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Tagebuch des Verführers

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Weiss Gott, was es für ein Mädel ist? Sollte es nur eine kleine Bürgerstochter sein, oder eine Orgelspielertochter vielleicht? Für letztere ist sie ungewöhnlich schön, und aussergewöhnlich geschmackvoll angekleidet. Der Orgelspieler muss ein ungewöhnlicher Mann sein. Es fällt mir was ein. Vielleicht ist es ein kleines Vollblutfräulein, welches das Fahren in Equipagen satt hat und sich entschlossen hat, eine Fusstour nach ihrem Landgut zu machen, und jetzt will sie ein Abenteuer erleben. Nicht unmöglich. So etwas kommt vor. Der Bauer weiss von nichts, er ist ein Esel, der nur das Trinken versteht. Ja, ja, er soll nur trinken, der Alte, es ist ihm schon gegönnt – Aber was sehe ich? Es ist ja niemand anders, als Fräulein Jespersen, Hansine Jespersen, die Tochter des Grosshändlers in der Stadt. Gott, wir kennen einander. Ich habe sie einmal in der Bredgade gesehen, sie fuhr rückwärts, sie konnte das Fenster nicht aufbekommen, ich setzte meine Brille auf und hatte dann das Vergnügen, ihr mit meinem Blick folgen zu können. Ihre Stellung war sehr unbehaglich, es waren viele Personen im Wagen, sie konnte sich nicht bewegen, und sie wagte wahrscheinlich nicht, zu rufen. Ihre jetzige Stellung ist nicht weniger unbequem. Es ist deutlich, wir sind für einander bestimmt. Sie soll sehr romantisch veranlagt sein, sie fährt sicher allein. – Da kommt mein Diener mit dem Fuhrmann. Er ist ganz berauscht. Wie abscheulich! Welch grässliche Bande, diese Bauern. – So, jetzt ist es Zeit, weiterzufahren. Sie wird wohl selbst das Lenken besorgen müssen, das wird ja ganz romantisch. – Sie weisen mein Anerbieten zurück. Sie behaupten, dass Sie selbst sehr gern kutschieren. Sie können mich aber nicht anführen, ich merke, wie schlau Sie sind. Wenn Sie ein Stück gefahren sind, werden Sie absteigen, im Wald ist leicht ein Versteck zu finden. – Ich lasse mein Pferd satteln, ich begleite Sie zu Pferd. – So, jetzt bin ich fertig, jetzt sind Sie gegen jeden Überfall sicher. – Werden Sie nicht wieder so entsetzt. Ich komme gleich wieder. Ich wollte Ihnen nur etwas Angst einjagen, um Ihre natürliche Schönheit zu erhöhen. Sie wissen ja nicht, dass ich den Bauern besoffen gemacht habe, und ich habe mir doch kein beleidigendes Wort gegen Sie erlaubt. Noch kann alles wieder gut werden, ich werde der Sache eine Wendung geben, dass Sie über die ganze Geschichte lachen müssen. Ich wünsche nur eine kleine Situation mit Ihnen erlebt zu haben, glauben Sie aber niemals, dass ich ein junges Mädchen überrumple. Ich bin ein Freund der Freiheit, und was ich nicht frei erhalte, daran liegt mir gar nichts. – »Sicher sehen Sie selbst ein, so können Sie die Reise nicht mehr fortsetzen. Ich muss auf die Jagd gehen, deswegen bin ich zu Pferd. Aber mein Wagen steht dort fertig. Befehlen Sie, so wird er im Augenblick hier sein, um Sie, wohin Sie wünschen, zu fahren. Leider kann ich nicht selbst das Vergnügen haben, Sie zu begleiten, ich bin durch ein Jagdversprechen gebunden, und solche Versprechen sind heilig.« – Sie nehmen es an. – Alles wird im Augenblick zu Ihren Diensten sein. – So, jetzt dürfen Sie nicht im geringsten verlegen werden, wenn Sie mich nächstes Mal sehen, werden Sie jedenfalls nicht mehr verlegen, als Ihnen gut steht. Vielleicht werden Sie diese Geschichte amüsant finden, etwas darüber lachen und ein wenig an mich denken. Mehr verlange ich nicht. Es erscheint wenig, mir ist es genug. Es ist der Anfang, und in der Kunst anzufangen, bin ich stark. –

Es war eine kleine Gesellschaft gestern Abend bei der Tante. Ich wusste, Cordelia würde eine Arbeit in die Hand nehmen, ich hatte ein Billet in dieselbe gelegt. Sie verlor es, hob es auf und war sehnsuchtsvoll bewegt. Unglaublich ist es, welche Vorteile man haben kann, wenn man die Situation zu Hilfe nimmt. Ein kleines Billet, an und für sich unbedeutend, wird, in solchem Augenblick gelesen, unendlich bedeutsam. Sie fand keine Gelegenheit, mich zu sprechen, ich hatte es so arrangiert, dass ich verpflichtet war, eine Dame nach Hause zu begleiten. Also musste sie bis heute warten. Um so tiefer prägte sich der Eindruck in ihre Seele. Es sieht immer so aus, als erwiese ich ihr stets neue Aufmerksamkeit; ich bin also überall in ihren Gedanken, immer überrasche ich sie.

