Das geliehene Glück des Samuel Goldman

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Mary schaute ihn an. „Und? Was heißt das konkret? "Hast Du mehr….?“

„Stelle ich Dir noch alles zusammen.“ antwortete der junge Mann lässig. „Ein wenig Zeit brauche ich schon noch dafür.“

Mary schaute auf ihre Armbanduhr. „Du hast zwei Stunden.“ Und nach einer kurzen, aber klar verständlichen rhetorischen Pause fragte sie nach: „Ist er verheiratet, hat er Kinder und … na, Du weißt schon, das Übliche?“

McDorman grinste: „Nichts von alledem. Wie ich schon sagte, ein echter Überlebenskünstler.“ Und mit sichtbarem Stolz hielt er Mary einen Zettel hin. „Alle Telefonnummern und so weiter … seine Adresse, die von den Eltern, von seiner Bank – er ist nämlich Banker – und …. Du wirst staunen, seine ganz persönliche und vor allem geheime Mobilnummer, die nicht veröffentlicht werden darf.“

Mary schaute auf und lächelte: „Legal oder muss ich jetzt mit Zuchthaus rechnen?“ ohne jedoch seine Antwort abzuwarten fügte sie an: „Mir auch egal. Du musst ja dort duschen. Her mit der Nummer, mach schon, Du Zecke!“

McDorman wurde rot vor Stolz. „Deine Einfühlsamkeit in Ehren, aber die Nummer habe ich von einem ehemaligen Mitstudenten, der bei dem Mobilfunkanbieter arbeitet. Goldman hat sich diese vor kurzem beschafft. Der will als Banker wohl keine unerwünschten Anrufe unterbezahlter Redaktionsassistenten bekommen.“

„Damit ist spätestens ab heute für ihn Schluss.“ prophezeite Mary spitz. „War´s das bislang?“

„Liebe Jury, das waren die Ergebnisse der ersten dreißig Minuten. In Kürze werden weitere Fakten folgen.“ konterte Peter mit breitem Grinsen.

Mary schaute ihn bohrend an: „Sag mal, Kleiner. Wie alt bist Du eigentlich?“

„Fünfundzwanzig!?“ McDorman wusste nicht so recht, worauf Mary in diesem Moment hinaus wollte.

„Wenn Du noch Sechsundzwanzig werden willst, schiebst Du Deinen Arsch jetzt aus meinem Büro!“ Mary sah ihn weiter an, so als gebe sie ihm genau noch zwei Sekunden, um in Bewegung zu kommen. Er verstand sofort und machte einen Schritt nach hinten. Ein wenig milde fügte sie hinzu: „… fürs Erste schon mal nicht schlecht. Sagen wir: eine Dreiminus. Also besser Dich, sonst fliegst Du!“

McDorman konnte das als größeres Lob auffassen. Denn Mary Thompson lobte nie viel mehr, und eine Dreiminus lag schon in den obersten zehn Prozent auf ihrer Bewertungsskala. Er machte wortlos kehrt und schnellte wieselflink aus Marys Büro. Und sie drehte sich auf ihrem Stuhl zum Fenster, sah über die Innenstadt von Greenville, dem Hauptsitz von NCCB, dem TV-Sender, in dem ihre Karriere so richtig durch die Decke gehen sollte.

Kapitel 3

Das Gebäude, in dem die ´SevenDollies Corporation` saß, ein unübersehbarer Wolkenkratzer im Geschäftszentrum von Oklahoma-City, strahlte in der sommerlichen Sonne und die Fenster spiegelten das Licht weit über den Oklahoma River, hell und gleißend wie eine Wunderkerze. Die obersten fünf Etagen, vom sechsunddreißigsten bis zum vierzigsten Stock, hatten John und Maurice Skinner vor zwei Jahren mit Stolz angemietet, dieses zu einem Zeitpunkt, an dem SevenDollies den Durchbruch am Markt endlich geschafft und die beiden Brüder so zum einem Multimillionengeschäft gelangt waren.

Es war zunächst eine absolut verrückte Idee, vor allem eine aussichtlose, wie damals nahezu jeder, ob Freund oder Berater, den beiden zu erklären versuchte. Ja sie selbst waren nicht wirklich sicher, ob ihre Idee und das Konzept nicht doch nur eine absurde Verirrung in einen unrealistischen Traum war. Sie blieben aber am Ball, arbeiteten hart, überzeugten selbst die größten Skeptiker und fanden schließlich Investoren, die das benötigte Geld in ihr Projekt schossen.

