Briefe über den Yoga

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Im Supramental ist vollkommene Stille die Grundlage, und wie intensiv die Göttliche Liebe auch immer dort ist, sie stört diese Stille nicht, sondern macht ihre Tiefe tiefer. Chaitanyas Erfahrung war nicht die des Supramentals, sondern die der Liebe und Ananda, die in das Vital herabgebracht wurden – die Reaktion des Vitals aber ist äußerste Leidenschaft und der höchste Jubel einer auf Gott gerichteten Liebe, eines Ananda, und von daher stammen diese Entstellungen, vikara. Chaitanya forderte für die Radha-Erfahrung diesen Vorrang, da der Ananda über der Erfahrung des spirituellen Mentals steht; den Upanishaden gemäß ist Ananda die höchste Ebene der Erfahrung. Doch dies ist eine logische Folgerung, die nicht voll und ganz akzeptiert werden kann – man muss durch das Supramental hindurch, um zum höchsten Ananda zu gelangen, und im Supramental findet eine Einung und Harmonisierung aller göttlichen Mächte statt, sowohl von Wissen als auch von Liebe und Ananda. Verschiedene Sadhaks heben den einen oder anderen Aspekt als den höchsten hervor, die Einung aller aber muss die wahre Grundlage höchster Verwirklichung und Erfahrung sein.

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Es ist nicht notwendig, die vergangenen Formen [des Bhakti-Yoga] zu wiederholen; in unserer Sadhana besteht der eigentliche Weg darin, die bhakti des seelischen Wesens hervortreten zu lassen und ihr diejenige Form zu geben, die in der Entwicklung auf natürliche Weise erscheint.

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Es war nicht nur ich, der etwas getan hat, was die vedischen risis nicht taten. Chaitanya und die anderen entwickelten eine Intensität der Liebe, bhakti, die im Veda nicht zu finden ist – und viele andere könnten als Beispiele angeführt werden. Warum sollte die Vergangenheit die Grenze spiritueller Erfahrung darstellen?

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Nun, ich glaube nicht, dass die neue Rasse mit Hilfe oder gemäß den Richtlinien einer Logik geschaffen werden kann oder dass irgendeine Rasse es jemals wurde. Doch warum sollte die Idee der Gründung einer neuen Rasse unlogisch sein? Was die vergangenen Seher anbelangt, so stören diese mich nicht. Wenn es etwas so Erschreckendes ist, über die Erfahrungen vergangener Seher und Weiser hinauszugehen, dann hatte jeder neue Seher oder Weise dieses Erschreckende zu tun – Buddha, Shankara, Chaitanya, alle begingen diese schreckliche Tat. Und aus welchem Grund hätten sie sonst neue Philosophien, Religionen und Yogasysteme errichten sollen? Hätten sie das Leben und die Erfahrungen vergangener Seher und Weiser lediglich bestätigen und sanftmütig wiederholen sollen, ohne der Welt etwas Neues zu bringen – wozu dann all diese Aufregung? Du wirst sagen, sie erklärten einfach die alte Wahrheit in der richtigen Weise, doch würde dies bedeuten, dass sie zuvor von niemandem richtig erklärt oder verstanden wurde. Oder du kannst sagen, dass jeder der neuen Weisen (zu ihrer jeweiligen Zeit gehörten sie nicht zu Xs geschätzten Alten), zum Beispiel Shankara, Ramanuja, Madhva, lediglich die gleiche gute alte Sache wiederholte, die all die vergangenen Seher und Weisen in unermüdlicher Monotonie vor ihnen wiederholt hatten. Nun gut, doch warum es auf solche Weise wiederholen, dass jeder „die Lüge den anderen weitergibt“? Also, diese gewaltige Ehrfurcht vor der Vergangenheit ist eine seltsame und fürchterliche Angelegenheit. Schließlich ist das Göttliche unendlich, und das Entfalten der Wahrheit kann ein unendlicher Vorgang sein oder zumindest einen gewissen Spielraum für neue Entdeckung und neue Betrachtung lassen, vielleicht sogar für neue Verwirklichung; es [das Göttliche] ist nicht in einer Nussschale eingeschlossen, die ein für alle mal vom ersten Seher aufgebrochen und ihres Inhaltes beraubt wurde, während die anderen die gleiche Nuss ehrfürchtig immer wieder knacken müssen, jeder vor Angst zitternd, dass er die „früheren“ Seher und Weisen einer Lüge bezichtigt.

