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Violet - Verletzt / Versprochen / Erinnert - Buch 1-3

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Kapitel 22

Hope ist fort.

Sie bringen mich in den Komplex hinein.

Tiefer. Immer tiefer.

Ich stolpere auf einem Bein. Bin schwer verletzt. Habe furchtbare Schmerzen. Ich bin es gewohnt Schmerzen zu ertragen.

Hope?

Adam?

Wo bringen sie Hope und Adam hin?

Sie sind bei mir. Der verrückte Professor und Vollstrecker mit tödlichen Waffen. Ich bin zu schwach, um mich zu wehren. Sie sind zu viele. Ich bin allein.

Ich bin ein Eindringling in einer fremden Welt. In einer Welt, in der Bestien wie Schwerverbrecher eingesperrt werden. Sie werden mich einsperren.

Sie führen mich durch eine Halle, in der Säulen aus Glas stehen, die den Umfang und die Höhe von gewaltigen Kirchensäulen haben. Ich erinnere mich an Kristens Haus. Wie ich eine Tür geöffnet habe und eine Bestie in einer solchen Säule erblickte, wie sie mich böse ansah.

Hier stehen dutzende Säulen. Die Apparate, Schläuche, Geräte sehen aus wie die bei Kristen, aber die Dimensionen sind industriell.

Wir sind außerhalb der Sektion. Im Bestiengebiet. Deadland, denke ich. Sie haben uns alle getäuscht. Ich wusste es schon immer, dass mit den Sieben Geboten etwas nicht stimmt.

Der Fahrstuhl vibriert, summt und bringt mich noch tiefer unter die Erde. Ich frage mich, ob es hier unten auch Bestien gibt? Bestien können uns riechen wie Haifische das Blut.

Es gibt hier keine. Außer mir. Denke ich.

Hier unten wird mich etwas erwarten. Meine Vergangenheit. Weiß ich.

Nach endlosen Korridoren stehen wir vor einer verschlossenen Tür. Es riecht nach Stahl und etwas, dass mich an Ashas Krankenstation erinnert.

Ein Schild an der Wand macht jedem klar, dass hier niemand etwas verloren hat:

Versuche eingestellt. Unberechtigtes Betreten wird mit dem Leben bezahlt.

Der Professor öffnet die Tür.

»Freija, folge mir. Stützt sie« sagt er zu den Vollstreckern. Er kennt meinen Namen?

Ich gehe rein, brauche Hilfe beim Gehen. Ich nehme keine Hilfe an. Nicht von Vollstreckern. Ich gehorche dem Professor, weil ich keine andere Wahl habe.

Ich weiß nicht, wo sie Hope hingebracht haben. Wo Adam ist. Denke schon wieder an sie. Höre die Schritte der Vollstrecker hinter mir. Ihren Waffen im Anschlag.

Lampen schalten nacheinander in Reihen ein und offenbaren Stück für Stück die Dimensionen. Ich finde mich wieder in einer Kopie der Trainingshalle in Sektion 13. Raum der Stille, Sportgeräte, Hindernisparcour. Alles da. Aber die Dimensionen sind nicht zu vergleichen. Die Halle in Sektion 13, ist im Vergleich hierzu, eine Miniaturausführung. Die Decke ist über zehn Meter hoch, und bis zum anderen Ende der Halle sind es hundert Meter, und sie ist mindestens genauso breit. Gewaltig.

Im Zentrum steht ein Kasten aus Glas und Metall. Es ist ein hochmodernes Labor, soviel erahne ich. Hermetisch abgeriegelt, das verraten die Warnschilder.

Screens und Bedienpulte, die mich an das Cockpit der Helis erinnern, befinden sich davor. Links entdecke ich gleich zehn der quadratischen Kästen nebeneinander an der Außenwand. Die uns gegenüberliegende Wand ist nackt. Erst als auch dort alle Lichter angehen, tut sich etwas. Die Wand zuckt nervös wie eine Neonröhre, die es sich überlegt, ob sie anspringen möchte, oder es heute lieber sein lässt. Dann plötzlich ist die ganze Wand hell. Formen sind zu erkennen. Zunächst schwach, dann immer klarer.