Welch eigene Dialektik hat doch die Liebe. Einmal war ich in ein junges Mädchen verliebt, und vorigen Sommer in Dresden, da sah ich eine Schauspielerin, die war ihr täuschend ähnlich. Deshalb wünschte ich ihre Bekanntschaft zu machen, das gelang mir auch, und da überzeugte ich mich, wie gross die Unähnlichkeit war. Heute begegnete ich auf der Strasse einer Dame, die mich an jene Schauspielerin erinnerte. Diese Geschichte kann »in infinitum« fortgehen.

Meine Gedanken umgeben überall Cordelia, wie durch Engel lasse ich sie von ihnen umringen Wie in ihrem Wagen die Venus von Tauben gezogen wurde, so sitzt sie in ihrem Triumphwagen und meine Gedanken sind wie geflügelte Wesen vorgespannt. Sie selbst sitzt wie ein Kind froh und reich, und wie eine Göttin allmächtig da; ich schreite neben ihr. Wahrhaftig, ein junges Mädchen ist und bleibt das »Venerabile« der Natur und» des ganzen Universums. Niemand weiss das besser wie ich. Sie lächelt mir zu, sie grüsst mich, sie winkt mir, als ob sie meine Schwester wäre. Ein Blick von mir erinnert sie daran, dass sie meine Geliebte ist.

Die Liebe kennt viele Positionen. Cordelia macht gute Fortschritte. Sie sitzt auf meinen Knieen, sie schlingt ihren Arm weich und warm um meinen Hals, und legt sich leicht an meine Brust. Leicht, ohne körperliche Schwere, die weichen Formen berühren mich kaum; wie eine Blume windet sich ihre reizende Gestalt um mich. Ihr Blick versteckt sich hinter dem Augenlid; ihr Busen ist blendend weiss, wie Schnee, so glatt, dass mein Auge nicht darauf ruhen kann ohne zu gleiten. Wenn der Busen sich hebt, was bedeutet diese Bewegung. Bedeutet es Kälte? Vielleicht eine Ahnung, ein Traum von der wirklichen Liebe. Der Traum ist noch ohne Energie. Sie umarmt mich abstrakt, wie der Himmel einen Heiligen umarmt, leise, wie ein Hauch eine Blume umarmt. Unbestimmt küsst sie mich, wie der Himmel das Meer küsst, still, mild, wie der Tau die Blume küsst, feierlich, wie das Meer das Bild des Mondes küsst.

In diesem Augenblick würde ich ihre Leidenschaft naiv nennen. Aber der Situationswechsel tritt jetzt ein. Ich ziehe mich ernsthaft zurück, bietet sie auch alles auf, mich wirklich zu fesseln: sie hat dazu kein anderes Mittel als das Erotische, nur offenbart es sich bei ihr ganz anders. Es ist in ihrer Hand zu einem Schwert geworden, und sie schwingt es gegen mich. Ich selbst, ich habe die nachdenkende Leidenschaft. Sie kämpft für sich, da sie erkannt hat, dass ich das Erotische im Besitz habe, sie kämpft für sich, und will mich überwinden, und verlangt selbst in den Besitz der höheren Art des Erotischen zu kommen. Was sie zuerst nur ahnte, als ich sie mit meiner Liebe erwärmte, das kommt ihr jetzt zum Verständnis durch meine kalte Art und Weise, aber sie empfindet, als habe sie es entdeckt, und will mich mit dieser Entdeckung gefangen nehmen. Ihre Leidenschaft wird fest, energisch, dialektisch; ihr Kuss umfassend, ihr Umarmen hiatisch.

Sie findet bei mir ihre Freiheit, und findet sie reicher, je enger ich sie einschliesse. Die Verlobung muss jetzt aufgehoben werden. Ist das geschehen, so verlangt sie etwas Ruhe, damit in dem erregten Sturm sich nichts Unschönes äussert. Sie sammelt dann nochmals ihre Leidenschaft, und in dem Augenblick wird sie mein.

