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Die Höhlenkinder im Pfahlbau

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Ziegenmilch

Peter holte Eva zu Hilfe. Er fesselte die Geiß, wälzte sie auf ein Rehfell und zog sie über eine aus Erdschollen hergestellte schiefe Ebene aus der Grube. Dann band er sie auf einer aus Ästen angefertigten Tragbahre fest. Als Evas Kräfte unterwegs versagten, handhabte er die Bahre wie einen Schlitten und ließ sich nur beim Umladen aufs Floß und beim Abladen daheim helfen. Während er um das gebrochene Bein des Tieres einen kühlenden Umschlag aus gequetschten Huflattichblättern legte und es dann mit Stäben und Bastfaden schiente, labte Eva die willenlose Scheckin mit Salzwasser, machte ihr ein weiches Lager in ihrer eigenen Stube zurecht und beeilte sich, Grünfutter zu besorgen. Am nächsten Tag schmiedete Peter für Eva ein Grasmesser mit flachem Stiel, den er in einen Stab schäftete, und für die Geiß baute er an der Vorratshütte ein Schutzdach. Später wollte er es durch Wände aus Flechtwerk und Lehmbelag zum Stall ergänzen.

Erst am zweiten Tage ließ sich das von Hunger gepeinigte Tier von Eva bewegen, etwas Grünfutter aufzunehmen. Von diesem Augenblick an legte es die Scheu vor der Pflegerin ab, die sich viel in ihrer Nähe aufhielt und an einem Tragkorb flocht. Sie sprach mit dem kranken Tier vom Gesundwerden, von dem vielen Heu und von den getrockneten Baumzweigen, die es im Winter bekommen werde. Eva zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Scheckin verstand. Langsam genas die Geiß, humpelte aber, denn das gebrochene Bein war klumpig zusammengewachsen.

Eine Woche vor der Sommersonnenwende brachte die Scheckin zwei Junge zur Welt, von denen eines nackt, verkümmert und tot war. Das andere aber, ein fast schwarzes Böcklein, war schon am Tage seiner Geburt ein kräftiges Kerlchen. Da es keine Spielgenossen hatte, stieß »Schwärzel« mit seinen kurzen Hornstummeln die gute Eva und hatte es bald auch auf Bläff abgesehen, die ihm mit gespieltem Ernst entgegenbellte. Eva schüttelte sich vor Lachen, wenn Schwärzel mit allen vier Beinen zugleich die Tür ihrer Hütte ansprang, dann seitlings davonhopste, plötzlich wie angewurzelt stehenblieb und mit gesenktem Kopf zu ihr hinauf schielte.

Bei seinem Spielen, Springen und Hüpfen kam Schwärzel oft so gefährlich nahe an das Randgeländer des Pfahlplatzes, daß Eva von Peter eine höhere Umzäunung verlangte. Doch während Peter noch das Stabholz für den Schutzzaun zusammensuchte und herbeischaffte, geschah das Unglück.

Als Eva eines Tages auf der Triftleiten Grünfutter gesichelt hatte und mit hochbeladenem Floß heimfuhr, sah sie unterhalb des Pfahlbaus etwas Dunkles regungslos in der Strömung treiben — es war das ertrunkene Böcklein. Wohl fuhr sie ihm nach und zog es auf das Floß; aber kein Streicheln, kein Kosewort rief das Tierchen ins Leben zurück, das noch am Morgen sich so übermütig seines Daseins gefreut hatte. Eva tat der Tod des fröhlichen Tierkindes bitter weh, und sie fühlte Mitleid mit der klagenden Mutter.

Peter ging der Verlust nicht so nahe. Es war ja nur ein Böcklein gewesen; sein Fell war brauchbar, und das Fleisch gab für einige Tage Hundefutter und Fischköder ab. Die Milch des Muttertieres aber kam jetzt ihm und Eva zugute. Er zeigte auf das pralle Euter der Scheckin: »Eva, du mußt der Geiß die Milch abmelken, sonst tut ihr das Euter weh — ich zeig‘ dir, wie.« Dann holte er eine Schale. Kaum hatte seine Hand das Euter berührt, da machte die Geiß eine blitzschnelle Wendung und stieß ihm beide Hörner gegen die Brust. Fast gleichzeitig schlug sie mit den Hinterbeinen aus und zerrte am Riemen.

