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Ich mache dir diesen Tag zum Geschenk.

ORPHEE

ich danke dir für dein wunderschönes geschenk. verrate mir bitte auch, wie man landschaften malt, ohne sie – wie ich es tu – in kitsch und nichts als kitsch ausarten zu lassen. auch bei uns ist heut ein herrlich blauer tag. ich liebe den sommer! o

Sei nicht so streng mit dir, zumal ich dein Urteil in eigener Sache leider immer noch nicht an Bildern überprüfen und sicher als völlig ungerechtfertigt zurückweisen kann. Dein Urteil in der Frage des erotischen Bildes teile ich gern und umfassend, obwohl dem „männlichen Bild“, auch meinem, ungewollt fast immer eine Grenzverletzung innewohnt. Ich bin sehr gespannt, was nach deinen Worten in deinen Bildern angelegt und auszudeuten ist.

ORPHEE

Engel

guten morgen! vielen dank für deine nächtliche zeichnung des engels. ich glaube nicht, dass engel hermaphroditen sind, ich denke, sie sind geschlechtslos in einer welt – sollte es sie geben –, die aus reiner energie besteht. jeder kommunikative austausch erfolgt dort rein energetisch. es gibt im jenseits keinen sex (drum sind wir wahrscheinlich hier – um unser geschlecht zu spüren). engel haben das, glaube ich, nicht mehr nötig. dein engel gefällt mir trotzdem. was meinst du übrigens mit der dem männlichen bild innewohnenden grenzverletzung? ist es die spur von exhibitionismus, die allem innewohnende information der tiefen der eigenen seele, die du meinst? und vor allem: warum werden nur männer grenzverletzt? o

Schon wieder einmal hat er mir nicht geantwortet – dabei würde mich die männliche Sicht der Grenzverletzung brennend interessieren. Wenn Männer bei der Darstellung ihres eigenen Körpers ein derartig grenz-verletzendes Gefühl empfinden – wie können sie dann in der panmedial bekannten Art und Weise Frauen darstellen, ohne tiefste Abscheu und Verachtung für sie zu empfinden? Er wird wahrscheinlich auch auf diese Frage nicht antworten, ich stelle sie am besten gar nicht erst.

von freudvoller erwartung getrieben, hab ich heute morgen meinen computer angeschaltet – und auf eine leere seite geblickt. offenbar bist du nicht dazugekommen, mit ein paar zeilen meine post zu verstärken. wann immer du diese zeilen liest – ich wünsche dir einen angenehmen, von unbill verschont bleibenden tag! o

Es ist spät. Heute Nachmittag bin ich von einer (ad hoc notwendig gewordenen) geschäftlichen Reise zurückgekommen, mit Kopfschmerzen, etwas übellaunig und ziemlich leer. Morgen muss ich erneut für einige Tage – voraussichtlich bis zum Wochenende – tagungsbedingt verreisen.

Danke für deine lieben Grüße, gern würde ich deine Muse beim Malen sein, aber bei aller Liebe zum anderen Geschlecht: Ich bleibe in meiner Haut.

Schreib mir nur recht fleißig (wenn du magst), ich lese gern von dir. Ich weiß schon viel von dir – doch das dir Wesentliche scheinst du (ungewollt?) mir noch zu verbergen. Meine „Maske“ soll dir nur das überaus profane Bild einer durch und durch durchschnittlichen Person ersparen – aber du willst den Spiegel durchdringen, vielleicht unbeabsichtigt zerstören – ich werde also von mir erzählen.

Etwas müde – in wenigen Tagen mehr –

ORPHEE

Noch ein kleines Nachwort zu eben:

Bitte verzeih mir, wenn ich alter griesgrämiger Misanthrop und Egozentriker immer nur von meiner momentanen, sehr schwankenden Befindlichkeit berichte, ohne dir zu sagen, dass mich deine Briefe so sanft und tief berühren und mich ein um das andere Mal so glühend neugierig auf dich machen, dass mir auch hier die Grenzen unseres virtuellen Konsenses und die der erotischen „Schicklichkeit“ oft nicht mehr stark genug befestigt erscheinen. Gute Nacht