Wie ich schon früher durch den seligen Eduard indirekt um ihre Lektüre bemüht war, so bin ich es jetzt direkt. Ich biete ihr das, was ich für die beste Nahrung halte: Mythologie und Märchen. Doch hierin wie in allem andern soll sie Freiheit haben; ich komme hinter ihre geheimsten Gedanken, und das ist mir nicht sehr schwierig, weil ich sie ihr eingegeben habe.

Wandern die Dienstmädchen im Sommer nach dem Tiergarten hinaus, so ist das im allgemeinen ein unschönes Vergnügen. Einmal im Jahr sind sie nur da und wollen deshalb so viel als möglich davon haben. So ziehen sie denn mit Hut und Shawl aus. Diese Lustigkeit wirkt übertrieben, hässlich und lasciv. Nein, ich bin mehr für den Frederiksborg-Garten. Sie gehen am Sonntagnachmittag dorthin und ich auch. Alles ist dort fein sittlich und dezent, und die Fröhlichkeit ist sanfter und edler. Überhaupt, Männer, welche keinen Sinn für Dienstmädchen besitzen, verlieren im Verkehr dort mehr als die Dienstmädchen.

Diese verschiedenartigen Scharen von Dienstmädchen kommen mir als die schönste Wehrkraft Dänemarks vor. Ich, wenn ich König wäre, ich wüsste, was ich zu thun hätte: Nicht Revuen über die Linientruppen halten, sondern über die Dienstmädchen. Und wenn ich von den zweiunddreissig Stadtverordneten einer wäre, ich würde ein Wohlfahrts-Komitee ernennen, das müsste durch Rat und That die Dienstmädchen aufmuntern, eine geschmackvolle und sorgfältige Toilette zu erfinden. Soll denn Schönheit so unbemerkt durchs Leben gehen? Einmal in der Woche mögen sie sich doch in dem Licht zeigen, in dem sie am schönsten strahlen. Aber zuerst Geschmack und richtige Begrenzung. Nicht gleich einer Dame soll ein Dienstmädchen daherkommen, nein, nicht so! Aber würde man einem wünschenswerten Aufblühen der Dienstmädchenklasse entgegensehen, so würde das auch den Töchtern in den Häusern gut thun. O, könnte ich dieses goldene Zeitalter erleben, wie würde ich da mit gutem Gewissen den ganzen Tag auf den Strassen der Stadt spazieren, und mich an so viel Schönheit ergötzen. Meine Gedanken schwärmen, glaube ich, zu weit und kühn, und zu patriotisch. Aber ich bin ja auch in Frederiksborg draussen, wohin die Dienstmädchen am Sonntagnachmittag gehen und ich auch. – – Bauerndirnen kommen zuerst, mit ihren Geliebten Hand in Hand, oder voran alle Mädchen Hand in Hand, hinterher alle Burschen, oder ein anderes Bild, zwei Dirnen und ein Bursch. Diese Schar bildet die Umrahmung, sie stehen und sitzen gern vor dem Pavillon bei den Bäumen. Frisch sind sie und kerngesund, nur ist die Farbe der Haut und auch die Tracht etwas zu grell. Dann kommen Mädchen aus Jütland und Fünen. Hoch, schlank, etwas zu voll, und ihr Anzug ein wenig unordentlich. Das Komitee hätte bei ihnen viel zu thun. Auch fehlen nicht die Repräsentantinnen der Bornholm-Division: dralle Köchinnen, aber man darf ihnen weder in der Küche noch in Frederiksborg zu nah kommen; sie haben etwas stolz Abweisendes. Ihre Anwesenheit wirkt hauptsächlich durch den Kontrast, ich vermisse sie hier draussen nur ungern, aber ich lasse mich nicht gern mit ihnen ein. Kerntruppen kommen jetzt: Mädchen von Nyboder. Klein, zierlich gewachsen, munter, fröhlich, lebhaft plaudernd, ein wenig kokett. Ihr Anzug gleicht am meisten dem einer Dame: sie tragen keinen Shawl, bloss ein Tuch, keinen Hut, höchstens eine kleine niedliche Haube und gehen am liebsten mit blossem Kopf. – – –

 

Ah! sieh da, guten Tag, Marie! Hier draussen treffe ich Sie also? Wie lange ich Sie nicht gesehen habe. Sie sind wohl immer noch bei Kommerzienrats? – »Ja!« – Sicher eine ausgezeichnete Kondition? – »Ja.« – Aber wie allein sie hier draussen sind? Haben Sie keine Begleitung . . . keinen Schatz? Er hat heute vielleicht keine Zeit oder erwarten Sie ihn noch? – Wie, Sie sind nicht verlobt? Das ist aber unmöglich. So ein schönes Mädchen, und ein Mädchen, das bei einem Kommerzienrat dient, so ein Mädchen, das sich so hübsch und . . . so fein hergerichtet hat. Welch ein reizendes Taschentuch Sie da in der Hand haben, vom feinsten Leinen, . . . ich wette, zehn Mark kostet es, . . . manche feine Dame hat nicht so ein schönes, . . . französische Handschuhe auch . . . seidenen Regenschirm . . . Und ein Mädchen so wie Sie, die sollte nicht verlobt sein? Das ist ja gar nicht möglich.

