Unterrichtsentwicklung begleiten - Bildungsreform konkret (E-Book)

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

4.4 Reformhindernisse

Ein neuer Lehrplan wie letztlich «alle Schulreformen stellen einen bildungspolitischen Versuch dar, gezielt Änderungen des Lehrer/-innenhandelns hervorzurufen» (Bosche & Lehmann, 2014, S. 246).

Die Handlungsbedingungen, -koordinationen und -ergebnisse auf den verschiedenen Systemebenen beeinflussen die Umsetzungsbemühungen auf komplexe, interaktive Weise und nicht nur die Wahrnehmung der Reform und die Reaktion darauf durch die einzelne Lehrperson. Der Forschungsansatz der Educational Governance spricht von den sozialen Prozessen der Handlungskoordination im Mehrebenensystem der Bildung (vgl. Altrichter & Maag Merki, 2009). Sie sind eine Erklärung, warum bei einer Reform nicht von einem linearen Durchgriff von oben gegen unten gesprochen werden kann. Auch gelten traditionelle Normen und Regelungen zu Struktur und Organisation von Schule und Unterricht, die von Tyack und Tobin (1994) als die «Grammatik der Schule» bezeichnet wurden und als rahmende Faktoren für die Unterrichtsgestaltung grundsätzlich wirken. Sie sind gerade auch für eine unterrichtsbezogene Reformumsetzung wie im vorliegenden Fall präsent. Dazu werden etwa die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler (traditionell in Jahrgangsklassen) und der Zeit (Lektionen und Pausen), die Durchführung des Unterrichts in Fächern, Lektionentafeln und die Notengebung gezählt.

Mit Kennedy (2006, S. 12ff.) lassen sich aus der Perspektive der Lehrperson weitere Gründe für Reformhindernisse vermuten:

1 Lehrpersonen brauchen mehr Wissen oder Anleitung, um ihre Praxis zu verändern (vgl. auch Penuel, Fishman, Gallagher, Korbak & Lopez-Prado, 2009). Am Beispiel der Bildungsstandards wird etwa eine «Technologielücke» zwischen den Standards und ihrer Nutzung durch die Lehrpersonen für die Gestaltung des Unterrichts festgestellt (Specht & Freudenthaler, 2008, S. 300). Das häufige Fehlen von adäquaten Lehrmitteln beziehungsweise Schulbüchern kann aufgrund ihrer Funktion als Leitmedium der Unterrichtsplanung und -durchführung (Hofmann & Astleitner, 2010; Oelkers, 2009a) ebenfalls dieser Kategorie von Schwierigkeiten zugerechnet werden, weil gerade ihre Kohärenz mit der Reformabsicht wichtig wäre (Fortus & Krajcik, 2012). Ihr Beitrag zum Gelingen einer Reform ist jedoch nicht eindeutig, weil er sowohl von der Qualität des Materials als auch von dessen Nutzung durch die Lehrperson und die Schülerinnen und Schüler abhängt (Ball & Cohen, 1996; Marco-Bujosa, McNeill, González-Howard & Loper, 2017).

2 Lehrpersonen haben Überzeugungen und Werte, die sich von denjenigen der Reformer unterscheiden. Jedoch rechtfertigen sie damit ihre eigene Praxis (vgl. auch Gräsel, Jäger & Wilke, 2006b). Beispielsweise haben sie vielleicht eher transmissive Überzeugungen, die Lernen als eine Vermittlung verstehen, und nicht konstruktivistische, die im Lernen eine eigentätige Konstruktion sehen, wie sie hinter dem Lehr-Lern-Verständnis des Lehrplans 21 stehen und die sich «tendenziell positiv (vs. transmissive negativ) auf lern- und motivationsrelevante Merkmale der Unterrichtsgestaltung auswirken» (Reusser, Pauli & Elmer, 2011, S. 483). Je grösser der Unterschied zwischen den Absichten einer Reform und den Überzeugungen der Lehrperson ist, desto mehr Zeit und Unterstützung sind für ihre Veränderung notwendig (Levin & Nevo, 2009).

3 Lehrpersonen haben Einstellungen und Erwartungen, die mit der Fähigkeit, die Reform umzusetzen, interferieren. So wurden etwa die Erwartungen von Lehrpersonen an die Klarheit und Orientierungshilfe von Bildungsstandards und Kompetenzmodellen im Hinblick auf das eigene Unterrichten eher enttäuscht (Neuweg, 2005; Specht & Freudenthaler, 2008; Wacker, 2008).

