Das geliehene Glück des Samuel Goldman

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„Du lieber Gott, “ brachte der Kunde hervor, „Sie sind ja drauf …!“




Conners war in seinem Element. „Ach, papperlapapp! Wie soll ich schon drauf sein. Ich sehe das alles nur realistischer als Sie. Und ist doch wahr: Soll ich mir ewig und immer die Mühe machen, mein bescheuertes Schicksal zu betrachten? Um dabei feststellen zu müssen, dass es um mich herum Millionen Typen gibt, die mit dem goldenen Löffel im Arsch geboren wurden, selbst aber nur ein Hirn in Größe einer Kichererbse haben. Und dann gucken solche sogar auch noch auf mich herab, während sie mit ihren dicken Karren vor der Uni angeben und sich von den Cheerleaderinnen den Schwanz blasen lassen. Bin ich was Schlechteres als die? Nur weil mir diese Gnade der privilegierten Geburt nicht gegönnt war? Haben die das Recht, mich deshalb auszulachen? Ich sag Ihnen mal was: Das Schicksal kann mich mal. Wenn es Lieblinge und Profiteure zulässt, gleichfalls aber auch arme Säue wie mich, die nie die Chance hatten, aus dem Dreck heraus zu kommen, dann ist das Schicksal, und jeder, der da im Nirwana so herumwerkeln sollte, eine riesengroße Pissnelke.“ Conners fand, dass alles gesagt wurde. „Der Bildschirm funktioniert. Ich bekomme jetzt fünfundzwanzig Dollar.“




Der Mann war mit dem Bildschirm zufrieden. Da hatte er Glück gehabt, denn ein neuer wäre wesentlich teurer gewesen. Und er beschloss, sich mit der soeben erzielten Einsparung ein paar Lose von SevenDollies zu kaufen. Das schien ihm die richtige Entscheidung zu sein, denn er wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Da war schon ganz bestimmt irgendwas zwischen Himmel und Erde, dass das Glück verteilt. Und dieser Goldman hatte einen überaus großen, ungewöhnlich bemerkenswerten Anteil dabei abbekommen. Das wollte er als günstiges Omen auffassen, und so ging er dann auch gleich zum Tabakladen um die Ecke, wo es diese Lose sicher geben gab.




Steve Conners ging, leicht kopfüber gebeugt, mit hastigen Schritten zurück zu seinem Appartement. Sonst zählte er stets die Schritte, die er machte. Das war ein Teil eines noch in der Entwicklung befindlichen Algorithmus, den er für Wahrscheinlichkeitsanalysen und Übereinstimmungsprognosen programmierte. Aber an diesem Tage kam er nicht zum Zählen. Er stand noch erheblich unter dem Eindruck des gerade geführten Gespräches und die Gedankenfetzen flogen förmlich durch sein Gehirn. Die geführte Unterredung hatte ihn zudem erschöpft, und er fühlte sich müde und matt. Doch sein Kopf arbeitete unentwegt, und Conners wurde auf sich selbst ärgerlich, weil es ihm nicht gelingen wollte, sich zu beruhigen und seine Zählung zu absolvieren. Schließlich wusste er, wie wichtig jede Zahl für seine Arbeit war und er es mit dem Auslassen auf diesem Weg nach Hause riskieren würde, eine vielleicht entscheidende Lücke in seiner Zahlenreihe zu reißen.




Er nahm sich vor, sich zunächst einmal erst hinzulegen und sich auszuruhen. Er hatte ja schon Schweiß auf der Stirn und seine Baseballmütze war am Kopfansatz bereits ganz feucht geworden. Sobald er wieder zu Kräften gelangt sei, würde er sich noch einmal auf den Weg zum Kunden machen, und auf dem Rückweg das Versäumte nachholen. Vom Hinweg hatte er die Anzahl notiert, auch die Treppenstufen hoch zur Wohnung seines Kunden. Es kam also auf den Rückweg an, den er möglichst exakt mit der gleichen Strecke nehmen musste.