ORPHEE

Endlich werde ich ihn kennen lernen, erfahren, wer er ist, woher er kommt, was er tut! Oder auch nicht!? Ich spüre deutlich, wie er sich drücken will um seine Dekuvrierung – als hätte er tatsächlich etwas ganz Wichtiges vor mir zu verbergen. Worin liegt seine Lüge? Eine Mischung aus extremer Ablehnung und ebenso extremer Anziehung wühlt mich richtiggehend auf.

danke für deine spätabendlichen zeilen. ich habe sie weder egozentrisch noch misanthrop gefunden und was die erotische schicklichkeit anbelangt, liegt es an mir, dich zurück in die schranken zu weisen, solltest du meine grenzen in unangenehmer weise betreten oder berühren oder gar übertreten. bis jetzt war das (noch) nie der fall. nur eines will ich klarstellen: ich bin nicht bereit zu geistlosem, flachem, geilem erotischem geschwätz, soweit man hiezu überhaupt noch den begriff erotik missbrauchen sollte. es ist ganz eigenartig, dass du mich immer noch maskiert empfindest?! wo ich doch schon fast splitternackt dastehe. was würdest du gern als mein letztes geheimnis von mir wissen? themenwechsel: gestern hab ich mir – wie schon lange geplant, aber du hast den kaufentscheidungsprozess beschleunigt – einen scanner gekauft. sollte ich mit diesem neuzeitlichen monstrum erfolgreich hantieren können, werde ich dir bilder senden – vielleicht tragen sie zur enthüllung meines wesens etwas bei. o

jetzt, zwischen zwei besprechungen, drängt es mich geradezu, dir einige zeilen zu schicken – obwohl du im augenblick gar nicht in der lage bist sie zu lesen.

so ganz versteh ich die unzufriedenheit mit deiner person nicht. warum glaubst du, durchschnittlich zu sein und wenn es so wäre: was wäre schlecht daran? verderben wir uns nicht immer und immer wieder den genuss an vielen dingen in der ewigen angst „nur“ durchschnittlich zu sein? ich kenne dieses gefühl genau: nichts ist gut genug, alles, was ich tu, muss ganz besonders sein. und wo bleib ich dabei? und wo bleibst du dabei? ich hoffe, ich langweile oder verärgere dich nicht mit meinen philosophischen ergüssen, jedenfalls freu ich mich schon darauf wieder etwas von dir zu lesen! o ps. habe gestern abend meinen scanner ausprobiert, lasse mich bitte wissen, ob mein bild den weg zu dir gefunden hat!

fleißig schreiben soll ich, sagtest du. gut, da du immer noch nicht erreichbar bist und eine meiner am schärfsten zu verurteilenden eigenschaften die ungeduld ist, sitze ich wieder einmal – grübelnd, was es denn sei, das du von mir noch nicht weißt und das du meinst, ich hielte es beabsichtigt zurück. was weißt du eigentlich noch nicht von mir? du kennst meine profession, den derzeitigen mittelpunkt meiner lebensinteressen, meine liebste freizeitbeschäftigung (dass ich sehr gerne reise, weißt du noch nicht), du weißt sogar, wie ich aussehe (obwohl das bild auf der webseite zwei jahre alt und sehr unscharf ist, aber angeblich habe ich mich nicht verändert); du weißt, dass ich zwei fast erwachsene kinder habe, die mir außer spätpubertärer attitüden keinen grund zur sorge geben. ich bin seit sieben jahren geschieden und zur zeit ohne feste beziehung – nein falsch, eine hab ich – eine virtuelle … meine haarfarbe ist blond, meine augen sind blau, mein körper ist schlank und 170 cm hoch. und jetzt kann ich ’s nicht mehr erwarten zu erfahren, was du noch alles über mich wissen willst. keinesfalls will ich den spiegel deiner maske zerstören, doch meine lebenserfahrung hat mich gelehrt, dass es ohne maske viel leichter ist einen seelischen kontakt herzustellen. sonst kann ich immer nur auf die maske eingehen, aber niemals auf das einzigartige, was dahinter steckt … ich freu mich schon auf deinen brief nr. 5! o

Und ob ich den Spiegel dieser Maske zerstören will – wieso lüg ich jetzt schon wieder? Wieso fehlt mir der Mut, ultimativ zu sagen, was ich will? Was kann ich schon verlieren in einer virtuellen Beziehung mit einem Unbekannten?

