Mariedl

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9. Pfarrer Engl

Wie seltsam, denkt Maria, dass ich jedes Jahr älter werde! Zeit ist etwas, das sie nicht begreift. Noch ist sie innerlich klein und liebt wie jedes Kind die Wiederkehr, und dazu gehören diese Weihnachtsrituale, genau wie das Beten gegen Abend. Sie machen das Herz froh. Die Zweige der kahlen Bäume im Hinterhof ächzen, als man nach Hause zurückkehrt.

Der kleine Hansl wird weinerlich, weil er noch keines der Adventskästchen aufmachen darf, die die Mutter für die Kinder gebastelt hat.

„Erst morgen!“, mahnt der Vater.

Das will Hansl nicht hören.

„Brav sein“, sagt da Theresia, „weil sonst bringt dir der Nikolaus nichts! Und das Christkind erst recht nicht!“

Dass das Bravsein nur ein Vorwand der Erwachsenen ist, hat Maria längst begriffen.

Aber es ist ihr egal. Denn sie liebt Weihnachten. Sie liebt das Funkeln, das Knistern des Christbaums, das Knacken von ein wenig Gebäck, wie es aufbricht im Mund, und die flammenden Bäume.

Und die Freude, die Aufregung, liegt auch an diesem Abend in der Luft. In ein paar Wochen schon kommt das Christkind, und dann ist Maria trotz der Kälte heiter. Fast so schön ist das, als würde sie den Pepi sehen.

Auch der Dorfpfarrer Engl kommt um die Weihnachtszeit vorbei. Maria hat Achtung vor ihm, denn er spricht ja mit der Gottesmutter. Und darum muss man einen besonderen Eindruck bei ihm hinterlassen!

„Guten Tag, Herr Pfarrer!“, sagt Maria darum artig, während sich auch der Rest der Familie um ihn schart.

Theresia serviert Plenten. Der ist herrlich einfach, wie Schleim legt er sich weich in den Bauch hinein und macht Maria glücklich. Und die Mutter kocht ihn so gut! Plenten, das ist ein in der Pfanne gebrutzelter und gestockter Brei aus Maismehl, Wasser und einer Prise Salz. Salz ist kostbar, weiß Maria, es ist fast wie Silber, das die Zwerge in den Bergen hüten, wie Rosa immer erzählt.

Manchmal, wenn die Ernte glücklich ausfällt, gibt es auch Apfelmus. So wie heute. Dann isst Maria besonders langsam, denn sie will es genießen. Dieses Einfache, von dem alle immer sprechen, scheint für Maria das Beste zu sein.

So schlemmt sie nun vor dem Pfarrer, um nicht reden zu müssen, und schluckt mit jedem Bissen die Scham hinunter, die sie ob ihrer Größe hat.

„Ein Teller voll Plenten oder Mus genügt nicht; drei Schüssel müssen’s schon sein!“, grinst da Theresia.

„Ach ja?“, entgegnet Herr Engl und schiebt sich die Brille auf der Nase zurecht.

„Aber sonst ist sie nicht wählerisch“, nimmt Theresia die Tochter sofort in Schutz.

Ja, denn die Riesin hat früh gelernt, dass es das Beste ist, nicht zu viel zu fordern, zu wollen. Dass dann keine Enttäuschung geschieht, weil etwas zu wenig ist.

Der Pfarrer nickt.

„Ein gutes Mädchen ist’s, die Riesin!“, meint er und blickt für einen Moment in das Schneetreiben hinaus.

„Ja“, entgegnet Theresia und wischt sich ihre Hände in der Schürze ab. „Allein –“, sie zögert kurz.

„Ja?“, will der Geistliche wissen und betrachtet die Frau.

„Nun, das Bett ist ein wenig klein geworden, und die Moidl schläft schlecht“, gibt Theresia zu und senkt beschämt den Blick zu Boden.

Herr Engl schaufelt ein wenig Plenten in sich hinein, kaut und denkt nach.

„Ich werd’ sehen, was sich machen lässt!“, sagt er, denn es ist Weihnachten.

Die Riesin isst beschämt weiter, ihr Rücken knickt ein wenig ein. Gut, dass die Zeit vergeht, denkt sie, und träumt ein wenig von der Stadt, während sie ins Schneetreiben hinaussieht.

