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Die Höhlenkinder im Steinhaus

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Klein-Eva

Im Spiel hatte Hansl begonnen, auf seinem Karren den Ziegen Futter zu bringen, und im Ernst wurde es seine tägliche Pflicht. Je öfter er die Ziegen versorgte, um so lieber gewann er sie. Er war entsetzt und traurig, als eines Tages ein Bartgeier sich mitten aus der Herde ein Zicklein holte und das klagende Tierchen in seinen Fängen in die Lüfte trug. Von Hansls Geschrei herbeigerufen, sah Peter den Raubvogel gegen die Klammwände zu abstreichen, ohne ihm einen Pfeil nachschicken zu können. Da er weder Zeit noch Lust hatte, sich mit Pfeil und Bogen im Geißengarten auf die Lauer zu legen, einigte er sich mit Eva, daß Hansl jeden Morgen als Hüter mit seinem Lieblingshund in den Geißengarten ging, versorgt mit Nahrung und ausgerüstet mit der alten Bratpfanne, auf der er Lärm schlagen sollte, wenn ein Geier zu nahe käme. Und Hansl wurde ein gewissenhafter Geißbub.

Peter baute wieder an der langen Mauer. Zur Zeit der Sommersonnenwende brachte er drei honigschwere Waben heim. Zwei Waben überließ er Eva zum Süßen des braunen Eicheltrankes, den sie mit Milch zu mischen pflegte; aus der dritten drückte er den Honig in einen großen Topf und verdünnte ihn reichlich mit Wasser. Dieser Trank schmeckte ihm besser als »leeres« Wasser. Den Topf trug er in die Bärenhöhle, die Eva nie mehr aufräumte. Er trank nur sparsam von diesem Gemisch. Nach einigen Tagen merkte er, daß es trübe wurde. Es bekam einen prickelnden Geschmack und einen fast widerlichen Geruch. Wieder nach einigen Tagen versuchte er, müde vom Steineführen, von neuem den sonderbaren Trank und fand ihn geklärt. Etwas von seiner ursprünglichen Süße war wieder zu spüren, ein kräftiger, gar nicht mehr widerlicher Geruch stieg aus dem Gefäß. Kaum hatte er ein paarmal tüchtig geschluckt, da wich die Müdigkeit von ihm wie durch einen Zauber. Und Peter staunte, wie leicht ihm danach die Steine vorkamen. In allen seinen Bewegungen war mehr Schwung als nötig, bald aber war er wieder müde. Da stärkte er sich von neuem. Beim Abendessen war er ungewöhnlich gesprächig.

Als Eva ihn darauf aufmerksam machte, daß sich die Stubendecke wieder ein wenig gesenkt hatte, lachte er überlaut und fuhr mit der Rechten großartig durch die Luft: »Ach geh, wenn das Dach so schwere Steintrümmer tragen kann, wie ich ihm aufgeladen habe, dann widersteht‘s auch dem Wind; es hält schon noch!« Staunend beobachtete Eva das Getue und Gerede ihres sonst so klugen Mannes, sagte aber noch nichts, sondern legte Hansl schlafen. Doch das Dach ließ ihr keine Ruhe, sie wollte ihrem Mann noch einmal begreiflich machen, daß er es erneuern müsse, bevor der Winter seine Schneelasten darauf legte; aber als sie zurückkam, hatte Peter seinen Kopf auf die Tischfläche gelegt und schlief schnarchend mit offenem Munde.

Verstohlen und sparsam trank Peter weiter. Und immer stellte sich die gleiche wunderbare Wirkung ein. Sooft Eva abends vom Dach anfing, begegnete sie Peters unbegreiflicher Sorglosigkeit.

Wenn sie Hansl im Geißengarten aufsuchte, wanderte sie mit ihm Hand in Hand durch das weite Gehege, gefolgt von den Lieblingsziegen, umhüpft von den Zicklein, die nicht müde wurden.

