CLIL in der Fächerfusion Englisch und Bildnerisches Gestalten in heterogenen Primarschulklassen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

3.5.4 Qualitätsmerkmal IV: Offenheit

Der Konstruktivismus betont die Vorrangigkeit der selbstständigen Denkarbeit und hohen Eigenaktivität der Lernenden. Grundlage für die Förderung solcher konstruktivistischen Lernkonzepte sind offene Aufgabenstellungen. Um eine offene Aufgabe zu definieren, eignet es sich aufzuzeigen, was sie nicht ist. Das Gegenteil einer offenen Aufgaben ist eine, die genau definierte Angaben zum Ausgangszustand und Arbeitsauftrag macht als auch eine eindeutige Lösung erfordert (Maier et al. 2014, S. 345). Die Offenheit der Lernaufgabe kann sich demnach auf drei Aspekte beziehen: auf die Aufgabenstellung selbst (Start), auf die Vielfalt der Lösungswege (Weg) oder auf das Ergebnis am Schluss (Ziel) (Blömeke et al. 2006, S. 337; Luthiger & Wildhirt 2018, S. 65). Lernaufgaben lassen sich dahingehend verschiedenartig einordnen, ob Anfangs- und Zielzustand sowie der Lernweg dazwischen jeweils vorgegeben oder offen sind. Zudem kann in Bezug auf die Lösung die Unterscheidung zwischen konvergenten Aufgaben (eine Lösung) und divergenten Aufgaben (mehrere Lösungen) vorgenommen werden. Daraus ergeben sich gemäss Maier und Kollegen (2013, S. 35–36) drei Stufen der Offenheit:


Stufen der Offenheit Beschreibung
Definierte und konvergente Lernaufgaben Aufgaben mit einem eindeutigen Auftrag, auf eine Lösung abzielend
Definierte und divergente Lernaufgaben Aufgaben mit einem eindeutigen Auftrag, jedoch mit verschiedenen möglichen Lösungen
Ungenau definierte und divergente Lernaufgaben Aufgaben mit offenem Auftrag, daher verschiedene Lösungen möglich

Abbildung 12:

Drei Stufen von Offenheit von Lernaufgaben (Maier et al., 2013, S. 35–36)

Die Offenheit von Lernaufgaben und die damit verbundene Möglichkeit der selbstständigen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand wird als Qualitätsmerkmal aus allen drei Fachbereichen gefordert: Der allgemeinen Didaktik (Blömeke et al. 2006, S. 337; Leisen 2010, S. 65; Luthiger & Wildhirt 2018, S. 65; Maier et al. 2014, S. 345; Reusser 2014b, S. 335), der Fachdidaktik BG (D-EDK 2014 BG, Didaktische Hinweise; Diethelm & Niederberger 2016, S. 293) und der Fachdidaktik Englisch (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2011, S. 64). Ein Grund für die Wichtigkeit dieses Aufgabenmerkmals liegt im Anspruch eines differenzierten Unterrichts (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 65). Offene Lernaufgaben ermöglichen unter Umständen frei wählbare Lernausgangspunkte, Lösungswege und Lernergebnisse und tragen somit der Heterogenität im Unterricht Rechnung. «Während die Lehrkraft, ohne für jedes Kind eine eigene Aufgabe zu stellen, über offene Lernaufgaben ein differenziertes Lernarrangement bieten kann, können die Schüler*innen ihren individuellen Voraussetzungen nach an diesen Aufgaben lernen und arbeiten» (Reckermann 2017, S. 226). Ein weiterer Grund für deren Anklang liegt darin, dass offene Lernaufgaben als motivierend gelten. Wenn Lernende Autonomie erfahren, in dem Sinne ein Angebot von Wahlmöglichkeiten erleben, hat das nicht nur einen positiven Einfluss auf die Lernergebnisse, sondern auch auf die Motivation (Deci & Ryan 1993, S. 236). Diesbezüglich gibt es auch kritische Stimmen, denn ein zu hohes Mass an Wahlfreiheiten kann auch zu Überforderung, Frustration und Lernabbrüchen führen (vgl. Lipowsky 2009, S. 80).