Ich sehe grüne Hügelketten und Wiesen. Daneben einen kleinen See und in der Ferne einen Berg. Eine Projektion, wie bei Kristen. In ihrem Haus, dort wo ich meine Füße in den Pool gestreckt habe. Es ist so gut gemacht, als stünden wir tatsächlich in einer Halle, die zum einen Ende zur Natur hin offen ist.

»Kaum zu glauben, dass wir uns tief unter der Erde befinden, nicht wahr«, sagt der Professor. Ich schweige, habe meine Stimme verloren.

Weiß er, dass das meine Erinnerungen sind? Meine Erinnerungen an die Zeit vor Sektion 13. Das hier sind die Bilder in meinem Kopf. Aber dass meine Erinnerungen nur eine Projektion sind, ist deprimierend.

Mir wird schlecht. Ich fühle spitzes Metall in meinem Rücken, werde nach vorne gestoßen. Mir wird befohlen, meinen Körper tiefer in die Halle hinein zu bewegen. Alles um mich herum fährt hoch, als befände ich mich im Zentrum eines Computerkerns.

Als die Prozedur abgeschlossen ist, verändert sich der gewaltige Screen. Es wird Nacht und auch alle anderen Beleuchtungen an der Decke, in den Kästen, Räumen dimmen in den Nachtmodus, passen ihr Licht an. Faszinierend, trotzdem nur eine billige Kopie der Realität. Eine billige Kopie der Realität. Mich fröstelt es bei dem Gedanken, was mich hier noch erwarten wird.

Ich blicke zu den Kästen an der Seite. Auch hier sehe ich Erinnerungen. Glas und Beton. Der Professor führt mich hin.

Sicherheitsglas gewährt mir Einblicke. Labore. Biologische Apparaturen wie in Ashas Labor in Sektion 13. Alles wirkt verlassen. Aber ich sehe keinen Staub.

In zwei Zimmern befinden sich Säulen aus Glas, die bis zur Decke reichen. Es steht außer Zweifel, dass darin einst Bestien gefangen waren. Jetzt sind sie leer.

Andere der Zimmer sind nicht für Bestien bestimmt. Bestien schlafen nicht in Betten, brauchen keine Schränke und Stühle.

Persönliches ist zu entdecken. Bücher, Bilder an den Wänden. Sportgeräte.

Der Professor führt mich weiter. Es bedarf keiner Worte. Die Eindrücke sind überwältigend.

Plötzlich bleibe ich wie angewurzelt stehen.

Sehe violette Blumen an die Wände gemalt. Kindlich, verspielt. Eine violette Decke auf dem Bett. Die Schranktür steht offen, ein violettes Kleid hängt darin. Das kann nicht sein, was mir gerade durch den Kopf geht. Violet. Kann das sein?

»Freija«, sagt der Professor und reißt mich aus meinen Gedanken. Seine Stimme zerrt mich vor das Zimmer, Gefängnis, Versuchszelle (wie auch immer ich es nennen soll) direkt gegenüber.

Mir stockt der Atem. Das Zimmer ist fast leer, durch nichts geschmückt. Das Gegenteil von eben.

Umso mehr fällt er auf. Mutterseelenallein sitzt er dort und sieht mich treuherzig an. Ein alter Bekannter, ein alter Freund. Ein Flashback, eine Erinnerung, die plötzlich da ist, sagt mir, dass es meiner ist.

Der blaue Teddybär sitzt auf dem Regal über dem Bett.

Der blaue Teddybär, der aussieht wie…

Ich spüre wie mir schwindlig wird, die Schmerzmittel lassen nach, oder ist es etwas Anderes. Ich spüre, wie meine Beine weg brechen. Es folgt Dunkelheit.

Buch 4 - Dunkelheit

Ist es für sie schrecklich, wenn sie uns verliert? Ihre erste, scheinbar organisierte Intelligenz… war es doch erst durch unsere Augen möglich, dass sie in der Lage war, Ihre eigene Schönheit zu sehen.