Nachdem er sich auf sein Sofa gelegt hatte, fiel Conners in einen kurzen, unruhigen Halbschlaf. Er sah Bilder von NCCB, sah Goldman strahlen, wie alle lachten und Millionengewinne versprachen. Lachten sie über ihn? Gehörten auch sie zu denen, die auf ihn herabblickten und sich über ihn lustig machten? Diese feisten Geldsäcke, mit der schönen Frau an der Seite, die es mit ihnen wahrscheinlich zu jederzeit auf dem Klo treibt …




Er erwachte, immer noch schwitzend, und setzte sich an seinen Computer. Er hatte bereits wieder vergessen, dass er eigentlich jetzt seine Schritte zählen wollte.









































Kapitel 9



Sam hatte das Bedürfnis, seine Eltern zu sehen. Die Geschehnisse um ihn, die vielen Neuigkeiten in seinem Leben, sollten sie von ihm erfahren. Sie hatten sicher selbst schon im Fernsehen mitverfolgen können, das um ihren Sohn herum die Welt auf dem Kopf stand. Es war Zeit, dass er seinen Eltern das selbst erklären konnte. Er sprach mit Mary darüber, denn er hatte Bedenken, dass ein Besuch von ihm in seinem Elternhaus zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu viele Schwierigkeiten einbringen würde. Das sah sie ebenso, und machte den Vorschlag, dass sie es organisieren könne, seine Eltern ganz einfach zu ihnen nach Lake Robinson zu holen, man würde die möglichen Verfolger sicher abschütteln können. Mit dem Verwirrspiel hatten sie ja ausreichend Erfahrungen gesammelt.




Und noch vor dem Sonnenuntergang fuhr McDorman langsam in einem geliehenen Wagen vor, im Fonds saßen Ester und Jakob Goldman, die schon ganz nervös vor Freude waren, und es kaum abwarten konnten, das der Wagen endlich zum Stehen kam.




Sam und seine Eltern fielen sich in die Arme und hielten, eng verschlungen, in dieser Position inne. Mary stand auf der Terrasse, und McDorman, jetzt noch ein wenig unsicherer als eh und je, hielt wenige Schritte Abstand zu ihr, und vermied es, den Goldmans bei ihrem Wiedersehen zuzuschauen.




Mary murmelte leise in Richtung von Peter: „Sicher, dass Dir niemand gefolgt ist?“




„Absolut sicher.“ murmelte er zurück, etwas zu stark durch die Zähne gesprochen.




„Dir bringt das Ganze ganz offensichtlich eine Menge Spaß.“ Und sie schaute verschmitzt auf ihren Assistenten. „Das ist gut so, denn dann wirst Du ja Freude haben, die beiden auch wieder zurück zu bringen.“




Damit war das geklärt. Mary ging die drei Stufen von der Terrasse herunter und kam bei den Goldmans zum Stehen. Sie lächelte Sams Eltern an und stellte sich vor. „Hallo und herzlich willkommen am Lake Robinson, in meinem kleinen Haus am See. Ich bin Mary Thompson – für Sie bitte Mary.“ Und sie streckte ihre Hand zur Begrüßung aus.




Sam tat einen Schritt zur Seite, um Platz für Mary zu machen. Sie war in diesem Moment noch viel entzückender, als er sie sonst schon empfand und ihr Strahlen, ihre Leichtigkeit und Anmut, das spontane Zugehen auf seine Eltern und ihre unübersehbare Schönheit machten ihn in diesem Moment fast glücklich. Ester Goldman war Sams Reaktion nicht entgangen. Mit dem geschulten Blick einer erfahrenen Mutter schaute sie kurz zwischen ihrem Sam und Mary hin und her, und was sie sah, machte ihr große Freude.




