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Die Höhlenkinder im Pfahlbau

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Der Bastgürtel

Eva streifte oft, nach Wurzeln, Kräutern und Erdbeeren suchend, allein im Heimlichen Grund umher. Auf ihren Wanderungen, auf denen ihr immer wieder äsende Rehe neugierig, aber ohne Furcht, und auch Bären nachäugten, gelangte sie bis zum Moor. Hier fand sie zwischen blühenden Dotterblumen junges Riedgras in Menge. Mit ihren schwieligen Händen zog sie die scharfkantigen Halme aus dem lockeren Boden und aß die unteren bleichen Enden; sie schmeckten süßlich. Auch die saftigen Stengel von Bocksbart und Sauerampfer verschmähte sie nicht. Aber ordentlich satt wurde sie erst, wenn sie sich daheim aus Wildgemüse, zerquetschten Kastanien und zerschnittenem Speck Mus bereitet und es warm genossen hatte.

Inzwischen waren Narzissen und Rasenlande des Moores erblüht, und der Wind trug ihren süßberauschenden Duft herbei. Auch die blauen Glockenblüten der wilden Akelei begannen sich zu erschließen. Von ihren Gängen brachte Eva immer auch Blüten in ihr einsames Heim; vor den Ahnenbildern gingen die Blumenopfer nicht aus.

Eva war selbständig geworden; sie ging auch dann nicht zu Peter, wenn der Rauch seines Lagerfeuers verriet, daß er sich vom frisch erlegten Wild eine Mahlzeit bereitete. Ihr war es ein Greuel, daß er Muttertiere tötete und aß. Er konnte nicht begreifen, warum Eva plötzlich so fremd und abweisend war. Um sie zu versöhnen, brachte er ihr das Beste, was er besaß: frisches Fleisch. Als sie ihn aber immer wieder schroff zurückwies, ging er seiner Wege; ja, er legte sich unter einem überhangenden Glimmerschieferblock der Moorleiten eine zweite Schlaf- und Feuerstelle an. Zur Höhle kam er jetzt wochenlang nicht. Und hätte nicht Eva die Striche im Steinkalender gemacht, sie hätte nicht einmal gewußt, wann Sonntag war.

Sooft sie Peter begegnete, wurde sie von seiner zunehmenden Unsauberkeit angewidert. Das angetrocknete Blut an seinen Händen, an den Steinwaffen, an seinem Lendengürtel ließ sie, ob sie wollte oder nicht, an getötete Tiermütter denken; es war ja Frühlingszeit, Rehe und Wildhühner hatten Junge!

Der große Bastvorrat reizte Eva, sich an ihre Flechtarbeiten zu machen. Gelbe Bastbündel fluteten, von einem Stein festgehalten, im Bach unter dem Gesträuch am Sonnstein. Hier schlug sie ihre Werkstatt auf. Bald merkte sie, wie schwer es war, aus freier Hand ein größeres Gewebe zu flechten. Sie sah sich suchend um und fand — ohne zu ahnen, welch großen Fortschritt sie damit machte — in dem waagerecht von einem Stämmchen abstehenden Zweig ein geeignetes Werkzeug, das ihr die hängenden Fäden festhalten sollte, damit sie die Hände zum Einflechten der Querfäden freibekam. Den Lendenschurz wollte sie zuerst machen, bis zu den Knien sollte er reichen.

Es ging langsam. Die nicht gespannten Fäden verwirrten sich immer wieder, und das Entwirren hielt auf. Als Eva abends ihr Lager aufsuchte, wurde auch sie, wie sonst Peter, vom Denkfieber des Erfinders gepackt. Sie mußte noch dahinterkommen, wie sie die Fäden am Verwirren hindern konnte! Endlich schlief sie ein und beschäftigte sich auch im Traum mit dieser Schwierigkeit. Beim Erwachen am frühen Morgen war es ihr, als sei ihr im Schlaf eine Lösung eingefallen.