Wenn ich mich nicht irre, Jens hielt recht viel von Ihnen, Sie wissen es. Jens, der Jens bei dem Grossisten im zweiten Stock, . . . nicht wahr, ich hab' es geraten? . . . Warum verlobten Sie sich nicht? Jens war ein hübscher Kerl, hatte eine gute Anstellung, vielleicht wäre er durch den Einfluss des Grossisten Polizeidiener oder in einem Palais Heizer geworden, das wäre keine schlechte Partie . . . Gewiss sind Sie selbst schuld, Sie waren zu hart zu ihm. Nein! aber ich habe gehört, Jens soll schon einmal verlobt gewesen sein, hat aber das Mädchen gar nicht schön behandelt . . . Was Sie da sagen! Wer hat denn das von Jens gesagt … ja, die Gardisten, … die Gardisten, . . . man kann denen nicht trauen . . . ganz recht haben Sie gehandelt . . . wahrlich, ein Mädchen so wie Sie, die darf sich nicht wegwerfen, dazu sind Sie zu gut . . . Ich stehe Ihnen dafür, Sie machen einmal noch eine bessere Partie. – – – Wie geht es mit Fräulein Juliane? Habe sie lange nicht gesehen. Hübsche Marie, Sie könnten mir gewiss dies oder jenes berichten, . . . wenn man selbst eine unglückliche Liebe gehabt hat, dann hat man Verständnis für die Leiden der Mitmenschen . . . hier sind zu viel Leute, . . . wir können hier nicht miteinander plaudern, . . . wollen Sie mich aber einen Augenblick anhören, meine reizende Marie, . . . sehen Sie, hier ist ein schattiger Weg, die Bäume verbergen uns vor den Menschen, hier wo wir niemand sehen, keinen Laut hören, sondern nur leises Echo der Musik, . . . hier möchte ich Ihnen ein Geheimnis sagen, … Nicht wahr, wäre Jens kein schlechter Mensch gewesen, so würdest Du hier mit ihm spazieren gegangen sein, Arm in Arm, hättest auf die Musik gehört und vielleicht auch noch Höheres genossen – – Weshalb so aufgeregt? – Gieb Jens auf. . . . Willst Du mich mit Ungerechtigkeit behandeln? Ich kam nur hierher, um Dich zu treffen . . . Und nur um Dich zu sehen, deshalb bin ich öfters zum Kommerzienrat gekommen . . . Du hast es gemerkt, nicht wahr? . . . Immer wenn ich konnte, kam ich an der Küchenthür vorbei . . . Werde mein . . . man soll uns von der Kanzel aufbieten . . . ich will Dir morgen Abend alles erklären . . . oben bei der Küchenthür, die Thüre links, gerade der Küchenthür gegenüber. . . . Lebe wohl, auf Wiedersehen morgen, schöne Marie . . . Niemand darf erfahren, dass Du mich hier draussen gesehen hast, Du kennst jetzt mein Geheimnis. – – –

Wirklich reizend ist sie. Es liesse sich aus der etwas machen. – Habe ich erst meinen Fuss in ihre Kammer gesetzt, werde ich uns von der Kanzel selbst aufbieten. Ich habe von jeher versucht, das brave griechische αὐτάρκεια zu bewahrheiten und einen Pfarrer als überflüssig zu erklären.

Könnte ich es einmal so einrichten und hinter Cordelia stehen, wenn sie einen Brief von mir bekommt, das würde mich wahrhaftig interessieren. Dann würde ich leicht erfahren können, wie tief erotisch sie ihn auf sich wirken lässt. Alles in allem, Briefe bleiben immer ein unbezahlbares Mittel, um auf junge Mädchen Eindruck zu machen; oft hat der tote Buchstabe viel mächtigeren Einfluss als das gesprochene Wort. Ein Brief ist eine geheimnisvolle Kommunikation; man ist Herr der Situation, man fühlt sich nicht durch Anwesende beengt, und ein junges Mädchen will am liebsten mit ihrem Ideal allein sein, das will sagen in gewissen Augenblicken, in den Augenblicken besonders, wo ihr Herz am stärksten erschüttert ist. Hat ihr Ideal in bestimmten geliebten Menschen einen vollkommenen Ausdruck entdeckt, so sind Sekunden da, wo sie sich klar macht, in dem Ideal liegt ein Zauber, den die Wirklichkeit nicht bietet. Man muss dem jungen Mädchen diese grossen Versöhnungsfeste geben, nur muss man sie auch richtig anwenden, das junge Mädchen darf nie ermatten, sondern von ihnen gestärkt zur Wirklichkeit zurückkehren. Dazu sind die Briefe gut, sie machen, dass man in diesen heiligen Stunden hoher Weihe, ungesehen und geistig dabei ist, wobei die Vorstellung der wirklichen Person des Verfassers des Briefes, einen natürlichen und freiwilligen Übergang zu der Wirklichkeit bietet.