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Sri Krishna hatte sich nie eine physische Umwandlung zum Ziel gesetzt, daher konnte sie auch nicht von ihm erwartet werden.

Weder Buddha noch Shankara noch Ramakrishna hatten eine Vorstellung von einer Umwandlung des Körpers. Ihr Ziel war spirituelle mukti, Befreiung, und nichts sonst. Krishna lehrte Arjuna, wie er durch Werke zur Befreiung gelangen könne, doch sprach er nie von einer physischen Umwandlung.

Ich weiß nicht, ob wir dies [Yudhistiras leiblichen Eintritt in das himmlische Königreich im Himalaya] als historische Tatsache ansehen können. Svarga ist nicht irgendwo im Himalaya, es ist eine andere Welt auf einer anderen Ebene des Bewusstseins und der Substanz. Was immer diese Geschichte bedeuten mag, sie hat mit der Frage der physischen Umwandlung auf Erden nichts zu tun.

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Ramakrishna dachte nie an eine Umwandlung und versuchte auch nie, diese zu erreichen. Alles, was er erstrebte, war bhakti, Liebe für die Mutter, und über diese Liebe erhielt er alles Wissen von ihr und tat, was immer sie ihn tun hieß. Er [sein Bewusstseinszustand] war von Anfang an intuitiv und seelisch und wurde es im Maße seines Fortschreitens immer mehr. Für ihn bestand keine Notwendigkeit einer Umwandlung, wie wir sie suchen; denn wenn er auch vom göttlichen Menschen sprach (Ishvarakoti), der die Stufen sowohl herabsteigt als auch emporsteigt, dachte er weder an ein neues Bewusstsein noch an eine neue Rasse noch an die göttliche Manifestation in der Erd-Natur.

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Was immer auch Chaitanya oder Ramalingam erlebten, durch welche physische Umwandlung auch immer sie gegangen sein mögen, für das Ziel, den Körper zu supramentalisieren, ist das belanglos. Ihr neuer Körper war entweder ein nicht-physischer oder ein feinstofflicher Körper und für das Leben auf Erden nicht geeignet. Wäre dies nicht der Fall gewesen, dann wären sie nicht einfach verschwunden. Das Ziel der Supramentalisierung ist ein Leib, der geeignet ist, das physische Bewusstsein auf Erden zu verkörpern und auszudrücken solange man sich im physischen Leben befindet. Sie ist ein Schritt in der spirituellen Evolution auf Erden und nicht ein Schritt auf dem Weg zu einer überphysischen Welt. Die Supramentalisierung ist der schwierigste Teil der Wandlung, die der supramentale Yoga zu erreichen hat, und alles hängt davon ab, ob eine ausreichende Veränderung im gegenwärtigen Bewusstsein für einen solchen Schritt möglich ist; die Art des Schrittes aber ist von derjenigen, auf die andere Yogasysteme zielen, verschieden. Daher haben solche Diskussionen keinen großen Wert. Zuerst müssen das Mental, das Vital und das physische Bewusstsein im Allgemeinen supramentalisiert werden, dann kann man an die Supramentalisierung des Körpers denken. Als erstes muss die seelische und spirituelle Umwandlung erfolgen, und dann erst hat es Wert oder Nutzen, die Supramentalisierung des ganzen Wesens bis hinab in den Körper zu erörtern.

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Mit göttlicher Verwirklichung meine ich die spirituelle Verwirklichung, die Verwirklichung des Selbstes, Bhagvan oder Brahman, auf der mental-spirituellen Ebene oder aber der obermentalen Ebene. Dies ist etwas (zumindest das Mental-Spirituelle), das Tausende erreichten. Es ist also ganz offensichtlich einfacher zu erlangen als das Supramental. Es kann auch niemand die supramentale Verwirklichung erlangen, der nicht die spirituelle erlangte. Es stimmt, dass keine von beiden wirkungsvoll erreicht werden kann, wenn nicht das ganze Wesen diesem Ziel voll zugewandt ist, wenn nicht ein wahrhafter und sehr ernsthafter Geist und eine dynamische Realität der Sadhana zugrunde liegen... Es stimmt, ich will das Supramental nicht für mich, sondern für die Erde und die Seelen hier auf Erden, und aus diesem Grund habe ich natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand das Supramental erreichen will. Doch es gibt Bedingungen. Zuerst muss man den göttlichen Willen annehmen, man muss die Hingabe der Seele und die spirituelle Verwirklichung (durch Werke, bhakti, Wissen, Selbst-Vervollkommnung) wollen.

