Die Saga von Witte Wittenson

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Als Hermann wieder zu Bewusstsein kam, stand Orm lächelnd über ihm und hielt nach wie vor das Schwert an seinen Hals.

Mit vor Hass funkelnden Augen sah der junge Mann zu dem Dänen auf.

„Was ist los?“, spukte er förmlich vor Orms Füße. „Bring es zu Ende, Bastard!“

„Nicht doch“, entgegnete der Wikinger beinahe sanft. „Du bringst uns sicher ein hübsches Lösegeld!“

„Niemals!“, schrie ihn der junge Mann an und stemmte seinen Oberkörper so ruckartig und heftig in die Höhe, dass ihm Orms Klinge tief in den Hals fuhr.

Langsam rutschte der Körper an der Klinge des überraschten Wikingeranführers wieder hinab und sank tot zu Boden.

„Bei Odin! Was sollte das jetzt?!“, fluchte Orm und schaute Rat suchend in Thorjans Gesicht.

Doch auch dieser konnte nur fassungslos mit den Schultern zucken.

„Vielleicht bezahlen sie auch für den Toten Lösegeld. Sicher wollen sie nicht, dass wir ihn an die Hunde verfüttern, oder so!“, meinte einer der Männer.

„Das Pferd ist auch hin!“, meinte ein anderer. „Schade drum. Sah kräftig aus.“

„Moment mal!“, fand Thorjan endlich seine Sprache zurück. „Das Pferd bringt mich da auf einen Einfall.“

„Ein totes Pferd?“, wunderte sich Orm.

„Genau. Es erinnert mich an eine Geschichte, die ich auf einer meiner Reisen gehört habe“, begann Thorjan zu erzählen. „Sie handelt von einigen Männern, Seefahrer wie wir, die eine Stadt über viele Winter belagerten, aber nicht fähig waren, sie einzunehmen. Die Mauern waren zu hoch und zu dick. Einer der Männer, sein Name war Odisson oder so ähnlich, hatte die Eingebung, ein großes hölzernes Pferd zu bauen. Sie ließen es am Strand zurück, als sie so taten, als würden sie aufgeben und heimwärts segeln. Doch in Wirklichkeit warteten sie nur in der nächsten Bucht, bis die Belagerten das Pferd in ihre Stadt gezogen hatten. Was diese nämlich nicht wussten, war, dass das Pferd innen hohl war und sich einige der Belagerer in seinem Bauch versteckt hatten. Des Nachts schlichen sie heraus und öffneten die Tore für die anderen Männer, die inzwischen zurückgekehrt waren. So fiel die Burg durch eine List.“

Orm schüttelte nur ungläubig mit dem Kopf. „Sehr unwahrscheinlich. Warum sollten sie dieses Pferd in ihre Stadt gezogen haben?“

„Wegen der Götter!“, antwortete Thorjan. „Beide Seiten glaubten an dieselben Götter. Die Belagerten glaubten, die anderen hätten dieses Pferd ihrem Meeresgott gebaut, um für eine sichere Heimreise zu bitten. Sie dachten, wenn sie es in ihre Stadt, genauer gesagt in den Tempel dieses Gottes, ziehen, dann würde die Gunst auf sie übergehen.“

„Warum baut man einem Meeresgott ein Pferd?“, wollte einer der Männer wissen.

„Ihr Meeresgott war auch der Gott der Pferde!“, erklärte Thorjan.

„Ein seltsames Volk“, erwiderte der Kämpfer. „Njörd würde uns für verrückt halten und uns ertränken, wenn wir ihm ein Pferd schnitzen würden!“

Viele Männer stimmten mit lautem Gelächter zu.

„Schluss jetzt!“, unterbrach sie Orm ärgerlich. „Was willst du uns vorschlagen, Thorjan? Das wir in den Wald gehen sollen um ein Holzpferd zu bauen?“

„Nein. Das würden sie bestimmt nicht in ihre Burg ziehen. Im Gegenteil. Es würde mich nicht wundern, wenn sie diese Geschichte auch kennen und den Braten riechen würden.“

„Außerdem sind es Christen“, warf jemand ein. „Die würden bestimmt nichts anfassen, was unseren Göttern geweiht ist.“

„Vielleicht könnten wir uns in ein paar Bierfässern verstecken“, meinte ein anderer grinsend. „Die würden sie bestimmt in ihre Burg holen!“

„Unsinn!“, widersprach Orm. „Diese Saufbolde würden sie sofort anzapfen und uns entdecken.“

„Oder falsch herum aufstellen, sodass man darin ertrinken würde“, wandte Thorjan ein. „Nein. Mir schwebt etwas anderes vor. Ich brauche nur einen mutigen Freiwilligen, der in die Burg eindringen muss.“

„Wenn jemandem der Ruhm gebührt, die Festung alleine zu nehmen, dann mir!“, bestimmte Orm, bevor sich jemand anderes dafür zur Verfügung stellen konnte.