Eine eigenständige Bearbeitungsweise von Aufgaben bedingt, dass die unterschiedlichen Lernenden durch abgestufte Lernhilfen begleitet werden (Leisen 2010, S. 65). Ohne die nötige Aktivierung des Vorwissens, einen strukturierten Unterricht oder eine passende Lernbegleitung sind offene Lernaufgaben wenig lernwirksam (vgl. Lipowsky 2009, S. 79). Gerade im Fremdsprachenunterricht werden passende Unterstützungsangebote als eine elementare Bedingung für das Gelingen von offenen Lernaufgaben angesehen (Reckermann 2017, S. 205). Dies gilt insbesondere für den Fremdsprachenunterricht mit Lernanfängern, wo offene Lernaufgaben ohne die nötige Vorentlastung oder ohne ein breites Unterstützungsangebot fremdsprachliches Lernen unzureichend fördern. Auf verschiedene Möglichkeiten der individuellen Lernbegleitungen wird beim nächsten Qualitätsmerkmal ‘Differenzierung’ genauer eingegangen.4

Offene Aufgaben dürfen somit nicht per se mit offenem Unterricht assoziiert und unreflektiert als innovative Unterrichtsform angesehen werden. Während offene Lernaufgaben zum Beispiel am Ende des Lernprozesses ideal sind, um Lernenden die Gelegenheit geben zu zeigen, ob sie ihr Wissen flexibel anwenden können, sind sie zu Beginn des Lernprozesses als Erarbeitungsaufgabe äusserst ungeeignet (Maier et al. 2014, S. 345). Offene Lernaufgaben sollen in diesem Sinne bewusst geplant, optimal begleitet und situativ angepasst im Aufgabenset innerhalb des CLIL-Moduls ihren Platz haben. Jedoch besteht nicht der Anspruch, dass jede Lernaufgabe ganz frei und offen sein muss. Vielmehr sollten die Abstufungen von Lernaufgaben, wie vorgängig vorgeschlagen, auf einem Kontinuum von definiert-konvergent hin zu ungenau-divergent zielgerichtet eingesetzt werden. Zudem soll innerhalb dieser Abstufung weiter differenziert werden können. Nicht jede Lernaufgabe muss gleichzeitig für alle Lernenden im selben Grad offen sein. Dieselbe Lernaufgabe kann für einige Lernende mehr Vorgaben beinhalten, während andere diese freier angehen können.

Innerhalb des CLIL-Moduls sollen die Lernenden immer wieder die Gelegenheit erhalten, ihre bildnerischen und fremdsprachlichen Kompetenzen an offenen Lernaufgaben unter Beweis zu stellen. Jedoch kann in Hinblick auf die beiden Fachbereiche im CLIL-Unterricht der Grad der Offenheit bei Lernaufgaben unterschiedlich ausfallen. Zum Beispiel könnte im Fachbereich BG eine ungenau definierte und divergente Aufgabe im Sinne eines Impulses (Maier et al. 2014, S. 345) zu der gewünschten «offenen, neugierigen und experimentierfreudigen Auseinandersetzung» (D-EDK 2014 BG, Didaktische Hinweise) anregen; während die dazugehörig begleitende fremdsprachliche Lernaufgabe allenfalls geschlossener ausfallen würde und deshalb als definiert und konvergent bezeichnet werden müsste. In anderen Lernsituationen könnte es entsprechend umgekehrt sein.

Für die Einschätzung, ob Offenheit als Qualitätsmerkmal bei den Lernaufgaben innerhalb eines CLIL-Moduls berücksichtigt wurde, sind die folgenden zwei Indikatoren vorgesehen:

 Die Lernaufgaben ermöglichen eigenständige, individuelle Herangehensweisen.

