Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen

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Der oben zitierte Ansatz findet in der vorliegenden Arbeit insofern eine Entsprechung, dass nicht nur der grammatische Ausdruck von Informationsstruktur im Vordergrund steht, sondern auch, dass die »grammatikalische Ausstattung« einer Sprache, sprich die grammatikalisch-typologischen Eigenschaften wie das Vorhandensein eines Nullsubjekts oder bestimmter Wortstellungsregeln, sich in spezifischer Weise auf die Informationsorganisation auswirkt.

Nichtsdestotrotz ist es für die Beschreibung von Informationsorganisation von Bedeutung, die konzeptuellen, psychologischen oder kognitiven Kategorien zu behandeln. Féry (2010: 2) verdeutlicht, wie sich die aussersprachlichen und innersprachlichen Aspekte bedingen, auch wenn von Lambrecht die aussersprachlichen Aspekte den sprachlichen untergeordnet werden:

Diese kognitiven und aussersprachlichen Aspekte der Informationsstruktur sind entscheidend, da sie sich an den grammatischen Bausteinen beteiligen, die die informationsstrukturellen Kategorien wiederum implementieren.

Nachdem nun die beiden Ebenen der informationsstrukturellen Beschreibung hervorgehoben wurden (die sprachliche und die aussersprachliche, konzeptuelle Ebene) soll an einem Beispiel aus Lambrecht (1994) verdeutlicht werden, wie der gleiche Sachverhalt im Italienischen mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln in Bezug auf den Status5 der darin enthaltenen Informationen variiert werden kann:

a) La mia macchina si è ROTTA.

b) È la mia MACCHINA che si è rotta.

c) Mi si è rotta la MACCHINA.

Ohne im Moment im Detail auf einzelne informationsstrukturelle Kategorien einzugehen, soll anhand der Beispiele aus Lambrecht verdeutlicht werden, welche Einheiten in den obigen Beispielsätzen hervorgehoben werden und somit entsprechend der Kommunikationsabsicht in den Fokusbereich verschoben werden (zu der Begrifflichkeit Fokus später im Einzelnen).

Lambrecht unterscheidet zunächst zwischen drei Typen von Hervorhebungen: Hervorhebung des Prädikats (predicate focus), Hervorhebung einer Konstituente (argument focus) und Hervorhebung einer ganzen Äusserung (sentence focus) (Lambrecht 1994: 15ff.).

Im Beispiel a) liegt der Fokus auf dem Prädikat. Es wird hervorgehoben, dass das Auto kaputt gegangen ist und nicht etwa gestohlen wurde. In b) liegt der Fokus auf der Nominalphrase (Argument) und es wird hervorgehoben, dass das Auto und nicht etwa der Rasenmäher kaputt gegangen ist. Im Beispiel c) wird die ganze Äusserung hervorgehoben ohne einzelne Einheiten zu fokussieren.

Obwohl alle drei Sätze den gleichen Sachverhalt ausdrücken, unterschieden sie sich jedoch in Bezug auf ihren informationellen Wert für den Hörer, den der Sprecher aufbauend auf seine Hypothesen präsupponiert. Sehr verkürzt kann in Bezug auf den angenommenen Wissensstand des Hörers ausgedrückt werden, dass in a) dem Hörer das Auto bekannt ist, in b) dem Hörer bekannt ist, dass etwas kaputt gegangen ist.

Je nach Kontext wird somit verdeutlicht, welchen Status die Informationen in den genannten Äusserungen haben. Die gewählte formale Struktur wird dabei von den pragmatischen Funktionen der Äusserungen begründet. Kanonische Wortstellungsregeln werden verändert, um Erfordernissen des Diskurses gerecht zu werden (Lambrecht 1994: 24–25). Je nach Kontext können sich somit Informationen voneinander unterscheiden. So schreibt Musan (2006: 200):

Die Informationsstruktur versucht nun unter anderem zu erfassen, dass der Satz nicht nur eine bestimmte Information ausdrückt, sondern auch im konkreten Informationsfluss zwischen einem ‚Sprecher’ und einem ‚Hörer’ im weiteren Sinne bestimmte Informationen übermittelt. Die Informationen, die ein Satz ausdrückt, und die Informationen, die der übermittelt, können sich voneinander unterscheiden.

