Das Bewerbungsgespräch

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Das Bewerbungsgespräch
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Simone Heiland

Das Bewerbungsgespräch

Mit Brille wär' das nicht passiert

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Impressum neobooks

Kapitel 1

Zack. Weg ist sie. Du liebe Zeit. Ausgerechnet jetzt.

"Ja, Frau Born-Ludwig, wir freuen uns, dass Sie sich für unsere Firma interessieren. Wir haben Ihre Bewerbung mit Freude gelesen. Erzählen Sie uns doch noch ein bisschen über sich. Schießen Sie mal los."

Ich sitze mitten im Vorstellungsgespräch. Dem ersten wirklichen Vorstellungsgespräch nach über 100 Bewerbungen. Ach, was sag' ich. Über 200, wenn nicht schon 300 in den letzten zweieinhalb Jahren. Ich muss sie mal zählen, schießt es mir durch den Kopf. Wenn man mit 50 was Neues sucht, ist es normal, hunderte von Bewerbungen zu schreiben. Man schreibt sie in dem unbedingten Wissen, dass keine Socke sich für einen interessiert. Mit 50 bist du raus. Ein Nichts. Eine Nullnummer. Verzichtbar in allen Lebenslagen. Beruflich gesehen. Privat hat man noch ein paar Chancen, gebraucht zu werden. Als Oma zum Kinderhüten. Als Köchin, Putz- und Waschfrau für den Gatten, der mit 64 vielleicht noch mal durchstartet. Oder als ehrenamtliches Gemeindemitglied. Da ist man gefragt wie nirgends sonst.

Als der Anruf kam, um einen Gesprächstermin auszumachen, dachte ich zuerst an einen Scherz. Denn, dass man tatsächlich eingeladen wird, ist die absolute Ausnahme. Drum hatte ich mich sehr über diese Einladung gefreut. Auch, weil es um eine tolle Position geht, für die mich geradezu prädestiniert fühle. Es wird mir nur jetzt nichts mehr helfen. Denn ich weiß, was kommt. Ich kann es spüren, aber leider nicht aufhalten. Es wird die ganz große Pleite werden. Ein Blindflug gewissermaßen.

Ich zwinkere meinem Gegenüber verheißungsvoll zu. Eugen von Dahlenkamp. Geschäftsführer und mein Gesprächspartner heute. Er wäre mein künftiger Chef. Wenn sich diese Sache nicht anbahnen würde. Ein toller Typ. Schätzungsweise - ach keine Ahnung, wie alt er sein mag. Weiß man ja heute nicht mehr so genau. Sieht aus wie Mitte, Ende 40, ist aber garantiert zehn Jahre älter. Ich zwinkere ihm immer noch heftig zu. Was soll der Mann von mir denken? Ich kann nicht anders. Meine Kontaktlinse ist verrutscht. Ich habe einen Krampf im Auge und mein Lid zuckt wie wild. Das nennt man Timing.

"Ja", sage ich, "ich schieße gleich los. Jetzt ist mir erstmal was ins Auge geschossen."

Ich ächze verlegen und versuche durch Verdrehen des Auges die Linse wieder in die Spur zu bekommen. Es klappt nicht. Ich versuche zu lächeln. Das klappt erst recht nicht. Nur wer je in seinem Leben Kontaktlinsen getragen hat kennt diesen stechenden Schmerz, der unvermittelt kommt und schlimmstenfalls das Auge außer Gefecht setzt. Und damit den ganzen Menschen. Ich sondere einen leicht hysterischen Seufzer ab und versuche mein Gegenüber einäugig zu fixieren. Das funktioniert nur bedingt.

Es herrscht Schweigen im Walde. Herr von Dahlenkamp hat den Blick fest auf mein tränendes Auge gerichtet. Seine gespreizten Finger vor der Brust zu einem Dach geformt gegeneinander gedrückt wartet er ab. Er hat sich bequem zurückgelehnt und schaut sich die Vorstellung, die ich gerade gebe, kommentarlos an. Er schmunzelt. Das kann ich vage durch den sich verdichtenden Tränenfilm erkennen.

