Syltmond

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»Komm, lass uns zum Rettungswagen gehen. Dort können sie die Verbrennung fachgerecht versorgen«, schlug Nick vor.

»Danke, aber das schaffe ich allein. Bleib du lieber bei Christopher. Ich komme gleich wieder.«

Im grellen Licht der beiden Scheinwerfer, die vor den Feuerwehrwagen positioniert waren und den größten Teil des Festplatzes ausleuchteten, marschierte ich zum Rettungswagen. Hinter den Feuerwehrfahrzeugen abseits vom wärmenden Feuer und der Beleuchtung wurde es schlagartig kalt und dunkel. Beim Näherkommen konnte ich erkennen, dass im hinteren Teil des Rettungswagens Licht brannte, das Fahrerhaus war unbeleuchtet und schien unbesetzt zu sein. Von der Besatzung war weit und breit niemand zu sehen. Plötzlich hörte ich ein knackendes Geräusch direkt hinter mir, als träte jemand auf einen trockenen Ast. Ich drehte mich um, konnte aber niemanden entdecken.

»Hallo!«, rief ich, erhielt jedoch keine Antwort. Wahrscheinlich hatte ich mich getäuscht, und das Geräusch kam drüben vom Feuer oder von einem Tier, das durch das nahgelegene Unterholz gekrochen war. Ich beschloss, um das Fahrzeug herumzugehen, in der Hoffnung, dort einen Sanitäter anzutreffen. Vermutlich saßen sie gemütlich im Innern des Wagens und hatten mein Rufen nicht gehört. Eine der hinteren Türen war nur angelehnt. Für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, als hätte ich jemanden am Wagen vorbeihuschen sehen.

»Hallo! Ist jemand da?«, rief ich ein weiteres Mal, als ich direkt vor der hinteren Wagentür stand. Da abermals niemand antwortete, öffnete ich kurzerhand die Tür.

Kapitel 5

Der Schäferhund spitzte die Ohren und hob neugierig den Kopf in Richtung der Tür. Als sie geöffnet und mit ihr ein Schwall kalter Luft in die Diele gespült wurde, erklangen zeitgleich Stimmen, untermalt von ausgelassenem Gelächter.

»Es hat nicht viel gefehlt und er hätte sich die … Sönke!« Mitten im Satz hielt sie inne und starrte auf den Mann, der mit dem Rücken zur Wand am Küchentisch saß. Neben ihm lag auf einer ausrangierten Decke der Schäferhund. Seinem Ohrenspiel nach zu urteilen, verfolgte er jede Bewegung aufmerksam.

Sönke wollte sich erheben, doch der sanfte, aber bestimmte Druck, mit dem ihm seine Mutter ihre Hand auf den Unterarm legte, ließ ihn von seinem Vorhaben abweichen.

»Lange her, Bruderherz«, stellte Ole Brodsen fest, der kurz nach seiner Frau die Küche betrat. Das plötzliche Auftauchen seines Verwandten schien ihn keineswegs zu beeindrucken, denn er ging zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier heraus. »Bier?«

Sönke schüttelte kaum merklich den Kopf.

»Was suchst du hier? Verschwinde! Wir wollen dich hier nicht haben«, fauchte Friederike und funkelte den Eindringling böse an, nachdem sie sich von dem ersten Schrecken erholt hatte.

»Halte dich zurück, Friederike! Das ist immer noch mein Haus, in dem ich bestimme, wer sich darin aufhält und wer nicht, auch wenn du das anders sehen magst«, machte Geeske Brodsen unmissverständlich deutlich und sah ihre Schwiegertochter streng an.

Friederike lag eine Antwort auf der Zunge. Nur dem warnenden Blick ihres Ehemannes war es zu verdanken, dass sie ihrer Schwiegermutter nicht widersprach, stattdessen ihren Kommentar unausgesprochen hinunterschluckte.

»Ich hätte mich nicht von dir überreden lassen sollen, herzukommen«, bemerkte Sönke an seine Mutter gewandt.

