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Die Höhlenkinder im Pfahlbau

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Sonnwendfeuer

Wie Eva erwartet hatte, war Peter nicht mehr so rauh und jähzornig, seit er mit ihr vor Beginn des Tagewerkes seine Gedanken sammelte. Er mußte Evas laut und innig gesprochene Gebete mitdenken, in denen sie gute Eingebungen erflehte und der Verstorbenen gedachte, die bei Gott weilten.

Zum Grübeln über das Geheimnisvolle hatte Peter wenig Neigung. Sein Denken war mehr aufs Schaffen gerichtet. Es galt, die kürzer werdenden Tage auszunützen. Weil es sich mit dem Drillbohrer leichter und rascher arbeiten ließ, machte es ihm Freude, die Stiele seiner Waffen und Werkzeuge zu durchlochen und Hängeriemen durchzuziehen. Immer wieder kehrte er zum langsam fortschreitenden Steinbohren zurück. Auch er bohrte nicht mehr mit der eingeschäfteten Steinspitze, sondern mit vorbereiteten Quarzsplitterchen, die sich unter dem Druck der harten Randschicht des Holunderstabes in den Serpentin einfraßen.

Endlich, als die Sonne schon nahe am Winterhorn unterging, war Peter mit seinem Bohrer durch den Beilstein gekommen. Die neuartige, schöne Steinaxt, in deren Öhr er einen gut ausgetrockneten Hartriegelstab schattete, war fertig, ein Ereignis, das ihn mit unsagbarer Freude erfüllte. Das mußte gefeiert werden!

Eva meinte, die Feier könnte am besten an dem Tage stattfinden, an dem die untergehende Sonne die Spitze des Winterhorns berühren würde; denn von da an müßte sie sich wenden und sich wieder der Henne nähern, dem Markstein der Frühlings-Tagundnachtgleiche.

Der Tag kam, ein frostiger Wintertag. Peter und Eva schichteten vor dem Räucherofen auf der Salzleiten einen Holzstoß auf, dessen Lohe den sinkenden Sonnenball grüßen sollte. Und so kam ihr erstes Sonnwendfeuer zustande. Seine lodernden Flammen röteten alle Hänge des Heimlichen Grunds. Die Felswände nahmen das Jauchzen der Höhlensiedler auf, warfen es einander zu, als freuten sie sich mit den beiden Menschenkindern, die knisternde Wacholderfackeln um ihre Köpfe wirbelten in der Vorahnung besserer Lebensbedingungen.

Salzkammer

Der Winter kehrte sich nicht daran, daß die Sonne schon ihre Frühlingsreise angetreten hatte. Fröste und Schneestürme hatten den Heimlichen Grund in ihrer Gewalt.

Den Höhlensiedlern war der Tag immer zu kurz. Eva, die nicht nur das Essen kochte, sondern auch die Vorräte pflegen mußte, nützte die hellsten Stunden zum Nähen und Flicken der Kleider und Schuhe. Peter hatte, um der hereindringenden Kälte zu wehren, die Licht- und Luftlöcher in der unteren Höhle verkleinert, und so war Eva gezwungen, den Arbeitsplatz in ihrer Kammer vor der nahezu vermauerten Lichtluke einzurichten. Sie hatte aus Waldreben einen Rahmen geflochten, eine Tierblase darübergespannt, das Ganze in die Luke geklemmt und die Ritzen ringsherum mit Moos abgedichtet. Nur gedämpft drang das Tageslicht in das Höhleninnere. Eva, die für ihre Arbeit Licht brauchte, setzte sich damit dicht unter die Luke. Es half nicht viel — am Fußboden war und blieb es dämmerig. Während sie dasaß und sann, wie dem abzuhelfen wäre, fiel ihr ein Gitter ein, das sie vor einiger Zeit aus Weidenruten geflochten und als Dörrplatte für Beeren benutzt hatte. Das kramte sie hervor, verkeilte die eine Längsseite unter der Luke in den Mauerspalten, stützte die andere mit zwei in den Boden eingelassenen Stäben und hatte nun einen erhöhten, gut beleuchteten Arbeitstisch. Ein Baumstrunk davor diente als Sitz. Rechts davon, zwischen Lichtluke und Hausaltar, stand ihr Webrahmen.