Das Wagnis, ja dessen Verrücktheit, bestand in dem Vorhaben, den absoluten Marktführern ihrer Branche ernstzunehmende Konkurrenz zu machen. Sie hatten sich vorgenommen, ebenso groß zu werden, in diesem Konzert mitzuspielen, und dabei nicht nur die Piccoloflöte abzugeben. Ihre Gegner hießen MegaPin und MillionBall, die größten und mächtigsten Lotterien in den Staaten. Gegen diese erfolgreich ein neues Glücksspiel etablieren zu können, erschien anfänglich völlig aussichtslos.

John und Maurice Skinner waren direkte Nachfahren der Cherokee-Indianer. Das war ein Vorteil, denn die amerikanische Gesetzeslage erlaubte es ihnen dadurch, ihren Unternehmensgewinn aus Glücksspielen steuerfrei zu halten. Dieser kleine Rest an Amerikas schlechtem Gewissen gegenüber der Urbevölkerung sollte von ihnen genutzt werden, so, wie es die vielen stationären Casinos in den Indianerreservaten vormachen und heute milliardenschwere Gewinne einfahren, längst zwei- und dreimal so viel, wie in Las Vegas.

SevenDollies hatte es geschafft, nach kürzester Zeit pro Woche bereits mehr als 20 Millionen Einzeltipps je Ausspielung zu generieren. Und das nicht nur stabil, sondern mit stetig steigender Teilnehmerzahl. Das war natürlich nicht mit den Größten des Marktes zu vergleichen. Bedachte man aber, dass dieser Erfolg in nicht einmal drei Jahren seit der ersten Verlosung eingetreten, der Zuwachs noch lange nicht ausgeschöpft war, konnte SevenDollies einen traumhaften Aufstieg vorweisen.

Das Spielkonzept war angenehm einfach und zudem etwas fürs Auge. Sieben Roulettekessel standen nebeneinander. Ein Roboter warf die Rotation in den Kesseln an, jeweils mit exakt gleicher Kraft. Dann wurden, parallel in jedes Roulette, die Kugeln eingeworfen. Waren diese gefallen, ergab sich eine Zahlenreihe mit sieben Einzelzahlen, jeweils zwischen Null, Doppelnull und Siebenunddreißig. Das entsprach dem amerikanischen Roulette, das mit der Doppelnull eine zusätzliche Gewinnvariante aufwies. Gewonnen hatte derjenige, der alle sieben Roulettezahlen richtig getippt hatte. Dieses bedeutete den Hauptgewinn, der stets im Bereich von mindestens einer, je nach Spielsumme aber auch mehrere Millionen Dollar ausmacht. Gab es mehrere Gewinner, so wurde die Gewinnsumme geteilt. Die Doppelnull spielte zudem eine besondere Rolle und entschied über den Jackpot, der sich im Laufe der Auslosungen ohne Doppelnull anhäufte. Ihren Durchbruch schafften die Brüder Skinner mit den ersten TV-Sendern, die die Zahlenziehung live übertrugen und sich seither über die ständig steigenden Einschaltquoten freuten.

Den Namen `SevenDollies´ wählten die Skinners nicht von ungefähr. Als Dolly werden die kleinen Figuren bezeichnet, die in einem realen amerikanischen Casino auf die Gewinnzahl gestellt werden und diese so für die Spieler am Tisch sichtbarer machten. Bei sieben Roulettekesseln wären also auch sieben Dollies nötig. So war der Name schnell gefunden.

Den etablierten Lotterien war SevenDollies gar nicht Recht. Anfänglich wurden die Skinners nur belächelt. Nach den ersten Erfolgen aber gab es schnell die ersten Störfeuer. Die Großen ließen ihre Beziehungen spielen und hetzten Kontrolleure der Glücksspielaufsicht auf die Skinners. Beschwerden wurden eingereicht und man schreckte sogar nicht davor zurück, Maulwürfe bei SevenDollies zu platzieren, Mitarbeiter, die zu spionieren hatten. Das alles aber konnte den Erfolg von John und Maurice Skinner nicht aufhalten. Bislang hatten sie allen Attacken standgehalten und ihre Position im Markt ausgebaut.