»Was willst du auf Sylt?«, erkundigte sich Ole, öffnete die Bierflasche und trank einen Schluck daraus. Anschließend zog er sich einen Küchenstuhl vor und nahm darauf Platz.

»Das ist klar! Kaum ist der Vater unter der Erde, steht der feine Herr Sohn auf der Matte und fordert sein Erbe ein. Ganz einfach!«, giftete Friederike Brodsen.

»Nein, deshalb bin ich nicht gekommen«, erwiderte Sönke ruhig, nachdem er sich mit der Antwort eine Weile Zeit gelassen hatte. Er sah zu dem Hund neben sich und kraulte ihn auf dem Kopf, was das Tier sichtlich genoss.

»Ach ja? Und weshalb bist du gekommen? Sehnsucht nach der Familie wird es kaum sein.« Sie lachte höhnisch. »Wieso bist du überhaupt schon draußen? Wenn ich mich nicht verrechnet habe, hast du deine Strafe längst nicht abgesessen. Haben sie dich etwa wegen guter Führung vorzeitig entlassen?« Er schwieg, doch seine Augen ruhten unablässig auf ihr, während sie sprach. »Allen anderen magst du vielleicht was vorspielen können, mir nicht! Für mich bist und bleibst du für immer ein Mörder!« Über ihr gesamtes Gesicht verteilt zeichneten sich hektisch rote Flecken ab, während ihre dunklen Augen winzige Giftpfeile in seine Richtung abzufeuern schienen.

»Genug. Sei endlich still, Rieke!« Ole stellte lautstark die Flasche auf dem Tisch ab und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Friederike verstummte augenblicklich. Dann schleuderte sie ihrem Mann einen wütenden Blick zu, machte auf dem Absatz kehrt und verließ wutentbrannt die Küche, deren Tür sie mit einem lauten Knall hinter sich zuschlug. Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen.

»Ich sollte besser gehen.« Sönke Brodsen erhob sich von seinem Platz und griff nach seiner Jacke, die er über die Stuhllehne gehängt hatte. Dann bückte er sich und hob die Tasche auf, die neben ihm auf dem Boden lag. Der Hund stand sofort neben ihm bei Fuß.

»Junge, bitte bleib! Wo willst du denn mitten in der Nacht hin?«, versuchte Geeske, ihn erneut vom Gehen abzuhalten.

»Es ist besser, Mutter.« Er schulterte sein Gepäck und nickte im Vorbeigehen seinem Bruder zu, der zurückgelehnt auf seinem Stuhl lümmelte, die Bierflasche in der Hand.

»Du musst hierbleiben.« Sönke klopfte dem Hund zum Abschied auf den Rücken.

Kapitel 6

Entsetzt wich ich zurück und stieß mir dabei gehörig den Ellenbogen an der halb geöffneten Wagentür. Ich starrte in weit aufgerissene, leblose Augen, die mich meinen Schmerz auf der Stelle vergessen ließen. Vor mir auf dem Boden des Rettungswagens lag eine Frau auf dem Rücken, den Kopf nach hinten gestreckt inmitten einer riesigen Lache aus Blut, das aus einer weit aufklaffenden Wunde an ihrer Kehle sickerte. Mit der Hand vor den Mund gepresst, konnte ich mit Müh und Not ein Würgen unterdrücken und wandte sofort meinen Blick ab. Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und zwang mich, gleichmäßig zu atmen. Dann rannte ich so schnell mich meine Beine trugen zurück zu Nick und den anderen. Unterwegs knickte ich im Halbdunkel ein paar Mal auf dem unwegsamen Gelände um und geriet ins Straucheln. Dabei rempelte ich den einen oder anderen Biikebesucher an, der mir einige verärgerte Worte hinterherrief, doch das alles nahm ich kaum wahr. Nach wie vor schwebte vor meinem inneren Auge der grauenhafte Anblick der Frau in der Blutlache. Wie ferngesteuert erreichte ich schließlich unsere kleine Gesellschaft. Doktor Luhrmaier nebst Begleitung hatte sich unserer Gruppe in der Zwischenzeit angeschlossen.

