CH. Wenn ich nicht eine Seherin bin, die von Sinnen490
und kluger Einsicht ermangelt:
Kommen wird sie, die die Zukunft sieht,475
Dike, in Händen tragend gerechte Gewalt!
Kommen zu rächen wird sie, o Kind, in nicht ferner Zeit.
In mir wohnt Mut,
da ich von den sanft wehenden480
eben gehört, den Träumen.
Denn nie vergisst,
[26]der dich gezeugt, der Hellenen Herr,
noch das alte, aus Erz geschmiedete,
doppelschneidige Beil,485
das ihn erschlug in schändlichster Schmach.
Kommen wird sie, die vielfüßige, vielhändige,490
die in schaurigen Schlupflöchern lauert,490
die mit den ehernen Füßen: Erinys!
Denn blutige Gier nach Vermählung ohne bräutliches Lager,
ohne Braut, ohne Bräutigam kam über jene, denen’s verwehrt war.
Dafür – so meine Zuversicht –495
wird niemals, niemals unsres Erachtens,
ohne ihnen Grund zur Klage zu geben, ein Schrecktraum sich nahen
den Tätern und ihren Gehilfen. Wahrhaftig, sonst
gibt es keine Weissagungen den Sterblichen,
weder in furchtbaren Träumen
noch in Sprüchen der Götter,500
wenn dieses Nachtgesicht nicht sicher an Land kommt.
O du des Pelops vorzeiten[Epode
leidreiche Rennfahrt,505
wie bist du gekommen schauerlich
diesem Lande!
Denn seit der ins Meer versenkte
Myrtilos seine Ruh fand,
aus allgoldenem Wagen510
in unseliger Schmach
vernichtend geschleudert,
[27]ist nie mehr
gewichen von diesem Haus
leidreiche Schmach.515
KL.
Ungeniert, so scheint es, treibst du wieder dich herum;
Aigisthos nämlich ist nicht da, der stets dich hinderte,
dass vor den Türen du verweilst und deine Lieben schmähst.
Doch jetzt, da jener fort ist, kümmerst du dich nicht
um mich und hast doch oftmals schon vor vielen520
erklärt, dass dreist und abgelöst vom Recht
ich herrsche und Gewalt antue dir und dem, was dein.
Gewalt kenn ich zwar nicht, doch Schlimmes sag ich über dich,
da ständig Schlimmes ich von dir bekomm zu hören.
Der Vater nämlich, und nichts andres, dient allzeit als Vorwand dir:525
Er sei durch mich gestorben! Ja, durch mich! Schon recht!
Ich weiß es wohl und leugnen kann ich’s nicht,
und will es nicht, denn Dike hat ihn umgebracht, nicht ich allein.
An ihre Seite solltest du dich stellen, wärest du vernünftig!
Denn dieser Mann, dein Vater, den du stets bejammerst,530
hat es als einziger der Griechen übers Herz gebracht, den Göttern
[28]zu opfern deine Schwester, er, der nicht die gleichen Qualen litt
zu zeugen sie, wie ich, sie zu gebären.
So weit, so gut! Doch jetzt erklär mir: Wem zuliebe hat
er sie geopfert? Den Argeiern, meinst du wohl?535
Doch diese hatten nicht das Recht, mein Kind zu töten, grade meins!
Doch wenn er nun für Menelaos, seinen Bruder, das, was mein war, tötete,
sollt’ er mir dann dafür nicht Buße zahlen?
Wie? Hatte jener nicht zwei Kinder, die mit Fug und Recht
viel eher als das meine sterben mussten, da540
sie von dem Vater und der Mutter waren, der doch diese Seefahrt galt?
Oder erfasste Hades größre Lust nach meinen Kindern,
als nach den Kindern Helenas, sie zu verspeisen?
Oder war dem abgrundschlechten Vater zärtliches Empfinden
für meine Kinder abgestumpft, für die des Menelaos aber hegte er’s?545
Ist dies die Art nicht eines unbedachten, schlechtgesinnten Vaters?
Mir scheint es so, auch wenn mein Denken sich von deinem scheidet.
Und auch die Tote spräche gleich, wenn Stimme sie erlangte.
Ich für mein Teil empfind kein Unbehagen ob der Tat.
