CLIL in der Fächerfusion Englisch und Bildnerisches Gestalten in heterogenen Primarschulklassen

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2.5.9 Kreativität

Es gibt Hinweise, dass Mehrsprachigkeit eine positive Wirkung auf Kreativität hat. Das volle Potential gilt es zwar noch genauer zu erforschen, jedoch zeigt eine europaweite Untersuchung, dass mehrsprachige gegenüber monolingualen Personen in verschiedensten Bereichen überlegen sind (Marsh & Hill 2009, S. 23). Mehrsprachige Personen sind dank ihren verschiedenen Sprachkenntnissen in der Lage die Welt durch verschiedene Linsen zu betrachten. Diese Fähigkeit des mehrperspektivischen Betrachtens von Sachverhalten und somit ein Verlinken von vermeintlich unzusammenhängenden Kategorien durch divergentes Denken werden als ein Indiz für eine erhöhte Kreativität betrachtet (Marsh & Hill 2009, S. 5–6). Im CLIL-Unterricht treffen Kreativität, ein grundlegendes Anliegen des Faches BG (D-EDK 2014 BG, Didaktische Hinweise) und Mehrsprachigkeit, aufgrund der Anwesenheit einer weiteren Sprache, aufeinander. Der bilinguale BG-Unterricht könnte die Lernenden folglich dazu anregen vermehrt abstrakt und originell zu denken. Dieser potentielle positive Effekt der Fremdsprache Englisch auf die Kreativität könnte somit im CLIL-Unterricht erfolgsversprechend ausgeschöpft werden.

2.5.10 Überschneidende Qualitätsmerkmale von Lernaufgaben

In verschiedenster Hinsicht wurde bislang dargelegt, dass sich die Fusion dieser beiden Fächer für den CLIL-Unterricht deshalb eignet, weil sie auf übereinstimmenden methodisch-didaktischen Prinzipien basieren oder ähnliche unterrichtliche Gelingensbedingungen teilen. Solche überschneidenden Merkmale lassen sich ebenfalls mit Blick auf die Anforderungen an ‘gute’ Lernaufgaben erkennen. Im BG gelten Lernaufgaben als relevant und bedeutsam, wenn sie von den Lernenden eine eigenständige, neugierige und kreative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand initiieren und gleichzeitig die Bildsprache fördern (D-EDK 2014, Bildnerisches Gestalten, Didaktische Hinweise). Im Fremdsprachenbereich gilt Ähnliches: Die Lernenden sollen die sprachlichen Fertigkeiten in möglichst authentischen Situationen beim Bewältigen von kommunikativen Lernaufgaben anwenden. Die Basis dafür bilden relevante Inhalte und Sachthemen mit hohem Lebensweltbezug (D-EDK 2014 Sprachen, Didaktische Hinweise). Der moderne Fremdsprachenunterricht geht, wie bereits erwähnt, über den kommunikativen Ansatz hinaus und plädiert vermehrt für einen handlungsorientierten Ansatz, damit das fremdsprachliche Lernen gerade im Hier und Jetzt aufgabenorientiert angewendet werden kann (Chesini & Klee 2017, S. 1). Es geht somit in beiden Fachbereichen – wie es die vermehrte Kompetenzorientierung verlangt – um die Umsetzung des Gelernten unter Anwendung der nötigen rezeptiven und produktiven (Bild-)Sprache. Dass die Fächer BG und Englisch beim Bewältigen von Lernaufgaben eine Anzahl von gleichen Zielen verfolgen, konnte hier aufgezeigt werden. Wie diese gemeinsamen Charakteristiken von geeigneten Lernaufgaben im CLIL-Unterricht konkret zusammengeführt werden, wird im Kapitel 3.5 genauer erläutert.

2.6 Zwischenfazit und empirieorientierte Überlegungen

In diesem Kapitel wurde auf vielfältige Weise aufgezeigt, dass CLIL in der Fächerfusion Englisch und BG für die heterogene Primarstufe mit Sprachanfängern ein vielversprechendes Unterrichtssetting darstellt, in welchem fremdsprachliches und sachfachliches Lernen gleichermassen gelingen kann. Ferner können mit der Fusion der beiden Fächer weitere zentrale Anliegen des kompetenzorientierten Lernens im 21. Jahrhundert gefördert werden, wie die Auseinandersetzung mit den Themen inter-kultureller Kompetenzen, Bildkompetenz (visual literacy), Medienkompetenz und Kreativität offenlegte.