Je weiter der Spätsommer vorrückte, desto seltener besuchte Eva den Geißengarten. Peter machte sich verdrossen an die zweite Heuernte. Sein Labetrank war ausgegangen. Da suchte er eines Tages Eva in der Vorratskammer auf und verlangte den Honig, den er ihr gegeben hatte. Vergeblich sagte sie ihm, sie habe ihn für den Winter bestimmt, der gesüßte heiße Eicheltrank werde dann jedem von ihnen wohltun. Doch Peter beharrte auf seiner Forderung, bei seiner schweren Arbeit brauche er den stärkenden Trank.

Und ohne Evas Wissen nahm er ihren Honig an sich, und bald hatte er wieder den ersehnten Met. Und wenn er beim Mauern an das baufällige Dach denken mußte, schob er den Gedanken beiseite: Ach was, hat nächstes Jahr Zeit; wird schon noch den Winter aushalten! Hansl staunte, wie hoch der Vater diesmal die Heuschober baute und fragte sich, ob er selbst je so stark sein würde wie der Vater. Eva hütete das Haus; seltener und seltener ging sie über die Schwelle. Bei Gewittern, die sich in den letzten Sommerwochen häuften, fuhr sie nach jedem Blitz zusammen, der rollende Donner brachte sie zum Weinen.

Die Herbstfruchternte kam, Peter arbeitete allein im Walde, wieder vom Morgengrauen bis in die sinkende Nacht; Hansl durfte die Ziegen nicht verlassen. Für den Sonnleitner war es eine ungeheure Aufgabe, für Menschen und Haustiere genügend Fruchtvorräte für den Winter herbeizuschaffen. Der Labetrank war längst ausgetrunken.

Eines Nachmittags mußte er so stark an Eva denken, daß er mitten in der Arbeit aufhörte und nach Hause rannte, als ob sie ihn gerufen hätte.

Er fand sie im Bett. Sie lächelte ihm entgegen. Neben ihr lag ein überzartes, flachsblondes Kind. Und als Peter die Mutter küßte, flüsterte sie: »Eva soll sie heißen.«

Zu spät!

Unerwartet früh setzte starker Schneefall ein und machte der Sammelarbeit Peters ein Ende. Ruhig und stetig schneite und schneite es, zwei Tage, drei Tage. Auf dem Dach des Steinhauses lag der Schnee kniehoch, breiig zusammengeschmolzen vom lauen Wind, der an ihm leckte. Und tiefer senkte sich die Stubendecke. Everl verschlief die Tage im Bett neben der Mutter, mitten in der Nacht aber begehrte sie laut weinend zu trinken. Dann konnte Peter nicht mehr einschlafen. Und die Nacht war so lang! Er hörte, wie das Schmelzwasser vom Dachrand tropfte, er vernahm ein verdächtiges Knistern im Deckengebälk. In Gedanken sah er etwas Furchtbares geschehen. Nach einer durchwachten Nacht eilte er mit Beil und Säge in den Wald, fällte eine schenkeldicke Fichte und klemmte den auf Stubenhöhe gekürzten Stamm zwischen den mittleren Deckenbalken und den Fußboden. Dann sammelte er Brennholz, das er an der Hausmauer aufschichtete. Sein Nachtschlaf war wieder tief, das Weinen seiner kleinen Tochter hörte er kaum mehr. Auch Eva war wieder beruhigt.

Eines Tages machte der Winter Ernst. Der Klammwind drückte die Schneewolken tief in den Talkessel. Sie ließen ihre Eisnadeln an den Südwänden niederwirbeln, und ehe der Abend kam, lagen Wald, Moor und Steinfeld unter einer blendendweißen Decke. Es wurde still, die Luft war klar. Aber ein Sonnenuntergang, dessen flammende Röte das dünne Gewölk des Himmels durchleuchtete, kündete nahen Sturm.

Hansl schlief längst, da saß Peter noch auf dem Bettrand bei Eva und kündigte ihr an, im nächsten Sommer müsse sie in der Bärenhöhle hausen, bis er das Dach abgetragen und durch ein besseres ersetzt habe. Vor Mitternacht stillte Eva noch ihr Kind. Dann schliefen alle.