Doch scheint es dir, ich dächte schlecht,550
erwirb dir rechte Einsicht erst, eh du die andern schiltst!
EL.
Für dieses Mal kannst du nicht sagen: Weil ich dich zuerst
[29]gekränkt, hätt ich dann dies von dir gehört.
Doch wenn du’s mir erlaubst, so spräch ich gerne für
den Toten, für die Schwester auch, wie’s wirklich war.555
KL.
Gut, ich erlaub’s! Begännst du deine Reden stets
in diesem Ton, so wäre es nicht kränkend, dich zu hören.
EL.
So red ich! Du gestehst, dass du den Vater
ermordet hast. Gibt’s denn ein schändlicheres Wort als dies,
ob deine Tat gerecht war oder nicht? Doch sag ich dir:560
Nicht um das Recht zu wahren hast du ihn ermordet, nein, es riss
des Schurken Schmeichelkunst dich hin, mit dem du jetzt zusammenlebst.
Frag Artemis, die Jägerin, wofür zur Strafe
in Aulis sie die vielen Winde hemmte! Oder ich
will’s sagen, denn von ihr darf man’s ja nicht erfahren.565
Mein Vater scheuchte einst, so höre ich, als er im Hain der Göttin
sich tummelte, mit seinem Fußtritt einen buntgefleckten,
gehörnten Hirsch auf, über dessen Tötung
ein lautes Prahlwort ihm entfuhr, als er getroffen hatte.
Aus diesem Grund erzürnt, hielt Letos Tochter570
die Achaier auf, so lange, bis der Vater als
Ersatz fürs wilde Tier die eigne Tochter opfere.
So kam’s zu ihrer Opferung; nicht anders konnte sonst
das Heer nach Hause kommen noch nach Ilion.574
Deshalb hat er sie unter Zwang, nach großem Widerstand
und innerm Kampf geopfert, nicht Menelaos zuliebe.
Doch hätt er’s nun – ich nenn auch deine Sicht –
getan, weil er dem Bruder helfen wollte, musst’ er drum
durch dich getötet werden? Welcher Satzung denn gemäß?
[30]Sieh zu, wenn diese Satzung du den Menschen gibst,580
dass du dir selbst nicht Leid und Reue schaffst!
Denn soll man einen für den andern töten,
du würdest wohl als erste sterben, würde dir dein Recht zuteil.
Darum sieh zu, dass du mir nicht mit leerem Vorwand kommst!
Denn, wenn du magst, erkläre mir, warum du jetzt585
die allerschamlosesten Dinge tust:
Die du zusammen mit dem Mörder schläfst, mit dem
du meinen Vater vormals umgebracht
und Kinder machst, die frühren, gottesfürchtig und
von Gottesfürchtigen entsprossten aber ausgestoßen hältst!590
Wie könnte ich dies loben? Oder willst du sagen, dass
sogar damit Vergeltung du für deine Tochter nimmst?
Schmach, wenn du’s sagst! Denn ehrlos ist’s,
den Feind zum Mann zu nehmen um der Tochter willen!
Allein, nicht einmal dich zurechtzuweisen ist erlaubt,595
sonst zeterst du mit ganz enthemmter Zunge,
dass ich die Mutter schmähe. In der Tat, ich seh in dir
weit mehr die gnadenlose Herrin als die Mutter gegen mich,
die ich ein mühereiches Leben immer mitten in
den vielen Qualen lebe, die dein Buhle schafft und du.600
Doch er, der andre, deiner Hand nur knapp entronnen,
Orestes, schleppt da draußen hin ein kummervolles Leben;
schon oft hast du mich angeklagt, ich zög ihn dir
als Rächer groß. Auch dies, hätt ich die Kraft,
tät ich, das wisse wohl! Darum verschrei605
mich nur bei allen, wenn du willst, als schlecht,
als mundschnell oder gänzlich ohne Scham!
[31]Denn bin ich solcher Eigenschaften kundig von Natur,
so mach ich ohne Zweifel keine Schande deiner Art.
§1.
Ich sehe: Sie schnaubt Zorn! Ob sie sich aber610
ans Recht hält, darum seh ich sie nicht mehr besorgt.
KL.
Und welche Sorge schulde ich der gegenüber,
die ihre Mutter derart dreist beleidigt hat,
und das in diesem Alter! Meinst du nicht,
sie schritte, ohne Scham, zu jeder Tat?615
EL.