4 Die Umstände des Unterrichtens verhindern das Lernen der Lehrpersonen beziehungsweise die Veränderung ihrer Praxis, etwa bürokratische und organisationale Bedingungen des Arbeitsplatzes Schule (ebd.; Clement & Vandenberghe, 2000; Rosenholtz, Bassler & Hoover-Dempsey, 1986). Aber auch sozialpsychologische Umstände, wie sie beispielsweise mit den Termini «Schulkultur» (Eraut, 2014; Hargreaves & Braun, 2012; Claudet, 1998; Louis, Marks & Kruse, 1994; Postholm & Wæge, 2016) oder «powerful discourse communities» (Putnam & Borko, 2000) gefasst werden: Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler wachsen in eine bestehende Kultur von Aktivitäten und Denkweisen einer Schule hinein, die für die Unterrichtsentwicklung mehr oder weniger förderlich sind.

5 Reformziele selbst sind unerreichbar oder können die Praxis behindern, sind also nicht realistisch. So wird zum Beispiel kritisch gefragt, ob Reformkonzepte der Deregulierung und Dezentralisation, die mit dem Ansatz «Schulen als lernende Organisationen» operieren, nicht tatsächlich höchstens Organisationsprobleme zu lösen vermögen, aber nicht unterrichtliche beziehungsweise solche, die mit dem Bildungsauftrag der Lehrpersonen zu tun haben (Böttcher, 2009; Tacke, 2004). Diese Frage stellt sich im Kanton Bern zum Beispiel beim Reformkonzept bezüglich der Integration (siehe Beitrag 2, Kapitel 7).

Diese Schwierigkeiten lassen sich auch als «Problem der Implementation» bezeichnen (Oelkers & Reusser, 2008, S. 49), eine politikwissenschaftliche «Entdeckung» der 1980er-Jahre (McLaughlin, 1987); ihm kann nur mit kohärenten Massnahmen auf allen Systemebenen erfolgreich begegnet werden. Implementationsstrategien müssen nicht nur die Lehrpersonen, Schulleitungen und die Bildungsverwaltung, sondern auch die Eltern, Schülerinnen und Schüler, Medien und die lokale Öffentlichkeit adressieren (Oelkers & Reusser, 2008). Erfolgreicher sind Kombinationen von unterstützenden Massnahmen zur gleichen Zeit und über längere Zeit (Lieberman & Miller, 1990; Levin, 2010; Fullan, 1994) sowie von Top-down- und Bottom-up-Strategien (Fullan, 1994), wobei die Forschungslage zur «richtigen» Implementationsstrategie nicht eindeutig ist (Gräsel et al., 2006b). Deutlich ist zumindest, dass bei einer Schulreform wie der Einführung eines neuen Lehrplans externe Anforderungen individuell und kollektiv bearbeitet werden müssen. Deshalb auch sind schulinterne Entwicklungsarbeiten unbedingt erforderlich. Mit Blick auf die einzelne Schule sind es hauptsächlich psychologische und sozialpsychologische Faktoren auf Individualebene der Lehrpersonen und der Schulebene, die Veränderungen unterstützen oder behindern (Edelstein, 2002). Levin postuliert: «The problem is not one of resistance to change, but of making the right changes in the right ways» (2008, S. 66; vgl. auch Bereiter, 2002: Nicht Widerstand, sondern nicht «rechtzeitig» erfahrener Mehrwert lässt Reformen scheitern). Er bezieht sich damit auf einen Grundsatz der von ihm als Vize-Bildungsminister (2004–2007) mitverantworteten und auch von dritter Seite als erfolgreich beschriebenen systemweiten Bildungsreform in Ontario, Kanada, dass eine Implementationsstrategie bei den alltäglichen Realitäten der Lehrpersonen anzusetzen und dabei auf wenige Ziele zu fokussieren habe und nicht zu viele Änderungen auf einmal anzustreben sind. Genügend Zeit für die Unterrichtentwicklung und die Unterstützung der Lehrpersonen ist ein zentrales Mittel, verbunden mit einer starken «leadership» über alle Systemebenen hinweg, die am gleichen Strang zieht und dem fokussierten Unterstützen der Lehrpersonen dient, aber auch dort Druck ausübt, wo Lehrstandards nicht erreicht werden (Levin, 2010; Fullan & Levin, 2009). Dazu gehört auch ein gezielter Ressourceneinsatz und die Einbindung der Eltern und der weiteren Gesellschaft.

