Blast nun zum Rückzug

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Sie erreichten Bangalore um 2.30 Uhr in der Nacht.

Als sie nun endlich angekommen waren, sollte sich zeigen, dass man sie sehnlichst erwartet hatte. Ein mütterlicher Stabsfeldwebel teilte sie, unter der Aufsicht eines plattnasigen ­Gurkha-Hauptmanns, der ihn jedoch nicht behelligte, in Züge auf und wies sie in eine ganze Flotte von Pritschenwagen mit offenem Verdeck ein, die sie durch enge Basarstraßen und dann durch Vororte mit schemenhaft erkennbaren, großzügigen Wohngebäuden transportierten und auf einem flachen Sandplatz anhielten, scheinbar mitten im Nirgendwo, tatsächlich aber mitten auf dem Gelände der Offiziersschule. Denn auf beiden Seiten des Sandplatzes tauchten aus dem Dunkel der Nacht lange, graue Gebäude mit niedrigen Verandas auf, von denen jedes, wie man ihnen mitteilte, eine Messe war, und in einer davon wurden sie alle unverzüglich und reichlich verköstigt.

Währenddessen hatten sich indische Träger in großer Zahl eingefunden und wurden von dem mütterlich wirkenden Stabs­feldwebel und zwei friedfertigen Helfern so aufgeteilt, dass je ein Träger für vier Fahnenjunker zur Verfügung stand. Jeder der Träger klaubte nun umgehend die Gurte mit der Feldausrüstung seiner vier jungen Sahibs auf und führte sie dann, sich höflich entschuldigend, dass er die Koffer erst später holen könne, im Trab trippelnd (nicht schneller als die Engländer gingen) zu den Quartieren der Fahnenjunker, die aus Reihen von parallel angelegten, einstöckigen Basha-Zelten bestanden, von denen jedes fünfzehn Abteilungen enthielt und folglich einen Zug von dreißig Fahnenjunkern, immer zwei Kameraden zusammen, beherbergte. Die Betten waren mit sauberem Leinen bezogen und mit Moskitonetzen ausgestattet; in den angrenzenden Duschen gab es heißes Wasser; neben jedem Kissen standen ein Trinkglas und eine Karaffe; doch was auch neben jedem Kissen lag, und weniger als Annehmlichkeit gedacht, war eine höfliche Notiz, dass man Mr. … (je nachdem) in der OS willkommen heiße und um 6.15 Uhr am folgenden Morgen zum Appell auf dem Sandplatz zwischen den beiden Messegebäuden erwarte. Es war bereits 4.45 Uhr.

Also traten sie um 6.15 Uhr an (nachdem sie von ihren Trägern mit Tee und grünen Bananen um 5.45 Uhr geweckt worden waren), und nun wurde alles ganz klar organisiert: Sie würden drei Kompanien bilden, zwei mit drei Zügen und eine mit vier; Kp A und B würden eine der beiden Messen benutzen (»­Clive«), während Kp C mit ihren vier Zügen die andere und etwas kleinere Messe (»Wellesley«) benutzen würde. Jeder Zug würde von einem Hauptmann der Indischen Armee kommandiert und zu weiten Teilen auch ausgebildet werden, disziplinarisch unterstützt von einem Junior-Unteroffizier aus den Reihen der Offiziersanwärter; jede Kompanie würde von einem Major der Indischen Armee kommandiert werden, unterstützt von einem (britischen) Stabsfeldwebel und einem Senior-­Unteroffizier aus den Reihen der Offiziersanwärter. Derzeit gab es sechs weitere Kompanien mit Offiziersanwärtern in der OS, die sich in unterschiedlichen Stadien der üblichen Ausbildung befanden, und darüber hinaus eine indische Kompanie (versuchsweise), deren Status noch nicht feststand und deren Angehörigen, sollten sie zufällig auf einen davon treffen, mit höflicher Gleichgültigkeit zu begegnen war. Das gesamte Schützenfest (wie der mütterliche Stabsfeldwebel erklärte) wurde vom Kommandeur, dem Brigadegeneral Percy de Glanville Man­wood, Offizierskreuzträger des Orders of the British Empire, ehemals bei den Chota Nagpur Lancers, befehligt – »und fragen Sie mich nicht, warum ein Offizier eines Regiments der berittenen Truppe Offiziere der Infanterie ausbildet, schließlich bin ich ja bloß ein einfacher Mann, meine Herren, der sich um seinen eigenen Kram kümmert. Und das beinhaltet, Sie nun freundlich zu bitten, sich Zug für Zug zur Kleiderkammer zu begeben, wo Sie die richtige Ausrüstung erhalten werden, und hübsche schwarze Transportkisten, worin sie dieselbe aufbewahren können«.