Frei nach James Lovelock

Kapitel 1

Langsam öffne ich meine Augen. Mein Kopf brummt, als habe ihn eine Abrissbirne getroffen. Der Nebel der Ohnmacht fällt von mir ab und die Erinnerungen sind sofort da.

Alle.

Hope ist fürchterlich schwer verletzt. Aber sie ist am Leben. Das zählt. Denke ich. Versuche ich verzweifelt, meine Gefühle in den Griff zu bekommen.

Das schwache Licht der Notbeleuchtung genügt, um ihn zu sehen. Den Teddy. Ein treuer Weggefährte eines jungen Mädchens, das ich einmal war. Ich versuche, mich weiter zu orientieren.

Wie spät ist es überhaupt?

Ich habe geschlafen. Nicht geträumt. Dieses Mal nicht. Langsam stehe ich auf. Mein Bein? Es ist geschient, sieht aus wie das Bein einer Maschine und es tut nicht allzu sehr weh. Die Schmerzmittel, bilde ich mir ein.

Ich bin umgeben von schwachem Licht. Als die Formen um mich herum weiter Gestalt annehmen, begreife ich, dass ich alleine bin. Mich in dem quadratischen Raum befinde. Fünf mal fünf Meter. Vier Wände. Drei kalte Wände aus Beton. Eine Wand direkt vor mir aus Panzerglas. Erinnerungen verschmelzen sich mit der Gegenwart. Ich bin angekommen. Ich bin zuhause.

Und ich richte mich auf in meiner Zelle und laufe zu der Wand aus unzerbrechlichem Glas. Ich bin barfuß und jemand hat meine Jeans und mein Top und alles andere, das ich trug, gegen ein einziges blütenweißes ärmelloses Hemd eingetauscht, das mir bis zu den Knien reicht. Die Wand aus Glas ist wie Milch. Undurchsichtig. Aber ich weiß, ich brauche sie nur zu berühren und ich kann durch sie hindurchsehen. Ich nenne es nicht Privatsphäre, sondern optimierte Versuchsbedingungen.

Das Objekt (ich) kann ungestört von außerhalb beobachtet werden und trotzdem besteht die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Ich berühre das Glas mit meinen Fingern. Es fühlt sich kalt an. Auf seltsame Weise vertraut.

Dort wo ich es berühre, ist jetzt ein transparenter Kreis, der größer wird. Größer. Immer weiter, bis die Wand aus Glas durchsichtig geworden ist, bis ich alles sehen kann, was sich auf der anderen Seite befindet.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Meine Finger zittern. Mein Körper bebt.

Die Zelle gegenüber ist nicht leer.

Sie war nie leer gewesen, solange ich hier war. Als ich noch ein Kind war. Ich stehe zwei Meter von ihr entfernt, lediglich durch zwei Trennwände aus Glas getrennt.

Unzerstörbare Scheiben.

Asha.

Sie steht dort, hat ihre Hand fest auf ihre Wand gepresst.

Wir sind uns so ähnlich. Bis auf ihre Haare. Sie sind noch immer violett gefärbt. Ich weiß, sie könnte mich nicht hören, wenn ich etwas sagen würde.

 

Und.

Sie hat sich verändert.

Ist erwachsener geworden. Größer? Kann das sein? Schlanker. Jesse hatte recht. Sie hat abgenommen. An ihr war doch sowieso nie viel dran.

Ich kann die Ausläufer eines Tattoos um ihr Bein herum erkennen.

Endlich.

Habe ich sie wieder gefunden.

Ich habe mein Versprechen gehalten.

Ich lächle. Und dann.

Asha sieht mich an, verzerrt ihr Gesicht zu einer abscheulichen Grimasse. Funkelt böse.

Was?

Sie nimmt ihre Hand von der Scheibe, das Panzerglas läuft an, dann ist sie verschwunden.

Kapitel 2

Asha?

Was?

Was ist mit ihr?