»Anna! Sind sie hinter dir her?«, scherzte Jan.

»Was ist passiert? Du bist ja schneeweiß.« Nick unterzog mich einem kritischen Blick.

»Im Rettungswagen liegt eine Tote!« Ich japste vollkommen außer Atem und mit staubtrockener Kehle nach Luft.

»Bist du ganz sicher?«, hakte Tina vorsichtig nach.

»Absolut sicher. Ich glaube, es handelt sich um ein Verbrechen«, betonte ich und sprach leise, um möglichst kein Aufsehen bei den umstehenden Biikebesuchern auszulösen.

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren. Komm, Uwe! Es wäre sinnvoll, wenn Sie, Herr Doktor Luhrmaier, mitkommen könnten«, forderte Nick die beiden Männer auf.

»Selbstverständlich!«, kam Luhrmaier Nicks Bitte pflichtbewusst nach und drückte daraufhin seiner verdutzten Begleiterin seinen Glühweinbecher in die Hand.

»Ich komme auch mit.«

»Willst du das wirklich, Anna?« Uwe runzelte die Stirn.

»Ja, schließlich weiß ich, wo sie liegt.« Dann wandte ich mich an Britta. »Kannst du dich bitte um Christopher kümmern? Ich weiß nicht, wie lange es dauert.«

»Kein Problem«, gab sie mit verständnisvoller Miene zurück.

»Ich zeige den beiden bloß die Stelle, dann komme ich gleich wieder«, versprach ich und versuchte, die drei Männer einzuholen, die sich längst auf den Weg gemacht hatten.

Bereits von Weitem konnte ich schemenhaft mehrere Personen erkennen, die am Rettungswagen standen und aufgeregt gestikulierten. Erst, als wir unmittelbar vor ihnen standen, erkannten wir, dass es sich um drei Jugendliche in Feuerwehruniformen handelte. Meiner Einschätzung nach waren sie nicht älter als 16 Jahre.

»Wir müssen die Bullen verständigen«, schlug einer von ihnen gerade vor, als sie uns bemerkten.

»Hier seid ihr! Wir suchen überall nach euch«, erklang eine tiefe Stimme, und wie aus dem Nichts tauchte ein Mann neben den Jungen auf. »Paul, du sollst dich sofort bei deiner Mutter melden.«

»Da drin liegt eine tote Frau!«, stammelte der Junge mit brüchiger Stimme. Sein ohnehin blasses Gesicht wirkte im Schein der Taschenlampe wie das eines Gespenstes. Er schien der jüngste und zierlichste der drei Jungen zu sein. Seine Uniform war ihm etwas zu groß.

»Damit macht man keine Witze, Junge«, entgegnete der Mann.

»Aber er sagt die Wahrheit! Da ist überall Blut«, verteidigte ihn einer der Kumpels aufgeregt.

»Uwe! Du kommst wie gerufen. Die Jungs behaupten allen Ernstes, im Rettungswagen läge ein Toter. Wenn du mich fragst, gucken die zu viel Fernsehen.«

»Deshalb sind wir hier. Ihr Jungs bleibt, wo ihr seid. Barne, kümmerst du dich bitte um die drei?«, bat Uwe den Feuerwehrmann, bevor er zielstrebig auf den hinteren Teil des Rettungswagens zusteuerte.

Nick und Doktor Luhrmaier folgten ihm, während ich mich zu den Jugendlichen stellte.

 

»Hallo, alles okay mit euch?«, fragte ich.

»Ja«, bestätigte einer von ihnen, worauf die anderen lediglich ein zustimmendes Kopfnicken von sich gaben.

»Ich glaube, die Jungen benötigen psychologische Hilfe, sie stehen sicherlich unter Schock«, wandte ich mich dem Mann zu, mit dem Uwe eben gesprochen hatte.

»Ich kümmere mich um sie, machen Sie sich keine Gedanken. Ich nehme sie mit zu den Eltern. Ich will nur noch auf Uwe warten, vielleicht will er sie noch etwas fragen«, erwiderte er. »Was machen Sie hier?«

»Ich habe die Tote entdeckt, als ich meine Hand versorgen lassen wollte«, erklärte ich.