Woraufhin der 1. Zug von Kp A von demjenigen Fahnenjunker, den man für den wahrscheinlichsten Kandidaten für die Aufgabe des J. U. O. ansah (einen vormaligen Stabsgefreiten der Militärpolizei), in Marsch gesetzt wurde – und der Rest ließ sich auf den Verandas nieder, um zu warten.

»Dafür, dass wir jetzt hier herumsitzen, hätten sie uns nicht so früh aus den Betten holen müssen«, sagte Alister verärgert.

»Hier im Orient«, sagte Peter, »muss jeder früh aufstehen. Es ist ungesund, im Bett liegen zu bleiben.«

»Und wenigstens«, sagte Barry, »können wir hier zusammen rumsitzen.«

Denn so hatte es sich zum Glück ergeben. Bei der Einteilung der Fahnenjunker in Züge war man zum Teil alphabetisch und zum Teil snobistisch vorgegangen, so dass diejenigen, die von Privatschulen kamen und besseren Regimentern angehörten, strikt von ihren weniger begünstigten Kameraden getrennt wurden, weil Brigadegeneral P. de G. Manwood (ungeachtet der offiziellen, genau gegenteilig lautenden Devise) der Meinung war, dass man sich untereinander am wohlsten fühle, wenn man von Menschen mit demselben gesellschaftlichen Hintergrund umgeben sei. Doch bestand auch das Bedürfnis, sich in dieser Angelegenheit zumindest auf dem Papier zu der offiziellen Doktrin zu bekennen, und so war man zu einem wohlüberlegten Kompromiss gelangt, wonach jeder Zug gesellschaftlich eine homogene Einheit bildete, jede Kompanie jedoch, insgesamt betrachtet, eine bunte gesellschaftliche Mischung darstellte – Kp A beispielsweise bestand demnach aus einem Zug mit jungen Männern aus der Oberschicht, einem anderen mit jungen Männern aus nicht so angesehenen Privatschulen und einem mit … was Alister »Proleten« nannte. (Das war der, der eben, angeführt von dem ehemaligen Polizisten, losmarschiert war.) Nun, Peter Morrison, Alister Mortleman, Lord Muscateer und Barry Strange gehörten alle einem alpha­betischen Block aus der Oberschicht und der gehobenen Mittelschicht an, die den 2. Zg von Kp C bildete; und so kam es, dass sie, während sie in der Tat das Vergnügen genossen, gemeinsam herumzusitzen, wie Barry gesagt hatte, zudem sehr lange miteinander herumsaßen, weil der 2. Zg der Kp C zwar nicht gesellschaftlich, aber numerisch gesehen ganz hinten stand. Sie saßen tatsächlich immer noch miteinander herum, als ihr Mittagessen (oder genauer gesagt die Lieferung eines indischen Henkelmanns) schon über zwei Stunden zurücklag.

»Ich dachte immer«, sagte Barry, »dass in Indien alle ein Mittagsschläfchen machen.«

»Das wurde 1941 abgeschafft«, erklärte Peter ihm. »Damit wurde zu viel wertvolle Zeit verschenkt, die man für die Ausbildung nutzen konnte.«

»Natürlich. Deshalb stehen wir auch so früh auf – damit wir den wertvollen Teil unserer Ausbildung absolvieren, bevor es zu heiß wird.«

»Hier oben wird es nie zu heiß. Wir befinden uns hier in Klimazone I.«

»Und deswegen meinen die, sie können beides machen«, grummelte Alister, »uns beim ersten Geierfurz wecken und uns den ganzen Nachmittag lang schinden.«

»Offiziere«, erinnerte ihn Peter, »müssen bereit sein, sehr lang am Stück zu arbeiten. Wenn in jemandem ein Gewerkschaftlerherz schlägt, ist er hier fehl am Platz.«

»Außerdem«, sagte Muscateer, der gerne herumsaß, »kannst du nicht behaupten, dass sie uns jetzt gerade besonders schinden.«

»Mich wundert aber schon, dass sie sich nicht irgendetwas Sinnvolles ausgedacht haben, was wir tun könnten«, sagte Peter. »Ich habe keinen Offizier mehr gesehen, seit wir letzte Nacht am Bahnhof angekommen sind.«

(Was Peter jedoch nicht wusste, war, dass alle Offiziere der OS, nachdem eine dringliche Anweisung aus Delhi eingetroffen war, an einer von Brigadegeneral Manwood einberufenen Sonderbesprechung teilnahmen, um die Modernisierung der Ausbildungsinhalte zu besprechen – ob beispielsweise den Offiziersanwärtern die Handhabung des Stocks einexerziert wer­den sollten oder nicht.)