Ich ziehe meine Hand von der Scheibe zurück. Ziehe mich zurück in meine Zelle, auf mein altes Bett. Will mich weiter zurückziehen, an einen Ort, an dem wir uns alle sicher fühlen könnten.

Ich weiß, diesen Ort gibt es nicht. Nicht in dieser Welt. Vielleicht an einem Ort in meinem Innern. An einem Refugium, das niemand außer mir aufsuchen kann.

Aber ich finde keinen Zugang.

Endlich habe ich Asha gefunden. Mein Versprechen eingelöst. Aber sie haben etwas mit ihr angestellt. Komme ich vielleicht zu spät? Und was soll ich ausrichten? Ich sitze in einer Zelle aus Beton und Panzerglas gefangen und kann nur darauf warten, was als nächstes passiert. Was mit mir, mit uns allen als nächstes geschieht.

Meine Gedanken drehen sich wie ein Karussell und ich sehe die Menschen, die…? Die ich liebe.

Hope, Jesse und mein altes Team.

Und Adam. Natürlich.

Wo sind sie alle geblieben, frage ich mich und ich hoffe verzweifelt, es geht ihnen gut. Asha, meine liebe Zwillingsschwester, ich hoffe auch für uns, dass wir einen Weg finden.

Irgendwie schaffe ich es, meine Augen zu öffnen und stelle erstaunt fest, dass sie bereits offen sind. Ich habe tatsächlich geträumt, mit offenen Augen.

Das Zimmer, meine Zelle, materialisiert sich, nimmt wieder Formen und Konturen an. Ich sehe mich aufmerksam um, ungetrübt durch die inneren Bilder und Gefühle, die meinen Sehsinn schwächten. Ich kann nicht wirklich sagen, was sich in den Jahren meiner Abwesenheit verändert hat. Der Teddy ist der alte, ist meiner. Definitiv.

Aber der Rest?

Ein ovaler, futuristischer Tisch und zwei geschwungene Stühle. Ein Regal aus Metall, in dem Bücher stehen sollten, das aber leer ist. Verlassen wirkt.

Ich befinde mich im Hier und Jetzt, in diesem Augenblick. Dort, wo sich Vergangenheit und Erinnerungen, die Zeit und die Ewigkeit für einen Moment berühren.

Ich bin jetzt gerade auf das Wesentliche eingestellt. Und da kommt mir ein Gedanke. Ich sollte etwas anderes anziehen. Unbedingt. Etwas, das nicht wie ein zu groß geratenes OP-Hemd an mir herunterhängt. Seit der Wiedergeburt in Kristens Haus habe ich so viel erfahren. Ich wurde gelöscht, war ein anderer Mensch oder doch ich selbst?

Es ist seitdem so viel passiert und ich? Ich muss aufhören, in Bruchstücken zu denken, beginnen, endlich längere Sätze in meinem Kopf zu formen. Aber ich bin nicht sicher, ob ich dazu schon in der Lage bin. Mein ganzes Leben besteht aus Bruchstücken.

Ich habe Bedürfnisse in mir kennengelernt, die ich zuvor nie erahnen konnte. Ich bin Freija, die Göttin der Liebe und die des Todes, und ich bin eine Frau mit Bedürfnissen und will endlich einmal wieder gut aussehen, gut duften, mich mit Seife waschen!

Ich fixiere die schmale Tür neben dem Bücherregal, weil ich weiß, dass sie in den kleinen Nebenraum führt, wo sich das Bad und Anziehsachen befinden müssen. Wenn sich dort nichts verändert hat, wenn ich alles richtig rekonstruiere, dann werde ich dort finden, was ich jetzt benötige. Langsam, als wäre ich eine alte Frau, stehe ich auf und humple los. Die Schiene an meinem Bein macht jede Bewegung mit und klingt wie eine kleine Maschine.

Es ist genauso, wie ich gehofft habe. Niemand hat hier etwas in den letzten Jahren angerührt. Ich sehe die Gegenwart und zugleich meine Vergangenheit. Vielleicht war es ja so geplant, dass ich eines Tages hierher zurückkomme. Vielleicht bin ich ja auch darauf programmiert, wieder zurückzukommen?

