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Z serii: Killerkatzen #1
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Kapitel 3

Fürs erste ignoriere ich das Hungergrollen in meinem Magen und mache mich auf den Weg zum Haus des Getöteten. Es ist nicht weit von dem Laden, nur ein paar Straßen weiter. Er hatte einen kurzen Weg zur Arbeit. Beinahe beneide ich ihn.

Es ist eine hübsche, wenn auch etwas langweilige Wohngegend. Saubere kleine Reihenhäuser, die meisten Gärten mit gepflegtem Rasen. Mir wird fast übel bei dem Gedanken, dass da tatsächlich Leute drin sitzen und darauf achten, dass ja kein Grashalm höher wächst als der andere. Witzig.

Das Haus von Herrn Kindler ist eines von fünf identischen Einheiten, die man zu einem unansehnlichen Block zusammengepresst hat. Als ob jemand einen Teigklumpen genommen und in fünf dünne Scheiben geteilt hätte, ohne Rücksicht darauf, ob das Ergebnis überhaupt groß genug wäre, darin zu wohnen. Ich weiß, dass Herr Kindler allein gewohnt hat und bezweifle, dass für eine weitere Person in dieser winzigen Hausscheibe überhaupt Platz gewesen wäre.

Ich werfe noch einmal einen Blick um mich her und die Straße entlang. Niemand ist zu sehen, kein Vorhang bewegt sich und verbirgt einen neugierigen Zuschauer. Anscheinend sind alle Bewohner zur Arbeit, in der Schule oder wo sonst normale Leute ihre Zeit um elf Uhr morgens verbringen. Beim Angeln vielleicht. Wer weiß das schon. Ich habe noch nie mit normalen Menschen zusammengelebt. Normalerweise bringe ich sie nur um.

Mit dem sicheren Gefühl, dass mich keiner beobachtet, biege ich in die winzige Auffahrt – kaum groß genug, um ein Fahrrad darauf abzustellen – und fische den Schlüssel aus der Tasche. Es gibt keine Anzeichen von polizeilichen Aktivitäten. Kein Absperrband, kein Schild mit »Betreten Verboten«. Offenbar hat die Polizei entschieden, dass es in diesem Haus keine Beweismittel gibt, die man auf diese Art schützen müsste. Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mehr finde als die Polizei.

Die Tür öffnet mit einem Quietschen. Könnte mal wieder einen Tropfen Öl vertragen. Vielleicht hat er sie auch absichtlich so gelassen, als eine Art Alarmsignal. Irgendwie glaube ich aber nicht, dass er in diesen Kategorien gedacht hat. Ich habe nur einen einzigen Hinweis, dass dieser Mann nicht ganz der Langweiler sein könnte, als den ihn sein Bruder beschrieben hat: Dieses Foto mit dem gejagten Blick und dem angsterfüllten Gesichtsausdruck. Vielleicht lese ich aber auch viel zu viel in dieses eine Bild hinein; andererseits hat mich mein Instinkt noch nie getrogen.

Ein kurzer Flur endet an einer mit Teppich ausgelegten Treppe. Zwei Türen gehen zu beiden Seiten davon ab, und ich beschließe, zunächst die Küche auf der rechten Seite zu inspizieren. Sie ist klein, wie nicht anders zu erwarten. Sie ist aber auch peinlich sauber. So aufgeräumt, dass ich bezweifle, dass der Bewohner hier wirklich gekocht hat. Ich öffne willkürlich ein paar Schränke. Die meisten von ihnen sind leer, in den anderen finden sich ein paar grundlegende Dinge wie Reis und Zucker. Im Kühlschrank steht eine einsame Dose Bier neben einem Stück Käse, das auch schon bessere Tage gesehen hat. Auch das deutet darauf hin, dass Herr Kindler mit Kochen nicht viel am Hut hatte.

Ich öffne noch ein paar weitere Schubläden und Schränke, finde aber nichts und gehe weiter ins Wohnzimmer, direkt gegenüber. Ein abgewetztes Sofa und ein Fernsehgerät auf einem fleckigen Holzschränkchen sind die einzigen Möbelstücke. Keine Bücherregale, keine Stehlampen, nicht einmal ein Teppich. Auf dem Sofa liegt nicht ein einziges Kissen. Welcher Mensch hat denn nicht einmal Kissen?

