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Das Festival der Liebe

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Das Festival der Liebe
Das Festival der Liebe
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KAPITEL NEUN

Die Fahrt zu Shanes Heimatort führte sie tiefer hinein in das Herz Irlands. Keira hatte das Gefühl, in der Zeit zurückzureisen, oder in ein Paralleluniversum, wo das Gras grüner war und Luft klarer.

„Das ist meine Stadt“, sagte Shane, als er in eine schmale Straße einbog.

Keira blickte sich verwirrt um. „Aber hier ist nichts.“

„Aber sicher doch“, sagte Shane lachend. Er deutete auf einen Briefkasten, umgeben von Hecken, die seit Jahren vor sich hin wucherten und ihn beinahe umschlungen hatten. „Da ist das Postamt.“

Keira lachte. Shane deutete ein Stück weiter auf eine Holzkonstruktion, die vielleicht mal eine Bushaltestelle gewesen war, aber seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt wurde.

„Der örtliche Nachtclub“, fügte er hinzu. „Wo Teenager sich zum Trinken, Tanzen und Knutschen treffen. Zumindest würden sie das, wenn es denn aktuell mehr als einen Teenager geben würde.“

Keira konnte ein Kichern nicht zurückhalten. Shane war ein großartiger Begleiter und sein Humor war für sie wie eine frische Brise, vor allem im Vergleich zu Zachs Ernsthaftigkeit.

Keira haderte mit sich. Sie sollte wahrlich nicht ihren Tourguide mit ihrem Ex-Freund vergleichen.

„Was gibt es sonst noch zu sehen in dieser geschäftigen Stadt?“, fragte sie.

„Nett, dass du fragst“, scherzte Shane. „Da drüben auf der Wiese hätten wir Eselin Doris. Sie ist älter als ich, ob du es glaubst oder nicht. Eine lokale Berühmtheit. Und hier zu unserer Rechten befindet sich das Spirituosengeschäft.“

„Mit anderen Worten: der einzige Laden am Ort verkauft nichts als Zigaretten und Alkohol?“

„Richtig.“

Er fuhr langsamer, damit Keira sehen konnte, was er meinte. Von der schmalen Straße bogen sie in einen Trampelpfad ein. Das Auto holperte über die vielen Schlaglöcher.

„Nur um ganz sicher zu gehen: du entführst mich aber nicht an ein einsames Plätzchen, um mich abzumurksen, oder?“, fragte Keira, mit einem Mal etwas nervös.

Shane lachte einfach nur. „Natürlich nicht. Nicht mit Doris als Zeugin.“

Die Hecken links und rechts der Straße wurden niedriger. Keira konnte Felder sehen, Tiere, Scheunen, Tröge, Traktoren und Pflüge.

„Warte mal“, sagte sie stirnrunzelnd. „Du lebst nicht etwa auf einer Farm, oder?“

„Jap“, antwortete Shane. Er wirkte aufgeregt, so nahe an seinem Zuhause.

Keira fühlte sich davon angesteckt und konnte es kaum erwarten, sein Zuhause und seine Familie kennenzulernen.

„Du hast nicht mit einer Farm gerechnet?“, fragte er.

„Das hätte ich wohl tun sollen“, sagte Keira lachend. Sie betrachtete die Felder mit den Kühen, Schafen und Schweinen. „Aber du siehst eben nicht aus wie ein Bauer.“

„Nicht?“ Er gluckste. „Du solltest mich beim Schafscheren sehen.“

Keira hob amüsiert eine Augenbraue. „Ich kann es kaum erwarten.“

Sie kamen an einer Reihe Scheunen und Silos vorbei und hielten vor einem großen, steinernen Bauernhaus. Es sah aus, als sei es bereits mehrere Hundert Jahre alt, ein wenig windschief, die Fenster verwittert. Das Gemäuer sah aus wie jedes andere hier in der Gegend, dunkelgrau, und fügte das Haus damit nahtlos in die Landschaft ein.

Das Auto stand noch nicht einmal, da kamen schon mehrere junge Frauen aus der Haustür und sprangen herum, riefen, winkten und klatschten.