Das Blut gefriert in meinen Adern und ich bemühe mich, diesen scheußlichen Gedanken ganz schnell abzuschütteln. Bitte! Bitte Gott, lass das nicht die Wahrheit sein. Ein schrecklicher Anfall schüttelt mich durch.

Atmen. Ich atme durch, versuche mein gesundes Bein, das sich anfühlt wie Pudding, wieder unter Kontrolle zu bringen. Wünsche mir gerade eine zweite Schiene, um mich aufrecht halten zu können. Das kann nicht sein, rede ich mir ein. Das darf nicht sein.

Ich erinnere mich an das, was ich eigentlich vorhatte und schaffe es, mich zu beruhigen, die wohlbekannte Angst, die in mir hochkriecht, loszuwerden. Die Angst, von jemandem oder etwas kontrolliert zu werden, egal ob von der Sektion oder den Bestien.

Und ich beschließe, mich jetzt zu duschen, mich hübsch zu machen, auf andere Gedanken zu kommen.

Es gelingt mir halbwegs.

Schwerfällig stelle ich mich nach dem künstlichen Regen vor den Kleiderschrank. Seine verspiegelten Glastüren sind noch vom Wasserdampf angelaufen. Mit einer Hand wische ich einen kleinen Fleck frei, um mein Gesicht zu betrachten. Dann noch mehr, um mich ganz zu sehen. Ich habe mein Spiegelbild schon eine ganze Weile vermisst.

Mein blondes Haar klebt klatschnass an meinem Kopf und verleiht meinem Gesichtsausdruck etwas Kämpferisches. Meine Haut duftet nach Seife, frisch und blumig.

Ich betrachte das Spiegelbild von Kopf bis Fuß. Die Schiene, die kleine Maschine an meinem gebrochenen Bein, glänzt und sie funktioniert noch. Ist wasserdicht. Das war Glück, denn ich hatte daran keinen Gedanken verschwendet.

Meine Augen haben einen metallischen Glanz, meine Haut ist marmorglatt.

Die Tattoos gleichen zarten, keltischen Mustern, sind harmonisch auf meine Haut abgestimmt und betonen perfekt meine weiblichen Formen.

Ich kann Adam verstehen.

Ich habe tatsächlich eine fast unwiderstehliche Ausstrahlung. Das muss an den Bestien in mir liegen, bilde ich mir ein. Oder eventuell auch an Adams Blut. Ein Schauer läuft mir senkrecht die Wirbelsäule hinab. Ich habe mich an meinen eigenen Gedanken, an meinem Blutdurst, erschreckt.

»Ganz ruhig Freija, du wirst ihn wieder sehen«, sage ich zu meinem Spiegelbild.

Nun öffne ich die Schiebetür und studiere die Auswahl der Kleidung, die recht überschaubar ist. Die Sachen, die mir passen könnten, beschränken sich auf zwei schlichte Kleider. Die Jeans sind zu klein, zu jungenhaft. Ist es Zeit, meinen Stil zu ändern? Ein Kleid anzuziehen?

Welche Farbe würde besser zu mir passen, um Asha und alle, die mir nahe stehen, zu retten? Um die Welt zu retten? Ein Kleid, das rot ist, wie die Liebe oder schwarz ist, wie der Tod?

Ich kann mich nicht entscheiden und trete vor den beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken, wische auch dort ein Sichtfenster frei. Das bin ich. Hier bin ich.

Obwohl die Wahrheit keine liebe Familie, kein vernünftiges Zuhause, kein normales Leben für mich offenbart hat, fühle ich eine wohltuende Leere, die mich einhüllt.

Die Suche hat ein Ende. Endlich. Und ich kann nach vorne blicken. Muss an die Zukunft denken, an die Prophezeiung.

Adams Mutter musste wahrhaftig hellseherische Fähigkeiten gehabt haben, wenn sie meinen alten blauen Freund und mich in einer besseren Zukunft gesehen hat.