Im Licht der aufgehenden Sonne stand Eva vor ihrem einfachen Gerät und band, wie sie es im Traum getan hatte, längliche Steine als Gewichte an die Enden der Fäden. Es war nicht leicht, sie so aufzuhängen, daß sie sich nicht aneinander und an den Fäden rieben; aber schließlich hingen alle Fäden senkrecht. Mit der Linken hob sie jeden zweiten Faden und führte mit den Fingern der Rechten den Querfaden abwechselnd darunter und darüber. Anfangs schob sie die Querfäden mit den Fingern dichter zusammen, bald aber fand sie in einer dreifach geteilten Zweiggabel ein besseres Werkzeug. Sooft sie einen Querfaden aufgebraucht hatte, knüpfte sie den nächsten daran. So ging das eine Weile, aber auch wieder viel zu langsam, wie Eva fand. Freilich wäre die Matte recht dicht geworden, aber die Flechterin wurde so ungeduldig, daß sie die Längsfäden abknüpfte, als sie einen kaum drei Finger breiten Gürtel geflochten hatte. Ihr war ein neuer Gedanke gekommen: Sie knotete die Fäden kreuzweise, das ging schneller und ergab eine Art Netz. Dichtmachen wollte sie sie später durch eingezogene Bastbänder. Jetzt ging die Arbeit ungehemmt vonstatten, schnell und schneller knüpften und flochten die Finger.

Eva war glücklich, daß ihr das Werk so gut von der Hand ging. »Gidlio — gidlio«, flötete ein Pirol. Ein Kuckuck rief, ein anderer gab Antwort. Rotschwänzchen und Drosseln, Amseln und Wasserschmätzer sangen und pfiffen um die Wette. Inmitten dieses Maienjubels saß Eva an ihrem ersten Webstuhl und sah ihr Werk wachsen. Sie war so glücklich wie schon lange nicht mehr.

Flechtnadel

Erst am dritten Tag war Eva mit dem Grundgeflecht ihres Lendenschurzes fertig. Es war leider nicht sehr dicht geworden; dem half die Weberin ab, indem sie breite Baststrähnen durch das Geflecht zog. Es war ein richtiger Rock geworden, der bis unter die Knie reichte, wo jeder Bastfaden mit einem Knoten abschloß. Als Eva ihr neues Kleidungsstück zum erstenmal anlegte, scheuerten die Knoten so stark, daß sie diese mit einem Stein flach- und weichklopfen mußte.

In der Höhle, in die sie sich vor einem Platzregen geflüchtet hatte, trug sie wieder ihren alten Fellschurz, dessen Haarseite fast kahl war.

Auch Peter mußte etwas Frohes erlebt haben. Mit vergnügtem Gesicht kehrte er im strömenden Regen heim und rief, als ob kein Verdruß zwischen ihnen stünde: »Everl, ich bring‘ dir was Gutes!« Bei der Erinnerung an das, was Peter im Frühling unter »etwas Gutes« verstand, erwiderte sie: »Behalt‘s, ich mag‘s nicht!« und ging in ihre Schlafkammer hinauf. Einschlafen konnte sie lange nicht. Sie hörte Peter am Herdfeuer herumstochern, Reiser knicken und auflegen; bald roch sie einen eigenartigen Bratenduft, den sie nicht kannte.

Aber ihr Eigensinn war stärker als ihre Neugierde. In Gedanken beschäftigte sie sich mit ihrer nächsten Aufgabe: Der Schultermantel mußte besser werden als der Rock. Sie dachte an die Schwierigkeit, die Querfäden mit den Fingern abwechselnd unter und über den Längsfäden durchzubringen. Und dann fiel ihr ein: Wenn ich den Faden durch eine Nadel zöge? Ließe er sich nicht leichter durchschieben als mit den bloßen Fingern? Im Halbschlaf träumte sie, sie säße vor der begonnenen Arbeit am Sonnstein. Plötzlich fand sie sich an einer verlassenen Feuerstelle mit einem leicht angekohlten Zweigstück in der Hand, das sie an einem Granitbrocken zu einer fingerlangen flachen Nadel zurechtschliff und mit einem Hartsteinbohrer durchlochte.