Als der Morgen graute, hörten sie draußen ein pfeifendes Jaulen, ein an- und abschwellendes Heulen. Ein jäher Sturmstoß fegte durch das Rauchloch und blies Asche und glühende Kohlensplitter den Hunden in den Pelz, daß sie scharf kläffend aufsprangen. Da erwachte Eva, deckte ihr Kind sorgfältig zu und verließ ihr Lager. Sie kleidete sich notdürftig an und trat vor den Herd. Wie stets bei Föhngefahr, schob sie den Feuerbock beiseite, fegte die Glutreste auf ein Häufchen und stülpte eine Tonschüssel darüber. In der Stube wurde es dämmerig. Die Ampel vor den Ahnenbildern brannte trüb und winzig. Da stand auch Hansl auf und hielt sich an Evas Rockfalte. »Mutter, ich fürcht‘ mich.« Der Sturm warf sich von vorn auf das Haus. Die Tür ächzte und quietschte. Eva begann laut das Stoßgebet der Ahnl: »Gott und alle guten Geister, steht uns bei!« Peter erwachte, lehnte den umgestürzten Tisch gegen die Tür und verspreizte ihn von innen mit seinem Jagdspeer gegen den Boden. Der Sturm ließ nach, als hole er Atem für einen neuen Ansprung. Dann wuchtete eine schwere Luftwoge auf das Dach des Steinhauses. Ein Ächzen im berstenden Dachgebälk ... Holz, Steine, Schilf, Moos und Schnee alles krachte herab!

Schreckensstarr stand Eva im Schutz des Herdgemäuers, über dem die Balkentrümmer schräg zur Stubenmitte niederhingen. Wo die Stubendecke gewesen war, flutete der morgende Tag herein. Dünne, sturmgepeitschte Wolken jagten über den Himmel. Da löste sich Eva aus ihrer Starre, und mit gellender Stimme schrie sie in das Toben sturmzerwühlter Schneemassen hinein: »Everl! Das Kind!« Peter, der zwischen der Vorderwand und den schräg niederhängenden Balkentrümmern unverletzt geblieben war, zwängte sich zur Herdmauer vor, tastete über Evas Bett hin, wühlte in Schnee und Moder, hob sorgfältig die auf die Bettdecke gefallenen Steine ab und fand Everl regungslos. Das Kind war warm und schien unverletzt... Er legte es der Mutter in die ausgestreckten Arme. Everl weinte nicht. Die Mutter horchte an des Kindes Mund. Everl atmete nicht! Everls Herz pochte nicht! Everl war tot.

Verwaiste Katzen

Der Sturm hatte sein Werk getan. Der Ziegenstall, die Vorratskammer, der Herdraum, den Peter durch Bruchstücke des Dachgebälks gegen die verwüstete Stube zu abgeschlossen hatte, das war nun die Behausung der Sonnleitnerleute.

Im Garten, nahe bei dem Rosenstrauch, wurde die kleine Tochter begraben. Still weinte sich die Mutter aus, kein Wort des Vorwurfs kam über ihre Lippen, aber der Grabhügel des Kindes sprach unerbittlich von Versäumnis und Schuld. Kein Honigtrank gab barmherziges Vergessen.

Am Tage nach dem Begräbnis stieg Peter zum Ufer des unteren Moorbachs hinunter und begann Fichten zu schlagen. Er kürzte die Bäume an Ort und Stelle. Da er auf seinem zweirädrigen Karren die Langhölzer nicht fortschaffen konnte und auch nicht jeden Baum einzeln schleppen wollte, baute er in aller Eile einen starken Hilfskarren, vorerst ohne die Radscheiben mit Eisen zu beschlagen. Beide Karren verband er zu einem vierrädrigen Wagen und lud so viele Langhölzer auf, daß er ihn schweißtriefend gerade noch ans Haus ziehen konnte. Nach schwerem Tagewerk verzehrte er stumpfsinnig vor Müdigkeit sein Essen und schlief am Tisch ein. Aber nachts wurde er von Alpträumen heimgesucht.