Er sah zu meiner Hand. »Verbrannt?« Ich nickte. »Für solche Fälle haben wir etwas dabei. Melden Sie sich bei den Einsatzwagen.«

»Danke, ich glaube, bis nach Hause geht es auch so.«

»Hm, müssen Sie wissen«, brummte er.

In diesem Moment kam Uwe zurück. »Oh, Mann! Das ist kein angenehmer Anblick.« Er schüttelte sich angewidert. »Habt ihr in der Nähe etwas beobachtet oder gehört? Ist jemand weggelaufen?«, wollte er von den drei Jugendlichen wissen.

»Nein, wir sind eben erst gekommen. Da war niemand. Ist sowieso viel zu dunkel.«

»Was wolltet ihr hier hinten?«, fuhr Uwe fort, erhielt jedoch keine Antwort.

Einer der Jungen kaute unaufhaltsam auf seinen Fingernägeln herum, während ein anderer die Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben auf den Zehenspitzen auf und ab wippte. Ob vor Kälte oder Nervosität, war nicht eindeutig zuzuordnen.

»Los, sagt schon. Niemand wird euch den Kopf abreißen«, forderte der Feuerwehrmann die drei auf.

Letztlich fasste sich der Jüngste ein Herz. »Eine rauchen«, gab er kleinlaut zu, ohne aufzusehen.

»So so!«, erwiderte Uwe.

»Bitte sagen Sie unseren Eltern nichts.« Alle drei schauten bekümmert drein.

»Werde ich nicht. Trotzdem solltet ihr damit besser erst gar nicht anfangen«, stellte Uwe klar.

»Schlimme Sache. Wisst ihr, wer die Tote ist?«, erkundigte sich Barne.

»Nein, aber das herauszufinden, dürfte kein Problem darstellen, da sie im Dienst war«, gab Uwe zurück.

»Soll ich nachsehen, ich kenne sie bestimmt«, schlug Barne vor, doch Nick hielt ihn zurück.

»Das wird nicht nötig sein, danke. Je weniger brauchbare Spuren vernichtet werden, desto besser. Ich habe einen Streifenwagen angefordert, er müsste jeden Augenblick eintreffen. Ich habe den Kollegen ausdrücklich gesagt, sie sollen von der anderen Seite kommen. Das ist unauffälliger.«

»Kann ich zu meiner Mutter?«, erklang Pauls schüchterne Stimme.

»Ja, klar. Barne, bist du so nett und begleitest die Jungen? Falls wir weitere Fragen haben, melden wir uns direkt. Danke für deine Hilfe.«

»Keine Ursache.«

»Ach, und Barne? Es wäre gut, wenn das alles vorerst unter uns bleibt. Ich will unbedingt ein allgemeines Chaos vermeiden. Das gilt im Übrigen auch für euch! Wenn nur ein Foto irgendwo im Netz auftaucht, gibt es mächtig Ärger! Haben wir uns verstanden?« Uwe deutete auf die Jungen, die eingeschüchtert nickten. »Dann ist ja gut.«

Der Feuerwehrmann tippte zur Bestätigung an den Schirm seiner Mütze und gab den Jugendlichen ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Ich hoffe, die Nachricht hat nicht längst die Runde gemacht, sonst ist hier bald der Teufel los. Brauchbare Spuren kannst du dann endgültig vergessen«, machte Nick seine Bedenken mit einem Stirnrunzeln deutlich. »Soll ich Staatsanwalt Achtermann informieren oder willst du das übernehmen?«