So wisse wohl, dass ich darüber Scham empfinde,
auch wenn ich dir’s nicht scheine! Doch ich seh es ein:
Nicht passt zu meinem Alter, was ich tu, verträgt sich nicht mit meinem Wesen.
Doch deine Niedertracht und deine Machenschaften,
sie zwingen mich, dass ich so handle, mit Gewalt!620
Aus Schändlichkeiten lernt man nämlich, Schändliches zu tun.
KL.
Gezücht, schamloses! Also ich und meine Worte
und meine Taten wirken, dass du maßlos sprichst!
EL.
Du bist es, die so spricht, nicht ich! Du tust die Tat;
die Taten aber finden ihre Worte.625
KL.
Bei Artemis, der Herrin, du entrinnst
den Folgen dieser Frechheit nicht, sobald Aigisthos kommt!
EL.
Siehst du? Im Zorn reißt es dich hin, und hast mir doch erlaubt,
zu sagen, was ich will, und weißt nicht einmal zuzuhören.
§1.
So willst du nicht einmal mich opfern lassen630
in andachtsvoller Stille, nun, nachdem ich dir ein freies Wort erlaubt?
EL.
Ich lass dich, bitt dich, opfre! Klage nur
nicht meinen Mund an! Denn ich werde nichts mehr sagen.
[32]KL. (tritt zum Altar; zur Dienerin). So hebe du denn, die du bei mir stehst, empor die Opfer
aus Früchten aller Art, dass ich zu diesem Herrn hinauf635
Gebete schicke um Erlösung von den Ängsten, die ich jetzt empfind.
Nun, Phoibos, Schirmer, höre mein
verhülltes Reden! Denn nicht unter Freunden
erfolgt die Rede, und es ziemt sich nicht, im Licht hier alles
zu entfalten, da ja diese nahe bei mir steht,640
damit sie nicht aus bösem Willen und mit viel Geschrei
ein nichtiges Gerücht ausstreue in der ganzen Stadt.
Drum höre so mich an, denn so will ich auch reden!
Die ich in dieser Nacht gesehen habe, die Gesichte
zweideut’ger Träume, diese lass, Lykeios, Herr,645
wenn günstig sie erschienen sind, sich mir erfüllen,
wenn aber feindlich, schick sie umgekehrt den Feinden zu!
Und trachten manche, aus dem Reichtum, der vorhanden,
mich tückisch zu verjagen, duld’ es nicht, nein, gib,
dass immer ich so leb in einem heilen Leben650
und der Atriden Haus und dieses Szepter führe,
verbunden mit den Lieben, die mir jetzt verbunden sind,
die Tage gut verlebend und mit Kindern,
von denen keine Feindschaft oder bittres Leid mich trifft!
Dies, Lykischer Apollon, höre gnädig an655
und gib uns allen, wie wir innig es erflehn!
Doch alles andre, wenn ich’s auch mit Schweigen decke,
das weißt du, denk ich, als ein Daimon ganz genau;
denn die von Zeus abstammen, sehen fraglos alles.
(Klytaimestra verharrt stumm am Altar; da kommt von der Seite der alte Erzieher.)
[33]ERZ. Ihr fremden Fraun, wie könnt ich klar erfahren,660
ob dies Aigisthos’ Haus ist, eures Herrschers?
CH.
Dies ist es, Fremder! Selbst hast du es recht vermutet.
ERZ.
Vermute ich auch recht in dieser Frau des Herrn
Gemahlin? Einer Fürstin gleich sieht sie ja augenfällig aus!
§1.
Gewiss! Sie ist es, die hier vor dir steht.665
ERZ.
O Herrin, sei gegrüßt! Ich bringe frohe Kunde
von einem Freunde, dir und Aigisthos.
KL.
Ich nehm dein Wort als gutes Omen an. Doch erst
wünsch ich zu wissen, wer dich hergesandt.669
ERZ.
Phanoteus, der Phoker, Wichtiges dir mitzuteilen.
KL.
Das wäre, Fremder? Sprich! Denn da von einem Freund du kommst,
weiß ich genau: Das Wort, das du uns bringst, wird freundlich sein.
ERZ.
Tot ist Orestes, sag ich, kurz mich fassend!