„Nein Orm!“, lehnte Thorjan ab. „Du bist leider zu dick!“

„Zu….. was?“, Orm lief rot an vor Wut.

„Nein, entschuldige“, beeilte sich Thorjan zu berichtigen. „Nicht zu dick, sondern zu groß und zu kräftig!“

„Das war noch nie ein Hindernis!“, wandte Orm immer noch wütend ein.

„Das glaube ich gern, aber was ich suche, ist ein kleiner Mann, mit nicht allzu breit gebauten Schultern!“

„Oh!“, nickte Orm verstehend. „Von dieser Sorte habe ich leider nur einen Mann in meinem Gefolge… Dich!“

„Ich wusste es!“, seufzte Thorjan und rollte mit den Augen. „Also gut. Ich mache es selbst.“

„Und was genau ist jetzt der Plan?“, wollte Orm wissen.

„Hab Geduld mein Freund. Zuerst sollten wir mal den toten Jungen und das Pferd zum Schiff bringen.“

Während einige der Männer die Leichen zum Flussufer trugen, erklärte Thorjan seinem Freund sein Vorhaben. Orm war begeistert und entsetzt gleichzeitig. Allerdings zweifelte er auch ein wenig an der Durchführbarkeit.

„Keine Sorge!“, wandte Thorjan ein. „Alles, was ich brauche, ist ein Ledersack, ein scharfes Messer und ein Schilfrohr!“

Noch am selben Tag setzte man den Plan in die Tat um und bei Sonnenuntergang stand Orm wieder in voller Rüstung vor den Toren der Burg und begehrte mit lauter Stimme den Herzog zu sprechen.

Als Herwig auf der Mauer erschien, grüßte ihn Orm nach alter Sitte mit erhobenem Schwert.

„Was willst du, verfilzter Heide?“, blaffte ihn der alte Mann an.

„Der Herbst geht zu Ende und ich muss heimwärts segeln. Doch du sollst wissen, dass ich im nächsten Sommer wieder kommen werde und dann wird deine Burg fallen.“

„Du bist gekommen, um mir das zu sagen?“, wunderte sich der Herzog.

„Das, und dass ich dir deinen Sohn überlasse!“, er winkte ein paar Männer herbei, die den Toten und sein ebenfalls erschlagenes Pferd vor die Tore der Burg legten.

„Wenn du mich fragst“, höhnte Orm, „solltest du das Pferd ehrenvoller begraben als den Jungen, denn nur mit dem Pferd habe ich gekämpft. Der Feigling hat sich selbst getötet.“

Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, drehte sich der Nordmann um und begleitete seine Männer zurück zum Schiff.

Er war noch nicht dort angekommen, als sich die Tore der Burg bereits öffneten und ein Ochsenkarren herausgefahren kam, auf den ein paar Männer den toten Herzogssohn legten. Das tote Pferd wurde mit einem starken Seil an den Karren gebunden und so zurück in die Burg geschleift.

„Was geschieht nun?“, wollte einer der Wikinger wissen, der an Orms Seite lief. „Wenn Thorjan mit den Bräuchen dieser Gegend richtig vertraut ist, wird man den Jungen bald mit seinem Pferd und in voller Rüstung begraben. Allerdings werden sie ihn erst in ihrer Kirche aufbahren, damit sich das Volk von ihm verabschieden kann.“

„Du meinst, er wird nicht verbrannt.“

„Das hoffe ich“, antwortet Orm, „…für Thorjan!“ Das hoffte er natürlich wirklich, dennoch konnte er sich ein derbes Grinsen nicht verkneifen.

Doch den Plan weiter befolgend, gab er den Männern den Befehl, sofort die Schiffe zu besteigen, die Ruderbänke zu bemannen und hinter die nächste Flussbiegung zu rudern.

In der Burg geschah nun genau das, was Thorjan der Weitgereiste vorausgesagt hatte. Hermanns Leiche wurde gesäubert, in seine beste Rüstung gesteckt und in der Kirche vor dem Altar, umgeben von einem Meer aus Kerzen, aufgebahrt.