 Sie lassen verschiedene Lösungen zu.

3.5.5 Qualitätsmerkmal V: Differenzierung

Differenzierung wird nicht nur als ein zentrales Element von ‘gutem Unterricht’ angesehen (vgl. Helmke 2012; H. Meyer 2014), sondern wird auch von allen drei Fachbereichen als wichtiges Qualitätsmerkmal für Lernaufgaben gefordert. Differenzierte Lernaufgaben sollen am Lernstand der Schüler*innen anknüpfen, die individuellen Möglichkeiten der Lernenden berücksichtigen und dank entsprechenden Lernhilfen für alle bewältigbar sein (Blömeke et al. 2006, S. 337; Diethelm & Niederberger 2016, S. 293; Leisen 2010, S. 65; Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2011, S. 65). Bereits im Kapitel 2.4, im Zusammenhang mit dem Umgang mit Heterogenität im CLIL-Unterricht allgemein, wurde dargelegt, dass man unter Differenzierung die Eröffnung unterschiedlicher Lernzugänge für Schüler*innen meint und man diesem Anspruch im fächerübergreifenden, inhaltsorientierten CLIL-Unterricht ideal genügen kann. Dass neben bedeutsamen Inhalten auch Lernaufgaben eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung von differenziertem Unterricht sind, zeigt Suter (2019, S. 193–194) in seiner Untersuchung von inklusivem, themenorientierten Englischunterricht in einer sehr heterogenen Schweizer Primarschulklasse. Er befindet die Verbindung von Aufgaben- und Inhaltsorientierung für die Differenzierung essentiell, weil damit den unterschiedlichen Bedürfnissen optimal begegnet und folglich die Ressourcen der Lernenden breit aktiviert werden können.

Neben einer breiten Aktivierung findet maximales Lernen dann statt, wenn die Anforderungen knapp über den bereits vorhandenen generellen Fähigkeiten liegen und die Lernaufgabe mit Anstrengung erfolgreich bewältigbar ist (Blömeke et al. 2006, S. 336; Leisen 2016, S. 22). Bereits mehrmals wurde die Wichtigkeit von Lernaufgaben betont, die gemäss Vygotskys Theorie der Zone der nächsten Entwicklung Lernen initiieren (Blömeke et al. 2006, S. 336). Mit Blick auf den CLIL-Unterricht knüpft daran ebenfalls die in der Fremdsprachendidaktik breit anerkannte input + 1 (i + 1) Hypothese von Krashen (1987, S. 21) an. Gemäss dieser erwirbt der Zuhörer fremdsprachliche Kompetenzen dann, wenn der Input in der Zielsprache etwas über dem momentanen Sprachlevel liegt. Grund dafür, dass Lernende Sprache oberhalb des eigenen Kompetenzlevels verstehen, liegt in der Tatsache, dass der Kontext sowie weitere para- und non-verbale Informationen das Verstehen und Lernen der Fremdsprache unterstützen. Die i+1 Hypothese kann den verschiedenen Lernenden in inhaltsorientierten-kommunikativen Lernsituationen besser, als zum Beispiel in mehr traditionellen, theoriebasiertem Englischunterricht, gerecht werden: «With natural communicative input, on the other hand, some i + 1 or other will be provided for everyone.» (Krashen 1987, S. 25) Dies heisst, dass die Schüler*innen im fremdsprachlich geführten CLIL-Unterricht mit authentischer, teils auch herausfordernder Fremdsprache konfrontiert werden dürfen – sofern sie dabei gut begleitet werden. Nach Vygotsky profitieren Lernende in dieser Zone der nächsten Entwicklung besonders dann, wenn sie im Lernprozess von einer kompetenten Person unterstützt werden (Vygotsky 1978, S. 93).