Die kleine Gesellschaft setzte sich auf die Terrasse, die Mary in Windeseile, dennoch mit großer Geschicklichkeit und Hingabe, rechtzeitig vorbereitet hatte. Ein gedeckter Tisch mit Gläsern, Salzgebäck, etwas Käse und Oliven. Jakob Goldman und Sam entschieden sich für einen Whiskey, während Ester und Mary ein Glas Rotwein bevorzugten. McDorman durfte seine Geschicklichkeit als Kellner unter Beweis stellen, wobei er sich dermaßen schusselig und ungeschickt anstellte, dass sich alle das Grinsen nicht verkneifen konnten. Er nahm das aber gelassen und setzte sich, nach erledigten Diensten, mit einem kurzen, aber wohltuendem Abstand dazu. Er war Randfigur und das sollte auch so bleiben.




Sam erzählte seinen Eltern alles so, wie er es sich vorgenommen hatte. Er war dabei besonders amüsant und, wer ihn gut kannte, hätte bemerken können, dass er sich besondere Mühe gab, charmant und eloquent zu sein – eben ein guter Unterhalter. Mary hielt sich bescheiden zurück und übernahm nur hier und dort die Rede, wo es passte und sie der Meinung war, dass Sam vielleicht das eine oder vergessen oder nicht ausführlich genug geschildert hatte. Es musste jedem auffallen, dass die beiden sich ideal ergänzten, sich harmonisch unterstützten und das Lächeln, welches unter ihnen und mit zunehmender Zeit auf der Terrasse immer häufiger ausgetauscht wurde, hätte nicht vielsagender sein können. Ester Goldman entging natürlich aus das nicht, und sie konnte sich nicht, gleichermaßen mit Erstaunen und wirklicher Freude, daran erinnern, ihren Sam schon einmal so strahlend gesehen zu haben.




McDorman fiel aber etwas anderes auf. Die Distanz der Stühle zwischen Mary Thompson und Sam Goldman war nicht nur anfänglich schon auffallend gering gehalten. Er konnte feststellen, dass sich dieser mit zunehmender Zeit auf gerade noch zwei Finger breit zusätzlich verringerte hatte. Es kam zudem ab und zu vor, dass die beiden, während sie lebhaft erzählten, sich mit den Schultern oder Armen kurz berührten. Und einmal sogar, da war sich McDorman absolut sicher, verharrten die zwei in ihrer Berührung, und sie taten so, als bemerkten sie selbst rein gar nichts – und falls doch, so ließen sie es ganz einfach geschehen. Der junge Mann war nicht der einzige, dem das aufgefallen war. Auch Mrs. Goldman hatte das schon registriert. Und ihre Augen hatten zu strahlen begonnen.




*




Nachdem McDorman sich mit den Goldmans wieder auf den Rückweg begeben hatte, blieben Mary und Sam noch eine Weile auf der Terrasse sitzen und ließen den Abend ausklingen. Die Nacht begann anzubrechen und über dem See lag milde und sanfte Abendluft.




„Sie haben eine aufmerksame Mutter, Sam.“ sagte Mary nachdenklich. „ Sie muss Sie wirklich sehr lieben. Und Ihr Vater steht dem in keiner Weise nach.“




Sam wusste das und nickte zustimmend. „Das ist wohl so.“ antwortete er ruhig. „Ich bin eben der einzige Sohn. Und bereits bei meiner Geburt hatten beide große Angst, dass ich es überhaupt lebend schaffen würde. Ich denke, das prägt besonders. Sie haben bis heute Angst, dass mit etwas passieren würde.“

 




Mary fragte nach: „Was war den geschehen?“




Sam schüttelte den Kopf. „So genau kann ich das gar nicht sagen. Sie erzählen nicht gerne darüber. Ich weiß nur so viel, dass ich noch im Kreißsaal wiederbelebt werden musste. Es war, wie sie mal gesagt haben, eine komplizierte Geburt und wäre fast schief gegangen.“ Sam machte eine kurze Pause, dann schloss er ab: „Das wird dann wohl auch der Grund dafür sein, dass meine Mutter hiernach kein weiteres Kind mehr bekommen konnte. Somit bin ich etwas, was sie sehr behütet haben, und das hält eben bis heute an.“




„Da ist ja wohl auch mehr als verständlich.“ Mary merkte, dass Sam nicht weiter über dieses Thema erzählen wollte und zog es vor, einen kurzen Moment schweigend neben ihm zu sitzen. Beide schauten in die nächtliche Umgebung, dorthin, wo der See ruhte und das fahle Mondlicht einen hellen Kegel die Dunkelheit besiegte.