»Ich frage mich«, sagte Barry, »was für einen Offizier unser Zug wohl bekommt.«

»Auf jeden Fall einen von der Indischen Armee«, sagte Alister.

»Macht das irgendeinen Unterschied?«

»Einer meiner Urgroßväter war bei der Coldstream-Garde«, sagte Muscateer, »und der musste in die Indische Armee wechseln, nachdem es irgendwelche Unannehmlichkeiten gegeben hatte wegen der Ehefrau eines anderen. Normalerweise wurde man nach solchen Streitigkeiten bloß in ein Linienregiment versetzt, damit man aus London raus war. Aber mein Urgroßvater war so ein schlimmer Kerl, dass sie ihn hierhergeschickt haben. Na, klärt das die wichtigsten Fragen?«

»Und was ist dann mit ihm passiert?«

»Er ist in ein Duell geraten, mit einem Radscha. Auf Elefanten. Aber tags darauf wurde bekannt, dass ihm als Erbe der Titel zugefallen war, also wurde das schnell vertuscht. Er hat hinterher immer wieder gesagt, dass die Offiziere der Indischen Armee die schlimmsten Stiefellecker überhaupt sind, wenn man adelig ist. – Aber ein paar von euch haben sich ja die Indische Armee ausgesucht, oder? Tut mir leid und so.«

»Ich bin Offiziersanwärter für die Indische Armee«, sagte Peter. »Aber der Mann, der uns in Kalyan besucht hat, hat mir wenig Hoffnung gemacht.«

»Ich hoffe ja auf die Rifle Brigade«, sagte Alister und zeigte mit einigem Eifer auf sein Mützenabzeichen.

»Und ich gehe zu den Wessex Fusiliers«, sagte Barry stolz. »Da waren schon meine Brüder, wisst ihr?«

»Ja. Verstehe«, sagte Muscateer.

»Zu welchem Regiment gehst du denn, Muscateer?« – das kam von Alister.

»Ich hab es bisher immer mit meinem heimatlichen Haufen gehalten – den Wiltshires.«

»Ich hätte gedacht, jemand wie du geht zur Garde.«

»Da war man von uns seit Urgroßvaters kleiner Affäre nicht mehr sehr angetan. Und mein alter Herr sagt sowieso, ein Mann sollte an der Seite seiner Landsleute stehen. Er sagt, dass die Kerls, die am meisten taugen, das immer schon so gemacht haben, und dass eure vornehmen Regimenter in London bloß ein Haufen Kleinkrämer sind, die andern mit ihrer warmen Lanze gern im Abflussrohr rumstochern.«

 

»Ziemlich derb, oder?«

»Mein alter Herr drückt sich gern drastisch aus«, sagte Muscateer mit einem trägen, liebevollen Lächeln. »Da kommt der nette Stabsfeldwebel. Ich glaube, jetzt sind wir endlich dran.«

In der Kleiderkammer teilte man jedem von ihnen zu und verlangte dafür eine Unterschrift: fünf neue Khaki-Drillich-Garnituren, deren Stoff von deutlich schlechterer Qualität war als bei den vorherigen; einen Fliegenwedel; ein Fahrrad; drei Paar Pyjamas aus grobem Flanellstoff (ob man sie wollte oder nicht); zehn Paar kurze weiße Unterhosen der Art, die beim Pinkeln nur schwer zu handhaben waren und von denen man Leistenflechte bekam; einen Tropenhut; ein Zelt; ein Feldbett; einen Feld-Waschstand; eine Feldflasche aus Leder zum Umhängen; eine Bibel und ein Gebetbuch (um eine Beerdigungszeremonie abhalten zu können, falls kein Kir­chenvertreter verfügbar war) sowie einen Rohrstock. Sie erhielten zudem, wie der mütterliche Stabsfeldwebel angekündigt hatte, je eine schwarze Transportkiste aus Metall, in die alles hineinpasste außer dem Fahrrad. Aus irgendeinem Grund, der ihnen nicht recht klar wurde, mussten sie für all dies selbst zahlen, so der Heereslieferant, und zwar in Raten, die ihnen in den folgenden sechs Monaten vom Sold abgezogen würden (der fortan etwa dem eines Unteroffiziers entsprach). Als alles in Augenschein genommen und verstaut worden war, kamen ihre Träger von den Quartieren herübergetrottet, um die gefüllten Transportkisten abzuholen, während sie selbst auf ihren neuen Fahrrädern zum Tee fuhren, mit Ausnahme von Lord Muscateer, der das Fahrradfahren nie gelernt hatte und seines daher schieben musste.