Die innere Aufrichtigkeit ist das erste, und sie genügt zur Unterstützung des Strebens; zur Erfüllung des Strebens aber ist eine totale Wahrhaftigkeit erforderlich...

Es gibt verschiedene Stadien des Göttlichen Bewusstseins (avasthat). Es gibt ebenfalls verschiedene Stadien der Umwandlung. Zuerst findet die seelische Umwandlung statt, in der über das individuelle seelische Bewusstsein alles in Fühlung mit dem Göttlichen ist. Das nächste ist die spirituelle Umwandlung, in der alles im kosmischen Bewusstsein mit dem Göttlichen verschmilzt. Das dritte ist die supramentale Umwandlung, in der alles im göttlich-gnostischen Bewusstsein supramentalisiert wird. Erst in letzterem kann die vollkommene Umwandlung von Mental, Leben und Körper beginnen – so wie ich Vollkommenheit auffasse.

Du bist in zweierlei Hinsicht im Irrtum. Erstens, die Bemühung um dieses Ziel ist nicht neu; einige Yogis haben es erreicht – ich bin jedenfalls dieser Meinung –, doch nicht in der Weise, wie ich es will. Sie erreichten es als persönliche Vollendung, siddhi, mit Hilfe der durch den Yoga gewonnen okkulten Macht, Yoga-siddhi, und nicht als dharma der Natur. Zweitens, die supramentale Umwandlung ist nicht das gleiche wie die spirituell-mentale. Es ist eine Wandlung von Mental, Leben und Körper, welche durch die mentale und obermental-spirituelle nicht erreicht werden kann. Alle, die du erwähnst, waren auf verschiedene Weise spirituell. Krishnas Mental zum Beispiel war ein obermentales, Ramakrishnas ein intuitives, Chaitanyas Mental war spirituell-seelisch, Buddha besaß ein erleuchtetes höheres Mental. Über B. G. weiß ich nicht Bescheid, er scheint zwar brillant, doch ziemlich chaotisch gewesen zu sein. Alles dies ist vom Supramental ganz verschieden. Oder nimm zum Beispiel das Vital der paramahamsa, jener, die Befreiung fanden. Man sagt, ihr Vital sei entweder das eines Kindes (Ramakrishna) gewesen oder das eines Verrückten, eines Dämons, oder aber stumpf. Nun, in all dem ist nichts Supramentales.

 

Man kann ein geeignetes Instrument des Göttlichen in jeder der Umwandlungen sein. Die Frage ist, ein Instrument für welchen Zweck?

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Der paramahamsa ist ein bestimmter Grad der Verwirklichung, es gibt andere darüber oder darunter. Ich habe dort, wo sie hingehören, nichts gegen sie einzuwenden. Doch muss ich dich daran erinnern, dass in meinem Yoga alle vitalen Regungen unter den Einfluss der Seele und der spirituellen Stille, des spirituellen Wissens und Friedens zu kommen haben. Denn wenn diese mit der seelischen oder spirituellen Kontrolle in Widerspruch stehen, stören sie das Gleichgewicht und verhindern, dass sich die Grundlage der Umwandlung bildet. Möglicherweise ist Unausgeglichenheit für andere Pfade das Richtige; dies ist Sache derer, die ihnen folgen. Für meinen Weg ist sie nicht geeignet.

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Ich kenne außer einigen wirklich großen Yogis keinen, der seine äußere Natur tatsächlich verändert hätte. In allen Ashrams, die ich sah, waren die Menschen genau wie andere, mit Ausnahme einer gewissen moralischen Kontrolle, die einem bestimmten äußeren Tun auferlegt wurde (Nahrung, Geschlechtstrieb usw.), doch war die menschliche Natur die allgemeine Natur (wie in der Geschichte von Narad und Janaka). Es gibt in alten Yoga-Systemen sogar eine Theorie, dass die Kraft der alten Impulse, prarabdha karma, und notwendigerweise mit ihnen die bleibenden Elemente des äußeren Charakters sich nicht verändern – man erreicht lediglich die innere Verwirklichung und löst sich von ihnen ab, so dass sie beim Tode wie ein beschmutztes Gewand abfallen und der Spirit frei in das nirvana eintreten kann. Unser Ziel ist eine spirituelle Wandlung, nicht eine ethische Kontrolle; dies jedoch kann allein durch innere spirituelle Zurückweisung und dann durch eine supramentale Herabkunft erfolgen.