Eine Rückkehr voller Erwartung – und reich an Erfüllung. Müde und doch lustvoll-hastig erregt beim Lesen deiner vielen Briefe und Betrachten deiner schönen Bilder, die, wenn ich richtig gezählt habe, mich alle erreicht haben und mir sehr gefallen. Deine subtil aquarellierte Allegorie der „Wartenden“ nehme ich mit in den Schlaf, in meine Träume.

Du hast mir viele Antworten in deinen Schreiben und noch mehr Fragen gegeben, nachdenkliche, zärtliche und zugleich beunruhigende. Du hast dich mir so tief geöffnet, wie deine Sehnsucht alle Schichten deines Fühlens offenbaren wollte, aber nur so weit, wie es deine Verletzbarkeit zugelassen hat. Habe ich zu viel, gewollt – ungewollt, in dir angerührt? Habe ich meine Maske missbraucht, den Unterschied der virtuellen und der wirklichen Welt diabolisch und verbotenerweise einen glückseligen Moment aufgehoben?

Wie wünschte ich mir, mich verlierend an deine Brüste geschmiegt, trunken von deinen suchenden, versprechenden Küssen und dem süßen Labyrinth deines Leibes, mit dir alles entdecken zu können und auf ewig dem Fährmann des Todes entfliehen zu können. Aber ich bin nicht Orpheus, auch wenn meine Überheblichkeit mir, dem schwachen Scheine nach, seine Maske angeeignet hat und du, so schön du mir auch erscheinst, bist nicht Eurydike – ich habe ein Spiegelbild gespiegelt und weiß nicht mehr zu unterscheiden.

Morgen früh mehr. Ich lege meine Träume in deinen Schoß.

ORPHEE

lass deine verführerisch poetisch–ästhetischen sprüche, sie verdecken doch nur dein versteckspiel. hinter welcher maske steckst du? gibt es denn einen unterschied zwischen der virtuellen welt und der wirklichkeit? kann nicht die virtualität ausschließlich ein abbild unserer realen sehnsüchte und bedürfnisse spiegeln? ich denke, jeder mensch projiziert die eigenen erlebten mängel und/oder begierden auf denjenigen, der sie gleich einem parabolspiegel wie wellen aus dem universum auffängt. ich denke, nichts andres tun wir beide. und im gegensatz zu euridyke könntest du mich sogar ansehen und – wärst du nicht so weit entfernt – du dürftest mich sogar berühren, ohne in ewige verdammnis versinken zu müssen. und gott sei dank, bist du nicht orpheus! im übrigen freu ich mich schon auf deine nächste (über)„durchschnittlichkeit“! olivia

 

… kann nicht die virtualität ausschließlich ein abbild unserer realen sehnsüchte und bedürfnisse spiegeln? …

Ja, aber im Labyrinth unserer Sehnsüchte lauern Gefahren, und der virtuelle Spiegel ist ebenso wenig die Wirklichkeit, wie du Unglückliche darüber erfreut bist, in mir nicht den ORPHEUS gespiegelt zu sehen.

Ich glaube, aus einer großen Zahl von leichten, aber auch dunkel-bitteren Gründen, kann ich dir nur virtuell begegnen und dir nicht wirklich die Hand zum Sprung reichen, nicht wirklich mit meinem Mund deine Brüste kosen und das Blond deines Haares über meine Augen decken

ORPHEE

du solltest mir auch nicht die hand zum sprunge reichen und schon gar nicht mit deinem mund meine brüste küssen! ursprünglich wollte ich lediglich wissen, wer du eigentlich bist. das ganze leben besteht aus einer einzigen großen gefahr: darin umzukommen. Wer sich in die virtualität zurückzieht, täuscht sich und überträgt sämtliche verantwortung stets anderen. das ergebnis kann dann doch eigentlich nur enttäuschung sein. verzeih, ich wollte dir nicht nahe treten, aber ich konnte leider nicht mehr zu denken aufhören. o

Ich habe Lust gesucht, begegnete Einfühlsamkeit und Nachdenklichkeit – der Spiegel begann zu flirren, wie Licht über einer sommerheißen Wiese, verwandelte sich für zeitlose Augenblicke in flatternde Falter, die schwermütig und doch glücksberauscht ins hohe Blau, der Sonne entgegen in den heißen Tod taumeln.

Bitterkeit! Enttäuschung – Nein! Abschied?