Auch Peter hatte seinen Sitzstrunk nahe vor seine Lichtluke geschoben und den höheren Werkstrunk davorgestellt. Um sein mit unsagbarer Mühe durchlochtes Steinbeil beim Schärfen nicht zu gefährden, hatte er in eine Grube des Höhlenbodens einen flachen, harten, feinkörnigen Quarzsandstein fest eingelassen. Mit leichtem Druck führte er den Beilstein unermüdlich über den Schleifstein hin und her, her und hin. Und siehe da: er wurde schärfer und schärfer! Angefeuert vom Erfolg schliff Peter aus Stein- und Knochensplittern Dolche, Grabmesser, Pfriemen, grobe Nadeln und Vorstecher. In abgesägte Zinken des Hirschgeweihes schäftete er Steinmesser, Meißel und Bohrer.

Die Behaglichkeit und Lebensfreude der Höhlensiedler wurde zeitweise durch ein unheimliches Glucksen gestört, das aus dem Berginnern kam. Jetzt, wo die Höhlenstuben gegen die Geräusche der Außenwelt abgeschirmt waren, fielen diese seltsamen Geräusche besonders nachts auf.

Peter war fest entschlossen, der Ursache auf die Spur zu kommen. Er nahm sich vor, ins Berginnere einzudringen. Er flocht aus Reisig zwei Fackeln, die er gut pichte. Dann brach er die Vermauerung des oberen Höhlenganges heraus, die Evas Stube nach dem Berginnern hin abschloß, schlug die vorspringenden Felskanten ab und erweiterte so den Spalt. Klopfenden Herzens drang er ein. Die Luft im Berginnern war feucht und kalt. Ein scharfer Zugwind trieb ihm den Rauch des rußenden Leuchtbrandes ins Gesicht. Über seinem Kopf hingen in den Nischen unzählige Fledermäuse, die hier ihren Winterschlaf hielten.

Der Lehmboden fiel ab. In scharfem Winkel bog der Gang nach rechts. Die ruhiger brennende Fackel erleuchtete weithin den Raum. Von der Decke hingen weiß- und gelblichschimmernde Zapfen herab, die mit anderen, vom Boden aufstrebenden, vielfach zu Säulen vereinigt waren. An einer Stelle war ein Stück Wand und Decke, vom Wasser unterwaschen, niedergegangen; dort lagen Spitzkegel und flache Stücke wirr durcheinander, von reinweißem Sinter überkrustet. Mitten darunter stand aufrecht ein verhutzelter Zwerg mit Zipfelmütze, Vollbart und Hängebauch. War‘s ein zu Stein gewordenes Wichtelmännchen? Und noch andere vieldeutige Gestalten waren da: geballte Klumpen, wie runde Bären oder brütende Riesenvögel mit absonderlichen Köpfen — eine erstarrte Märchenwelt. Bei jedem Flackern der Flamme bewegten sich die Schatten der Gestalten, deren Aussehen sich wundersam veränderte. Zaghaft betastete Peter ein zweigdünnes Zapfenende. Als es klirrend zerbrach, nahm er ein Stück davon mit für Eva.

Der von Säulenstummeln und Sinter bedeckte, naßglänzende, von Rissen durchfurchte Boden war für Peter ein schwer überwindbares Hindernis. Er blieb stehen und machte sich für den Rückweg Merkzeichen. Wieder vernahm er das Glucksen, das ihn und Eva so oft geängstigt hatte; es klang, als fiele aus großer Höhe ein Tropfen in ein tiefes Wasser.