»Ich wäre dir außerordentlich dankbar, wenn du das erledigen könntest. Und wenn du gerade dabei bist, gib gleich der Kriminaltechnik Bescheid. Aber was rede ich, du weißt, was zu tun ist.« Uwe winkte ab und streckte vorsichtig den Rücken durch, was ihm augenscheinlich starke Schmerzen bereitete, denn er verzog gequält das Gesicht. Ein Streifenwagen holperte langsam den Feldweg entlang und hielt unmittelbar neben dem Rettungswagen. Das Martinshorn und das Blaulicht ließen die Beamten ausgeschaltet, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Zwei Polizisten in Uniform stiegen aus und kamen auf uns zu. Während sie mit Nick und Uwe sprachen, trat ich von einem Fuß auf den anderen, da mich die Kälte innerlich wie äußerlich mehr und mehr vereinnahmte. Meine Zehen waren mittlerweile taub geworden. Momentan kam ich mir reichlich überflüssig vor und fragte mich, ob meine Anwesenheit überhaupt notwendig war. Nick telefonierte, und ich beschloss zu warten, bis Nick das Gespräch beendet hatte. Solange wanderte ich ein Stück auf und ab und beobachtete die Beamten bei der Arbeit. Ich konnte sehen, wie Doktor Luhrmaier sich indes über die Tote beugte, um sie zu begutachten. Man musste wohl dafür geboren sein und über ein verdammt starkes Nervenkostüm verfügen, um diesen Job machen zu können, überlegte ich. Jetzt kehrte Nick seinen Kollegen den Rücken und kam – das Handy am Ohr – auf mich zu.

»Alles okay mit dir?«, fragte er, nachdem er aufgelegt hatte, und streichelte mir mit dem Handrücken behutsam über meine eisige Wange.

»Bis auf die Tatsache, dass ich mich zunehmend in einen Eisblock verwandle, geht es mir gut.« Seine dunklen Augen unterzogen mich einem prüfenden Blick. »Ehrlich, Nick. Es geht schon wieder. Braucht ihr mich noch? Sonst würde ich gerne zu den anderen zurückgehen. Christopher ist bestimmt schon unruhig.«

»Geh ruhig.« Nick küsste mich auf die Stirn. Am liebsten hätte ich mit ihm gemeinsam den Heimweg angetreten, doch momentan war er unabkömmlich. Das ist der Preis dafür, mit einem Polizisten verheiratet zu sein, fielen mir die Worte meiner Mutter ein, wenn ich mich ab und zu in ihrer Gegenwart bedauernd über Nicks Abwesenheit geäußert hatte.

»Am besten nehmen euch Britta und Jan mit, dann kann ich den Wagen behalten. Es wird eine Weile dauern, bis wir fertig sind.«

»Das machen sie bestimmt. Bis dann!«

Mit hochgezogenen Schultern, die Arme zum Schutz gegen die Kälte um meinen Körper geschlungen, machte ich mich auf den Weg zu Britta und den anderen. Um das prasselnde Feuer, das ein ganzes Stück heruntergebrannt war, standen Dutzende Besucher. Sie feierten ausgelassen und fröhlich und ahnten nicht, was keine 100 Meter von ihnen entfernt in der kalten Dunkelheit geschehen war.

»Anna! Da bist du ja!«, rief mir Britta entgegen. »Alles in Ordnung? Wisst ihr, wer die Tote ist?«, fragte sie nun wesentlich leiser.

»Sie gehört zum Team des Rettungswagens, Genaueres weiß ich nicht«, erklärte ich und nahm ihr Christopher ab, der auf ihrem Arm eingeschlafen war.

»Ist sie ermordet worden?«

»Wie gesagt, Tina, ich kenne keine Details, aber alles deutet auf ein Gewaltverbrechen hin.«

»Das ist schrecklich«, bestätigte Doktor Luhrmaiers charmante Begleitung Ellen Seiler.

Für einen Moment standen wir ratlos und schweigend da und starrten ins lodernde Feuer, dessen züngelnde Flammen nach allem gierig griffen, was in ihre Nähe kam.

»Traurig, dass der Abend so endet«, befand Britta. »Ich nehme an, Nick wird eine Weile hier bleiben müssen. Aber du kommst mit zum Essen, oder?«

»Ehrlich gesagt, ist mir der Appetit vergangen. Ich wäre euch dankbar, wenn ihr mich und Christopher nach Hause bringen könntet. Nick behält den Wagen.«

»Natürlich bringen wir euch nach Hause«, bot Jan prompt an.