John, der ältere der Brüder, schritt in seinem großen und fast in völligem Weiß gehaltenen Büro vor dem Panoramafenster hin und her. Dieses war an die zwanzig Meter breit und reichte von der Decke bis zum Boden. Ganz oben, im vierzigsten Stock des Gebäudes, war die Aussicht auf Oklahoma-City gigantisch und atemberaubend. Maurice saß in einem ledernen Sessel und beobachtete seinen älteren Bruder mit Spannung. Während John etwas kleiner, sehr kräftig, untersetzt und bereits schon eine Halbglatze hatte, war sein nur fünf Jahre jüngerer Bruder äußerlich geeignet, als Sohn seines Bruders durchzugehen. Maurice, war einen Kopf größer, schlank und hatte volle schwarze Haare. Seine indianischen Wurzeln waren unübersehbar, und sein gutes Aussehen hätte durchaus für eine vielversprechende Karriere in Hollywood gereicht.

„Mike war vor einer Stunde bei mir“, begann John und ein leichter Unterton der Besorgnis schien hindurch. „Es ist zwar weiterhin alles gut, doch Mike meint, dass sich der Teilnehmerzuwachs abzuschwächen beginnt. Nur leicht, ok! Aber es wäre nicht auszuschließen, dass sich die Kurve vielleicht sogar nach Unten bewegt … irgendwann.“ John blieb nun stehen und schaute seinem Bruder direkt ins Gesicht.

Maurice hatte aufmerksam zugehört. „Mike hatte bisher immer ein gutes Gespür und seine Zahlen waren stets ein Volltreffer. Wir sollten das also nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hat er denn Erklärungen für die Ursachen?“

John setzte sich nun neben seinen Bruder. „Die hat er. Und – das einmal vorweggenommen – diese sind für mich absolut einleuchtend. Wir haben zwar ein sehr gutes Marketing durchgesetzt, die Werbung war teuer aber jeden Cent wert, inzwischen aber, wie soll ich sagen, haben sich die Leute daran gewöhnt. Es fehlt der Kick, etwas Neues, etwas Besonderes.“

„Wenn wir jetzt auf der Stelle treten würden, vielleicht auch nur leicht sinken, wäre das gar nicht gut.“ Maurice klang jetzt auch besorgt. „Unsere Partner würden uns den Geldhahn zudrehen, ehe wir bis Drei gezählt haben, und allein, ohne Fremdkapital, mit unseren bisher gemachten Gewinnen, würden wir nicht allzu weit kommen. Und wir sollten gut aufpassen: Wenn die Zahlen von Mike bekannt werden, könnte sehr schnell Nervosität entstehen. Das wäre dann eine ziemlich beschissene Sache.“

 

John fing an, seinen kahlen Schädel zu kratzen. „Genau deswegen mache ich mir erste Sorgen.“ ergänzte er und blickte Maurice weiter an. „Gegenwärtig haben wir noch Zeit und Gelegenheit, uns etwas einfallen zu lassen. Die Uhr tickt aber. Ich will zwar nichts beschreien, aber ich befürchte, dass wir einen ordentlichen Kick benötigen, um nicht in absehbarer Zeit nach unten durchgereicht zu werden.“

Maurice nickte, fand aber auch ein kleines Lächeln wieder. „Wir sollten heute aber noch nicht so schwarzmalen.“ Maurice war eben stets der Optimist unter ihnen. „Klar, wenn wir nicht weiter wachsen, werden es die Gewinnquoten und Jackpots auch nicht können. Das ließe dann auch nicht das Halten unserer Position zu, vom Ausbau einmal ganz abgesehen. Doch soweit ist es ja noch nicht. Wir werden uns etwas einfallen lassen. Du, Mike und ich. Wir werden nicht zusehen, wie unser Baby abschmiert. Hat Mike schon Ideen oder Vorschläge?“

John stand auf, es war fast alles gesagt und Maurice hatte Recht. „Mike wird uns in aller Kürze seine Vorschläge präsentieren. Bisher hatten seine Marketing- und Werbeideen immer Klasse. Warten wir ab, was er uns präsentieren wird.“

Die Brüder nickten einander zu und Maurice machte sich auf den Weg in sein Büro. Heute war wieder Ziehung und an diesen Tagen war stets nur wenig Zeit für anderes. Gleich würde auch der Aufsichtsbeamte und der Notar kommen um die Roulettes und die Anlage zu begutachten sowie ihre Teststichproben durchzuführen. Das war ein festgelegter Ablauf, mit einem Wust an Dokumenten und Unterschriften.