Am nächsten Tag begann die eigentliche Ausbildung. Von 6.15 bis 7.45 Uhr wurden sie in der Handhabung ihrer neuen Stöcke gedrillt. Nach dem Frühstück hatten sie Urdu, das ihnen in Vierergruppen von würdevollen, weiß gewandeten Munshis beigebracht wurde, die sie mit »Sahib« anredeten und erwarteten, dass man auch ihnen diese Höflichkeit erwies. Peter Morrison war froh, dass sie Urdu lernten, weil er glaubte, dass damit seine Chancen wuchsen, in die Indische Armee aufgenommen zu werden – denn warum, sagte er zu Barry, sollten die Behörden sie Urdu lernen lassen, wenn nicht einige von ihnen es am Ende auch brauchen würden? Barry, der jedermann gerne glücklich sah, stimmte Peter zu; aber Alister, der sehr schnell einen Riecher dafür entwickelt hatte, wie die Dinge in Indien gehandhabt wurden, sagte, dass Urdu-Unterricht einfach ein alter Brauch war, den die Verwaltung entweder aus Lethargie oder aus Sentimentalität noch nicht abgeschafft hatte.

Später am Morgen wurden ihnen die Kompanieoffiziere vorgestellt. Kp C sollte von einem Mann namens Major Baxter befehligt werden, einem fröhlichen und lauten kleinen Mann aus einem indischen Regiment, das so wenig Renommee besaß, dass es schon wieder dafür berühmt war. Major Baxter hatte einen Kopf so groß wie ein Elch und trug Shorts, die ihm fast einen Fuß weit über die Knie hinabhingen, was aber vielleicht nicht schlecht war, weil seine Beine aussahen wie die von Spinnen, nur mit Strümpfen und Schuhen bekleidet. Was die Zugführer anging, so gab es einen (gutaussehend und mürrisch), der Hauptmann Betteredge hieß, für Zug Nummer 1, und einen anderen namens Hauptmann Lafone, dessen Stimme noch gewöhnlicher klang als die von Major Baxter, für Zug Nummer 3, und noch einen anderen für Nummer 4; aber aus irgendeinem Grund gab es für Zug 2 noch keinen Zugführer, was ihnen das Gefühl gab, übergangen worden zu sein. Major Baxter sagte jedoch, dass in Kürze ein Offizier eintreffen würde und dass Peter Morrison, der aufgrund seines großen und verlässlichen Gesichts bereits zum J. U. O. ernannt worden war, bis dahin für ihr Wohl und ihr Benehmen Verantwortung trage.

Der KpFw für Kp C war eine Enttäuschung. Sie hatten alle gehofft, sie würden den mütterlichen Stabsfeldwebel bekommen, der bisher alles und jeden im Alleingang im Griff gehabt hatte, doch stellte sich nun heraus, dass er der Kompaniefeldwebel von Kp A sein würde, während Kp C ein Mann namens Stabsfeldwebel Cruxtable zugeteilt war. Dieser, aus dem Wiltshire Regiment stammend, hatte viel zu früh schon Fett angesetzt und besaß den scheelen Blick eines Straßenköters, der befürchtet, irgendwer könnte ihn mit einem Tritt aus dem Weg befördern, bevor er seinen Haufen fertig gemacht hat. Obwohl Muscateer, wie üblich seinen »Mannen« und seiner Heimat­erde treu verbunden, vorgab, Cruxtable in Ordnung zu finden (»einer von denen, die schon eine Weile hier sind«), mochte ihn keiner, und alle misstrauten ihm vom ersten Augenblick an. In Wahrheit jedoch, das fanden sie später heraus, hätte ihnen Schlimmeres widerfahren können; denn Cruxtable war schlicht und einfach ein räudiger Hund, und wie die meisten räudigen Hunde ließ er andere gern in Ruhe, in der Hoffnung, dass man ihn dann ähnlich behandelte.