Kann ich jemals auf Cordelia eifersüchtig werden? Tod und Teufel, ja! Und doch wieder anders betrachtet, nein! Würde ich einsehen, ihr Wesen würde zerstört, und nicht werden wie ich es wünsche – dann würde ich sie losgeben, selbst wenn ich meinen Nebenbuhler besiegen könnte.

Ein alter Philosoph sagte, wenn man alles, was man erlebte, genau niederschreiben würde, so könne man, ehe man es sich versehe, ein Philosoph werden. Ich habe jetzt lange Zeit in Beziehung zur Gemeinschaft der Verlobten gelebt. Solch ein Verhältnis muss doch Frucht tragen. Schon dachte ich daran, mir das Material zu einer Schrift zu sammeln, die ich betiteln will: »Beiträge zur Theorie des Kusses, gewidmet allen zärtlich Liebenden.« Es wundert mich, dass keiner noch über dieses Thema ein Werk niederlegte. Sollte ich damit fertig werden, so würde ich sicher damit einem langgefühlten Mangel abhelfen. – Übrigens, ich kann jetzt schon einzelne Winke geben. Bei einem richtigen Kuss müssen die Handelnden ein Mädchen und ein Mann sein. Zwischen Männern hat ein Kuss keinen Geschmack, – oder was schlimmer ist, er flösst Abscheu ein. – Ich glaube weiter, ein Kuss kommt der Idee näher, wenn ein Mann ein Mädchen küsst, als wenn ein Mädchen einen Mann küsst. Ist mit den Jahren in diesem Verhältnis eine Indifferenz eingetreten, so verlor der Kuss Sinn und Wert. Besonders gilt dies von dem ehelichen Hauskuss, womit Mann und Frau einander den Mund abwischen, weil sie keine Servietten haben, und dabei heisst es: »Gesegnete Mahlzeit.«

Ist der Altersunterschied zu gross, so liegt der Kuss ausserhalb seiner Idee. Dabei erinnere ich mich an die erste Klasse einer Mädchenschule in einer Provinzialstadt, die einen besonderen Terminus hatte: »Den Justizrat küssen«, womit sie eine nichts weniger als angenehme Vorstellung verbanden. Die Geschichte dieses Terminus ist die: Ein Schwager der Lehrerin, der bei ihr wohnte, war Justizrat gewesen, und glaubte als ein älterer Herr sich erlauben zu dürfen, die jungen Mädchen zu küssen. – Der Kuss muss Ausdruck einer gewissen Leidenschaft sein. Bruder und Schwester, die zugleich Zwillinge sind, wenn die einander küssen, dann wird das kein richtiger Kuss. Ebenso ist es beim Pfänderspiel, ebenso bei einem gestohlenen Kuss.

Ein Kuss als symbolische Handlung hat nicht viel zu bedeuten, wenn das Gefühl, das er ausdrücken soll, nicht dabei ist; und nur unter gewissen Verhältnissen ist dieses Gefühl vorhanden.

Teilt man Küsse in verschiedene Kategorien ein, so kann man sich auch verschiedene Einteilungsprinzipien denken. Man kann sie einteilen nach dem Laut. Leider reicht die Sprache hierzu für meine Beobachtungen, die ich gemacht habe, nicht aus. Ebenso glaube ich kaum, dass die Sprachen der ganzen Welt den nötigen Vorrat von Onomatopoetika haben werden, um Unterschiede hierin auszudrücken, wie ich sie im Hause meines Onkels vernahm. Diese sind bald schnalzend, bald grunzend, klatschend, knallend, bald ächzend, bald saftig, bald hohl, oder wie Kattun u. s. w. u. s. w. – Auch nach der Berührung kann man die Küsse einteilen: hierin giebt es den tangierenden Kuss oder den Kuss en passant und den festklebenden. – Auch nach der Zeit kann man die Küsse einteilen: der kurze und der lange. Es giebt bei der Zeiteinteilung noch eine andere Einteilung, diese eigentlich ist die einzige, die mir behagt: man unterscheidet den ersten Kuss und all die übrigen. Der erste Kuss ist von den übrigen auch qualitativ verschieden. Daran denken nur wenige Menschen, und es wäre schade, wenn es nicht wenigstens einen gäbe, der darüber nachdenkt.