Nach dieser Ziehung wird es irgendwo in Amerika wieder mindestens einen neuen Millionär geben. Es waren an diesem Spieltag 4,5 Millionen Dollar. Nicht der Rekord von SevenDollies, aber schon ein stolzes Sümmchen und die Teilnehmerzahl waren dementsprechend hoch. Und am Tag darauf, wie immer, werden die Gebrüder Skinner dem glücklichen Gewinner den Scheck überreichen, mit Fototermin, bei dieser Summe allerdings ohne TV-Team. Die Fernsehanstalten wollten schließlich nur Sensationen, keine Peanuts. Maurice liebte diese Augenblicke dennoch, John dagegen fand sie lästig, denn sie kosteten ihn stets einen Tag seiner Arbeit.

Kapitel 4

Fast ununterbrochen hatte sein Telefon bereits ab fünf Uhr morgens geklingelt. Dann zog Sam entnervt das Kabel aus der Dose und hatte endlich Ruhe. Die Anzahl der Anrufe hatte er schon nicht mehr zählen können, und es war immer das Gleiche: Reporter an Reporter jaulten durch den Hörer und wollten ihm einen Interviewtermin abringen. Anfänglich, er war immer noch übermüdet, hatte Sam höflich aber bestimmt abgelehnt, dann um Nachsicht geworben, ihn doch wenigstens ein paar Tage in Ruhe zu lassen. Und überhaupt, es wäre ihm wirklich lieber, dass nicht so viel Wind um diese Sache gemacht werden würde. Doch mit jedem weiteren Anruf wurde er unfreundlicher. Zuletzt hob er den Hörer nur noch ab und legte gleich wieder auf. Das aber half auch nichts, und so entschied er sich, das Kabel zu ziehen, um wenigstens ungestört frühstücken und hiernach in die Bank zu fahren. Samuel Goldman sah nämlich keinen Grund, nicht ganz normal zur Arbeit zu gehen.

Zur gleichen Zeit, ein paar Kilometer vor der Stadt, in einer abgelegenen Parkbucht seitlich der Straße und gut geschützt durch ein paar Büsche, wachten gerade zwei junge Männer in Ihrem aufgemotzten Pontiac auf. Sie hatten die Nacht dort verbracht und im Wagen geschlafen. Der Beifahrer zündete sich eine Zigarette an, öffnete das Wagenfenster und blies den Rauch seines ersten Zuges ins Freie. Beide schwiegen. Es gab nichts zu sagen. Die Uhr im Fahrzeug zeigte kurz vor Sieben an. Es war noch zu früh, um loszufahren.

Der Fahrer öffnete seine Türe, stieg aus und machte einige Streckübungen. Dann stellte er sich an einen Busch und urinierte mit lautem Strahl, schüttelte ab und zog den Reißverschluss seiner Hose mit einem Ruck wieder hoch. Er schaute in Richtung der Stadt. Greenville lag vor ihnen, und im Morgenlicht schien die Welt dort hinten sorglos und behütet. Er stieg wieder zurück in den Wagen. Immer noch sprachen sie kein Wort. Wozu auch. Sie hatten alles immer wieder bis in jedes Detail durchgesprochen, kannten die Routen hinein und wieder hinaus. Es war schließlich nicht das erste Mal für sie. Sie würden hier noch einige Zeit stehen bleiben und dann – so wie es der Zeitplan vorsah – in Richtung der Stadt fahren.

In Greenville, im Stadtteil Pleasant, blickte Sam auf die Meute der Reporter und Fotografen, die sich vor seinem Haus versammelt hatte. Und es kamen in jeder Minute mehr und mehr dazu. TV-Sendewagen, in denen die Kamerateams lauerten und sich vor seinem Grundstück in Position brachten. Ihm war klar, er würde hier nicht einfach so durchkommen. Sein Auto stand in der Garage, und diese konnte er direkt über seine Küche betreten. Das war ein Vorteil, den er vielleicht nutzen konnte. Doch mit dem Wagen durch die Reporter und Fotografen hindurch zu kommen, war sicher nicht so einfach. Er konnte sich nicht vorstellen, dass man ihm höflich Platz machen und vielleicht auch noch für seine freie Abfahrt auf der Straße den Verkehr regeln würde. Er musste sich etwas einfallen lassen, und das tat er.