 

Diese Lernunterstützung, auch als Scaffolding bekannt, spielt eine wichtige Rolle bei der Planung und Umsetzung der Lernaufgaben. Anstatt die Lernaufgabe unnötig zu vereinfachen und dabei die Gefahr zu laufen, langfristig den Lehrplan nur ansatzweise zu erfüllen, sollen alle Schüler*innen dank individuellen Hilfestellungen kognitiv herausfordernde Lernaufgaben bewältigen können (Gibbons 2002, S. 10). Idealerweise können Lernende selbst zwischen den verschiedenen Ausdifferenzierungsarten wählen (Girmes 2003, S. 11). Die dafür benötige Lernunterstützung kann sich dabei auf sprachliche (z. B. Vorgabe von chunks im Fremdsprachenbereich), inhaltliche (z. B. Visualisierungen von wichtigen Konzepten) oder auf strategische Lernhilfen (z. B. Hinweise zum Vorgehen oder Arbeitstechniken) beziehen (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 65). Auch Lernaufgaben, die am Ende des Lernprozesses eine Rückmeldung über die Qualität der Aufgabenbearbeitung geben, zum Beispiel indem ein Austausch über das Gelernte stattfindet, werden als lernunterstützend angesehen (Astleitner 2006, S. 37). Da Scaffolding eine eminent wichtige Rolle im CLIL-Unterricht auf der heterogenen Primarstufe einnimmt, ist diesem Aspekt nachfolgend ein ganzes Kapitel gewidmet (siehe Kapitel 3.6).

Die hier aufgezeigten verschiedenen Differenzierungsmöglichkeiten gelingen in der Praxis am besten, wenn alle Lernenden an ein und demselben Thema, mit gleichen oder ähnlichen Lehrinputs auf ein Lernprodukt (task outcome) hinarbeiten. Die task outcomes sind an und für sich differenziert, weil sie immer die persönliche Handschrift der verschiedenen Lernenden tragen und unterscheiden sich meist hinsichtlich Lösungswege, Kreativität, Gestaltung oder Umfang. Auf diese Weise wird den Lernenden nicht nur vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten geboten, sondern gleichzeitig ein motivierendes Wahlangebot bereitgestellt. Zudem ermöglichen die Bearbeitung der Lernaufgaben hin zum task outcome während des Arbeitsprozesses oder bei der Vorstellung um Schluss wertvolles interaktives Lernen. Dank der gemeinsamen thematischen Grundlage wird nicht nur die Möglichkeit des Austausches gewährleistet, sondern die Klassenmitglieder erfahren dadurch auch Zusammenhalt (Klippert 2010, S. 168; Leisen 2016, S. 29). Entlang eines gemeinsamen Themas bieten differenzierte Lernaufgaben folglich die wichtige Lernchance der Ko-Konstruktion – dies im Gegensatz zu individualisierten Lernaufgaben, bei dem Lernen vornehmlich in jedem einzelnen Kopf ohne gemeinsame Austauschmöglichkeiten stattfindet (Leisen 2016, S. 25).

Somit ist differenziertes Lernen sowohl ein individueller als auch sozialer Prozess. Dies bedeutet, dass die Lernaufgaben Phasen des gemeinsamen sowie individuellen Lernens ermöglichen (Achermann & Gehrig 2011, S. 14). Entsprechend lernen die Schüler*innen in der heterogenen Klasse phasenweise und abhängig der Lernziele miteinander, voneinander oder nebeneinander. Lernen miteinander passiert im Plenum bei Einführungen, Inputs oder Besprechungen; voneinander beim kooperativen Lernen oder beim Austausch von Lernergebnissen; und schliesslich nebeneinander, wenn der Kompetenzzuwachs jedes einzelnen Kindes beim individuellen Lernen im Vordergrund steht. Lernaufgaben, die diese verschiedenen Lernformen bieten, sind deshalb wichtig, weil der Grundsatz gilt, je mehr unterschiedliche Zugänge zu einem Lerngegenstand eröffnet werden, desto grösser ist die Chance, dass die unterschiedlichen Lernenden angesprochen werden. Diese breite Palette an Lern- und Differenzierungsangeboten ist von Nutzen für alle Beteiligten: Für die Schüler*innen einerseits, da sie alle echte Lernerfolge erleben; für die Lehrenden anderseits, weil sie sich weniger mit lernunwilligen oder überforderten Lernenden abgeben müssen (Achermann & Gehrig 2011, S. 42–47, 53). Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die unterrichtlichen Angebote deshalb vielfältig differenziert sein müssen, weil sie auf eine grosse Vielfalt an Lernenden reagieren müssen (Ahlring 2006a, S. 11).