Dann schlief sie tief und traumlos bis zum Morgen. Frühzeitig strebte sie ihrem Werkplatz zu. Unterwegs fand sie an einer verlassenen Feuerstelle zu ihrer großen Verwunderung ein Zweigstück, das dem im Traume geschauten glich. Sie schliff und bohrte, bis die lange Webnadel fertig war, wie sie sich‘s hatte träumen lassen.

Um die Längsfäden zu spannen, band sie nicht mehr Steine daran, das dauerte viel zu lange. Sie ersetzte sie durch länglichrund geformte Lehmgewichte, die sie an einem Ende durchlochte und in der Sonne trocknete. Am nächsten Tag war es soweit, mühelos ließen sich die Lehmklunker an die Fäden binden, und dann begann sie zu arbeiten, sehr hastig, um die verlorene Zeit hereinzubringen. Aber die neuen Fadengewichte waren spröde und zerbrechlich. Zwei davon, die etwas heftig aneinanderschlugen, brachen an der durchlochten Stelle auseinander und mußten doch wieder durch Steine ersetzt werden. Von da an arbeitete Eva sehr behutsam — und es ging. Der durch das Aufwickeln auf die Webnadel kurz gewordene Querfaden ließ sich flink über und unter die Längsfäden führen. Die locker eingelegten Querfäden schob sie mit einem groben Kamm von halber Armlänge zusammen; den hatte sie sich aus einem flachgeschabten Holzstück und daran festgebundenen Querstäben gebastelt.

Eva arbeitete bis zur Dämmerung. Erst hatte sie nur ein Schultermäntelchen machen wollen, jetzt aber war sie dabei, ein ärmelloses Leibchen herzustellen. Es sollte aus zwei Teilen bestehen, die über den Schultern so weit aneinandergenäht wurden, daß der Kopf hindurchging. Auch für die Arme mußten links und rechts breite Schlitze bleiben, unter denen das Vorderteil mit dem Rückenteil zusammengeheftet wurde. Nach zwei Tagen unverdrossener Arbeit war das Gewebe fertig, die Fransen des unteren Randes waren zu einem losen Maschengewebe kreuz und quer verflochten und mit Knoten abgeschlossen. Eva tauchte das Bastleibchen ins Wasser, klopfte dann alle Knoten flach und legte es an, feucht wie es war, zog und zupfte daran, bis es paßte, und überließ es ihrer Körperwärme, das neue Kleidungsstück am Leibe zu trocknen.

Vor lauter Arbeitseifer hatte sie in den letzten Tagen zuwenig gegessen. Von Hunger gepeinigt, redete sie sich ein, es müßten ja nicht gerade Muttertiere sein, die Peter oben briet, und lief quer über das Steinfeld dem Moorbach zu, wo sie Rauch aufsteigen sah. Unterwegs zog sie die verwelkten Blumen aus ihrem Stirnband und ersetzte sie durch große Maßliebchen. Am Moore angelangt, fügte sie weiße, duftende Narzissen hinzu. Es war hoher Mittag, schwer lag die Hitze über dem stillen Grund, kein Vogel ließ sich hören. Eine weiche Stimmung kam über Eva; sie machte sich Vorwürfe, daß sie Peter so schlecht behandelt hatte. Was wäre aus ihr im Winter geworden, wenn sie ihn nicht gehabt hätte? Grob war er ja, war er aber nicht auch gut? Wie er sie wohl aufnehmen würde, wo sie ihn unlängst so schroff abgewiesen hatte?