Um kurz nach acht Uhr zog er seine Krawatte hoch, nahm seine Schlüssel und ging in die Garage. An der Wand hing ein zusammengerollter Gartenschlauch, den er herunter nahm, an den Wasserhahn anschloss und aufdrehte. Dann öffnete er das Elektrotor der Garage. Unmittelbar wurde es auf der Straße laut und unruhig. Die Meute war in heller Aufregung, und jeder wollte der Erste sein, der mit Samuel Goldman sprechen konnte. Sam hielt den Gartenschlauch vor sich und ging mit kräftigen Schritten über den Rasen auf die immer lauter werdende Menge zu. Zehn Meter vor ihnen drehte er das Ventil an der Schlauchspitze auf, und hielt den kräftigen Strahl direkt in die Mitte der Meute. Er schwenkte lustvoll von links nach rechts und wieder zurück, malte Zickzacklinien über den Köpfen der entsetzten Wartenden, und konnte schon nach kurzer Zeit beobachten, dass das Gros seiner Opfer bis auf die Unterwäsche durchnässt war.

Die Menge löste sich blitzartig auf. Die einen flüchteten nach links, die anderen nach rechts, die Kameraleute suchten Schutz für ihre Ausrüstung und sich selbst in ihren Übertragungsfahrzeugen, in denen die Fahrer vorsichtshalber bereits die Scheibenwischer angemacht hatten. Ein ganz hartnäckiger Fotograf blieb noch mutterseelenallein in Sams Einfahrt stehen. Er schien von der unfreiwilligen Dusche noch unbeirrt zu sein, fotografierte sogar noch, ignorierend, dass keines der Fotos bei einem unter Wasserbeschuss stehenden Objektiv gelingen könnte. Sam wollte es nun wissen. Er hielt den Strahl direkt auf den beharrlichen Burschen und ging nochmals drei, vier Schritte auf diesen zu. Dann hatte sein Opfer offensichtlich die Nase voll und suchte, vollkommen durchnässt, mit quietschenden Schuhen das Weite. Sam rollte so schnell es ging den Schlauch ein, lief zurück in seine Garage, setzte sich ins Auto und fuhr mit lautem Motorgeheule davon. Vorbei an allen Nervensägen, die ihm mit bösen Drohgebärden fluchend die übelsten Schimpftiraden hinterher riefen.

Viele Kilometer entfernt, vor der Stadt, startete der Fahrer den schweren Motor des Pontiacs und gab einige Male hintereinander Gas. Donnernd dröhnte das aufgemotzte Aggregat und verriet seine mächtige Kraft. Die Drosselklappen klickten dabei metallisch, immer wenn das Pedal durchgedrückt oder wieder losgelassen wurde. Der Wagen war bereit. So wie seine Insassen. Der Fahrer legte den ersten Gang ein und es knackte satt im Getriebe. Langsam setzte sich das Fahrzeug in Bewegung, und sonor schnurrend, mit sanftem Knirschen der Räder auf dem Sandboden, rollte der Wagen mit blubberndem Auspuff zur Straße, um die Richtung nach Greenville einzuschlagen.

Pünktlich um viertel vor neun erreichte Sam die Bank und fuhr in die Tiefgarage des Gebäudes. Gottlob war keiner dieser Zeitungsmarder hier aufgetaucht. Offenbar vermutete niemand, dass er bereits schon am Tag nach seiner Ankunft zur Arbeit gehen würde. Damit überraschte er auch seine Mitarbeiter. Als er die Bank durch den Hintereingang betrat, ging ein lautes Staunen durch die Reihen. Die Freude aber war schnell größer, als die Überraschung. Alle sprangen auf, begrüßten ihn herzlich, schüttelten ihm die Hand und auch die eine oder andere Umarmung war dabei.

Sam bemühte sich, dass alles so schnell wie möglich zurück zur Normalität gelänge und beschwichtigte seine Mitarbeiter, dankte ihnen für den liebevollen Empfang und tippte auf seine Armbanduhr: Um neun Uhr, in fünf Minuten, würden sie öffnen. Daran sollte sich auch an diesem Tage nichts ändern.