Das tote Pferd aber ließ man in der Nähe der Stadttore liegen, um es am Morgen zusammen mit seinem Herrn zu beerdigen. Niemandem waren deshalb die Nähte aufgefallen, mit denen der aufgeschlitzte Bauch des Pferdes zugenäht worden war. Und auch das kleine Schilfrohr, das in seiner Brust steckte, hatte niemand bemerkt.

Unbeobachtet lag es regungslos an der Tormauer. Doch als die Nacht in ihrer ganzen Schwärze über das Land hereingebrochen war, kam plötzlich Bewegung in den toten Körper des Streitrosses. Sein Bauch wippte auf und ab als würde es schwer atmen. In einem Ledersack eingenäht hatte sich Thorjan im Bauch des Pferdes versteckt und war so von den Burgbewohnern selbst in ihre Festung getragen worden. Durch ein Schilfrohr atmend, hatte er die Nacht abgewartet und durchtrennte nun mit ein paar gezielten Stichen zuerst den Ledersack und dann die Nähte, die den Pferdebauch zusammenhielten. Wie ein Aal schlängelte er sich aus dem toten Körper und erkundete seine Umgebung. Er konnte sein Glück kaum fassen, als er bemerkte, dass er nur wenige Schritte vom Tor entfernt lag. Im gesamten Innenhof war keine Wache zu sehen. Falls welche aufgestellt waren, dann beschränkten sie sich wohl darauf, auf den Wehrgängen oberhalb des Tores zu stehen und das Feld vor der Burg zu beobachten. Tatsächlich konnte er zwei bewaffnete Männer auf der Mauer erkennen, doch nur einer davon stand mit dem Gesicht zum Fluss auf seinem Posten, während der andere an die Mauer gelehnt dasaß und zu schlafen schien.

Thorjan dankte Odin für diese glückliche Fügung, dann schlich er mit dem Messer zwischen den Zähnen zu der Leiter, die links neben dem Tor stand und kletterte leise hinauf. Langsam pirschte er sich von hinten an den pflichtbewussten Wächter an und zog ihm mit rechts das Messer durch die Kehle, während ihm seine linke Hand den Mund zuhielt. Ohne einen Laut von sich gegeben zu haben, sank der Wächter tot zu Boden.

Dessen schlafenden Gefährten zu töten, war weniger schwierig. Nachdem er auch das erledigt hatte, stieg er die Leiter wieder zurück in den Hof hinunter und öffnete leise das Tor.

Orm hatte seine Männer derweil durch den Wald bis nahe an die Burg geführt und wartete auf das verabredete Zeichen. Als er den Ruf des Waldkauzes endlich hörte, schlichen sie geduckt zum geöffneten Tor, wo sie Thorjan schon erwartete.

 

Nachdem auch der letzte Wikinger den Innenhof betreten hatte, verkündete Orm mit einem lauten Schlachtruf, dass die Zeit des Versteckens vorüber war.

Brüllend und Äxte schwingend schwärmten die Nordmänner aus und raubten alles, was ihnen begehrlich vorkam, und töteten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte.

Orm selbst war es, der in Herwigs Halle vordrang und ihn und seine gesamte Leibgarde eigenhändig erschlug.

Erst als die Sonne im Osten aufging, verließen die Wikinger mit Säcken voller Schmuck, Gold und anderer Wertsachen über ihren Schultern gut gelaunt die Burg und verstauten die reiche Beute auf ihren Schiffen.

Da man Stromabwärts auf die meisten Ruder verzichten konnte, feierten die Wikinger den ganzen Weg die Seine hinab bis in die Nordsee mit dem ebenfalls erbeutetem Wein des Herzogs. Auf der offenen See trug sie der Wind ebenso schnell in die dänische Heimat, wie er sie hergebracht hatte.

„Ein Hoch auf Thorjan Pferdemantel!“, rief Orm ein Trinkspruch aus, nachdem er in der Halle seines Vaters die Geschichte erzählt hatte.

„Nein, Nein!“, wehrte Thorjan lachend ab. „Wie du weißt, war es nicht meine List, sondern die des Odisson. Nennt mich weiterhin den Weitgereisten, dann bin ich zufrieden.“

„Ganz wie du meinst, mein Freund!“, rief Orm und schwenkte sein Trinkhorn. „Doch eins ist gewiss: Noch viele Winter wird man sich in Midgard die Geschichte vom Thorjanischen Pferd erzählen, wenn schon lange keiner mehr von diesem Odisson weiß.“

5.
IGEL IN DER GRUBE

F jörskervik war eine kleine Siedlung am Südufer des Björnesfjords an der Westküste Norwegens. Seine Einwohner widmeten ihr Leben meist dem Fischfang, aber einige auch der Jagd in den dichten, den Fjord umgebenden Wäldern.