Sam versank in seinen Gedanken in der Vergangenheit, in seine Kindheit und erinnerte sich an die Erzählungen seiner Eltern aus ihrem Leben lange vor seiner Geburt. Und er erzählte Mary in dieser Nacht noch viel. Sein Vater, Jakob Goldman, war im April 1945, als die amerikanischen Truppen das Konzentrationslager Buchenwald befreit hatten, gerade fünf Jahre alt. Ihm war das Glück gegeben überlebt zu haben, denn Jakobs Eltern waren beide kurz zuvor in die Gaskammer gegangen. Das Schicksal von Jakobs jüngerer kleiner Schwester, Hannah, die bei der KZ-Internierung von der Familie getrennt wurde, blieb für immer ungelöst. Er aber, und einige wenige andere Kinder, wurden von Insassen versteckt und entgingen so durch Glück und den Mut einiger Menschen dem sicheren Tod.




Jakob trug zu dieser Zeit noch den Nachnamen Feigenbaum, so, wie eben seine Eltern hießen. Er kam übergangsweise in ein von den Befreiern provisorisch eingerichtetes Kindeheim, zusammen mit einigen anderen Kindern, die Buchenwald überlebt hatten oder von den Soldaten andernorts aufgegriffen wurden. Einer der Offiziere, der als einer der Ersten das Grauen in Buchenwald gesehen hatte, entschied sich, den kleinen Jakob Feigenbaum mit nach Amerika mitzunehmen und großzuziehen. Dieser Offizier, sein Name war Gabriel Goldman, im zivilen Leben Lehrer an einer High-School in Greenville, war verheiratet, die Ehe aber leider kinderlos. Sie adoptierten Jakob, und aus Jakob Feigenbaum wurde Jakob Goldman.




Sie zogen ihn in tiefer Liebe groß und behandelten ihn wie ihr leibliches Kind. Als Jakob fünfundzwanzig Jahre alt war, starben seine Adoptiveltern bei einem Autounfall. Kurze Zeit später lernte Jakob seine Ester kennen und nach einiger Zeit heirateten sie. Sie lebten seitdem gemeinsam in dem Haus von Jakobs Adoptiveltern in Greenville.




Ester Goldman, ihr Mädchenname war Stern, wurde in Simpsonville, einem kleineren Ort südöstlich von Greenville, geboren und wuchs dort, ebenfalls als einziges Kind ihrer Eltern, auf. Die Sterns waren eng mit dem jüdischen Glauben verbunden, im Gegenteil zu Jakobs Adoptiveltern, die vor allem auf Grund der Erlebnisse des Vaters in Deutschland, dem Krieg und der Begegnung mit dem Holocaust den Glauben verloren hatten, und fortan nahezu atheistisch lebten.




So wuchs Sam auch ohne jüdische Glaubensprägung auf und hatte selbst nie den Bezug zu Gott entwickelt. Hierüber aber machte er sich auch keine Gedanken. Ihm waren das Universum und das ganze Große, die Evolution und die Wissenschaft zu mächtig, als dass er zu einem Glauben geraten konnte. Für ihn gab es demnach keine Fügung oder ein vorbestimmtes Schicksal. Sam war Realist und besaß somit auch keinen Sinn für irgendeinen Glauben. Er kannte Baptisten, derer es in Greenville ja viele gab, Mormonen und die Jehovas Zeugen, er hatte Mitschüler und Spielkameraden, die katholisch oder protestantisch waren, auch Muslime und Buddhisten waren unter ihnen. Andere gehörten freien Kirchen an oder waren, ebenso wie er, glaubenslos, atheistisch.




