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Tagebuch des Verführers

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7. April. »Also Montag um ein Uhr auf der Ausstellung«. Sehr gut, ich werde die Ehre haben mich drei Viertel Eins einzufinden. Ein kleines Rendezvous. Sonnabend beschloss ich schnell und lustig eine Visite bei meinem verreisten Freund Adolf Braun zu machen. Um sieben Uhr Abends begab ich mich in die Westergade, wo man mir gesagt hat, dass er wohnen sollte. Er war nicht zu finden, nicht einmal in der dritten Etage, wo ich ganz atemlos hinaufkam. Als ich wieder die Treppe hinuntergehe, wird mein Ohr von einer weiblichen melodischen Stimme berührt, die halblaut sagt: »Also Montag um ein Uhr auf der Ausstellung; da sind die andern aus, aber Du weisst, ich darf Dich nie hier zu Hause sehen«. Die Einladung galt nicht mir, aber einem jungen Menschen, der mit eins, zwei, drei zur Thür hinauslief, so schnell, dass nicht einmal mein Auge, noch minder meine Beine ihn erreichen konnten. Warum hat man nicht Gas auf den Treppen, dann könnte ich mich doch wenigstens überzeugen, ob es sich lohnte, so pünktlich zu sein. Doch wäre Gas dagewesen, so hätte ich vielleicht nichts zu hören bekommen. Das Bestehende ist doch das Vernünftigste, ich bin und bleibe ein Optimist . . . Wer ist sie jetzt? Auf der Ausstellung wimmelt es ja von jungen Mädchen, um die Worte von Donna Anna im Don Juan anzuwenden. Es ist präcis drei Viertel Eins! Meine schöne Unbekannte! Möchte doch Ihr Zukünftiger in jedem Fall so pünktlich sein wie ich, oder wünschen Sie vielleicht, dass er nie ein Viertel zu früh käme? Wie Sie wünschen, ich bin zu jedem Dienst bereit. . . »Reizende Zauberin, Fee oder Hexe, lass Deine Nebel verschwinden«, offenbare Dich, Du bist gewiss schon da, aber unsichtbar für mich, verrate Dich, denn sonst darf ich wohl keine Offenbarung erwarten. Sollte es vielleicht mehrere hier geben, mit derselben Absicht wie Sie? Wohl möglich. Wer kennt des Menschen Wege, selbst wenn er auf Ausstellungen geht. – – Da kommt ein junges Mädchen in das Vorzimmer, schneller laufend als das böse Gewissen nach dem Sünder. Sie vergisst ihr Billet abzugeben, der rote Portier hält sie an. Gott behüte, welche Eile! Sie muss es sein. Warum so heftig, es ist noch nicht ein Uhr. Erinnern Sie sich doch, Sie wollten Ihren Geliebten treffen; bei einer solchen Gelegenheit kann es doch nicht gleichgültig sein, wie man aussieht. Wenn solch junges unschuldiges Blut zu einem Rendez-vous geht, so stürzt sie hinzu wie ein Rasender. Sie ist ganz ausser Fassung gekommen. Ich dagegen sitze hier ganz bequem in meinem Stuhl und betrachte ein schönes Landschaftsbild. . . . Zum Teufel, was für ein Mädchen, sie stürmt durch alle Zimmer. Sie sollten allenfalls Ihre Begierde etwas verstecken. Erinnern Sie sich, was man zu Jungfrau Lisbeth in Erasmus Montanus sagt: Es passt sich nicht, dass ein junges Mädchen derart lüstern nach dem Beischlaf ist Selbstverständlich, Ihr Rendez-vous ist eines von den unschuldigen. – – – Ein Rendez-vous zwischen Geliebten wird gewöhnlich als das Schönste angesehen. Ich selbst erinnere noch so deutlich als wäre es gestern, das erste Mal, da ich zum verabredeten Platz eilte, mit einem Herzen so reich und doch so unbekannt mit der Freude, die mich erwartete, das erste Mal, da ich dreimal in die Hände klatschte, das erste Mal, da sich ein Fenster öffnete, das erste Mal, da eine kleine Gartenpforte von einem Mädchen unsichtbar geöffnet wurde – das erste Mal, dass ich ein Mädchen in der hellen Sommernacht unter meinem Mantel verbarg. Doch in ein Urteil darüber mischt sich viel Illusion. Der ruhige Beobachter findet nicht immer, dass die Geliebten in diesem Augenblick am schönsten sind. Ich bin Zeuge gewesen, wo der Totaleindruck, trotzdem das Mädchen reizend und der Mann schön war, fast widrig berührte. Wenn man erfahrener wird, gewinnt man gewissermassen; wohl verliert man die süsse Unruhe der ungeduldigen Sehnsucht, aber man bekommt genug Beherrschung, um den Augenblick wirklich schön zu gestalten. Ich ärgere mich, wenn ich einen Mann bei solcher Gelegenheit so verwirrt sehe, dass er vor lauter Liebe ein delirium tremens bekommt. Was verstehen denn Bauern von Gurkensalat? Statt ruhig ihre Unruhe zu gemessen, sie ihre Schönheit aufflammen zu lassen, und sie erglühen zu lassen, schafft ein solcher Liebhaber eine unschöne Konfusion, und kehrt froh heim und bildet sich ein, es war herrlich. – – – Aber zum Teufel, wo bleibt der Mensch, es ist bald zwei Uhr. Ja, sie sind eine sonderbare Menschengattung, die Verliebten. So ein Schlingel lässt ein junges Mädchen auf sich warten. Nein, da bin ich ein anderer zuverlässiger Mensch! Das Beste ist, ich rede sie an, wenn sie jetzt zum fünften Mal an mir vorbeikommt. »Verzeihen Sie meine Dreistigkeit, schönes Fräulein, Sie suchen gewiss Ihre Familie hier? Sie sind mehrmals an mir vorbeigegangen, und indem mein Auge Ihnen folgte, bemerkte ich, Sie blieben immer im vorletzten Zimmer stehen. Vielleicht wissen Sie nicht, dass noch ein Zimmer drinnen ist, vielleicht treffen Sie dort die, welche Sie suchen.« Sie verbeugt sich vor mir, es steht ihr sehr gut. Die Gelegenheit ist günstig, es freut mich, dass der Mensch nicht kommt, man angelt am besten im unruhigen Wasser. Wenn ein junges Mädchen aufgeregt ist, kann man vieles wagen, was sonst misslich wird. Ich habe mich vor ihr so fremd als möglich verbeugt, ich sitze wieder auf meinem Stuhl und betrachte die Landschaft und halte mein Auge auf sie gerichtet. Sie sofort zu begleiten war zu viel gewagt, man könnte glauben, ich wäre aufdringlich; und dann ist sie auf der Hut; jetzt meint sie, ich hätte sie aus Teilnahme angeredet und ich bin gut bei ihr angeschrieben.