Da es seit jeher eine wildreiche Gegend war, brachten die Jäger Tag für Tag reiche Beute nach Hause. Nicht lange und die kleine Siedlung hatte sich einen guten Ruf unter den Pelzhändlern der Küste erworben.

Immer öfter ruderten daher Handelsschiffe durch die schmale Öffnung des Fjordes, um mit den Fjörskervikern Handel zu treiben.

Es kam zwar selten vor, dass zwei Händler zur gleichen Zeit anlegten, wenn aber doch, dann kam es häufig zu heftigen, teils blutigen Streitereien um die Ware.

Besonders die Inglinge, Nachfahren des legendären Ingli des Listigen, waren dafür bekannt, dass sie keinen Rivalen bei Verhandlungen duldeten.

Allerdings waren sie nicht so dumm, diese mit dem Schwert zu beseitigen, denn das hieße, die Blutrache deren Verwandten und Freunde auf sich zu ziehen. Sie vertrauten, wie schon ihr Ahnherr, lieber auf ihren Listenreichtum.

Eines Tages im Sommer trafen zwei der Inglinge, nämlich Ivar und Igerd, die Söhne des Ismund Inglisson, in Fjörskervik ein und bemerkten zu ihrem Leidwesen, dass bereits einen Tag zuvor Vestar Sturmherr, ein bekannter Händler aus Maere, eingetroffen war und die besten Pelze bereits gekauft hatte.

Zunächst zeigten sich die Brüder, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, davon scheinbar unbeeindruckt und stießen sogar mit Vestar in der Halle des Jarls von Fjörskervik auf seinen guten Handel an. Doch im weiteren Verlauf des Abends reizten sie ihn immer mehr mit kleinen Andeutungen darüber, dass er zwar ein guter Händler sei, aber es an Kraft und Mut nicht mit den Inglingen aufnehmen könnte.

Nicht lange und Vestar geriet darüber so in Zorn, dass er die Brüder anschrie, es in jeder erdenklichen Art und Weise mit ihnen aufnehmen zu können.

Das hörte man in der Halle gern, denn eine solche Herausforderung verhieß einen ansehnlichen Wettkampf und bald drängten sich alle um die streitenden Männer, um zu hören, auf welche Art und Weise man sich messen wollte.

„Nun, Vestar“, sagte Ivar, „wie wäre es mit einem kleinen Wettschwimmen. Von hier bis zum gegenüberliegenden Fjordufer misst es fast eine viertel Meile. Das scheint mir eine angemessene Strecke zu sein, um herauszufinden, wer von uns der bessere ist.“

„Jederzeit!“, lachte Vestar auf. „In ganz Maere gibt es keinen besseren Schwimmer als mich!“

„Dann soll es so sein!“, verkündete Ivar feierlich.

„Nein. Das ist nicht sehr anständig von dir, Bruder!“, mischte sich Igerd ein. „Niemand kann es mit dir im Schwimmen aufnehmen. Du hättest das andere Ufer erreicht, bevor der beste Schwimmer Maeres auch nur die Hälfte geschafft hätte.“

„Mein Bruder hat Recht!“ stimmte Ivar zu „Vielleicht sollten wir es wirklich ein klein wenig gerechter machten. Ich schlage dir folgendes vor, Vestar. Du schwimmst die viertel Meile durch den Fjord, während ich einmal am Ufer entlang um den Fjord herumlaufe.“

Ein Raunen ging durch die Halle.

„Soll das dein Ernst sein?“, wollte Vestar wissen. „Das muss über eine Meile sein.“

„Wie gesagt“, bestätigte Ivar, „es würde die Sache ein klein wenig gerechter machen.“

„Du Großmaul!“, fuhr ihn Vestar an. „Das kannst du niemals schaffen!“

„Das werde ich schaffen!“, versicherte Ivar. „Zweimal sogar. Ich werde am andern Ufer auf dich warten und laufe dann den gleichen Weg noch einmal zurück, bevor du zurück geschwommen bist!“

„Bei Odin!“, lachte Vestar auf. „Diese Wette nehme ich gerne an.“

„Wirklich?“, hakte Ivar nach. „Selbst, wenn es um einen hohen Einsatz geht? Sagen wir dein Schiff gegen meins?“

Wieder lachte Vestar laut auf. „Du musst betrunkener sein, als du aussiehst! Aber egal. So soll es sein. Mein Schiff gegen das deine. Alle hier sind meine Zeugen!“

Am nächsten Morgen war die ganze Siedlung am Ufer versammelt.