EL.
Oi, ich Arme! Aus ist es mit mir mit diesem Tag!
§1.
Was sagst, was sagst du, Fremder? Höre nicht auf die!675
ERZ.
Dass tot Orestes ist, das sag ich jetzt wie schon zuvor!
EL.
Ich Unglücksel’ge bin vernichtet, bin nichts mehr!
KL.
(zu Elektra). Befass du dich mit deinem Zeug! (Zum Erzieher.) Mir aber, Fremder,
erzähl die Wahrheit! Wie kam er zu Tode?
§1.
Das eben ist mein Auftrag: Alles will ich dir denn schildern.680
Orestes war gekommen zum berühmten Wettkampf, Hellas’ Zierde,
um Delphis Siegespreise zu gewinnen,
und als er nun den Mann vernommen hatte, der
[34]mit lautem Heroldsruf zum Wettlauf rief, der sich zuerst entscheidet,684
da trat er strahlend in die Bahn, für alle dort ein Wunder.
So, wie er strahlend aussah, war das Ende seines Laufs:
Den allgeehrten Siegespreis in Händen schritt er aus der Bahn.
Und um dir viel in wenig Worten mitzuteilen,
nie sah ich eines solchen Mannes Taten und Triumphe.
Nur eins: In jedem Kampf, zu dem das Kampfgericht aufrief,690
[Wettlauf, Doppellauf, Fünfkampf, wie es Brauch,]
gewann er jedes Mal den Siegespreis
und ward gepriesen, ausgerufen als Argeier, mit dem Namen
Orestes, Agamemnons Sohn, der einstmals Hellas’
berühmten Heereszug versammelte.695
So also war das nun! Doch wenn ein Gott
Verderben bringt, kann selbst der Starke dem wohl nicht entrinnen.
Denn als bei Sonnenaufgang eines andern Tags
der rossbespannten Wagen schneller Wettkampf war,
trat er nebst vielen andern Wagenlenkern in die Bahn.700
Achaier war da einer, einer war von Sparta, zwei
Libyer, Meister der gejochten Wagen,
und unter diesen auch Orestes mit
Thessaler-Stuten als der fünfte; sechster ein Aitolier
mit falben Fohlen, aus Magnesia ein siebter;705
der achte kam mit Schimmeln, ein Ainiane,
ein neunter aus Athen, dem gotterbauten,
und ein weitrer, ein Boiotier, machte voll die Zehnzahl der Gespanne.
[35]Sie stellten dort sich auf, wo die bestellten Kampfesrichter ihnen
die Plätze durch das Los gewiesen und die Wagen aufgestellt,710
und schossen los beim Stoß der Erztrompete; alle trieben sie
durch Zuruf ihre Pferde an und schüttelten beidhändig
die Zügel; und die ganze Rennbahn war erfüllt
vom Lärm der ratternden Gefährte, und es wirbelte
hoch auf der Staub, und alle, eng sich drängend,715
sparten nicht die Peitschen, dass ein jeder
der andern Naben und der Pferde Schnauben überhole.
Denn um der Lenker Rücken und die Räder unten
versprühten Schaum der Pferde Atemstöße.
Doch jener, dicht heran sie lenkend an den Rand der Wendesäule,720
ließ stets an ihr des Rades Achse streifen und dem rechten Leinenpferd
die Zügel schießen, hielt jedoch das innre kurz.
Fürs erste standen alle sicher in den Wagen;
dann aber gehn die unlenksamen Füllen
des Ainianen durch und prallen, als er bei der Kehre725
die sechste Runde abschloss und die siebte schon begann,
mit ihren Stirnen aufs barkäische Gefährt.
Und dann, als Folge von dem einen Unglücksfall,
fiel einer auf den andern, ihn zerschmetternd, und das ganze Feld
von Krisa war mit Trümmern aus dem Schiffbruch der Gespanne übersät.730
Wie dies der meisterhafte Zügellenker aus Athen bemerkt,
[36]reißt er nach außen sein Gefährt und bremst es ab und meidet so den Schwall
der Pferd’ und Wagen, die sich mitten in der Rennbahn ganz verknäueln.