Die hier gestellten Forderungen an differenzierte Lernaufgaben sind in den folgenden zwei Indikatoren zusammengefasst:

 Die Lernaufgaben sind dank abgestuften Lernhilfen (Scaffolding) individualisierend.

 Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich aufgrund Wahlangebot und/oder unterschiedlichem Leistungsniveau.

3.5.6 Abschliessende Überlegungen zu den Lernaufgaben

Wie soeben aufgezeigt werden konnte, stehen Lernaufgaben und CLIL in der Fächerkombination Englisch und BG durchaus in einer engen Symbiose: Authentische Materialien aus dem Fachbereich BG sind Ausgangspunkt für aufgabenorientierte, kommunikative Sprachlernsituationen, die zur Auseinandersetzung und Interaktion mit bedeutungsvollen Lerninhalten anleiten (de Graaf et al. 2007, S. 607). Konkretes Ziel soll demnach sein, offene sowie differenzierte CLIL-Lernaufgaben zu entwickeln, die Schüler*innen für die eigenständige Auseinandersetzung mit interessanten Lerninhalten aus beiden Fächern motivieren und sie zu vielfältigen kognitiven als auch sinnlichen Lernhandlungen anregen. Bei der Planung und Entwicklung der beiden CLIL-Aufgabensets müssen die eben vorgestellten fünf Qualitätsmerkmale berücksichtigt werden. Die eigens dafür formulierten Indikatoren am Ende eines jeden Abschnittes sind wegweisend für die Entwicklung der Lernaufgaben, denn sie helfen zu vergewissern, dass diese fünf Qualitätsmerkmalen im Aufgabenset ausreichend vertreten sind. Für die leichtere Handhabung wurden diese vierzehn Indikatoren in einem Dokument, dem sogenannten Rating-Bogen, zusammengefasst, der im Anhang B eingesehen werden kann. Ohne bereits in den empirischen Teil dieser Arbeit vorzugreifen, soll an dieser Stelle trotzdem angemerkt werden, dass dieser Rating-Bogen nicht nur eine bedeutende Rolle bei der Aufgabenentwicklung spielt (siehe Kapitel 4.2), sondern auch bei der Evaluierung der Lernaufgaben als wichtiges Messinstrument dient (siehe Kapitel 5.2).

Wichtig ist an dieser Stelle ebenfalls nochmals zu betonen, dass jeder Typ von Aufgabe innerhalb eines Lernprozesses verschiedene Funktionen erfüllt: Sei es im Sinne einer initiierenden Konfrontation, beim sorgfältigen Erarbeiten von neuen Inhalten, beim intelligenten Üben und Vertiefen oder schliesslich bei der abschliessenden Synthese oder beim Transfer auf neue Lernsituationen (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 41). Somit braucht nicht jede Lernaufgabe per se all diese hier vorgestellten fünf Aufgabenmerkmale vollumfänglich zu erfüllen (Blömeke et al. 2006, S. 336; Reusser 2014b, S. 335), sondern die Qualitätsansprüche sollen über den ganzen Lernprozess hinweg im Rahmen eines CLIL-Moduls insgesamt ausreichend vertreten sein. Denn erst das Zusammenspiel der Qualität der einzelnen Lernaufgaben und deren Funktionen im Lernprozess als Teil des Aufgabensets beeinflusst die Lernwirksamkeit (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 66).