Der Jarl von Fjörskervik war zum Schiedsrichter erklärt worden und gab, nachdem beide Wettkämpfer ihm versichert hatten, dass sie bereit sind, das Signal zum Start.

Von seiner Mannschaft lautstark angefeuert, stürzte sich Vestar in das am Morgen noch kalte Wasser des Fjords und schwamm auf das gegenüberliegende Ufer zu, während Ivar seinen langen Weg am Ufer entlang rannte und bald im Wald und somit aus den Augen der Zuschauer verschwand.

Vestar, der wirklich ein herausragender Schwimmer war, erreichte schon bald mit großen Zügen das gegenüberliegende Ufer und schritt an Land.

Von seinem Gegner war erwartungsgemäß noch nichts zu sehen und so drehte er sich zu der am gegenüber liegenden Ufer stehenden Menge um und winkte ihn siegessicher zu. Zu seiner Verwunderung entgegneten vor allem seine eigenen Gefolgsleute den Gruß nicht mit der angemessenen Begeisterung, sondern zeigten in aufgeregten Gesten auf einen Punkt links neben ihn.

Ahnend, was er zu sehen bekommen würde, drehte er sich um und sah tatsächlich eine bekannte Gestallt aus dem Wald hervortreten.

„Ivar!“, entwich es ihm wie ein Fluch.

Ohne etwas zu entgegnen oder auch nur in Vestars Richtung zu schauen, drehte sich der Ingling um und begann, den langen Weg zurück zu rennen.

„Bei Hel, wie kann das sein?“, rief ihm Vestar ungläubig hinterher, bevor er die ganze Tragweite des eben erlebten begriff und sich schnell wieder zum Fjord umwandte und in das Wasser rannte.

Hatte er sich bei der ersten Durchquerung, seines Sieges gewiss, noch verhältnismäßig viel Zeit gelassen, so ging er nun an die Grenze der Belastbarkeit und sein Herz raste wie wild in seiner Brust.

Noch immer konnte er nicht begreifen, wieso sein Gegner diese lange Strecke so schnell zurücklegen konnte. Er muss gerannt sein, als wäre die wilde Jagd hinter ihm her. Diese Leistung könnte er unmöglich ein zweites Mal schaffen. Dieser Gedanke beruhigte ihn ein wenig, aber trotzdem nahm er seine Geschwindigkeit nicht zurück.

Er war dem Hafen der Siedlung schon sehr nahe als ihm die Anfeuerungsrufe seiner Mannschaft noch laut in den Ohren schallte, doch nur einen Augenblick später, als er triefend nass aus dem Wasser stieg, waren seine Leute verstummt und schauten ihn mit betroffenen Gesichtern an.

Ivars Männer dagegen jubelten lautstark und klopften ihrem Anführer, der tatsächlich einen Wimpernschlag vor Vestar angekommen war, und somit das Rennen gewonnen hatte, anerkennend auf die Schulter und wollten ihn schließlich unter den bewundernd staunenden Blicken der Einheimischen in die Halle des Jarls tragen, um ihren Sieg und ihr neues Schiff zu feiern.

Doch noch bevor sie dort ankamen, holte sie ein vor Wut schäumender Vestar ein und stellte sich ihnen in den Weg.

„Sprich, Ingling“, schrie er ihn an, „mit welcher List hast du betrogen? Kein Mensch kann so schnell rennen!“

„Wie ich sehe bist du ein schlechter Verlierer, Vestar!“, antwortete ihm Ivar voller Hohn. „Wenn du einen Beweis für einen Betrug hast, bin ich neugierig darauf, ihn zu hören. Ansonsten verlange ich, dass du mir meinen Preis bis zum Morgen des nächsten Tages übergeben hast.“

„Ich werde dir schon auf die Schliche kommen!“, schwor Vestar drohend und ging zurück zum Ufer, wo er sich nahe ans Wasser setzte und nachdenklich über den Fjord schaute. So sehr er auch darüber grübelte, er fand keine List, die den unglaublichen Sieg des Ingling erklären konnte.