Die Herausforderung für eine Reform besteht allgemein gesagt in der Realisierung einer pädagogischen Qualitätsentwicklung der einzelnen Schule (Oelkers & Reusser, 2008, S. 46ff.), der es gelingt, fokussiert Reformziele einzubinden. Von Vorteil ist es selbstverständlich, wenn die Ziele und Mittel durch das Bildungssystem als Ganzes unterstützt werden. Das ist eine Absage an eine Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung, die Lehrpersonen als gelegentliche Empfänger von Injektionen sieht, «to pep them up, calm them down, or ease their pain» (Hargreaves, 1994, S. 430) und entspricht eher, um Hargreaves Metapher zu gebrauchen, einer regelmässigen und ausbalancierten Diät (ebd.). Die Diät ist eingebunden in die alltäglichen Prozesse der schulischen Qualitätsentwicklung. Das alltägliche Essen verändert sich idealerweise nur in Bezug auf die Zubereitung und die Zutaten, nicht auch in Umfang und Dauer. Allerdings bedarf die neue Zubereitungsart unter Umständen auch eines Lernprozesses, der über die alltägliche Kochzeit hinausgeht: Unterrichtsentwicklung in einem breiten Sinn (siehe Kapitel 3) zur Reformimplementation braucht eine «Episode» (Quesel, 2019) der besonderen und fokussierten Anstrengung. Der Unterstützung durch die Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung durch Angebote beziehungsweise bestimmte Formen von Lerngelegenheiten fällt dabei eine bedeutende Funktion zu (Penuel et al., 2009).

5 Gestaltung von Lerngelegenheiten

Lernen ist kontextuell situiert und hoch individuell. Gerade angesichts von Reformen sind kognitiv-affektive Reaktionen eine bedeutsame Ausgangsgrösse für Lernprozesse und können sehr heterogen ausfallen. Ihre Bearbeitung braucht externe Expertise und Reflexion, deren Ergebnisse letztlich auch von organisationalen und schulkulturellen Umständen abhängen.

Aus den hier dargelegten Entwicklungen und der Forschung zur Wirksamkeit von Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung lassen sich verschiedene Aspekte ableiten, die für die Gestaltung eines Angebots zur Umsetzung eines Reformvorhabens wie der Umsetzung des Lehrplans 21 von Bedeutung sind, wenn bei den Lehrpersonen Lernprozesse ausgelöst werden sollen.

 

5.1 Nicht allein lernen – kollektives Lernen in der Schule

Wie in Kapitel 3 und 4 dargestellt, bedeutet wirksames Lernen von Lehrpersonen lerntheoretisch dynamische individuelle und kollektive Interaktionen der Person mit dem Unterrichten und dem Kontext ihrer Unterrichtspraxis. Dazu kommen die sozialanthropologischen (Lave & Wenger, 1991; Wenger, 1998) und arbeitspsychologischen Hinweise auf die sozialen Bedingungen des Lernens und des Arbeitsplatzes Schule für die einzelnen Lehrpersonen, die auf Vorteile einer kooperativen schulinternen Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung schliessen lassen (empirische Evidenzen z.B. bei Camburn, 2010; Althauser, 2014). Die Forschung zeigt, dass die Kooperation der Lehrpersonen nicht nur ein Merkmal effektiver Schulen und eine fördernde Bedingung für die Übernahme und Umsetzung von Innovationen an Schulen darstellt (Gräsel, Fussangel & Parchmann, 2006; Fussangel & Gräsel, 2009; Steinert et al., 2006), sondern ebenfalls die langfristige Wirksamkeit von Weiterbildungsmassnahmen begünstigt (Freienberg, Parchmann, Pröbstel & Gräsel, 2008; Gersten, Dimino, Jayanthi, Kim & Santoro, 2010). Zudem kann der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen die Bewältigung berufsimmanenter Unsicherheiten, wie sie sich aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Unterrichts, der Komplexität des Berufsauftrags und reforminduziert ergeben, unterstützen (Soltau & Mienert, 2010).