 

Als die gröbsten Spuren des Unglücks beseitigt waren und das neue, mit Rasenflözen und Steinen gedeckte Notdach den Wind von der Stube abhielt, war Peter der alleinige Bewohner des einst so vertrauten Raumes. Eva, die sich in der Sturmnacht erkältet hatte, war krank und schlief mit Hansl im warmen Ziegenstall.

In den Blicken seiner gebrochenen Frau las Peter den Groll, dem sie keine Worte gab. Dahin war Hansls sorglose Kindlichkeit. Ernst las er der blassen Mutter jeden Wunsch von den Augen ab und tat für sie, was er konnte. Ob er die Haustiere fütterte oder bei der Zubereitung der Mahlzeiten half — sein Tun war nicht mehr Spiel, sondern Arbeit.

* * *

Lang war der Winter, aber eines Tages war seine Herrschaft vorüber. Die Maßliebchen- und Löwenzahnbeete standen in Blüte, und Eva bepflanzte den Grabhügel ihrer Tochter mit Goldprimeln, Bergnelken und Immergrün. Mit der Zeit milderte sich Evas Leid. Unter dem Einfluß der Sonne und der Frühlingslüfte wurde sie kräftiger, so daß sie einen Teil der Hausarbeiten wieder selbst übernehmen und Hansl sich mehr um die Ziegen kümmern konnte, die im Geißengarten ihre Jungen zur Welt bringen sollten. Eva sah, wie ihr Mann sich härmte und in harter Arbeit abquälte. Je weiter seine Vorbereitungsarbeiten für das neue Dach fortschritten, um so mehr verschwand der Groll aus Evas Zügen. Als Peter jedoch, ermutigt durch ihr verändertes Wesen, mit seiner schweren Hand liebkosend ihre Schulter streicheln wollte, wies sie ihn ab. Da ging er wortlos.

Nach der ersten Heuernte waren die entrindeten und angekohlten Bauhölzer von der Sonne übertrocknet, aber nicht trocken genug. Da hieß es noch warten. Peter machte sich an andere Vorarbeiten. Das Dach sollte steiler werden, damit der Schnee besser abgleiten konnte. Die einzelnen Balken sollten durch Eisenklammern miteinander verhängt und fest ins Mauerwerk gemörtelt werden. So holte er denn einige Karren Raseneisenerz von der Goldbachmündung, heizte den Schmelzofen, verwandelte das Gußeisen in Schmiedeeisen und machte Eisenstäbe von halber Armlänge. Ihre Spitzen bog er um; die eine sollte gut eingemörtelt in der Mauer sitzen, die andere als Kralle das Holz halten. Als das Schwadenkorn reifte, war das neue Dach fertig. Peter baute noch einen flachen Zwischenboden unter dem schrägen Dach ein, der nach unten die Stubendecke, nach oben einen luftigen Tragboden für die Fruchtvorräte abgeben konnte. Erst als die Stube mit einem Gemisch von Kalkmilch und Lehm freundlich gestrichen war, zog Eva ein und brachte das Heim in Ordnung. Der Winter vermochte den Sonnleitnerleuten nichts mehr anzuhaben.

Wieder war der Frühling ins Land gezogen. Nach einer mondhellen Nacht brachte Peter vom Moorsee eine gefesselte Wildente mit ihren acht Küken, die als gelbliche Flaumbälle Eva und Hansl entzückten. Mit der Klemmschere kürzte Peter die Schwingen der Mutterente und setzte sie in den Hausteich, an dessen oberen Rand er einen niederen Stall baute. Gleich am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft fraßen die neuen Ankömmlinge gierig alles, was ihnen gestreut wurde, sie gründelten im kleinen Teich und durchstöberten alle Winkel des eingezäunten Platzes.

Auch die Ziegen und die Fuchshunde bekamen wieder Junge, und ein Schwalbenpaar stellte sich ein. Die unzähligen Fliegen, die den Abfallhaufen neben dem Stall an der Südwand umschwirrten, zogen sie an. Hier gab es Nahrung in Hülle und Fülle, und so dauerte es auch nicht lange, bis sich die Gäste unter dem Dachrand ihr Nest aus feuchten Lehmklümpchen bauten, die sie durch eingezogene Grashalme verbanden. Und ehe eine Woche vergangen war, saß das Weibchen im gemauerten Nest auf ihren Eiern.