»Du musst etwas essen, Anna. Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn du allein zu Hause sitzt und vor dich hin grübelst«, hielt Britta dagegen.

»Na gut, aber lange bleiben wir nicht. Christopher schläft, und ich bin vollkommen durchgefroren.«

»Dann lasst uns gleich aufbrechen. Ich bringe nur eben die leeren Becher weg.« Mit diesen Worten machte sich Jan auf den Weg zum Getränkestand. Erste Schneeflocken fielen in Zeitlupe vom Himmel.

Kapitel 7

»Wer hätte gedacht, dass Luhrmaier eine Freundin hat. Und dazu solch eine smarte?«, bemerkte Uwe, als er auf dem Beifahrersitz in Nicks Wagen saß.

»Sie ist nur eine Bekannte. Seiner Aussage nach haben sie sich heute zum ersten Mal persönlich getroffen«, korrigierte Nick seinen Freund und Kollegen.

»Meinetwegen. Ich dachte immer, Luhrmaier lebt einzig allein für seine Arbeit und hätte für Frauen nicht viel übrig. Da habe ich mich wohl in ihm getäuscht.«

»Offensichtlich.«

Nick lenkte den Wagen in die Straße Halemdüür in Westerland und drosselte das Tempo, um das Haus in der Dunkelheit nicht zu verpassen, in dem Bente Johannsen wohnte.

»Das muss es sein. Wir haben Glück. Sieht aus, als wäre noch jemand wach, in einem der Fenster brennt Licht«, stellte Uwe mit einem Blick aus der Seitenscheibe fest, als sie vor dem Haus mit einer grünen Tür hielten.

»Das Überbringen einer Todesnachricht würde ich nicht unbedingt als Glück bezeichnen.«

»Glaub mir, ich kann mir auch Schöneres vorstellen«, erwiderte Uwe und schälte sich unter Ächzen und Stöhnen aus dem Beifahrersitz.

»War nicht so gemeint.«

»Weiß ich doch.«

Die beiden Männer gingen über einen schmalen, gepflasterten Weg auf das Haus zu. An der Hauswand lehnten zwei Kinderfahrräder, gleich daneben standen zwei Paar bunte Kindergummistiefel. Bei ihrem Anblick schnürte es Nick regelrecht die Kehle zu. In diesem Augenblick ahnten die Kinder nicht, dass sie ihre Mutter niemals wiedersehen würden. Uwe schien seinem Kollegen das Unbehagen anzumerken.

»Alles okay mit dir, Nick? Soll ich lieber alleine gehen?«

»Nein«, antwortete Nick und schüttelte sich innerlich.

Wenige Sekunden, nachdem Uwe die Klingel betätigt hatte, erhellte sich der Hausflur, und die Haustür wurde von einer kleinen Frau geöffnet, die die Beamten mit fragendem Blick ansah. Sie trug ein gemustertes Kleid in Weinrot mit einer grauen Strickjacke darüber.

»Oh, ich dachte, meine Tochter hat ihren Schlüssel vergessen. Was führt Sie zu uns?«

»Guten Abend, wir sind von der Kripo Westerland. Dürfen wir reinkommen?« Die beiden Männer hielten der Frau ungefragt ihre Dienstausweise hin.

»Wer macht so etwas? Und vor allem warum?«, fragte sie und sah die Beamten durch einen Tränenschleier hindurch an, als sie ihnen kurz darauf im Wohnzimmer des Hauses gegenüber saß.

»Das wissen wir momentan nicht. Frau Heimke, können Sie uns sagen, ob Ihre Tochter in letzter Zeit Ärger oder Probleme hatte?«, hakte Uwe behutsam nach.

»Nicht, dass ich wüsste. Bente hat nie etwas in der Richtung erwähnt, weder in Bezug auf die Arbeit noch privat. Sie war äußerst beliebt mit ihrer offenen Art und Hilfsbereitschaft, müssen Sie wissen. Ich verstehe das nicht.« Sie sank schluchzend in sich zusammen und wirkte dadurch zerbrechlicher und kleiner als ohnehin.