Dem Klange folgend, der sich in regelmäßigen Zeitabständen wiederholte, stand Peter bald am Spiegel des unterirdischen Sees. Lauschend und schauend stand er da. Unverwandt starrte er auf die dunkle Glätte des tiefgrünen Wassers, das kaum merklich nach rechts zog; von dorther war die Flut matt durchleuchtet. Da sah er, wie ein Wassertropfen aufschlug, sah die Kreise, die er zog, und fast unmittelbar darauf hörte er das wohlbekannte Glucksen, das der Widerhall von fernen Wänden dumpf verstärkte. Peter blickte nach oben, zur Höhe der Seegrotte. Und er staunte über die Länge der Riesenzapfen, die weiß und gelb an der Decke schimmerten. An einem, der flach wie ein Vorhang wenige Mannslängen vor ihm hing, glänzte ein Tropfen im Fackellicht wie ein durchsichtiger, rundgeschliffener Stein. Klingend fiel auch er nieder und gleich nach ihm ein zweiter. Das also waren die Geisterstimmen!

Peter zündete am Stumpf der ersten die zweite Fackel an und wandte sich zum Rückweg. Im Licht der knisternden, rußenden Flamme fand er die Spuren, die seine beschmutzten Schuhe auf dem blendendweißen Kalksinter des Bodens hinterlassen hatten. Stolpernd vor Ungeduld kehrte er zu Eva zurück und zeigte ihr den mitgebrachten Tropfstein.

Schon am nächsten Tage begleitete sie ihn zur Höhle, sie trug ein Bündel Brennholz und drei Ersatzfackeln. Ihre Erwartungen wurden weit übertroffen, als am Ufer des Quellsees ein hohes Feuer brannte und seinen gelbroten Schein auf die säulenbehangene Decke warf.

Weiter ging es bergeinwärts, auf wunderlichen Pfaden, bald schmal, bald breit, um Abgründe herum, in deren Tiefe geheimnisvolle Wasser raunten. Kletternd und einander stützend drangen die Wanderer weiter nach links aufwärts. In der höchsten, entlegensten Felsenkammer war der Boden so glitschig, daß sie wiederholt stürzten. Eva hatte sich den Fingerknöchel blutig gequetscht und führte ihn zum Munde, um den brennenden Schmerz zu lindern. Doch wie seltsam — das schmeckte ja salzig!

Und in der Tat: die weißen, feuchtschimmernden Zapfen in dieser Grotte bestanden nicht aus Kalkstein, sondern aus Salz. Peters Axt räumte unter den Zapfen auf. Dann trugen die beiden Höhlenforscher eine Ausbeute des kostbaren Gewürzes heim, in einer Reinheit, die sie entzückte.

Der Verbindungsgang zu den Grotten wurde nicht mehr vermauert, nur eine gut abgedichtete Gittertür wurde sorgsam eingefügt. Und Peter nahm sich vor, den Weg zur Salzkammer im Berge durch Gangsteine und Stege bequemer zu machen. Das gab Arbeit für die nächsten Wochen.

Brunnstube

Als der Weg durch die Tropfsteinhöhlen zur Salzkammer vollendet war, verloren die anfangs als Wunder angestaunten Grotten den Reiz der Neuheit. Die leicht zugänglichen, weiten Hallen des Berginnern waren ein Stück Alltag geworden; Salzkammer und Quellsee gehörten nun zu den Stätten, wo auf leichte Art Wertvolles zu holen war: Salz und Wasser. Wäre nur der Weg durch die zugigen Tropfsteingrotten nicht so umständlich gewesen!

Im Hintergrund der unteren Wohnhöhle war der schräge Schacht zum Quellsee, den Peter damals, als er die Wohnung einrichtete, zugedeckt hatte. Ein paar Stöße mit dem Speerschaft genügten, um die morsche Holzdecke zu entfernen. Blaugrün schimmerte unten das vom Höhlentor des Baches her erhellte Wasser.