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Ich weiß nicht, ob einige [vedische rsis] in unserer Zeit zu neuer Geburt gelangten. Nach der Überlieferung der Puranas muss es viele rsis gegeben haben, die weit davon entfernt waren, die Sinne und den Ärger besiegt zu haben, jitendriya jitakrodha. Es gibt aber auch viele Yogis, die sich mit der inneren Erfahrung des Selbstes begnügen und gleichzeitig den Regungen des rajas und tamas an der Oberfläche stattgeben, da sie der Meinung sind, diese werden mit dem Körper abfallen.

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Wunderbar! Die Verwirklichung des Selbstes, welche die Befreiung vom Ego mit einbezieht, das Bewusstsein des Einen in allen, die erreichte und vollzogene Transzendenz aus der universalen Unwissenheit, die feste Einung des Bewusstseins mit dem Höchsten, dem Unendlichen und Ewigen sind nichts, das zu tun lohnte oder das jemandem zu empfehlen wäre – „ist kein sehr schwieriges Stadium“.

Nichts Neues! Warum sollte etwas neu sein? Das Ziel spirituellen Suchens ist, das ewig Wahre zu finden, nicht etwas, das neu in der Zeit ist.

Wie kamst du zu dieser merkwürdigen Haltung gegenüber den alten Yogasystemen und Yogis? Ist denn die Weisheit des Veda und Tantrismus eine geringfügige, unbedeutende Sache? Haben denn die Sadhaks unseres Ashrams die Selbstverwirklichung erreicht, sind sie befreite jivanmuktas, frei von Ego und Unwissenheit? Wenn nicht, warum sagst du dann „kein sehr schwieriges Stadium“ und „es ist solch langer Prozess“?

Ich habe gesagt, dieser Yoga sei „neu“, da er auf die Integration des Göttlichen in dieser Welt, und nicht nur jenseits von ihr, und auf eine supramentale Verwirklichung ausgerichtet ist. Rechtfertigt dies jedoch eine hochmütige Verachtung der spirituellen Verwirklichung, welche so sehr das Ziel dieses Yoga wie jedes anderen ist?

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Alte Yogasysteme als etwas Einfaches, Unwichtiges und Wertloses zu verachten, oder Buddha, Yajnavalkya und andere große spirituelle Gestalten der Vergangenheit zu verachten, ist ein Absurdität.

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Warum sollte die Mutter den Yoga des Wissens ablehnen? Die Verwirklichung des Selbstes und des kosmischen Seins (ohne welche die Verwirklichung des Selbstes unvollständig ist) sind ein wesentlicher Schritt in unserem Yoga; andere Yogasysteme enden hier – für unseren Yoga ist es gleichsam erst der Anfang, das heißt, dass hier erst seine eigenen charakteristischen Verwirklichungen beginnen.

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VI. Integraler Yoga

Mit Umwandlung meine ich nicht irgendeine Umwandlung der menschlichen Natur – zum Beispiel meine ich nicht Heiligkeit oder ethische Vervollkommnung oder yogische siddhis (wie die der Tantriker) oder einen transzendenten Körper (cinmaya). Ich gebrauche das Wort Umwandlung in einem ganz bestimmten Sinne, nämlich dem einer radikalen und vollständigen Bewusstseinsveränderung, die gewissermaßen so speziell ist, dass sie einen kraftvollen und sicheren Schritt nach vorne in der spirituellen Evolution des [menschlichen] Wesens herbeiführen wird; dieser Schritt wird von größerer und höherer Art sein und ein weiteres Maß, eine umfassendere Vollständigkeit haben als jener, der getan wurde, als ein mentales Wesen erstmals in einer vitalen und stofflich-tierischen Welt erschien. Wenn etwas Geringeres als das stattfindet oder zumindest wenn ein wirklicher Beginn auf dieser Grundlage nicht gemacht wird, ein grundlegender Schritt nach vorne auf diese Vollendung zu, dann ist mein Ziel nicht erreicht. Eine teilweise Verwirklichung, etwas Vermischtes und nicht Überzeugendes entspricht nicht der Forderung, die ich an das Leben und den Yoga stelle.