Gleichzeitig konnte aufgezeigt werden, dass in diesem Zusammenhang für den Schweizer Primarschulkontext ein beachtliches Forschungsdesiderat besteht. Tatsächlich liegen noch keine empirischen Untersuchungen im Zusammenhang mit der Umsetzung einer echten Fächerfusion (vgl. Abbildung 1, CLIL-Variante C) vor, weder für die Schweizer Primarstufe allgemein noch für den spezifischen bilingualen BG-Unterricht. Es ist jedoch genau die CLIL-Variante C in Kombination mit diesen beiden Fächern, die ein hohes Potential auszuweisen scheint, um das im Lehrplan 21 vorgeschlagene bilingualen Lernen als Ergänzung zum herkömmlichen Englischunterricht umzusetzen. Die bisherige Auseinandersetzung hat aufgezeigt, dass in beiden Fächern Kommunikation ein zentrales Anliegen ist. Beide sind dabei auf Sprache – sei es auf die verbale oder bildliche – angewiesen. Die Fusion der beiden Fächer ermöglicht es, die gewünschte und gewinnbringende Symbiose des Einbezugs von Fremd- und Bildsprache im CLIL-Unterricht bedeutsam zu nutzen. Wie bereits andere Studien aus Deutschland zeigen, gelingt es dank dem anschaulichen und handlungsorientierten Fach BG den Einstieg ins bilinguale Lernen selbst Sprachanfängern zu ermöglichen und dabei allfällige fremdsprachliche Hürden zu überwinden.

Im Sinne einer Good Practice-Studie soll die vorliegende Untersuchung deshalb wertvolle Einsichten generieren, wie diese Art von CLIL-Unterricht modulartig auf der heterogenen Primarstufe bestmöglich umgesetzt werden kann. Ziel ist es, ein geeignetes unterrichtliches Angebot mit hohem Lernpotential zu schaffen, auf das sich die verschiedenen Lernenden für ihr duales Lernen einlassen. Von grossem Interesse ist demnach in Erfahrung zu bringen, ob sich die in diesem Hauptkapitel dargestellten mehrheitlich positiven Befunde im Zusammenhang mit dem Lernen im bilingualen Unterricht auch in der geplanten empirischen Umsetzung bewahrheiten. Insgesamt steht jedoch nicht der Kompetenzzuwachs in den verschiedenen CLIL-Lernbereichen (Fremdsprache, Sachfachinhalte, kulturelles Lernen) im Vordergrund. Dieser liessen sich in diesen sporadisch angesiedelten CLIL-Modulen schlecht nachweisen. Stattdessen soll erforscht werden, wie CLIL-Module in diesem Setting als erfolgsversprechendes Unterrichtsangebot aufbereitet werden können und wie diese schliesslich von den unterschiedlichen Primarschullernenden genutzt werden. Daraus lassen sich dann zusammenfassend Chancen und Herausforderungen für diese Unterrichtspraxis ableiten.

Der Anspruch an Good Practice, die im Lehrplan 21 geforderte Kompetenzorientierung und der konsequente Fokus auf die heterogenen Lernenden stellen hohe Ansprüche an die Umsetzung dieser CLIL-Module. Das nachfolgende dritte Hauptkapitel befasst sich deshalb mit den relevanten methodisch-didaktischen Ansätzen, die es bei der Implementierung von solchen bilingualen Modulen zu beachten gilt. Die vertiefte Auseinandersetzung mit einer passenden CLIL-Didaktik wird schliesslich dazu verhelfen, die hier begonnene aber noch nicht abgeschlossene Darlegung des Forschungsdesiderats fortzuführen.