»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?« Nick beobachtete sie.

»Nein danke, es geht. Entschuldigen Sie bitte.« Sie richtete sich auf und wischte sich mit dem Papiertaschentuch die Tränen aus dem Gesicht.

»Sie müssen sich nicht entschuldigen.«

Daraufhin huschte für einen kurzen Moment ein zaghaftes Lächeln über ihr Gesicht.

»Wohnen Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter in diesem Haus?«, erkundigte sich Uwe und sah sich in dem Raum nach Hinweisen um, die für die Ermittlungen von Bedeutung sein könnten. Doch außer einer Unmenge an Dekoartikeln in maritimen Stil sowie diversen Fotos an den Wänden, zumeist Kinderfotos, fiel ihm nichts auf, was sie in der Sache weiterbringen könnten.

Ina Heimke schüttelte traurig den Kopf. »Nein, ich wohne im Norden von Westerland und passe auf die Kinder auf, wenn meine Tochter Früh- oder Spätdienst hat. Hin und wieder übernachte ich hier.« Erneut rollten Tränen über ihre Wangen. »Oh Gott, ich weiß gar nicht, wie ich das den Kindern beibringen soll? Sie sind doch noch klein.« Sie presste sich das durchnässte Taschentuch zum wiederholten Male vor Mund und Nase, während sie den Kopf zur Seite drehte, um sich zu schnäuzen. »Entschuldigung!«, schluchzte sie mit erstickter Stimme, um Haltung bemüht.

»Wie alt sind die Kinder?«, erkundigte sich Nick.

»Das Mädchen ist sechs und der Junge vier.«

»Wo ist der Vater?«, wollte Uwe wissen, während Nick sich Notizen machte.

»Meine Tochter hat sich von ihrem Mann getrennt. Erik lebt in Düsseldorf.«

»Wie lautet sein vollständiger Name?« Nick sah von seinen Aufzeichnungen auf.

»Erik Johannsen«, erwiderte Bentes Mutter. »Sicher benötigen Sie seine Adresse? Ich kann sie Ihnen geben.«

»Danke.« Uwe nickte. »Wie lange liegt die Trennung zurück?«

 

»Das ist ungefähr zwei Jahre her. Zwischen Bente und Erik besteht ein gutes Verhältnis, schon allein wegen der Kinder. Es gab diesbezüglich keine Streitigkeiten, falls das wichtig für Sie sein sollte«, erläuterte Ina Heimke unaufgefordert.

»Hat Ihre Tochter in der Zwischenzeit einen neuen Partner?« Nick hatte beim Betreten des Hauses ein paar Sportschuhe im Flur stehen sehen, die eindeutig auf einen Mann hindeuteten.

»Ja, seit einem knappen Jahr lebt sie mit ihrem Freund zusammen. Er heißt Alex Vechter. Er müsste jeden Augenblick nach Hause kommen.« Ihr Blick wanderte zu der Uhr neben dem Bücherregal. »Alex arbeitet als Koch in einem Restaurant in Westerland«, fügte sie hinzu.

Plötzlich tauchte ein Mädchen im Türrahmen auf. Seine blonden Löckchen umrahmten sein zierliches Gesicht, und auf seinem Nachthemd prangte das Bild von Disneys Eiskönigin.

»Lea, mein Spätzchen! Warum schläfst du denn nicht?« Ina Heimke sprang auf und eilte auf das Kind zu.

»Wer sind die Männer, Oma?«, fragte das Mädchen, schmiegte sich eng an seine Großmutter und zeigte auf die Beamten.

Bevor sie antworten konnte, wurde ein Schlüssel im Türschloss gedreht. Die Haustür öffnete sich, und ein hochgewachsener Mann mit blonden Haaren und Dreitagebart stand im Flur.

»Was ist hier los?« Sein Blick wanderte nervös zwischen den Anwesenden hin und her.

»Herr Vechter?«, vergewisserte sich Uwe.

»Ja. Und wer sind Sie?«

»Wilmsen, Kripo Westerland. Wir müssen Ihnen eine traurige Mitteilung machen.«