Verhasst

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Z serii: Verhasst #1
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Verhasst
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Shino Tenshi

Verhasst

Nur nicht liegen bleiben

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

"Verpiss dich!"

Ich wurde grob nach hinten geschubst, wo mein Rücken hart gegen das Metall der Spindtüren prallte, was mich kurz vor Schmerz aufkeuchen ließ.

"Dich will niemand hier haben, du Perverser!"

Man schlug einfach noch einmal zu. Aus Prinzip. Mitten in die Magengrube, wodurch sie sämtliche Luft aus meinen Lungen pressten und mich zusammenklappen ließen.

Ihre Schritte entfernten sich, als ich in die Knie ging und immer weiter hinunterrutschte. Ich spürte die Tränen in meinen Augen und das Zittern meines Körpers.

Man spuckte mich an, als man an mir vorbeiging und ich mich noch nicht erhoben hatte, wodurch ich ein Schluchzen nicht verkneifen konnte, bevor ich mich dann langsam erhob.

Der Schmerz grub sich weiter durch meinen Leib und verhinderte, dass ich meine Hand von meinem Bauch nehmen konnte, als ich nach meiner Schultasche griff und sie mir über die Schultern warf.

Sie waren alle weg. Wie jeden Tag war ich der Letzte, der ging, nachdem alle mir ihren Hass entgegen geschmissen hatten.

Meine Wange brannte und mein rechtes Auge war geschwollen und blau verfärbt, so wie viele andere Stellen an meinen Körper.

Wenn die Lehrer fragten, sagte ich, dass ich irgendwo dagegen gelaufen wäre. Sie glaubten mir schon lange nicht mehr, doch sie würden mich nicht schützen können. Niemand konnte das.

Ich würde es entweder selbst überleben oder unter ihrem Hass sterben. Das war mir damals klar gewesen.

Damals als ich mich geoutet hatte...

„Felix, was ist los? Du sagtest, dass du etwas mit mir besprechen wolltest.“ Seine blauen Augen sahen mich verwirrt an, wobei ich kurz seufzte und ihn darum bat einfach auf dem Bett Platz zu nehmen, während ich auf meinem Schreibtischstuhl saß.

„Robert, du bist mein bester Freund und ich bin der Meinung, dass du es wissen solltest.“ Ich hatte ihm so sehr vertraut und ich musste einfach mit jemanden darüber reden. Ja, ich dachte, dass Robert die richtige Person sein würde. Wir kannten uns schon so lange und hatten uns bisher alles erzählt.

„Jetzt mach es mal nicht so spannend. Wo drückt der Schuh?“ Er sah mich wieder mit diesem gewinnenden Lächeln an, wodurch ich mich noch sicherer fühlte. Es musste einfach so laufen. Perfekt.

„Gleich. Ich will dich nur darum bitten, dass mein gleich Gesagtes nichts zwischen uns ändern wird. Wir bleiben Freunde. Egal, was passiert, oder?“, verlangte ich dennoch noch einmal nach Sicherheit. Er war ein Kerl. Ich würde verstehen, wenn er mich danach hassen würde, trotzdem wünschte ich mir, dass dies nicht passierte.

„Klar, wie lange kennen wir uns nun schon? Zehn Jahre? Reicht das überhaupt?“ Er hörte gar nicht auf zu lächeln, wodurch ich mich davon anstecken ließ und ein wenig schüchtern den Blick senkte. „Ja, du hast Recht. Wir kennen uns schon so lange. Da gibt es kaum etwas, was die Beziehung zwischen uns zerstören könnte.“

„Also, rück schon raus, sonst platz ich noch vor Neugier.“ Sein Grinsen wurde breiter und ich fühlte mich dadurch sicher und geborgen, wodurch ich schließlich nickte. Es war okay. Er würde mich verstehen und es würde nichts zwischen uns ändern. So dachte ich es damals. Wie naiv ich doch gewesen war.

„Du weißt ja, dass ich noch keine Freundin hatte und es gibt auch einen Grund dafür.“ Ich hätte aufhören sollen, als ich gesehen hatte, wie sich Finsternis in seinen Augen ausbreitete, doch ich war in so einem Höhenflug, dass ich nicht mehr stoppen konnte: „Der ist auch ganz simpel und einfach. Ich mag einfach keine Frauen in meinem Bett. Robert, ich stehe auf Männer.“

Es trat Ekel in seinen Blick und ich schluckte trocken. Sämtliche Wärme und Zuneigung verschwanden aus seinen Augen, wobei ich die Worte schon bereute. Ich hätte das Thema anders angehen müssen. Viel anders.