3 Methodisch-didaktische Ansätze im heterogenen CLIL-Unterricht

Dieses Hauptkapitel widmet sich unterschiedlichen methodisch-didaktischen Themen. Gerade weil es sich bei dieser vorliegenden Untersuchung um ein fachübergreifendes Projekt handelt, ist es bedeutsam, die damit verbundenen verschiedenen didaktischen Ansätze darzulegen. Als erstes wird deshalb das Grundlegende sozial-konstruktivistische Lehr-Lernverständnis und dessen Eignung für vorliegende Untersuchung dargestellt. Darauf aufbauend werden anschliessend wichtige Aspekte einer CLIL-Didaktik aufgezeigt. Dies gelingt am besten, entlang eines konkreten Modells, weshalb in einem nächsten Schritt das einflussreiche 4Cs framework mit seinen vier Facetten content, communication, cognition und culture ausführlich vorgestellt werden. Lernaufgaben als kleinstes didaktisches Element im Unterricht bilden anschliessend einen nächsten umfassenden Themenblock in diesem Hauptkapitel. Zuerst wird dabei das Interesse für die erhöhte Aufgabenorientierung im Unterricht allgemein ergründet, um schliesslich den Fokus erneut auf die Fächerfusion Englisch und BG zu richten. Schliesslich werden relevante Qualitätsmerkmale von Lernaufgaben spezifisch für diesen CLIL-Kontext mehrperspektivisch vorgestellt. Da Lernaufgaben alleine keinen guten Unterricht ausmachen, wird das Augenmerk abschliessend auf die Lernbegleitung gerichtet. Aufgrund des Forschungsinteresses der vorliegenden Untersuchung für CLIL-Unterricht auf der heterogenen Primarstufe, ist eine intensive Auseinandersetzung mit möglichen Scaffolding unumgänglich. Das Hauptkapitel schliesst mit einem Fazit mit konkreten Erkenntnissen für die Umsetzung des spezifischen CLIL-Unterrichts und legt das Forschungsdesiderat abschliessend dar.

3.1 Grundlegendes Lehr-Lernverständnis

Auch wenn die Fachdidaktiken an Selbstständigkeit gewonnen haben (Terhart 2009, S. 13) und inzwischen als eigenständige Disziplin anerkannt sind, trägt die allgemeine Didaktik dazu bei, ein fächerübergreifendes Konzept von Lernen zu etablieren (vgl. Meyer & Meyer 2009). Deshalb wird an dieser Stelle ein kurzer Exkurs in die Erziehungswissenschaft gemacht, um das Lehr-Lernverständnis zu definieren das dieser Arbeit zugrunde liegt.

Lernen im Zeitalter der Kompetenzorientierung bedeutet nicht nur tiefverstandenes Wissen zu erlangen, sondern beinhaltet ebenfalls situativ passendes Können aktiv zu nutzen (Baer 2016, S. 39). Um kompetent Handeln zu können, müssen sich Lernende dieses Wissen und Können aktiv konstruieren. Der Begriff ‘Konstruktivismus’ hat in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an Beachtung gewonnen (Diesbergen 2012, S. 46). Trotz teils uneinheitlichen Definitionen wird beim Konstruktivismus Lernen als ein aktiver Prozess angesehen, bei dem die Hauptakteure eigenaktiv handelnd ihr Wissen basierend auf subjektiven Konstruktionsleistungen erschliessen (Diesbergen 2012, S. 54). Dabei geht es weniger, wie oft fälschlicherweise angenommen, um das Selber-Entdecken von Inhalten, sondern um deren inneren Nachvollzug durch ein «Sich-Einlassen» zum Beispiel beim aktiven Zuhören von Erklärungen, beim Lesen von Texten, beim mitdenkenden Beobachten, beim Problemlösen oder beim Bearbeiten von Lernaufträgen (Reusser 2016, S. 45). Wie bei jeder Theorie gibt es auch beim Konstruktivismus verschiedene Ausprägungsformen und Sichtweisen. Das breite Gebiet des Konstruktivismus wird deshalb oft in zwei Stränge unterteilt, zum einen in den individuellen Konstruktivismus und zum anderen in den sozialen Konstruktivismus (Woolfolk 2015, S. 399).

 

Der erste Strang, mit seinem prominenten Vertreter Jean Piaget, beschäftigt sich, wie individuelles Wissen durch Einwirkungen der Umwelt konstruiert und organsiert wird (Woolfolk 2015, S. 400). Gemäss Piaget ist die Intelligenz in der Lage die Austauschprozesse zwischen den Subjekten und Objekten in ihrer Umwelt konstruktiv zu strukturieren. Dies geschieht entweder durch eine Anpassung der Objekte an das Subjekt (Assimilation), oder durch die Veränderung des Subjekts an die äusseren Umständen (Akkommodation) (Piaget 1948, S. 206–9). Konkret bedeutet das, dass für die Bewältigung einer intellektuellen oder praktischen (Problem-)Situation die entsprechenden mentalen Schemata mobilisiert und die Einflüsse aus der Umwelt in die bestehenden Assimilationsschemata integriert werden. Reichen die verfügbaren Assimilationsschemata nicht aus und liegt somit ein kognitiver Konflikt vor, wird es unumgänglich die vorhandenen Schemata zu erweitern oder zu differenzieren. Dieser Prozess der Akkommodation, welcher die strukturelle Veränderung der Schemata bedeutet, bildet die Grundlage des Verstehens, des Erweitern des Wissens und somit des Lernens (Baer 2016, S. 41).