Der Pontiac hatte inzwischen die Stadt erreicht und war, mit leichten Umwegen und einigen Schleifen, am Zielpunkt angekommen. Der Fahrer parkte den Wagen wie vorgesehen in einer Seitenstraße, nur wenige Meter von der breiten Hauptstraße entfernt. Von hier aus konnten die beiden Männer unmittelbar auf das Gebäude, in das sie hinein wollten, schauen. Der Eingang lag vis-à-vis, direkt vor ihrem Standort. Der Beifahrer griff hinter seinen Sitz und brachte eine Pumpgun zum Vorschein. Er schob behände und professionell mehrere Schrotpatronen in das Ladefach und schob den Pumpgriff kurz und kräftig von vorn nach hinten und wieder zurück. Es war jetzt drei Minuten vor neun.

Sam stand neben dem Kassenbereich der Bank, und sprach mit der Kassiererin, die er schon viele Jahre kannte, schon aus Kindertagen, als er mit seinem Vater oder Mutter zur Bank mitgenommen wurde, wenn es der Monatserste war. Ein Angestellter stand mit dem Schlüssel an der Türe und blickte auf die große Uhr an der Wand über Sams Büro. Er würde um Punkt neun öffnen, so wollen es die Vorschriften.

In der Seitenstraße gegenüber öffneten die beiden Männer die Türen ihres Pontiacs, stiegen aus und gingen langsam zur Hauptstraße. Der Verkehr war noch mäßig und der Weg zur anderen Seite nur kurz. Ein paar Sätze im Laufschritt und sie würden drüben sein. Inmitten der Straße zogen die laufenden Männer Masken über das Gesicht, die sie zuvor noch im Wagen zusammengerollt und auf die Köpfe gesetzt hatten. Es ging schnell, und schon waren sie auf der anderen Seite angekommen.

Der Zeiger sprang in diesem Augenblick auf Neun, klick, und der Schlüssel drehte sich im Schloss der Eingangstüre. Es war geöffnet. Mit einem gewaltvollen Ruck, wurde die Tür jäh aufgestoßen und die beiden maskierten Männer stürmten in der Bank. Der völlig überraschte Angestellte mit dem Schlüssel erhielt mit dem Kolben der Schrotflinte einen Schlag auf die Stirn und sackte sofort zu Boden. Bei ihm blieb der Fahrer des Pontiacs, der eine durchgeladene und entsicherte Automatik, einen dieser mächtigen Militärrevolver, an den Kopf des Mitarbeiters hielt, dabei immer wieder in die Bank hineinschaute und seinen Komplizen sowie die entsetzt schauenden Bankangestellten aufmerksam beobachtete. Der zweite Mann richtete, mit bedrohlicher Pose, sein Gewehr auf die Angestellte und schrie herum, gab Befehle, drohte mit Erschießung, falls jemand den Alarm auslösen würde. Sodann forderte er die Herausgabe des Bargelds aus der Kasse.

Der Mann mit der Pistole hatte den Türöffner, der bereits wieder zur Besinnung gekommen war, mit einem kräftigen Stoß in den Hauptbereich der Bank gestoßen und zielte mit seinem Revolver auf Sams Mitarbeiter. Eine junge Kollegin fing zu weinen an. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Beine versagten und sie sackte in sich zusammen. Der Mann mit der Schrotflinte wendete sich Sam zu, winkte mit dem Lauf seiner Waffe in Richtung der Kasse, und gab zu verstehen, dass Sam das Geld herausgeben sollte. Sam drehte sich langsam und ging mit besonnenen Schritten zum Kassenbereich. Er wusste, dass dieser zwar, wie jeden Morgen, gerade frisch aufgefüllt war, dennoch würde die Summe auch an diesem Morgen nicht gerade bedeutend sein. Die Typen mussten es also nötig haben, für ein paar tausend Dollar so ein großes Risiko einzugehen. Und wer es derart nötig hatte, der würde auch wenig Skrupel haben. Und diese Jungs schienen rein gar nichts zu verlieren zu haben, das konnte er auf einen Blick erkennen.

An der Kasse angekommen griff Sam beherzt das Geld und nahm in jede Hand ein größeres Bündel von Dollarnoten. Es waren vor allem Zehner, denn diese wurden während des Tages am meisten gebraucht. Mit zwei vollen Händen stand er nun so da, und schaute dem Mann direkt in die Augen, der unbeirrt sein Gewehr auf Sam zielte, den Finger am Abzug. Sam aber tat etwas, was er sich im Nachgang zu diesem Raubüberfall selbst nicht erklären konnte. Mit einem Ruck warf er die Geldscheine hoch in die Luft, und diese verteilten sich wie ein Lamettaregen im Raum. Für einen Moment war die Luft plötzlich voller Geldscheine, die wie Blätter im Herbst zu Boden segelten, und sich dabei über eine breite Fläche verteilten. Sam griff nochmals in die Kasse und warf abermals die nächsten Scheine in die Luft. Als er das zum dritten Male wiederholen wollte, zog der Mann mit der Pumpgun den Abzug.