„Äh…?“, machte Keira. Sie hatte nicht mit dieser Art Begrüßungskomitee gerechnet. „Du hast einen eigenen Fanclub?“

„Jap“, sagte Shane grinsend. „Das sind meine Schwestern.“

Keira war perplex. „Alle?“

„Alle sechs“, bestätigte Shane.

Jetzt verstand sie, was er gemeint hatte, mit der Bemerkung über eine weitere Frau im Haus.

Er stellte den Motor ab und stieg aus. Die Frauen waren sofort bei ihm und fielen ihm um den Hals. Shane lachte vergnügt, schubste sie weg, balgte sich mit ihnen, wie man es eher unter Brüdern vermuten würde. Keira konnte sich irgendwie nicht vorstellen, so geliebt zu werden oder Menschen zu haben, die sich so sehr freuten, sie zu sehen.

Schließlich gelang es Shane, sich aus den Klauen seiner Schwestern zu befreien. „Keira, das sind meine kleinen Schwestern. Ich stelle sie dir aufsteigend nach Alter vor. Aber mach dir keine Sorgen, falls du dir nicht alle Namen merken kannst, da verschwimmen die Grenzen sowieso.“

Er feixte und eine seiner Schwestern boxte ihm gegen die Brust.

„Nimm dich in acht, Shane“, warnte sie heiter.

Shane deutete auf die Frau, die ihn geboxt hatte. „Neala, meine älteste Schwester, mit ihr habe ich am meisten Blödsinn angestellt.“

Neala schüttelte Keira die Hand. „Ich bin jünger als Shane, aber jeder denkt, ich bin die Älteste, denn im Gegensatz zu Shane besitze ich ein gewisses Maß an geistiger Reife.“

Alle lachten. Shane deutete der Reihe nach auf die anderen Frauen. „Mary, Siobhan, Aisling, Elaine.“ Dann nahm er die Kleinste in den Arm. „Und das Baby der Familie: Hannah.“

Keira schätzte Hannah auf etwa sechzehn. Sie hatte ein jugendliches Gesicht, mit einem Rest von Babyspeck. Ihr Haar war ein ein wunderbares goldblond und fiel ihr in langen Locken über die Schultern. Alle Schwestern waren hübsch, aber Hannah sah hinreißend aus.

„Ihr seid so viele!“, sagte Keira lachend.

„So sollte es sein“, antwortete Neala, „in einer anständigen katholischen Familie.“ Sie bekreuzigte sich, die anderen fingen an zu kichern.

Es war offensichtlich für Keira, dass diese Familie viel Liebe füreinander empfand. Und sie schauten bewundernd zu ihrem Bruder auf, auch körperlich, denn er war sehr groß. In ihren Augen war Hochachtung zu erkennen.

Ein älterer Mann und eine Frau kamen aus dem Cottage, Shanes Eltern. Keira konnte bei beiden eine gewisse Ähnlichkeit mit Shane erkennen, die Augen des Vaters, die Haarfarbe der Mutter. Er war eine Mischung aus beiden.

Beim Anblick ihres ältesten Kindes und einzigen Sohnes leuchteten ihre Augen. Keira war tief bewegt, als sie sah, wie viel Liebe sie für Shane empfanden. Auch wenn sie selber ihre Schwester und ihre Mutter verehrte, so war ihr Vater nichts mehr als ein Schatten der Vergangenheit, jemand, an den sie sich kaum erinnerte. Sie fragte sich, ob sie ein anderer Mensch geworden wäre, wenn sie in einer solchen Umgebung, mit so viel Liebe aufgewachsen wäre. Hätte sie eine andere Meinung über romantische Beziehungen? Wäre sie so hoffnungslos romantisch, wie Shane von sich selber annahm?

Shanes Vater kam zu ihr, und reichte ihr mit einem herzlichen Lächeln die Hand.