Nachdem ihnen ihre Vorgesetzten vorgestellt worden waren, hielt Major Baxter den Offiziersanwärtern einen Vortrag darüber, welches Betragen und welche Geisteshaltung von ihnen erwartet wurde. Im Allgemeinen handelte es sich um negative Vorgaben: Die Fahnenjunker sollten sich nicht betrinken, kein Geld bei einheimischen Geldverleihern leihen und keine einheimischen Frauen frequentieren (eine Kategorie, unter die aus diversen Gründen auch Eurasierinnen fielen); sie hatten sich nicht für indische Politik zu interessieren und sollten nicht barfuß umherlaufen (um sich keine Hakenwürmer zu holen), und unter überhaupt gar keinen Umständen durften sie sich über irgendetwas beschweren, das mit der OS zu tun hatte. Sofern sie sich an diese einfachen und sinnvollen Bedingungen hielten, sagte Major Baxter, würden sie alle eine angenehme sechsmonatige Ausbildungszeit hier verbringen und am Ende obendrein noch den Offiziersbrief bekommen. Scheitern war ein in Bangalore gänzlich unbekannter Gedanke (nachdem es für die Regierung kostspielig genug war, die Leute dorthin zu schicken), es sei denn im Fall von Geistesgestörtheit, Tod oder dem dreimaligen Einfangen einer Geschlechtskrankheit, was der Grund dafür war, warum sie nicht mit Einheimischen ins Bett gehen sollten. Wenn sie irgendein persönliches Problem hätten, könnten sie damit jederzeit zu ihm kommen, doch, offen gesprochen, die Herren, werde von angehenden Offizieren erwartet, dass sie ihre Probleme für sich behalten können und nicht um Mitgefühl bettelnd herumlaufen müssen wie ein Haufen unkultivierter Rekruten. Und jetzt allen einen guten Morgen und ein sehr schönes Wochenende … oh, und eins noch. Obwohl in der OS nicht offiziell eine Kirchenparade vorgeschrieben sei, so werde es doch für wünschenswert erachtet, dass an den Sonntagen gut dreißig Prozent der Anwärter die in der Garnisonskirche stattfindende Morgenandacht besuchten. Stabsfeldwebel Cruxtable werde daher jeweils einen von drei Männern auslosen, ungeachtet der individuellen Glaubensrichtung, zumal zukünftige Offiziere ohnehin lernen müssten, persönliche Glaubensfragen gegenüber öffentlichen Pflichten hintanzustellen. Die einzigen Anwärter, die befreit waren, sollte das Los auf sie fallen, seien diejenigen, die zur Auswahl der Spieler beim Cricketturnier der OS gehörten, welches am Sonntag um elf Uhr beginne. Aus diesem Anlass werde Seine Hoheit der Maharadscha von Dharaparam ihnen die Ehre seiner Anwesenheit erweisen. Sollte sich Seine Hoheit einem Fahnenjunker in vertraulicher Weise nähern, so sei dieser hiermit gewarnt, sich in Acht zu nehmen, doch solle man dabei höflich bleiben.

Ausgehend von ihrer schulischen Vorgeschichte waren aus den Neuzugängen einige Fahnenjunker ausgewählt worden, am folgenden Sonntag am Cricketturnier der OS teilzunehmen. Zwei davon waren Peter und Alister. Peter, der einmal in einem erfolgreichen Jahr nur knapp daran gescheitert war, in die Schulelf aufgenommen zu werden, warf langsame Off-Breaks, deren immer exakt gleiche Geschwindigkeit und Flugbahn selbst die aufmerksamsten Gegner derartig einlullte, dass sie in kürzester Zeit zur Abschätzigkeit neigten und fatale Fehler machten. Alister dagegen war als Schlagmann ein Selbstdarsteller, der seine rechte Hand zu wenig unter Kontrolle hielt, aber dennoch für Winchester gespielt hatte.

Die Veranstaltung war nichts Besonderes, verlief aber auf annehmliche Weise, denn das Cricketfeld der OS war ansprechend gelegen und verfügte über eine der wenigen Gras-Pitches in ganz Indien. »Napier« (Peters und Alisters Mannschaft) war zuerst auf dem Feld und entließ »Curzon« (die gegnerische Mannschaft, aus der drei an Peters langweiligen Off-Breaks gescheitert waren) mit 194 Runs. Als »Napier« nach der Teepause am Schlag war, sammelte die Mannschaft schnell 97 für 2 (mithilfe aggressiver 34 Runs, die Alister am ersten Wicket holte) und verlegte sich danach darauf, langsam und ohne viel Risiko auf einen sehr wahrscheinlichen Sieg hinzuarbeiten. Als es 150 für 3 stand, schlug Peter, der erst als Nummer 10 an die Schlaglinie sollte und nicht davon ausging, dass es so weit kommen würde, Alister vor, eine Runde ums Spielfeld zu drehen, und sei es nur, damit dieser dem satten Gegluckse entkam, mit dem Seine Hoheit der Maharadscha von Dharaparam Alister von der Loge im Pavillon aus seine Gunst bezeigte.