Licht der Verwirklichung ist nicht das gleiche wie Herabkunft. Verwirklichung als solche wandelt nicht notwendigerweise das menschliche Wesen als Ganzes; sie vermag lediglich ein Öffnen, Erhöhen oder Weiten des Bewusstseins in seiner höchsten Erhebung herbeizuführen und auf diese Weise etwas im Purusha-Teil verwirklichen, ohne radikale Veränderung in den Teilen der Prakriti. Man kann ein Licht der Verwirklichung im spirituellen Höhepunkt des Bewusstseins erlangen, doch bleiben die Teile darunter unverändert. Ich kenne jede Menge Beispiele dieser Art. Es muss ein Herabkommen des Lichtes stattfinden, nicht nur in das Mental oder einen Teil des Mentals, sondern in das ganze Wesen bis hinunter in das Physische und darunter, bevor eine wirkliche Umwandlung stattfinden kann. Ein Licht im Mental mag spiritualisieren oder das Mental oder einen Teil des Mentals in dieser oder jener Weise wandeln, doch es muss nicht die vitale Natur verändern; ein Licht im Vital mag die vitalen Regungen läutern und weiten oder auch das vitale Wesen ruhig und reglos werden lassen, doch den Körper und das physische Bewusstsein belassen, wie sie waren, oder sie sogar träge machen und ihr Gleichgewicht stören. Und die Herabkunft des Lichtes ist nicht genug, es muss die Herabkunft des gesamten höheren Bewusstseins sein, sein Frieden, seine Macht, sein Wissen, seine Liebe, sein Ananda. Überdies, die Herabkunft mag zur Befreiung ausreichen, aber nicht zur Vervollkommnung, oder sie mag ausreichen, um eine große Veränderung im inneren Wesen herbeizuführen, während das äußere ein unvollkommenes Instrument bleibt, schwerfällig, krank und ausdruckslos. Letztlich kann die durch die Sadhana ausgelöste Umwandlung nicht vollständig sein, wenn es nicht eine Supramentalisierung des Wesens ist. Die Durchseelung ist nicht genug, sie ist nur ein Beginn; die Spiritualisierung und die Herabkunft des höheren Bewusstseins sind nicht genug, sie sind nur ein mittlerer Weg; die höchste Vollendung erfordert das Wirken des supramentalen Bewusstseins, der supramentalen Kraft. Etwas Geringeres als dies kann vom einzelnen sehr wohl als ausreichend empfunden werden, doch genügt es nicht für den entscheidenden Schritt vorwärts, den das Erd-Bewusstsein in dieser oder einer anderen Zeit tun muss.

Ich habe niemals behauptet, dass mein Yoga in all seinen Elementen etwas völlig Neues ist. Ich habe ihn den integralen Yoga genannt, was bedeutet, dass er die Essenz und viele Vorgänge alter Yogasysteme in sich aufnimmt – das Neue liegt in seinem Ziel, seinem Ausgangspunkt und der Vollständigkeit seiner Methode. In den frühen Stadien, mit denen ich mich hauptsächlich in Büchern wie „The Riddle of the World“ oder „Lights on Yoga“ oder in dem neuen, noch zu erscheinenden Buch10 befasse, gibt es nichts, das ihn von alten Yogasystemen unterscheiden würde, außer dem Ziel, das seiner Weite zugrunde liegt, dem Geist seiner Bewegungen und der höchsten Bedeutung, die ihm innewohnt – und auch dem Schema seiner Psychologie und ihres Wirkens; doch nachdem das in diesen Briefen weder schematisch noch systematisch entwickelt werden konnte, wurde es von jenen nicht erfasst, die nicht schon damit vertraut waren dadurch dass sie sich mental oder durch ein gewisses Maß an Praxis damit auseinandergesetzt haben. Über die Einzelheiten oder die Methode der späteren Stadien des Yoga, die in wenig bekannte oder betretene Regionen führen, habe ich nichts veröffentlicht und beabsichtige gegenwärtig auch nicht, dies zu tun.