Spät am Mittag saß er immer noch dort und schaute trübsinnig auf das Schiff, das er verloren hatte, als der Jarl der Siedlung zu ihm kam und ihm tröstend auf die Schulter klopfte.

„Gräm dich nicht zu sehr, mein Junge, wenn ich in deinem Alter gewesen wäre, hätte ich diese Wette auch ohne Zögern angenommen. Niemand konnte ahnen, das Ivar ein solch herausragender Läufer ist.“

„Niemand läuft so schnell!“, zischte Vestar durch seine vor Wut zusammengebissenen Zähne.

„Das dachte ich heute Morgen auch noch“, entgegnete der Jarl mit sanftem Lächeln. „Schon als er kurz nach dir am anderen Ufer aufgetaucht ist, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Ich wollte Igerd fragen, ob sein Bruder schon immer ein solch schneller Läufer gewesen ist, doch leider konnte ich ihn nirgends entdecken. Sicherlich hatte auch er nicht daran geglaubt, dass sein Bruder gewinnen könnte und hat sich den Wettkampf nicht einmal angeschaut. Doch jetzt, da Ivar gewonnen hat, feiert er ausgelassen mit ihm in meiner Halle.“

Vestar horchte auf. „Sein Bruder war nicht am Ufer?“, wollte er noch einmal hören.

„Nein. Ganz gewiss nicht“, wiederholte der Jarl.

Vestar sprang auf. „Dann weiß ich, wie sie mich betrogen haben!“, rief er grimmig und wollte losrennen, doch der Jarl hielt ihn zurück.

„Wo willst du hin?“, fragte er besorgt.

„In die Halle. Ich werde diesem Betrüger mein Messer durch die Kehle ziehen!“

„Hast du einen Beweis für seinen Betrug, oder ist es reine Vermutung?“

„Ich weiß es!“, schrie Vestar mordlüstern.

„Aber hast du einen Beweis?“, wiederholte der Jarl seine Frage.

„Nein!“, gab Vestar nach kurzem Zögern zu.

„Dann darfst du Ivar nichts antun, oder eure Familien werden sich in gegenseitiger Blutrache bald selbst ausgelöscht haben!“

„Aber er hat ganz sicher betrogen“, beharrte Vestar, „und somit mein Schiff geraubt und nicht gewonnen. Ich will es zurück und ich will meine Rache!“

„Beides ist ohne Blutvergießen nicht möglich!“

„Ich will, dass sein Blut fließt!“

„Dann wird deins auch vergossen!“, ermahnte der Jarl und ging davon.

Vestar blieb zurück und starrte mit finsterem Blick auf die Halle, in der die Inglinge feierten, doch dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf und er begann zu lachen. „Nun“, sagte er zu sich selbst, „wie gesagt. Das ist alles eine Sache der Beweise.“ Und mit einem verschmitzten Lächeln folgte er dem alten Jarl.

In der Halle leerten die Inglinge gerade ein weiteres Horn auf ihr neues Schiff, als Vestar herein trat.

„Ich hoffe, du kommst nicht wieder, um mich zu beleidigen“, rief ihm Ivar entgegen. „Auch meine Geduld ist begrenzt!“

„Nein“, entgegnete Vestar ruhig. „Ich komme, um mich zu entschuldigen, dass ich ein solch schlechter Verlierer war. Mein Schiff gehört natürlich dir.“

„Hört, hört!“, rief Ivar laut und seine Männer grölten vor Lachen. „Als ob es daran jemals Zweifel gegeben hätte.“

„Lass mir nur ein wenig Zeit, meine Ladung vom Schiff zu holen“, unterbrach Vestar das Gelächter.

„Deine Ladung?“, fuhr ihn Ivar fragend an.

„Wir wetteten um das Schiff, nicht um die Ladung!“

„Du hast Recht“, gab sich der Ingling großzügig. „Doch wo willst du mit all den Pelzen hin ohne ein Schiff?“ Er tat so, als würde er kurz überlegen, dann sagte er: „Ich weiß. Verkauf sie mir. Natürlich für die Hälfte des Preises!“ Wieder lachten seine Gefolgsleute schallend.

 

„Ich habe einen anderen Vorschlag“, unterbrach Vestar erneut das Gelächter. „Gib mir eine Gelegenheit, mein Schiff zurück zu gewinnen. Wenn ich wieder verliere, soll dir auch die Ware gehören. Nicht nur die Pelze, die ich hier gekauft habe, sondern auch alles andere.“

„Du willst dieselbe Wette noch einmal eingehen?“, fragte Ivar zweifelnd. „Glaubst du, das war nur ein Zufall?“

„Diesmal will ich nicht gegen dich laufen“, antwortete Vestar, „sondern gegen deinen Bruder. Oder ist er dir nicht ebenbürtig?“

„Ich stehe meinem Bruder in nichts nach!“, antwortete Igerd erheitert.