In der entgegengesetzten Richtung drehten zwei Männer mit Panamahüten und leichten An­zügen ihre Runde ums Spielfeld. Obwohl einer von ihnen groß und schlaff und der andere dünn und drahtig aussah, gingen sie in makellosem Gleichschritt und stellten somit ein Musterbeispiel für entspanntes und elegantes Vorankommen dar.

»Das ist Oberstleutnant Glastonbury«, sagte Alister. »Der Kerl, der bei uns in Kalyan war.«

»Und der Kleinere heißt Hauptmann Detterling«, sagte Peter. »Dem bin ich ein- oder zweimal in England begegnet – in meiner Schule. Er ist der Einzige, der jemals ein Double Century in einem Spiel für die Schulmannschaft geholt hat. Natürlich vor meiner Zeit.«

Als Glastonbury und Detterling sich den beiden Fahnenjunkern näherten, zogen sie, mühelos miteinander in Einklang, gleichzeitig ihre Hüte. Auf dem von Detterling prangte das Hutband der Butterflies, wie Peter bemerkte, und auf Glastonburys das der Eton Ramblers. Nachdem Alister Detterling vorgestellt worden war und man sich in allen nötigen Kombinationen die Hände geschüttelt hatte, setzten die beiden Offiziere ihre Hüte wieder auf und machten kehrt, als wollten sie die Jüngeren nun begleiten.

»Wir gehen natürlich«, sagte Peter höflich, »mit in Ihre Richtung.«

»Nein«, sagte Detterling. »Sie beide sind Spieler – wir sind bloß Zuschauer.«

»Also schließen wir uns Ihnen an«, sagte Glastonbury.

Bevor Peter Zeit hatte, die ganze Tragweite dieses Höflichkeitsbeweises zu ermessen, begann Glastonbury zu erklären, warum sie hier waren. Er selbst war aus Delhi angereist, um dem Kommandeur der OS einzubläuen, dass bestimmte ziemlich radikale Änderungen am Ausbildungsprogramm vorzunehmen seien.

»Wir hatten sie gebeten, selbst dafür Sorge zu tragen«, sagte Glastonbury, »und uns dann mitzuteilen, wie sie es gelöst haben. Nun haben sie tatsächlich aber überhaupt nichts getan, also wurde ich hergeschickt, um ihnen ein bisschen auf die Pelle zu rücken. Die lassen Sie immer noch Urdu lernen, wie ich höre?«

»Ja«, sagte Alister, »und den Stockdrill. Das ist im Grunde alles, was sie uns bisher beigebracht haben.«

»Also, Urdu wird sicherlich abgeschafft«, sagte Glastonbury, »aber das Stocktraining bleibt Ihnen wohl erhalten.«

»Warum, Sir?«, sagte Alister missmutig.

Glastonbury blickte Alister einfach nur mit ein wenig größeren Augen an, als sollte die Antwort jeder geistig gesunden Person eigentlich offenkundig sein, und wechselte das Thema.

»Hauptmann Detterling ist als Ausbilder angereist«, sagte Glastonbury und nickte zu seinem Gefährten hinüber.

»Für unseren Zug? Wir haben noch keinen.«

Aus unersichtlichen Gründen tauschten Detterling und Glas­tonbury schuldbewusste Blicke aus.