Sein Assistent, ein junger Mann, Marke Greenhorn im Business-Outfit, ein Pubertierender in Nadelstreifen, mit Pickeln und roten Ohren, schaut betröppelt zu Boden. So was Peinliches hat er in seinem noch jungen Leben gewiss noch nicht gesehen. Ich bekomme mit, wie er gebannt zu seinem Herrn und Meister schielt. Der erwidert den Blick und schüttelt ganz leicht den Kopf, als wolle er sagen: "Lass‘ mal, die beruhigt sich schon wieder."

Denkste. Der Krampf hält sich wacker. Ein Lidkrampf. Ich kann ein Lied davon singen. Ich trage seit 30 Jahren Linsen. Zwar haben sich die Krämpfe in all den Jahren in Grenzen gehalten, aber wenn sie kommen, dann kommen sie gewaltig. Ich reisse meine Augen auf. Es ist zwar nur das rechte betroffen, aber das linke zieht automatisch mit. Ich kneife das betroffene Auge wieder zusammen, reisse wieder beide Augen auf. Ich hatte gehofft, die Sache noch einigermaßen vornehm in den Griff zu bekommen, ohne Einsatz des Zeigefingers. Doch das ist ausgeschlossen. Ich grapsche mit dem Finger an meinem Auge herum, ziehe das Unterlid in Richtung Kinn. Fehlt bloß noch, dass die Linse auf den Besprechungstisch springt. Ich schneide weiter meine Grimassen, öffne dabei den Mund ganz weit, so, als wolle ich "Oh, Tannenbaum" anstimmen. Diese Fratzen zieht man automatisch. Ich kann nichts dagegen tun. Ich konzentriere mich und mache den Mund langsam und umständlich wieder zu, um die Gesichtsverrenkung, die ich zuvor mit offenem Mund ausgeführt habe, nun mit geschlossenem Mund zu vollführen. Mit dem Ergebnis, dass sich die Nasenflügel unnatürlich zusammenziehen. Und schon geht der Mund ganz langsam wieder auf.

Ich entschuldige mich unter Tränen. Und höre mich doch tatsächlich sagen, ich hätte was im Auge. Na klasse, da wäre ja so schnell niemand drauf gekommen. Ich muss lachen. Aber auch das geht nicht. Meine ganze rechte Gesichtshälfte ist komplett verzogen. Auf nicht Eingeweihte kann das schnell wie eine noch nicht erforschte Nervenkrankheit anmuten, die sich in Gesichtszuckungen entlädt. Mein verzweifelter Versuch, mit der Hand das Auge, respektive die Linse, wieder in die richtige Position zu bringen, läuft komplett ins Leere. Ich hantiere reflexartig mit beiden Händen an meinem Auge herum, wohl wissend, dass es nichts, aber auch rein gar nichts bringt. Mein ganzer Körper ist angespannt. Selbst meine Füße unterm Tisch - wo sonst? - führen die Bewegungen meiner Hände in Zeitlupe mit aus. Mein ganzer Körper ist verdreht. So ähnlich wie bei Joe Cocker zu dessen Glanzzeiten. Es ist die Hölle.

"Können wir kurz unterbrechen?", bitte ich den Geschäftsführer und erhebe mich von meinem Stuhl.

Der scheint den Ernst der Lage zu erkennen und gibt dem Milchbubi ein Zeichen. Vielleicht ist es sein Sohn, denke ich. Und wenn, würde es mir auch nicht weiter helfen. Der junge Mann springt auf, streckt mir beide Hände entgegen, ich will danach greifen, fasse ins Leere, und plumpse zurück auf den Lederschwinger.

"Es geht gerade nicht. Entschuldigen Sie bitte", sage ich und schiele mit aufgerissenem Mund nach rechts oben an die Zimmerdecke.