Die Begriffe Informationsstruktur oder Informationsorganisation stellen somit einen Überbegriff für verschiedene Konzepte dar, die den »Statuts von Individuen und den Status von Informationen über ihre Eigenschaften« (Musan 2006: 1999) unter Zuhilfenahme von bestimmten sprachlichen Mitteln beschreiben. Für Chini (2010:9) steht der Begriff Informationsstruktur für die sprachliche Kodierung von zentralen Dichotomien wie topic vs. comment oder focus vs. background.

In dieser Arbeit ist die Diskussion und Problematisierung der Forschungsliteratur nicht beabsichtigt. Da ohnehin die Informationsorganisation in Erzählungen, also in komplexen Texten und nicht auf Äusserungsebene im Vordergrund steht, werden an dieser Stelle für die Informationsstruktur auf Äusserungsebene nur anhand eines Autors, nämlich Lambrecht (1994), grundlegende informationsstrukturelle Kategorien behandelt. Dabei handelt es nach Lambrecht um die Begrifflichkeiten:

 Präsupposition und Assertion

 Identifizierbarkeit und Aktivierung

 Topik und Fokus

Für Lambrecht (1994: 6) sind die wichtigsten informationsstrukturellen Kategorien Präsupposition und Assertion, Identifizierbarkeit und Aktivierung sowie Topik und Fokus. Bei dem ersten Begriffspaar Präsupposition und Assertion geht es um die Strukturierung von Äusserungen durch den Sprecher in Bezug auf Elemente der Äusserung, die dem Hörer bekannt bzw. unbekannt sind.

Die Präsupposition beschreibt die Annahme über bekanntes Wissen, während die Assertion neue Informationen übermittelt.

PRAGMATIC PRESUPPOSITION: The set of propositions lexikogrammatically evoked in a sentence which the speakers assumes the hearer already knows or is ready to take for granted at the time the sentence is uttered.

PRAGMATIC ASSERTION: The proposition expressed by a sentence which the hearer is expected to know or take for granted as the result of hearing the sentence uttered. (Lambrecht 1994: 52)

Entscheidend ist, dass pragmatische Präsupposition und Assertionen mit grammatikalischen Mitteln kodiert werden. Lambrecht (1994: 53) verdeutlicht dies am folgenden Beispielsatz:

I finally met the woman who moved in downstairs.

Anhand des obigen Beispielsatzes zeigt Lambrecht auf, dass der Gebrauch des bestimmten Artikels auf folgende Annahme des Sprechers hindeutet: Der Hörer wird in der Lage sein, den Referenten der definiten Nominalphrase (= the woman) zu identifizieren. Diese Annahme oder Präsupposition beruht auf einem Wissenstand, den der Sprecher mit dem Hörer teilt; ein geteilter Wissenstand (»shared knowledge«) wird präsupponiert und wird mit Hilfe von lexikogrammatikalischen Mitteln zum Ausdruck gebracht (Lambrecht 1994: 53).

In most cases, differences in pragmatic presupposition will correspond to differences in grammatical form. (Lambrecht 1994: 64)

Am deutlichsten kann die Unterscheidung von Präsupposition und Assertion anhand von Spaltsätzen verdeutlicht werden:

It is my keys that I lost. (Lambrecht 1994: 70)

Die Präsupposition betrifft die Annahme, dass der Hörer weiss, dass ich etwas verloren habe. Die Assertion betrifft die für den Hörer neue Information, dass es sich bei dem verlorenen Gegenstand um meine Schlüssel handelt.6

Eng verbunden mit den Begriffen Präsupposition und Assertion sind die Termini der Identifizierbarkeit (identificabilty) und der Aktivierung (activation) von Referenten, die präsupponiert oder assertiert werden. Lambrecht (1994: 77) führt aus, dass für in den Diskurs eingeführte Referenten eine Art Akte angelegt wird, die im Laufe der Konversation mit weiteren Informationen gefüllt wird und auf die Hörer zurückgreifen können.

