Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

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HELGE geht ins Hotel

Ich gehe ins Hotel. Wie jeden Abend. Wie jeden Abend, außer Dienstag und Mittwoch. Ich werde da, wie jeden Abend, Klavier spielen. Was sind Sie von Beruf? Pianist. Ah, interessant, in welchem Orchester, wenn man fragen darf? Oh, Sie dürfen. Im Marriott. Äh, was ist das? Das ist ein Hotel. Mit einer Bar und ich bin der gottverdammte Barpianist. Äh, oh. Interessant.

Nein, Sie Arschgesicht, das ist nicht interessant. Das ist einfach nur Scheiße. Jeden Abend das Lied des eigenen Versagens spielen zu müssen kann ja nun wirklich nicht spannend sein.

Ich werde erst all die Lieder spielen, die sie hören wollen. Und wenn sie betrunken sind, werde ich meine Lieder spielen. Spiel ich meine Lieder, wenn sie noch nüchtern sind, dann kann es sein, daß sie anfangen, ganz laut zu reden. Oder ein Mann mit rotem Gesicht »aufhören« brüllt. Und dann hör ich auf und spiele Karel Gott und so. Wenn sie dann betrunken sind, wird eine Frau an mein Klavier kommen. Vorher wird sie mir ein paar Getränke ans Klavier bringen lassen. Süße Cocktails. Die ich nicht mag. Ums Verrecken nicht. Aber ich werd die trinken, ich hab es mal nüchtern machen wollen. Da ging es nicht, und danach mußte ich mich erst recht betrinken. Also, trink ich diesen süßen Scheiß. Eine kommt immer. Sie sehen meistens aus, wie das Zeug, das sie mir ans Klavier bringen lassen. Ohne Kontur. Die Frau ist also angetrunken. Sie war auf einer Messe oder etwas ähnlich Nutzloses und sie ist alt. Sie ist alt für eine Frau, die sich mit ein paar Gläsern Alkohol nicht unter Kontrolle hat. Und sie hat mich die ganze Zeit angesehen. Sie hat meine wundervollen Hände angeguckt und sich vorgestellt, wie die über ihren blöden Körper wandern. Und dann steht sie am Klavier und ist nervös. Wir dann später an die Bar und erst mal ordentlich was getrunken. Dann sagt sie irgendwann, daß sie müde ist, auf ihr Zimmer will. 65 sagt sie. Und ich lächle sie an. Später, nicht zu spät, weil sonst ist sie eingeschlafen, so betrunken, wie sie ist, gehe ich auf Zimmer 65. Ich klopfe und sie macht auf. Ganz rot im Gesicht. Und dann sitzen wir auf dem Bett, und sie ist ganz heiß. Ich bring sie dann dazu, daß sie mir Geld anbieten. Oh, gnädige Frau, ich würde gerne bei Ihnen bleiben, aber der Verdienstausfall, Sie verstehen schon, ich werd ja fürs Spielen bezahlt. Fürs Klavierspielen. Und so laber ich, und die Damen sind schon so weit gegangen, daß sie nicht mehr zurückkönnen. Alle haben mir bis jetzt Geld gegeben. Und ich habe es genommen. Nicht weil ich es brauche. Ich weiß nicht, was ich mit Geld soll, außer es zu vertrinken. Nein, ich nehm das Geld, weil es konsequent ist. Wenn ich schon nichts anderes hinkriege, dann will ich wenigstens konsequent Scheiße bauen.