„Ich bin Calum“, sagte er. Du musst die junge Dame sein, für die Shane im Augenblick arbeitet.“

Keira wurde rot. „Das ist vielleicht etwas übertrieben. Er ist mein ortskundiger Führer, solange ich an einem Artikel über das Festival in Lisdoonvarna arbeite.“

„Keira ist Journalistin“, erklärte Shane.

Sie schüttelte den Kopf, fühlte sich ein wenig verlegen. „Das klingt viel aufregender als es ist.“

„Nun, für einen Bauern im County Clare klingt das schon ziemlich beeindruckend“, sagte Calum. Die Töchter lachten.

„Dann kommt mal rein“, sagte Shanes Mutter und machte eine einladende Geste. Sie sprach schnell, mit breitem Akzent. „Neala, setz das Wasser auf, Liebes. Keira möchte sicher einen Tee trinken.“

„Oh, macht euch meinetwegen bitte keine Umstände“, sagte Keira.

Shane raunte ihr etwas zu. „Lass sie den Tee machen. Sonst wird dir das ewig vorgehalten.“

Keira nickte. „Tee klingt wundervoll, danke.“

Shanes Mutter nahm sie am Arm und schob sie ins Haus. „Ich bin übrigens Eve. Shane hat mir alles über dich erzählt.“

„Hat er das?“

„Oh ja. Er sagte, er war sehr erstaunt, dass die Zeitschrift eine Frau geschickt hat. Er hatte mit einem Joshua gerechnet.“

„Ach so, ja. Joshua hat sich das Bein gebrochen, nachdem er auf einer Macchiatopfütze ausgerutscht ist.“

Alle brachen in Gelächter aus. Keira fand es herrlich. Normalerweise fanden Leute sie nicht so lustig und es gab ihr viel Selbstvertrauen. Sie fühlte sich jetzt schon so wohl hier, dass sie befürchtete, es würde ihr sehr schwer fallen, wieder zu gehen.

Eve führte Keira einen schmalen Flur entlang, mit niedrigen Decken, an hölzernen Treppen vorbei, mit Türen, die so niedrig waren, dass Shane den Kopf einziehen musste, um nicht anzustoßen.

„Das Haus ist toll, Mrs. Lawder“, sagte Keira.

„Vielen Dank, meine Liebe“, antwortete Eve und tätschelte ihr den Arm. „Calum ist hier aufgewachsen. So war es doch, nicht wahr, mein Lieber?“

Calum nickte zustimmend. „Eve lebte ein Stück die Straße runter. Wir begegneten uns in der Kirche, als wir drei Jahre alt waren. Da wusste ich sofort, dass sie eines Tages meine Frau werden würde.“

„Dad“, klagte Shane. „Darf Keira sich wenigstens hinsetzen, bevor du deine ganze Lebensgeschichte zum Besten gibst?“

Sie betraten die Küche, die so aussah, wie Keira sie aus Historienfilmen kannte. Es gab Arbeitsflächen aus Holz, der Boden bestand aus gebrannten, roten Ziegeln, das Gebälk unter der Decke lag offen. Eine Reihe Bronzetöpfe hingen an Haken an diesen Balken. Pflanzen und Kräuter wuchsen in Töpfen und gesprungenen Tassen auf der Fensterbank. Es war atemberaubend schön.

 

Neala, die älteste Schwester, setzte sofort Wasser für den Tee auf, wie man es ihr aufgetragen hatte. Die jüngste Schwester, Hannah, zauberte aus einem Schrank Kuchen hervor und schnitt ihn in Stücke.

„Du nimmst doch sicher ein Stück Kuchen, nicht wahr, Keira?“, fragte sie.

„Nein, bitte nicht für mich“, sagte Keira höflich.

Eve ergriff ihren Arm. „Du musst aber nicht auf deine Figur achten. Ein Mädchen wie du sollte jeden Tag ein Stück Kuchen essen. Das macht die Hüften rund.“

Keira begann zu kichern.

„Mom!“, rief Shane peinlich berührt.

Sie setzten sich an den Tisch. Neala brachte die Teekanne auf einem Silbertablett, mit einem Sammelsurium von Tassen, auf denen Tiere und Pflanzen abgebildet waren. Sie sahen so aus, als wären sie über Jahrzehnte hinweg gesammelt worden.