Meine Wimpern kleben zusammen. Fliegenbeine nennt man das. Ohne Wimperntusche wäre das nicht passiert. Aber: Ich dachte, zur Feier des Tages tusch' ich mir mal die Wimpern. Zum ersten mal nach etwa 22 Jahren. Meine verrutschte Linse hat damit nichts zu tun, die verrutscht auch ohne Wimperntusche. Der Beweise gibt es viele. Mir schießt nur gerade durch den Kopf, wie ich wohl aussehen mag. Wahrscheinlich mit schwarzen Schlieren unter den Augen. Wie ein Dreckspatz. Gott, ist das peinlich. Aus dieser Nummer komm' ich nicht mehr raus. Was muss ich aber auch heute Wimperntusche nehmen. Ausgerechnet heute. Was hat mich da bloß geritten?

Ich weiß nicht wie oft im Leben ich jungen Menschen, Praktikanten, Auszubildenden, erzählt habe, wie sie sich am besten auf ein Bewerbungsgespräch vorbereiten. Dass sie sich schon am Vorabend alle ihre Sachen, die sie benötigen, zurechtlegen sollten. Inklusive Kleidung. Das klingt idiotisch. aber es macht absolut Sinn. Man ist in der Regel aufgeregt an dem entsprechenden Tag und dann vergisst man womöglich die Hälfte, gerät in Zeitnot und dann in Panik. Daher: Am Abend alles klar machen, dann ist man auf der sicheren Seite. Das war immer meine Devise. Auch für mich selbst. Und vor allem keine Kneipentouren oder sonstige exzessive Dinge am Abend davor. Dass nun ausgerechnet ich mich am Morgen dieses wichtigen Tages auf eine Weise schminken muss, wie ich es niemals sonst tue, das verstehe, wer will.

Ich zwinkere Eugen weiter zu. Allerdings in viel längeren Abständen, weil mein linkes Auge allmählich erlahmt. Es ist schwer, brennt wie Hund, und die Tränen stürzen mir in Bächen übers Gesicht. Ich ziehe ein Tempo aus der Blazertasche und wische sie ab. Das Tempo ist dunkelbeige gefärbt. Der Farbton heisst Sienna. Sienna war mal die Farbe der Saison. Vor zehn bis zwölf Jahren. Es ist der Farbton meines Make-Ups. Denn nicht nur, dass ich mir seit 22 Jahren die Wimpern erstmals wieder getuscht habe, ich habe seit etwa ebenso langer Zeit auch erstmals wieder Flüssig-Make-Up benutzt. Überflüssig wie ein Kropf. Ich habe eine beneidenswert schöne Haut. Wie aus der Werbung. Babyzart und makellos. Nur wenn ich mal was Größeres vorhabe, setzt sich pünktlich ein Pickel fest. Meistens an einem Nasenflügel oder mitten auf dem Kinn. Das war schon in der Pubertät so und hat sich nicht geändert.

Heute hatte ich keinen Pickel. Mir meine zarte Haut mit Make-Up zuzukleistern war eine Laune der Natur. Wenn schon Wimperntusche, dachte ich mir heute morgen vorm Spiegel, dann leg' ich gleich das große Rouge auf. Jetzt hab' ich rechts nur noch Spuren von Make-Up im Gesicht, der Rest hängt in meinem Tempo. Und ausgerechnet in dem Moment, in dem ich das Tempo vom Gesicht wegziehe, guckt der schöne Eugen, was ich mache. Er hat die Make-Up-Spuren garantiert gesehen. Ich habe sie ihm ja quasi unter die Nase gehalten. Nur der Tisch trennt uns. Und er ist ja nicht blind. Er muss denken, er hat ein Ferkel vor sich sitzen. Aber womöglich denken Männer gar nicht so weit. Eine Liedzeile der Ärzte lehrt uns ja, Männer seien Schweine. Das verstehen auch nur die Frauen. Die Männer können damit nichts anfangen. Sie kämen nie auf die Idee, eine Verbindung zur eigenen Spezies herzustellen. Vielleicht ist Eugen ja auch so. Bestimmt ist er so. Er ist ja ein Mann. Zumindest sieht er so aus, soweit ich das mit einem Auge beurteilen kann.

 
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