„Aber nicht, dass du es falsch verstehst, Igerd“, ergänzte Vestar. „Selbst, wenn du gewinnst, gehören Schiff und Ware deinem Bruder. Keinem anderen will ich sie geben!“

„Damit treibst du keinen Keil zwischen uns!“, verhöhnte ihn Igerd, der glaubte, dass es der Händler darauf anlegt hatte. „Schon morgen früh werde auch ich dich besiegen!“

„Warum warten?“, wollte Vestar wissen. „Lasst es uns gleich tun. Es ist noch hell genug.“

Ivar wechselte schnell einen Blick mit seinem Bruder. „Warum nicht. Aber gib meinem Bruder noch kurz Zeit, sich vorzubereiten.“

„Gerne. Ich warte am Hafen auf dich!“

Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, ging Vestar aus der Halle. Allerdings nicht zum Hafen, wie er gesagt hatte, sondern nur ein paar Schritte bis hinter die nächste Holzwand, von wo aus er einen guten und versteckten Blick auf das Tor der großen Halle hatte.

Wie er es erwartet hatte, verließ Ivar nur kurz nach ihm die Halle und verschwand im Wald, auf demselben Weg, den er am Morgen bereits genommen hatte, und den auch sein Bruder bald nehmen müsste, um das Rennen zu bestreiten.

Nun war sich Vestar des Betruges gewiss.

Mit grimmigem aber zufriedenem Gesicht ging er nun wirklich zum Hafen.

Nach einer Weile kam auch Igerd und mit ihm der Jarl von Fjörskervik, der wieder als Schiedsrichter eingesetzt wurde.

Nachdem sich Vestar aller überflüssigen Kleider entledigt hatte, gab er dem Jarl ein Zeichen. Da auch Igerd bereit war, gab er zum zweiten Mal am heutigen Tage das Signal zum Starten.

Vestar stürzte sich in die Fluten und gab alles, was er konnte. Schneller als beim ersten Mal gelang es ihm, den Fjord zu durchqueren.

Er stieg an Land und drehte sich zum anderen Ufer um. Die Menge am Hafen war trotz der beginnende Dämmerung noch gut zu erkennen. Er winkte ihr zu und hörte sofort das Grölen seiner Mannschaft. Doch auch die Männer der Inglinge begannen zu jubeln.

Nicht weit von ihm entfernt stieg eine weitere Gestalt aus dem Wald.

„Nein!“, schrie Vestar scheinbar voller Zorn dem Ingling entgegen. „Wie kann das nur sein?“ Schnell drehte er sich um und rannte wieder in das Wasser hinein. Auch sein Gegner wandte sich um und ging in den Wald zurück.

Das war der Moment, auf den Vestar gewartet hatte. Anstatt dem anderen Ufer entgegen zu schwimmen, schwamm er in den Fjord hinein und stieg an einer Stelle, an der die Bäume bis ins Wasser standen, unbemerkt an Land und eilte dem Ingling geduckt und so geräuschlos wie möglich hinterher.

Bald schon sah er den Mann vor sich, wie er gemütlich und gut gelaunt seines Weges ging, als wäre er nie Teil eines Wettrennens gewesen.

Vestar zog den Dolch hervor, den er in seinen Hosen versteckt hatte und schlich sich von hinten an den Mann heran.

Mit einem schnellen Griff wirbelte er ihn an der Schulter herum, warf ihn zu Boden und setzte ihm drohend das Messer an den Hals.

Es war Ivar!

„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Vestar schelmisch. „Das ist ja gar nicht Igerd, sondern sein Bruder. Gegen dich bin ich doch erst heute Morgen geschwommen! Wie kannst du mir das erklären?“

Ivar schwieg. Aber er brauchte auch gar nichts mehr zu gestehen, denn Vestar hatte ihre List bereits durchschaut. Als er gegen Ivar angetreten war, war dieser nur ein paar Schritte in den Wald gerannt und hat von dort aus den Fjord beobachtet. Als Vestar am anderen Ufer angekommen war, war es nicht Ivar gewesen, der sich ihm kurz gezeigt hatte, sondern sein Bruder Igerd. Als Vestar, der den Unterschied in diesem kurzen Augenblick nicht bemerkt hatte, dann zurück geschwommen kam, war es für den immer noch nur einige Schritte vom Ziel entfernt warteten Ivar nicht schwer gewesen, vor ihm dort anzutreffen.