Das wurde von der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung, deren Funktion die Unterstützung der Lehrpersonen ist, nicht immer so verstanden, auch weil die Entscheidungen darüber, welche Weiterbildungsziele verfolgt werden sollten, früher fast ausschliesslich bei den einzelnen Lehrpersonen lagen. Was und wie von Lehrpersonen gelernt werden soll, wurde lange als ein vollständig individueller, in der alleinigen Verantwortung der Lehrpersonen stehender Prozess angesehen (Huberman, 1995, S. 194). Für Grossbritannien beispielsweise stellt Bolam (2000) für den Zeitraum von 1960 bis Anfang 1980 fest, dass das vorherrschende Paradigma die individuellen Bedürfnisse einzelner Professioneller war. Selbst bei den aufkommenden schulinternen Weiterbildungen habe die Kontrolle trotz grösserer Beachtung der Bedürfnisse der Schulen und des weiteren Systems bei den Lehrpersonen gelegen. Das lässt sich auch für die Schweiz sagen, wie die Auseinandersetzung zwischen der Profession und dem Staat um die Institutionalisierung eines Weiterbildungsobligatoriums zeigt. Die Wahlfreiheit der Lehrpersonen bedeuteten der Profession viel (Balmer, 2018a; Kansteiner, 2015). In der Schweiz intensivierte sich die Diskussion um die Bedeutung der «Lehrerweiterbildung» in den 1960er-Jahren. Es gab erste Modelle eines systematischen Lehrplans für die Lehrerbildung von der Grundausbildung über den Berufseinstieg bis zur permanenten Weiterbildung während der Berufsausübung (Balmer, 2018a). Im Kanton Bern wurde die staatliche Förderung und Unterstützung erstmals 1966 im «Gesetz über die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen» festgeschrieben. Weiterbildung als auch im Umfang definiertes Recht und definierte Pflicht im Rahmen des Berufsauftrags wurde im Kanton Bern Anfang der 1990er-Jahre gesetzlich festgehalten. Darin findet sich auch die Feststellung, dass Lehrpersonen «zu Erneuerungsarbeiten im Gesamtrahmen der Schule [beitragen]» (Art. 17, Abs. 2, Grosser Rat des Kantons Bern, 1993).

Zwar werden schon vorher Ansprüche von verschiedener Seite an die Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung geäussert, aber die einzelne Schule als Organisationseinheit fehlte noch als Perspektive und kam mit der Entdeckung der Schule als Handlungseinheit sowie der Schulentwicklung in den Blick. Das führte dazu, dass die einzelne Schule nicht nur ein Ort der (kooperativen) Weiterbildung wurde, wie sich an der Zunahme schulinterner Weiterbildungsanlässe seit den 1990er-Jahren zeigt (Eurydice, 1995; Strittmatter, 1990). Mit dieser Tendenz beruhte ihre Zielbestimmung aus mindestens zwei Gründen nun nicht mehr nur auf den Bedürfnissen der einzelnen Lehrperson:

 Die Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung wird als ein integraler Teil von Bildungsreformen gedacht und

 Veränderungen mit dem Blick auf die Schule als Handlungseinheit im Sinne der Schulentwicklung werden als kollektives Unternehmen, orientiert an den Bedürfnissen der Schule, verstanden (OECD/CERI, 1998).

Allerdings zeigte sich auch, dass die Verlagerung der Weiterbildung von externen Weiterbildungsanbietern und individueller Teilnahmeentscheidung der Lehrperson in die Schulen allein nicht genügt, um näher an die alltägliche Praxis zu kommen, Lernprozesse zu optimieren und die Herausforderung des Übertragens von Neuem in die eigene Praxis zu bewältigen (Rüegg, 2000). Die Studie der Forschungsgruppe um Creemers zeigt zum Beispiel, dass ihr didaktischer Weiterbildungsansatz bei externen Weiterbildungen nicht weniger effektiv war als bei schulinternen (Creemers, Kyriakides & Antoniou, 2013, S. 213). Schulinterne Weiterbildung ist demzufolge weiteren Gelingensbedingungen unterworfen, damit kollektive Lerngelegenheiten auch tatsächlich zu kooperativen Lernprozessen führen (oder, umgekehrt gelesen, schulexterne Weiterbildungen sind nicht a priori weniger effektiv). Eine Gefahr ist beispielsweise, dass eine Gruppe ohne gewisse externe Expertise auf einem bestimmten Niveau stehen bleibt (Coe, Aloisi, Higgins & Major, 2014; Antoniou & Kyriakides, 2011).