Vorsichtig begann Peter an der neuen Verzimmerung des Schachtes zu arbeiten, die ein tragfähiger Steg werden sollte. Nach genauen Maßen schlug er aus armdicken Eichenstämmen die Querbalken zurecht. Aber die Arbeit mit Steinbeil und Säge ging ihm viel zu langsam, er nahm das fressende Feuer zu Hilfe. Vier Stämmchen zugleich legte er quer über die Einfassungssteine der Mauerung, streute unter die Stellen, die er durchbrennen wollte, Fichtenreisig und sah dann vergnügt zu, wie die Flammen das Eichenholz angriffen. Damit sie nicht weiter fraßen, als ihm lieb war, legte er nasses Moos auf die Stellen, die geschützt werden sollten. Dieses Verfahren ersparte ihm viel Mühe, schonte sein Werkzeug und machte das Bauholz haltbarer. Eva meinte, es wäre gut, die Stämme an der ganzen Oberfläche anzukohlen, und Peter gab ihr recht. Obwohl das Feuer die Arbeit erleichterte und beschleunigte, brauchte er länger als eine Woche, bis er genug Balken für den Steg beisammen hatte. Das Bauen selbst ging schnell. Fest verkeilt zwischen den Wänden der harten Felsen bildeten die Querhölzer in zwei Schichten eine schmale Brücke zu jener Stelle, unter der sich das Wasser befand. Zum Heraufholen des kostbaren Nasses verwendete Peter einen gut verpichten Korb, der sich an zwei aneinandergebundenen Haselstämmchen hinunterlassen und heraufziehen ließ. Ein Übel aber war immer noch da. Eva beklagte sich darüber, daß der kalte Luftstrom, der vom offenen Wasserloch heraufstrich, beide Wohnhöhlen stark abkühlte.

 

Da umbauten die Höhlensiedler die Brücke mit einer zweifachen, moosgedichteten Gitterwand, die sie außerdem noch mit Lehm verstrichen. Eine geflochtene, in Weidenschlingen drehbare Tür wurde eingelassen. Und sooft Peter in der neuen Brunnstube Wasser schöpfte, leuchtete ihm Eva mit einem Kienspan.

Die Überschwemmung der Höhle

Die hochaufgewehten Schneemassen im Heimlichen Grund begannen zu schwinden. Föhnstürme brausten, Lawinen stürzten donnernd zu Tal, Steinschläge polterten, es wurde ungewöhnlich warm. Im jungen Grün der Wiesen prangten gelb, weiß und blau die Frühlingsblumen, und aus den knospenden Bäumen flöteten und schmetterten Bergfinken und Ringdrosseln.

Peter lagerte alles, was er an den Lawinen- und Steinschlaglehnen an Fellen erbeuten konnte, in den Gerbtümpel ein; Eva sammelte junges Wildgemüse, und beide fanden, daß der Heimliche Grund ein gesegneter Ort sei. Ihre Wintervorräte an Fisch, Dörrobst und Kastanien waren noch nicht aufgebraucht; nur die Beeren und Pilze hatte der Schimmel verdorben. Aber es gab ja frisches Gemüse! Peter und Eva lebten recht sorglos dahin.

Als jedoch eine Reihe sommerlich warmer Tage kam und der im Winter fast ausgetrocknete Bocksgrabenbach wieder anschwoll, da machte ihnen die vorzeitige Wärme bange; sie trieb aus den Firnen oberhalb der Salzwände die Schmelzwasser ab. Die Besorgnis wuchs, als auch der Klammbach stieg und, sein Höhlentor füllend, tosend aus der Felswand hervordrängte. Er führte weiße Brocken abgebrochener Tropfsteinsäulen mit sich und drückte das Gebüsch des Ufergeländes nieder, das er weithin mit Schotter vermurte. Peter erklärte sich die Überschwemmung nicht anders, als daß die ungewöhnlich frühe und anhaltende Wärme das Eis der Gletscher und Firne oberhalb der Salzwände zum Schmelzen brachte. Er tröstete Eva damit, das Wasser werde sich verlaufen, sobald wieder kühlere Witterung eintrete. Als er aber beim Schöpfen merkte, daß er den Wasserspiegel im Brunnen mit der Hand berühren konnte, griff auch ihm die Angst ans Herz. Kurz nachdem Eva ihr Lager aufgesucht hatte, schlich Peter wieder in die Brunnstube. Steigt das Wasser immer noch? Ja, es stieg. Schon schlug es leise plätschernd an die Zimmerung des Brückenbodens.