The creation of such a new discourse representation for the addressee can be compared to the establishment of a new referential ‚file’ in the discourse register, to which further elements of information may be added in the course of conversation and which can be reopened in discourse.

Ob Referenten identifizierbar oder nicht identifizierbar sind, hängt damit zusammen, ob sie neu, »brand-new« in den Diskurs eingeführt worden sind oder bereits aktiv sind. Die kognitiven Dimensionen der Identifizierbarkeit und Aktivierung der Referenten gehen zurück auf Chafe (1987), der die »Zugänglichkeit« von Referenten im Hinblick auf den kognitiven Aufwand beschreibt, der zu ihrer Aktivierung führt. Lambrecht (1994: 165) beschreibt die Korrelation zwischen Identifizierbarkeit und Aktivierung mit einer Akzeptabilitätsskala (s. Abb. 8, S. 124), die er basierend auf den kognitiven Bemühungen für die Identifizierung von Referenten im Hinblick auf ihre Akzeptabilität beschreibt: Aktivierte Referenten weisen die höchste Akzeptabilität auf; nicht in den Diskurs verankerte, neue Referenten weisen die niedrigste Akzeptabilität auf.

Eine weitere, zentrale Kategorie der Informationsinformation ist die Dichotomie Topik und Fokus, wobei dem Topikbegriff in der Forschungsliteratur am meisten Raum gewidmet ist. Lambrecht definiert ihn folgendermassen:

A referent is interpreted as the topic of a preposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e., as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent. (Lambrecht 1994: 131)

Chini (2010) fasst weitere Interpretationen von Topic zusammen, die in der Forschungsliteratur auf Satzebene zumeist angewandt werden:

 Topic im Sinne einer aboutness (Begriff eingeführt von Reinhart 1981), indem Topic das ausdrückt, worüber der Sprecher etwas sagt (vgl. Dik 1978, Molnar 1988).

 Topic im Sinne des ersten Elements eines Satzes (vgl. Halliday 1967).

 

 Topic im Sinne des grammatischen Subjekts bzw. einer bestimmten syntaktischen Funktion (vgl. Rizzi 1997).

 Topic im Sinne eines frames für die Verankerung einer Äusserung (Chafe 1976, Stark 1997).

Da sich der Umgang mit dem Topikbegriff mitunter schwierig gestaltet, lehnt sich die vorliegende Arbeit an die Interpretation des Topikbegriffs an, wie er im Quaestio-Ansatz verwendet wird. Im folgenden Abschnitt wird dieser behandelt.

3.3.2. Die Quaestio und die Topik- Fokusgliederung

Entscheidend bei den Begrifflichkeiten Topik und Fokus, wie sie im Zusammenhang mit dem Quaestio-Ansatz verwendet werden ist, dass die Begriffe sich auf den Inhalt einer Äusserung beziehen und nicht auf einen sprachlichen Ausdruck, der gebraucht wird, um einen Inhalt auszudrücken.

Die Begriffe Topik und Fokus, wie wir sie hier verwenden, beziehen sich auf die konzeptuelle Struktur, die einer Äusserung zu Grunde liegt, sie sind für die Ebene der Diskursrepäsentation definiert. Sie beziehen sich nicht auf die sprachlichen Formen, die die Diskursrepräsentation zum Ausdruck bringen. Man muss deshalb zwischen Topik und Topikausdruck und Fokus und Fokusausdruck unterscheiden. (von Stutterheim 1997: 36)

Die Tatsache, dass hierbei von der sprachlichen Form abgesehen wird, vermeidet laut von Stutterheim (1997: 35) eine zirkuläre Definition, in der die Funktion eines Ausdrucks durch seine Form erklärt wird. Durchbrochen wird diese Handhabung durch eine Quaestio, die, wie oben erläutert, eine inhaltliche Vorgabe für den Text macht, indem eine bestimmte Situation in Verbindung mit einem bestimmten Referenzrahmen eingeführt wird, innerhalb dessen konzeptuelle Domänen wie Zeit, Raum und Prädikat zu besetzen sind. Die inhaltlichen Komponenten, die in der Antwort beibehalten werden (und somit auf gewisse Weise durch die Frage in irgendeiner Weise »bekannt« sind), bilden die Topikkomponente der Antwort. Gleichzeitig eröffnen diese Komponenten auch eine »Lücke«, die der Sprecher füllen muss, indem er explizite Angaben zu den unterschiedlichen konzeptuellen Domänen macht. Die »Füllung« dieser Lücke mit spezifizierten Angaben bildet die Fokuskomponente der Antwort und enthält »neue« Informationen.