Der zweite Strang, der Sozial-Konstruktivismus, wurde von Lew Vygotskys Theorie stark geprägt. Auch er interessiert sich für die individuelle Entwicklung des Lernens als interner Prozess, jedoch geschieht dieser für ihn massgeblich in sozialen Interaktionen, welche in kulturelle Kontexte eingebettet sind (Woolfolk 2015, S. 400–401). Entgegen der von Piaget dargestellten Abfolge der Entwicklung des kindlichen Denkens vom Individuellen zum Sozialen, geschieht für Vyogtsky dessen Entwicklung in umgekehrter Reihenfolge. Demnach sind es anders als bei Piaget für Vygotsky nicht die inneren kognitiven Konflikte, die das Lernen ermöglichen, sondern die Prozesse ausgelöst im sozialen Austausch mit einem mehrwissenden Interaktionspartner (Hasselhorn & Gold 2013, S. 305).

Was bedeutet das nun für die Unterrichtspraxis? Konstruktivismus wird immer wieder in Verbindung mit einem Paradigmenwechsel von einem herkömmlichen, traditionellen zu einem aktiven, konstruktivistischen Verständnis von Unterricht gebracht (Diesbergen 2012, S. 46). Eine solche Gegenüberstellung von traditionellem Lernen im Sinne von Instruktion, Darbieten und Erklären versus fortschrittliches, konstruktivistisches Lernen ist jedoch etwas zu vereinfacht dargestellt, weil hier die Ebenen von Lerntheorie und Didaktik vermischt werden (Diesbergen 2012, S. 51). Hattie (2009, S. 243) verdeutlicht diese Problematik mit den folgenden Worten: «Constructivism is a form of knowing and not a form of teaching, and it’s important not to confuse constructing conceptual knowledge with the current fad of constructivism.» Auch Reusser (2016, S. 45) stört sich an dieser Vermischung von lernpsychologischer und didaktischer Ebene. Konstruktivistisches Lernen bezieht sich auf die Tiefenstruktur des Unterrichts und kann mit jeglicher methodisch-didaktischer Unterrichtsform gelingen. Gedanklich bei der Sache zu sein, demnach Lernen, geschieht oft auch ohne äusserlich sichtbare Aktivität und passiert somit ebenso während des Zuhörens im lehrgesteuerten Klassenunterricht als bei selbstgesteuerten Lernphasen. Diese Tatsachen haben bereits Piaget als auch sein Schüler Hans Aebli betont, indem sie Denken als einen rein innerlichen Prozess beschreiben und diesen nicht an äusserliche, behaviorale Aktivitäten binden.

Eine direkte, systematische Ableitung von didaktischen Prinzipien basierend auf der konstruktivistischen Lernauffassung ist somit aus Sicht dieser Experten problematisch. Trotzdem wird genau immer wieder versucht und gewagt für die Unterrichtspraxis eine ‘konstruktivistische Didaktik’ zu definieren. Der nachfolgend vorgestellte Versuch eine solche hergeleitete Didaktik zu definieren, entspricht somit eher einer weitverbreiten Überzeugung, als einem theoriebasierten wissenschaftlichen Ansatz (Diesbergen 2012, S. 57). Im Zusammenhang mit einer konstruktivistische Didaktik geraten Lernaufgaben als Träger von schülerorientierten Lerngelegenheiten in den Fokus (Reusser 2016, S. 46; Diesbergen 2012, S. 46). ‘Gute’ Lernaufgaben, so gemäss einer Reihe von empirischen Untersuchungen, weisen Qualitätsmerkmale aus, die sich an die Grundideen der konstruktivistische Lern-Lehrtheorien anlehnen (Diesbergen 2012, S. 57). Solche Merkmale sind zum Beispiel die Ermöglichung einer hohen Eigenaktivität, individueller Lernzugänge, Gelegenheiten der Reflexion oder der sozialen Interaktion. Dieses letztere Qualitätsmerkmal verdeutlicht, dass im Zusammenhang mit Lernaufgaben der sozial-konstruktivistische Ansatz besonders passend erscheint1.