Ich weiß sehr wohl, dass es scheinbar ähnliche Ideale und Erwartungen gab – die Vervollkommnung der Menschheit, gewisse tantrische Sadhanas, die Bemühung um vollkommene physische siddhi bestimmter Yoga-Schulen usw. Ich habe diese Dinge erwähnt und dabei die Ansicht vertreten, dass die spirituelle Vergangenheit der Menschheit eine Vorbereitung der Natur nicht nur zur Erlangung des Göttlichen jenseits der Welt gewesen ist, sondern ebenfalls auf diesen nach vorwärts gerichteten Schritt, den die Evolution des Erdbewusstseins noch zu machen hat. Es interessiert mich aus diesem Grund nicht im geringsten – obwohl diese Ideale bis zu einem gewissen Grad den meinen gleichen, wenn sie auch nicht mit ihnen identisch sind –, ob dieser Yoga, sein Ziel und seine Methode als etwas Neues angesehen werden oder nicht; das ist als solches unbedeutend. Das einzig Wichtige ist, dass er in sich als wahr von denjenigen erkannt wird, die ihn annehmen oder ausüben oder selber durch ihre Verwirklichung wahr machen; es spielt keine Rolle, ob er als neu bezeichnet wird oder als Wiederbelebung und Wiederholung des alten, das vergessen war. Ich habe ihn in einem Brief an einige Sadhaks als neu bezeichnet, um ihnen zu erklären, dass eine Wiederholung des Ziels und der Idee alter Yogasysteme in meinen Augen nicht genüge, weshalb ich etwas zu Erreichendes aufgezeigt habe, das bislang noch nicht erreicht und noch nicht klar erkannt wurde, obwohl es das Natürliche, wenn auch noch verborgene Ziel des ganzen vergangenen Strebens gewesen ist.

Mein Yoga ist, verglichen mit alten Yogasystemen, insofern neu:

1) Weil er nicht auf eine Abkehr von der Welt und dem Leben um des Himmels und nirvana willen zielt, sondern auf eine Wandlung des Lebens und Daseins, und dies nicht als etwas untergeordnetes oder Zufälliges, sondern als deutliches und im Mittelpunkt stehendes Ziel. Wenn es ein Herabkommen in anderen Yogasystemen gibt, so ist dies lediglich ein Zufall auf dem Weg oder etwas, das sich aus dem Aufsteigen [des Bewusstseins] ergibt – das Aufsteigen jedoch ist [dort] das Ziel. Hier ist das Aufsteigen der erste Schritt, es ist ein Hilfsmittel für das Herabkommen. Stempel und Siegel dieser Sadhana ist das Herabkommen des neuen Bewusstseins, das durch das Aufsteigen erreicht wird. Selbst Tantrismus und Vishnuismus enden in der Befreiung vom Leben; hier ist das Ziel die göttliche Erfüllung des Lebens.

2) Weil das Ziel, nach dem gesucht wird, nicht eine individuelle Verwirklichung des Göttlichen zum Heile des einzelnen ist, sondern etwas, das für das Erdbewusstsein hier gewonnen werden muss, eine kosmische, nicht allein eine überkosmische Verwirklichung. Das zu Gewinnende ist das Einbringen einer neuen Bewusstseins-Macht (der des Supramentals), die bislang noch nicht in der Erdnatur geformt und direkt tätig wurde, nicht einmal im spirituellen Leben, die also noch geformt und unmittelbar wirksam gemacht werden muss.

3) Weil eine Methode zur Erreichung dieses Ziels erarbeitet wurde, die so total und umfassend ist, wie dieses Ziel selbst, nämlich die gänzliche und integrale Wandlung des Bewusstseins und der [menschlichen] Natur; sie greift zwar alte Methoden auf, doch nur als Teilaspekt und augenblickliche Unterstützung anderer [Methoden], die sich von diesen unterscheiden. Ich habe in alten Yogasystemen diese Methode (in ihrer Ganzheit) oder etwas Ähnliches weder verkündet noch verwirklicht gesehen. Wäre dem nicht so, hätte ich meine Zeit nicht damit vergeudet, in dreißigjähriger Suche und innerer Schöpfung einen Pfad auszuhauen, wenn ich statt dessen sicher zu meinem Ziel hätte heimeilen können, leichten Galopps, auf Wegen, die bereits gebahnt wurden, ausgetreten, kartographiert, asphaltiert, gesichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Unser Yoga ist kein alter Pfad, sondern ein spirituelles Abenteuer.