Jetzt traf Peter Vorbereitungen zur Flucht. Im Halblicht des verlöschenden Feuers packte er in ein Rehfell alles, was er an Steinwerkzeugen, Specksteinschalen, Hörnern und unentbehrlichen Rohstoffen hineinstopfen konnte. Eva, die nicht hatte einschlafen können, kam herab und fragte verwundert: »Peter, was machst du denn?« Er deutete auf die Brunnstube: »Das Wasser kommt herauf, wir müssen woanders hin.«

Schlaff hingen ihre Arme herab — ein trauriger Blick umfaßte den Raum und den Rest von Speck und geräucherten Forellen, die am Gestänge des Trockenbodens hingen. Dann aber meinte sie entschlossen: »Tragen wir halt alles zu mir hinauf.« Peter aber schüttelte den Kopf: »Auch dorthin kann‘s Wasser noch kommen.« Ratlos, fassungslos stand Eva neben ihm. Plötzlich schrie sie gellend auf: »Das Wasser ist da!« und sprang zur Seite. Sie zeigte entsetzt auf ein dünnes Rinnsal, das, unter der Wand der Brunnstube hervorquellend, sich über den Lehmboden schlängelte, gerade auf das Herdfeuer zu. Peter griff nach dem nächstbesten Hartstein und ritzte dem Wasser den Weg vor zur Felsrinne, wo der Steigbaum zu lehnen pflegte. Er stieß das Türgitter hinaus und ließ den Steigbaum hinuntergleiten. Dann warf er ein Bündel Reisig in die Herdflammen, daß sie prasselnd aufloderten, und begann hastig den Trockenboden auszuräumen.

Da kam auch schon Eva mit Rehfell und Matte, die sie von ihrem Lager genommen hatte, kniete auf den Boden der Höhle und packte kunterbunt ein, was ihr an Genießbarem in die Hände geriet. Als Peter ihre Bündel fest verschnürt hatte, hob er ihr das eine auf den Rücken und drängte ihr das andere in die Linke. So schwer hatte sie noch nie getragen. Mit tränenerstickter Stimme fragte sie: »Wohin willst du denn?« — Er aber war nicht mehr neben ihr. Sein schweres Bündel auf dem Kopf, die Linke am Holz des Steigbaumes, in der Rechten seinen Speer, kletterte er langsam hinab. Zaghaft begann auch sie den Abstieg. Ihr Leib schauerte vor Kälte.

Wortlos stapfte Peter nach rechts voraus, den sandigen Saum der Felswand entlang. Eva folgte ihm weinend. Wohin wollte er? Auf der Wiese zwischen der Salzlehne und dem Bocksgrabenbach glitzerte das Wasser über den Grashalmen. Trocken überragte der Fuchsenbühel die unruhige Flut. Dort hinüber watete Peter. Unter der hohen Buche, die den Hügel krönte, blieb er stehen und legte seine Last ab. Als Eva, die ihre ganze Kraft brauchte, um ihre Bündel nicht ins Wasser gleiten zu lassen, nachgekommen war, sagte er, heiser vor Erregung: »Da droben in der Buche bau‘ ich mir ein Nest, und du kannst dir eine von den Fichten aussuchen.« Eva wählte nicht lange. Sie ließ ihre Lasten am Fuße der nächsten Fichte liegen, die in Rufweite von der Buche stand. Dann begannen beide ohne Zeitverlust, Holz zum Nestbau zu sammeln. Der Vollmond gab Licht genug, daß sie die notwendigsten Querhölzer zusammensuchen und auf die Äste auflegen konnten. Todmüde krochen sie in ihre Lager.

Die Nestsiedler

Grelle Sonnenstrahlen weckten Eva aus ihrem unruhigen Schlaf. Verständnislos schaute sie von ihrem Nest aus auf ihre Umgebung: Bäume und Wasser.

Sie fand sich in der Krone einer Fichte, deren Stamm sie krampfhaft umfaßt hielt. Ihre Glieder schmerzten vom Druck der Querstäbe, die, mit wenigen Zweigen bedeckt, auf dem Astquirl ruhten. Die Äste, schwer vom Gezweig, senkten sich so stark nach außen, daß Eva sich wunderte, im Schlaf nicht hinabgerutscht zu sein. Von der Buche herüber drang das Knicken und Brechen von Zweigen. Eva setzte sich auf und sah Peter damit beschäftigt, eine Art Dach zu flechten, indem er durch die Zweige der nächsthöheren Äste Reiser flocht und mit Waldreben festband.