ORPHEE

abschied? wie darf ich das verstehen? möchtest du nicht mehr mit mir kommunizieren, nur weil ich dich gebeten habe, deine maske kurz zu lüften? deine mittelmäßigkeit, wie du sie dir selbst unterstellst, zu bewundern? obwohl mir deine weigerung dich zu outen bereits grenzwertig unterdurchschnittlich erscheint. was verlange ich so entsetzliches von dir? olivia

Also gut: Biografie: ’45 geboren, Studium der Rechtswissenschaften, heute leitende Position in einem internationalen Großkonzern (Finanzen). Frühe autodidaktische Zeichnungen und Malerei, später, studienbegleitend, etwas professionelle Ausbildung, aber immer autodidaktisch dillettierend. Vor einigen Jahren die erste Ausstellung, Erfolg, dann etwas eitel geworden, aber bald doch den Entschluss fassend, keine weiteren Ausstellungen anzustreben. Bilder sind und bleiben für mich persönliche „visuelle Tagebücher“. Verknüpfung von realer Sinnlichkeit und Bildgestaltung, Frauen liebend – reife und naive, zärtliche und geile. Manche Bilder tendieren konventionell betrachtet stark ins Pornografische (Anschauungssache – Pornografie degradiert die Frau/den Mann, ich verzaubere sie in Zuständen ihrer, auch sehr ungewöhnlichen, vielleicht daher wirklich befreiten Lust). Frauen sind der dunkel-süße Wein meines Lebens.

Daher verschuldet: Seit mehreren Jahren geschieden, zur Zeit in einer „Beziehung“ lebend. Zwei, mir sehr liebe (wie deine) noch etwas pubertierende Kinder – einen Sohn und eine Tochter (fast) erwachsenen Alters. Große anhaltende Sorgen um den Gesundheitszustand meiner Tochter (… Sterbendes Mädchen). Nun weißt du ein wenig von mir, die Maske ist etwas verschoben und gibt ein hässliches und schönes Gesicht preis. Der Tanz ist getanzt, von fern grollt ein Gewitter heran. Es ist Zeit zu gehen.

Adieu

ORPHEE

Wie vom Blitz getroffen lese ich diese Zeilen: Die Biografie ähnelt mit ganz geringen Ausnahmen der meines geschiedenen Mannes. Tappe ich etwa schon wieder in die gleiche Falle?

deinen letzten satz verstehe ich nicht ganz. es ist zeit zu gehen? adieu? wohin willst du jetzt gehen? soll heißen, du willst nichts mehr von mir hören oder lesen? der tanz ist getanzt? spielt denn die kapelle nicht weiter, nur weil du ein minimum von dir preisgegeben hast? versteh ich nur dich nicht oder versteh ich nichts mehr? bitte erklär mir jetzt oder irgendwann deine verstimmung. ihr männer seid alle irgendwie gleich: kaum kommt nähe auf zu einer frau, seid ihr schon dahin, weil ihr die Nähe nicht aushalten könnt. und ich dachte schon: endlich einer, der durchhält … aber wenn du dich dazu entscheiden solltest, mir nicht mehr zu antworten – aus welchen gründen immer – du sollst wissen: deine texte und deine bilder würden mir sehr fehlen! o

Was macht dich so schroff, wenn ich das Sinnliche meiner Träume an dir beschreibe, und was macht dich so sanft und stark, Brüche nicht entstehen zu lassen und in eleganter süßer Geste mich emporzuheben, dass mir schwindelt? Ist es die uralte weibliche Weise hinauszuzögern, das Warten zu verzaubern – die „Wartende“ steht zu mir abgewendet und doch sind ein Locken und das Versprechen einer wunderschönen Erfüllung in ihrer Haltung angelegt. Diese Ambivalenz deines Bildes und deiner selbst ist mir das Unbekannte, das noch nicht Erschlossene. Du scheinst in dir die Bürgerin und Kurtisane zu vereinigen.