Als letzter fuhr, bewusst zurück die Füllen haltend,
Orestes im Vertrauen auf die letzte Runde.735
Und wie er sieht, wie einzig der Athener noch verblieben ist,
jagt er den flinken Füllen einen scharfen Peitschenknall durchs Ohr
und hetzt ihm nach; die Joche bündig haltend,
fuhren dahin die beiden, jetzt der eine, dann der andere
das Haupt nach vorne werfend seines Rossgespanns.740
Und alle andern Runden bracht’ der Arme glücklich,
ohne zu wanken, hinter sich, ganz aufrecht auf aufrechtem Wagen.
Dann aber straffte er den linken Zügel seines Pferds,
das um die Säule bog, und unversehens stieß
er an den Rand der Wendesäule, brach die Naben an der Achse mitten durch,745
glitt aus dem Wagenstuhl, verfing sich in
den Lederriemen, und, als er zu Boden stürzte, stoben
die Füllen auseinander mitten in die Bahn.
Und wie das Volk ihn aus dem Wagen
geschleudert sieht, brach es in lautes Klagen um den Jüngling aus,750
dass er nach solchen Taten solches Unglück fand:
Bald zum Boden hin geschmettert, bald empor zum Himmel
die Beine reckend, bis ihn Wagenlenker,
die nur mit Müh den Lauf der Pferde bremsten,
[37]befreiten, überströmt von Blut, dass keiner755
der Freunde, die ihn da gesehn, erkennen konnten den geschundnen Leib.
Und gleich, nachdem man auf dem Scheiterhaufen ihn verbrannt, da bringen nun
in schmalem Erzgefäß den mächt’gen Leib, jetzt kümmerliche Asche nur,
dazu bestimmte Männer aus dem Phokerland,
dass er im Vaterland sein Grab erhielte.760
So also spielte sich das ab: Schon im Bericht
gar schmerzlich, doch für die, die es gesehn wie wir,
das allergrößte Unglück, das ich je erblickt.
CH.
Weh! Weh! So ist den alten Herrschern denn
mit Stumpf und Stiel, so scheint es, ausgelöscht der ganze Stamm.765
KL.
O Zeus, wie soll ich dieses – soll ich’s glücklich nennen
oder zwar entsetzlich, doch Gewinn? Doch schmerzlich ist es,
wenn ich durch eignes Leid mein Leben rette!
ERZ.
Wie kommt es, Frau, dass meine Kunde dich so mutlos stimmt?
§1.
Gebären – gewaltig ist’s! Selbst die, die Arges770
erfährt, hegt keinen Hass auf die, die sie gebar.
ERZ.
So sind wir denn, wie’s scheint, umsonst gekommen.
KL.
Nein, nicht umsonst! Wie kannst »umsonst« du sagen,
wenn du zu mir gekommen bist mit zuverlässigen Beweisen
vom Tode dessen, der, obgleich er meinem Leben doch entspross,775
[38]sich weg von meiner Brust und meiner Pflege wandte
und landesflüchtig in der Fremde lebte; und seitdem er dieses Land verlassen,
hat er mich niemals mehr gesehn, doch warf er mir
beständig die Ermordung seines Vaters vor, entsetzlich sich zu rächen drohend,779
so dass mich weder nachts noch über Tag der süße Schlaf
umfing, nein, jede neue Stunde
ließ immerzu in Todesangst mich leben.
Jetzt aber – denn an diesem Tag wurd ich befreit von Furcht
vor dieser hier und ihm, denn sie, mit mir im Hause, war
die größre Drangsal, da sie jederzeit das reine Lebensblut
mir ausgesogen hat –, jetzt aber werden wir gelassen wohl,
was deren Drohungen betrifft, den Tag verbringen.787
EL.
O mir, ich Arme! Denn erst jetzt kann ich, Orestes, dein Geschick
beklagen, da in dieser Not
dich deine Mutter hier verhöhnt. Ist dies denn gut?790
KL.
Nicht für dich! Doch er hat’s gut, so wie er’s hat.
EL.
O hör es, Nemesis, Rachegeist des eben erst Verstorbenen!
KL.
Sie hat gehört, wen sie gesollt, und gut entschieden.
EL.
Ja, höhn nur weiter! Denn jetzt wandelst du im Glück.
KL.
Du und Orestes werdet also dem kein Ende machen?
§1.
Am End sind wir, geschweige, dass wir dir ein Ende machen.796
KL.