Ich nehme die Fernbedienung vom Schränkchen und drücke wahllos einige Tasten. Nichts geschieht. Ich prüfe die Steckdose, da scheint aber kein Strom drauf zu sein. Toll. Ein Wohnzimmer mit nichts als einem Fernseher, und der funktioniert noch nicht mal. Herr Kindler war so was von langweilig. Oder nicht der, für den ihn alle hielten.

Ich werfe die Fernbedienung aufs Sofa – und hebe sie wieder auf. Mit der stimmt etwas nicht, was mir vorher nicht aufgefallen war. Sie hat das falsche Gewicht. Sie ist zu leicht. Ich drehe sie um und öffne das Batteriefach. Es ist leer. Warum sind in dieser Fernbedienung keine Batterien? Klar, man braucht sie nicht, wenn der Fernseher sowieso nicht funktioniert, aber warum dann die Batterien herausnehmen, statt sie einfach drin zu lassen?

Langsam lasse ich meine Finger über das schwarze Plastik gleiten. Fühlt sich noch immer falsch an. Ich schließe die Augen und verlasse mich ganz auf meinen Tastsinn. Das Sehen kann täuschen, Fühlen selten. Da ist etwas unten im Batteriefach. So was wie … ein zweiter Boden. Schlau. Ich ziehe ihn mit den Fingernägeln hoch, und in der kleinen Öffnung darunter kommt ein Schlüssel zum Vorschein. Es ist ein unscheinbarer Metallschlüssel, der für alles Mögliche verwendet werden könnte. Ich nehme ihn heraus und stecke ihn in die Tasche. Hoffentlich finde ich bald das passende Schlüsselloch dazu. Nun wird der Fall doch etwas spannender.

Jetzt, wo ich weiß, dass in diesem Haus nicht alles ist, wie es scheint, setze ich meine Erkundungen etwas freudiger fort. Im Wohnzimmer gibt es nichts weiter, aber als ich die Nachttischschublade im Schlafzimmer umdrehe, muss ich grinsen. An ihrer Unterseite ist ein Umschlag festgeklebt. Irgendwie bin ich enttäuscht, dass sich darin lediglich Geld befindet, aber beim Zählen ändere ich meine Meinung doch wieder. Das hier ist sehr viel Geld für den Besitzer eines Süßwarenladens. Verdammt, das ist mehr, als mir mein mysteriöser Gönner gegeben hat. Mit dem hier könnte ich unser Haus renovieren und noch einen Urlaub für uns bezahlen. Bin schon froh, dass niemand mein diebisches Grinsen sieht. Ich habe mir antrainiert, meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, aber das fällt schwer beim Anblick von tausend Darem. Ich stecke den Umschlag in eine versteckte Innentasche meines Mantels und die Schublade zurück an ihren Platz. Wer’s findet, dem gehört’s.

Vor allem möchte ich aber herausfinden, wo der Schlüssel reinpasst. In einen Safe? Ein Geheimfach? Die Tür zu einem versteckten Zimmer? Leider gibt es im ganzen Haus kein Schlüsselloch, das verschlossen ist. Das an sich ist schon merkwürdig. Selbst in dem kleinen Büro sind alle Schubladen offen. In einer finde ich weiteres Bargeld, sind aber Peanuts im Vergleich zu der Summe im Schlafzimmer. Dieser Betrag stimmt schon eher mit dem Bild überein, das ich mir von einem kleinen Ladenbesitzer gemacht hatte. Genug für die Ausgaben und eventuell eine unvorhergesehene Reparatur, aber nichts, was einen Verdacht erregen könnte. So fühlt sich das ganze Haus an. Durchschnittlich, der Norm entsprechend, genau das, was man erwarten würde. Das allein schon bringt mich dazu, nach etwas Verdächtigem zu suchen. Niemand ist so langweilig. Besonders niemand, der ermordet wurde.

In den Schreibtischschubladen finden sich einige Rechnungen und Belege, die mich wieder zum Gähnen bringen. So was in der Art wartet auch im Eingangskorb in meinem Büro. Und den ignoriere ich gern. Davon bekommt man nur Kopfschmerzen von. Anscheinend hat Herr Kindler das genauso gesehen. Einige der Rechnungen sind vom vergangenen Jahr, und sie sehen nicht so aus, als seien sie je aus diesem Schubfach genommen worden.