10. Die Sprache der Musik, die Sprache der Wissenschaft

Die Messe ist es, die Maria besonders liebt. Manchmal darf sie sogar bei Herrn Mossbacher, dem Organisten, sitzen, und das ist dann eine sehr große Ehre. Denn die Riesin liebt das majestätische Dröhnen der Orgel, liebt es, wenn im Leib des Kirchhauses diese monumentalen Klänge erschallen. Wie gebannt schaut sie dann von der Empore in die Kirche hinunter. Der Herr Pfarrer steht hinter einem prunkvollen, golden verzierten Altarbild in einem wallenden Gewand und hält die Hostie in den Händen. Vor ihm, in engen Sitzreihen stehend, die Masse der Dorfbewohner.

Die Menschen sehen klein aus von oben, die mit Heiligenfiguren bemalten Deckengewölbe hingegen wirken mächtig. Maria kann den Mund kaum noch zumachen. Sie schaut und schaut. Sucht nach bekannten Gesichtern in der Menge. Auf einmal sieht sie Rosas Haarschopf zwischen den anderen Köpfen aufleuchten, ihr besonderes Blond.

„Willst sehen, wie ich die Pedale tret’?“, fragt Herr Mossbacher, ein feister, freundlicher Mann, mit flüsterndem Atem.

Maria nickt. Sie reißt sich vom Anblick Rosas los, nimmt die Hände von der Steinbalustrade und nähert sich Herrn Mossbacher, der an seinem klobigen Instrument sitzt. Maria zieht sich ein Stück weit in die Höhe, setzt sich auf den Orgelsitz und zieht brav die Beine ein. Wie groß sie neben dem kleinen dicklichen Kerl aussieht!

Die Riesin bemüht sich, still zu sein. Sie schaut die langgezogenen Pfeifen mit den Schlitzen an, die nebeneinander aufgefädelt auf der Empore stehen. Ein Chor – Menschen, die kleine abgegriffene Büchlein vor sich aufschlagen und mit ernsten Mienen in Richtung Pfarrer starren – hat sich vor den Orgelpfeifen positioniert.

„Wie falsch die singen!“, wispert Herr Mossbacher der Riesin zu.

„Ja!“, brummt Maria bemüht leise.

Herr Mossbacher nickt, und die Haut um seinen Hals schlabbert dabei ein wenig.

Die Riesin blickt zu Boden und wäre jetzt gern kleiner, damit sie sich nicht krümmen muss. So könnte sie nämlich spielen wie der Herr Mossbacher. Mit gestreckten Beinen und flinken Sohlen!

Der Organist lächelt schief, der Chor beginnt in schrägen Viertelnoten zu singen. Die Riesin verzieht vor Begeisterung das Gesicht und blickt die hölzernen Pedale an, die unter ihren Füßen aufgereiht sind. So vergeht die erste Hälfte der Messe.

Doch nach der zweiten Hälfte passiert das Malheur: Die Riesin, ergriffen von der Predigt, rutscht ein Stück weit nach vorn, und siehe – da stupst eine ihrer monumental großen Zehen leicht auf eines der Pedale. Plötzlich bricht ein Orkan los. Ein schmetternder Klang erfüllt den Raum, die ganze Kirche dröhnt. Maria zuckt zusammen. Du böses Mensch!

Mit zusammengepressten Lippen fleht sie die Gottesmutter um Hilfe an. Dann sieht sie sich schüchtern um. Der Herr Mossbacher hockt mit aufgerissenem Mund da und starrt sie an. Als er aber merkt, wie erschrocken sie selbst ist, meint er bemüht zärtlich: „Alles gut, mein Kind!“

Beschämt blickt Maria ihre viel zu langen Finger an und beginnt an den Nägeln zu kauen. So geht auch dieser Gottesdienst vorbei.

Nach der Messe schieben sich die Dorfbewohner gegenseitig aus der aus allen Nähten platzenden Kirche. Weiber mit Kopftüchern und krummen Beinen schlängeln sich aneinander vorbei. Ranzig riechende Münder kommen nahe an Maria heran. Sie selbst hinkt bestürzt und mit eingezogenem Hals hinter Herrn Mossbacher her. Ob auch der Pepi da ist?