ORPHEE

also – eines hast du sicher schon bemerkt – dass es nicht meinem wesen entspricht warten als angenehmen zauber zu betrachten. meine größte, die allergrößte meiner schwächen ist die ungeduld, die zweitgrößte der neid. meine stärke ist sicher, psychische erregtheit abzuwiegeln, beziehungen nicht einfach hinzuwerfen, wenn irgendetwas nicht passt. meistens gibt es irgendwo noch einen weg, den zu finden es sich sehr oft lohnt (manchmal auch nicht). schließlich fühle ich mich weder als bürgerin noch als kurtisane so richtig wohl. o

aber noch etwas drängt es mich, zu sagen: ich hasse smalltalk, sowohl prosaisch als auch lyrisch. und meine schroffheit von vorhin liegt darin begründet, dass ich schon sehr viel – oberflächliches und tiefes – von mir preisgegeben zu haben glaube, an einen menschen, der mich gewollt oder ungewollt so wenig ernst nimmt, dass er mir seine identität nicht verraten will. hast du vor irgendetwas angst? natürlich ist es um vieles leichter in poetischer form um den heißen brei herumzureden, ich genieße auch deine poesie, aber irgendwie scheint mir der zeitpunkt zu kommen, zumindest die eine oder andere karte aufzudecken. o

Liebe, mich verzaubernde O, eines noch zur Erklärung (vielleicht Hoffnung) nachgereicht: Ich habe mich und wahrscheinlich auch dich „betrogen“, im sich steigernden Wunsch nach jedem Brief, eine rauschvolle „liaison erotique“ zu dir beginnen und steigernd halten zu können. Einen glutvollen Liebessommer sinnlich, die Erregung und die Begehrlichkeit zueinander in hoch und höher steigernder Weise bis zur Erfüllung auszukosten. Sich im anderen zu spiegeln, die zärtlichste Nuance im erregenden Spiel der Fantasie immer neu und neu auszuschmücken und immer wieder darin einen anderen Rosengarten der unendlichen Sehnsucht zu entdecken. Frei sein von Sinn und Zweck und Aufgabe, von Banalität und Gemeinheit – auf das freie Meer hinaussegeln, ohne Ziel, trunken am Leib und von der Zärtlichkeit der Geliebten. Stark und groß in den Lenden und erbebend an deinen Brüsten, deine Blicke tief in den meinen versenkt. Und dann vielleicht (oder auch besser nicht), wenn unsere Briefe, unsere Bilder sich nicht mehr zu steigern vermögen und keine Raffinesse die süße Gier zueinander sublim zu ersetzen vermag – dann mag der Tag sein, an dem wir aus dem virtuellen Spiegel heraustreten und in einer Nacht aller Nächte die Vergangenheit vergessen und die Stunden bis zum Morgen und zum Abschied liebend und liebend feiern.

Das waren, sind meine Träume – das ist meine „Maske“. Aber an dir glaube ich von einer Frau zu erfahren, dass die Begegnung auf hohem Gespräch, in filigranster Erotik, immer auch, wie du selbst feststellst, seelische Schichten nicht unberührt lässt. Weil ich dich nicht, auch nicht ungewollt, verletzen wollte, habe ich vielleicht zu spät meine Maske abgenommen.

Ich weiß nicht, ob du einen Traum so leben, lieben kannst, wie ich ihn dir skizziert habe. Es ist ein wundervoller Tanz, wenn beide Tänzer sich frei und virtuos darauf einlassen, wohl der Gefahr bewusst, aber die Schönheit und den Reichtum einer solchen „liaison erotique“, die alle Lebensbereiche intensiver gestaltet, höher schätzend.

ORPHEE

PS. Verzeih mir noch eine Frage: Du attraktive, schöne Frau, stark, kreativ und so reich an ausdrucksfähiger Sensibilität – ohne Partner? Mein Geschlecht tut sich sicher schwer mit einer Frau deines Niveaus und deiner Erwartung, aber das allein scheint mir noch keine Erklärung.

ich habe absolut nichts an deinem ansinnen auszusetzen – verzeih mir bitte meine neugier nach deiner person, du musst wissen, im gegenteil zu dir kann ich das miteinander mehr genießen, wenn ich ungefähr weiß, wer hinter der maske gegenüber steckt. die daten, die du mir „geliefert“ hast, waren eigentlich ohnedies nur eine bestätigung all dessen, was ich bisher bereits vermutet hatte. interessanterweise gehst du derselben profession nach wie mein geschiedener mann, auch die anzahl und das alter unserer kinder sind gleich. ich hoffe jedoch, dass deine tochter nicht ganz so kränkelt wie meine. irgendwie, in all unseren gegenseitig geschriebenen briefen, habe ich mich – so eigenartig dies klingen mag – fast ein bisschen in dich verliebt – virtuell natürlich. und es täte mir leid – ja ich empfände richtiggehenden liebeskummer, der für mich neben existenzangst zu den am schwersten zu ertragenden schmerzen zählt –, wenn wir unsere virtuelle freundschaft nicht fortsetzen könnten. zu deinem ps: das haben mich schon viele männer gefragt – und genau daran wird es liegen – wahrscheinlich stelle ich zu hohe ansprüche an eine beziehung. ich habe (noch) keinen gefunden, der im stande bzw. willens gewesen wäre, in seele, geist und körper mit mir zu harmonieren, und diejenigen, die es wagen wollten, waren 10 bis 15 jahre jünger als ich. und wenn man im leben nicht annähernd am gleichen punkt angekommen ist (familie bereits gelebt o. ä. ), hat eine beziehung auch keine große chance. aber ich würde mich sehr freuen, wenn du bereit wärst, unsere virtuelle beziehung fortzusetzen. o