Ich weiss, dass keine Seele in dem letzten Zimmer ist. Die Einsamkeit wird günstig auf sie wirken; so lange sie viele Leute um sich sieht, ist sie unruhig, wenn sie etwas allein ist, wird sie still. Ganz richtig, sie bleibt drinnen. Nach einer Weile komme ich nach, so ganz en passant. Ich habe noch zu einer Anrede Recht. Sie ist mir beinahe einen Gruss schuldig. Sie hat sich gesetzt. Armes Mädchen, sie sieht so wehmütig aus. Sie hat geweint, glaube ich, oder wenigstens Thränen im Auge gehabt. Es ist empörend, – ein solches Mädchen zu Thränen zu bringen. Aber sei ruhig, Du sollst gerächt werden, ich werde Dich rächen. Er soll zu wissen bekommen, was es heisst, zu warten. – Wie schön sie ist, jetzt wo die Windstösse sich gelegt haben, und sie ruht in einer einzigen Stimmung aus. Ihr Wesen ist Wehmut und Harmonie der Schmerzen. Sie ist wirklich hinreisend. Sie sitzt da in ihrem Reisekleid, und doch sitzt sie nicht da, als ob sie wegreisen will. Sie zog es nur an, um in die Freude hinauszuziehen, jetzt ist es ein Symbol für ihren Schmerz. Sie ähnelt der, von der die Freude fortzieht. Sie sieht aus, als nehme sie für immer vom Geliebten Abschied. Lass ihn laufen! – Die Situation ist günstig, der Augenblick winkt. Jetzt gilt es, mich so auszudrücken, dass es aussieht, als wäre ich der Meinung, sie suche ihre Familie oder eine Gesellschaft hier, und doch muss ich es auch so warm sagen, dass jedes Wort mit ihren Gefühlen sich deckt. Dabei bekomme ich Gelegenheit, mich in ihre Gedanken einzuschleichen. – – Der Teufel hole den Schlingel. Kommt da nicht jetzt ein Individuum angestiegen, welches ohne Zweifel er selbst ist. Hat man je solch einen Esel gesehen. Jetzt, wo eben die Situation so ist, wie ich sie mir wünschte. Ja, ja, etwas wird wohl doch noch dabei herauskommen. Ich muss ihr Verhältnis tangieren, eine Rolle in der Situation mitspielen. Wenn sie mich wiedersieht, wird sie unwillkürlich über mich lachen, mich, der glaubte, sie suche ihre Familie hier, während sie etwas ganz anderes suchte. Dieses Lächeln macht mich zu ihrem Vertrauten, das ist doch etwas. . . . . Tausend Dank, mein Kind, dies Lächeln ist mir viel mehr wert, als Du glaubst, das ist der Anfang, und der Anfang ist immer das Schwerste. Jetzt sind wir Bekannte, und unsere Bekanntschaft ist auf einer pikanten Situation gegründet. Für mich ist das allenfalls im Augenblick genug. Mehr als eine Stunde bleibt Ihr nicht hier. In zwei Stunden weiss ich, wer Sie sind. Warum, glauben Sie sonst, hielte die Polizei Volkszählung?