Am Moorbach aufsteigend, kam sie zu einer Stelle, wo zwei gerade Reihen von Stäben in schräger Richtung von beiden Ufern aus stromaufwärts zur Mitte des Baches führten und einen schmalen Durchlaß bildeten. Die Stabreihen waren mit Weidenruten so durchflochten, daß sich hinter dem Geflecht das Wasser schwach staute. Oberhalb dieser niederen Zäune war das Bachbett von groben Steinen gesäubert und ein kleiner, flacher Tümpel entstanden. Der wurde oben von einem Geflecht begrenzt, das das Bachbett quer absperrte. In diesem Geflecht staken Tannenzweige und beschatteten den Tümpel. Wozu das? Vom würzigen Duft brennender Wacholderzweige verlockt, wandte sie sich vom Bach ab und entdeckte im Schutz eines überhängenden Felsens ein qualmendes Feuer. Davor stand Peter mit einem aufgeschlitzten Fisch in der einen Hand, mit der anderen drückte er Spannhölzchen zwischen die Bauchseiten. Im Rauch hingen an Waldrebenranken eine Anzahl Forellen. Von ihnen ging jener eigentümlich appetitliche Duft aus, den sie sich nicht hatte erklären können.

 

Eva wartete, ob Peter sich umwenden würde. In seine Arbeit vertieft, sah und hörte er nichts. Als er aufstand, den Fisch salzte und quer durch die Kiemen auf die nächste Rute fädelte, trat Eva leise an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum. Dann aber rief er freudig erstaunt: »Everl?« Mit einem Blick, der ihre ganze Erscheinung erfaßte, die Blumen im Stirnband, das neue Kleid, die vom Waten im Bach blendend rein gescheuerten Füße, rief er aus: »Schön bist, Everl!« Da packte sie ihn am Handgelenk: »Peterl, sei gut!« Er mußte lachen. Noch immer lachend, holte er eine braungeräucherte Forelle von der Rute herunter und hielt sie ihr hin: »Hast Hunger?« Und während sie den Fisch mit großem Appetit verzehrte, erzählte er von seiner Arbeit der letzten Tage. Auch ihn hatte es schließlich verdrossen, Muttertiere und Kitze oder brütende Vögel zu töten; ihm war es immer gewesen, als sähe er Evas zornige Blicke auf sich gerichtet. Statt dessen hatte er Forellen gefangen. Die schrien nicht auf, wenn er sie erschlug. Aber die Fische zu beschleichen und mit bloßen Händen unter den Steinen hervorzuholen, hatte sich wenig gelohnt. Da war er darauf verfallen, im Bach einen Verhau zu errichten, in den er, stromaufwärts schreitend, die Fische mit Ruten vor sich hertreiben konnte; im seichten, abgesperrten Wasser oberhalb der Reusen, wo sie sich unter dem Zweigdach zusammendrängten, war es dann ein leichtes, sie nacheinander abzufangen. Von einem Vorrat an geräucherten Forellen könnten sie an Regentagen und auch im Winter gut leben, meinte er. Als Eva fertig war, wusch sie ihre Hände mit Holzasche und Wasser, wischte sie am Moos ab und begann, von ihrer Flecht- und Webarbeit zu erzählen.

Sie sah mit Wohlgefallen, daß auch Peter, durch ihr Beispiel veranlaßt, in die Asche griff und seine fetten, rußigen Hände säuberte. Erst als er sie reingespült und im Moos getrocknet hatte, trat er an Eva heran und fuhr mit der Hand über das Bastgewebe. »Bist halt ein findiges, ein geschicktes Dirndl geworden. Ich hätt‘ die Flechterei nicht so schön zusammengebracht.«

Eva war glücklich. Ihr ging es wie ihm. Erst das Lob des anderen macht die Freude über eine Leistung vollständig. Sie wollte auch Peter ein Bastkleid anfertigen, das er wenigstens an Sonntagen anlegen sollte. Für die Wochentage, an denen er schwere und schmutzige Arbeit zu verrichten hatte, mochten seine schäbiggewordenen Fellkleider genügen. Eines Tages würde sie auch ihm ein schöneres Arbeitskleid machen. Ja, das wollte sie tun, Peter durfte nicht wieder verwildern.