Bei der Frage »Wann seid ihr zuletzt nach Mailand gefahren?« werden konzeptuelle Domänen wie Raum (Mailand), Agens (derjenige der gefragt wird samt Anhang), Prädikat (fahren) und eine Zeitangabe (Menge aller möglichen Zeiträume, in den die Reise angetreten wurde) aufgerufen, die in der Antwort beibehalten werden. Diese bilden als Topik die Menge jener Elemente, die Alternativen für die Antwort eingrenzen. Es geht darum, WANN (Zeit) der Befragte nach MAILAND (Raum) GEFAHREN (Prädikat) ist, und NICHT wann er beispielsweise zuletzt in Rom Spaghetti gegessen hat. Die Topik setzt in diesem Sinne einen Rahmen (Stutterheim 1992), der beschränkend wirkt. Es wird in der Antwort auf eben jene konzeptuellen Domänen Bezug genommen, die jedoch noch weiter spezifiziert werden, beispielsweise durch die Antwort »Wir sind im Mai zuletzt nach Mailand gefahren«. Der Sprecher wählt aus den Alternativen aus und bildet die Fokuskomponente der Antwort (Klein und von Stutterheim 2008).

Im Quaestio-Ansatz wird als Topikkomponente somit die Menge der Alternativen bezeichnet, die die referentielle Besetzung der konzeptuellen Domänen durch die Schaffung eines referentiellen Rahmens eingrenzt. Was darin spezifiziert wird, bildet die Fokuskomponente.

Die Quaestio legt also Topikbedingungen (TB) und Fokusbedingungen (FB) für den Antworttext fest. (von Stutterheim 1997: 38)

Doch wie wird der Topikbegriff gehandhabt, wenn es sich nicht um eine einzelne Äusserung, sondern um einen ganzen Text handelt, wie beispielsweise im Fall von Erzähltexten, die die Grundlage der vorliegenden empirischen Analysen bilden?

Die Funktionen von Topik und Fokus unterscheiden sich im Hinblick auf die Informationsstrukturierung in einzelnen Äusserungen und komplexen Texten nicht. Der Unterschied liegt in der Komplexität der referentiellen Struktur. In unserem Beispiel »Wann seid ihr zuletzt nach Mailand gefahren« wird lediglich eine Zeitangabe erfragt, die durch die Antwort zu spezifizieren ist. Nehmen wir nun eine Frage, die einen ganzen narrativen Text einleitet wie »Was ist Dir im Urlaub denn passiert?«. Hierbei geht es darum, dass der Sprecher eine referentielle Struktur aufbaut, die über mehrere Äusserungen hinweg vom Sprecher entwickelt wird. »Jeder einzelne Referent ist in der zugrundeliegenden Sachverhaltsrepräsentation verankert und die Quaestio führt Beschränkungen dafür ein, welche Referenten zu spezifizieren sind und wie die referentielle Verknüpfung zu leisten ist« (von Stutterheim 1997: 38).

Mit einer redeeinleitenden Frage wird ein komplexes Ereignis aufgerufen, das als Makroereignis bezeichnet wird (s. von Stutterheim und Carroll 2018). Der Sprecher muss dieses Makroereignis nun in eine Reihe von Teilereignissen untergliedern, die in Bezug auf drei Bereiche lokalisiert werden müssen:

1 Lokalisierung innerhalb eines Zeitintervalls t1, das Teil des Zeitintervalls des Makroereignisses ist.

2 Lokalisierung innerhalb eines Makroraums (macro space, sm)

3 Lokalisierung in einer realen Welt (wfac)

Durch diese Lokalisierung kann die Quaestio, die für einen ganz Text gilt, in verschiedene Subquaestiones unterteilt werden, für die folgenden Topikbedingungen gelten (Carroll und von Stutterheim 2018):

1 Was geschah Dir zum Zeitpunkt t1 innerhalb des Raumes sm und in wfac?

2 Was geschah Dir zum Zeitpunkt t2 innerhalb des Raumes sm und in wfac?

3 Was geschah Dir zum Zeitpunkt t3 innerhalb des Raumes sm und in wfac?

Aus den Subquaestiones lassen sich folglich die Topik- und Fokuskomponenten ableiten.