»Ich fürchte, nein«, sagte Detterling. »Ich soll Militärstrafrecht unterrichten, und wie sich die Zusammenarbeit der Infanterie mit Panzern gestaltet, in der gesamten OS. Ich bin Kavallerist, verstehen Sie? Aus demselben Regiment wie Giles hier.«

Es kam Peter in den Sinn, dass, wo die beiden doch ganz offenbar Freunde und nahezu Altersgenossen waren, ein auffälliger Unterschied zwischen ihnen bestand, was ihren Rang betraf; zweifelsohne war Glastonburys Stellung als Oberstleutnant nur vorübergehend, doch gab es keinen Grund, warum Detterling nach beinahe sechs Jahren Krieg nicht ebenfalls durch ein Brevet auf einen vergleichbaren Posten hätte gehoben werden sollen. Es dämmerte Peter zudem, dass Detterling, als er ihn vor kaum drei Monaten zuletzt in England gesehen hatte, an ihrer beider alten Schule, gerade frisch dazu berufen worden war, Rekruten in den verschiedenen Ausbildungslagern zu sichten, um geeignete Kandidaten für die Kavallerie zu finden. Da ein solcher Posten langjährige Erfahrung voraussetzte, behielt man ihn normalerweise lange; und da dem so war, musste Detterlings Auftauchen in Bangalore noch erhellt werden.

 

»Ich nehme an«, sagte Detterling, die Frage vorwegnehmend, die Peter sich in seiner Wohlerzogenheit nicht zu stellen getraut hätte, »dass Sie sich fragen, was wohl aus dieser Arbeit von mir in England geworden ist. Kavallerieauswahloffizier der Panzertruppen. Die Sache war die, mein lieber Freund, dass ich keine Rekruten dafür finden konnte. Vielmehr das Gegenteil: Ich habe einfach alle abgeschreckt.«

»Wie denn das?«

»Für Panzer habe ich mich noch nie begeistern können. Ich habe denen stets gesagt, wie nett es doch wäre, wenn wir weiterhin Pferde hätten, und wie schrecklich es ist, dass es jetzt Panzer sind.«

»Werden Sie uns das auch erzählen? Wenn Sie uns zur Zusammenarbeit der Infanterie mit Panzern instruieren?«

»Ich gehe nicht davon aus, dass wir damit weit kommen werden, wenn es so weit ist – oder, Giles?«

»Es wird weiterhin im Ausbildungsplan sein«, sagte Glastonbury mit leicht mahnendem Ton.

»Aber da es nur wenige Panzer in Indien gibt«, sagte Detterling freudig, »werden uns keine zur Verfügung stehen, um damit Übungen abzuhalten.«

»Die Theorie kann man trotzdem lernen.«

»Mit der Theorie habe ich kein Problem«, sagte Detterling, »es sind bloß die Panzer an sich, die ich nicht ausstehen kann. Hässliche Brocken aus Metall, die so einen furchtbar widerlichen Geruch verbreiten … Ich glaube, ich werde Indien mögen«, sagte er, als er übers Cricketfeld hinweg zwei alte Damen erblickte, die, von turbantragenden Pferdeknechten unterstützt, einen Landauer mit geöffnetem Verdeck bestiegen. »Hier herrscht eine ähnliche Atmosphäre wie damals in Malta, als ich ’37 ins Regiment eingetreten bin. Du weißt schon, Lanzenreiter als Leibwache für den Kommandierenden General und die ganzen liebestollen Ehefrauen in ihren langen, weißen Kleidern.«

»Bleibt vielleicht nicht mehr lange so«, sagte Giles Glastonbury.

»Das macht einen Teil des Charmes aus. Zufälligerweise«, sagte Detterling, »befindet sich eine Art Cousin von mir hier. Muscateer heißt er. Kennt den jemand?«

»Ja, Sir«, beeilte sich Alister zu sagen.

»Na, dann treiben Sie ihn auf, seien Sie so gut, und wir gehen heute Abend alle zusammen essen … also, falls Sie Zeit haben.«

Peter und Alister sagten, sie hätten Zeit, und die Wellesley-Messe wurde als Treffpunkt für den Abend benannt. Einige Minuten später lieferte »Napier« den gewinnbringenden Schlag, woraufhin sie alle vier applaudierten, obschon Detterling sich zutiefst unzufrieden zeigte über die Art, wie der Schlag ausgeführt worden war. Es folgte ein großes Gewühl aus Turbanen und Kummerbunden; die beiden alten Damen in dem Landauer zogen erhaben übers Gras von dannen; Seine Hoheit, weiterhin vor sich hin glucksend, wurde in seinem Lagonda aus dem Jahr 1924, der noch immer in den alten Harrow-Farben lackiert war, weggefahren; und Peter und Alister gondelten in Rikschas durch die süße, diesige indische Dämmerung, um Muscateer zu finden (der den ganzen Tag damit verbracht hatte, das Aufsitzen auf sein Fahrrad zu üben) und sich für das Abendessen mit Detterling umzuziehen.

