tun konnte, man hatte ja schließlich den anderen nicht bewusst provozieren wollen. Ob dieser Spieler Teil seines Bündnisses war? Mico wusste es nicht.

Diesmal wusste Mico wirklich nicht, wer sein Partner war. Na gut. Dann musste er sich umso mehr auf sich selbst verlassen.

Der Hässliche war zu einer Entscheidung gekommen. Er nahm eine ganze Handvoll Münzen in die Rechte und zählte provozierend langsam eine Münze nach der anderen ab, indem er mit jeder Zahl, die er hoch zählte, eine Münze fallen ließ, die dann klirrend in den großen Haufen in der Mitte fiel.

Zu viele. Als der Hässliche geendet hatte, schaute er Mico provozierend ins Gesicht, genauso provozierend, wie er die Münzen abgezählt hatte. Zu viele. Es waren zu viele Münzen für den kläglichen Rest, den Mico noch vor sich liegen hatte. Dem Hässlichen war vollkommen bewusst gewesen, dass Mico nicht mehr genug Geld hatte. Und er vermutete richtig, dass Mico überhaupt kein Geld mehr als Reserve hatte, auch nicht in seinen Taschen.

Was sollte er jetzt tun? Fieberhaft überlegte er, ging alle Möglichkeiten durch. Alle Möglichkeiten, hahaha. Es gab nur zwei Möglichkeiten, aber vor beiden scheute er sich und verwarf sie jedes Mal, wenn er bei seinen Überlegungen wieder an diesen beiden Enden angekommen war.

 

Mico bemerkte, dass es merkwürdig still im Raum war. Er hatte gedankenverloren seine Karten und den kleinen Münzstapel vor sich betrachtet und schaute jetzt hoch. Der ganze Tisch starrte ihn erwartungsvoll an. Die Blicke, die sie ihm zuwarfen, hatten einen besonderen Ausdruck, aber Mico konnte diesen Ausdruck nicht deuten, oder doch. Hatten sie am Ende auf diesen Moment hin gearbeitet, waren sie alle miteinander verschworen? Die anderen Spieler kannten sich alle, sie reisten wahrscheinlich miteinander. Arbeiteten sie alle zusammen und war ihr Ziel ihn auszunehmen?

Auch im Rest des Schankraums war es merkwürdig still. Mico hob den Kopf noch mehr. Alle starrten ihn an. Wirklich alle. Auch der Wirt, und dieser tat es mit einem selbst zufriedenen Ausdruck. Das alarmierte Mico am meisten. Irgendetwas ging hier vor und er, Mico, schien es nicht zu begreifen.

Micos Gedanken rasten. Es fielen ihm Einzelheiten auf, die ihn erschreckten, der Choleriker war im Moment geduldig, er nippte an seinem Bier und schien plötzlich vergnügt, der Braungebrannte hatte plötzlich ein zartes Rot in seinen Wangen. Bildete er sich das alles nur ein, spielte ihm seine Fantasie einen Streich?

Mico war verwirrt, etwas, was er beim Kartenspielen noch nie erlebt hatte. Es wurde ihm heiß und kalt, was, wenn wirklich alles nur darauf ausgelegt war, ihn zu betrügen. Selbst wenn es wirklich so war, er hatte nur zwei Möglichkeiten. Entweder er stieg aus, jetzt und sofort oder er spielte weiter und trieb dafür Geld auf. Geld, das weder er noch Hanrek noch Dresson hatten. Also musste er ein Pfand hinterlegen, ein wertvolles Pfand. Und da fiel ihm nur ein Pfand ein, dass er einsetzen konnte und das stand gerade im Stall und fraß genüsslich seinen Hafer.

Mico schloss kurz die Augen und versuchte die Anspannung und mit einigen tiefen Atemzügen auch die Zweifel los zu werden. Er war schließlich hier der gute Kartenspieler, der immer gewann. Als er die Augen öffnete, waren die Zweifel immer noch da und die Anspannung war noch größer geworden, die Gedanken rasten eher noch schlimmer.

Und dann wurde seine Not noch größer. Ausgerechnet jetzt kam Hanrek die Treppe herunter. Mit einem Blick wurde Mico klar, dass Hanrek genau wusste, dass er sich in einer verzwickten Lage befand. Er war schließlich ein Flüsterer.