Nach weiteren zwei Wochen steckten die fast nackten Jungen abwechselnd ihre unförmigen Köpfe aus dem runden Flugloch der Nestkammer, rissen bettelnd und einander stoßend die Schnäbel auf, sooft eines der Alten Futter brachte. Die Zahl der Fliegen im Stall nahm zusehends ab, die gefräßigen Schwalbenjungen bekamen Federn und machten bald ihre Flugübungen über dem Hof.

Eines Morgens kam Peter, munter pfeifend, vom Neuen Steinschlag herüber. Hoch in seiner Rechten hielt er ein graues, schwarzgezeichnetes Tier, an dem der Hund ungeduldig emporsprang. Er legte Eva eine Wildkatze in die Hände und begann zu erzählen. Er hatte das Raubtier mit einem Pfeil angeschossen, weil es in den Hausfrieden eingebrochen war und sich vom Hof eine Taube geholt hatte. Den Blutspuren folgend, hatte er mit Schnapps Hilfe die verwundete Katze vor einer hohlen Fichte des Urwaldes erschlagen, ehe sie in ihr Nest eindringen konnte, aus dem drei Junge miauend herausgeguckt hatten.

Eva preßte die Lippen zusammen, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit. Das Schicksal der toten Taube hatte auf sie wenig Eindruck gemacht. Lebten nicht auch sie, ihr Mann und ihr Kind vielfach vom Fleisch getöteter Tiere? Aber der qualvolle Tod der Katzenmutter, der Hunger der verwaisten Kätzchen griffen ihr ans Herz. Wortlos starrte sie vor sich hin.

Peter, der Dank erwartete, weil er ein Raubtier erlegt hatte, das auch das Leben Hansls hätte bedrohen können, deutete den Ausdruck der Trauer auf Evas Gesicht falsch, er hielt ihn für Mißbilligung seiner Tat, hatte er doch einst gelobt, kein Muttertier zu töten. Er nahm Eva die Beute ab und hängte die Katze verdrossen an den Zaun; später wollte er sie abbalgen.

Unterdessen zog Eva sich und Hansl die schweinsledernen Schuhe an und füllte einen Henkeltopf mit frischgemolkener Milch. Als sie sich zum Fortgehen anschickte, fragte Hansl, dem ihr gedrücktes Wesen auffiel: »Mutter, was hast du denn?« Da zog sie den Kleinen an sich und sagte erregt: »Die große Katze war eine Mutter, so wie ich deine Mutter bin. Der hohle Baum im großen Wald da unten ist ihr Haus, dort hat sie drei Kinder, weißt du? Und die Kinder haben Hunger, essen möchten sie, sie weinen vor Hunger. Da hat sie ihnen was zu essen bringen wollen, hat uns eine Taube genommen, und dafür ist sie erschlagen worden ... Und jetzt gehen wir zu den Katzenkindern!« In der Linken den Milchtopf, an der Rechten ihren Sohn, die Augen auf die Spuren ihres Mannes geheftet, strebte die Sonnleitnerin vorwärts durch Jungholz und Gestrüpp, bemerkte da und dort Blut und drang in den Urwald ein. Über vermoderte Baumleichen und niedergetretenes Farndickicht gelangte sie zum Wohnbaum des Raubtieres, an dessen Fuß in einer Blutlache die tote Taube lag. In der Baumhöhle, weit über Evas Kopfhöhe, im Stamm der alten Fichte, zeigten sich die runden Köpfchen dreier Jungkatzen und verschwanden blitzschnell.

An ein Erklettern des Baumriesen, den zwei erwachsene Menschen kaum umspannt hätten, war nicht zu denken. Da hob Eva den Buben auf ihre Schultern. Er tastete sich am Stamm empor zu voller Höhe, griff beherzt ins Innere der Höhlung, zog ein Kätzchen nach dem anderen heraus und reichte sie der Mutter hinab, die ohne Scheu die weichbepelzten Tierchen zwischen Brust und Hemd barg.