Meine Cordelia!

Wie ein süsser Kuss, so ist eine gute Antwort, sagt Salomo. Du weisst es, ich bin ein böser Fragesteller, ich habe darüber schon viel hören müssen. Es kommt davon, man versteht nicht, wonach ich frage; denn nur Du, Du verstehst es allein und nur Du allein verstehst es zu antworten, und Du, Du allein giebst die gute Antwort; denn »wie ein süsser Kuss, so ist die gute Antwort«, sagt Salomo.

Dein Johannes

Es ist ein Unterschied zwischen geistiger und irdischer Erotik. Bis jetzt versuchte ich in Cordelia die geistige Erotik auszubilden. Nun muss ich meine persönliche Gegenwart anders wirken lassen, sie darf nicht nur akkompagnieren, sie muss versuchend auftreten. In diesen Tagen habe ich mich beständig darauf vorbereitet und deshalb den bekannten locus im Phädrus über die Liebe studiert. Mein ganzes Wesen ist davon elektrisiert, denn das giebt mir ein herrliches Präludium. Wahrhaftig, Plato verstand die Erotik durch und durch.

Meine Cordelia!

Von Aufmerksamen Schülern sagt der Lateiner, sie hängen am Mund ihres Lehrers. Alles ist für die Liebe ein Vergleich und in der Liebe wird der Vergleich Wirklichkeit. Hältst Du mich nicht für einen fleissigen und aufmerksamen Schüler? Aber Du antwortest mit keinem Wort.

Würde ein anderer als ich diese Entwicklung leiten, er wäre sicher zu klug, um sich leiten zu lassen. Würde ich unter den Verlobten einen Eingeweihten um Rat fragen, würde er wahrscheinlich in erotischer Kühnheit einen Sprung in die Luft machen und sagen: in diesen Positionen der Liebe suche ich vergeblich eine Klangfigur, es giebt keine dafür, wenn die Liebenden von ihrer Liebe sprechen. Meine Antwort wäre, es freut mich, dass Du diese Figur umsonst suchst, denn die gehört gar nicht zu dem Gebiet Erotik, nicht mal, wenn man das Interessante mit hineinzieht. Die Liebe ist zu substantiell, um sich mit Geplauder zu genügen. Die erotischen Situationen sind zu bedeutungslos, um sie mit Gesprächen auszufüllen. Sie sind schweigsam, still, in bestimmten Linien gezogen, und doch schönredend, wie die Musik der Memnonsäule. Eros machte Bewegungen, aber er spricht nicht dabei; oder wenn er spricht, so sind es rätselhafte Andeutungen, eine bildliche Musik. Die erotischen Situationen sind entweder plastisch oder malerisch, aber dass zwei von ihrer Liebe sprechen, das ist weder plastisch noch malerisch. Die soliden Brautleute fangen aber immer mit solchen Gesprächen an, die später der zusammenhängende Faden ihrer Ehe werden. Die Gespräche werden dann auch der An fang dazu und das Pfand dafür, dass in ihrer Ehe jene Mitgift nicht vermisst wird, von der Ovid sagt: dos est uxoria lites. [Die Mitgift der Frau ist Zank.]

Muss gesprochen werden, so ist genug, wenn einer spricht. Der Mann soll sprechen und soll deswegen im Besitz von einigen der Eigenschaften sein, die im Besitz der Venus waren, als sie mit ihrem Gürtel bethörte: Die Gabe des Sprechens und die süsse Schmeichelei, das heisst das Anzügliche.

Daraus ergiebt sich noch nicht, dass Eros stumm ist, oder dass es erotisch unrichtig ist, zu sprechen. Nur muss das Gespräch selbst erotisch sein, und sich nicht in erbaulichen Betrachtungen über Lebensaussichten u. s. w. verlieren. Und das Gespräch soll im Grunde doch nur als ein Ausruhen von der eigentlichen erotischen That angesehen werden, als ein Zeitvertreib, nicht als das Höchste. Eine solche Art, sich zu unterhalten, ein solches confabulatio ist göttlich, und ich meinerseits werde nie daran ermüden, mich mit einem jungen Mädchen zu unterhalten. Es ist mir gerade so undenkbar, als sollte ich des Atmens müde werden. Das Eigentümliche bei solchen Gesprächen ist das vegetative Wachsen der Konversation. Die Unterhaltung hält sich an der Erde und hat kein eigentliches Ziel. Der Zufall ist das Gesetz ihrer Bewegungen, aber Tausendschön ist der Name dafür und für die Wirkungen.

