Verflixt! Nur ein halbes Märchenbuch

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Verflixt! Nur ein halbes Märchenbuch
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Stefan Hoffmann

Verflixt! Nur ein halbes Märchenbuch

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die kleine Radtour

Der Schneemensch

Pummelchen und der Prinz

Aschenputtel auf dem Promi-Ball (Songtext-Version)

B-Ware oder Warum nicht ich, Prinz? (Ur-Version)

Mein Tag im Aqualand

Versionsangabe

Impressum neobooks

Die kleine Radtour

Frühling 2017

Max traute seinen Augen nicht, als er sie zum ersten Mal in der Sonnen-Apotheke entdeckte. Er wollte sich ein Mittelchen gegen Kopfschmerzen besorgen, aber beim Anblick der neuen Apothekerin brauchte er eigentlich sofort was gegen sein Herzrasen. Freundlich wurde er von ihr gefragt, was sie für ihn tun konnte. Max schätzte, dass sie einige Jahre später zur Welt gekommen ist als er, der die dreißig knapp überschritten hatte. Ergo war Max im ungefähren Alter wie Jesus, als dieser gekreuzigt werden musste, damit sich Gott wieder mit den Menschen versöhnen konnte.

Reich mir deine Hand! Ich bin überwältigt von deiner Schönheit. Dein langes, blondes Haar gleicht dem eines Engels. Heirate mich, bezauberndes Wesen!, sagte er natürlich nicht zu ihr, das dachte er nur. Er sagte zunächst gar nichts, stattdessen lächelte er sie an und sie schenkte ihm ein Lächeln zurück.

„Sie müssen hier neu sein“, vermutete Max. „Sie sind mir noch nie aufgefallen.“

„Stimmt, ich arbeite hier seit sechs Wochen.“

„Sieh an, seit sechs Wochen ...“

Max verlor auf einmal gewaltig die Sprache und ihm fiel nichts Besseres ein als das Wort Kopfweh.

Mit einer grünen Packung Tabletten verließ Max den Laden und schloss sein Rad auf. Klasse Frau, ging es ihm durch den Kopf. Ist sie verliebt, verlobt, verheiratet? Ihrem Dialekt nach kommt sie nicht von hier. Die würde ich gerne mal näher beschnuppern. Aber wie komm ich nur an sie ran? Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor sechs. Die Apotheke hatte bis halb sieben geöffnet. Max entschied sich, bis Geschäftsschluss zu warten, und die Zeit im Café der gegenüberliegenden Bäckerei zu verbringen. Also sicherte er sein Rad wieder, schaute kurz nach links und nach rechts und flitzte pfeifend über die Straße zum Bäcker.

Dort arbeitete zu dieser späten Stunde nur noch eine Verkäuferin, die erst für einen leeren Mund sorgen musste, bevor sie Max bediente. Sie hatte eine mollige Figur, die wahrscheinlich die Konsequenz war, dass sie sich selbst mit größtem Vergnügen von ihrem verlockendem Angebot bediente. Max machte es sich mit einer Tasse Cappuccino an einem Stehtisch bequem. Er und ein älterer, glatzköpfiger Herr Mitte 50 waren die einzigen Kunden im Geschäft. Max sagte kurz Guten Tag zum anderen Gast, der jedoch seinen Gruß nur zögerlich und leise knurrend erwiderte. Dass dieser Glatzkopf von Fremden gegrüßt wurde, war ihm wohl neu. Von seinem Platz aus hatte Max durch die großen Scheiben einen hervorragenden Blick auf die Eingangstür der Apotheke. Max begann, an einer Strategie zu basteln. Es fiel ihm nicht schwer nachzudenken, denn seine Kopfschmerzen waren wie von Geisterhand verschwunden.

Ich werde sie gleich fragen, ob sie mit mir einen Kaffee trinken möchte. Und zwar am besten hier. Haben wir es uns in der Sitzecke gemütlich gemacht, werde ich sie um einen Kommentar zu den Risiken und Nebenwirkungen eines Latte Macchiatos bitten. Als Zweites möchte ich wissen, ob die Verkehrstüchtigkeit eingeschränkt wird, wenn Knoblauch durchschlägt.