9. April. Bin ich blind? Verlor das innerste Seelenauge seine Sehkraft? Ich habe sie gesehen, einen Augenblick nur, aber wie eine Offenbarung des Himmels, und jetzt ist mir ihr Bild wieder ganz verloren gegangen. Vergeblich suche ich es mir zurückzurufen. Und doch würde ich sie unter Hunderten wiedererkennen. Sie ist fort, vergeblich sucht meine Sehnsucht sie mit dem Auge der Seele. – Ich promenierte auf der »Langen Linie« scheinbar ohne auf meine Umgebung zu achten, doch zugleich blieb meinem spähenden Blick nichts unbemerkt – plötzlich sah ich sie. Ohne länger dem Willen seines Herrn zu folgen, blieb mein Blick auf ihr haften. Es war mir unmöglich, eine einzige Bewegung zu machen, ich sah nicht, ich starrte. Wie ein Fechter, der am Platz bleibt, so blieb mein Auge unverändert, versteinert, in der einmal angenommenen Richtung. Es war mir unmöglich es niederzuschlagen, es war mir unmöglich meinen Blick in mir zu verbergen, unmöglich etwas zu sehen, weil ich zu viel sah! Das einzige was ich bemerkt, habe, war ein grüner Mantel, den sie trug. Das ist das Ganze. Man muss sagen, das heisst nur die Wolke sehen anstatt Juno. Eine ältere Dame begleitete sie, ihre Mutter glaube ich. Diese kann ich ganz deutlich beschreiben, obgleich ich sie kaum angeschaut habe, höchstens en passant. So kann es einem ergehen. Das Mädchen, das Eindruck auf mich machte, habe ich vergessen. Sie ist von mir geflohen wie Joseph von der Frau des Potiphar, nur ihr Mantel blieb mir.

14. April. Meine Seele ist noch in denselben Widersprüchen eingeschnürt. Ich weiss, dass ich sie gesehen habe, aber ich weiss auch, dass ich sie wieder vergessen habe, und so vergessen, dass der Rest von Erinnerung, der blieb, nicht sehr erquicklich ist. Mit einer Unruhe und einer Heftigkeit, als ob mein ganzes Wohl auf dem Spiel stünde, fordert meine Seele dieses Bild. Und doch zeigt es sich nicht mehr, ich möchte mein Auge herausreissen und es strafen, dass es so leicht vergessen kann. Wenn meine Ungeduld ausgetobt hat, wenn es in mir still wird, da ist es, als ob Ahnung und Erinnerung ein Bild webten, das ich aber doch nicht zu voller Gestaltung und in ruhige Umrisse bringen kann. Es ist wie ein Muster von feinstem Gewebe, das Muster aber ist heller als der Grund und kann nicht allein gesehen werden, weil es zu hell ist. Ich befinde mich in einem sonderbaren Zustand. Doch ist er an und für sich etwas Angenehmes. Das Angenehme ist ausserdem noch das, dass er mich überzeugt, ich bin noch jung. Und noch eine andere Beobachtung an mir überzeugt mich von meiner Jugend, nämlich, dass ich meine Beute unter jungen Mädchen suche und nicht unter jungen verheirateten Frauen. Eine verheiratete Frau hat weniger Natur und mehr Koketterie, ein Verhältnis zu einer solchen ist nie schön, noch interessant, es ist pikant und das Pikante ist immer das Letzte. – Ich hatte nicht erwartet, noch einmal den Rahm erster Verliebtheit abzuschöpfen. Ich bin aber noch einmal in Verliebtheit geraten, also kein Wunder wenn ich ein bischen verwirrt bin. Um so besser, desto mehr verspreche ich mir aus dem Verhältnis. Ich kenne mich selbst kaum wieder. Mein Herz stürmt wie ein aufgewühltes Meer in leidenschaftlichem Sturm. Wenn mich ein anderer sehen könnte, würde er meinen, ein Schiff schneide mit der Spitze die hohe Mut und müsse auf dieser schrecklichen Fahrt in die Tiefe stürzen. Er sieht nicht den Matrosen, der oben im Mast sitzt und Ausschau hält. Stürmt zu, ihr wilden Elemente, wenn auch die Leidenschaftswogen Schaum in die Wolken werfen, ihr schlagt nicht über mir zusammen, ich sitze ruhig, ich bin ein Felsenkönig. Aber ich kann nur schwer Fuss fassen, wie die Wasservögel suche ich mich vergebens im wilden Meer meines Gemütes niederzulassen, und doch, solcher Aufruhr ist mein Element, ich baue darauf, wie der Eisvogel, der sein Nest auf das Meer baut. Die Truthähne brausen auf, wenn sie Rot sehen, mir geht es ebenso, wenn ich Grün sehe, jedesmal, wenn ich einem grünen Mantel begegne; und wie mein Auge mich oft betrügt, wie oft standen alle meine Erwartungen bei den grünen Trägern von Frederlis Krankenhaus.