VERA geht ins Büro

Ich gehe ins Büro. Wie jeden Morgen. Ein kurzer Weg. Ein kleines Stück durch so eine städtische Grünanlage. Wo ich mir denke, jeden Morgen, es müßte richtig lässig sein, nicht ins Büro gehen zu müssen. Mich hinzusetzen. Unter einen Baum und ein Buch auspacken. Lesen, aber eher gucken, wie die anderen ins Büro gehen. Dann, wenn alle gegangen sind, aufstehen und irgendwo ganz anderes hinlaufen. Kaffee trinken und rauchen und vielleicht einfach nur warten, bis die anderen aus dem Büro kommen, in Richtung Abend. Dann denen die Kippe vor die Füße werfen. Ich weiß nicht, wer mein Leben eingerichtet hat. Vielleicht ist es beschissen, weil ich so früh ein Kind gekriegt habe. Vielleicht ist es aber auch nur beschissen, weil Leben beschissen ist. Und jetzt muß ich ins Büro. Mir ist nicht klar, wozu das gut ist. Das einzige, worauf ich mich freue, ist diese Idee, die mich dort erwartet. Die geht so, die Idee … Also, da kommt der Chef ganz aufgeregt ins Büro, weil er total wichtigen Besuch kriegt. Einen Multimillionär aus Brasilien. Wegen irgendwelcher Verträge. Und dann sagt der Chef: Ruhe meine Damen und frischen Kaffee, wenn ich bitten darf, Fräulein Vera. Ich dann rein ins Chefzimmer, mit dem Kaffee. Und da sehe ich diesen Mann. Der ist total schön. Wie Rutger Hauer sieht der aus. Ich habe keine Ahnung, ob Brasilianer so aussehen können wie Rutger Hauer. Auf jeden Fall fange ich direkt an, mit dem Mann zu küssen. Mein Chef bekommt einen Herzanfall und stirbt. Ich fahre mit dem Mann im Fahrstuhl, und dort vereinigen wir uns das erstemal. Das ist so, wie es im richtigen Leben noch nie war. Naja, um es kurz zu machen, ich fahre dann mit ihm auf seine Hacienda. Und das kann man sich ja vorstellen, daß das eine Idee ist, die für eine lange Zeit reicht. Meistens bin ich ziemlich traurig, wenn ich aufhören muß zu träumen. Manchmal denk ich, es wäre total gut, an irgendwas glauben zu können. An eine politische Idee oder so. Aber heute glaubt kaum wer noch was. Alle Leute laufen bloß noch so rum und warten darauf, daß ihnen jemand eine Idee gibt. Da sind auch Ideen, aber so richtig fehlt denen die Notwendigkeit. Und darum warten alle. Die Menschen, die ich kenne, sind entweder esoterisch geworden oder familiär. Unglücklich sind sie alle. Ich geh ins Büro. Ich werde erst mal Kaffee trinken, und dann werde ich an den Mann denken, der alles ändert.

RUTH schminkt sich

Ich habe mich schon immer geschminkt. Der Lippenstift ist blutrot. Nur die Lippen sind nicht mehr da. Die sind irgendwann einfach weggegangen. Vielleicht haben die Mundwinkel sie verjagt. Als die immer fester wurden. Und sich nach unten verzogen. Ich trage Make-up auf, es bleibt in den Falten meines Gesichts hängen. Ich sehe mein Gesicht damals. An diesem Morgen. Damals, in Paris. Im Hotelbett hinter mir schlief Wolfgang. Es war unser erstes Wochenende zusammen. Es hatte diesen Nebel draußen, den nur Herbste bringen. Ich sah auf die zinnfarbenen Dächer und wußte absolut nicht, was ich machen sollte, vor Glück. Ich zog mich also an und ging raus. Es war noch kühl. Ich saß in einem Straßencafé und trank Kaffee. Sah zu dem Hotelzimmer hoch. In dem meine erste große Liebe schlafend lag. Komisch, daß ich die meisten Sachen nur in der Erinnerung richtig fühlen kann. Es wurde warm, da liefen Franzosen rum, und alle strahlten mich an, weil ich so strahlte. Und alles war am Anfang. Ich saß in der Sonne und trank Milchkaffee. Und dachte, ich wäre die einzige, die glücklich sein könnte. Oben lag Wolfgang und schlief. Ich glaube wirklich, so glücklich wie damals allein in diesem Café, war ich nie mehr. Anders glücklich. Aber nie mehr so. Bei späteren Glücken wußte ich ja schon, daß Glück eine endliche Sache ist. Damals glaubte ich, das wäre jetzt für immer so. Ich habe Wolfgang später verlassen. Ich dachte ja, da warten noch viel größere Sachen auf mich. Aber dann habe ich gemerkt, daß mein Leben einfach zu kurz ist, für diese ganzen großen Sachen. Und jetzt stehe ich da, morgens, und schminke meine Lippen. Die gar nicht mehr da sind. Und für wen weiß ich nicht.