Am Fuße der Buche lagen die geretteten Geräte und Nahrungsvorräte der Höhlensiedler verstreut. Evas Blicke schweiften weiter. Mit Entsetzen nahm sie wahr, daß die Grashalme und Disteln der Wiese vom Wasser überflutet waren und der Bocksgrabenbach sich oberhalb des Fuchsenbühels geteilt hatte. Seine lehmigen Wellen umspülten die kleine Insel und vereinigten sich unterhalb davon mit dem Wasser auf der Wiese: Ein See dehnte sich hinüber bis in den Urwald!

Eva fühlte sich auf der Insel sicher. Hier ließ sich das Fallen des Wassers abwarten. An Nahrung fehlte es nicht. Von Astquirl zu Astquirl niedersteigend, gelangte sie auf die Erde und holte sich eine geräucherte Forelle. Während sie nachdenklich aß, wurde sie von Peter angesprochen.

»Lang darfst du nicht herumstehen, das Wasser steigt. Schau, daß dein Nest ein Dach kriegt! Mach dich auf Regen gefaßt, der Wind kommt von der Klamm her.« Sie watete, noch immer essend, zum Jungholz, das den Hügel säumte, und begann Ruten zu brechen und Waldreben auszureißen. Damit durchflocht sie den Astquirl oberhalb ihres Lagers und legte Fichtenzweige auf das Geflecht, so daß ein spitzrundes Dach zustande kam, dessen Außenränder, durch Waldreben und Zweige mit den Ästen des unteren Quirls verbunden, sich als struppige Wand niederzogen. Dann belegte sie ihr Lager mit einer Schicht Moos, das sie unter den Fichten und von der Wetterseite der Stämme abgelöst hatte.

Beruhigt suchten die beiden ihre Lager auf und schliefen trotz der ungewohnten Umgebung bald ein. Mitten in der Nacht wurden sie von grellen Blitzen und rollenden Donnerschlägen geweckt. Wie seltsam, ein Gewitter so früh im Jahr! Unsicher, ob das eine Verschlimmerung oder eine Verbesserung ihrer Lage bedeute, konnten sie nicht mehr einschlafen. Am Einschlupf ihrer Baumnester festgeklammert, starrten sie immer wieder auf die überhell beleuchtete Wasserfläche und lauschten beklommen dem Sausen des Sturmes, der auch ihre Baumkronen zauste und an ihren Nesthütten zerrte. Hastig begannen die Nestsiedler die Bindungen fester anzuziehen.

Als in Bogenschußweite vor ihnen eine hohe Fichte vom Blitz gefällt hoch aufloderte und ein knatternder Donnerschlag folgte, schrien sie gleichzeitig auf und begannen laut zu beten. Entmutigend kam ihnen als schwere Schuld zum Bewußtsein, daß sie alles, was Gott geweiht war, in der gefährdeten Höhle gelassen hatten. Ihre Aufregung wuchs, als weithin leuchtend das Feuer im Urwald um sich griff und der Sturm den heißen Rauch herübertrug. Als aber ein wolkenbruchartiger Regen den Waldbrand löschte, beruhigten sie sich. Das Gewitter zog bald vorüber. Von Schlafmangel und ausgestandener Angst erschöpft, kauerten sich die beiden auf ihre Liegestätten zu kurzer Ruhe.

Der Morgen war kalt, aber wohltuend still; die von der Sonne matt durchschienenen Nebel strichen, vom Winde leise bewegt, an den Lehnen und Wänden empor. Es begann sachte wieder zu regnen. Gewohnt, den Tag tätig zu verbringen, machten sie sich daran, auf dem Eiland Holz zu sammeln und ihre Nester ringsum sorgfältig zu umflechten. Sie konnten ja nicht wissen, wie lange sie darin hausen mußten.