Ausgehend der Vorstellung, dass alles Wissen konstruiert wird und Lernen als aktiver Prozess der Ko-Konstruktion in einem sozialen Austausch verstanden wird, können Lehrpersonen das Lernen nicht erzeugen, sondern nur initiieren (Terhart 2009, S. 20). Auch wenn Lehrpersonen ihren Schüler*innen die geistigen Konstruktionsprozesse nicht abnehmen können, spielen sie trotzdem Schlüsselfiguren in der Begleitung der Lernprozesse. Denn angesichts ihres Wissensvorsprungs initiieren und modellieren sie Zugänge zu Wissen und Können (Reusser 2016, S. 46), damit die Lernenden ihren Lernprozess aktiv und selbstständig vollziehen können. Weil jedes Kind anders lernt, verläuft der Aufbau von Wissen und Können entsprechend bei jedem Lernenden individuell. Die Forderung nach Individualisierung ist somit stark vom Leitgedanken des Konstruktivismus geprägt (Criblez 2016, S. 34). Individuelles Lernen gelingt gemäss dem sozial-konstruktivistischen Verständnis mit Hilfe eines kompetenten Interaktionspartners, der durch kooperative Dialoge, geleitetes Herbeiführen oder interaktives Aushandeln den Wissensaufbau in Vygotskys ‘Zone der nächsten Entwicklung’ massgeblich unterstützt (Vygotsky 1978, S. 90). Seine sozio-kulturelle Theorie bildet deshalb die Grundlage für die individuelle Lernbegleitung, die später unter dem Namen Scaffolding bekannt wurde (Hasselhorn & Gold 2013, S. 305) und welches für die vorliegende Arbeit von eminenter Bedeutung ist (siehe Kapitel 3.6).

In diesem Abschnitt wurde aufgezeigt, dass sich in der Lehr-Lerntheorie des sozialen Konstruktivismus die dieser Arbeit zugrundeliegenden elementaren Themen wie die Relevanz von Lernaufgaben, der Anspruch nach Individualisierung und die damit verbundene Notwendigkeit von Scaffolding verorten lassen. Diese didaktischen Elemente werden in den nächsten Kapiteln genauer thematisiert. Insgesamt versuchen alle nachfolgenden Kapitel dieser hier dargestellten Gesamtsicht von Lehren und Lernen gerecht zu werden. In einem nächsten Schritt werden nun die hier erarbeiteten Grundlagen von Lehren und Lernen in den Kontext des bilingualen Lernens übergeführt.

3.2 CLIL-Didaktik

Es lohnt sich an dieser Stelle aufzuzeigen, wie sich die methodisch-didaktischen Ansätze im CLIL-Unterricht in den letzten vierzig Jahren gewandelt haben. Historisch betrachtet war der bilinguale Unterricht stets mehr von Interesse für die Fremdsprachenlehrpersonen als jener der Sachfachlehrpersonen (Vollmer 2013, S. 124). CLIL wurde in den Anfängen als erweiterter Sprachunterricht im Sinne einer Erhöhung der ‘exposure time’ betrachtet, indem zusätzlich zum Fremdsprachenunterricht in einem anderen Fachbereich Inhalte in der Zielsprache vermittelt wurden. Stark geprägt von der damaligen ‘input-based’ Sprachlerntheorie (z. B. Krashen 1987, S. 20ff), lag der Fokus in den Anfängen auf dem Beibringen von Fachtermini und auf dem Zuhören von Lehrvorträgen (Wolff 2016, S. 28–30). Diese eher einseitige Fokussierung auf die rezeptiven Sprachkompetenzen verursacht durch die hauptsächlich lehrzentrierten Unterrichtsarrangements stiess vermehrt auf Kritik, denn dies widersprach der zunehmenden Forderung nach einem modernen kommunikativen Fremdsprachenunterricht. In den Neunzigerjahren veranlasste Swains ‘output hypothesis’ (1993, S. 159) ein Umdenken in der Fremdsprachendidaktik. Seine Theorie bekräftigte, dass neben einem verständlichen Input auch der aktive Sprachgebrauch für den Erwerb einer Fremdsprache von Notwendigkeit ist. Daher versucht man seither im CLIL-Unterricht vermehrt die Inhalte des Sachfaches in die Spracharbeit zu integrieren, damit sich Lernende aktiv mit den beiden Fachinhalten auseinandersetzen können. Seit der Jahrtausendwende wird somit bilingualer Unterricht auch aus dem Blickwinkel des Sachfaches betrachtet. Denn dank den empirischen Untersuchungen in den letzten Jahren wurden auch Skeptiker überzeugt, dass CLIL nicht nur einen Mehrwert für das fremdsprachliche, sondern auch sachfachliche Lernen ausweist (siehe Kapitel 2.2). Die Sachfachinhalte stehen heutzutage immer mehr gleichberechtigt neben der Spracharbeit (Wolff 2016, S. 30–31). Folglich geht man davon aus, dass Sprache in der Anwendung gelernt wird und deshalb Sprache und Sachfach nicht trennbar sind sondern gleichzeitig gelernt und gelehrt werden müssen (Leisen 2015b, S. 225).