VERA glaubt nix

Vera sitzt bei Frau Burchard und glaubt nix. Es gibt auch noch nix, was sie glauben könnte, aber es ist schon mal eine gute Grundhaltung, nix zu glauben, wenn eines zu einer Wahrsagerin geht. Alle, die zu so was gehen, sagen immer: Wissen Sie, ich glaub da natürlich nicht dran. Die Wahrsagerin sieht aus wie eine etwas verwahrloste Bankangestellte, und wie sich später herausstellt, ist sie eine etwas verwahrloste Bankangestellte. Sie raucht Kette, und Vera sitzt ihr an einem wirklich häßlichen Tisch gegenüber, in einer wirklich häßlichen Wohnung. Während die Hexe wie besessen raucht und die Karten mischt, guckt sich Vera die Bücher im Regal an. Thorwald Dethlefsen: Krankheit als Weg. Die Nebel von Avalon. Ich bin O. K. Du bist O. K. Thorwald Dethlefsen: Schicksal als Chance. Vera bekommt einen Schluckauf. Eine kalte Hand greift nach ihrem Herzen. Menschen, die Thorwald Dethlefsen lesen, sind zu allem fähig.

Die verlotterte Bankangestellte fängt an zu reden, die Kippe im Mund. Und Vera guckt die ganze Zeit auf diese Kippe. Ob sie nicht vielleicht runterfällt, beim Reden. Das wäre Vera peinlich. Die Frau redet. Sie haben es wirklich nicht leicht im Moment. Ihre Tochter ist weg. Eine weite Reise. Ich denke, sie wird nicht zurückkehren. Ja, ist recht, denkt Vera, ohne sich zu wundern, daß die Frau von ihrer Tochter weiß. Die Hexe empfängt die Zweifelsschwingungen gar nicht, sondern redet weiter: Ihr Mann fühlt sich eher zum eigenen Geschlecht hingezogen. Ja, denkt Vera, er schläft zwar jede Nacht mit einer anderen Frau, aber wahrscheinlich irrt er sich da nur und denkt, das sind verkleidete Männer. Und die Hexe sagt: Sie werden auch bald weggehen. Mit dem falschen Mann. Dann sieht die Wahrsagerin irgendwas in den Karten und reißt den Mund auf. Die Kippe fällt nun doch auf den Tisch, und Vera muß lachen. Die Wahrsagerin lacht nicht, sondern verabschiedet sich zügig. Draußen denkt sich Vera, warum soll ich eigentlich nicht weggehen. Vera setzt sich in ein Café und sieht sich beim Kofferpacken zu. Und dann klingelt es unten an der Tür, und Rutger Hauer steht da. Er sagt, so, mal los, und dann steigen sie in ein Taxi.

HELGE ist allein

Alle weg. Nora tobt irgendwo am Meer rum und wird wahrscheinlich Hasch rauchen und Lieder zur Gitarre singen. Ich weiß gar nicht, was so Leute wie sie heute singen. Talking Heads und Kate Bush wohl nicht. Ich weiß nicht, wie die Leute heute auf der Gitarre Techno-Stücke spielen und dazu singen. Aber wirklich nicht.

Vera ist irgendwo. Und ich habe meinen freien Tag und bin alleine. Ich hab erst mal geschlafen, bis abends, versteht sich. Bis dahin alles gut. Ich dann so in der leeren Wohnung rumgetigert und mir gedacht, so, jetzt machen wir’s uns mal nett. Und dann fiel mir nix mehr ein. Und gleich kommt die Nacht. Nur noch ein bißchen Licht ist da. Ganz blau, und wenn ich mich noch ein Stück weiter aus dem Fenster beuge, fall ich raus. Das würde nicht groß was machen, weil die Luft so dick ist, wie etwas, das lebt und gar nicht wehtun kann. Die Vögel sind am Wahnsinn. Ganz schnell singen sie, damit sie zu Ende kommen, ehe es dunkel wird. Dann müssen sie ruhig sein, dann ist es dunkel, und die Luft ist so Fleisch, daß die Vögel sich ganz schön anstrengen müssen da durch. Da ist etwas, was sie verrückt macht, mich verrückt macht, und keines weiß, worum es geht. Vielleicht ist es die Nacht. Da draußen, vor meinem Fenster. Die atmet aus, die Nacht. Haucht mich an. Ganz warm. Ich bin allein, an meinem Fenster, am Rande der Nacht und hätte so gern wen, dem ich was sagen kann. Und keiner da, nur ich laufe rum, in meinem Zimmer. Und kann nicht sitzen. Schlafen auch nicht, oder denken. Zu sehr warm, zu laut die Vögel, und draußen in der Stadt wartet irgend etwas auf mich. Wenn ich rausgehe, werde ich es suchen. Nichts finden. Also gehe ich raus. Die Vögel ganz schrill. Aus ihren Zungen sollte man Pasteten kochen. Die kleinen Leiber rupfen und grillen.