Mit einem Male erzitterten die Bäume unter ihnen, die Erde bebte; ein Dröhnen, ein Knattern und Prasseln kam von der Klamm her. Schreckensstarr lauschten die beiden in die Ferne. Was war dort geschehen? Das ferne Rauschen des Klammbachs, das sonst als ein gewohnter, ununterbrochener Grundton alle Laute im Heimlichen Grund begleitet hatte, war plötzlich verstummt, und der neue Wasserfall, der aus der verlassenen Wohnhöhle stürzte, war aufdringlich laut geworden. Was war geschehen? »Ob eine Klammwand niedergegangen ist?« Zögernd sprach Peter es aus. Mit Schaudern dachte er an die Folgen.

Wenn die Klamm versperrt war und das Wasser nicht mehr durch die Schlucht abfließen konnte, dann mußte es steigen, steigen — vielleicht gar über die Baumwipfel, bis es die Höhe der stauenden Felsmassen in der Klamm erreicht hatte! Diese Gedanken sprach Peter nicht aus. Langsam glitt er zum Boden nieder. Am Stamm eines Ahornbäumchens, dessen Wurzeln vom steigenden Wasser bespült wurden, brachte er mit seinem Steinbeil scharfe Schnitte an, immer einen um einen Handbreit höher als den anderen, so weit er reichen konnte. Dann stieg er in sein Nest hinauf, kauerte sich am Einschlupf nieder und starrte unverwandt auf die Wassermarken. Lange schien es ihm, als bliebe der Wasserstand gleich. Vor Anstrengung begannen ihm die Augen zu schmerzen, er mußte sie schließen.

In sein Bangen und Sinnen klang das aufgeregte Gezwitscher der Zaunkönige und Bergfinken, die, von ihren Nistplätzen im Tale verdrängt, in großer Zahl im Gezweig der Buche herumflatterten. Und zum erstenmal beneidete er die gefiederten Bewohner des Heimlichen Grunds um ihr Flugvermögen. Oh, wenn auch er Flügel hätte! Und Eva! Fliegend würden sie sich emporheben und fortschweben in ein fernes Land ...

Plötzlich riß er die Augen auf und starrte hinunter zum Ahorn. Das Wasser war gestiegen! Mit Entsetzen sah er, wie es sich schon der zweiten Marke näherte. Als das Wasser die fünfte Marke erreicht und die Kleintiere sich auf ein winziges Fleckchen um die Buche herum zusammengedrängt hatten, gab Peter alles Hoffen auf.

Er drückte die geballten Fäuste gegen seine Augen und begann zu schluchzen. Und Eva mochte fragen, was er denn auf einmal habe, er gab keine Antwort. Es mußte etwas Furchtbares geschehen sein! Weinend warf sie sich auf ihr Lager.

 

Das Wasser stieg und stieg. Auf seinen Fluten trieben lebende und tote Tiere dahin: Igel, Mäuse, Bilche, Maulwürfe. Was an den Baumstämmen emporklimmen konnte, verlor sich im Gezweig. Gemeinsame Todesgefahr hatte den Unterschied zwischen Raub- und Beutetier ausgelöscht. Schlangen kletterten an den Menschen vorüber in das Geäst. Als die Insel gegen Abend völlig überflutet war und die Krone des jungen Ahorns langsam in den ziehenden Fluten verschwand, als das steigende Wasser die untersten Äste der Wohnbäume erreichte, da schrien die Nestsiedler laut auf, daß es schauerlich von den Felswänden des Heimlichen Grunds widerhallte. Sie hatten die heiligen Bilder dem Wasser preisgegeben; jetzt kam die Strafe!

Peter gelobte auf Evas Anraten, das Kostbarste zu opfern, das er besaß, seine durchlochte und geschliffene Steinaxt, wenn Gott die stauenden Steinmassen in der Klamm von den Wassern wegräumen ließe. Die Flut aber stieg unaufhaltsam. Hoffnungslos und untätig warteten die Entmutigten auf den Augenblick, wo das Wasser sie erreichte und mit sich fortführte.

Von Schlafmangel entkräftet, brachten sie nicht mehr den Willen auf, die Dächer ihrer Nesthütten zu zerstören und höher in die Baumwipfel zu klettern. Dumpf vor sich hinbrütend, kauerten sie in ihren Nestern, ohnmächtig der unaufhaltsam steigenden Flut preisgegeben, die den Talgrund füllte, Felsen und Wälder bedeckte und alles Leben zerstörte — die Sintflut.