Nach einem letzten Gang durchs Haus gehe ich hinaus in den sehr gepflegten Garten. Eigentlich ist es nur ein kleines Rasenstück, das zum kleinsten Gartenhaus führt, das ich je gesehen habe. Es ist so niedrig, dass ich den Kopf einziehen muss, und ich bin nicht super groß gewachsen. Drinnen befinden sich ein Rasenmäher und ein paar Geräte, von denen ich nicht mal weiß, wofür man sie verwendet. Ich hatte noch nie einen Garten und habe nicht vor, mir einen anzuschaffen. Hab keinen grünen Daumen…

Aber ich kann mir Winston Kindler hier gut vorstellen. Wie er auf einer Schaumstoffunterlage kniet und mit der Schere den Rasen auf die perfekte Länge stutzt. Echt langweilig. Ich selbst hab versucht, beim mir im Haus ein paar Topfpflanzen eine Chance zu geben, aber meistens überleben sie nicht. Ich bringe sie wohl um. Man kann nun mal aus seiner Haut nicht raus. Kat, die Pflanzenkillerin. Jo, so bin ich. Könnte ich eigentlich noch auf meiner Visitenkarte hinzufügen. Das jedenfalls wäre leichter zu erklären als M.I.A.U.

Irgendetwas an dieser Hütte gefällt mir nicht; also entferne ich alle Gerätschaften und sehe mich in dem leeren Raum um. Leider gibt’s hier kein Versteck. Auch keine Falltür. Wo ich doch Falltüren so mag; aber die sind heutzutage selten.

Enttäuscht räume ich alles wieder ein und störe mich nicht daran, dass es jetzt aussieht, als habe ein Erdbeben alles von den Regalen und Haken geworfen. Der Rasenmäher kommt als letztes dran. Er ist leuchtend rot und erinnert mich irgendwie an einen Marienkäfer. Als ich ihn anhebe, um ihn in die Hütte zurückzustellen, fällt mein Blick auf etwas auf dem Kabel. Auf der orangen Gummiummantelung sind Zahlen geschrieben:

3 9 5 7 2 0 4

Sie sind nicht auf dem Kabel aufgedruckt, sonst könnte es sich um einen Barcode oder ähnliches handeln. Nein, die sind mit Filzstift in wackliger Schrift aufgetragen. Ich schreibe die Zahlen in mein Notizbuch in der Hoffnung, dass sie die Kombination zu einem Safe sind oder so was Spannendem. Aber bei meinem Glück sind es vielleicht einfach nur seine Lieblingszahlen, die er aus Langeweile da draufgeschrieben hat, langweiliger Ladenbesitzer, der er nun mal war.

Ich seufze. Ich habe jetzt also einen Schlüssel und eine Zahlenfolge, weiß aber nicht, was ich damit anfangen soll. Ich habe das ganze Haus abgesucht und auch den Garten – wobei es da außer der Hütte nichts zu sehen gibt -, aber nichts von Interesse gefunden. Abgesehen davon, dass sich das Haus insgesamt nicht sehr bewohnt anfühlt. Keine Sofakissen, ein leerer Kühlschrank, brandneue Bettwäsche und weitgehend unbenutzte Gartengeräte. Es scheint fast, als habe Winston Kindler irgendwo anders gewohnt und dies hier nur als Kulisse verwendet. Aber warum? Ergibt nicht wirklich einen Sinn. Vielleicht finde ich in seinem Laden eine Antwort.

 

Kapitel 4

Auf dem Weg hole ich mir ein Sandwich, weil ich davon ausgehe, dass der Süßwarenladen mit seinen Düften wieder meinen Appetit wecken wird. Ist mir schleierhaft, wie da jemand arbeiten kann, ohne fett zu werden wie ne Kuh. Ich würde wohl am ersten Arbeitstag schon gefeuert werden wegen unerlaubten Naschens. Vielleicht liegt das daran, dass ich in meiner Kindheit keine Süßigkeiten bekam. Jetzt, wo ich selbst entscheiden kann, was ich esse und was nicht, ist Zucker ein Hauptbestandteil meiner Ernährung.

Noch immer warten Kinder vor dem Laden, aber die Schlange ist kürzer geworden. Ich ignoriere sie einfach und gehe direkt hinein, hab keine Geduld mehr länger zu warten. Das Mädchen steht noch immer hinter der Theke und sieht jetzt ausgesprochen erschöpft aus. Kein Wunder, wenn sie den ganzen Tag lang Süßigkeiten ausgehändigt hat. Na wenigstens habe ich in der Zwischenzeit die Gegend erkundet.