„So groß geworden, die Moidl!“, ruft eine Frau, deren Zähne schief sind und gelblich schimmern.

Die Riesin versucht ein Lächeln. „Man wird älter, Frau Greiner!“, meint sie bemüht höflich. „Gott schenkt jedem das Seine!“

„Aber was war denn mit der Orgel los heute?“, flüstert die Frau dann, ihren speichelziehenden Mund dem Ohr des Herrn Mossbacher nähernd.

Maria spielt Schildkröte, macht sich winzig und atmet nicht mehr, lässt den Blick umherspringen. Endlich: Sie sieht Rosa wieder in der Menschenmenge an der Hand ihres Vaters, dieses ruhigen rothaarigen Mannes, der sich gekonnt durch die Masse boxt.

„Rosa!“, ruft sie mit bassiger Stimme.

Die Schwester löst sich vom Vater, läuft auf Maria zu. Sie umarmen einander.

Sofort stellt Rosa die erste Frage: „Sag, warst du das mit dem unerwarteten Dröhnen?“

Maria blickt zu Boden und schweigt.

Zum Glück wird nicht weiter darüber geredet, man tritt den Heimweg an. Doch auf der Anhöhe des Sonklarhofs wartet bereits die nächste Episode: Sie treffen nämlich auf einen gewissen Professor Carl Arnold.

Der ist ein häufiger Besucher des Hofes. Er nippt noch einmal an seinem Glas Wein und betrachtet die beiden, als sie vorbeikommen.

„Ich hab’ gehört, du bist die Moidl!“, ruft er.

Maria kennt das schon, sie dreht sich beschämt weg und sagt: „Ja, ich weiß, jeder kennt mich hier!“

Freundlich lacht Carl Arnold. „Das stimmt!“

„Ja, weil ich halt allen über die Köpfe schieß’.“

Er deutet dem Mädchen, sich neben ihn zu setzen. Maria folgt, brav wie sie ist, und Rosa hastet mit neugierigem Blick hin und her.

Wie sanft das Kind erscheint, und wie eingeschüchtert!, denkt Carl Arnold, und mit einem Mal tut es ihm im Herzen weh. Er hat auf sie gewartet, sie, von der man erzählt, dass kein Mannsbild im ganzen Tal ihr gleiche, dass sie sogar den größten Hünen schon kopfhoch überwachsen habe. Er weiß längst, dass die Riesin am Sonntag dieses Weges kommt, heim von der Kirche. Und mit einem Mal schämt sich der Arzt, so sensationslüstern zu sein.

Maria betrachtet mit gebanntem Blick den Fremden. Ob sie wohl fesch genug ist vor so einem hohen Herrn aus der Stadt?, fragt sich die Riesin. Sie, die nur in ein schwarzes bäurisches Sonntagsgewand mit kurzem Fürtuch gehüllt ist.

Maria verkriecht sich tief in ihr Halstuch, zieht den Kopf ein, obwohl’s doch Frühling ist. Sie weiß, dass ihr Gesicht dadurch noch länger und ovaler erscheint, schließlich hat sie’s im Spiegel gesehen, aber es hilft nichts: Klein muss Maria sich machen, so klein sie nur kann.

 

Sie hockt sich neben Herrn Arnold und klappt den Körper noch mehr zusammen. Neben ihr, winzig klein und zart, Schwester Rosa. Schön und hübsch ist sie, weiß Maria. Sie wird sie schon beschützen!

„Sag, liebe Maria“, meint Doktor Arnold beschämt und schiebt sich seine Brille auf der Nasenspitze zurecht, „wie lang bist denn schon so … groß?“

Maria merkt, dass der Mann sich für ihre Größe schämt, und sie schämt sich mit ihm und noch mehr dafür.

Rosa kommt ihr zum Glück zuvor: „Keiner wird groß geboren, oder?“, sagt sie schlau – und da lacht der Arzt, prustet los, und Rosa, mit ihrem gewinnenden Wesen, stimmt mit ein.