Und nun handelten sie nach derselben List, nur in vertauschten Rollen.

„Du wirst jetzt mit mir in die Siedlung zurückkehren und deinen schändlichen Betrug gestehen!“, befahl Vestar drohend.

„Niemals!“, schrie Ivar. Er stieß den Maerer ruckartig von sich und sprang auf die Füße. Blitzschnell zog auch er ein Messer aus seinem Gürtel und ging auf seinen Gegner los. Doch Vestar war er nicht gewachsen und schon bald sank er mit dessen Messer in der Brust tot zu Boden.

„Damit hatte ich auch nicht gerechnet“, gab Vestar zu und holte sich sein Messer zurück.

Dann rannte er zum Ufer und schwamm so schnell er konnte zum gegenüberliegenden Hafen, wo die Menge bereits ungeduldig auf ihn wartete. Als er ans Ufer trat stand Igerd bereits dort und grinste ihm entgegen.

„Hast du dich unterwegs verirrt? Wir hatten schon Sorge, du wärst abgesoffen. Nun, was soll‘s. Du hast schon wieder verloren!“, höhnte er. „Jetzt ist auch noch deine Ware weg.“

„Ja“, gestand Vestar gleichmütig. „Wo ist dein Bruder, denn, wie gesagt, ihm allein will ich mein Schiff samt Ware übergeben. Niemandem sonst!“

„Er ruht sich noch aus von seinem anstrengenden Lauf“, antwortete Igerd „Morgen kannst du es ihm übergeben!“

„Nein!“, sagte Vestar fest. „Weckt ihn auf. Er soll es sich gleich holen!“

„Warum die Eile?“, wollte der Jarl von Fjörskervik wissen. „Ob nun morgen früh oder heute Abend. Was spielt das für eine Rolle?“

„Eine große Rolle, Jarl“, antwortete Vestar. „Wäre doch möglich, dass Ivar heute Nacht noch etwas zustößt. Dann würde jeder denken, ich hätte etwas damit zu tun, weil ich doch sagte, dass nur er mein Schiff bekommt und keiner sonst von seiner Sippe. Stell dir nur vor, er läge morgen früh tot im Gras. Alle würden mit dem Finger auf mich zeigen und nach Rache verlangen. Doch noch kann sein eigener Bruder beweisen, dass ich nichts damit zu tun haben könnte, schließlich waren wir beide voll und ganz mit unserem Wettlauf beschäftigt, nicht wahr Igerd?“ Er warf einen vieldeutigen Blick auf den vermeintlichen Sieger. „Also, hol deinen Bruder sofort, oder ich werde mein Schiff bemannen und aufbrechen!“

Igerd zitterte am ganzen Körper. Er verstand Vestars Worte sofort. Der Händler aus Maere hatte ihr Spiel durchschaut und seinen Bruder getötet. Alles in ihm rief nach Blutrache, doch er konnte sie nicht verlangen, weil sonst jeder von dem schändlichen Betrug erfahren würde. Vestar war nicht der erste, den sie mit dieser List um Hab und Gut gebracht hatten. Wenn es sich herumsprechen würde, und das tat es sich bei Händlern immer besonders schnell, würde er an keinem Ort der Welt mehr vor der Rache der Geprellten sicher sein.

„Geh!“, sagte er mit brüchiger Stimme.

„Was sagtest du?“, fragte Vestar scheinbar überrascht nach. „Ich soll was tun?“

„Nimm dein verdammtes Schiff und verschwinde!“

Jeder der Anwesenden, egal ob Gefolgsmann von Vestar oder der Inglinge, oder Einwohner von Fjörskervik schaute nun voller Verwunderung auf Igerd.

„Aber willst du denn nicht deinen Bruder holen?“, fragte der Jarl der Siedlung verwirrt.

„Nein!“, sagte Igerd mit hasserfüllter Bitterkeit in seiner Stimme. „Der Maerer soll sein schäbiges Schiff behalten!“ Ohne auf die Fragen, die nun von allen Seiten an ihn gestellt wurden, zu antworten, drehte er sich um und ging langsamen Schrittes zurück in den Wald, weiter die Küste des Fjords entlang, bis er schließlich mitten in der Nacht die Leiche seines Bruders fand und weinend neben ihr niederkniete.

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