Einer Zukunft, in der es endet. Was auch immer das Ende bedeutet. Ich streiche die filigranen Linien des Tattoos auf meinem Oberarm nach. Asha trägt nun auch ein Tattoo. Ich denke an ihr Gesicht. Was war nur mit ihr los? Sie hat sich nicht gefreut, mich zu sehen. Was haben sie mit ihr gemacht? Experimente? Wurde sie womöglich gelöscht? Haben sie ihr auch grüne Flüssigkeiten ins Gehirn gespritzt?

Zorn lodert in mir auf bei diesem Gedanken. Dass sie dazu tatsächlich im Stande sind, sie zu foltern, ihr alles zu nehmen und plötzlich weiten sich meine Pupillen, so wie sich ein blauer Tintenfleck auf Papier ausbreitet und dann erwachen meine Tattoos. Ich erstrahle im Licht von hundert Flammen.

Nicht weil ich es ihnen befohlen habe, sondern weil Zorn und Hass in mir züngeln, mich verbrennen werden. Eine reine Schutzmaßnahme meiner Bestien, denke ich, vermute ich, bin mir aber nicht sicher, denn mir fällt es gerade wieder einmal schwer, klar zu denken.

Verdammt, ich bin dabei, die Kontrolle zu verlieren, dabei dachte ich, ich würde mich besser fühlen.

Meine geweiteten Augen blicken sich um. Sehen im Spiegel, wie ich schnuppere. Wie eine Bestie.

Adam ist nicht in der Nähe, sein Blut im Moment für mich unerreichbar. Und trotzdem laufe ich Gefahr, meinen Willen an die Bestien abzutreten. Ich bin so wütend. Will die Erde mit bloßen Händen aufreißen, aber alles was ich vermag, ist regungslos vor dem Spiegel zu stehen und zu beobachten, wie der Wasserdampf an seiner Oberfläche wieder kondensiert und dann gefriert.

Meine Bestien sind hellwach. Es ist erstaunlich, dieses Detail, diese Veränderung der Wassermoleküle wahrzunehmen. Aber es ändert nichts.

Ich lege meinen ganzen Zorn in einen Schrei. Aber ich kann mich nicht hören, meine Lippen bewegen sich nicht, nur meine Augen sind dazu in der Lage. Als wäre ich nicht ich, sondern nur der Beobachter meines Körpers.

Jetzt flackern die Bestien auf meiner Haut auf wie tausend Kerzen im Sturm und die Lichter im Bad auch. Elektrizität ist nur eine andere Form von Energie, das weiß ich von Hope.

Plötzlich.

Eins der Lichter zersplittert und Elektrizität schießt zu mir in den Raum, wie ein Blitz. Freigelassene Energie.

Weiße Lichter in der Luft, blaue Feuerbögen an der Decke, helle Flammen an meinen Füßen vertreiben die Wut, machen mir Angst.

Meine Tattoos erlischen und als bestünde zwischen ihnen eine Verbindung, erlischen auch die elektrischen Funken. Ich stehe im Dunkeln. Zittere, bebe ein wenig.

Was, um Gottes Willen, war das denn?

Hope würde vor Freude in die Luft springen, weil das definitiv mehr war, als so körperlicher Kram. Ich sinke auf meine Knie und muss meine Tränen zurückhalten, meine Augen vor dem Überfluten retten. Bin von meinen Gefühlen total überwältigt. Fühlte Hass und fürchtete mich zugleich. Ich denke an Adam und sehne mich nur nach seiner Nähe. Sehne mich nach einem anderen Gefühl, nach seiner Liebe. Ich hoffe nicht nach seinem Blut.

Ende der Vorschau.

Übersicht über alle sieben Bücher der Violet-Reihe:

Buch 1 Verletzt

Buch 2 Versprochen

Buch 3 Erinnert

Buch 4 Dunkelheit

Buch 5 Entfesselt

Buch 6 Verfolgt

Buch 7 Vollendet