Die hier im Fokus stehende unterrichtsbezogene Kooperation zeichnet sich ganz allgemein aus durch den inhaltlichen Bezug auf die didaktisch-pädagogische oder organisatorische Planung, Durchführung und Evaluation oder Reflexion unterrichtlicher Handlungen von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern (Kullmann, 2010; Fussangel, 2008). Dabei lassen sich drei Formen unterscheiden (vgl. Gräsel, Fussangel & Pröbstel, 2006a, 209ff.):

1 Das Austauschen von unterrichtsbezogenen Materialien und Informationen. Es erfordert keine Prozesse des Aushandelns von Zielen und des Klärens. Gelegentliche Gespräche genügen dafür. Die Lehrpersonen arbeiten weiterhin relativ autonom.

2 In arbeitsteiliger Kooperation können Aufgaben bearbeitet werden, die eine Aufteilung auf die Beteiligten erlauben. Die Arbeit wird wesentlich individuell erledigt, bedingt durch eine gemeinsame Zielsetzung. Die Planung aber erfolgt nicht mehr völlig autonom. Vertrauen ist insofern erforderlich, als sich die Kooperationspartner auf das erwartungsgemässe Erledigen des Auftrags verlassen können. Durch den Beitrag mehrerer Personen zum Beispiel zur Planung einer Unterrichtseinheit kann sich eine Effizienzsteigerung ergeben.

3 Ein intensives, über weite Strecken gemeinsames Bearbeiten einer Aufgabe oder eines Problems wird als Ko-Konstruktion bezeichnet. Durch inhaltsorientierten Austausch, Klärungsprozesse und Reflexionen wird das individuelle Wissen aufeinander bezogen und – wie man es sich auch vom kooperativen Lernen im Unterricht verspricht (Renkl, 2008) – neues Wissen, vertiefteres Verständnis und bessere Lösungen entstehen.

Dabei ist zu bedenken, dass «mehr» oder «intensivere» Kooperation nicht zwingend für jede Aufgabe und unter allen Kontextbedingungen das richtige Mittel der Arbeitsorganisation sein muss (Gräsel et al., 2006a). Erfahrungen verweisen auch darauf, dass eine enge Kooperation auch nicht immer bessere Lösungen hervorbringt, wenn etwa bestimmte übermächtige Vorstellungen die Reflexionsfähigkeit der Gruppe einschränken und keine individuelle Autonomie zulassen (Idel & Ullrich, 2013), weil ein «Konformitätsdruck» (Fischer, 2007) besteht. Diese drei Zusammenarbeitsformen sind deshalb nicht a priori als Qualitätsstufen der Kooperation misszuverstehen (Helsper, 2006). Ob Kooperation produktiv ist und nicht nur Zeit absorbiert oder gar zusätzliche Probleme erzeugt, zeigt sich letztlich in einem Ergebnis, das professionellen Kriterien entspricht und in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand steht (siehe Beitrag 2, Kapitel 7).

Eine unterrichtsbezogene strukturierte Zusammenarbeit wird mit dem Konzept der «professionellen Lerngemeinschaft» beschrieben. Sie zeichnet sich durch einen reflexiven Dialog, eine Deprivatisierung der eigenen Praxis des Unterrichtens, einen gemeinsamen Fokus auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler sowie gemeinsam geteilte Werte und Normen aus und ist grundsätzlich freiwillig (Bonsen & Rolff, 2006; Vescio, Ross & Adams, 2008). Verschiedene Voraussetzungen tragen zum Gelingen bei. Nebst Kontextfaktoren (z.B. Arbeitsbedingungen, Schulkultur) ist die Bereitschaft der Lehrperson bedeutsam, ihren Unterricht zu öffnen, persönliche und kollektive Reflexion und Kritik zuzulassen sowie eine forschende Haltung einzunehmen (Penuel, Sun, Frank, Kenneth & Gallagher, 2012).