Dann stellte sie Hansl wieder auf den Boden, hieß ihn den Milchtopf aufnehmen und beeilte sich, aus dem unheimlichen Dunkel des Urwaldes zu kommen.

Behutsam streichelte sie die vor Angst zitternden Jungtiere. Als der düstere Wald hinter ihr lag, ließ sie sich am Fuß eines Baumes nieder und legte die Kätzchen in ihren Schoß. Und Hansl, der vor ihr auf den Fersen kauerte, übernahm es, den Tieren die Atzung anzubieten. War es die längst abgekühlte Milch oder das ungewohnte Gefäß? Jedes zog den Kopf zurück, sooft ihm Hansl das Schnäuzchen in den Topf steckte.

Da tauchte Eva den Zeigefinger in die Milch und führte ihn einem der Kätzchen in den Mund. Und siehe da — es begann zu lecken und leckte fort, als Hansl seiner Mutter die Milch in die hohle Hand goß. Das Schmatzen des einen lockte die anderen an, und bald drängten sich drei runde Köpfe in Evas hohle Hand. Bald war der Topf leer, und die drolligen Kerlchen begannen ihre winzigen Pfoten zu lecken und sich zu waschen.

Zuhause machte Eva ihnen in einem Korb ein warmes Nest. Sie wollte ihnen die Mutter ersetzen.

Hansl wird hart

Im Sonnleitnerhof balgten sich die Jungkatzen, sie belauerten und haschten einander, sie neckten die jungen Fuchshunde, deren Scheinkämpfe sich mit viel Gekläff und Geknurr abspielten; sie versteckten sich hinter großen Steinen im Hof und sprangen Hansl und Eva an die Beine.

Das schwächste der drei Kätzchen war am zutraulichsten. Es bekam den Namen Schnurri und wurde Hansls Schlafkamerad. Seine beiden Brüder aber, Grauli und Fleck, verscherzten sich die Gunst der Menschen. Sie töteten Singvögel am Futterplatz, sie fauchten, bissen und kratzten, sooft Hansl versuchte, ihnen durch ein paar Hiebe deutlich zu machen, daß sie den Hausfrieden störten.

Eines Tages sagte Peter zu seinem Buben: »Hansl, schau, Fleck und Grauli sind nicht zum Aushalten; immer wollen sie etwas umbringen. Wenn wir sie am Leben lassen, machen sie alle Vögel tot, die Mutter so gern hat. Weißt was, wenn‘s kalt wird und die zwei ihren Winterpelz haben, dann schieß‘ ich sie tot, und wir machen der Mutter warme Fäustlinge aus ihrem Fell, Fäustlinge, die ihr bis über die Ellbogen reichen.«

Er hatte die Worte gut gewählt. Hansl nickte; die Vorstellung, daß die Mutter weiche, warme Fäustlinge bekommen sollte, ließ ihn die kalte Zeit herbeiwünschen.

Von da an sperrte er die beiden Katzen jedesmal ein, wenn er die Vögel fütterte; seine Schnurri aber klemmte er sich unter den linken Arm, und wenn sie beim Heranfliegen eines Vogels nur zuckte, schimpfte er sie aus.

Selbstverständlich verstand Schnurri nicht die Worte, aber den warnenden Ton deutete sie richtig, und es fiel ihr nicht schwer, sich zurückzuhalten, da sie ja täglich gut gefüttert wurde. Nach wenigen Tagen war sie die Vögel so gewöhnt, daß sie schnurrend auf der Türschwelle saß. Schnurri wurde eine richtige Hauskatze, die in Stall und Vorratskammer Mäuse jagte, in Feierstunden aber bei der Familie saß und mit ihrem Schnurren zur Behaglichkeit beitrug.