 

Sam erwartete den Schmerz. Er musste davon ausgehen, dass seine Brust durch die Schrotkugeln in Stücke gerissen und er das nicht überleben würde. Doch er hatte weder die Augen geschlossen, noch durchzog ihn irgendein Anflug von Angst. Er stand da, mit den nächsten Geldbündeln in seinen Händen, und schaute auf den Schützen. Er sah die erstaunten Augen des Mannes, denn nach dem Ziehen des Abzuges war nur ein trockenes Klicken zu vernehmen, ein Schuss löste sich nicht. Der Mann lud nochmals durch, zielte auf Sam, drückte ab und – wieder nichts. Der zweite Gangster machte einen Schritt in Sams Richtung, zielte auf ihn und schoss. Doch auch seine Waffe versagte. Da half ihm auch nicht das schnelle, mehrfache nochmalige Abdrücken. Immer wieder nur das metallische Klicken.

Die Männer begriffen zwar nicht sofort ihre Situation, doch als sie erkannten, dass ihre Waffen allesamt nicht funktionierten, ergriff sie die Panik. Sie drehten sich ruckartig um, rannten zum Ausgang der Bank und warfen im Eingangsbereich die Schussgeräte auf den Boden. Sie waren gerade durch die Türe ins Freie gelangt, da rissen sie sich die Masken vom Kopf und rannten zu ihrem Pontiac in der Seitenstraße gegenüber. Beide rissen die Türen auf und sprangen ins Auto. Der Fahrer startete den Motor und mit quietschenden Reifen raste der Wagen auf die Hauptstraße. Binnen weniger Sekunden folgte ein ohrenbetäubender Knall, ein lautes Scheppern und das Klirren von zerspringendem Glas. Ein schwerer Pick-up, der gerade auf der Straße angefahren kam, hatte den Pontiac genau auf Höhe der Fahrertüre bei dem Zusammenstoß getroffen. Mit immer noch brüllendem Motor hob der Pontiac ein gutes Stück vom Boden ab, drehte sich einmal um seine Längsachse und blieb etwa fünfzig Meter weiter auf dem Dach liegen. Die Räder drehten sich noch eine Zeitlang weiter und der Auspuff blubberte traurig, bis der Motor seinen Geist aufgab und nur noch der Dampf des austretenden Kühlwassers über der Fronthaube aufstieg. Der Fahrer war auf der Stelle tot. Sein Beifahrer hatte noch einige Augenblicke länger, um über das soeben in der Bank Geschehene nachzudenken. Er verstand sich auf Waffen. Und beide, die Pumpgun sowie sein Revolver, waren zuvor völlig in Takt. Noch vor wenigen Tagen hatten sie damit geschossen, auf Ihrer Ranch, zusammen mit ihrem Onkel, und danach auf zwei Polizeiwagen, nachdem sie eine Fahrzeugkontrolle durchfahren hatten und die Sherriffs die Verfolgung aufnahmen. Es war unbegreiflich. Aber es waren eben genau diese Gedanken, mit denen er seine Augen schloss. Dann war auch er tot.

In der Bank kehrte bei fast allen wieder die Fassung zurück, nur die junge Mitarbeiterin schluchzte immer noch vor sich hin und nippte zitternd an einem Wasserglas, das Sam ihr kurz zuvor gereicht hatte. Es dauerte nicht lange, dann war die Straße vor der Bank voller Streifenwagen. Polizisten rannten aufgeregt herum, es wurden Absperrbänder gezogen und mehrere Sanitäter folgten den Cops, um sich um etwaige Verletzte zu kümmern. Fast ebenso schnell, wie die Polizei vor Ort erschienen war, stellten sich dort Reporter und Fotografen ein. Sam schoss durch den Kopf, dass diese wohl ein paar von denen sein könnten, die ihn noch vor etwas mehr als einer Stunde vor seinem Haus belagert hatten. Und ihre Auslöser konnte Sam bis in die Bank hören, die Tür stand weit offen und es sammelte sich eine größere Menge Menschen um die Absperrungen an. Von dort aus machten gleich ein halbes Dutzend Pressevertreter ihre Arbeit. So dauerte es auch nicht lange, bis der erste TV-Wagen mit seinem Kamerateam eintraf und den Trubel nochmals erhöhte.