Welchen Einfluss diese Entwicklung auf die moderne CLIL-Didaktik hat, wird nachfolgend beleuchtet. Jedoch bereits vorweg: Die CLIL-Didaktik gibt es nicht. Stattdessen treffen im bilingualen Unterricht drei Didaktiken aufeinander: die Fachdidaktik das Sachfaches, die Fremdsprachendidaktik und die Sprachlerndidaktik (Leisen 2015a, S. 46). Während die ersten beiden Didaktiken die logische Tatsache betonen, dass die CLIL-Methodik von den jeweilig beteiligten Fächern abhängt, vertritt die Dritte den Grundsatz, dass jeder Unterricht zugleich Sprachunterricht ist. Damit ist gemeint, dass sich die Kommunikation im Alltag und die Bildungssprache im Unterricht unterscheiden. Letztere muss folglich im fachspezifischen Unterricht immer auf ‘sprachsensible’ Weise mit den Lernenden aufgebaut werden (Leisen 2017, S. 1).

Eine passende CLIL-Didaktik muss somit immer für den spezifischen Kontext erarbeitet werden – was im Umfang dieses Hauptkapitels auch erreicht werden soll. Zunächst werden jedoch zwei wesentliche methodisch-didaktische Herausforderungen mitsamt möglichen Lösungsansätzen aufgezeigt, die für die spätere Entwicklung einer passenden CLIL-Didaktik mitberücksichtigt werden müssen.

Erstens, wie bereits im Kapitel 2.2 erwähnt, gibt es Annahmen, dass der CLIL-Unterricht aus methodisch-didaktischer Sicht besonders sorgfältig geplant sowie besser strukturiert ist (Bonnet 2016, S. 42). Eine solche optimierte Didaktik wird mitunter als Grund angesehen, wieso das Lernen im CLIL-Unterricht trotz erhöhter Anforderungen gelingt. Die an Schweizer Primar- und Sekundarschulen durchgeführte Studie von Badertscher und Bieri (2009) kommt jedoch zum ernüchternden Ergebnis, dass sich die didaktische Grobstruktur der je zehn untersuchten Lektionen durchgeführt in der Schulsprache jenen zehn Lektionen durchgeführt in der Zielsprach stark ähneln. Das Lehrgespräch nimmt in allen Lektionen, unabhängig der Instruktionssprache, den grössten Anteil ein und steht in einem 2:1 Verhältnis zu den schülerzentrierten Sequenzen. Die CLIL-Lektionen geben den Schüler*innen gemäss dieser Studie gleich viel oder wenig Handlungsspielraum und Interaktionszeit wie jene non-bilingual durchgeführten Unterrichtsstunden (Badertscher & Bieri 2009, S. 123). Auch andere Untersuchungen zeigen, dass der Wechsel vom rezeptiv- und lehrorientierten Unterrichtssetting hin zu mehr lern- als auch output-orientierten CLIL-Unterricht erst ansatzweise gelingt (Dalton-Puffer 2007, S. 261; Nikula et al. 2013, S. 86). Diese Resultate lassen vermuten, dass der CLIL-Unterricht didaktisch weder innovativ geplant noch optimal durchgeführt wird. Stattdessen neigt er dazu stark lehrerzentriert zu verlaufen und gibt den Lernenden nur begrenzt Möglichkeiten eigene Sprachhandlungen auszuführen (Schwab et al. 2012, S. 8).1 In lehrzentrierten Settings sind die Lernenden im rezeptiven Bereich gefordert, zum Beispiel im Verstehen von Inputs, Texten und Lehrerfragen. Die produktiven Handlungen sind jedoch auf die Beantwortung von Lehrfragen beschränkt, welche sich oft mit einem Wort oder einer kurzen Aussage beantworten lassen (Badertscher & Bieri 2009, S. 193; Stebler & Stotz 2004, S. 21). Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Umsetzung von innovativem CLIL-Unterricht ist somit eine ausgewogene Balance von lehr-zentrierten und schüler-orientierten Lernsequenzen, in denen in gleicherweise rezeptive als auch produktive Sprachkompetenzen aufgebaut werden können. Gruppenarbeiten werden in diesem Zusammenhang als eine vielversprechende Möglichkeit angesehen, um den Lernenden vielfältige Gelegenheiten für die Sprachverwendung zu ermöglichen (vgl. Nikula et al. 2013, S. 90).