Erst als er sie an der Hüttenwand kurzgebunden hatte, konnte er sie melken. Mit der ersten Milch, die er in die hohle Linke molk, wusch er ihr nach Hirtenbrauch das Euter. Nach und nach beruhigte sich die Scheckin; sie spürte die Erleichterung und ließ Peter gewähren. Noch immer traurig, weigerte sich Eva, von der Milch zu kosten. Peter aber trank die Schale in langen Zügen leer. Und während er trank, stiegen neue Hoffnungen in ihm auf. Wieder und wieder wollte er List und Arbeit daran wenden, Wildziegen zu erlangen. Eine Herde wollte er aufziehen, ein reicher Hirte werden, Milch und Fleisch und Felle im Überfluß haben! Da mußte Eva doch wieder froh werden!

Gold, Lüge, Leid

Fast eine Woche lang rief die Tiermutter nach ihrem verlorenen Zicklein, dann hörte sie auf. Sie gewöhnte sich daran, ihre Milch, die immer wieder das Euter füllte, von Peter abmelken zu lassen. Auch Eva beruhigte sich so weit, daß sie sich entschloß, ebenfalls von der Milch zu genießen — ja, sie übernahm sogar das Melken, und ihr machte die Geiß keine Schwierigkeiten. Sie spürte, daß dieses Wesen es von Herzen gut mit ihr meinte. Zeitweise war Eva von einer Traurigkeit, die für Peter etwas Bedrückendes hatte. Fragte er sie in seiner rauhen Art: »Was hast du denn? Fehlt dir was?«, erhielt er keine Antwort. Verletzt wandte er sich ab und verbiß sich in seine Arbeit.

Über den Ereignissen der letzten Woche hatte er den Töpferofen vergessen. Als er ihn aufräumte, fand er ganz oben, über mißratenem, geborstenem und beim Brennen verbogenen Rohgeschirr einzelne Töpfe und Schüsseln, die ungleichmäßig mit einer glänzenden, harten Schicht von goldbraunem Schmelz überzogen waren. Also hatte Eva Salz in den Ofen getan, wie er es vorgehabt, aber versäumt hatte! Vergnügt eilte er zu ihr: »Eva, das mit dem Salz war ein guter Einfall von dir.« Doch sie gab fast gleichgültig zurück: »Du wirst es besser können.« Entschlossen, diese Erfindung sobald wie möglich noch vollkommener zu machen, brachte Peter den Ofen wieder in Ordnung und bat die Gefährtin, neue Geschirre zu formen.

Wo er ging und stand, was er auch arbeitete, immer rätselte er an Evas sonderbarem Wesen herum. Er konnte es sich nicht erklären. Und wieder fielen ihm die Goldkörner ein, aus denen er Sonne, Mond und Sterne zu einem Halsschmuck für sie schmieden wollte. Und wenn sie sich dann freute, wollte er sie in seine Arme schließen und ihr sagen, daß er sie lieb hatte. Voll Zuversicht suchte er seine Pfahlhütte beim Moorbach auf, aus der ihn damals die Baumschlange vertrieben hatte. Er tastete die Stelle ab, wo er das Gold verborgen wußte: Es war nicht mehr da! Weiter suchte er, auch an den unmöglichsten Stellen: Das Gold war nicht mehr da! Sollte Eva ...?

Er suchte sie vor ihrer Hütte auf, wo sie gerade am Webstuhl arbeitete. Zaghaft wie noch nie wählte er seine Worte, er wollte ihr nicht wehe tun. Nach langem Hin und Her fragte er endlich: »Eva, sag, hast du das Gold genommen?« In jähem Schreck ließ sie die Webnadel fallen und starrte den Fragenden an. Ihre erste Eingebung, einfach »ja« zu sagen, verwarf sie aus Angst vor Peters Zorn. Peter drängte: »Hat‘s dir die Red‘ verschlagen? Brauchst nur mit dem Kopf zu nicken. Hast du es oder hast du es nicht?« Er wollte nicht hart mit ihr sein, aber ihr Schweigen reizte ihn. Hochaufgerichtet stand sie vor ihm. Ihre Augen drängten sich aus den Höhlen, ihre Nasenflügel bebten, und ihre Lippen waren fest aufeinandergepreßt. Da packte er sie mit seinen rußigen Händen an beiden Schultern und schüttelte sie. Eva ballte die Fäuste, und heiser brachte sie die Worte hervor: »Ich hab‘s nicht, und du kriegst‘s nicht.«