 

20. April. Sich beherrschen können, ist für jeden Genuss sehr wichtig. Mir scheint fast, ich sehe und höre nie wieder etwas von dem Mädchen, das mir Seele und Gedanken gefangen hält. Doch ich will mich ganz ruhig verhalten; diese dunkle und unklare Gemütsstimmung hat auch ihren starken Zauber. Ich liebte von jeher während einer Mondnacht auf einem oder dem andern unserer wunderbaren Seen in einem Boot zu liegen. Ich raffe die Segel, ziehe die Ruder ein, lege mich in ganzer Länge ins Boot und betrachte den Himmel über mir. Wenn die Wellen das Boot an ihrer Brust wiegen, wenn die Wolken vor dem Nachtwind hintreiben, so dass der Mond für Augenblicke kommt und geht, so giebt mir diese Unruhe Ruhe. Die Wellen schläfern mich ein, ihre Musik ist ein einförmiges Wiegenlied; das eilende Ziehen der Wolken, das Fliehen von Licht und Schatten berauscht mich und ich träume im Wachen. So liege ich auch jetzt da mit gerafften Segeln, die Ruder eingezogen, und ich lasse mich von Sehnen und ungeduldigem Erwarten hin und her treiben. Sehnsucht und Erwartung werden stiller und stiller, seliger und seliger, sie liebkosen mich wie ein Kind. Aber die Hoffnung wölbt ihren Himmel über mir, ein Bild, ihr Bild, schwebt unbestimmt wie der Mond an mir vorüber, bald mich mit seinem Licht blendend, bald mich beschattend, welch ein Genuss, sich so auf dem zitternden Wasser zu wiegen, – welch ein Genuss, bewegt zu werden!

21. April. Die Tage vergehen und immer bin ich noch in demselben Zustand. Mehr als jemals finde ich an den jungen Mädchen Freude und habe doch zum Genuss keine Lust. Das verstimmt mich oft, umschleiert mein Auge und stört mich. Bald kommt jetzt die schöne Zeit, wo man im öffentlichen Strassenleben das aufkaufen darf, was man im Laufe des Winters im Gesellschaftsleben teuer genug bezahlt hat; denn alles kann ein junges Mädchen vergessen, aber nie eine Situation. Das Gesellschaftsleben bringt einen wohl in die Nähe des schönen Geschlechtes, aber es hat nicht Schwung genug, um dort eine wirkliche Geschichte anzufangen. Im Salon ist das junge Mädchen gewappnet, die Situation ist toujours le même, sie bekommen niemals ein wollüstiges Zittern. Auf der Strasse aber sind sie auf hoher See, da wirkt alles viel eingehender, weil alles viel rätselhafter ist. Für das Lächeln eines jungen Mädchens auf der Strasse gebe ich 100 Thaler, dagegen nicht zehn für einen Händedruck im Salon. Erst wenn die Geschichte angefangen hat, sucht man sich seine Beute im Salon. Man ist in seinem Verhältnis zu ihr in eine geheimnisvolle und verführerische Kommunikation getreten – das ist das wirksamste Insitament, welches ich kenne. Sie wagt nicht, davon zu reden und doch denkt sie daran. Sie weiss nicht, ob man es vergessen hat oder nicht; bald täuscht man sie auf die eine, bald auf die andere Weise. Dieses Jahr aber verschaffe ich mir gewiss keinen grossen Vorrat; dieses junge Mädchen beschäftigt mich zu viel. Mein Vorrat wird gewiss auf diese Weise mager, aber dadurch habe ich Aussicht, das grosse Los zu gewinnen.