Bei meinem Anblick seufzt sie auf. »Ich bin noch nicht fertig.«

»Gibt’s ein Hinterzimmer, in dem ich warten kann?« frage ich sie, und sie seufzt erneut.

»Da ist ein kleines Büro. Fass aber nichts an. Ich komme, so schnell es geht.«

Ich schenke ihr ein gewinnendes Lächeln und folge ihr in dieses Büro, das sich gleich hinter dem Laden befindet. Es war nicht übertrieben, als sie sagte, es sei klein. Es besteht eigentlich nur aus einem Schreibtisch, einem Regal und einem alten Ledersessel, der aussieht, als würde er jeden Moment zusammenklappen. Das Regal biegt sich unter Aktendeckeln und Papieren. Das genaue Gegenteil zu Kindlers Büro bei sich zu Hause. Dieses Zimmer sieht sehr wohl so aus, als sei es regelmäßig benutzt worden. Der Schreibtisch ist übersät mit Briefen und Rechnungen.

Das Mädchen ist wieder in den Laden zurückgegangen, und ich kann hören, wie sie mit den Kindern spricht. Also hindert mich nichts daran, mich ein bisschen umzuschauen. Hatte sie was gesagt, von wegen nichts anfassen? Nein, dachte ich auch nicht. War sofort aus meinem Gedächtnis gelöscht.

Die Schriftstücke auf dem Schreibtisch sind nicht besonders spannend, Stromrechnungen, Bahnfahrkarten, Rechnungen für große Mengen an Süßigkeiten. Nichts, was irgendwie außergewöhnlich wäre. Ich arbeite mich durch die beiden Schubladen. Die obere ist bis zum Rand mit weiteren Papieren vollgestopft. Da ist keine Ordnung zu erkennen, kein Ablagesystem. Es sieht aus, als habe er einfach alles da hineingestopft und gehofft, die Sachen würden sich von alleine sortieren. Finde ich irgendwie sympathisch, macht aber meine Arbeit nicht leichter.

Die unterste Schublade sieht da ganz anders aus. Sie enthält lediglich eine kleine metallene Kassette. Die Einnahmen aus dem Geschäft vielleicht? Ein Schlüssel liegt nicht dabei, und leider ist das Schlüsselloch zu klein für den Schlüssel, den ich bei Kindler zu Hause gefunden habe.

Ich schüttele die Kassette. Der Klang von Münzen bestätigt meine Vermutung. Da ist mit Sicherheit Geld drin. Vielleicht hat das Mädchen den Schlüssel.

Enttäuscht, nichts Verdächtiges oder zumindest Aufregendes zu finden ist, drehe ich mich zu dem Regal hinter mir um. Da kann ich nur aufstöhnen. Das absolute Chaos. Aktendeckel mit unterschiedlichem Umfang und verschiedenen Größen, ein paar zerfetzte Bücher und stapelweise alte Papiere. Wie soll man in diesem Durcheinander irgendetwas finden?

Ich nehme wahllos eine blaue Mappe und blättere durch die Seiten. Inventurlisten von vor zehn Jahren. Echt jetzt? Warum musste Winston Kindler wissen, wie viele Sahnebonbons und Pfefferminzlutscher er vor zehn Jahren hatte? Vielleicht hatte er einfach keine Zeit, mal richtig auszumisten. Oder er fühlte sich diesen Listen irgendwie emotional verbunden, wer weiß das schon. Ist mir so was von egal.

Auch die nächsten Papiere sind ausgesprochen uninteressant. Ich bleibe wohl doch besser bei meinem Job. Leute umzulegen ist so viel spannender.

Das Mädchen rettet mich vor weiteren Gähn-Attacken. Als ich höre, dass sie den Laden abschließt, lege ich die Papiere schnell wieder dahin, wo ich sie gefunden habe. So in etwa jedenfalls, in dem Chaos merkt sowieso keiner was.

Ich schlage die Beine übereinander und setze meine Unschuldsmine auf. Sie bleibt vor dem Schreibtisch stehen und sieht mich misstrauisch an.

»Hast du was angefasst?« fragt sie mich stirnrunzelnd.