Obwohl ihm gar nicht so zumute war, sprach er leicht hin zu seinen Mitspielern

„Nun, wie ihr vielleicht bemerkt habt, ist mir etwas das Geld ausgegangen. Bitte gebt mir einen Moment, um mich mit meinem Freund zu besprechen. Vielleicht kann ich ja dann noch etwas mehr Geld auf den Tisch legen.“

Mico schaute erwartungsvoll in die Runde. Seine Mitspieler schauten sich gegenseitig eine Weile an und, Mico traute seinen Augen und Ohren kaum, ausgerechnet der Braungebrannte ergriff das Wort.

„Kein Problem, wenn es nicht zu lange dauert.“

Also schob Mico seinen Stuhl zurück, ließ seine Karten auf dem Tisch liegen und ging zu Hanrek hinüber, der ihn am Fuß der Treppe erwartete, und von dort den ganzen Raum im Auge behielt.

„Nun, was ist dein Problem?“, empfing Hanrek ihn mit leiser Stimme.

„Um es kurz zu machen, ich habe das absolute Gewinnerblatt auf der Hand und der Gewinn in der Mitte ist riesengroß. Ach ja, und dazu ist mir das Geld ausgegangen, sodass ich eigentlich gezwungen bin, auszusteigen. Damit wäre dann all unser Geld verspielt, bis auf einige wenige Kupferlinge. Außerdem habe ich seit einigen Minuten das dumpfe Gefühl, dass es sich hier um eine abgekartete Sache handelt, dass man mich ausnehmen will und dass man mich verleiten will, eines unserer Pferde als Einsatz zu setzen.“

Mico hatte genauso leise gesprochen, wie Hanrek zuvor.

„Hmmm.“, Hanrek nickte.

„Das glaube ich auch. Irgendwie ...“, Hanrek machte einen eigenartigen Gesichtsausdruck, so als ob er angestrengt riechen würde, „... ja, auch ohne Gabe fühlt es sich irgendwie so an, als ob ...", er suchte nach dem richtigen Begriff, „... als ob wir die Mäuse vor der Mausefalle wären, und alle warten nur darauf, dass wir endlich das Stück Käse fressen, das direkt vor unserer Nase liegt.“

„Irgendwelche Vorschläge?“, fragte Mico ihn.

Hanrek dachte einen Moment nach und nickte dann.

„Wenn du wirklich überzeugt bist, dass du dieses Spiel gewinnen kannst, setze dein Pferd, denn darauf sind sie ja so scharf.“, Hanrek machte eine kleine Pause, aber Mico merkte, dass er noch nicht fertig war.

Dann schaute Hanrek ihn direkt an.

„Ich glaube fest, dass es der braun gebrannt aussehende Mann ist. Er ... ich weiß nicht so richtig, wie ich das Gefühl ausdrücken soll, aber ich glaube, dass er irgendwie falsch spielt. Ich kann keine Karte im Ärmel entdecken oder etwas Ähnliches, ... aber trotzdem, irgendwie vermittelt er mir den Eindruck, als würde er falsch spielen. Übrigens schon die ganze Zeit, in der ich euch von oben aus über die Gabe beobachtet habe.“

Mico nickte.

„Das ist gut möglich. Um falsch zu spielen, braucht er keine Karte im Ärmel, bei diesem Spiel nicht.“

„Aber wenn ich jetzt mein Pferd als Pfand einsetze, wo ich weiß, dass sie zusammenspielen, dann haben sie doch ihr Ziel erreicht, dann werden sie es auch gewinnen. Man ist bei diesem Spiel darauf angewiesen, dass jeder gewinnen will. Wenn nur einer dabei ist, ...“ Hanrek unterbrach ihn.

„Gib du dein Bestes beim Spielen, ich werde jetzt wieder hoch aufs Zimmer gehen, die Tür offen stehen lassen und dann meinen Stab zur Hand nehmen. Ich denke, ich werde etwas Flöte spielen. Wenn ich nur das richtige Lied mit dem richtigen Ton treffe, dann wird Dresson vielleicht schneller wieder gesund und nebenbei ...“, Hanrek ließ seinen Satz unvollendet. Er war schon ganz in Gedanken versunken und überlegte, welches Lied er spielen wollte.

Sie schauten sich noch einen Moment an, dann ging Mico zurück zum Spieltisch und Hanrek ging wieder die Treppen hinauf.