5. Mai. Verfluchter Zufall! Ich habe Dich nie verflucht, wenn Du Dich zeigtest, aber jetzt verfluche ich Dich, weil Du Dich nicht zeigen willst. Oder soll es vielleicht von Dir eine neue Erfindung sein, unbegreifliches Wesen, unfruchtbare Mutter von allem, der einzige Rest, der noch von jener Zeit blieb, da die Notwendigkeit die Freiheit gebar, da die Freiheit sich wieder in den Mutterleib zurücknarren liess? Verdammter Zufall! Du mein einziger vertrauter Freund, einziges Wesen, das ich für würdig halte, mein Verbündeter und mein Feind zu sein, immer wechselnd und immer Dir selbst ähnlich, immer unbegreiflich, immer ein Rätsel! Du, den ich mit ganzer Hingabe meiner Seele liebe, in dessen Bild ich mich selbst schaffe, warum zeigst Du Dich nicht? Ich bettle nicht, ich rufe Dich nicht demütig an, dass Du Dich so oder so zeigen solltest, eine solche Gottesanbetung wäre ja Abgötterei und Dir nicht behaglich – ich fordere Dich zum Streit auf, – warum zeigst Du Dich nicht? Oder hat die Unruhe des Weltalls sich gelegt, ist ein Rätsel gelöst, dass auch Du Dich in das Meer der Ewigkeit gestürzt hast? Furchtbarer Gedanke, so ist ja die Welt vor Langeweile stehen geblieben. Verdammter Zufall, ich erwarte Dich. Ich will Dich nicht durch Prinzipien, oder was die Narren Charakter nennen, besiegen. Nein, ich will Dich dichten. Ich will nicht ein Dichter für andere sein, zeige Dich, ich dichte Dich, ich zehre mein eigenes Gedicht auf, und das ist meine Nahrung. Oder findest Du mich nicht würdig? Wie eine Bajadere zur Ehre Gottes tanzt, so habe ich mich Deinem Dienst geweiht. Leicht, dünn gekleidet, geschmeidig, unbewaffnet, entsage ich allem. Ich besitze nichts, ich will nichts besitzen, ich liebe nichts, ich habe nichts zu verlieren, aber bin ich dadurch Deiner würdiger geworden, Du, der wohl vor langer Zeit müde geworden ist, den Menschen das zu entreissen, was ihnen lieb ist, müde von ihren feigen Seufzern und Gebeten. Überrasche mich, ich bin bereit, kein Einsatz, lass uns nicht um die Ehre streiten. Zeige sie mir, zeige mir eine Möglichkeit, die eine Unmöglichkeit scheint, zeige sie mir in dem Schatten der Unterwelt; ich hole sie herauf, lass sie mich hassen, mich verachten, gegen mich gleichgültig sein, einen anderen lieben, ich fürchte mich nicht; aber bewege das Wasser, brich die Stille ab, so in dieser Weise mich auszuhungern, ist elend von Dir, der sich einbildet, stärker als ich zu sein.

6. Mai. Der Frühling ist da. Alles schlägt aus, auch die jungen Mädchen. Die Mäntel werden fortgelegt, vermutlich wird mein grüner auch fortgelegt. Das kommt davon, wenn man ein Mädchen auf der Strasse kennen lernt und nicht im Salon, wo man sofort Bescheid bekommt, aus welcher Familie sie ist, wo sie wohnt, ob sie verlobt ist. – Das letzte ist eine sehr wichtige Auskunft für alle ruhigen und ernsthaften Freier, denen es nie einfällt, in ein verlobtes Mädchen verliebt zu werden. So ein Passgänger würde in tödlicher Angst sein, wenn er an meiner Stelle wäre, er wäre ganz zerstört, wenn seine Bestrebungen, sich Aufklärung zu verschaffen, vom Glück gekrönt würden, und wenn er noch dazu erführe, dass sie verlobt wäre. Mich kümmert das nicht viel. Ein Verlobter ist nur eine komische Schwierigkeit. Ich fürchte weder komische noch tragische Schwierigkeiten. Was ich fürchte, ist nur die Langeweile. Noch habe ich keine einzige Auskunft erlangt, trotzdem ich gewiss nichts versäumte und oft fühlte ich die Wahrheit des Dichterwortes: nox et hiems longaeque viae saevique dolores mollibus his castris, et labor omnis inest.

Vielleicht wohnt sie gar nicht hier in der Stadt, vielleicht ist sie vom Lande, vielleicht, vielleicht, ich kann wahnsinnig über alle diese »vielleicht« werden, und je rasender ich werde, desto mehr »vielleicht«! Immer habe ich Geld liegen, um eine Reise zu machen. Vergebens suche ich sie im Theater, auf Konzerten, Bällen, Promenaden. In einem gewissen Grad freut es mich, denn ein junges Mädchen, das an vielen Vergnügen teilnimmt, ist gewöhnlich nicht wert, erobert zu werden; ihr fehlt meistens Ursprünglichkeit, welches für mich ein conditio sine qua non ist und bleibt. Es ist nicht so unmöglich, unter Zigeunern eine Preciosa zu finden, als in den Ballsälen, wo junge Mädchen sich zum Verkauf bieten – in aller Unschuld natürlich, Gott behüte, wer sagt etwas anderes!