Ich halte abwehrend die Hände hoch. »Du hast mir das doch nicht erlaubt.«

»Das habe ich nicht gefragt«. Sie seufzt, lässt sich dann aber in den zweiten Sessel im Zimmer fallen, offensichtlich total fertig. Ist ja auch kein Wunder, sie hat den ganzen Tag gierige kleine Monster bedient.

»Muss hart für dich sein, so ganz alleine jetzt«, sage ich und versuche, als netter Mensch rüberzukommen. Ich habe gehört, dass das manchmal bessere Ergebnisse bringen soll, als jemanden zu bedrohen. Mal sehen. Überzeugt bin ich davon noch nicht.

Sie zuckt die Achseln. »Wird bald alles vorbei sein. Jetzt, wo die meisten Süßigkeiten verteilt sind, muss ich nur noch die Reste loswerden, dann wird der Laden verkauft. Ich muss mich nach neuer Arbeit umsehen.«

Sie sieht jetzt besiegt und verloren aus, die vorhin gezeigt Courage ist verschwunden.

»Hat er dir denn nichts hinterlassen?« frage ich sanft. »Hat er bestimmt, dass das Geschäft verkauft werden soll?«

Sie nickt. »Er hatte sowieso vor, nächstes Jahr den Laden zu verkaufen. Er hat mir nie gesagt, warum, die Geschäfte liefen eigentlich gut. Die Kinder liebten ihn. Zugegeben, das war eher wegen seiner niedrigen Preise, nicht, weil er so gut mit Kindern umgehen konnte. Aber egal, sie kamen immer wieder und gaben in unserem Geschäft ihr Taschengeld aus.« Sie korrigiert sich schnell – »In seinem Geschäft«.

Das Mädchen tut mir leid. Fast bin ich versucht, ihr einen Job anzubieten, aber ich denke nicht, dass meine Art von Arbeit etwas für sie wäre.

»Wie heißt du?« frage ich sie und merke erst jetzt, dass diese Frage ein bisschen spät kommt. Mit meinen Umgangsformen ist es nicht weit her.

»Caitlin«, sagt sie lächelnd. »Caitlin Baumann. Du hast mir deinen auch noch nicht gesagt.«

Ich lächle zurück, verzichte aber auf eine Antwort. »Erzähl mir von Herrn Kindler. Wie war er so als Chef?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Er hat mich immer pünktlich bezahlt. Er ist nie böse oder laut geworden. Er hat erwartet, dass ich meine Arbeit gut mache, hatte aber Verständnis, wenn ich mal einen Tag frei nehmen musste, um mich um meine kleinen Brüder zu kümmern.«

»Hatte er Geldsorgen?«

Caitlin schüttelt den Kopf. »Nein, glaub ich nicht. Falls doch, hat er jedenfalls nie darüber gesprochen. Wie gesagt, er hat mich immer bezahlt, und ich habe hier mehr verdient als in meinen früheren Jobs. Mir hat die Arbeit bei ihm gefallen.«

Langweilig. Langweiliger. Am langweiligsten. Ich muss mich zur Ordnung rufen und an den Scheck erinnern, der auf mich wartet. Sonst würde ich jetzt schreiend rausrennen. Ich bin einfach nicht zum Ermittler geboren. Das Töten liegt mir im Blut. Da muss ich wenigstens nicht mit Leuten reden und so tun, als würden mich die Antworten interessieren.

Ich seufze. »Es muss doch irgendwas geben, weshalb ihn jemand umbringen wollte.«

Sie schüttelt den Kopf. »Da fällt mir nichts zu ein, und ich hab auch schon darüber nachgedacht, warum er ermordet wurde. Er hat über sein Privatleben nicht gesprochen, aber ich hatte immer den Eindruck, dass er ein ganz zufriedener Mensch ohne große Sorgen war. Falls er die hatte, hat er das gut verborgen.«

Jetzt bin ich an der Reihe mit dem Seufzen. »Du weißt also nicht, warum das passiert ist?«

»Nein. Ist für mich genauso unerklärlich wie für dich« gibt sie zurück. »Aber sein Tod bedeutet für mich das Ende von einem geregelten Job und Einkommen, gefällt mir also ganz und gar nicht. Ich hab also überhaupt kein Interesse an seinem Tod, falls das als nächstes kommt.«

Ich lehne mich zurück in diesem unbequemen Bürosessel und wünschte, ich wäre ganz weit weg. Vielleicht bitte ich meine M.I.A.U. Angestellten, den Fall zu übernehmen. Ich kann ihnen eine Gehaltserhöhung geben, wenn sie den Mörder finden. Das sollte sie ausreichend motivieren. Aargh!