Alle Menschen im Raum hatten die beiden die ganze Zeit genau beobachtet. Die ganze Zeit hatte eine Stille im Raum geherrscht, die fast schon unheimlich war. Jetzt folgten alle Mico mit den Augen, als er seinen Stuhl zurück zog und sich wieder hin setzte.

Es war nach wie vor so leise im Raum, dass man fast eine Stecknadel fallen hören konnte.

Mico ergriff sein fast leeres Bierglas, hob es hoch, und schlug es derb auf die Tischplatte auf, sodass es einen lauten dumpfen Knall gab.

„Wirt. Kann ich noch ein Bier bekommen, ich habe Durst.“

Der Knall hatte wie die Peitsche bei einem Ochsen gewirkt. Plötzlich war die Ruhe dahin, wie plötzlich aufgewacht, sprachen alle durcheinander. Ganz plötzlich hörte sich der Schankraum wieder wie ein Bienenstock an, in dem es gleichmäßig summt und brummt.

„Nun meine Herren, ...“, Mico schaute in die Runde seiner Mitspieler. Er hatte jetzt seine Ruhe wieder zurückgewonnen. „... Geld kann ich euch leider keines anbieten, aber wärt ihr auch mit einem wertvollen Pfand einverstanden?“

„Das kommt immer auf das Pfand an.“, antwortete der Braungebrannte.

Mico hatte ihn offensichtlich total falsch eingeschätzt.

„Ein Pferd.“

Mico sah an den Reaktionen, dass er richtig gelegen hatte, sie hatten es auf sein Pferd abgesehen, und jetzt konnte er ihren unverhohlenen Triumph an ihren Blicken ablesen. Sie schauten den Braungebrannten an. Wieder übernahm dieser das Wort für die ganze Gruppe.

„Was ist denn so ein Pferd wert? Wir haben keine Ahnung, was so ein Pferd kostet. Ist es wertvoll? Wirt, wisst ihr, was man für so ein Pferd verlangen kann? Es steht in eurem Stall, habt ihr es schon einmal gesehen?“, fragte er den Wirt, der gerade das verlangte Bier brachte.

Pflicht schuldigst gab dieser Antwort.

„Hab schon bessere Pferde gesehen. Neulich da war ein feuriger Hengst in meinem Stall gestanden, der war richtig wertvoll. Aber so ein normales Tier, lammfromm, wie es dieser Herr hier hat, ich weiß nicht recht, das kostet vielleicht hundert Stengel.“, der Blick, den der Wirt daraufhin Mico zuwarf, war so triumphierend, wie ein Blick nur sein konnte.

Er war sich gewiss, dass er jetzt seine Genugtuung für Micos schlechtes Benehmen bekam.

In der Runde wurde daraufhin über den Wert des Pferdes diskutiert. Mal waren hundert Stengel viel zu viel, mal war es ein angemessener Preis. Niemand dachte daran, das Urteilsvermögen des Wirts in Frage zu stellen, oder gar einen höheren Preis zu sagen.

Nur der Braungebrannte beteiligte sich nicht an der Diskussion. Er taxierte Mico und wartete auf seine Reaktion.

Hundert Stengel waren im Königreich ungefähr drei Silberkronen und zehn Kupferlinge. Im Königreich wäre das für sein Pferd ein Spottpreis. Zehn Silberkronen wären ein angemessener Preis. Hier in Narull, wo Pferde eine Besonderheit waren, schätzte Mico den Wert seines Pferdes auf eine Goldkrone, also umgerechnet in die hiesige Währung wären das ungefähr dreitausend Stengel. Stattdessen boten sie ihm hundert dafür. Ein sehr schlechtes Geschäft. Aber Mico war sich sicher, dass sie durchaus bereit waren, auch einen höheren Wert des Pferdes zu akzeptieren. Sie waren schließlich ganz scharf auf sein Pferd, hatten schon einen ganz wässrigen Mund und glasige Augen.

Eine Weile hörte er sich deshalb das Geschwätz seiner Mitspieler an, dann unterbrach er die Diskussion in leisem aber bestimmtem Ton und sagte.

„Das Pferd ist zweitausend Stengel wert, und ich werde keinen Stengel weniger akzeptieren.“

In diesem Moment hörte er, worauf er schon die ganze Zeit gewartet hatte. Hanrek hatte begonnen, auf seiner Flöte zu spielen. Es begann leise und drang nur langsam durch die Geräusche im Schankraum. Doch allmählich setzten sich die Töne durch und verschafften sich eine immer größere Zuhörerschaft, bis sie schließlich den ganzen Raum beherrschten. Die Gespräche waren verstummt, und alle hörten gespannt der Musik zu.