Das vorliegende Kapitel hat das Analyseinstrument des Quaestio-Ansatzes dargelegt, der eine Text / Erzählung als komplexe Antwort auf eine Frage behandelt. Die Frage macht dabei Vorgaben, die sowohl inhaltlicher (Auswahl des referentiellen Rahmens, Wissensbasis und Perspektive) als auch struktureller Art (Gliederung in Haupt- und Nebenstrukturen, Topik-Fokusgliederung) sein können und den Text massgeblich beeinflussen. Von besonderer Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen Quaestio und Informationsstruktur, der in einer spezifischen Topik-Fokus-Gliederung mündet.

4. Die Rolle der Grammatik für die Informationsorganisation

Wie in der Einleitung zu dieser Arbeit verdeutlicht wurde, liegt das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie auf der Untersuchung des Informationsaufbaus und der Informationsorganisation in italienischen und französischen, narrativen, mündlichen Texten. Die fundamentale Leitlinie für den zugrundeliegenden Analyseansatz beruht auf den Einflüssen, die einzelsprachliche grammatikalische Faktoren (wie Nullsubjekt oder Wortstellungsregeln) auf die Informationsorganisation in mündlichen, narrativen Texten ausüben. Es wird daher in den folgenden Analysen jedes ermittelte Organisationsmuster im Hinblick auf die grammatikalischen Steuerungsgrössen untersucht, die beim Aufbau dieses Musters eine Rolle spielen.

Im ersten Unterkapitel wird die Rolle der Grammatik für die Informationsorganisation diskutiert und dabei der theoretische Rahmen, innerhalb dessen sich die vorliegende Studie bewegt, aufgespannt. Dafür ist es unabdingbar, Prozesse der Sprachproduktion, die von der Grammatik beeinflusst werden, zu erläutern (dies erfolgt im zweiten Unterkapitel). Im dritten Unterkapitel werden sprachspezifische Auswirkungen auf die Sprachproduktion konkretisiert, indem anhand von drei Themenbereichen Forschungsergebnisse dargelegt werden, die in diesem Zusammenhang erzielt wurden. Behandelt werden erstens die temporale Sequenzierung von Ereignissen, zweitens der Umgang mit Entitäten und drittens Subordinationsmuster. Ein kurzer Ausblick auf die Ergebnisse entsprechender Untersuchungen bei L2 Sprechern stützt dabei das Postulat, dass einzelsprachliche grammatikalisierte Kategorien bei der Textplanung relevant sind. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Ausblick auf jene grammatikalisierten Kategorien, die für den Vergleich des Italienischen mit dem Französischen von Bedeutung sind.

4.1. Die Grammatik als steuernder Faktor für die Informationsorganisation

Umfangreiche Untersuchungen haben gezeigt, wie sich die Grammatikalisierung bestimmter Kategorien auf den Informationsaufbau auswirkt. Die Rolle grammatikalischer Strukturen wurde bei Nacherzählungen von Kindern verschiedener Sprachen (Englisch, Spanisch, Deutsch und Hebräisch) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Perspektive, mit der Ereignisse konzeptualisiert werden, mit typologischen, einzelsprachlichen Charakteristika korreliert (Berman & Slobin 1994, Slobin 1991, 1996, 2000).

Neuere Untersuchungen zeigen, dass es mehrere Ebenen der kognitiven Verarbeitung gibt, die dem sprachlichen Ausdruck gegenüberzustellen sind. Einige dieser Ebenen sind sprachbezogen, da sie eine Inhaltsplanung für den sprachlichen Ausdruck implizieren (von Stutterheim und Carroll 2005). Der Ansatz thinking for speaking von Slobin (1991, 1996) zeigt anhand grammatikalischer Strukturen mentale Prozesse auf, die bei der Formulierung von sprachlichen Ausdrücken ablaufen und auf eine sprachabhängige Inhaltsplanung hindeuten.