 

Zweitens, damit die angestrebte Fusion von fremdsprachlichem und inhaltlichem Lernen gelingen kann, braucht es im CLIL-Unterricht Lernumgebungen, die eine im Sinne des konstruktivistischen Lernens eine echte Auseinandersetzung mit Sprache und Inhalt zulassen. Um dabei der grossen Heterogenität gerecht zu werden, müssten diese Lernmomente differenziert und eigenaktiv vollzogen werden können. Jedoch ist insbesondere mit Sprachanfängern auf der Primarstufe die Durchführung von konstruktivistisch geprägten, eigenständigen Unterrichtsformaten besonders anspruchsvoll. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass die Lernenden zuerst die nötigen fremdsprachlichen Grundkompetenzen besitzen müssen, damit sie überhaupt selbstständig handeln können. Weiter lassen sich die fremdsprachlichen Anforderungen bei schülerzentrierten Unterrichtsformen deutlich weniger genau vorhersagen und somit fremdsprachlich unterstützen (Thürmann 2010, S. 73). Bei Untersuchungen von CLIL-Unterricht auf der Primarstufe hat sich tatsächlich herausgestellt, dass Schülerantworten teilweise bereits als chunks vorgegeben werden müssen. Sobald Fragen offener formuliert werden – was grundsätzlich wünschenswert wäre –, weichen die Lernende oft auf die Schulsprache aus (Bechler 2014, S. 175-176; Stebler & Stotz 2004, S. 22). Dieser Herausforderung kann begegnet werden, indem die Lernenden zuerst mit den nötigen fremdsprachlichen Wörtern oder Strukturen vertraut gemacht werden und sie diese dann in vielfältiger Weise üben und anwenden können.

Diese beiden hier aufgezeigten Herausforderungen verbunden mit bilingualem Unterricht auf der Primarstufe müssen bei der Erarbeitung einer passenden CLIL-Didaktik beachtet werden. Demnach sollen bereits auf didaktisch-methodischer Ebene die bislang dargelegten Gelingensbedingungen für die Umsetzung des gewünschten sozial-konstruktivistischen CLIL-Unterrichts – das heisst die Bereitstellung von schüler-zentrierten als auch kooperativen Lernsequenzen mit ausgewogenen Anteilen an sachfachlichen und fremdsprachlichen rezeptiven als auch produktiven Lernmöglichkeiten – berücksichtigt werden.

Die hohe Anpassungsfähigkeit von CLIL, die mitunter für den heutigen Erfolg dieses Unterrichtskonzepts verantwortlich gemacht wird, erlaubt es solche spezifischen kontextuellen Gegebenheiten in die Planung und Umsetzung einzubeziehen. Gleichzeitig, weil CLIL als umbrella term in verschiedensten Kontexten und Fächerkombinationen in unterschiedlichster Weise umgesetzt wird, kann es keine prototypische Didaktik geben (Marsh 2017, S. 9). Coyle (2007b, S. 546) beschreibt das wandelbare Wesen von CLIL folgendermassen: «Given the diversity, I would argue that such a flexible inclusive approach to CLIL is both a strength and potential weakness. The strength of CLIL focuses on integrating content and language learning in varied, dynamic and relevant learning environments (…). Its potential weakness lies in the interpretation of this ‘flexibility’ unless it is embedded in a robust contextualised framework with clear aims and projected outcomes» (Coyle 2007b, S. 546). Aus diesem Grund entwickelte Coyle (1999) ein hilfreiches Framework, das der Planung und Umsetzung von CLIL-Unterricht ein starkes Rückgrat liefert als auch eine konzeptuelle Einbettung bietet.