Um Gottes willen! Worauf lass ich mich da ein? Ein Spielchen nur, ein virtuelles, um mein langweiliges trautes Glück ein klein wenig aufzubessern? Ja, ein Spiel, eine willkommene Abwechslung in der gräulich trüben Suppe meines Lebens nach meiner „glücklichen“ Ehe, denn schon bei meiner Hochzeit vor dem mir heute kaum mehr verständlichen mit ins Vertrauen gezogenen Traualtar war mir mehr zum Davonlaufen als zum Ringewechseln zumute.

ich habe deinen letzten brief ein zweites (und sicher nicht zum letzten) mal gelesen. ich muss gestehen, dass es mir an jeglicher erfahrung in virtuellen liebesdingen fehlt und dass ich für uns beide befürchte – obgleich die freude darauf riesengroß ist –, dass die sehnsucht nach leiblicher erfüllung weder bei dir noch bei mir gänzlich auszuschalten sein wird. mit einer tatsache hast du leider oder gott sei dank recht: die meisten frauen, auch ich, vermögen ihre gefühle in erotischen beziehungen nicht abzuschalten. ich weiß auch gar nicht, ob das wünschenswert wäre. denn ohne gefühl hat auch jede erotik ihren reiz, ja sogar sinn verloren. ich freue mich auf deinen nächsten brief. o

Ich möchte mit dir eine glühende Liebesnacht feiern – jetzt.

ORPHEE

und was hindert dich daran? o

eines aber möchte ich dich fragen, während die tränen in bächen über meine wangen strömen, etwas, was mich heiß interessiert, und ich bitte dich, mir zwischen deinen faszinierenden wollüstigen texten darauf – so gut du kannst – zu antworten: was sende ich aus, was habe ich in meiner aura, was männer so sehr dazu verführt, mich nicht als ganzheitliches weibliches wesen mit hirn, herz und sexualität zu erfassen und zu akzeptieren, sondern nur auf meinen unterleib reduziert erleben zu wollen? wenn du mir das erklären könntest, wüsstest du auch gleich, warum ich keinen partner finde. hat geist bei frauen keinen marktwert? sind denn nur geilheit einerseits und geschlechtslose hirnwichserei anderseits gefragt? o

Es ist nicht an dir, nicht deine wundervolle Weise, so wie ich sie erfahre – nicht das Hohe muss sich dem Niederen beugen – es ist (leider) mein Geschlecht, in langen und langen Zeiten schwach geworden gegenüber den Frauen, und in der Schwäche gemein und ordinär, gewalttätig und dumpf. Nicht oder nur wenig bereit sich selbst umfassend im anderen Geschlecht zu suchen und zu erfahren, sondern wie ein blinder Spiegel nur die Verzerrungen der eigenen, dummen, hilflosen und zugleich brutalen Geilheit wahrnehmend.

 

Ich sage das bitter und bedauernd, weil ich stolz Mann bin und doch die Größe wie die Banalität von Männern als ambivalente Wahrheit zur Kenntnis nehmen muss. Oft verbirgt sich in der „Schwanz-Kultur“ eine unendliche Leere und gegenüber geistig-seelisch klug und reif entwickelten Frauen ein selten bewusstes Unterlegenheitsgefühl, das durch Kraftmeierei und obszöne Erniedrigung nur platt verdrängt wird.

Aber bitte vergiss nicht wegzuschauen und differenziere auch bei deinem Geschlecht, das nicht selten sich gern als „Unterleib“ anbietet, und das sind am wenigsten die Nutten, diese liebessehnsüchtigen, ausgebeuteten Frauen.