Mit dem Teelöffel befreite Max den Kaffee von der süßen Sahne, die er sich genüsslich munden ließ. Bei dieser Aktion machte er sich weitere Gedanken. Führt eine Überdosis Kartoffelchips zu Sesselpupserei? Ist Liebe eine Droge und fällt sie unters Betäubungsgesetz? Fragen über Fragen, dachte Max, dabei weiß ich noch nicht einmal ihren Namen. Mal gucken, ob der Arbeitgeber Infos über ihre Person ins Netz gestellt hat.

Das Internet ist eine feine Sache. Dank Facebook und Youtube kann man heute der ganzen Welt zeigen, was für ein toller Mensch man doch ist und was man alles drauf hat. Max besaß eine reife und stabile Persönlichkeit, sein Selbstwertgefühl war bestens. Deswegen brauchte er niemanden etwas zu beweisen und war nicht süchtig nach Likes. Er lief keinen Leuten hinterher und der Zirkus um die Selbstdarstellung im Netz interessierte ihn wenig. Max nahm sein Handy zur Hand. Das wirklich Interessante am Internet ist, es steckt voller Informationen. Der Haken an dieser Sache ist nur: Entsprechen sie der Wahrheit oder nicht?

Sonne, Mond und Sterne, ihr treuen Lichter aus der Ferne, dichtete Max spontan. Sonnen-Apotheken gibt es wie Seesterne im Meer, aber was ist mit Mond-Apotheken? Gibt es tatsächlich eine Mond-Apotheke? Max juckte es in den Fingern und überprüfte dies zuerst. Bingo, und zwar in Cottbus. Sieht es in der Lausitz so aus wie auf dem Mond? Lebt man dort nach dem Mauerfall noch wie hinterm Mond? Fährt man dort noch stinkende Trabis und hört Radio Eriwan aus Röhrenradios? Max wusste es nicht, er hatte seinen Fuß noch nie auf diesen Fleck Deutschlands gesetzt.

Problemlos fand Max dann die Homepage der Sonnen-Apotheke seiner Stadt. Frau Olga Dimitrova, die Chefin, hatte hier die Namen ihrer kompletten Mannschaft veröffentlicht und von jedem Mitarbeiter ein freundliches Bild gepostet. Und da war sie auch schon! Katja Katzig, Apothekerin, Offizin. Offizin? Max hatte dieses Wort noch nie gehört, es klang für ihn irgendwie militärisch. Eine Novizin sagte ihm etwas, aber verflixt: Was war eine Offizin? Er wird es später recherchieren. Die restlichen Frauen aus dem Team kannte Max zum größten Teil und die meisten waren ihm nicht unattraktiv. Nur das Foto der bereits in die Jahre gekommenen Chefin selbst beeinträchtigte den positiven Gesamteindruck des Teams. Als Antwort auf die Aufstockung der NATO-Bodentruppen in der Bundesrepublik zur Zeit des Kalten Krieges diente Olga wohl dem Ostblock optisch als Waffe zur Abschreckung. Gut anzunehmen, dass sie sich deswegen bei der Bedienung der Kunden zurückhält und unauffällig im Hintergrund agiert.

Aber Boss Olga ist clever, musste Max zugeben, und weiß, dass hübsche Damen Männer anziehen. Vielleicht sollte ich mich mal als Türsteher vorstellen und ihr zeigen, wie man mit markanten Sprüchen Kunden in den Laden lotsen kann. Auf St. Pauli scheint das ja zu funktionieren. Er fing an, schelmisch zu grinsen.

Max war ein einfacher Typ, der mit komplizierten Sachen nichts anfangen konnte, deshalb hatte er auch keine höhere Schulbildung. Seit knapp zehn Jahren war er als Kurierfahrer bei einem Unternehmen in der Großstadt tätig. Die Bezahlung ging so, es war jedoch nur ein Halbtagsjob. Weil Max aber ein bescheidener Typ war, der nicht alles haben musste, kam er mit seinem Lohn gut über die Runden. Er war froh, überhaupt einen Job zu haben, der ihm liegt. Für komplizierte Arbeiten, wie die eines Apothekers, dafür war er nicht geboren. Genauso wenig wie für handfeste, körperliche Schufterei. Max zog seinen Hut vor Menschen, die hart und schwer arbeiten konnten. Arbeit bedeutete für ihn, etwas für andere zu tun.