Das Lied erzählte von Ehrlichkeit und von ehrlicher, großer und wahrer Freundschaft. Es verteufelte Betrug und falsch verstandene Kameradschaft, einer Kameradschaft, wie sie zwischen den vier Gegenspielern von Mico bestand. Eine Kameradschaft, die dazu diente, einen anderen um Geld und um sein Pferd zu betrügen. Alle wurden von dem Gefühl, das durch das Flötenspiel vermittelt wurde, ergriffen.

Die Spieler am Tisch schauten betreten zur Seite, sie schafften es nicht, sich gegenseitig in die Augen zu sehen.

In die Stille hinein sagte Mico.

„Ich biete also mein Pferd als Pfand an für zweitausend Stengel. Davon bringe ich den geforderten Einsatz und habe damit den Einsatz meines Vordermanns ausgeglichen.“

Er schaute einen Moment in die Runde und sprach dann jeden Einzelnen der Reihe nach direkt an.

„Ist das für dich in Ordnung?“

Der Reihe nach schauten ihm die Angesprochenen in die Augen, nickten und starrten dann wieder vor sich auf den Tisch, um keinen der anderen ansehen zu müssen.

Als alle zugestimmt hatten, schlug Mico vor, das Spiel fortzusetzen. Keiner widersprach, also begannen sie, ihre Karten auszuspielen. Wie in Trance spielten sie. Der Braungebrannte stellte sich als Micos Bündnispartner heraus. Als es in die entscheidende Phase ging, die Eroberung der goldenen Fürstenkrone, merkte man eine sich aufbauende Spannung in den Reihen der Spieler. Und als der Braungebrannte tatsächlich die richtige Karte spielte, die den Sieg für das Bündnis zwischen dem Braungebrannten und Mico bedeutete, ging, obwohl der Rest am Tisch verloren hatte, ein erleichtertes Aufatmen durch die Reihen. Alle waren froh, dass sie Mico nicht betrogen hatten. Besonders erleichtert war natürlich Mico. Die Stimmung der Spieler hob sich und sie schafften es nun wieder, sich in die Augen zu schauen.

Der Gewinn wurde zwischen dem Braungebrannten und Mico aufgeteilt und alle beglückwünschten die beiden mit großer Inbrunst. Sie schlugen Mico wie einem guten Freund auf die Schulter und freuten sich mit ihm.

Und dann änderte sich die Musik. Es wurde eine traurige melancholische Weise daraus, die durch leise tragende Töne dominierte. Schon das vorherige Lied hatte Mico berührt, doch dieses Flötenspiel berührte ihn noch viel stärker. Und man merkte, dass es den anderen Zuhörern im Raum genauso ging. Etwas kitzelte Mico tief im Innern, begehrte Einlass und als es selbstverständlich Einlass erhalten hatte, hinterließ es eine Traurigkeit, die von tiefer Einsamkeit, von großer Verantwortung und von einer geliebten Frau und von geliebten Kindern erzählte, die aufgrund dieser Verantwortung zurückgelassen worden waren.

 

Wie von alleine rannen Mico die Tränen hinab und allen anderen im Raum ging es ebenso. Einige der Zuhörer lagen sich in den Armen und schluchzten Herz erweichend.

Lange dauerte das Lied und Mico konnte nicht sagen, wann es geendet hatte. Irgendwann merkte er, dass die Töne verklungen waren. Daher erhob er sich, steckte sein Geld ein und ging die Treppe hinauf. Er war noch immer tief ergriffen und doch auch gelöst.

Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen. Er trat ein und schloss sie hinter sich.

Hanreks Stab lehnte an der Wand und Hanrek selbst lag zusammen gekrümmt mit dem Rücken zur Tür auf seinem Bett. Mico trat zu ihm und setzte sich wortlos hinter ihm aufs Bett.

Es dauerte eine ganze Weile, doch dann endlich sprach Hanrek mit leiser und heiserer Stimme. Seiner Stimme merkte man an, dass auch er geweint hatte.