Wie un- und missverständlich, wie wenig klar muss ich dir geschrieben haben, dass du glaubst, meine heiße, ganz auf dich gerichtete Begierde und sehnsüchtige Lust wollen sich nur auf den faden onanistischen „Genuss“ der Beschreibung eines virtuellen Aktes beschränken.

Ich glühe, lodere in Flammenstürmen auf, will dich nehmen, haben, lustvoll tragen, verzaubern, dich verschwenderisch heiß überschwemmen, dir Worte und Atem rauben, dich öffnen und mit meinem Geschlecht rasend erfüllen und dich heben, heben in Höhen zu deinen Schreien und will in meinen Armen deine süße Mattigkeit erfahren. Dann will ich nochmal und nochmal dir alles zärtlich rauben, Traum und Wirklichkeit verwischend.

Komm, schenk mir das Beben deiner Lippen, sei mir nah und verbrenne mich – komm, verschränke deine Arme hinterm blonden Haar, zurückgebogen, und öffne halb den Mund für meine Küsse, die wandernd deine Brüste suchen, und sag mir atemlos von deiner Lust in Blick und leisem Wort. Virtuell ist nicht genug.

ORPHEE

Ich weiß nicht, ob ich mich noch normal oder der Realität des Lebens entrückt fühlen soll. Mir gefällt dieser Flirt, ich genieße ihn, könnte stunden- und tagelang mit diesem Mann kommunizieren. Was ist los mit mir? Was mich jedoch am meisten plagt, ist die Sorge: Wie offen kann ich mit ihm reden? Ist er offen zu mir? Nicht wirklich. Ich will es jedoch so sehen, als ob er es wäre.

Erinnerungen an meine Jugendzeit drängen sich zwischen Gedanken und Lust. Natürlich hatte ich als junges Mädchen vor meinen Ehejahren immer wieder einen Freund gehabt – so genannte „Verehrer“, natürlich war es auch zu Knutschereien gekommen, zu stöhnenden Zweikämpfen zwischen Boden und Bett. Immer wieder hatten Schüler- oder Studentenhände sich in mein Höschen verirrt und viele Male hatte ich gegen ein sich zwischen meine Schenkel drängendes Knie gekämpft. Doch alle energischen Versuche aufkeimender Lust wurden erfolgreich spätestens dann gestoppt, wenn die zitternden und bebenden Finger meines erotischen Widerparts sich in Richtung seiner eigenen Hosenknöpfe bewegten um die Eröffnung des eigentlichen „Aktes“ anzudrohen. Das Ende der erotischen Verführung war stets zugleich der Beginn bissiger Streitereien, geraufter Haare, zerrissener Strümpfe und von Kampfschweiß und Tränen zerronnener Wimperntusche. „Dazu“ war es nie gekommen – das durfte einfach nicht sein! Das gehörte sich einfach nicht! Nie konnte ich verstehen, wie Frauen so triebhaft sein konnten wie Männer und jetzt … Ich mache weiter.

Heute am frühen Morgen – nach einer drückend schwülen Nacht, ein kurzes, aber heftiges und sich mit einem prallen Regenguss entladendes Sommergewitter. Ich bin noch traumschläfrig und doch ganz erregt und wollüstig erwacht. Steif und hochgerichtet in meiner Lust gehe ich nackt, die Fenster zu schließen. Der strömende Regen, die zuckend grellen Blitze, mein bei jedem Schritt sich lustvoller wiegendes Geschlecht – meine Gedanken und Träume und meine sinnliche Lust strömen zu dir. Ich berühre mich …

… und will zugleich dir schreiben und dich einbeziehen. Ein Bild steigt in mir auf: das züngelnd bebende Gewitter als Liebesakt. Ich küsse deinen schlafsanften, mir sich öffnenden Schoß.