Sam hatte sich in sein Büro zurückgezogen. Er saß an seinem Schreibtisch, hatte sich in seinem Stuhl weit nach hinten gelehnt und starrte mit dem Kopf zur Decke. Polizisten huschten an seiner Türe vorbei und Sam begann den Kopf zu schütteln. Was war nur los? Da ging er gleich heute wieder zur Arbeit und schon ist er inmitten eines Bankraubes dabei. Es wurde auf Ihn gezielt und abgedrückt. Ein wahres Glück, dass die Kerle offenbar zu blöd waren, ihre Waffen vorher noch einmal zu kontrollieren.

In seiner Bürotür standen nun zwei Detektives in Zivil und hielten ihre Marken vor die Glasscheibe. Sam winkte sie mit einer Handbewegung zu ihm.

„Hi“, sagte der Jüngere von ihnen. „Alles ok mit Ihnen?“

Sam nickte. „Ja, na klar. Setzen Sie sich. Sie werden jetzt wohl einige Fragen haben.“

„Naja, “ antwortete der Detektive betont langsam, „so wie ich das hier sehe, ging es ja wohl kaum um eine Kontoeröffnung. Ich würde eher sagen: bewaffneter Raubüberfall und versuchter Mord.“ Der Cop lächelte verschmitzt und zückte einen kleinen Notizblock. „Dann woll´n wir mal, Sir.“

Sam sah noch kurz durch die Scheibe in den Bankbereich. Neben jedem seiner Mitarbeiter stand ein Polizist und nahm deren Aussagen auf. Dann erzählte er den Detektives, was sich vor wenigen Minuten hier zugetragen hatte. Er endete damit, dass er, nachdem die beiden Männer aus der Bank gerannt waren, kurz darauf den Zusammenstoß auf der Straße hörte und gerade noch das Auto der Gangster durch die Luft fliegen sah. Der erste Detektiv klappte seinen Block zusammen und verstaute den Stift in seinem Sakko. Der zweite, etwas ältere Cop, hatte bislang nur zugehört. Jetzt aber wendete er sich an Sam.

„Wenn das so stimmt, ich meine, natürlich glaube ich Ihnen, aber – Sie müssen zugeben – das klingt alles schon ziemlich skurril, scheiß drauf, also, wenn dem so war, dann … Mann, dann hatten Sie mehr Glück als Verstand ...“

Sam schaute den beiden Polizisten abwechselnd in die Augen und nickte langsam. Dann erhob er sich, ging kurz zur Tür, öffnete sie und schrie in den Raum: „Kann mir hier irgendjemand mal einen Kaffee bringen?!“ Alle Gespräche verstummten abrupt und für zwei, drei Sekunden trat völlige Stille ein. Ein junger Mitarbeiter von Sam gab Zeichen, dass er ihn verstanden hätte und machte sich auf den Weg zur Kaffeemaschine. Sam schloss nun wieder die Tür und setzte sich zurück an seinen Schreibtisch. Die beiden Cops hatten ihn soeben wortlos beobachtet. Ein wenig erstaunt schauten sie diesen Bankmanager an. Was käme jetzt wohl als Nächstes?

„Und die beiden Gangster?“ fragte Sam unversehens. „Was ist mit denen?“

Die Detektives tauschten einen kurzen Blick aus. „Sind beide zur Hölle gefahren.“ antwortete der junge Cop fast beiläufig. „Noch im Auto. Spart dem Staat viele Kosten. Die hätten beide mindestens fünfzehn Jahre gekriegt.“ Und nach kurzer Pause fragte er Sam: „Aber wieso fragen Sie gerade jetzt danach? Mann, die wollten Sie gerade killen!“

Die Tür öffnete sich und der junge Bankangestellte brachte Sam den gewünschten Kaffee. Sam stellte das dampfende Getränk vor sich auf den Schreibtisch. „Ja, warum mich das interessiert?“ Er machte eine kurze Pause. „Es ist so, dass ich den beiden einfach gerne ein, zwei Fragen gestellt hätte. Aber wissen Sie, es ist auch nicht so wichtig. Ich bin wohl von dieser Morgenüberraschung noch ein wenig verwirrt.“