Wie vor dem Streit saßen sie beim Abendessen schwatzend im Eingang der unteren Höhle. Staunend hörte Peter, daß Eva auf ihren Streifzügen wiederholt Bären begegnet war, die ihr nichts getan hatten, ihr nicht nachgegangen waren. So war das also: Ihm, dem Verfolger, dem Jäger mißtrauten sie auf Schritt und Tritt, und ihr, die mit den Tieren auf friedlichem Fuß lebte, taten sie nichts, wie merkwürdig ... Als Eva in ihre Schlafkammer verschwunden war, kehrte er nachdenklich über das hellbeleuchtete Steinfeld zu seinem Lagerplatz zurück.

Drei Tage später suchte er Eva bei ihrer Weberei am Sonnstein auf. Er brachte ihr gebratene Fische und Kiebitzeier, die er auf dem Moor aufgelesen hatte. Sie arbeitete an einem Bastkleid für ihn. Während sie zeigen wollte, wie flink ihr die Arbeit von der Hand ging, schlugen wieder zwei Lehmklümpchen aneinander und zerbrachen.

Tags darauf brachte er ihr bessere Spanngewichte. Er hatte Schilfhalmstücke genommen und sie mit einem zähen Brei aus Lehmstaub, erhitztem Wachs und Harz umknetet und trocken werden lassen. Nun waren sie steinhart geworden. Jetzt konnte der Faden von unten her durch das Gewicht gezogen werden, das, lang und schmal geformt, wuchtig und unzerbrechlich auf dem Abschlußknoten saß. Eva freute sich, weil Peter sich die Mühe gemacht hatte, ihre Erfindung zu verbessern.

Steinkocherei

Noch vor dem nächsten Sonntag waren Peters Bastrock und Schultermantel fertig; Eva hatte sogar noch zwei geräumige Jagdtaschen geflochten, die an breiten Bändern über die Schultern gehängt werden konnten. Bei seinem Bad im Klammbach am Sonntagmorgen sparte Peter weder mit Asche noch Sand, weder Lehm noch Moos, um sich alle Spuren von Fett, Harz und Ruß vom Leibe zu reiben, ehe er das neue Gewand anzog. Sein mit Federn geschmücktes Stirnband über dem schwarzen Haar, der Leibgurt mit Steinbeil, Köcher und Steinmesser und die neue Jagdtasche vervollständigten seine schmucke Erscheinung. »Sauber schaust aus«, sagte Eva und musterte ihn von allen Seiten. Ehe der Tau verging, brachen die jungen Höhlenmenschen auf.

Nach einem Umweg über die halbe Höhe der Grableiten, wo es neben blühenden Heidelbeeren große rote Feuerlilien, blauen Sturmhut und gelben Berg-Lein gab, stiegen sie zum Grab der Ahnl nieder und legten ihr Blumenopfer darauf. Nach kurzer Andacht überquerten sie das Steinfeld, schritten auf den Gangsteinen über den Klammbach und stiegen im wasserarmen Bett des Moorbachs aufwärts. Wie im Vorjahr fanden sie rundliche Granate, einige davon haselnußgroß. »Laß sie liegen«, meinte Peter, »ich weiß dir schönere Steine drüben in der Moorleiten.«

Die Sonne stand schon hoch über der Grableiten, als sie an Peters Lagerplatz bei den Fischreusen rasteten. Während sie aßen, erblickten sie eine graue, von dunklen Fleckenreihen gezeichnete Viper, die sich auf einem Stein sonnte. Einige Schritte davor suchte eine gelbbraune Waldmaus nach Nahrung. Geschäftig trippelte das niedliche Tier im Moose hin und her, als die Viper geräuschlos näherglitt, den Vorderleib aufstellte, daß die fast schwarze Unterseite sichtbar wurde, und mit erhobenem Kopf die Maus beäugte. Langsam ging der Schlangenkopf zurück, stieß blitzschnell vor, und im nächsten Augenblick zuckte die Maus unter dem Biß der Schlange zusammen. Freigelassen rannte sie ein paar Schritte weiter, ein krampfhaftes Zittern überlief ihren Körper, und dann streckte sie die kurzen Beinchen von sich. Züngelnd glitt die Schlange näher an ihr Opfer, da brach unversehens ein Igel aus dem Bodenlaub der nahen Haselsträucher und faßte die Schlange im Nacken. Wohl peitschte ihr Leib die stacheligen Flanken des Angreifers. Der aber verzehrte sie schmatzend an Ort und Stelle. Seine rote Zunge leckte über das Schnäuzchen.