„Die Flöte zu spielen, es kostet manchmal ungemein viel Kraft. Es kehrt mein Innerstes nach außen, ich konnte das Lied nicht aufhalten, ich konnte die Gefühle nicht aufhalten. Sie mussten heraus. Es war, als ob die Flöte an mir saugt, nicht ich habe sie geblasen, sondern die Flöte hat an meinen Gefühlen gesaugt. Und ich konnte einfach nicht aufhören zu spielen.“

Mico tätschelte Hanrek beruhigend die Schulter. Es wurde Zeit, dass er seinen Freund aufmunterte und die melancholische Stimmung durchbrach.

„Nun. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Welche willst du zuerst hören?“

Hanrek drehte sich langsam um und schaute Mico fragend an.

„Hast du das Pferd verloren?“

„Nein. Der Plan hat funktioniert, alles ist gelaufen, wie es sollte, und an Geld wird es uns in nächster Zeit nicht mangeln. Das war die gute Nachricht.“

„Und die schlechte?“

„Tja. Wie soll ich es sagen?“, durch eine kurze Pause erhöhte er die Spannung noch etwas.

„Nun. Bier können wir hier nicht mehr trinken. Das ist wegen der vielen Tränen, die da unten geflossen sind, verwässert und schmeckt wahrscheinlich furchtbar salzig.“

Hanrek konnte zwar noch nicht wieder lachen, aber zumindest ein schiefes Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

***

„Wie machst du es, dass das Flötenspiel solche Gefühle überträgt?“, fragte Mico und zog dabei sein Pferd hinter sich her.

Sie waren erneut unterwegs. Dresson war zwar noch nicht wieder ganz der Alte, aber es wurde Zeit, dass sie weiter kamen, da ihnen die Zeit davon lief.

„Ich habe neulich richtig gefühlt, dass ich mich nach meiner Frau und nach meinen Kindern sehne, nach einer Familie, die ich überhaupt nicht habe. Es waren deine Gefühle, die ich gespürt habe.“

„Ich weiß es nicht genau.“, Hanrek dachte nach.

„Ich fange einfach an, ein Lied zu spielen, das irgendwie zur Grundstimmung passt und um das zu unterstützen, denke ich auch etwas Entsprechendes. Wenn ich also etwas Lustiges spielen will, denke ich auch an etwas, dass ich mal lustig fand, wenn es ein trauriges Thema sein soll, denke ich an etwas Trauriges.“

Es dauerte eine Weile, ehe Hanrek erneut sprach.

„Das wäre an sich noch nicht weiter schlimm. Ihr habt ja unten im Schankraum auch Tränen vergossen, der eine mehr, der andere weniger. Für mich ist es aber schlimmer, da meine eigenen Gefühle durch die Flöte noch verstärkt werden.“

Wieder dauerte es eine Weile, in der Mico Hanrek nicht unterbrach, da er ahnte, dass Hanrek noch etwas sagen würde.

„Vielleicht ist es auch so, dass es gar nicht meine Gefühle sind, die ich durch die Gefühle zurück bekomme. Vielleicht ist es die Resonanz der Gefühle von denen, die mein Flötenspiel hören.“

„Ich weiß es nicht. Außer Meister Binderer hat mir noch niemand etwas Sinnvolles über Flöten aus Heronussbaum sagen können. Alles nur Gerüchte und Hören-sagen. Und wenn man es genau nimmt, sprach auch Meister Binderer immer nur von wahrer Magie. Wahrscheinlich weiß auch er nicht mehr darüber.“

Dresson schaltete sich in das Gespräch ein.

„Für mich ist es jedes Mal etwas ganz Besonderes, wenn wir zusammen spielen.“

Hanrek nickte.

„Ja. Es ist irgendwie einfacher zusammen als alleine zu spielen. Auf der einen Seite sind die Gefühle zwar noch überwältigender, aber andererseits sie sind auch irgendwie leichter ertragbar. Ich weiß nicht, ob das logisch klingt.“

Mico zuckte mit den Schultern, aber Dresson nickte zustimmend.

„Nein. Nein. Du hast es sehr gut beschrieben.“

Nach einer Pause begann Hanrek noch einmal.

„Ich weiß nur eines. Wenn neulich noch ein Heronussbaum in der Nähe gewesen wäre, hätten mich die Gefühle weg geschwemmt. Ich hätte diese zusätzliche Verstärkung durch einen Baum nicht auch noch ertragen können.“

***

Endlich hatte er eine Höhle gefunden. Sie war genau das, was er brauchte. Hier konnte er sich zurückziehen, konnte seine Beute in Sicherheit bringen, konnte seine Fähigkeiten verbessern und hier konnte er schließlich auch sein Ei legen. Schtarak umrundete mit großem Stolz seine Höhle. Sie würde sein Ptorak sein.