Was zwischen Himmel und Erde passieren würde, war seiner Meinung nach von Physikforschern zu klären. Die Entwicklung des Menschen, davon war Sam vollkommen überzeugt, war spätestens durch Darwin, und ganz gewiss durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, erklärt. Sam aber war in seiner Meinung nicht etwa dogmatisch, ebenso wenig herablassen den anderen gegenüber, die ihren Glauben hatten, wen sie auch immer anbeten würden. Er hatte seine Auffassung, die eben die ihre.




„Glaubst Du an einen Gott?“ Sam überraschte Mary mit dieser Frage ein wenig und sie antwortete nach kurzem Überlegen.




„Nicht wirklich.“ sagte sie leicht zögerlich. „Es fällt mir schwer, mich damit so auseinander zu setzen, wie es zum Beispiel meine Eltern tun. Sie sind Katholiken, und sie glauben fest an die Dreifaltigkeit. Je älter sie werden, umso stärker scheint mir ihr Glaube zu wachsen. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass sie begonnen haben, ihre Tage auf dieser Erde zu zählen, und sich an etwas festhalten wollen, was ihnen sagt, nicht irgendwann einfach verschwunden zu sein. Dass es da noch etwas gibt, eine höhere Instanz und eine Chance der weiteren Existenz ihrer Seele und ihres Seins. Ich aber kann das nicht. Gleichfalls aber bin ich mir auch nicht sicher, ob ich damit nicht falsch liege, es doch etwas Göttliches und Lenkendes gibt, wir Menschen es uns mit unseren weltlichen Kenntnissen einfach nur nicht erklären können. Und dann ist da so viel Widersprüchliches und Unlogisches. So soll uns Gott lieben, sieht aber zu, wie die schlimmsten Dinge geschehen, größtes Leid herrscht, Tod, Vernichtung, Attentate und fürchterliche Gräueltaten. Und dieser Gott bleibt untätig? Akzeptiert, dass es den Menschen somit mehr und mehr an einem Beweis mangelt, an ihn zu glauben, ihm zu folgen. Er müsste sich einmal zeigen, hätte nach Buchenwald und Ausschwitz, nach Hiroshima und Nagasaki, nach 9/11 vom Himmel herabsteigen, sich zeigen und uns zurechtweisen müssen. Den Menschen, die in seinem Namen morden, müsste er doch Einhalt gebieten. Er wird verleumdet, ohne Gegenwehr? Ohne Richtigstellung, ohne Mahnung? Das ist nicht logisch. Und wenn das damit erklärt wird, dass eben genau darin die Prüfung für uns Menschen besteht, auch ohne seine Zeichengebung zu glauben, zweifle ich noch mehr. Mir erscheint das nur als Ausrede, als Umgehung, dass es den Glauben selbst erst in seinem Sinn ausmacht, wenn dieser gegen die Logik und jeden Beweis erhalten bleibt. Das ist für mich nur der verzweifelte Versuch von Predigern und Pfarrern, sich der schlagenden Beweise zu erwehren, die ehrlicherweise ansonsten ihr Sein ad absurdum stellen würden.“




„Liebe Mary, die Hölle ist Ihnen damit sicher.“ Sam war über ihren Ausbruch amüsiert. „Aber mit zwei kleinen Hörnern auf der Stirn und einem Teufelsschwänzchen werden Sie ein noch hübscheres Bild abgeben, als schon auf Erden.“




Auch Mary musste jetzt lachen. „Und bei dem Glück, das Sie haben, mit Ihren Beziehungen da oben,“ sie wies mit ihrem Zeigefinder in den Himmel, „wird man Ihnen große, goldene Flügel anmontieren, Sie werden auf diesen in die Hölle hinunter schweben und mich erretten.“ Mit einer theatralischen Geste, wie in einem Stummfilmdrama, versuchte Mary diese Szene vorzuspielen.