12. Mai. Ja, mein Kind, warum blieben Sie nicht ruhig unter dem Thor stehen. Es ist gar nichts Auffallendes, wenn junge Mädchen beim Regenwetter sich unter ein Thor stellen. Das thue ich auch, wenn ich kein Parapluie habe, zuweilen auch, wenn ich es habe, wie jetzt zum Beispiel. Übrigens weiss ich mehrere geachtete Damen, die es ohne Bedenken thun. Man bleibt ganz ruhig stehen, kehrt den Rücken gegen die Strasse, so dass die Vorübergehenden nicht einmal wissen, ob man da steht oder ob man im Begriff ist, zu jemanden ins Haus zu gehen. Dagegen unvorsichtig ist es, sich hinter das Thor zu verbergen, wenn dieses noch dazu halb offen steht, das ist unvorsichtig wegen der Folgen; denn je mehr man sich versteckt, desto unangenehmer ist es, überrascht zu werden. Hat man sich indessen versteckt, so muss man ganz ruhig stehen bleiben, sich seinem guten Genius und Schutzengel empfehlen, besonders muss man nicht immer hinausgucken, – um zu sehen, ob der Regen vorbei ist. Will man das nämlich wissen, so macht man entschlössen einen Schritt vorwärts und schaut den Himmel ernst an. Wenn man dagegen ein bischen neugierig, verlegen, ängstlich, unsicher den Kopf vorsteckt und zurückzieht, – so versteht jedes Kind diese Bewegung, man nennt dieses »Verstecken spielen«. Und ich, der immer gern mitspielt, ich würde nicht antworten, wenn ich gefragt würde. . . . Glauben Sie jedoch nicht, dass ich einem beleidigenden Gedanken über Sie Raum gebe. Sie hatten nicht die fernste Absicht, den Kopf herauszustrecken, das war die unschuldigste Sache von der Welt. Als Gegenleistung dürfen Sie mich nicht in Ihren Gedanken beleidigen, mein guter Name und mein Ruf erträgt das nicht. Ich rate Ihnen, nie einem Menschen von dieser Begebenheit zu sprechen. Auf Ihrer Seite wäre das Unrecht. Ich habe nichts anderes zu thun gedacht, als was jeder Kavalier thun würde, Ihnen mein Parapluie anzubieten. . . . – –Wo ist sie hin verschwunden? Brillant, sie hat sich in der Thür des Hausmeisters versteckt – Es ist ein wundervolles kleines Mädchen, so munter und zufrieden. – »Vielleicht könnten Sie mir über eine junge Dame Aufklärung geben, die in diesem heiligen Moment den Kopf aus dem Thor heraussteckte, die sicher wegen eines Parapluies in Verlegenheit ist, ich und mein Parapluie suchen sie.« – »Sie lachen, erlauben Sie vielleicht, dass ich morgen meinen Diener schicke und es abholen lasse, oder wünschen Sie, dass ich einen Wagen für Sie holen soll?« – Keinen Dank, es ist nur schuldige Höflichkeit. – Sie ist eine von den fröhlichsten Mädchen, die ich seit langem gesehen, ihr Blick ist so kindlich und zugleich so herausfordernd, ihr Wesen entzückend sittsam und doch ist sie neugierig. Ziehe in Frieden, mein Kind, wenn nicht ein grüner Mantel wäre, hätte ich wohl gern die nähere Bekanntschaft mit Dir gewünscht. – Sie geht die grosse Strasse hinunter, wie unschuldig, wie vertrauensvoll war sie, keine Spur von Prüderie. Wie leicht sie geht, wie keck sie den Nacken wirft, – der grüne Mantel fordert Selbstüberwindung. –