Maria betrachtet den Professor und merkt mit einem Mal, dass dieses Lachen gut ist, es kommt von Herzen.

„Gestatten, dass ich mich vorstell’“, meint er jetzt, „bevor ich weiter tu mit diesen dummen Fragen! Ich heiß’ Arnold, und ich bin ein Arzt!“

„Ja …“ Maria weiß nicht, was sie sagen soll.

„Ich hab’ gehört, dass du ein Bett brauchst, ein neues!“

Da weiß die Riesin nicht recht, was sie mit der Aussage soll, und senkt den Blick beschämt zu Boden. „Ja“, brummt sie wieder, und der Ton ihrer Stimme kommt ihr unendlich fremd vor.

„Darf ich dich denn einmal untersuchen? Vielleicht könnt’ ich dir helfen, ein bisserl Geld aufzustellen!“

„Almosen brauchen wir nicht!“, platzt Rosa heraus.

Maria aber gefällt der Gedanke an ein neues Bett, tatsächlich kann sie in dem alten kaum noch schlafen, knickt des Nachts immer mehr in sich zusammen wie ihre geliebte Ziehharmonika. Sie entgegnet bemüht versöhnlich: „Also da müssen S’ schon die Eltern fragen!“

Für einen Moment ist es still, und frischer Wind weht von der Weide.

„Das werd’ ich tun!“, meint Arnold dann freundlich und zieht seinen Hut etwas mehr ins Gesicht. Die Sonne ist herausgekommen.

11. Der gütige Arzt

Bereits am nächsten Tag pocht Carl Arnold ans Tor der Familie Faßnauer. Mit kritischem Blick lässt Theresia ihn eintreten.

Bei Knödeln kommt man ins Gespräch.

„Wissen Sie, bei der Maria, da handelt es sich um einen speziellen Fall der Makrosomie“, sagt der Arzt.

„Hören S’ doch auf mit den Worten!“, entgegnet Theresia nur.

„Verzeihen Sie!“

Arnold schiebt sich wieder die Brille auf der Nase zurecht und fährt sich durch die stoppeligen Locken.

„Das sind bloß Worte, ich weiß! Die Makrosomie ist eine Form des Riesenwuchses. Immer noch weitgehend rätselhaft.“

In dem Moment ergreift Josef das Wort. „Und was wollen S’ jetzt tun mit der Moidl? Sie ausstopfen lassen und ausstellen?“, fragt er barsch.

Seine Augen lodern. Lodern wie das rote Haar, das schütter seinen Kopf bedeckt.

Beschämt sieht Doktor Arnold zu Boden. Dass es tatsächlich Versuche mit Kaninchen gibt, verschweigt er lieber. Die armen Tiere hat man mit Arsen gefüttert, was zur Folge hatte, dass sie längere Knochen bekamen. Gern würde er ins Dozieren geraten, denn er liebt seinen Beruf. Doch er beißt sich auf die Lippen, bemüht sich zu schweigen. Dass Worte immer eine Form von Vergeblichkeit haben, denkt der Gelehrte, und er nimmt, wie immer, wenn er dabei ist, sich für etwas zu begeistern, beim Reden seine Hände zur Hilfe.

„Ich mein’ es nur gut mit der Maria“, sagt er, in der Luft herumfuchtelnd. „Sehen S’, sie könnte anders leben, wenn man wüsste, woher ihr Wuchs kommt. Das arme Mädchen kann ja kaum noch auf der Schulbank sitzen!“

In dem Moment betritt die Riesin den Raum. Dass es um sie geht, begreift Maria sofort.

„Guten Tag, Herr Arnold!“, brummt sie mit bemüht freundlicher Stimme. Aber als sie das Schweigen der Mutter und des Vaters sieht, wird ihr ganz bang. Etwas drückt sich in ihr Wesen ein, und Maria merkt, dass sie da irgendwo in ihrem Inneren ein Loch hat, eine Leere, in die sie fällt. Obwohl das doch gar nicht geht! Jetzt zieht es sie nach unten, und das Ende, das Ziel dieses Abgrunds, heißt Dunkelheit. Eine Unfähigkeit der Sprache nimmt von Maria Besitz, und ein Gefühl, das so etwas wie Trauer ist, fliegt auf sie herab wie ein Vogel. Er spielt mit Maria, er kichert und lacht sie aus: „Du bist anders, anders!“, ruft er. Maria blickt zu Boden.