„Selbstverständlich. Natürlich mit einem Zwischenstopp unbekannter Dauer im Fegefeuer. Das werde auch ich Ihnen nicht ersparen können.“ ergänzte er. „Aber, versprochen! Ich werde geflogen kommen.“




Es wär längst Mitternacht durch und bei den beiden schlich sich die Müdigkeit ein. Sie beschlossen, den schönen Abend zu beenden, verabschiedeten sich und dann gingen Mary und Sam, die eine nach links, der andere nach rechts, in ihre Zimmer.




Mary lag noch einige Zeit wach in ihrem Bett und dachte über diesen Abend nach. Dieser hielt etwas Besonderes inne, ihr Herz klopfte und kurz bevor sie einschlief gingen ihr noch zwei Gedanken durch den Kopf: Da war zum einen die Erzählung von Sams Geburt und dass Mrs. Goldman erzählte, Sam war dem Tod nur um Haaresbreite entgangen. Irgendwie schien das ja zu seinem vielen Glück zu passen, irgendwie war das aber auch seltsam. Und dann war da noch der zweite Gedanke. Ganz kurz, bevor sie in den Schlaf fiel, erwischte Mary sich dabei, sich gerade gewünscht zu haben, dass Sam zu ihr käme.




*




Das ganze Produktionsteam war unterwegs nach Oklahoma-City. Die Vorbereitungen für die erste Ziehung des Wochengewinns seit Sams Engagement lief auf Hochtouren. Die Ankündigungen auf NCCB, die Werbemaßnahmen und die Trailer, die der Sender für SevenDollies produziert hatte, versprachen einen sprunghaft angestiegenen Zulauf an Teilnehmern, und alle warteten gespannt auf die endgültigen Zahlen, ob ein neuer Rekord gebrochen werden konnte und wieviel Spielumsatz mit der neuen Hauptfigur Sam Goldman erreicht wurde. Bis zum großen Ereignis waren es jetzt nur noch ein paar Tage. Das Team machte sich schon einmal auf den Weg.




Obwohl die Strecke weit war und sie in jedem Fall den ganzen Tag benötigen würden, hatte sich das Team entschieden, mit dem Übertragungswagen zu fahren. Mary und Sam fuhren in einer Limousine voraus. In Chattanooga, kurz vor Huntsville machten sie alle nach schon längerer Strecke eine Pause. Sie beschlossen, ein kleines Restaurant und Motel zu besuchen, das idyllisch an einem Seitenarm des Tennessees lag und es hieß, dass es dort besonders leckere Flusskrebse geben würde. Und als sie über die alte und schon knarrende Holzbrücke nach einigen weiteren hundert Metern ihr Ziel erreichten, waren sie von dem sich ihnen darbietenden Anblick überwältigt, denn das Restaurant lag tatsächlich an einer Stelle, die Mark Twain nicht hätte besser wählen können, um Tom Sawyer und Huckleberry Finn ihre Angeln auswerfen und ihre Beine sodann im Wasser baumeln zu lassen.




Sie setzten sich nach draußen, wo sie zwei Tische zusammengeschoben hatten und bestellten Flusskrebse, dazu ein wenig Wein. Ihre Zeit war leider zu knapp, um länger an diesem Ort zu verweilen, und sie mussten sich aufraffen, denn der Weg, den sie vor sich hatten, war noch weit und es würde ohnehin wohl späterer Abend werden, bis sie ihr Ziel erreicht haben würden. So zahlten sie schnell wieder, genossen noch einmal die wunderschöne Atmosphäre, und gingen zu ihren Fahrzeugen. Sam war hatte sich gerade an das Lenkrad ihres Wagen gesetzt. Mary stand für einen Moment noch neben diesem und sprach noch kurz mit ihrem Team. Die Jungs sollten doch auch wieder auf dieser Etappe mit dem Übertragungswagen hinter Sam und ihr bleiben.