Zweifel am Einfluss einzelsprachlicher Merkmale auf das Denken zeigen sich jedoch in Aussagen wie dieser von Levelt (1989: 103–104):

It is highly unlikely (…) that English and Dutch speakers perceive distance to ego differently than Spanish and Japanese speakers.

Dennoch plädiert Slobin (2003: 2) dafür, Hinweise auf sprachspezifische Wirkungsweisen auf die Wahrnehmung von aussersprachlichen Ereignissen zur Kenntnis zu nehmen:

It is, of course, exceptionally difficult to determine how people ‚really’ represent situations to themselves; furthermore, ‚weak, undramatic’ effects are not without scientific interest. I wish to argue that serious study of language in use points to pervasive effects of language on selective attention and memory for particular event characteristics.

Die vorliegende Arbeit schliesst sich in diesem Sinne an die Ergebnisse von Slobin an. Im Vordergrund stehen einzelsprachliche grammatikalisierte Strukturen, die für den Aufbau einer Informationsstruktur eine zentrale Rolle spielen. Sie sind für die Informationsgliederung von zentraler Bedeutung, da sie notwendigerweise berücksichtigt werden. Es werden daher Kategorien untersucht, die bei der Textplanung für den Sprecher als obligatorisch einzustufen sind.

Es konnte in einer Reihe sprachvergleichender Untersuchungen nachgewiesen werden, dass einzelsprachliche, grammatikalisierte Kategorien bestimmen, wie Sprecher bei Objektbeschreibungen (Carroll 1993, 1997; Carroll/von Stutterheim 1993) Erzählungen (von Stutterheim, Carroll und Klein 2003; Carroll und Lambert 2003; von Stutterheim und Carroll 2005; von Stutterheim, Flecken und Carroll 2013), sowie bei der Beschreibung von Bewegungsereignissen (von Stutterheim und Nüse 2003; von Stutterheim et al. 2012) sprachspezifisch vorgehen. Dass die Informationsorganisation von Sprache zu Sprache unterschiedlich gehandhabt wird, wird daher nicht nur als Ergebnis von erworbenen einzelsprachlichen Diskurstraditionen oder Stilmustern gesehen, sondern kann, wie es die empirischen Ergebnisse zeigen, auf die Einwirkung von bestimmten grammatischen Faktoren auf den Sprachproduktionsprozess zurückgeführt werden.

Bei Erzählungen, wie sie im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit untersucht werden, werden unterschiedliche Prinzipien des Informationsaufbaus im Italienischen und im Französischen im Hinblick auf Unterschiede analysiert, die sich auf den Einfluss bestimmter grammatischer Kategorien zurückführen lassen. Es wird der Ansatz verfolgt, dass eine Sprache mitsamt ihrer grammatikalischen Ausstattung (vgl. beispielsweise Grammatikalisierung von aspektuellen Oppositionen, Wortstellungsregeln) massgeblich die Art und Weise beeinflusst, wie ein Sprecher Informationen auswählt, die er zum Ausdruck bringen möchte und wie er diese Informationen miteinander verknüpft. Unterscheide in der Informationsgliederung korrelieren daher auf systematische Art und Weise mit grammatikalisierten begrifflichen Kategorien (von Stutterheim und Carroll 2005).

 

So grammatical form is not viewed in the present context as an autonomous system of independent of meaning, but as one which embodies a system of meanings that is treated in a given language as particularly important or essential in the interpretation and conceptualization of reality. (Carroll and Lambert 2003: 267)

Ein Ziel dieser Arbeit ist es, die Erzählung als Produkt, das mithilfe des Quaestio-Ansatzes beschrieben werden kann, auch auf ihre Produktionsprozesse hin zu betrachten. Diese gewählte Perspektive, die Produktionsprozesse miteinschliesst, ist relevant, da der Spracherwerb von frühen und späten Bilingualen für diese Arbeit ebenfalls im Vordergrund steht. Es geht dabei zum einen um die Beschaffenheit des sprachlichen Wissens, das erworben werden muss und zum anderen um die mentalen Prozesse, die bei der Sprachproduktion ablaufen. Von besonderer Bedeutung ist in Zusammenhang mit der oben beschriebenen Bedeutsamkeit von einzelsprachlichen, grammatikalisierten Strukturen die Frage, ob sich die Grammatik im Sprachproduktionsprozess auf die Entscheidung auswirkt, was oder wie ein Sprecher etwas ausdrückt. Diese beide Ebenen (»deciding what to say« und »deciding how to say something«) werden anhand des Modells von Levelt (1999) dargestellt.