Mit angehaltenem Atem hatten Peter und Eva die Ereignisse verfolgt und zwei Dinge gelernt: Vor dem todbringenden Biß der Schlange mußten auch sie sich hüten; sie durften selbst im Sommer nicht barfuß herumstreifen. Und an den Igeln hatten sie Bundesgenossen gegen die giftigen Kriechtiere.

In gedrückter Stimmung setzten sie ihre Wanderung fort, ängstlich den Boden musternd, ehe sie einen Schritt vorwärts taten. Wo sie zuvor sorglos dahingeschlendert waren, vermuteten sie jetzt lauernde Schlangen. Am sichersten war es noch, im schmäler werdenden Bachbett aufzusteigen. Als sie den kleinen Wasserfall am Ursprung des Baches erreichten, sahen sie eine Bachstelze; sie stand wippend auf einem sonderbaren Stein. Es war ein Felsbrocken, in dessen Mitte ein dünner Seitenarm des Wasserfalls eine tiefe Mulde ausgewaschen hatte. Darin drehte sich unter dem Druck der Strömung ein faustgroßer, rundgeschliffener Kiesel. Gemeinsam zogen sie den Muldenstein samt dem Drehstein aus dem Bachbett. Eva war entzückt: Das war endlich ein Gefäß, in dem sie etwas Gutes zum Essen bereiten konnte: Kastanienbrei und fette Kräutersuppen, wie die Ahnl sie gekocht hatte!

»Was, den Felsbrocken willst du ins Feuer legen?« rief Peter.

»Ach woher denn! Der wär‘ mir viel zu schwer zum Hin- und Hertragen, ich mach‘s mit Wärmsteinen. Ein paar faustgroße Kiesel, im Feuer glühheiß gemacht, leg‘ ich in die Suppe oder in den Brei. Wirst sehn, das geht.«

»Ja, ‚s geht«, gab Peter zu, »und schau dir den Drehstein an, wie der sich in die Hand legt ... ein schöner Quetscher!«

Eva stimmte vergnügt zu: »Mit dem kann ich im Muldenstein Kastanien zerdrücken und Nußkerne!«

Die glücklichen Finder schwenkten nach links ab ins Glimmerschiefergelände. Peter zeigte auf einen breitklaffenden Riß, eine kleine Höhle, deren Wände mit Kristallen besetzt waren. Wasserhelle, glatte, scharfkantige Kristallstäbchen mit sechskantigen Spitzen saßen da in ganzen Nestern an den Seitenwänden, von der Sonne durchleuchtet. Es waren Bergkristalle, einzelne kurz und dünn wie Grashalme, andere fingerlang und daumendick! Eva klatschte in die Hände. Noch nie hatte sie so viele Kristalle beisammen gesehen. Peter aber zog jetzt seine neuen Pfeile aus dem Köcher und wies auf die als Spitzen eingefügten Kristallsplitter: »Hartsteine sind‘s! — Das ist wohl das Beste daran.« Dann setzte er eine Rehkrickelstange, die ihm sonst als Grabwerkzeug diente, an das untere Ende eines Kristalls und schlug mit seinem Steinbeil kräftig auf den Rosenstock des Geweihes. Klingend sprang der abgeprellte Kristall von seinem Muttergestein ab. In Peters Tasche häuften sich bald die Kristalle. Nicht nur wasserhelle Bergkristalle fand er, sondern auch veilchenblaue Amethyste und gelbe Zitrine. Darunter gab es Stücke von der Stärke eines Handgelenks. Was für Werkzeuge ließen sich daraus spalten: Messer, Sägeblätter, Pfeil- und Lanzenspitzen; ja, die stäbchenförmigen Hartsteine waren auch ohne Zurichtung als Bohrer brauchbar!