15. Mai. Danke, guter Zufall, nimm meinen Dank. Schlank war sie und stolz, geheimnisvoll und gedankenreich war sie wie eine Tanne, wie ein Sprössling, wie ein Gedanke, der tief aus dem Innern der Erde nach dem Himmel emporstrebt. Unerklärlich, sich selbst unerklärlich, ein Ganzes, das keine Teile hat. Die Buche hat eine Krone, ihre Blätter erzählen, was unter ihr vorgegangen ist, die Tanne hat keine Krone, keine Geschichte, und ist sich selbst ein Rätsel – so war auch sie. Sie war sie selbst, in sich selbst verborgen. Selbst stieg sie aus sich selbst heraus, ein ruhiger Stolz war in ihr, wie die dreiste Biegsamkeit der Tanne, trotzdem sie an die Erde gefesselt ist. Eine Wehmut war über sie gebreitet, wie das Gurren der Waldtaube. Eine tiefe Sehnsucht, die nichts wünschte, ein Rätsel war sie, ein Rätsel, das selbst seine eigene Auflösung besass, ein Geheimnis. Und was sind die Geheimnisse aller Diplomaten gegen dieses, ein Rätsel. Und was ist in der Welt so schön als das Wort, das das Rätsel löst. Wo ist doch die Sprache so bezeichnend, so prägnant, wie in diesem Wort »lösen«! Welcher Doppelsinn liegt nicht darin, wie schön und wie stark geht es nicht durch alle Kombinationen, in denen dies Wort vorkommt. Wie der Reichtum der Seele ein Rätsel ist, so lange das Zungenband nicht gelöst ist, und dadurch das Rätsel löst, so ist auch ein junges Mädchen ein Rätsel. – – – – Danke, guter Zufall, nimm meinen Dank. Wenn ich sie in der Winterzeit zu sehen bekommen hätte, da wäre sie wohl in ihren grünen Mantel eingewickelt gewesen, vielleicht ganz erfroren und die Bitterkeit der Natur hätte ihr die Schönheit vermindert. Aber jetzt, welches Glück! Ich bekam sie zum ersten Mal im Frühling, in der schönsten Zeit des Jahres, zu sehen, bei Nachmittagsbeleuchtung. Der Winter hat natürlich auch seine Vorteile. Ein brillant erleuchteter Ballsaal kann gut ein schöner Rahmen für ein zum Ball gekleidetes junges Mädchen sein; aber teils zeigt sie sich hier selten ganz zu ihrem Vorteil, eben weil alles sie dazu auffordert und ob sie dieser Aufforderung nachgiebt oder Widerstand leistet, beides wirkt störend; teils erinnert alles an Eitelkeit und Vergänglichkeit, und ruft eine Ungeduld hervor, die den Genuss minder erfrischend macht. Zu gewissen Zeiten möchte ich zwar einen Ballsaal entbehren, aber ich möchte nicht seinen kostbaren Luxus vermissen, seinen reichen Überfluss an Jugend und Schönheit, sein wechselndes Spiel von Elementen, ich geniesse dort jedoch nicht so viel, weil ich nur in Möglichkeiten wühle. Es ist nicht eine einzige Schönheit, die dort fesselt, aber das Ganze. Ein Traumbild schwebt an einem vorbei; worin alle diese weiblichen Wesen sich zusammenmischen, und alle diese Bewegungen suchen etwas, suchen Ruhe in einem Bild, das nicht geschehen wird.

 

Es war auf dem Wege zwischen dem Nord- und Ostthor. Es mochte ungefähr halb Sieben sein. Die Sonne hatte ihre Kraft verloren, nur die Erinnerung an den Tag leuchtete noch aus dem sanften Abendrot, und die Landschaft war purpurn gefärbt. Die Natur atmete freier. Die See war klar wie ein Glas, die hübschen Gebäude des Bleydammen spiegelten sich im Wasser, das Wasser war in langen Streifen wie Metall dunkel. Der Pfad und die Gebäude des anderen Ufers wurden von schwachen Sonnenstrahlen gezeichnet. Nur hie und da eine leichte Wolke am reinen Himmel, und ihre Bilder glitten hin und verschwanden auf der blanken Stirn der See. Kein Blatt bewegte sich an den Ufern. – Sie war es. Mein Auge betrog mich nicht, doch trotzdem ich mich lange auf diese Stunde vorbereitet hatte, konnte ich meine Unruhe nicht beherrschen. In mir war ein Steigen und Fallen, wie das der Lerche, die über den nahen Feldern mit ihrem Liede stieg und fiel. Sie war allein, wie sie gekleidet war, habe ich vergessen und doch habe ich ein Bild von ihr. Sie war allein, und schien nicht mit sich, sondern mit ihren Gedanken allein zu sein. Sie dachte nicht, aber die Gedanken hatten ein ersehntes Bild vor ihrer Seele auftauchen lassen, ahnungsvoll und unerklärlich, wie die Seufzer eines jungen Mädchens. Sie stand in ihrer schönsten Zeit. Ein junges Mädchen entwickelt sich in mancher Hinsicht nicht wie ein Knabe, sie wächst nicht, sie wird geboren. Ein Knabe fängt sofort an, sich zu entwickeln und braucht dazu lange Zeit, ein junges Mädchen wird lange geboren und wird erwachsen geboren. Darin liegt ihr unendlicher Reichtum; im Augenblick, wo sie geboren wird, ist sie erwachsen, aber dieser Geburtsaugenblick kommt spät. Daher wird sie zweimal geboren, das zweite Mal ist dann, wenn sie sich verheiratet, oder besser: in diesem Augenblick hört sie auf, geboren zu werden, erst in diesem Augenblick ist sie geboren. So geht es nicht nur der Minerva, die vollendet aus Jupiters Stirn springt, nicht bloss der Juno, die in vollem Reiz aus dem Meere auftaucht, so geht es jedem jungen Mädchen, deren Weiblichkeit nicht durch das, was man Entwicklung nennt, verdorben wurde. Sie erwacht nicht allmählich, sondern mit einem Mal. Dagegen träumt sie um so länger, wenn die Menschen nicht so unvernünftig sind, sie zu früh zu wecken. Dieses Träumen ist ein unendliches Reichsein.