„Als unser Ehrengast bekommst du die Tasse mit dem Schwan“, sagte Neala.

Keira verstand nicht, warum alle lachten. Sie vermutete, es handelte sich um eine Geschichte, die jeder in der Familie kannte. Sie wünschte sich, Teil von so engen familiären Banden zu sein. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass ihr das so fehlte, bis es ihr vor Augen geführt wurde. Es war so anders als ihre eigene Familie. Oder Zachs Familie. Es war ein angenehmer Kontrast zur hochnäsigen Ruth und ihrer ach-so-wichtigen Hochzeit.

Was noch erstaunlicher schien, war die Tatsache, dass sie offenbar alle mochten. Sie waren aufrichtig beeindruckt von ihrer Karriere, von dem, was sie erreicht hatte und von dem Umstand, dass sie aus New York war. Sie bombardierten sie mit Fragen, vor allem Hannah, die Keiras Lebensweise besonders aufregend zu finden schien.

„Ich will Model werden“, erklärte sie.

Eve strich ihrer jüngsten Tochter über das lange blonde Haar. „Wir sähen es lieber, wenn sie in Irland bliebe, aber sie besteht darauf, eines Tages in die Welt hinaus zu ziehen.“

Hannahs Augen leuchteten auf. „Keira könnte doch auf mich aufpassen!“

Keira war überrascht. Sie hatte gerade einmal eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen gehabt und war offenbar schon in den Kreis der Familie aufgenommen.

„Hannah, meine Güte!“, sagte Shane und rollte mit den Augen. „Belagere die arme Frau doch nicht so. Du bringst sie in Verlegenheit.“

Hannah tat, als sei sie beleidigt. „Keira macht das nichts aus, oder?“

Keira stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass Hannah absolut recht damit hatte. Es störte sie nicht im Geringsten, von dieser fröhlichen, glücklichen Familie vereinnahmt zu werden. Und erst recht störte es sie nicht, dass es ihr ein Gefühl von Achtung und Zuneigung vermittelte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann man ihr das letzte Mal das Gefühl gegeben hatte, interessant zu sein, oder sie so sehr zum Lachen gebracht hatte, dass ihr die Wangen wehtaten. Die Vorstellung, die aufgedrehte Hannah in New York zu betreuen, bereitete ihr Vergnügen. Sie wollte Teil dieser Familie sein, sie nie mehr verlassen.

Sie hatte sich in diesen Ort verliebt, in dieses Gefühl. Vielleicht gab es tatsächlich so etwas wie Liebe auf den ersten Blick.

Eve griff nach Shanes Hand und hielt sie fest.

„Ich habe dir eine ernsthafte Frage zu stellen“, sagte sie.

Shane sah plötzlich blass aus und schien etwas Unangenehmes zu befürchten.

Eves Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Was hast du nur mit deinen Haaren gemacht?“

Alle prusteten vor Lachen.

„Ich bin froh, dass du das gesagt hast, und nicht ich“, sagte Mary lachend. „Du siehst aus wie eine Vogelscheuche, Bruderherz.“

„Das war auch mein Gedanke“, rief Neala. „Na los, Zeit für einen Haarschnitt und eine Rasur.“

Sie zog ihn vom Stuhl hoch. Shane war inzwischen rot angelaufen.

Eve schüttelte tadelnd den Kopf und wandte sich an Keira. „Er ist echt schlimm. Er verlässt sich darauf, dass es immer eine Frau gibt, die auf so etwas achtet. Wenn nicht seine Mutter oder seine Schwestern, dann muss es eine Ehefrau sein.“ Sie lachte.

Keira lachte ebenfalls und wartete darauf, dass die Bombe platzte.

*

Nachdem Shane sich zur Runderneuerung zurückgezogen hatte, wandte sich Keira an Eve und Calum, um sie über ihre Beziehung zu interviewen. Sie holte Notizbuch und Stift aus ihrer Tasche.