Wie im Vorjahr mußte Hansl im Geißengarten die Ziegen hüten. Am besonnten Eingang der Wohnhöhle hatte er für Schnurri ein weiches Mooslager gerichtet. Unter einem feuchten Lappen lag ein Lehmklumpen bereit, aus dem er, wenn er Lust verspürte, Gefäße und Figuren formte, die schon viel besser ausfielen als früher.

Eines Tages hatte er an einer armlangen Darmsaite einen Holzspan als Fahrzeug auf dem Wasser hin und her gezogen und dann im Übermut um seinen Kopf gewirbelt. Dabei hatte er entdeckt, daß das rasch bewegte Ding surrte. Je schneller er das Schwirrholz herumwirbelte, desto höher wurde das Surren. Das tönende Holz erschien ihm wie ein geheimnisvolles Lebewesen; es war ja die Stimme des Windes. Sofort schnitzelte er aus einem Hartholzsplitter ein größeres Schwirrholz, band es an eine lange Saite und dann an einen kurzen Peitschenstock. Dieses Spielzeug ließ er nicht nur im Geißengarten schwirren, sondern schon in aller Frühe im Sonnleitnerhof. Eines Morgens traf er damit einen Milchtopf und zerschlug ihn. Dafür bekam er vom Vater die ersten ärgerlichen Scheltworte zu hören.

Eines Tages aber traf Hansls Schwirrer die Wange der Mutter; ihr Schmerzensschrei erschreckte ihn bis ins tiefste Herz; er stürzte vor ihr nieder und umklammerte angstvoll ihre Knie. Sie solle ihm nicht böse sein, das habe er nicht gewollt.

Die blutunterlaufene Stelle auf Evas Wange war noch wochenlang zu sehen! Hansl hatte Ursache, den Kopf hängen zu lassen, und sah die Schwirrhölzer vorläufig nicht mehr an.

Nach der letzten Heumahd und nach der Herbstfruchternte nahm Peter eines Tages seinen Sohn auf die Jagd mit und zeigte ihm, wie man Rehe beschlich und erlegte.

Vergessen waren jetzt die Schwirrhölzer; das Schießen mit Pfeil und Bogen löste sie ab. Nur Raubvögel wollte er schießen, denn Singvögel hatte die Mutter viel zu gern, ihr wollte er um keinen Preis weh tun. Raubvögel und Tauben waren ihm erlaubt. Ja, auch Tauben, und bald steuerte Hansl, der mit Pfeil und Bogen geschickt umzugehen lernte, zur Ernährung bei.

Auch seine Pfeile schnitzte er selber, aus Schilfhalmen. Eines Tages blies er aus reiner Spielerei in einen Halm und zuckte erschreckt zusammen, als ein schriller Ton entstand. Weil er aber allem auf den Grund ging, blies er immer wieder und merkte, daß die Höhe des Tons etwas mit der Länge des Schilfhalmes zu tun hatte: je kürzer der Halm, um so höher der Ton!

Er schnitt sich eine Anzahl verschieden langer Schilfpfeifen zurecht, denen er abwechselnd hohe und tiefe, zeitweise auch so schrille Töne entlockte, daß seine Eltern sich die Ohren zuhielten.

 

Hansl probierte seelenruhig weiter seine Pfeifen aus, reihte sie zwischen Daumen und Fingern aneinander und übte so lange, bis er den Frageruf der Goldamsel beinahe richtig nachahmen konnte. Die Pfeifen aber, die diesen Wohlklang ergaben, band er an ein flaches Holz und hatte nun eine Rohrflöte von sieben Tönen, die er genau kannte. Seine musikalischen Übungen brachten Eva auf den Gedanken, ihm mit Peters Hilfe ein weniger schrilles Instrument zu verschaffen. Sie erinnerte sich der Darmsaiten am Spannstab, die sie durch Zupfen zum Schnarren gebracht hatte. Zwischen einem kräftigen Schilfhalm und einem Querholz wurden acht Darmsaiten angebracht; sie konnten mit einem Drehpflöckchen verschieden gespannt werden und gaben, wenn man daran zupfte, je nachdem hohe oder tiefe Töne. Das gefiel Hansl so gut, daß er die Töne mitsummte.