Da sieht Carl Arnold sie an und lächelt schief. In seinem Blick ruht etwas Sanftes. Nein, es ist nicht Mitleid wie bei den anderen, weiß Maria da – es ist Güte. Und plötzlich beginnen die Augen des Doktors zu leuchten gegen das Loch in ihr, gegen die Finsternis.

„Salat gibt’s!“, tönt da Theresia laut und bemüht freundlich und ruft die Kinder aus dem Hof zusammen.

Maria blickt schnell wieder zu Boden. Ganz heimlich nur schaut sie wieder auf.

Rosa stürmt als Erste heran, gefolgt von Seppl und der kleinen Anna. Hansl, der gerade mit einem Messer geschnitzt hat, hinkt hintendrein.

So serviert die Dienstmagd Pellkartoffeln mit Milch und Fleisch, und das Essen lenkt ab. Aber nicht alle, denn die Riesin ist immer noch nicht sicher, was sie von der Güte des Doktors halten soll. Essen wird sie heute nichts, die Salatblätter haben Rippen, leben wie Fleisch. Die Riesin will nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, das Kauen ist einfach zu laut.

„Machen S’ uns reich?“, will der kleine Seppl, der gerade mit der Milchhaut in seiner Schale spielt, wissen und betrachtet den von fern hergereisten Herrn mit großen Augen.

Doktor Arnold lacht. „Nein. Ich will bloß, dass es der Maria gut geht!“, meint er.

„Die Moidl ist anders, gell?“, platzt es da aus der kleinen Anna, die ihn mit puppenäugigem Glänzen ansieht.

Doktor Arnold betrachtet die riesigen, dunklen Augen des Mädchens, sieht dann Maria an und meint schließlich: „Ja. Wir sind alle anders. Die Maria ist eben groß. Und weil sie da anders leben muss als kleinere Menschen, muss man ihr dabei helfen.“

Maria starrt aus stummen großen Augen den Herrn mit den braunen Locken und der Nickelbrille an, betrachtet sein Backenhaar, seine in Handschuhen steckenden langen Finger, die fremd und edel anmuten. Das sind Worte, die hätte die Gottesmutter persönlich gesprochen, oder?, denkt sie, und sie kann es kaum begreifen. Ob der Arzt es auch ehrlich und ernst meint? Ob er ihr helfen wird, sie gar mitnimmt in die ferne Welt?, beginnt sie zu träumen. In eine Welt aus Jahrmarktklängen, aus Bretterbuden und Gesang, ähnlich dem Weihnachtsmarkt, den sie in Wien hat sehen dürfen und der sie in Gedanken nicht loslässt? Die Riesin merkt, wie etwas in ihr hochkriecht. Ein Wort wie Hoffnung wird groß in diesem Zimmer.

Da greift der feine Herr mit einer ruhigen Geste nach ihren vom Stuhl lose herabbaumelnden Fingern und lächelt.

„Ich hab’ eine Idee, Maria! Wir fangen so an: Wir kaufen dir ein Bett, in dem du gut liegen kannst. Ja?“

Da scheint es der Riesin, als habe der Mann über seinem Gesicht, das von hohen Backenknochen gezeichnet ist, einen Heiligenschein flimmern. Für einen Moment tritt die Gottesmutter selbst aus seinem Antlitz und schimmert der Riesin entgegen.

Und sie weiß: Carl Arnold wird Wort halten.

Bald schon trommelt er sämtliche Feriengäste, die mit ihm auf dem Sonklarhof wohnen, zusammen, und man ordnet an, eine Liegestatt für das Riesenmädchen zu fabrizieren, in der es ausgestreckt schlafen kann.

Doktor Arnold ist Feuer und Flamme. Die sanfte Große mit den gütigen Augen einer Kuh hat ihm imponiert. Und so schreibt er in der Illustrierten Touristenzeitschrift Alpenfreund im Juli 1896 einen Artikel über die Spende.