„Ihr seid euch also im Alter von drei Jahren das erste Mal begegnet?“, fragte sie.

Calum nickte. „Liebe auf den ersten Blick. Jedenfalls für mich.“

„Was ist mit dir, Eve?“, fragte Keira.

„Um Himmels willen, nein! Ich dachte, alle Jungs wären ansteckend“, sagte Eve kichernd. „Und das dachte ich, bis ich etwa fünfzehn war.“

„Was passierte mit fünfzehn?“

„Ein Junge hat mich geküsst.“ Eve strich über Calums Hand. „Dieser Junge.“

Keira machte sich eifrig Notizen. Ihr gefiel diese Geschichte. „Es gab also immer nur euch beide? Ihr hattet immer nur Augen für einander?“

Sie nickten beide. Keira hätten solche Geschichten früher eher misstrauisch gemacht. Aber inzwischen konnte sie akzeptieren, dass es so etwas gab. Es gab Paare, die mussten ihre Romanzen nicht künstlich aufblasen oder so tun, als wären sie glücklicher als alle anderen.

Keira nahm einen Schluck Tee. „Was ist euer Geheimnis? Wieso klappt das bei euch schon so lange?“

Calum antwortete ihr. „Es hilft, dass wir uns in vielen Dingen sehr ähnlich sind. Unser Glaube, zum Beispiel. Wir haben beide jede Menge Geschwister, daher wussten wir von Anfang an, dass wir so viele Kinder haben wollten, wie der Herrgott uns schenken würde.“

Eve mischte sich ein. „Und wir sind beide hauptsächlich mit Fleisch und Kartoffeln groß geworden. Es gab nie eine Debatte darüber, was es zum Essen geben sollte.“

Keira lachte. Eve und Calum waren erfrischend. Sie waren so bodenständig, so voller Humor und Leichtigkeit.

„Aber wollte keiner von euch mehr von der Welt sehen? Vielleicht mal für eine Weile in der Stadt leben?“

Calum schüttelte den Kopf. „So was machte man damals nicht, es kam uns daher nicht einmal in den Sinn. Ferien auf dem Kontinent, das gab es nur für die Reichen. Für uns bedeutete das ein Campingurlaub in Kerry. Wenn wir Glück hatten.“

Keira notierte das und dachte darüber nach. War es früher leichter gewesen, die wahre Liebe zu finden? Ohne all die kulturellen Einflüsse und Versuchungen, die es heute gab? War das der Preis, den die heutige Generation zahlen musste, dafür, dass der technologische Fortschritt die Welt hatte schrumpfen lassen? Eve und Calum hatten nie darüber diskutieren müssen, wie viele Kinder sie haben wollten, oder ob sie überhaupt welche wollten. Es gab keine Diskussionen über Entwurzelung und Jobs fern von Zuhause. Ihr Weg war ihnen vorgezeichnet gewesen. Wenn man davon nicht abwich, würde man früher oder später über die wahre Liebe stolpern.

Keira trank bereits ihre dritte Tasse Tee, als sie laute Schritte auf der Treppe hörte. Shanes Runderneuerung war offenbar beendet. Sie packte ihr Notizbuch wieder ein und schaute erwartungsvoll zur Tür. Eve schaute ebenfalls von ihrer Tasse auf.

„Oha!“, rief sie, als Shane das Zimmer betrat.

Keiras Augen weiteten sich und sie musste ein Keuchen unterdrücken. Ohne den schäbigen Zottelbart konnte man einen energischen, ausgeprägten Kiefer erkennen. Neben seinen Augen war das sein hervorstechendstes Merkmal und sie fragte sich, warum er ihn unter einem Bart versteckt hatte. Sein Haar war fast schon militärisch kurz geschnitten. Entweder besaßen seine Schwestern ein Talent dafür oder Shane entstellte einfach gar keine Frisur.

Keira spürte ein Kribbeln im Magen. Das war derart alarmierend, dass sie den Blick abwenden musste.