Als abschliessende Bemerkung von diesem umfangreichen Kapitel über Lernaufgaben für den CLIL-Unterricht passt die Vorstellung von Lernaufgaben als «Anstifterinnen für die aktive Beschäftigung mit ‘Welt’» (Girmes 2003, S. 10). Im vorliegenden Fall gilt es relevante, angemessene und ermutigende Lernaufgaben zu realisieren, die die Fächer BG und Englisch den Lernenden näherbringen und sie motivieren, in diese beiden Welten gleichsam einzutauchen.

Inwiefern aus diesen theoriebasierten ‘guten’ Lernaufgaben auch tatsächlich anregende Lernorte werden, wird sich erst bei der praktischen Implementierung zeigen. Deshalb müssen zusätzlich zur Aufgabenqualität bei der Implementierung folgende zwei Aspekte berücksichtigt werden. Erstens sind Lernaufgaben – etwas pointiert formuliert – nur so gut, wie sie im Unterricht instruiert und vermittelt werden (Thonhauser 2016, S. 188). Dieser Aspekt der Verständlichkeit ist insbesondere im fremdsprachlich geführten CLIL-Unterricht von grosser Wichtigkeit. Die Verständlichkeit beim Instruieren von Lernaufgaben kann erhöht werden, indem diese von unterstützenden Gesten oder klaren Handlungen begleitet werden (Massler & Ioannou-Georgiou 2010, S. 71). Lehrpersonen müssen sich bewusst sein, dass die «sprachlogische Komplexität» der Aufgabe extrem variieren kann und beim Erteilen von Aufträgen berücksichtigt werden muss (Maier et al. 2014, S. 346). Die Komplexität erhöht sich, wenn zum Beispiel die Vielzahl von Informationen in der Aufgabenstellung zu hoch sind oder die Aufgabenstellung für die Bearbeitung der Lernaufgabe irrelevante Informationen enthält (Kleinknecht et al. 2013, S. 216). Solche Stolpersteine, die eine jede noch so sorgfältig geplante Lernaufgabe zum Scheitern bringen kann, sollten unbedingt vermieden werden und müssen bereits bei der Unterrichtsplanung mitberücksichtigt werden. Zweitens sind Lernaufgaben keine «didaktischen Selbstläufer». Damit sie in der Praxis funktionieren braucht es eine gut dosierte aufgabenbezogene Lernbegleitung (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 37). Solche Scaffolds haben insbesondere im CLIL-Unterricht einen prominenten Stellenwert und werden deshalb nachfolgend eingehend thematisiert.

3.6 Scaffolding

Der Begriff ‘Scaffolding’ wurde ursprünglich 1976 in einem Artikel über die Rolle einer kompetenten Person, eines sogenannten Tutors, beim Begleiten des kindlichen Lernens ins Leben gerufen und wird als Prozess definiert «that enables a child or novice to solve a problem, carry out a task or achieve a goal which would be beyond his unassisted efforts.» (D. Wood et al. 1976, S. 90). Scaffolding wird dabei als eine Abfolge von Interaktionen zwischen dem mehrwissenden Tutor und dem Lernenden angesehen «…in which the tutor operates with an implicit theory of the learner’s acts in order to recruit his attention, reduces degrees of freedom in the task to manageable limits, maintains ‘direction’ in the problem solving, marks critical features, controls frustration and demonstrates solutions when the learners can recognize them.» (D. Wood et al. 1976, S. 99). Dem mehrwissenden Lernbegleiter steht demnach die Aufgabe zu, die Umwelt so für den Lernenden zu arrangieren, dass er sich in seinem Denken und Handeln zu einer nächsten, komplexeren Stufe entwickeln kann (Bruner 1985, S. 24). Scaffolding überbrückt somit Vygotskys prominente Zone der nächsten Entwicklung, welche er selbst beschreibt als «..the distance between the actual development level as determined by independent problem solving and the level of potential development as determined through problem solving under adult guidance or in collaboration with more capable peers.» (Vygotsky 1978, S. 90). Zudem betont er, dass «the only ‘good learning’ is that which is in advance of development.» (Vygotsky 1978, S. 93). In dieser Zone der nächsten Entwicklung passiert somit Lernen und dort geschieht auch das Scaffolding (Walqui 2006, S. 163). Dank Scaffolding sind Lernende in der Lage das in der äusseren Welt abgebildete Wissen zu internalisieren und in das eigene kognitive, gar metakognitive System aufzunehmen. Gemäss Vygotsky kommt der Sprache dabei eine fundamentale Rolle als ‘Denkwerkzeug’ zu, mit der das kulturell geprägte Wissen bei sprachlich vermittelnden Interaktionen aufgebaut wird. Sprache hilft sozusagen das Wissen mental zu sortieren, das durch Wahrnehmung und Handlung aufgenommen wird. (Bruner 1985, S. 23–25)