 

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Ich meinte damit das Herabkommen des supramentalen Bewusstseins auf die Erde; alle Wahrheiten unterhalb des Supramentals (selbst jene der höchsten spirituellen auf der mentalen Ebene, welche die höchste ist, die sich bislang manifestierte) sind teilweise oder relative Wahrheiten oder auf andere Weise ungenügend und nicht fähig, das Erdenleben umzuwandeln; sie können es bestenfalls modifizieren oder beeinflussen. Das Supramental ist das weite Wahrheits-Bewusstsein, von dem die alten Seher sprachen; zuweilen gelang es, einen Schimmer von ihm zu erhaschen, sei es als indirekte Einwirkung oder als Druck, doch wurde es nicht in das Erdbewusstsein herabgebracht und dort gefestigt. Es daher herabzubringen, ist das Ziel unseres Yoga.

Es ist besser, keine unfruchtbaren intellektuellen Diskussionen zu beginnen. Das intellektuelle Mental kann sich nicht einmal vorstellen, was das Supramental ist; warum also sollte man es über etwas diskutieren lassen, das es nicht kennt? Nicht durch Argumentation, sondern durch ununterbrochene Erfahrung, durch Wachsen des Bewusstseins, durch Weiten in das Licht vermag man jene höheren Bewusstseinsebenen über dem Verstand zu erreichen, von denen man dann zur Göttlichen Gnosis aufblicken kann. Diese Ebenen sind noch nicht das Supramental, doch können sie etwas von seinem Wissen empfangen.

Die vedischen rsis erlangten das Supramental niemals für die Erde oder versuchten es vielleicht gar nicht einmal. Sie versuchten, einzeln die supramentale Ebene zu erreichen, doch sie brachten diese nicht herab, um sie zu einem dauernden Bestandteil des Erdbewusstseins zu machen. Es gibt sogar Verse in den Upanishaden, in denen angedeutet ist, dass es unmöglich sei, die Pforten der Sonne (Symbol des Supramentals) zu durchschreiten und dennoch den Erdkörper zu bewahren. Dieses Misslingen war der Grund, weshalb das spirituelle Streben Indiens im Mayavada gipfelte. Unser Yoga besteht aus einer doppelten Bewegung, dem Aufsteigen und dem Herabkommen; man erhebt sich zu immer höheren Ebenen des Bewusstseins, doch zur gleichen Zeit bringt man ihre Macht nicht nur in Mental und Leben herab, sondern schließlich sogar in den Körper. Die höchste dieser Ebenen, diejenige, die unser Ziel ist, ist das Supramental. Erst wenn diese herabgebracht werden kann, ist eine göttliche Umwandlung im Erdbewusstsein möglich.

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Ich weiß nicht, ob einige von ihnen [den vedischen rsis] die supramentale Ebene erreichten, doch war der Aufstieg dorthin ihr Ziel. Svar bedeutet offensichtlich die erleuchteten Bereiche des Mentals zwischen dem Supramental und dem menschlichen Verstand, die von den Strahlen der Sonne gebildet werden. Wie es in den Upanishaden heißt, kehren jene, die in die Strahlen der Sonne aufsteigen, zurück, doch jene, die in die Sonne selbst aufsteigen, kehren nicht zurück. Man sah also einen Aufstieg zum Supramental als möglich an, doch sein Herabkommen und seine Formung auf Erden wurden nicht erwogen. Die Wiedergeburt jener rsis soll nicht unsere Sorge sein; ich vermute, sie werden wiederkommen, wenn sie gebraucht werden.