Das Modell von Levelt beinhaltet drei Verarbeitungsstufen, auf denen sich die Sprachproduktion vollzieht. Im sogenannten Konzeptualisator wird die konzeptuelle Struktur der Äusserung vorbereitet; es entsteht »ein begrifflicher Entwurf der Äusserung« (Rickheit et al. 2007: 88). Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine präverbale Botschaft (preverbal message), die allerdings noch keine sprachliche Form aufweist. Der Prozess der Versprachlichung erfolgt im Formulator, wo unter Rückgriff auf lexikalisches, syntaktisches und phonologisches Wissen die Botschaft mit einer sprachlichen Form versehen wird. Bei diesen beiden Prozessen der grammatischen und phonologischen Enkodierung werden lexikalische Einheiten aus dem Lexikon ausgewählt und in eine angemessene syntaktische Form gebracht (grammatische Enkodierung). Levelt bezeichnet diese als Oberflächenstruktur (surface structure). Die phonologische Enkodierung generiert hingegen eine artikulatorische oder phonetische Form für alle Wörter der Äusserung (Levelt 1994). Im Artikulator wird zuletzt die Aktivierung der Muskeln des Sprechapparats erzeugt, die für den tatsächlichen Ausdruck der Botschaft notwendig sind (Levelt 1996, 1999).

Entscheidend für diese Arbeit ist die Verarbeitungsstufe des Konzeptualisators, in dem zwei entscheidende Prozesse für die Entstehung eines begrifflichen Entwurfs einer Äusserung ablaufen. Levelt bezeichnet diese als Makro- und Mikroplanung. Die Makroplanung betrifft die Entscheidungen, die der Sprecher im Hinblick auf seine kommenden Äusserungen trifft (»deciding what to say«). In der Mikroplanung hingegen werden die ausgewählten Informationen einer Perspektive zugewiesen und in eine propositionale Form gebracht (»deciding how to say something«).

Macroplanning is selecting the information whose expression will serve the purpose of making one’s intention recognizable by the interlocutor. It also involves ordering that information in some effective way for the listener. Microplanning involves casting each bit of information in propositional form, and providing it with perspective. (Levelt 1994: 93)

Anders als in gängigen Modellen der Sprachproduktion, die die einzelsprachlichen Einflüsse erst auf der Ebene der Mikroplanung sehen (Levelt 1996 und 1999, Bierwisch und Schreuder 1992, Habel und Tappe 1999), zeigen empirische Ergebnisse (s. Kap. 4.2.), dass bereits im Konzeptualisator Entscheidungsprozesse auf der Ebene der Makroplanung (»deciding what to say«) von grammatikalischen Kategorien beeinflusst werden (vgl. Carroll und Lambert 2003; von Stutterheim und Carroll 2005; Carroll et al 2008; von Stutterheim et al 2012; Flecken et al 2013). Es geht also um die Ebene des cognitive processing, in der Bedeutungen für die Versprachlichung vorbereitet werden.

Die Ebenen der Makro- und Mikroplanung auf der Verarbeitungsstufe des Konzeptualisators werden im vorliegenden Framework nicht als sprachunabhängig, sondern als sprachabhängig behandelt (Carroll, von Stutterheim und Nüse 2004).

Bei der Informationsorganisation im Rahmen einer Erzählung muss der Sprecher Entscheidungen treffen, die von einzelsprachlichen Charakteristika beeinflusst werden. Es geht um die Selektion, Segmentierung, Strukturierung sowie Linearisierung der aufgerufenen Informationen.