Da stieß er sie von sich, der Webstuhl fiel polternd um: Die Türe zu ihrer Stube war frei. Er durchwühlte ihr Lager, riß den lehmigen Bodenbelag auf. Nicht einmal von den Herdmauern ließ er Stein auf Stein. Als er endlich, mit Staub und Asche bedeckt, Evas Stube verließ, entschlossen, ihr, wenn es sein mußte, mit Gewalt zu entreißen, wo sie das Gold verborgen hatte, da war Eva nirgends zu sehen. Er suchte sie im Vorratshaus, sogar in seiner eigenen Hütte und fand sie nicht. Jetzt begann er zu rufen, zu schreien: »Eva! Eva!« Nur das Echo, von den fernen Felswänden zurückgeworfen, gab Antwort. Ein furchtbarer Gedanke ließ ihn über den Zaun des Pfahlhofes hinausschauen auf die klare Flut des Moorwassers, wo das Böcklein ertrunken war. Wie ein Gehetzter umkreiste er die Siedlung. Sein Zorn war verflogen. Klagend, bittend klang sein Ruf über den See: »Eva! Eva! Komm doch, ich tu‘ dir nichts — ich hab‘ dich ja lieb!« Vor Evas Hintertür kauernd, starrte er hinab zum Wasser. Schwärme von Jungfischen zogen an der Oberfläche dahin, ihre schlanken Leiber glitzerten im Sonnenschein. Ringsum Stille. Da fiel ihm auf, daß Evas Binsenfloß, das gewöhnlich am Steigbaum angebunden war, am Ufer drüben festlag, wo der Torfboden zur Triftleiten anstieg. Jetzt wußte er, daß Eva geflohen war. Bläff, ihre stete Begleiterin, war auch nicht mehr da. Peter schnellte empor, sprang auf sein eigenes Fahrzeug und stieß mit seinem langen, eisenbeschlagenen Speer, der noch vom letzten Jagdgang darauf lag, vom Pfahlbau ab. Ein kräftiger Wind von der Klamm herüber legte sich ihm in den Rücken und beschleunigte seine Fahrt.

Kaum nahm er sich Zeit, sein Floß neben dem Evas festzupflocken, da begann er den Boden nach Spuren abzusuchen. Er fand niedergetretene Grasbüschel. Wie gehetzt eilte er über den Lehmdamm, der den Moorsee vom Klammbachsee trennte, aufwärts. Die Spuren führten zum Moorbach. Unsicher, wie weit sie im Wasser gegangen sein mochte, hielt er Umschau und rief, beide Hände am Mund, mit aller Kraft: »Eva — Eee-va!« Der Wind schlug ihm seine langen, schwarzen Haare um das Gesicht und riß ihm die Worte vom Mund. Das größere Floß, auf dem er den Klammbachsee zu überqueren pflegte, lag unberührt zwischen dem Schwemmholz der Trift. Über den See war Eva nicht geflohen. In der Meinung, sie sei im Bach weiter aufwärts gewatet, lief er, immer wieder rufend, bis zu der Stelle, wo der Moorbach aus der Kalkhöhle trat und über das mit Algen und Moos bedeckte Urgestein als dünner Wasserfall niederplätscherte. Hier suchte er den mit Gras, Farn und Stauden bewachsenen Geröllboden nach Spuren ab — vergeblich.

Da kam die alte Einäugel, triefend naß, aus dem Dickicht. Sie war durch den Moorsee ihrem Herrn nachgeschwommen und seinen Spuren gefolgt. Jetzt schüttelte sie sich das Wasser aus dem Pelz und sah ihn fragend an.

 

Er trieb die Füchsin an: »Geh, Einäugel, such, such!« Und Einäugel begann zu suchen, kam aber mit hängender Lunte sichtlich verwirrt wieder zu ihrem Herrn zurück. Jetzt drängte sich Peter aufs Geratewohl durch das Gewirr von Haseln, Brombeeren und Waldreben, das den Laubwald bis zur Sonnleiten säumte. Eine Sandviper, die er unterwegs aufscheuchte, übersprang er und stürmte fort. Immer wieder ließ er seinen Ruf erschallen: »Eva! Eva!« Sie mußte ihn längst gehört haben! Da regte sich der Zorn in ihm. Verbissen brach er durchs Gestrüpp. Und schließlich verfiel er auf den Gedanken: Wenn Eva nicht antworten will, ihr Hund soll sie verraten! Er durchquerte den Wald, pfiff schrill und rief immer wieder: »Bläff! Bläff! Komm her! Bläff, komm her!« Endlich vernahm er ein heiseres Bellen. Es klang so fremd, so ängstlich, so ganz anders als das Gekläff, mit dem Bläff ihn zu begrüßen pflegte, wenn er von der Jagd heimkehrte. Peter ahnte drohende Gefahr. Von Angst gehetzt stürmte er dahin, dem Gekläff nach.