 

Ich komme an einer Bar vorbei, ganz gelb ist die. Wie ein Bild von diesem traurigen Mann, der immer leere Bars malt, mit leeren Menschen drin. In der Bar sind so Menschen. Eine Versammlung anonymer Autisten. Die stehen am Tresen und sind schön. Ich also da rein, und dann steh ich am Tresen und schaue wie alle zum Eingang, als ob da das Glück reinkäme. Da kommen Mädchen rein. Nie alleine und sehr viel Erwarten in den jungen Gesichtern. Nett kommen die rein, die Mädchen und die Jungens kommen rein wie zum Kämpfen. Die Beine breit, als wären da Muskeln, die ein Zusammentreffen des Fleisches verhindern. Sie sehen ins Nichts, die Jungen. Sie lächeln auch nicht und gehen direkt an die Bar und schwingen sich auf Hokker, als wären das Pferde. Sie spreizen die Beine, wegen der Muskeln, und stützen die Hände darauf. Die Daumen nach außen. Und dann gucken sie wieder ins Nichts, als wär das die Prärie.

In so einer Bar alleine zu sein ist, wie allein zu sein in einem fremden Land. Das Schweigen zieht mich nach innen, und da ist auch nicht mehr los.

Neben mir kommt eine blonde Frau zum Stehen. Sie hat so ein Hängerchen an und einen Mittelscheitel und Spangen in den Haaren. Die Frau beugt sich über den Tresen und bestellt ein Kaltgetränk. Dabei kriecht eine Brustwarze aus dem Hängerchen. Die Frau läßt das ganz kalt. Sie hebt eine Augenbraue hoch, trinkt von dem Getränk und guckt. Da kommt dann auch schnell ein Mann. Er stellt sich dicht neben die Frau. Und fängt an, mit der Brustwarze zu sprechen: »Es ist warm.« »Hm«, sagt die Warze durch den Mund der Frau. Das Gespräch geht dann so weiter, und mich überkommen Trauer und Müdigkeit. Verfluchte Nacht, die mich zwingt, aus meiner Wohnung zu gehen und in einer Bar dem Blödsinn fremder Menschen zuzuhören. Ich trinke was, um das nicht mehr zu hören, über den Schlucklauten. Ich trinke was und werde immer schwerer im Kopf, und vielleicht wäre es gut, jetzt einen Socken in ein leeres Glas zu stopfen oder der Frau zu sagen: Entschuldigung, aber Sie haben da eine Warze über Ihrem Kleid. Aber so was denk ich mir immer nur, und dann gehe ich schweigend weg. Ich also schweigend weg, und draußen ist ein ganz junger Regen. Eventuell wäre es gut, ziemlich weit weg zu sein. Am Swimming-pool des Oriental Hotels in Bangkok vielleicht, wo die Luft nach verschimmeltem Metall röche, und ich würde schwitzen und süße Mixgetränke trinken. Dann würde ich in ein eiskaltes, klimatisiertes Zimmer gehen und ein Buch lesen. Oder ich säße in Venedig. In so einem Café am Kanal mit Brackwasser und Tod in der Luft. Ich würde Latte Macchiato trinken. Und dann in ein stickiges Hotelzimmer gehen und ein Buch lesen. Es ist wohl so, daß ich überall gerne wäre, an einem solchen Abend, wo ich nicht bin. Ich bin da und laufe durch die Nacht wie etwas, was da nicht hingehört.