Sein koffeinhaltiges Heißgetränk schmeckte lecker. Es waren die kleinen Dinge im Leben, an denen Max eine Freude hatte, wie Kaffee in allen erdenklichen Variationen, am liebsten italienische Spezialitäten. Pizza, Pasta und Pistazieneis vom Italiener schätzte er ebenso wie ein spannendes Fußballspiel, am liebsten eines mit ’nem Sieg über die Italiener.

Max fantasierte weiter. Frau Olgas Plan ginge jedoch voll in die Hose und es käme ihr teuer zu stehen, wenn die Kunden anfangen würden, ihre Mitarbeiterinnen zu schwängern. Aber eine Apothekerin kennt sich bestens aus mit den Gefahren des ungeschützten Verkehrs, und wie man diese vermeiden kann – sollte man annehmen. Doch Erinnerungen an Berichte über kettenrauchende Hausärzte, tablettensüchtige Drogenberater und schokoladenverrückte Diätassistentinnen machten Max stutzig. Falls die Belegschaft anfängt, sich durch Schwangerschaften zu reduzieren, sollte die Chefin das nächste Mal bevorzugt Novizinnen einstellen. Eine Novizin braucht keine Verhütung, sie widersteht der Versuchung – sollte man annehmen.

Der ältere Herr verließ die Bäckerei, ohne sich von Max zu verabschieden. Das hatte Max auch nicht erwartet. Wer einen Gruß nicht höflich erwidert, braucht sich nicht zu beschweren, wenn ihn bald keiner mehr anguckt und grüßt.

So ist das in den heutigen Zeiten. Viele machen, wie sie lustig sind, und ignorieren Gesetze und Vorschriften. Sie steuern auf eigene Faust ziellos übers Meer des Lebens. Für den Profit und für besondere Kicks werden Moral und Ethik über Bord geworfen. Die Feinheiten des zwischenmenschlichen Umgangs, wie ein Hallo, ein Tschüss, ein Danke- oder Bitteschön, die zeigen, dass Menschen wahrgenommen und respektiert werden, bleiben auf der Strecke. Heutzutage ist bei vielen die Wahrnehmung sowieso stark eingeschränkt, weil pausenlos auf das Display des Handys gestarrt wird. Mit schlechtem Benehmen herabwürdigen sich Menschen aufs unterste Niveau. Die Unhöflichkeit anderen gegenüber fällt eines Tages auf den Verursacher zurück und das Lächeln, das ein Mensch aussendet, kehrt zu ihm zurück. Davon war Max überzeugt.

 

Mit einem Auge beobachtete er, wie draußen der Glatzkopf nervös hin und herging und eine Taube verscheuchte. Dann steckte er sich eine Kippe an. Eine von Maxes besten Entscheidungen war, vor fünf Jahren mit dem Rauchen aufzuhören. Max beste war, an Gott zu glauben. Jeder kann an Gott glauben, da braucht man keiner Religionsgemeinschaft angehören. Und man braucht nicht nach Santiago de Compestela zu pilgern, damit einem die Sünden vergeben werden, das ist sowieso ein ganz großer Irrtum. Allein durch den Glauben an Jesus Christus werden dem Menschen die Sünden vergeben.

Plötzlich war da eine Dame um die Vierzig in einem kurzärmligen T-Shirt, die auf den Knurrer zukam. Was war das? Besitzt sie am rechten Oberarm ein kleines Tattoo, einen Ausschlag oder ist das einfach nur Dreck? Max konnte es aus der Entfernung nicht genau erkennen, aber er tippte auf ein Tattoo. Wahrscheinlich hat sie an versteckten Stellen noch Piercings zu bieten. Um den Bauchnabel moderner Mädels zu liebkosen, muss der Mann handwerkliches Geschick beweisen und zuerst die Flex aus dem Keller holen.