Peter suchte die Geröllhalde unterhalb des Granits und Glimmerschiefers ab und fand vieles, das zur Verwendung lockte: weiche, grünlichgraue und gelbliche Steine, die wie Talg aussahen und sich mit dem Fingernagel ritzen ließen — es waren Specksteine —, dann wieder grüne, weißgeäderte, harte Serpentine, achtflächige schwarze Kristalle, die im Glimmerschiefer saßen; es waren Magneteisensteine. Im Geröll der Schuttlehne lagen verstreut derbe, halbharte, glanzlose Steine, grün die einen, herrlich blau die anderen. Es waren Kupfererze, Malachit und Kupferlasursteine. Auch die kannte er nicht, nahm sie aber wegen ihres auffallenden Aussehens ebenso mit wie die walnußgroßen, vielkantigen Granate, mit denen er noch nichts anzufangen wußte. Eva, die sammeln half, wünschte, er solle ihr die schönen Steine irgendwie durchlochen, sie wolle sie auffädeln und um den Hals legen. Da mußte er lachen. Er wäre froh gewesen, wenn es ihm endlich gelungen wäre, sein grobes Steinbeil zu durchbohren!

Schweigsam, aber zufrieden mit ihrer Ausbeute, wandten sich die beiden Sammler zum Gehen. Das kühle Rinnsal des Moorbaches, sein klares, trinkbares Wasser, das üppige Grün der Farne an den Uferrändern, die weitüberhängenden Ranken der blaublühenden Alpenrebe, das muntere Treiben der Wasseramseln, all das erquickte sie und machte sie glücklich. Die obersten Zinnen der Salzwände erglühten im Abendrot, als die beiden eine Kristalldruse aufs Grab der Ahnl legten, ein Opfer vom Schönsten, das sie besaßen.

Im Morgengrauen des nächsten Tages schleifte Peter mit Evas Hilfe den Topfstein samt dem Quetscher in einer Rehhaut heim und sammelte unterwegs noch rundliche Bachkiesel dazu. Der dicke Brei, den Eva darin bereitete, war ein gesalzenes Gemengsel von erst gerösteten, dann zerquetschten Kastanien mit Lauch und geräuchertem Speck. So heiß, wie es Peters Hand vertragen konnte, nahm er den Brei aus dem Muldenstein und strich ihn sich mit den Fingern geschickt in den Mund. Was er übrigließ, verdünnte Eva mit Wasser, salzte es und tat allerlei Würzkräuter dazu, legte einen neuen, schieferig geschichteten heißen Kochstein ins kalte Wasser und sah mit Freude, wie es dampfend aufwallte. Der Stein aber zersprang. Jetzt wußte sie, daß sie zu dieser Art Kocherei nur fugenlose Steine verwenden durfte, die nicht so leicht zersprangen. Zum Schöpfen ihrer Kräutersuppe aus dem seichten Topfstein war der Rehschädel ungeeignet. Da kramte sie in Peters Allerlei und fand eine große Walnußschale, aus der sie sich mittels eines quergewickelten Darmfadens und eines Stäbchens den ersten Löffel machte.

Von da an gehörten Brei und Suppe zu den täglichen Gaumenfreuden der Höhlensiedler. Es war oft ein wunderliches, überwürztes Gemengsel, aber es sättigte und wärmte. Mit der Zeit merkte Eva, daß weniger Salz und Würzkräuter dem Gaumen und der Nase wohler taten als zuviel. Als Peter eines Tages einige aufgelesene Schalen der Teichmuschel heimbrachte, erkannte Eva mit einem Blick: Das sind die richtigen Löffel! Sie nahm Schilfhalme, spaltete sie am einen Ende und schob die Muschelschale in den Schlitz. Jetzt waren sie richtig, die Löffel!