Junge Menschen fahren in offenen Gölfen an mir vorbei. Die Mädchen haben blonde Haare, die wehen, und die Jungens tragen Kappen, und alle lachen laut. Ich glaube aber, es ist schon O. K., nicht blond zu sein und dauernd lachen zu müssen. Ich lauf also weiter, und jetzt regnet es nicht mehr. Der Geruch nach dem Regen im Mai und die Nacht im Mai und vom Regen was an meiner Wange, das feucht ist und da runterläuft. Mich auf diese Wiese da drüben werfen, rumrollen, gegen die Nacht anrollen und die ganzen Wünsche. Von denen ich noch nicht mal weiß, wie sie heißen. Wie das wohl wäre, jetzt neben einer schönen Frau zu laufen. Einer die aussehen würde wie … und das fällt mir nicht ein, wie die aussehen sollte. Mir fallen nur Frauen ein, die nicht mehr meine sind, und wie ich neben denen durch solche Nächte gelaufen bin. Sie links, ich rechts und in jedem Fall ein Mißverständnis in der Mitte.

Die Frau, die jetzt neben mir laufen sollte, müßte eine sein, die mir noch nie begegnet ist. Eine, bei der ich alles sagen kann, ohne daß ich es erklären muß und dadurch so schnell werde im Kopf, und alles geht, weil die Frau immer die richtigen Fragen stellt und die richtigen Antworten gibt. Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie so jemand aussehen sollte. Da gucke ich lieber die Tankstelle an. Irgendwann sollte wohl jeder mal so eine Tankstelle anzünden. Ich stelle mir vor, wie ich das machen würde. Das Streichholz irgendwie in die Zapfpistole und weglaufen. Dann in gutem Abstand an einem Baum lehnen und eine rauchen. Derweil würde die Tankstelle explodieren und hell brennen. Das würd ich mir dann ansehen, und ich hätte einmal in meinem Leben was richtig Großes gemacht. Ich lasse das im Moment, weil ich keine Streichhölzer habe und keine Ahnung, wie man so was mit einem Feuerzeug anzündet. Meine Wohnung grinst, als ich komme. Verregnet und ohne Glück. Und als ich auf meinem Bett liege, sehe ich an der Wand die Lichter der Autos. Die Spuren machen, wie eine Schlange, die Phosphor gefressen hat. Auf einmal ist es, als wenn eines die Augen zurechtschiebt, daß sie etwas erkennen, auf einem dieser blöden 3D-Bilder. Ich sehe, was die Nacht mir sagt: »Hör mal, sagt sie, es ist doch viel aufregender, auf Unbekanntes zu warten, als zu haben, was nie so sein wird, wie du es dir denkst, während des Wartens.« Und dann geht die Nacht schlafen, und das Summen der großen Stadt da draußen ist wie ein Lied, das eine Mutter oder jemand ähnliches mir singt, damit ich gut einschlafe.

BETTINA steht auf

Ich kenne diese Frauen. Ich habe kein Mitleid mit ihnen. Die Welt ist voll davon. Ich habe kein Mitleid mit der Welt. Ich kenne diese Frauen, und sie ekeln mich an, weil sie sich einem Kampf stellen, den sie nur verlieren können. Verlierer ekeln mich an. Alle Verlierer, diese Millionen Frauen, die jeden Morgen mit ihren schwachen, zitternden Frauenbeinen aus dem Bett fahren. Durch ihr Zimmer wackeln. Aufrechtgehalten nur von ihrer Angst, sich in Richtung des Kampfplatzes schleppen. Die dünnen Frauenarme das Schlottern des Herzens fortführend, in eine Ecke ihres Zimmers tasten. Sich auf den Feind werfen, diese Frauen, in einem letzten Aufbäumen vermeintlicher Stärke. Die Türen zur Hölle aufreißen. Angesprungen werden von Kröten des Zweifels, die spucken. Von Schlangen der Unsicherheit, die den Frauen eins auf die Fresse geben. Stehen sie da, feige, gedemütigt, erniedrigt im immer gleichen Gefecht, in der Hölle, nicht schlauer werdend. Verdienen sie nichts Besseres, als die Schlacht zu verlieren. Und jeden Morgen der gleiche Dreck vor dem Kleiderschrank. Das Hirn noch voller Träume von nackten Menschen, versuchen sie zu entscheiden, wie sie sich an diesem neuen Tag der Welt zeigen wollten. Versuchen zu wissen, noch mit ungeputzten Zähnen, ob das Wetter sich ändert, ob ihre Stimmung leger oder damenhaft sein wird. Fragen, die sie noch nicht einmal am Abend beantworten können, verlangen am frühen Morgen nach stoffgewordenen Antworten. Das ist der wahre Schwachsinn. Da können sie doch nur verlieren, diese Frauen. Und das tun sie dann auch. Fast immer liegen sie mit ihrer Bekleidungswahl daneben. Schlacht verloren. Wieder ein Tag umsonst gelebt.