Bis zu den Knöcheln im Moor des Waldbodens versinkend, arbeitete er sich mit seinem Speer von einem liegenden Baumstamm zum anderen. Da — was war das? Ein markerschütternder Schrei zerriß die schwüle Luft des Urwalds — es war kein Wort, es war ein gellender Hilferuf! Dann aber klang es deutlich herüber: »Pe-ter Pe-ter!« Springend und stolpernd erreichte er die Lichtung, wo er vor Jahren die ersten Holzbirnen gefunden hatte. Da sah er hoch oben in der Baumkrone eines wilden Birnbaumes Eva auf einem dünnen Ast stehen, der sich unter ihrer Last bog. Mit gestreckten Armen hing sie am Geäst, und in bedrohlicher Nähe löste sich die Gestalt eines Bären vom Stamm. Vermochte das schwere Tier Eva auch nicht zu erreichen, es mußte sie zum Absturz bringen, wenn es ihm gelang, den Ast niederzubiegen oder zu knicken.

Da sprang Peter vor mit dem Ruf: »Eva, halt dich fest!« Weit ausholend schleuderte er den wuchtigen Speer. Die spitze Waffe drang zwar dem Raubtier in die Weichteile, glitt aber im nächsten Augenblick, der eigenen Schwere folgend, zu Boden. Der verwundete Bär brüllte auf und fiel seitlich ins Gras. Während Peter nach seinem Speer griff, erhob sich auch sein Gegner auf die Hinterpranken und warf sich auf ihn. Das Messer in der Faust, jeden Muskel seines gedrungenen Körpers gespannt, rang Peter verzweifelt mit dem Bären. Im nächsten Augenblick saß eine Klinge zwischen den Rippen des Raubtieres, das im Fall den Jäger unter seiner Körperlast zu Boden drückte. Die Fangzähne des zu Tode Verwundeten drangen durch das Fellkleid in die Brustmuskeln seines Gegners, während sich die Krallen der Vordertatzen ins Fleisch seiner Oberarme bohrten. Peters Rechte löste sich vom Messergriff und sank schlaff herab. Die Augen starr emporgerichtet, schaute er zur Baumkrone auf. Er suchte Eva. Da sah er die schlanke Gestalt niedergleiten, von Ast zu Ast, das blasse Gesicht umweht vom fliegenden Haar. Gleich darauf fühlte Peter, daß der schwere Leib des Bären sich von ihm abwälzte. Eva bohrte die lange Speerspitze tief in die Brust des Braunen, der sich vergeblich gegen sie zu wenden versuchte.

Erst als das Leben des Bären entwichen war, ließen Evas Hände den Speerschaft los. Peter lag regungslos; Blut quoll ruhig, aber stetig aus seinen Wunden und sickerte ins Moos. Mit bebenden Händen durchsuchte Eva Peters Gürteltaschen: Sie räumte sein Schlagfeuerzeug heraus, grobe Hornsteinsplitter und einen Funkenstein, eingewickelt in einen handtellergroßen Lappen Feuerschwamm. Den zerzupfte sie und drückte die Läppchen zwischen die Ränder der einzelnen Wunden. Das Blut hörte auf zu fließen. Matt lächelnd schaute der Verwundete dem Mädchen ins Gesicht. Was er mit goldenem Geschmeide hatte erreichen wollen, das war ihm in höchster Lebensgefahr geworden: Eva war ihm wieder gut! — Mit diesem Gedanken schlummerte Peter ein. Und Eva schob ihm sachte einen Armvoll Gras unter den Nacken und ließ ihn schlafen. Ehe sie wegging, um aus ihrer Pfahlhütte Verbandzeug zu holen, zündete sie ein Schutzfeuer an und befahl beiden Hunden, bei ihm zu bleiben.