Da gab es einen heftigen Knall, einen lauten Stoß, sein Wagen machte einen Satz nach vorn und Sam wurde in seinem Auto kräftig vor und zurück geschüttelt. Mary schrie kurz auf, dann hielt sie sich entsetzt die Hände vor ihr Gesicht. Doch schnell begriff sie, dass nichts Gefährliches passiert sei, und der Schrecken wohl größer gewesen war, als der Schaden. Ein anderer Wagen, ein schwerer Ford Explorer, wollte auf dem engen Parkplatz wenden und in Richtung der Holzbrücke fahren. Ob der Fahrer ein wenig zu viel Weißwein zu seinen Flusskrebsen hatte, oder er vielleicht nur übermütig, einfach zu schwungvoll kehren wollte – er fuhr jedenfalls viel zu rasant und so kam es zu diesem dummen Missgeschick. Allen war der Schrecken in die Knochen gefahren.




Sam verharrte zunächst einige Sekunden, dann öffnete er die Fahrertüre und stieg aus. Er rechnete natürlich damit, dass der Fahrer des Explorers Gleiches tat, und sie sich beide über den Unfall und verständigen und die Versicherungsnummern austauschen würden. Sam, Mary und der Rest der Crew waren deshalb mehr als erstaunt, als der Explorer mit laut heulendem Motor nach hinten setzte, der Fahrer den Wahlhebel auf Vorwärts legte und sofort mit Vollgas abfuhr. Alle schauten ungläubig hinterher. Das war Fahrerflucht. Sam sprang in seinen Wagen, startete den Motor und wollte dem Flüchtenden hinterher. Doch der Explorer hatte ihr Fahrzeug in den lockeren Sand am Rande des Parkplatzes katapultiert, und als Sam den Gang einlegte und Gas gab, drehten seine Antriebsräder durch und gruben sich tief in den Sand ein. Sam drehte den Zündschlüssel wieder um und stieg aus dem Auto. Sie sahen noch, wie der Explorer die alte Holzbrücke erreichte, langsamer wurde, und dann die ersten Meter der Brücke in Richtung der Hauptstraße befuhr.




Doch plötzlich, es schien sich wie in Zeitlupe abzuspielen, neigte sich die Holzkonstruktion leicht nach rechts, und es sah fast aus, als würde sich die Brücke auf der Längsachse verwinden. Ein Knarren und Knirschen mischte sich bei. Die Neigung nach rechts wurde stärker. Der Explorer hatte ungefähr die Mitte erreicht und stoppte dann seine Fahrt. Sam dachte, der Fahrer würde vielleicht besser aussteigen und sich irgendwie, vielleicht mit einem Sprung in den Fluss, zu retten versuchen. Doch offensichtlich hatte diesen die Panik ergriffen. Er fuhr einige Meter rückwärts, besann sich, fuhr wieder vorwärts und dann versagte auch noch sein Motor, der Fahrer hatte diesen mit seinen Manövern abgewürgt. Immer noch blieb der Mann im Fahrzeug sitzen, während sich mit einem weiteren Ruck die Brücke noch bedrohlicher nach rechts neigte. Die Schräglage war jetzt schon so fortgeschritten, dass der Explorer ebenfalls nach rechts kippte und dann, zusammen mit der ganzen Brücke, rechts wegsackte und mit einem donnernden Aufprall in den Fluss krachte, während die gebrochene Brücke in großen Teile folgte. Der Explorer, samt seinem Insassen, wurde unter all den Teilen begraben und auf den Grund gedrückt.

 




Das ganze Ereignis des Zusammenbruchs vollzog sich in weniger als zwei Minuten. Für den Fahrer wäre es wohl so oder so ohne Chance gewesen, dem Unglück zu entgehen. Bereits als er die ersten Meter Brücke hinter sich gelassen hatte, war sein Schicksal wahrscheinlich schon besiegelt.