 

Dein Johannes

Meine Cordelia!

»Mein – Dein,« wie eine Parenthese umschliessen diese Worte den ärmlichen Inhalt meiner Briefe. Merktest Du, dass die Entfernung zwischen den Armen derselben kürzer wird? O meine Cordelia! Es ist wirklich schön, dass die Parenthese um so bedeutungsvoller wird, je inhaltsschwerer sie ist.

Dein Johannes

Meine Cordelia!

Ist eine Umarmung ein Kampf?

Dein Johannes

Cordelia verhält sich im allgemeinen schweigend. Das habe ich immer gern gehabt. Eine so tiefe weibliche Natur plagt einen nicht mit dem Hiatus, jener Redefigur, die sonst das Weib ganz besonders anwendet, ja die sogar unentbehrlich bei ihr wird, wenn der Mann, der den vorangehenden oder nachher begrenzenden Konsonanten bilden soll, auch schwach wie ein Weib ist. Jede einzelne kurze Bemerkung verrät oft, wieviel in ihr verborgen ist. Dann bin ich ihr behilflich. Es ist oft, als ob hinter einem Menschen, der mit unsicherer Hand einzelne Umrisse einer Zeichnung skizziert, ein anderer Mensch steht, der alles abrundet und genialer vervollkommnet. Das überrascht sie selbst, und es ist ihr doch ebenso, als ob sie es erdacht hätte und es ihr gehörte. Ich wache immer über ihr, über jeder zufälligen Äusserung, jedem rasch hingeworfenen Ausdruck, und indem ich es ihr wiedergebe, gebe ich ihr immer etwas Bedeutsameres, sie erkennt es und kennt es doch nicht.

Heute waren wir in einer Gesellschaft. Wir hatten kein Wort miteinander gewechselt. Als man vom Tisch aufstand, kam der Diener und meldete Cordelia, es sei ein Bote da, der sie zu sprechen wünsche. Dieser Bote war von mir, er brachte einen Brief, der enthielt Andeutungen über eine Äusserung, die ich bei Tisch gemacht hatte. Es war mir gelungen, mich in die allgemeine Tischunterhaltung hineinzumischen, sodass Cordelia, trotzdem sie weit von mir sass, mich notwendigerweise hören und missverstehen musste. Daraufhin war der Brief berechnet. Wäre es mir gelungen, der Tischunterhaltung die erwünschte Richtung zu geben, so hätte ich selbst aufgepasst, den Brief zur richtigen Zeit zu konfiszieren. Sie kam wieder herein, sie musste ein wenig lügen. So etwas verstärkt die erotische Geheimnisthuerei, ohne das kann sie nicht ihren angewiesenen Weg gehen.

Meine Cordelia!

Glaubst Du, wenn einer seinen Kopf auf den Hügel der Elfen legt, er im Traum das Bild einer Elfe sieht? Ich weiss es nicht, aber ich weiss: ruht mein Kopf an Deiner Brust, und schliesse ich mein Auge nicht, sondern blicke empor, so sehe ich das Antlitz eines Engels. Glaubst Du, wenn einer seinen Kopf auf einen Elfenhügel legt, dass er nicht ruhig liegen kann? Ich glaube es nicht, aber das weiss ich, lege ich meinen Kopf an Deine Brust, so wird er zu stark bewegt, sodass der Schlaf sich nicht auf meine Augen herablassen kann.

Dein Johannes

Der Würfel ist gefallen. Jetzt muss die Wendung kommen. Heute war ich bei ihr, hingerissen von meiner Idee, die mich stark bewegte. Für sie hatte ich weder Aug' noch Ohr. Die Idee selbst war so interessant, dass sie sich gefesselt fühlte. Sehr thöricht wäre es von mir, hätte ich die neue Operation dadurch eingeleitet, dass ich mich in ihrer Gegenwart kalt gemacht hätte.

Wenn ich jetzt von ihr fortgegangen bin, und die Idee selbst erfüllt sie nicht mehr, so erinnert sie sich doch, dass ich anders als gewöhnlich war. Wie schmerzlich wird ihr diese Entdeckung sein, sie wird langsam aber sicherer wirken, noch dazu, da ihr diese Änderung in einer einsamen Stunde bewusst wird. Sie kann nicht sofort aufbrausen und später sind zu viel Gedanken auf sie eingestürmt, sie findet nicht Zeit, alle auszusprechen, sondern es bleibt immer das Residuum eines Zweifels in ihrer Seele zurück. Die Unruhe vergrössert sich, die Briefe hören auf, erotische Nahrung wird ihr sparsamer zugeteilt, und Liebe als etwas zum Lachen reizendes verspottet. Sie geht vielleicht einen Moment mit, auf die Dauer kann sie es nicht ertragen. Sie versucht deshalb, mich durch mein eigenes Mittel zu fesseln, durch das Erotische.