Bald kehrte sie zurück, bestrich weichgeklopften Buchenschwamm mit frischem Fichtenharz und legte die Lappen auf die Wunden. Dann stellte sie einen mitgebrachten Napf Milch auf drei Steine, machte Feuer darunter, rührte Schwadenschrot ein, kauerte sich zu Häupten des Schlafenden und lauschte seinen ruhigen Atemzügen. Als Eva den Breitopf vom Feuer nahm, ließen die Hunde vom Bären ab, an dessen Blut sie geleckt hatten, und setzten sich erwartungsvoll zu ihr. Eva aß langsam und achtete nicht auf die bettelnden Blicke der beiden. Als nur noch wenig vom Brei übrig war, ging Bläff die Geduld aus, laut kläffend verlangte sie ihren Teil am Mahle. Da schlug Peter die Augen auf und bat um Wasser. Eva schüttete den Rest ihres Breies den Hunden ins Gras, lief mit dem Napf zum Moorbachfall und brachte Wasser. Peter trank gierig und versuchte aufzustehen. Nur mit Evas Hilfe gelang es ihm. Von ihr um die Hüfte gefaßt, legte er schwankend den Weg zum Floß zurück. Und als sie ihn in seiner Wohnstube zu Bett gebracht hatte, fiel er in den tiefen Schlaf der Erschöpfung.

Versöhnung

Als Peter erwachte, fand er sich auf seinem gewohnten Lager, bis zum Hals zugedeckt mit einer Bastmatte, die mit weichem Rehfell gefüttert und am Rande sauber umnäht war. Schwer lag sein Kopf auf einem Polster aus zusammengenähten Buchenschwammlappen. Das Morgenlicht fiel durch die offene Fensterluke in seine Stube, die ihm heute viel geräumiger erschien als sonst. Leuchtende Sonnenstäubchen tanzten im schrägen Strahlenbündel. Im warmen Lichtfleck auf dem Fußboden schlief die alte Einäugel und zuckte mit den Pfoten. Sie träumte wohl von fröhlicher Jagd. Mitten in der Stube lag Schnapp und nagte am Knorpelkopf eines Röhrenknochens.

Langsam ließ Peter seine Blicke durch den Raum schweifen. Der Lehmboden war reingefegt, das Durcheinander seines Allerleis, über das er sonst ungerührt stolperte, war verschwunden. Hölzer, Steine, Metallklumpen, Scherben und Knochen lagen, Gleiches bei Gleichem, zu Haufen geordnet, an der Wand. Neben seinem Lager stand ein großer, rostfarbig glasierter Napf; und in der Ecke am Fußende seines Lagers lehnte sein Jagdgerät.

Eva hatte hier aufgeräumt wie einst in der Wohnhöhle. Wo war sie? Er versuchte, sich auf den Ellbogen aufzurichten. Ein qualvolles Zerren und Spannen in den Oberarm- und Brustmuskeln ließ ihn stöhnend zurücksinken. Er war ja verwundet. Ja — der Bär hatte ihn unter sich gehabt. Da schob er trotz der Schmerzen, die ihm jede Bewegung verursachte, die Bastmatte von seiner Brust. Und da fand er sie beklebt mit Lappen aus Buchenschwamm, die nach Fichtenharz dufteten. Matt schloß er die Augen und lauschte dem leisen Schlag der Wellen, die ein sanfter Wind gegen die Pfähle der Hütte trieb. Wie hatte Eva ihn nur heimgeschafft? Seine Gedanken verwirrten sich, er schlief wieder ein, und im Traume sah er sie hochaufgerichtet am Vorderende des Floßes stehen und fühlte sich sanft gewiegt vom ab und auf wippenden Floß.

In Wirklichkeit kniete Eva am Kopfende seines Lagers. Mit angehaltenem Atem hatte sie das Erwachen und Wiedereinschlummern des Verwundeten beobachtet. Jetzt schlich sie auf den Zehenspitzen aus dem Raum, melkte die Ziege und näherte sich wieder dem Lager des Kranken. Lautlos stellte sie die Milchschüssel auf den Boden und kniete am Kopfende nieder. Erst wollte sie abwarten, bis Peter wieder erwachte, als er aber im Schlaf unruhig wurde und, mit schwerer Zunge lallend, angstvoll ihren Namen rief, da beugte sie sich über ihn und strich ihm die langen schwarzen Haare aus der Stirn. Ein Zittern lief über den Körper des Schlafenden, seine Augenlider flatterten, als wollten sie sich öffnen, dann wurde er wieder ruhig. Geduldig kauerte Eva neben dem Lager des Träumenden. An der Genesung des Verwundeten zweifelte sie nicht. Als sie eine Fliege verjagte, die sich auf Peters Stirn niedergelassen hatte, versuchte er von neuem, die Augen zu öffnen. Es gelang. Sein Blick fiel auf Eva, die errötend und lächelnd vor ihm stand. »Eva, bis du‘s?« begann er zu flüstern, »jetzt ist alles gut!« Da sagte sie leise: »Ja, Peter, alles ist gut, und ich bin dir auch gut.« Sie umklammerte seine Rechte mit beiden Händen und fuhr eindringlich fort: »Verzeih du mir, ich verzeihe dir alles, alles, und nichts mehr soll zwischen uns kommen; was mein ist, sei dein, was dein ist, sei mein. Ich danke dir mein Leben, und du dankst mir dein Leben. Wir sind die einzigen Menschen im Heimlichen Grund, und wir wollen einander liebhaben bis zum Tode. Hörst du, bis zum Tode!« Große Tränen rollten über Peters Wangen in den weichen, dunklen Bart. Er preßte ihre Finger und sprach nach: »Ja, bis zum Tode.«