Als bedeutsam für Veränderung hat sich vor allem die fachliche Kooperation erwiesen (Nieskens & Schuhmacher, 2010), was sich mit dem Ergebnis der Schuleffektivitätsforschung verbinden lässt, dass ein allgegenwärtiger Fokus einer Schule auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler bedeutsam ist. Neuere Ansätze der strukturierten kooperativen Analyse, Reflexion und Neuerprobung von Unterrichtselementen mit Fokus auf das fachliche Lernen der Schülerinnen und Schüler, wie Lesson Studies (Xu & Pedder, 2016) oder Videoclubs (Sherin & Han, 2004), bestätigen das Potenzial fachlicher Kooperation. Lernen ist immer an Inhalte gebunden, die in der Schule und im Lehrplan in Fachbereichen angesiedelt sind. Das spricht für eine primär fachbezogene Unterrichtsentwicklung (siehe Beitrag 3, Kapitel 1.3). Für die Verortung von Unterrichtsentwicklung in der Schule lässt sich daraus die Notwendigkeit folgern, dass sie in Teams des gleichen Fachbereichs und/oder der unterrichteten Stufe stattfinden sollte. Organisationsstrukturell gilt es, entsprechende Ressourcen und Gefässe zu schaffen. Gerade im Kontext einer Lehrplaneinführung ist zudem die externe Unterstützung durch ein Weiterbildungsangebot von Bedeutung, denn es hat sich auch gezeigt, dass ohne Weiterbildung Konzeptionen und Verhalten, wie sie Reformen zu implementieren gedenken, bei erfahrenen Lehrpersonen stark variieren (Hoekstra, Brekelmans, Beijaard & Korthagen, 2009). Creemers et al. (2013) stellen in ihrer Studie sogar fest, dass sich die Fähigkeiten der Lehrpersonen während eines Jahres trotz geplanter Unterrichtsentwicklung ohne externe Unterstützung nicht veränderten. Sie schlussfolgern, dass ohne systematisches Bestreben seitens der Lehrpersonen, aber auch ohne externe Unterstützung Bildungssysteme keine Verbesserung der Qualität von Unterricht und der Lernergebnisse erwarten können (ebd., S. 217).

Kooperation ist nicht per se der «Königsweg der Unterrichtsentwicklung» (Rolff, 2015). Die strukturellen und personellen Voraussetzungen der Schulen und Lehrpersonen sind so verschieden, dass Kooperation «keine universale Strategie der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist» (Steinert & Maag Merki, 2009), sondern aufgaben- und kontextspezifisch in Abwägung der Ressourcen und des versprochenen Mehrwertes einzusetzen ist. Das bedeutet zum Beispiel zu klären, welche Kooperationsgefässe angesichts des Schulorganisationskontextes im Kanton Bern in welcher zeitlichen Struktur (permanent versus projektbezogen) bezüglich welcher Aufgaben mit welchen Ressourcen (zeitlicher Umfang) gebildet werden sollen. Unterrichtsteams (Lehrpersonen einer Klasse), Fachgruppen (Lehrpersonen eines Schulfaches) und Zyklusgruppen (Lehrpersonen einer Schulstufe) dürften ihre je eigenen Themen haben, die zu bearbeiten in der jeweiligen Gruppe von vorrangigem Interesse und damit sinngebend sein dürften. Sie zu klären und voneinander abzugrenzen, ist eine notwendige Voraussetzung, damit die Kooperationsgefässe wirksam werden können.

Dass die Lehrplaneinführung im Kanton Bern für die Schulen verpflichtender Auftrag ist, entspricht dem Kriterium einer wirksamen Kooperation in einer professionellen Lerngemeinschaft nicht, dass sie nämlich grundsätzlich freiwillig sein sollte. Hingegen entspricht sie in der Anlage als fachbezogene Unterrichtsentwicklung einem anderen Kriterium. Zudem wird von der Erziehungsdirektion des Kantons Bern der Prozess mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet, sodass die kooperativen Prozesse weniger mit den alltäglichen Anforderungen konkurrieren. Im Weiteren sind Lehrpersonen gerade im Fall einer Lehrplaneinführung einem Weiterbildungsobligatorium gegenüber grundsätzlich weniger abgeneigt (Landert, 1999). Darüber hinaus kann die didaktische Gestaltung des Weiterbildungsangebots, etwa durch die Berücksichtigung individueller Voraussetzungen, produktive Prozesse unterstützen.