Das sogenannte ‘4Cs framework’ (Coyle 1999, S. 53; 2007a, S. 51) (vgl. Abbildung 4) beschreibt die Wechselwirkung von vier grundlegenden Aspekten, die in der CLIL-Praxis eng korrelieren. Es sind die Bereiche content, communication, cognition, und culture, die miteinander den CLIL-Kontext konstituieren und auf methodisch-didaktischer Ebene bei jeder Umsetzung berücksichtigt werden müssen: «In essence, the 4Cs framework suggests that it is through progression in knowledge, skills and understanding of the content, engagement in associated cognitive processing, interaction in the communicative context, the development of appropriate language knowledge and skills as well as experiencing a deepening intercultural awareness that effective CLIL takes place.» (Coyle 2007b, S. 550)

Abbildung 4:

4Cs framework (Coyle et al. 2010, 41)

Das Framework ist in der Theorie breit akzeptiert, in der Praxis weit verbreitet und adressiert die oben dargelegten Herausforderungen. Zusätzlich passt in den Rahmen dieser Untersuchung, weil es auf relevanten, empirisch begründeten Prinzipien basiert (O. Meyer 2010b, S. 12; Coyle 2007b, S. 550–51). Nachfolgend werden drei dieser Prinzipien vorgestellt, die die Daseinsberechtigung für das Framework für vorliegende Untersuchung stabil untermauern.

1) Sozialer Konstruktivismus

Lernen passiert durch aktives Konstruieren im Austausch mit anderen (Vygotsky 1978, S. 92). Die Basis für fremdsprachliches als auch inhaltliches Lernen sind kognitive Prozesse, die über (innere oder äussere) Sprache realisiert werden. «Language arises initially as a means of communication between a child and the people in his environment. Only subsequently, upon conversion to internal speech, does it come to organize the child’s thought, that is, become an internal mental function.» (Vygotsky 1978, S. 93). In Anlehnung an Vygotsky prägt Swain (2006, S. 98) den Begriff ‘languaging’ und meint damit «the process of making meaning and shaping knowledge and experience through language.» Languaging hilft somit Lernen wahrzunehmen. Sowohl Vygotsky als auch Swain verdeutlichen mit ihren Aussagen, dass sich Denken (cognition) durch die Auseinandersetzung mit einem relevanten Inhalt (content) über Sprache (communication) entwickelt.

2) Funktionaler, kommunikativer Sprachgebrauch

Sprache wird interaktiv im Kontext gelernt. «Sprachverwendung – und dies schließt auch das Lernen einer Sprache mit ein – umfasst die Handlungen von Menschen, die als Individuen und als gesellschaftlich Handelnde eine Vielzahl von Kompetenzen entwickeln, und zwar allgemeine, besonders aber kommunikative Sprachkompetenzen. Sie greifen in verschiedenen Kontexten und unter verschiedenen Bedingungen und Beschränkungen auf diese Kompetenzen zurück, wenn sie sprachliche Aktivitäten ausführen, an denen (wiederum) Sprachprozesse beteiligt sind, um Texte über bestimmte Themen aus verschiedenen Lebensbereichen (Domänen) zu produzieren und/oder zu rezipieren.» (Europarat 2001, S. 21) Die Aspekte Sprache (communication) und thematische Inhalte (content) sind somit untrennbar.

3) Interkulturelle, kommunikative Kompetenz

Die Beziehung von Kultur und Sprache ist sehr komplex. Kulturelles Lernen bedeutet nicht a priori Fakten über fremde Kulturen (ehemals Landeskunde) in den Unterricht zu bringen, sondern Lernende zu einer Interaktion mit ‘otherness’ aus dem nahen und fernen Umfeld anzuregen, um dadurch Rückschlüsse über die eigene Kultur machen zu können (Byram et al. 2001, S. 3). «…the otherness which learners meet is that of a society with a different language, they clearly need both linguistic competence and intercultural competence.» (Byram et al. 2001, S. 5). Deshalb gelingt im CLIL-Unterricht die Fusion der (inter-)kulturellem Auseinandersetzung (culture) mit fremdsprachlichem Lernen (communication) besonders gut anhand relevanter Inhalte (content).