(zum Erzieher). Vieler Gaben wert wärst, Fremder, du gekommen, hättest du
ein Ende ihrem lauten Schrein bereitet.
ERZ.
So kann ich also gehn, da’s hier zum Besten steht.
(Wendet sich zum Gehen.)
[39]KL. Nein, sicher nicht! Das wär von dir unwürdig800
an mir gehandelt und dem Gastfreund, der dich hergesandt!
Nein, geh ins Haus hinein! Lass diese da hier draußen
hinaus ihr eignes Leid wie das der Ihren schrein!
(Der Erzieher und Klytaimestra ab ins Haus.)
§1.
Nun, dünkt euch, dass sie leidend und von Gram verzehrt805
gewaltig weint und jammert um den Sohn –
die Ärmste! –, der derart ums Leben kam?
Nein, drüber hämisch lachend, ist sie auf und fort. Ich Unglücksel’ge!
Orestes, liebster, wie hast du durch deinen Tod mich umgebracht!
Du gingst dahin und rissest aus dem Herzen mir,
was einzig ich an Hoffnung noch besaß,810
dass einst du lebend kämst zu rächen unsern Vater
und mich Arme. Aber jetzt, wo geh ich hin?
Allein bin ich, so deiner wie des Vaters
beraubt. Jetzt muss ich wieder sklavisch dienen
bei Menschen, die vor allen andern mir verhasst,815
bei Vaters Mördern. Ist dies richtig so für mich?
Doch nein, gewiss nie werd ich künftig
im Haus mit denen leben, sondern hier an diesem Tor
lass ich mich gehn und ohne Freund das Leben mir verdorren.
Darum erschlag mich einer, wenn es ihn verärgert,820
von denen drinnen! Denn nur Gnade wär’s, erschlüg man mich,
und Pein nur, wenn ich lebe. Zu leben hab ich keine Lust!
CH. Wo sind denn die Blitze des Zeus und wo,[Str. 1
hell strahlend, Helios, wenn diesem gelassen
sie zusehn und es im Dunkeln belassen?825
EL.
Eh, eh, ai, ai!
CH.
O Kind, was weinst du?
EL.
Weh!
CH.
Nichts Vermessenes schrei heraus!
EL.
Du willst meinen Tod.
§1.
Wie?830
EL.
Wenn du für die, die sichtlich
in den Hades gegangen, Hoffnung erweckst, trittst du mich,
die vor Leid ich vergeh,835
stärker noch nieder.
CH. Weiß ich doch, dass der Fürst Amphiaraos,[Gegenstr. 1
der, durch Schlingen der Weiber, aus Gold gewunden, bestrickt,
sein Grab fand, auch jetzt noch unter der Erde …
§1.
Eh, eh, io!840
CH.
… mit voller Kraft seines Geistes gebietet.
EL.
Wehe!
CH.
Wehe! O ja! Die Verderbenbringende aber …
EL.
Sie wurde bezwungen.
§1.
Ja!845
EL.
Ich weiß es, ich weiß, denn ein Rächer erschien
dem Toten im Leid! Mir aber bleibt keiner mehr! Denn er, der mir noch war,
ist fort, entrafft.
[41]CH. Im Unglück schon, stößt auf Unglück du![Str. 2
§1.
Auch ich weiß dies, weiß es nur zu gut850
durch ein Leben, allüberflutet Mond um Mond von vielem
Entsetzlichem und Verabscheuenswertem!
CH.
Zu einer, die’s sah, sagst du dies.
EL.
Lenk mich denn nicht mehr ab
vom Weg meiner Trauer, wo es doch keine …
§1.
Was meinst du?861
EL.
… Hilfe mehr gibt, die sich auf Hoffnungen gründet
auf meinen edelgeborenen Bruder.
CH. Der Tod ist das Los aller Menschen.[Gegenstr. 2
§1.
Auch der im hufschnellen Wettkampf,861
wie er diesen Unglücklichen traf,
der im ledernen Riemenzeug sich verstrickte?
CH.
Unglaublich die Entstellung!
§1.
Wie auch nicht, wenn er in der Fremde865
entrückt meinen Händen …
CH.
Wehe!
EL.
… begraben liegt, ohne Bestattung erlangt zu haben
von uns und Klagen der Trauer.870