Bei der Segmentierung geht es darum, die Sachverhalte, die aus der Wissensbasis ausgewählt wurden, zu zerlegen. Die ausgewählten Sachverhalte weisen noch keine hierarchische Organisation oder eine Ordnung in Bezug auf ihre Sequenzierung auf. Beispielsweise müssen dynamische komplexe Situationen in Einzelereignisse und Prozesse zerlegt werden (Carroll, von Stutterheim und Nüse 2004).

Der Begriff der Selektion beschreibt die Auswahl derjenigen Informationen, die versprachlicht werden sollen sowie die konzeptuellen Bausteine, die für die Erzeugung einer Proposition und somit ihrer Repräsentation vonnöten sind. Diese konzeptuellen Bausteine werden von Entitäten, Räumen, Zeiträumen und Eigenschaften gestellt, wie sie oben bereits unter 3.1.1. in Bezug auf den referentiellen Rahmen der Quaestio dargestellt wurden (Carroll, von Stutterheim und Nüse 2004).

Ein weiterer Entscheidungsprozess betrifft die Linearisierung. Die ausgewählten Sachverhalte müssen in eine Reihenfolge gebracht werden, damit sie in das eindimensionale Medium Sprache eingepasst werden können (Carroll, von Stutterheim und Nüse 2004).

One important aspect of macroplanning is what I called linearisation (Levelt, 1981), the ordering of information for expression. Speech is a linear medium; we can say only one thing at a time. But we often express complex, multidimensional information. In those cases, we have to decide what to say first, what to say next, etc. (Levelt 1994: 93)

All diese Prozesse werden nach dem hier gewählten Ansatz nicht als sprachunabhängig betrachtet, sondern im Gegenteil als Prozesse, die entscheidend von einzelsprachlichen, grammatikalisierten Kategorien geprägt sind. Dieser Zusammenhang wird im nachfolgenden Unterkapitel erläutert.

Im Falle der hier vorliegenden Filmnacherzählungen (s. Kapitel 6 für die detaillierte Beschreibung des Stimulusmaterials) sind verschiedene Informationen aus dem Wissen des Sprechers abrufbar. Welche Informationen ausgewählt und versprachlicht werden, ist Ergebnis eines Selektionsprozesses, der sich auf der Ebene der makrostrukturellen Planung vollzieht. Eine weitere Ebene der Informationsorganisation, die mit Entscheidungsprozessen dieser Art verknüpft ist, ist die Sicherstellung der thematischen Kontinuität, die beispielsweise durch eine konsistente Topikzuweisung aufrecht erhalten wird. Schlussendlich fällt in den Bereich der Entscheidungsprozesse auf makrostruktureller Ebene auch die referentielle Rahmensetzung, in der Ereignisse, beispielsweise in einer Erzählung, temporal und räumlich verankert werden. Für die Entstehung eines kohärenten Textes muss diese Rahmensetzung über mehrere Äusserungen hinweg auf konstante Art beibehalten werden (Carroll et al. 2008). Bedeutsam für diesen Ansatz ist, dass diese Entscheidungsprozesse nicht für jede Äusserung neu getroffen werden, sondern in Form einer »Voreinstellung« auf default-Basis für den gesamten Text als global geltende Leitlinien beibehalten werden und als das Ergebnis einer makrostrukturellen Planung gelten (Carroll et al. 2008). Daher zeigen sich auch in komplexen Texten auf globaler Textebene Prinzipien, die auf eine makrostrukturelle Planung zurückgehen (von Stutterheim und Carroll 2005).

Jeder Verbalisierung vorausgesetzt ist das Sachverhaltswissen, das durch eine je spezifische kommunikative Aufgabe oder Redeintention aktiviert wird. Bereits an dieser Stelle setzen makrostrukturelle Planungsprozesse ein, die Selektion und Strukturierung von Komponenten der Wissensrepräsentation steuern. Sie setzen für bestimmte Aspekte der Inhaltsstruktur default-Werte fest, die für den lokalen Aufbau der Einzeläußerung als Orientierung dienen. Nur so kann die Qualität eines Textes erreicht werden, die mit dem Begriff der Kohärenz bezeichnet wird. (von Stutterheim 2004: 354)

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