Sie war beschäftigt, aber nicht mit sich selbst, sondern in sich selber, und dies innere Arbeiten ihrer Seele war ein unendlicher Friede, eine tiefe Ruhe in sich selber. Das ist eines jungen Mädchens Reichtum, nimmt man diesen Reichtum auf, wird man selbst reich davon. Sie ist reich, ohne zu wissen, was sie besitzt, sie ist reich und ist ein Schatz. Ein stiller Friede war über ihr, und ein zarter Schatten von Wehmut verklärte sie.

Sie schien mir so leicht, als könnte man sie mit einem Blick aufheben, leicht wie Psyche, von der man sagt, Genien können sie forttragen, ja sie war noch leichter, denn sie trug sich selbst fort. Mögen die Kirchenväter über die Himmelfahrt der Madonna streiten, mir ist es nicht unbegreiflich, aber die Leichtigkeit eines jungen Mädchens ist mir unbegreiflich, und spottet allen Gesetzen der Schwere.

Sie bemerkte nichts und glaubte sich deshalb auch unbemerkt. Ich ging von weitem und verschlang ihr Bild. Sie ging langsam, keine Hast störte ihren Frieden oder die Umgebung. Ein Knabe sass am See und angelte, sie blieb stehen, betrachtete den Wasserspiegel und den Kork der Angelschnur. Sie war nicht rasch gegangen, aber sie schien doch warm geworden zu sein, und knüpfte ein kleines Tuch am Hals unter ihrem Shawl auf. Dem Knaben gefiel es wahrscheinlich nicht, dass er beobachtet wurde und schaute sich mit einem gelangweilten Ausdruck nach ihr um. Der kleine Kerl sah dabei so komisch aus, so dass sie über ihn lachen musste. Und wie jugendlich sie lachte! Ihr Auge war gross und leuchtend, mit einem tief dunkeln Spiegel, in dem man Tiefes ahnen konnte, aber er liess sich nicht durchdringen, das Auge war rein und voll Unschuld, sanft und ruhig, und schelmisch, wenn sie lächelte. Ihre Nase war fein gebogen, von der Seite betrachtet, wurde sie etwas kürzer und kecker. Sie ging weiter gegen das Ostthor. Ich ging ihr nach, glücklicherweise waren mehrere Spaziergänger auf dem Weg, ich sprach bald mit dem einen und dem andern, und liess sie dadurch einen kleinen Vorsprung gewinnen, ich holte sie dann bald wieder ein, und brauchte auf diese Weise nicht immer gleichen Abstand mit ihr zu halten. Gern hätte ich sie, ohne selbst gesehen zu werden, näher gesehen. Von einem Hause einer mir bekannten Familie aus, das am Wege liegt, wäre das leicht möglich gewesen. Ich musste derselben also nur einen kurzen Besuch machen. Mit schnellen Schritten, als ob ich .sie gar nicht bemerkte, eilte ich an ihr vorüber. Ich überholte sie eine gute Strecke, begrüsste die Familie und stellte mich am Fenster, das nach der Strasse zu ging, scheinbar absichtslos, auf. Sie kam, ich sah sie an, betrachtete sie wieder und noch einmal, zugleich unterhielt ich mich mit der in der Wohnstube am Theetisch sitzenden Gesellschaft. Ihr Gang überzeugte mich, sie hatte noch keinen Tanzunterricht genommen, denn sie ging mit Stolz und natürlichem Adel und ohne Aufmerksamkeit auf sich selbst. Ich konnte von dem Fenster nicht die ganze Strasse sehen, nur eine kurze Strecke davon, und eine zum See führende Brücke. Zu meiner Überraschung entdeckte ich sie bald dort. Wohnte sie vielleicht draussen auf dem Lande ? Vielleicht wohnte ihre Familie dort für den Sommer. Da ich sie am äussersten Brückenende sah, schien mir wie ein Zeichen, als müsse sie jetzt wieder für mich verschwinden.