Sam lief instinktiv in Richtung der Unfallstelle. Er konnte nicht helfen, nichts mehr machen. Doch daran dachte er in diesem Moment nicht. Erst nach etwa hundert Metern wurde er langsamer und blieb schlussendlich wie angewurzelt stehen, schüttelte außer Fassung den Kopf und sagte immer wieder: „Das kann doch nicht wahr sein, Du liebe Güte! Das kann doch nicht …“




Dann ging Sam langsam zu den anderen zurück. Alle standen da, waren fassungslos und fanden zunächst keine Worte. Schweigend schauten sie auf den Unglücksort und als Sam wieder bei Mary ankam, ergriff sie seine Hand und hielt diese mit all ihrer Kraft fest.




So standen sie da und konnten nicht fassen, was sie soeben gesehen hatten. Vor ihren Augen war gerade ein Mensch auf tragische Weise ums Leben gekommen, das war sicher. Die Reste der Brücke, die kläglichen Trümmer, ragten gespenstisch in die Luft und der Staub des zerborstenen Holzes schwebte immer noch über der Unglücksstelle, und hüllte diesen Ort in eine unwirkliche Szene. Und niemand von ihnen konnte sich des aufkeimenden Gedankens erwehren, dass es wohl nur einem Zufall zu verdanken war, nicht selbst zum Opfer geworden zu sein. Denn wenn der Explorer sie nicht angefahren hätte, wäre ihr kleiner Konvoi, in diesem Sam, Mary und die Jungs im Kamerawagen, an dessen Stelle zuerst über die marode Brücke gefahren. Dann wären sicher beide Fahrzeuge, und damit sie alle, in den Fluss gestürzt und von den Brückenteilen erschlagen worden.




Und weil genau das alle dachten, lag ein paralysiertes Schweigen über der Gruppe. Wer würde es wagen, diesen Gedanken fortzusetzen? Wer würde es als Erster sagen, dass sie gerade wahnsinniges Schwein gehabt hatte. Dass sie alle Zeuge wurden, als dieser Sam Goldman, der Mann mit dem sprichwörtlichen Glück, der, der dem Schicksal nun schon so oft ein Schnippchen geschlagen hat, wieder einmal das Glück auf seiner Seite hatte. Ein Glück, das nicht von dieser Welt sein konnte.




Es war Peter McDorman, der das Schweigen brach. „Ich habe alles auf Video.“ sagte er trocken.




Er schien ohnehin nicht ganz so geschockt gewesen zu sein, wie die anderen. Geistesgegenwärtig hatte er, als der Explorer gerade in Sams Wagen gekracht war, sein Smartphone gezückt und begonnen eine Videosequenz mitzuschneiden. Er stand günstig und als der Explorer sich aus dem Staub machte, hielt er weiter drauf. Damit hatte McDorman das ganz Unglück auf der Brücke auch im Kasten, bis zur letzten Sekunde.




Peter war sichtlich stolz auf sich selbst. Da hatte der kleine Assistent allen vorgemacht, was Profis in so einer Situation tun. Und er versäumte nicht, das Produkt seiner Geistesgegenwärtigkeit auch gleich zu vermarkten. Auch er hatte gelernt.




„Wir werden jetzt hier erst einmal festsitzen.“ begann er fast beiläufig. „Die Polizei wird sicher mit uns reden wollen und uns fragen, was wir beobachtet haben.“ konstatierte er und seine Zuhörer mussten ihm Recht geben. Laut überlegte er weiter: „Wir sollten uns in dem Motel die Zimmer für heute reservieren. Weiterfahren werden wir heute ganz bestimmt nicht mehr.“ Nochmals machte er eine kleine Pause. „Und übrigens: Dass ich die Sache auf Video habe … das muss ich der Polizei ja nicht unbedingt erzählen. Wer weiß denn, welche Sender das Material auf diese Weise in die Finger bekommen und sich damit die Quoten aufpolieren.“ McDorman unterbrach sich und blickte sich bei den anderen um. Er wollte sehen, was seine ersten Sätze schon bewirkt haben.

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