Die anhaltende Popularität des Begriffes Scaffolding kann mit der Metaphorik als Gerüst (engl. scaffolding / scaffolds) zusammenhängen. Das Konzept wird heutzutage oft auch im weitesten Sinne auf jegliche Art von Hilfestellungen im Unterricht ausgedehnt. Damit in Verbindung steht oft eine enge Unterrichtsführung mit konstantem Hilfsangebot aus Angst, die Schüler*innen zu überfordern. Dies hemmt jedoch langfristig die Lernbereitschaft der Schüler*innen und widerspricht dem ursprünglichen Konzept des Scaffolding, das sich als Stärkung des eigenverantwortlichen Lernens im sozial-konstruktivistischen Sinne verstand (Thürmann 2013, S. 236). Scaffolding in diesem ursprünglichen Verständnis bietet, wie die metaphorische Bezeichnung besagt, eine situativ befristete Lernunterstützung. Idealerweise wird das Scaffolding demnach abgebaut, sobald die Lernenden die Unterstützung nicht mehr benötigen. Dies immer mit dem Ziel, Lernende darin zu unterstützen «to move towards new skills, concepts, or levels of understanding.» (Gibbons 2002, S. 10). Eine erfolgreiche Hilfestellung ist gezeichnet von einem Rollenwechsel in der Verantwortungsübernahme des Lernens zwischen Lehrperson und Lernendem: «The progression of scaffolding is characterised by a transfer of task role, responsibility and authority from the teacher towards the student. As the task unfolds, this shift is typically evidenced by diminishing teacher participation and increasing student involvement.» (Michell & Sharpe 2005, S. 49). Scaffolding muss demzufolge kein einheitliches Hilfsangebot für alle Lernende sein, sondern reagiert häufig als individuelle Antwort auf unterschiedliche Bedürfnisse von Lernenden zu einem bestimmten Zeitpunkt im Unterricht (Sharpe 2006, S. 3).

 

Wie bereits mehrfach betont, ist individualisiertes Scaffolding auf der heterogenen Primarstufe von grosser Wichtigkeit, um auf die vorherrschende Vielfalt zu reagieren. Dies gilt umso mehr für den CLIL-Unterricht, wo Scaffolds aufgrund der Kluft zwischen kognitiven und sprachlichen Kompetenzen der Lernenden unabdingbar sind und geeignete Unterstützungsangebote helfen, diese zu überbrücken (Zydatiss 2010, S. 3). Zudem wird Scaffolding, eng anlehnend an die ursprüngliche Definition nach Wood, Bruner und Ross (1976), als Begleitungsprozess unter Berücksichtigung von sozialen, kognitiven und funktional-sprachlichen Aspekten verstanden. Dies unterstreicht deren Wichtigkeit für den CLIL-Unterricht zusätzlich, weil dort funktional-sprachliches mit kognitiv-inhaltlichem Lernen bei der Bearbeitung von – teils kooperativen – Lernaufgaben inhärent aufeinander treffen (Thürmann 2013, S. 237).