»Ich fand es nur merkwürdig, dass ich all die Süßigkeiten verschenken sollte«, sagt sie plötzlich in die Stille hinein. »Ich hätte sie für einen guten Preis verkaufen oder an den neuen Besitzer weitergeben können. Einige der Gläser waren frisch befüllt, und jetzt sind sie leer. Diese Kinder haben heute hunderte von Darem gegessen.«

Es muss für sie ein schmerzlicher Verlust sein, dass so viel Geld verschenkt wurde. Bald wird sie keinen Job mehr haben, und Kindler hat ihr auch nichts hinterlassen.

Das füge ich zu meiner Liste merkwürdiger Verhaltensweisen von Winston Kindler hinzu. Die wird immer länger, je mehr ich über ihn herausfinde.

»Würde es dir was ausmachen, wenn einer meiner Leute morgen vorbeikommt und sich die Unterlagen hier mal genauer ansieht?« frage ich sie. »Das würde dir ja auch helfen, da kommt Ordnung in dieses Durcheinander hier.«

Sie schaut sich um, als würde ihr gerade erst auffallen, wie chaotisch das alles ist.

»Das war nicht immer so schlimm«, sagt sie ruhig. »Er mochte es eigentlich immer sauber und ordentlich. Dann hat sich das vor fünf Monaten total geändert. Als ob ihn die finanzielle Lage des Geschäfts überhaupt nicht mehr interessierte. Da fing er auch an, über den Verkauf des Ladens zu sprechen. Das hatte er vorher nie erwähnt. Ich dachte immer, er würde das hier bis zur Rente weitermachen.«

»Vor einigen Monaten? Kannst du sich erinnern, wann genau das war?« frage ich und mache mir schnell eine Notiz. Endlich etwas, das sich zu einer Spur entwickeln könnte.

Sie runzelt die Stirn. »Es war Winter, ich erinnere mich, dass Schnee gelegen hat. Ich dachte damals noch, wie kalt es wohl wäre, wenn ich diesen Job nicht hätte. Unser Haus ist so schwer zu heizen.«

Davon kann ich auch ein Lied singen. Ich wohne gern in einem großen Haus, aber es ist nicht leicht, es im Winter warm zu halten. In den Mengen, wie wir sie für unsere Kamine brauchen, ist Holz sehr teuer.

»Es war Januar, glaube ich. Ja, Januar.«

Ich lächle sie an. »Danke, das hilft mir wirklich weiter. Gibt’s noch etwas, was damals merkwürdig war?«

Caitlin schüttelt den Kopf. »Nein, deshalb war es auch solch ein Schock, dass er den Laden verkaufen wollte. Es gab dafür vorher keine Anzeichen, absolut nichts. Das kam aus heiterem Himmel.«

Ich stehe auf und stöhne auf, als ich so richtig merke, wie unbequem der Sessel war. Da muss ich wohl einige Dehnübungen machen, besser noch, eine Runde Laufen gehen.

»Lass mich wissen, wenn du dich sonst noch an irgendwas erinnern kannst.« Ich gebe ihr eine Visitenkarte, nur für den Fall, dass sie die erste schon verloren hat. »Und viel Glück bei der Jobsuche.«

Sie verzieht das Gesicht. »Danke. In dieser Stadt ist das Angebot nicht gerade groß«.

Ich bin schon fast zur Tür raus, als ich noch einmal zurückgehe. »Hab ich fast vergessen. Gibt es hier irgendwo einen Safe? Ich habe in Kindlers Haus einen Schlüssel gefunden.«

Caitlin schüttelt den Kopf. »Nein, wir haben nur den Laden, dieses Büro, eine Toilette und einen Lagerraum. Hier ist kein Platz für so etwas Ausgefallenes wie einen Safe. Er hat die Tageseinnahmen immer am Abend auf die Bank gebracht, zur Sicherheit.«

»Kann ich den Lagerraum mal sehen?«

Ihr Gesichtsausdruck wird jetzt feindselig. »Nein, kannst du nicht. Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt, du hast mich schon zu viel Zeit gekostet. Ich muss den Laden noch saubermachen, und es ist schon spät.«

Interessant. Ich glaube, ich weiß wem ich heute Nacht einen Besuch abstatte. Es geht doch nichts über einen kleinen Einbruch…

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