Kaum naht der nächste Sonntag, macht sich Maria wie jedes Wochenende auf, der Gottesmutter zu danken. Aber siehe – was erblickt sie da für einen Rummel, als sie neben Herrn Mossbacher aus der Kirche tritt? Menschen mit großen Gesten scharen sich um sie, bekannte und unbekannte Gesichter. Die Riesin wird hin- und hergeschoben, kann sich kaum erwehren. Am Arm packt man sie.

„Gestatten, ich bin ein Reporter vom Volksblatt!“, schnattert da ein Mann mit viel zu schnellem, hechelndem Atem und schiebt die Riesin vor sich her. Maria blickt sich paralysiert um, sieht die Gäste vom Sonklarhof und dazwischen irgendwo Rosas Schopf, der in der Masse verschwindet.

„Wir würden dich gern fotografieren“, fährt der Mann mit raschem Atem fort, „dich zu einem Tableau arrangieren, wenn genehm!“

Was der für Worte kennt!, denkt die Maria, fast noch geheimnisvoller als die von Rosa! Sie weiß nicht, was ein Tableau ist, und der seltsame große Kasten, der dem Mann um den langen Hals baumelt, macht ihr ein wenig Angst. Aber gutmütig wie sie ist, nickt sie.

Maria wird neben eine mit Glöckchen ausstaffierte Kuh gezogen, man hängt ihr ein rot-weiß kariertes Tüchlein um und heißt sie die alte, zerschundene Schürze ablegen.

„Bitte lächeln!“, meint der Mann, lüpft kurz seinen Hut und versteckt sich hinter dem Apparat. Ein Knacken und Knarren ertönt, und der Mann drückt einen Knopf.

„Stell dich doch gerader hin!“, ruft Rosa aus. „Du bist die Heldin aller Kühe!“

Da muss Maria mit einem Mal lachen. Was für ein Rummel, und all das nur für sie allein! Stramm streckt sie ihre Brust dem Alpenhimmel entgegen und betrachtet die Gebirge, die um sie liegen, so, als würde der Körper sagen können: „Ich bin wer!“

Der Mann mit dem Kasten allerdings bekommt nicht genug, ordnet die anwesende Menge, um Maria an.

Das also ist ein Tableau!, denkt Maria. Sie sieht freundliche Mundwinkel, schmunzelnde Männer im Alpengewand, Frauen in einer Art Kranz um sie herum, zum Teil sitzend, zum Teil stehend. Da – der hat noch gefehlt! Die Riesin freut sich, als Carl Arnold neben ihr erscheint. Auf seinen feinen Spazierstock gestützt, stellt er sich neben Maria und hakt sich bei ihr unter. Sie merkt, wie ein Lächeln aus ihr herausfließt, das sich warm und weich anfühlt. Ihr Blick schmilzt Doktor Arnold entgegen, und auch er lächelt.

„Und still!“, tönt es da.

Wieder hört die Riesin ein Knarren und Knattern, und wie auf Kommando erstarrt die ganze Gruppe. Dann hat das Magnesiumblitzgewitter zum Glück ein Ende, und Maria wird weitergeführt! Aber – was ist das? Gerührt betrachtet sie eine übergroße, fast an einen Wagen erinnernde Liegestatt aus Holz, die da zwischen im Gras im Vorhof des Kirchgangs steht! Maria kann es kaum glauben, und sie merkt, wie ihre Augen sich mit Tränen füllen. Schon will sie dem Doktor danken, doch alles geht zu schnell, der Mann mit dem Kasten zerrt sie mit sich, heißt die Riesin sich niederlegen.

Maria tut alles, brav und glücklich, sie ist gutmütig wie ein Lamm. Liegend wird sie in der neuen Bettstatt geknipst, aus der Vogelperspektive aufgenommen. Maria aber schaut zu dem Arzt, diesem hohen Herrn, dessen Gesicht zwischen den anderen schimmert. Dass das Bild eine Sensation in der Lokalzeitung wird, ist Maria egal. Sie wird jetzt schlafen können wie jeder andere Mensch auch, muss sich beim Liegen nicht mehr krümmen. Nachts sind die Schatten viel weniger laut.

„Danke, du Gottesmutter!“, wispert Maria an diesem Abend, bevor sie einschläft.

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