Scaffolding kann auf zwei Ebenen stattfinden. Einerseits auf dem Makrolevel, auf welchem die Unterrichtseinheit geplant wird. Hier bestimmen die Abfolge der Lernaufgaben, die eingeplanten Unterrichtsmaterialien, die Lernziele und die Aktivierung der Vorkenntnisse der Lernenden den Unterrichtsverlauf und fungieren in diesem Sinne als curricular-systematische Lernunterstützung. In der Literatur werden sie als designed-in (Sharpe 2006, S. 3) oder hard scaffolds (Brush & Saye 2002, S. 2) bezeichnet. Für den CLIL-Unterricht bedeutet das zum Beispiel, dass auf der Planungsebene nicht nur das Vorwissen der Lernenden in Bezug auf das fremdsprachliche und sachfachinhaltliche Lernen beachtet werden muss, sondern auch die damit in Verbindung stehenden Herausforderungen antizipiert werden müssen (Hammond & Gibbons 2005, S. 14). Mit dem Ziel, bereits auf der Planungsebene eine Vielfalt von Lernbegleitungen zu berücksichtigen.

Anderseits und im Gegensatz dazu, existieren die sogenannten point of need, interactional oder soft scaffolds (Brush & Saye 2002, S. 2; Hammond & Gibbons 2005, S. 20; Sharpe 2006, S. 3), die auf dem Mikrolevel der Unterrichtsstruktur anlassbezogen und spontan eingesetzt werden. Sie bezeichnen eine «…dynamic, situation-specific aid provided by the teacher or peer to help with the learning process. Such scaffolding requires teachers to continuously diagnose the understanding of learners and provide timely support based on student responses. This type of assistance is generally provided ‘on-the-fly’, when the teacher monitors the progress students are making while engaged in a learning activity and intervenes when support or guidance is needed.» (Brush & Saye 2002, S. 2).

Die Unterscheidung dieser curricular-systematischer und anlassbezogener Unterstützung ist deshalb sinnvoll, weil sie bewusst macht, dass Scaffolding bereits auf methodisch-didaktischer Ebene eine wichtige Grundlage für das Gelingen von CLIL-Unterricht bildet (Thürmann 2013, S. 239) und schliesslich ergänzt durch das situative Scaffolding im Unterricht das gewünschte mannigfaltige Unterstützungsangebot im Umgang mit Heterogenität ausmacht. Die beiden Ebenen ergänzen sich demnach ideal: Nur spontan eingesetzte soft scaffolding auf der Mikro-Ebene anzubieten, könnte zu einer «miss-or-hit» Angelegenheit werden (Gibbons 2002, S. 154); nur die statischen hard scaffolds auf der Makro-Ebene zu berücksichtigen, würde wichtige situative Lerngelegenheiten verhindern.

Anstatt also die Lernanforderungen zu reduzieren, sollen die Lernenden mittels vielfältigen Scaffolding Angeboten herausgefordert werden, so dass sie in der «high challenge zone» ihr volles Potential ausschöpfen können (Gibbons 2009, S. 158). Oder anders formuliert: Wirksamer, moderner Unterricht macht die Ermöglichung von hochstehenden Lernprozessen beim Durchlaufen vollständiger Lernzyklen angereichert mit adaptiver Unterstützung möglichst aller Lernenden durch fachdidaktisch und dialogisch kompetente Lernhilfen aus (Reusser 2014b, S. 336). Deshalb werden im Folgenden verschiedene Möglichkeiten für Scaffolding mit hoher fachdidaktischer Relevanz für den CLIL-Unterricht in der Fächerkombination Englisch und BG aufgezeigt. Aus Gründen der Übersicht werden sie in sprachliche, inhaltliche und strategische Lernhilfen unterteilt (Luthiger & Wildhirt 2018, S. 65; Massler & Ioannou-Georgiou 2010, S. 61) und zur Veranschaulichung mit praxisbezogenen Beispielen illustriert.