Fragt man, wann darf eine Verlobung aufgehoben werden, respektive, wann muss eine Verlobung aufgehoben werden, so ist jedes kleine Mädchen ein grosser Kasuist; zwar wird in den Schulen kein eigener Kursus darüber gehalten, doch alle Mädchen sind sehr orientiert, sobald diese Frage besprochen wird. Es müsste diese Frage eigentlich in den letzten Schuljahren zu den stehenden Examina gehören, wenn ich auch weiss, dass Aufsätze in den höheren Töchterschulen sehr ermüdend sind, gewiss würde dieses Problem dem Scharfsinn eines Mädchens ein weites Gebiet öffnen. Und weshalb soll einem Mädchen nicht Gelegenheit geboten sein, seinen Scharfsinn in glänzender Weise zu offenbaren. Es wird doch auch offenbar, wenn ein Mädchen genügend reif – zur Verlobung ist? –

Ich habe einmal eine Situation erlebt, die mich sehr interessierte. In einer Familie, die ich oft besuchte, waren eines Tages die älteren Mitglieder ausgegangen und zwei junge Töchter des Hauses hatten eine Menge Freundinnen zum Nachmittagskaffee eingeladen. Es waren acht, alle im Alter von sechzehn bis zwanzig Jahren. Es hatten wahrscheinlich keinen Besuch erwartet, und vielleicht sogar dem Dienstmädchen gesagt, keinen Besuch anzunehmen. Trotzdem kam ich hinein und merkte deutlich, sie wurden etwas überrascht Gott weiss, was junge Mädchen bei solchen Zusammenkünften zu besprechen haben. Zuweilen kommen auch verheiratete Frauen so zusammen. Diese lesen dann Pastoral-Theologie vor, vor allem werden wichtige Fragen behandelt, ob es richtiger ist, bei dem Metzger Kontobuch zu haben oder kontant zu bezahlen, ob man es erlauben soll, dass die Köchin einen Schatz hat, und wie man mit dieser Erotik, die das Kochen verspätet, umgehen soll. – – – Ich bekam meinen Platz mitten in dem schönen Haufen. Es war ein Vorfrühling. Die Sonne sandte hie und da wie Eilboten ihrer Ankunft einige Strahlen. Das Zimmer selbst hatte noch etwas Winterliches, und eben deswegen hatten die Strahlen etwas von Vorboten. Der Kaffee duftete auf dem Tisch und ringsherum sassen die jungen Mädchen, fröhlich, frisch, blühend, ausgelassen, denn die Angst hatte sich bald gelegt, und was war denn auch zu fürchten, sie waren ja stark genug.

Es gelang mir, die Aufmerksamkeit und das Gespräch auf die Frage zu lenken, in welchem Fall eine Verlobung aufgehoben werden soll. Während mein Auge die Lust genoss, von der einen Blume zur andern in diesem Haufen von jungen Mädchen zu flattern, und sich daran ergötzte, bald auf der einen, bald auf der andern Schönheit zu ruhen, freute sich mein äusseres Ohr, in der Musik der Stimmen zu wühlen, und meinem inneren Ohr behagte es, das eben Gesagte aufmerksam auszuhorchen. Ein einziges Wort war mir auch völlig genug, und gab mir einen tiefen Blick in das Herz und in die Geschichte so eines Mädchens. Wie verführerisch doch die Wege der Liebe sind, und wie interessant ist es, zu erforschen, wie weit ein jeder gekommen ist. Doch wie sehr ich auch immer hetzte und wie sehr auch Geist,« Frische und ästhetische Objektivität dazu beitrugen, das Verhältnis freier zu machen, die Grenze des Erlaubten wurde doch nicht im geringsten überschritten. Während wir so miteinander in den leichten Regionen der Konversation scherzten, schlief für mich darunter eine Möglichkeit, die guten Kinder in eine fatale Verlegenheit zu versetzen. Die jungen Mädchen begriffen es nicht und ahnten es kaum. Durch das leichte Spiel des Gespräches wurde die Möglichkeit jeden Augenblick zurückgedrängt, gleichwie in »Tausend und eine Nacht« Schehersad das Todesurteil durch Märchenerzählen fernhält.