Müde schloß er die Augen. Sie aber zog die Milchschale heran, schob ihren linken Arm um Peters Nacken, hob seinen Kopf und führte mit der Rechten vorsichtig den bis zum Rand gefüllten Löffel an seine Lippen. Er schlürfte die noch laue Milch. In Evas Art, ihn zu betreuen, lag so viel mütterliche Zartheit und Strenge, daß er dankbar nachgab.

Als Peter satt die Lippen schloß und Eva den müde gewordenen Arm unter seinem Nacken hervorzog, sank er in tiefen Schlaf und träumte seit vielen, vielen Jahren zum erstenmal wieder von seiner Mutter. Wie seltsam, daß sie Evas Züge trug! Leise schlich seine Pflegerin aus der Stube, frisches Futter für die Scheckin zu holen.

Als sie wieder eintrat, fand sie Peter bewußtlos neben der Falltür in der Mitte der Stube. Bei ihrem Versuch, ihn aufzurichten, kam er zu sich und verlangte heftig, sie solle gehen, fort, fort, und den Bären suchen, der ihm die Kraft aus dem Leibe genommen hatte. Das Herz des Bären wolle er haben, essen wolle er es; darin waren ja die Kräfte des starken Feindes.

Eva, die den Aberglauben des Verwundeten teilte, beeilte sich, seinen Wunsch zu erfüllen. Aber erst nachdem sie Peter zu Bett gebracht hatte, konnte sie den Pfahlbau verlassen. Es kostete sie schwere Mühe, das dicke Fell des Bären zu schlitzen und seinem Brustkorb das Herz und die Lunge zu entnehmen. Das Abhäuten mußte sie auf den nächsten Tag verschieben. Während sie über die abendliche, mattleuchtende Fläche des Moorsees heimwärtsfuhr, war ein großer Jubel in ihr. Sie brachte ja das Heilmittel, das Peter seine Kraft zurückgeben sollte. Und sie überlegte, wie sie das Herz des Bären feingeschnitten mit Gundelkraut, wildem Kümmel, Salz und Schwadenkornschrot zubereiten und in duftender Tunke ihm vorsetzen wollte.

Als sie mit der Ampel an Peters Lager trat, schien er sie gar nicht zu sehen. Seine glänzenden Augen schauten an ihr vorbei, seine Wangen glühten, und seine Lippen murmelten Unverständliches. Während Eva das Bärenherz zubereitete, suchte ihre angstgepeinigte Seele Zuflucht bei der Ahnl und beim Allmächtigen.

Als sie mit dem Essen an Peters Lager trat, kehrte sein Bewußtsein zurück. Während er noch am ersten Bissen kaute, mahnte er: »Iß auch du, Everl, und gib der Einäugel was und auch dem Schnapp. Wir alle brauchen es.« Dann wurde er still und schlief lächelnd ein. Evas Nähe tat ihm wohl.

Sie wachte die ganze Nacht am Lager des Kranken. Und während sie seinen gleichmäßigen Atemzügen lauschte, erstarkte ihre Zuversicht, daß er in ihrer Obhut gesunden werde. Auf die stillen Wochen, in denen der Genesende ihrer Fürsorge bedurfte, baute sie die Hoffnung, daß es ihr gelingen werde, ihn so zu machen, wie sie ihn haben wollte.

Und dann, wenn er gesund war, wollte sie ihn ins Heiligtum ihrer alten Wohnhöhle führen. Dort wollte sie vor Gott feierlich das Gelöbnis wiederholen, das sie beide nicht mehr vergessen sollten: »Wir wollen einander gut sein bis zum Tode.«