ORPHEE

a alias orpheus! ich bin von tiefer traurigkeit ergriffen, erfahrend, dass es nicht der virtuelle liebesakt ist, dem ich sehnsuchtsvoll entgegenbebe. ich würde es real erleben wollen – unbescheiden, maßlos begehrend, wie ich bin. ich möchte deine lippen körperlich spüren, spüren, wie deine hände über meinen erregten körper gleiten, hemmungslos und heiß geliebt auf dem boden oder sonst wo liegen, es deinen bildern gleich tun, zügellos und ungebremst verpönte dinge tun – nicht virtuell! ist virtuelle liebschaft nicht ungemein gefährlich? sie bringt flammen zum lodern und kann sie doch nicht kontrollieren, nicht bezwingen, nicht bezähmen (da hilft kein andrer mann, kein dildo, keine fantasie). wie gelange ich zu der von dir beschriebenen „süßen mattigkeit“, die du mit mir, mich in sanften händen wiegend, genießen möchtest? noch dazu, verdammt noch mal, gefällst du mir – bin ich total verrückt geworden? soll ich es zulassen, mich virtuell aus dem gleichgewicht bringen zu lassen? nein, virtuell ist nicht genug! bevor ich dir einen angenehmen abend und eine gute nacht wünsche, erlaube mir noch einige bemerkungen und verzeih mir bitte, dass ich meine briefe nicht als geschlossene einheit, sondern als kunterbunt gemusterten fleckerlteppich (ich glaube, ihr sagt flickenteppich dazu) gestalte – gerade so, wie die gedanken fließen. warum schaffen es gut aussehende, kreative, mit farb- und fantasiereichtum und bildung ausgestattete männer nicht, ihre beziehungen glücklich zu gestalten? und zum zweiten fällt mir auf, dass im gegensatz zu deinen virtuos gestalteten farbintensiven bildern die textierten darstellungen deiner person immer schwarz-weiß sind. und ich wühle schon wieder im psychischen sumpf – ist das eine kontrastreiche selbstdarstellung oder wieder ein teil einer maske von dir? keine angst, ich nehm dir keine maske mehr weg. träume von unserer zärtlichen begegnung. o

Seltsame Ängstlichkeit: Ich erinnere mich an die Angst, die mich pack te, nachdem ich eines schönen Tages entgegen der klösterlichen Hausordnung mit meiner Freundin über den Schulkorridor gelaufen bin. Wir hatten Hausschuhe aus Filz an den Füßen, sodass wir Anlauf nehmen konnten, um im vollen Schwung der Bewegung die letzten Meter auf den Filzsohlen dahinzugleiten. Wie zwei tief in einem Kanonenrohr liegende Kugeln hinter buschigen kohlschwarzen Augenbrauen trafen mich unversehens die Blicke der „Gangschwester“, die uns griesgrämig augenblicklich in ihren Bann zog. Zwei weiße, wie eine Froschzunge im Fang unter der schwarzen Kutte hervorschnellende Hände erfassten uns und führten uns geradewegs zur Schwester Direktorin. Selten zuvor hatten meine Knie so vor Angst geschlottert – hatten wir doch sündhafterweise gegen das Laufverbot im Stiegenhaus verstoßen!

Ich war für einige Zeit außer Haus und finde jetzt beglückt einen lieben Strauß von Briefen von dir vor.

Ich küsse dich, unsichtbar für die Menschen deiner Umgebung, lege meine Hand in deinen Schoß und wecke sanft und frivol die pelzige Tigerin zur leidenschaftlichsten Lust.

A.

Wunderbar verfremdet sind die Porträts, eigentlich sind die Gesichtszüge nicht wirklich erkennbar, dennoch täuscht das Gesamtbild gekonnt darüber hinweg. Irgendwie ähnelt er meinem geschiedenen Mann in Umriss und Statur – soweit man das überhaupt feststellen kann. Aber warte, du Lustmolch, – weiß der Kuckuck, was mich dazu veranlasst, den erotisch-virtuellen Briefkontakt mit dir aufrechtzuerhalten – aber jetzt spring ich einmal richtig an – vielleicht hast du dann genug von mir.

guten morgen! sex am morgen nimmt kummer und sorgen. ich liebe liebesakte gleich nach dem aufwachen. lass mich meinen körper an deinen drücken und meinen mund dich zärtlich berühren, meine lippen und meine zunge deinen körper sanft erforschen, vom scheitel langsam hinabgleitend bis zum empfindsamsten punkt deiner männlichkeit. (wir verwenden kein kondom, oder? familie gründen will ich sowieso nicht mehr und aids hab ich auch nicht. ) ich spüre genau wie du, wie alles in unseren körpern pulsiert und schreit, es endlich geschehen zu lassen. ich bitte dich, unsere morgendliche intimbegegnung zu ende zu formulieren. o