Weil Glastonbury und Detterling, was das Essen betraf, zu anspruchsvoll waren, um ein Dinner im Offiziersclub von Bagalore zu riskieren (»undefinierbare braune Suppe und hausbackenes Kantinenurry, vermutlich«), wurde beschlossen, dass man in Ley Wongs chinesisches Restaurant gehen würde, wo die Küche, wie Glastonbury ihnen verriet, abwechslungsreich sei und man, wie überall im Orient, über lange Zeit Kredit gewährt bekomme. Nicht dass Detterling bei einem Abendessen wie diesem darauf angewiesen sei, doch könne sich für die drei Offiziersanwärter eine persönliche Einführung bei Ley Wong durch Glastonbury als nützlich erweisen, weil Ley Wong jederzeit Schecks für sie flüssig machen und sie darüber hinaus zum Spezialpreis von seinen ganz besonderen Dienstleistungen als Zuhälter Gebrauch machen lassen würde.

»Mir gibt er immer fünfundzwanzig Prozent Nachlass«, sagte Glastonbury, als sie in dem von Pferden gezogenen Gharri saßen, das sie dort hintransportierte, »und sorgt dafür, dass die Mädchen das dann auch tun.«

»Wie kommt es, dass du ihn so gut kennst?«, fragte Detterling. »Du warst hier doch nie stationiert, soweit ich weiß.«

»Ich habe ihm vor einigen Jahren einen großen Dienst erwiesen. Damals, als ich zum ersten Mal hier unten war – du erinnerst dich« – das war nur für Detterling bestimmt – »nach diesem kleinen Problem, das ich in Tunesien hatte.«

Detterling erinnerte sich und nickte. Alister öffnete den Mund, um zu fragen, was es mit dem »kleinen Problem« auf sich hatte, doch ein Blick von Peter gebot ihm Einhalt.

»Nun, als ich zum ersten Mal nach Bombay kam«, sagte Glastonbury, »wusste keiner so recht, was er mit mir anfangen sollte – ich war vollkommen unerwartet hier aufgetaucht, verstehen Sie –, also haben sie mich zum Leiter des Hygiene- und Versorgungsamtes für Südindien gemacht. Ich musste zusammen mit einem Sanitätsoffizier und einem Kaplan her­umfahren und all die Lichtspielhäuser und Restaurants und Bars inspizieren und dann darüber berichten, ob sie für unsere kerngesunden britischen Soldaten geeignet sind oder nicht. Sie können es sich in etwa vorstellen, oder?«

Sie konnten, und Muscateer merkte an, dass sein alter Herr 1944 in Frankreich etwas ganz Ähnliches gemacht habe.

»Und er hat eine kleine Posse daraus gemacht«, sagte Detterling. »Ihr alter Herr hat jedem Bordell zwischen Calvados und den Ardennen eine Armeelizenz beschafft, bloß um Mont­gomery zu ärgern. Sie mussten jemanden hinter ihm herschicken, um die alle wieder zu schließen.«

»Nun denn, im Lauf der Zeit«, fuhr Glastonbury nach diesem Einwurf fort, »kam das Hygiene- und Versorgungsamt auch nach Bangalore, und der erste Ort, den wir unter die Lupe zu nehmen hatten, war Ley Wongs chinesisches Restaurant. Noch bevor wir damit angefangen hatten, kam ein indischer Informant zu uns und meldete, dass Ley Wong Schecks einer japanischen Bank angenommen hätte, das hieß, er hatte mit den Feinden des Königs und Kaisers Geschäfte gemacht. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass der Informant der Besitzer eines konkurrierenden Restaurants war – aber der Anzeige muss­te dennoch nachgegangen werden. Eigentlich war ich ein­deutig verpflichtet, sofort zur Polizei zu gehen.

Aber der Gedanke, dass da jemand japanische Schecks zu Geld machte, war so hanebüchen, dass ich dachte, den muss ich mir mal persönlich anschauen. Und er erwies sich als ein sehr netter kleiner Mann. Die Geschichte war die, dass er einen guten Kunden hatte, einen britischen Offizier, der vor dem Krieg ein wenig Geld bei einer japanischen Bank angelegt hatte und nun nicht einsah, warum er nicht in den Genuss desselbigen kommen sollte. Ley Wong sah das ebenso – insbesondere, weil sein Kunde bereit war, ihm fünfzig Prozent des Gegenwerts zu überlassen. Und außerdem, sagte mir Ley Wong, habe er es als interessante Herausforderung gesehen.«

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