„Sieht er nicht großartig aus?“, rief Eve und knuffte Keira in die Seite. „Sieh doch mal!“

Keira blickte schüchtern wieder auf und lächelte. „Sehr nett.“

„Was meinst du mit nett?“, rief Eve enthusiastisch. „Er sieht aus wie ein Filmstar!“ Sie sprang auf und eilte zu Shane, dann küsste sie ihn auf beide Wangen.

Shanes Schwestern standen hinter ihm und sahen überaus zufrieden mit ihrem Werk aus.

„Was meinst du, Keira?“, fragte Neala. „Mit dem neuen Stil schnappt ihn sich doch sofort jemand.“

Shane lief tiefrot an. Keira wurde unangenehm bewusst, dass Neala recht hatte. Anständig rasiert war Shane ein noch besser Fang als zottelig. Die Frauen in Lisdoonvarna würden Schlange stehen für ein Date mit ihm.

Shane machte einen großen Schritt nach vorn und Keira bemerkte, dass eine seiner Schwestern ihm einen kräftigen Schubs in ihre Richtung gegeben hatte.

„Shane, wann willst du Keira denn die Farm zeigen?“, fragte sie mit drängendem Tonfall.

Shane kratzte sich verlegen am Hals. „Ich weiß aber doch gar nicht, ob Keira die Farm überhaupt besichtigen will“, sagte er schüchtern.

„Natürlich will sie das“, sagte die Schwester. „Oder nicht, Keira?“

„Sicher“, antwortete Keira. „Klingt nett.“

„Gut“, sagte Shane ein wenig steif. „Wollen wir dann?“

Er bedeute Keira, vorauszugehen und folgte ihr hinaus. Keira konnte die Schwestern tuscheln hören.

Er hielt ihr die Haustür auf und atmete tief durch, als sie endlich draußen waren.

„Tut mir leid, dass die alle so verrückt sind“, sagte er.

„Nicht doch. Ich mag sie. Ich habe mich noch nie irgendwo auf Anhieb so willkommen gefühlt.“

Shane lächelte schüchtern. „Gastfreundschaft ist eine ihrer Stärken. Wie viele Tassen Tee musstest du trinken, während meine Schwestern mir die Haare geschnitten haben?“

„Nur drei“, sagte Keira.

Shane lachte. „Danke, dass du vorgeschlagen hast, herzukommen. Mir war nicht bewusst, wie sehr mir mein Zuhause gefehlt hat.“

„Kein Problem“, antwortete Keira, fest davon überzeugt, dass sie noch weitaus mehr davon profitierte als er. Sie gingen einen Weg entlang, vorbei an Feldern mit Mais und Weizen, Zuckerrüben und Salat.

„Eure Farm ist toll“, sagte Keira. „Ich kann nicht glauben, dass du an so einem Ort aufgewachsen bist.“

„Ist schon was anderes als New York, was?“, witzelte er.

Es war das erste Mal an diesem Tag, dass er sich über sie lustig machte. Er hatte sich in dieser Hinsicht sehr zurückgehalten. Sie fragte sich, ob er Rücksicht auf ihre angeschlagenen Gefühle nahm. Zumindest wusste sie es zu schätzen, einmal nicht die Zielscheibe seines Spottes zu sein.

„Hier entlang“, sagte Shane und nahm plötzlich ihre Hand.

Keira hatte nicht das Bedürfnis, loszulassen. Ganz im Gegenteil, es war eigentlich recht angenehm, als ob ihre Hand genau da war, wo sie hingehörte. Seine Hände waren groß und rau und warm. Ihre eigenen weichen, zarten Hände passten sehr gut in seine.

Er zog sie sanft hinter sich her, plötzlich voller Energie. Sie folge ihm, hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, bis sie schließlich über die Felder rannten. Der Wind fuhr Keira durch das Haar, die Kälte biss ihr schmerzhaft in die Wangen. Sie hatte sich noch nie so lebendig gefühlt.

Shane führte sie zu einem kleinen Bach unter einer Trauerweide. Die Blätter bildeten um sie herum eine Art Zelt. Er setzte sich und zog sie neben sich ins Gras.