Nichts entwürdigender, als mit einem Brustraus-undBeinnackig-Kleid durch den Tag zu laufen und sich eigentlich nach weitem Sack zu fühlen. Die Blicke aller Menschen peitschen auf dem ungeschützten Frauenleib rum. Die Frau fühlt sich billig, unwürdig, fett und häßlich. Fehlentscheidung.

Nichts peinlicher, als mit langem Arm und Beinkleid durch die plötzlich aufgetauchte Sonne zu laufen, zu transpirieren wie der Teufel, schlecht zu riechen, Make-up verschwitzt, verschwimmt in ihren Gesichtern. Fehlentscheidung. Schlacht verloren. Tag versaut.

Was beneiden diese Frauen dunkelhäutige Menschen. Keine Ahnung ob die korrekt Neger oder Farbige oder Fritz heißen. Die Menschen halt, die sich irgendein Stück Stoff um den Bauch rollen und fertig. Beneiden auch wirklich schöne Menschen. Bei denen es völlig egal ist, was sie so anziehen. Weil sie schon morgens perfekt gestylt aufwachen. Beneiden sie Tiere, all diese Frauen. Tiere, die sich morgens die Zähne putzen, mal durch die Haare gehen und dann ist gut.

Frauen, all diese armen Frauen, die glauben, neue Sachen würden irgend etwas an ihrer Unfähigkeit, sich am Morgen für eine Anziehsache zu entscheiden, ändern. Nichts wird sich für sie ändern, niemals. Das ist die wahre Hölle, die Frauen durchleben müssen, bis sie irgendwann sterben und mit viel Glück als Mann oder Hund wiedergeboren werden. All die Millionen Frauen, die jeden Morgen das Haus verlassen, bei den ersten Schritten, den ersten Blicken spüren, daß sie komplett daneben aussehen, weil sie diesen verfluchten Rock tragen, die verdammte Hose, die widerliche Bluse. Einen Tag verschenken, mit schlechter Laune durch schlechtsitzende Trikotagen. Ihr Leben verschenken, dem Unwohlsein in den Rachen werfen. Sie tun mir noch nicht einmal mehr leid. Ich verschwende keine Kraft, sie zu verachten. Ich habe meinen Weg gefunden. Ich habe die Schlacht gegen den Kleiderschrank, gegen meine Minderwertigkeitsgefühle, gegen versaute Tage durch trikotale Fehlentscheidungen gewonnen. Es war einfach. Es ist einfach. Ich gehe nicht mehr aus dem Haus. Was soll ich draußen? Da sind Straßen, Autos und fremde Menschen. Lauter uninteressante Dinge. Ich muß nicht rausgehen. Ich muß mich nicht anziehen, um da mitzumachen. Ich kann morgens einfach mein Nachthemd gegen einen Trainingsanzug tauschen, kann in der Dämmerung zum Bäcker schleichen und damit hat es sich, mit allem, was außerhalb meiner Wohnung liegt. Ich schlurfe durch meine abgedunkelten Zimmer, habe Pickel im Gesicht und fettiges Haar. Ich habe meine Kleider verbrannt, den Schrank auch. Im Schlafzimmer ist ein großer Haufen Asche. Die Wände geschwärzt. Insignien eines gewonnenen Kampfes, der Feind klebt an der Decke. Ich weiß, daß immer mehr Frauen meinem Vorbild folgen werden. Die Straßen leer sein werden, bis auf ein paar mausgraue Männer, die herumirren werden und nach Frauen gucken. Aber da sind keine mehr. Die sind zu Hause, in dunklen Wohnungen, in schmutzigen Trainingsanzügen. Sie liegen im Bett und gucken Fernsehen. Sie essen Pralinen. Und sie sind sehr, sehr glücklich.

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