Mit einem Kuss auf den Mund begrüßten sich die beiden. Wer war das Weib? Seine Ehegattin, seine offizielle Freundin, seine heimliche Geliebte? Egal! Aber Max rätselte, warum Frauen auf mürrisch und übel gelaunte Macker standen. Er vermied, so gut es ging, den Umgang mit negativ eingestellten Menschen. Leichte Symptome von Miesepeter traten bei Max höchstens frühmorgens vor der dritten Tasse Bohnenkaffee auf.

Händchen haltend verschwand das Paar aus Maxes Blickfeld. Die auf den Boden geschnippte Zigarette nicht, sie verursachte noch einige geheimnisvolle Rauchzeichen. Die Hand einer Frau würde Max auch mal wieder gerne halten. Max trennte sich von Lucy vor zwei Jahren. Mit ihr war er fünfzehn Monate zusammen. „Hab dich lieb, mach keine dummen Sachen“ waren ihre letzten Worte, bevor er sie mit einem anderen im Arm erwischte. Einen Sechser im Lotto hielt Max für wahrscheinlicher, als das Spiel einer Frau zu durchschauen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen waren für Max das A und O einer Beziehung, aber da wurde er schwer enttäuscht.

Die Freundschaft brach auseinander. Nach dieser bitteren und schmerzhaften Erfahrung mit seiner letzten Freundin nahm Max sich vor, nie eine engere Beziehung mit einer Frau anzufangen, die noch in festen Händen war. Er wollte nicht der Grund werden für den endgültigen Bruch einer Partnerschaft. Er wollte nichts zerstören und niemanden wehtun. Durch die Trennung schlitterte Max in eine Krise. Die Fragen „Wer bin ich?“ und „Was ist der Sinn des Lebens?“ beschäftigten ihn stark. Also machte Max sich auf die Suche, diese offenen Fragen zu lösen.

Vor der Verkaufstheke hatte sich mittlerweile eine kleine Schlange aus drei Personen gebildet. Warum ausgerechnet eine Schlange bei Apothekern mit Heilung in Verbindung steht, hatte Max vor Wikipedia nicht gewusst. In der Bibel sorgt die kluge und rhetorisch geschickte Schlange gleich am Anfang für einen Haufen Ärger. Beim Discounter hingegen taucht sie zum Leidwesen aller Kunden immer am Ende auf, wenn’s ums Bezahlen geht. In der Ehe gibt sich die Schlange dem Gatten erst nach dem sechsten Jahr zu erkennen. Und bei der Scheidung kennt die Schlange beim Manne absolut keine Gnade, wenn’s ums Bezahlen geht.

Die Literatur ist voll mit autobiografischen Geschichten von Menschen, die einmal um die Welt reisen mussten, um herauszufinden, wer sie sind. Die Suche nach sich selbst endete bei Max bereits in seinem Badezimmer, wo er sich vor den Spiegel stellte und ohne sich zu belügen, Fragen über seine Person beantwortete, die er zuvor gesammelt und auf einem Blatt Papier notiert hatte. Warum auch in ferne Länder reisen, Deutschland ist so schön. Gläubige mit einer fragwürdigen Auslegung von religiösen Schriften machen heutzutage die Reise in ein Urlaubsland mehr und mehr zum riskanten Abenteuer als zum erholsamen Vergnügen.

Wer in fremde Länder reist, um Einheimischen näher zukommen und um ihre Kultur kennenzulernen, der braucht in diesen Tagen nur beim richtigen Nachbarn zu klingeln und ihn zu einem Plauderstündchen bei einer Tasse Tee oder Kaffee einladen. So erfährt man genügend über ein anderes Volk mit ihren Sitten und Gebräuchen und spart obendrein die Kohle für die Flugreise. Bei der Suche nach der Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens besorgte Max sich in einer Buchhandlung das Buch der Bücher, und es war keinesfalls ein Band aus der Harry-Potter-Reihe.

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