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Es ist durchaus möglich, dass sich der sloka auf ein Aufsteigen in höhere Welten der Glückseligkeit und des Lichtes bezieht, und dies kann man eine Befreiung oder Erlösung nennen. In späterer Zeit setzte sich die Vorstellung durch, dass die Rückkehr aus all diesen höheren Welten unvermeidlich sei und nur die Erlösung vom kosmischen Dasein zur mukti führe. Die vedischen rsis scheinen einen Aufstieg in eine lichthafte Welt oder einen Zustand jenseits von Falschheit und Unwissenheit als möglich erkannt zu haben. In den Upanishaden ist die Sonne das Symbol der supramentalen Wahrheit, und man sagt, dass jene, die in sie eingehen, zurückkehren können, doch jene, die durch die Pforten der Sonne selbst schreiten, nicht zurückkehren; möglicherweise bedeutet dies, dass ein Aufsteigen in das Supramental, das über dem goldenen Lid des Obermentals liegt, die endgültige Befreiung ist. Der Veda spricht von der Wahrheit, die von einer Wahrheit verhüllt wird, dort wo die Sonne die Pferde von ihrem Wagen abschirrt und Myriaden von Strahlen in einen zusammenfließen – und dies wurde als das Ziel erkannt. Die Isha-Upanishad spricht ebenfalls vom goldenen Lid, welches das Gesicht der Wahrheit verbirgt und durch dessen Beseitigung das Gesetz der Wahrheit erkannt wird; das höchste Wissen, in welchem man den einen Purusha (so‘hamasmi) erkennt, wird als die „kalyanatama“ – Form der Sonne beschrieben. All dies scheint sich auf die supramentalen Bereiche zu beziehen, deren Symbol die Sonne ist.

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Die vedischen rsis waren Mystiker des althergebrachten Typs, die überall, in Indien, Griechenland, Ägypten und anderswo die geheimen Wahrheiten und Methoden, die sie kannten, als etwas sehr Heiliges und Geheimes bewahrten, als etwas dem Unberufenen nicht zu Offenbarendes, der es missverstehen, falsch anwenden und missbrauchen und dadurch das Wissen mindern würde. Ihre Schriften waren aus diesem Grunde so verhüllt, dass sie in ihrer geheimen Bedeutung allein dem Eingeweihten verständlich waren, ninya vacamsi niyacanani (Rig Veda IV.3.16) – verschlüsselte Worte, deren Bedeutung nur der Seher erkennt. Sie hatten eine sichtbare, äußerliche und religiöse Bedeutung für das Volk, für die Eingeweihten dagegen waren sie esoterisch, okkult und spirituell. Es war Absicht, dass die Menschen die eigentliche Wahrheit nicht erkennen sollten, sondern nur die äußeren Wahrheiten, für die sie reif waren.

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Der grundlegende Unterschied liegt in der Lehre, dass es eine dynamische göttliche Wahrheit gibt (das Supramental), die in die gegenwärtige Welt der Unwissenheit herabkommen, ein neues Wahrheits-Bewusstsein schaffen und das Leben vergöttlichen kann. Die alten Yogasysteme erreichten das absolute Göttliche direkt vom Mental und betrachteten das ganze dynamische Sein als Unwissenheit, als Illusion oder lila; wenn du in die statische und unveränderliche Göttliche Wahrheit eintrittst, so sagen sie, verlässt du das kosmische Dasein.

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Dieser Yoga hat eine bewusste Einung mit dem Göttlichen im Supramental und die Umwandlung der menschlichen Natur zum Ziel. Die gewöhnlichen Yogasysteme erreichen direkt vom Mental aus einen eigenschaftslosen Zustand kosmischer Stille und versuchen, sich nach oben im Höchsten zu verlieren. Das Ziel dieses Yoga ist, das Mental zu übersteigen und in die sowohl statische als auch dynamische Göttliche Wahrheit des Sachchidananda einzutreten und schließlich das ganze Wesen zu jener Wahrheit zu erheben.

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Göttliche Einung, ja – doch für die Schulen der Asketen war es die Einung mit dem eigenschaftslosen Brahman, dem Unerkennbaren jenseits des Daseins, oder, falls es die Einung mit dem Ishvara war, dann mit dem Ishvara in einem überkosmischen Bewusstseins. Aus dieser Sicht gesehen besteht Patanjalis Aphorismus zu Recht (yogascittavrittinirodhah11). Wenn er Yoga sagt, meint er das Ziel, das im Verlauf des Yoga-Vorgangs im Auge behalten werden muss – denn durch die Beendigung der cittavrtti erreicht man den samadhi-Zustand, und samadhi ist die einzige Möglichkeit der alleinigen und vollständigen Einung mit dem Brahman jenseits des Daseins.