„Dies ist ein idealer Platz, um den Sonnenaufgang zu betrachten“, erklärte Shane.

Da erst fiel Keira auf, wie dunkel es schon geworden war. Der Tag war nur so verflogen und sie hatte es nicht einmal bemerkt. Sie hatte so viel Aufregung und Spaß gehabt, dass die Stunden nur so verflogen waren.

Sie warf einen Blick auf ihr Handy und sah, dass sie einige Anrufe von Bryn verpasst hatte. Ihre Schwester hatte ihr außerdem eine ganze Reihe von Textnachrichten und Fotos geschickt, von attraktiven Männern, um sie aufzuheitern. Sie lachte auf, als ihr bewusst wurde, dass sie das gar nicht gebraucht hatte, dass die Gesellschaft einer freundlichen irischen Familie und jede Menge Tee ausgereicht hatte, sie aus ihrer trüben Stimmung zu reißen.

 

Sie blickte durch die hängenden Zweige in den Himmel, der sich rot und blau verfärbte. Es war wirklich wunderschön.

„Konnten dir meine Eltern mit deinem Artikel weiterhelfen?“, fragte Shane und beendete ihre Grübeleien.

Noch bevor Keira antworten konnte, vibrierte ihr Handy. Sie warf einen Blick darauf und sah, dass Joshua ihr eine E-Mail geschickt hatte. Ihr sackte das Herz in die Hose.

Schnell las sie seine Nachricht.

Nina sagte mir, dass du die Richtung des Artikels ändern willst, mehr über die Trennung von deinem Freund schreiben willst. Das ist eine blöde Idee. Sie hat mir gezeigt, was du bisher geschrieben hast, und auch wenn es erbärmlich wenig war, so war es doch besser, als das, was du jetzt vorhast. Niemand interessiert sich für dein persönliches Drama. Ist es das, was du da drüben die ganze Zeit gemacht hast? Rumgeheult, über die Trennung? Ich will bis morgen früh einen neuen Entwurf in meinem Posteingang haben.

Keira wollte wütend antworten, dass man ihr einen unmöglichen Auftrag gegeben hatte, aber sie schluckte ihren Frust herunter und packte das Handy in die Tasche.

Die E-Mail hatte schlagartig Keiras Fröhlichkeit zunichte gemacht. Wie sollte sie sich über einen Ort wie diesen lustig machen? Auf keinen Fall würde sie Eves und Calums Liebesgeschichte lächerlich machen. Und sie konnte auch das Festival nicht mehr niedermachen, wo Menschen, die einsam und verzweifelt waren, zusammenkamen, wo sie eine neue Chance erhielten, die wahre Liebe zu finden, die ihnen, aus welchem Grund auch immer, abhanden gekommen war.

Aber sie hatte schlicht und ergreifend keine Wahl. Sie musste diesen bissigen Artikel schreiben, den sie Elliot und Joshua versprochen hatte. Nina drängte sie ja auch in diese Richtung. Aber sie hasste sich selbst bei dem Gedanken daran.

„Ich weiß noch nicht, ob sie es in die endgültige Version schaffen“, murmelte sie.

„Wieso nicht?“, fragte Shane. „Das ist doch großartig. Wie in einem Hollywoodfilm.“

Keira rutschte unruhig hin und her. Sie wollte Shane am liebsten sagen, was der Artikel in Wirklichkeit beinhalten sollte, aber sie wusste, das würde sein Vertrauen in sie zerstören.

„Wenn ich das nächste Mal ein Manuskript in Hollywood einreiche, werde ich darauf zurückkommen“, sagte sie, bemüht, ihr Unbehagen hinter einem Scherz zu verbergen.

Shane lachte und ließ das Thema fallen. Er wandte sich von ihr ab und schaute zum Sonnenuntergang. Sie studierte sein Gesicht, nahm die Umrisse wahr, die die Rasur enthüllt hatte. Sie hatte das Gefühl, ihn zu hintergehen, wie eine Schlange, der nicht zu trauen war.