In der Mitte lagen noch die beiden Bären, die vorher hier gewohnt hatten. Die verzweifelte Bärenmutter hatte ihr Junges tapfer bis in den Tod verteidigt. Sie war keine wirkliche Gegnerin gewesen. Er hatte mit ihr gespielt, hatte seine wachsenden Fähigkeiten an ihr ausprobiert. Er hatte sie genarrt mit seiner Magie, sie mit dem Schleier getäuscht, ihr ein weißes Netz übergeworfen und es dann schnell wieder entfernt, er hatte unzählige verschiedene Magieformen an ihr versucht und die meisten auch erfolgreich. Am Ende hatte er sie mit Kraft, Klauen, Zähnen, seinem Schwanz und seiner Schnelligkeit besiegt.

Und nun waren sie und ihr Junges Beute, einfach Beute, die ihn nährte und wachsen ließ. Dass er mit der Bärin gespielt hatte, war Zeitvertreib gewesen, nicht mehr.

Der Boden der Höhle war mit einer dünnen Schicht Lehm bedeckt und der hintere Teil der Höhle wurde durch einen See mit Frischwasser begrenzt. Er würde noch mehr Erde in die Höhle bringen, dann war es wirklich der perfekte Ort für ein Ptorak. Er wusste schon genau, wo er die Brutstätte einrichten würde. Dort an genau dieser Stelle würde er in die Erde eine Kuhle für das Ei machen, und er würde einige Steine dazu legen, die würde er dauererhitzen, damit das Ei es schön warm hatte.

Den schmalen Eingang würde er etwas erweitern müssen, damit er einfacher hinein und heraus konnte. Jetzt war die Größe noch in Ordnung, aber wenn er erst zu seiner vollen Größe herangewachsen war, dann würde er nicht mehr ausreichen.

Er verließ die Höhle, sein Ptorak, und besah sich die Gegend rund herum genauer. Auch auf dieser Seite des Gebirges gab es genug Beute für ihn, auch wenn es hier kälter war als auf der anderen Seite des Gebirges.

Er errichtete eine Barriere vor dem Eingang, einen Schleier, den niemand durchdringen konnte. Niemand außer ihm selbst. Dann stieß er ein Triumphgeheul aus, das weit hin durch das Tal hallte. Doch niemand außer einigen verängstigten Tieren hörte ihn, denn die Gegend war unbewohnt.

***

Fast hätten sie ihn erwischt. Er musste in Zukunft vorsichtiger sein. Stonek hatte nicht erwartet, dass die Häscher des Toms von Haffkom ihn so hartnäckig verfolgen würden. Um seine Hand zu schonen, hatte er ein paar Mal abends schon früher Rast gemacht, er hatte sich Zaunef angeschaut und er hatte gemütlich in Gasthäusern übernachtet und dabei wahrscheinlich eine übermäßig deutliche Spur hinterlassen. Nur Glück hatte ihn gerettet.

Sie waren gestern abends in sein Gasthaus gekommen, hatten nach einem jungen Mann gefragt, und sie hatten Stonek aufs Genaueste beschrieben. Zufällig saß er in der Gaststube und hatte hinter einer Trennwand alles mit angehört. Es hatten nur Sekunden gefehlt und sie hätten ihn gehabt. Seine wenigen Habseligkeiten hatte er im Zimmer zurückgelassen, aber um die war es auch nicht schade. Lediglich der Beutel mit dem Geld an seinem Gürtel und sein Pferd waren ihm wichtig und das Pferd hatte er noch schnell aus dem Stall retten können. Auch seinen Sattel hatte er zurücklassen müssen. Dann war er in die Wälder geflohen. Jetzt benutzte er nicht mehr die Straße, sondern schlug sich durch den Wald. Die halbe Nacht war er geritten, und sobald es hell geworden war, war er wieder aufs Pferd gestiegen. In einem kleinen Weiler hatte er ein paar Sachen erstanden, die man in der Wildnis brauchte. Er wusste sich schon zu helfen, schließlich war er ein Bauernsohn, der viel zusammen mit seinem abenteuerlustigen Bruder unterwegs gewesen war. Mit dem Schonen seiner Hand war es jetzt zwar vorbei, aber sie hatten ihn nicht erwischt.