„Du bist schwul?“ Seine Art, wie er das letzte Wort ausspuckte, ließ mich erschaudern, wobei ich erneut trocken schluckte und dann leicht nickte: „Ja.“

„Wie bist du da drauf gekommen? Hast du dich etwa in mich verliebt?“ Angst schwang bei der letzten Frage in seiner Stimme mit, wobei ich sofort beschwichtigend die Hände hob: „Nein, nein. Ich liebe dich nicht. Du bist mein bester Freund. Wir sind schon weit darüber hinaus. Aber wie ich es gemerkt habe? Nun ja, weil ich Männer einfach interessanter finde und ich mich auch schon ein paar Mal verliebt habe.“

„In wen?“ Diese Frage wollte ich gar nicht beantworten, wodurch ich nur den Kopf schüttelte und leicht abwinkte: „Nicht so wichtig. Sie haben mich nicht zurück geliebt und es ist schon eine geraume Weile her. Doch ich musste einfach mit irgendwem darüber sprechen und ich dachte, da wir so gute Freunde sind und ich niemanden mehr vertraue als dir, dass ich mich dir anvertrauen kann.“

„Ich wünschte, du hättest es nicht getan. Tut mir Leid, Felix. Ich muss gehen.“ Er erhob sich und verließ das Zimmer. Er umarmte mich nicht, wie sonst immer zum Abschied, sondern schenkte mir nur einen angewiderten Blick.

Als ich die Tür ins Schloss fallen hörte, wusste ich, dass ich ihn damit verloren hatte. Er konnte mit mir nicht mehr befreundet sein, weil ich Männer liebte.

Mein Körper zitterte. Ich hatte meinen besten Freund verloren. Wie sollte ich jemals mit jemanden darüber reden können, wenn nicht einmal er mich verstand und so nahm, wie ich nun einmal war? Meine Eltern würden mich auch verfluchen. Ich…

Ich hätte einfach schweigen sollen. Es weiter verstecken und in mir herumtragen. Warum verstand er mich nicht? Wieso machte es ihm so viel aus? Ich liebte ihn doch nicht. Nein, ich könnte ihn gar nicht mehr lieben. Er war mein bester Freund. Wir hatten so viel zusammen unternommen. Ja, wir hatten einfach die Schwelle schon längst überschritten, wo noch eine Beziehung hätte entstehen können. Er war einfach mein bester Freund gewesen.

Ja, er war es gewesen. Denn so wie er gegangen war, war ich jetzt zu einem hassenswerten Wesen geworden, das er nie wieder in seinem Leben sehen wollte.

Und ich spürte, wie die ersten Tränen über meine Wangen liefen…

„Verpiss dich, Schwuchtel!“, wurde ich begrüßt, als ich am nächsten Tag in meine Klasse trat. Kurz suchte mein Blick Robert und fand ihn auch. Er saß allerdings nicht mehr auf seinen gewohnten Platz, der neben mir gewesen wäre, sondern hatte sich zu einem anderen Jungen gesetzt, wodurch ich spürte, wie ein Dolch des Verrats in mein Herz gerammt wurde. Ich hätte nicht gedacht, dass er wirklich so etwas tun würde, doch ich hatte mich wohl geirrt.

Als ich zu meinen Platz gehen wollte, versuchte man mir ein Bein zu stellen, aber ich konnte mich an einem Tisch abfangen und so verhindern, dass ich fiel. Dennoch lachte die ganze Klasse über mich. Zumindest die männliche Partei. Die Mädchen hielten sich aus der Streiterei heraus, weshalb ich froh war, dass ich mich an dem Tisch einer Klassenkameradin festgehalten hatte, sonst wäre wahrscheinlich noch mehr passiert.

Man bewarf mich mit Stiften und Papierkugeln. „Hast du nicht gehört? Du sollst dich verpissen! Niemand will eine Schwuchtel wie dich hier haben!“

Es war mir egal, wer das rief. Ich wünschte mir, dass sie einfach nur damit aufhörten, doch es geschah nicht, denn selbst als ich an meinem Platz angekommen war, bewarf man mich weiter mit den unterschiedlichsten Sachen.

Ich wollte mich gerade schützend auf dem Tisch zusammenrollen, als man plötzlich an meinem Stuhl zog und so beinahe einen Sturz verursachte, doch ich konnte mich in letzter Sekunde noch festhalten.

Nichtsdestotrotz ging meine Sitzgelegenheit scheppernd zu Boden und als ich mich gerade bückte, um diese aufzuheben, griff man nach meinem Federmäppchen, um es hin und her zu werfen, bis es sein Ziel im Mülleimer gefunden hatte.

„Da gehörst du auch hin“, knurrte man mich an, als ich es mir zurückholte, wobei ich kurz seufzte. Ich hatte damit gerechnet, dass es schlimm werden würde, doch nicht mit so viel Hass.

Als ich wieder an meinem Platz ankam, betrat endlich der Lehrer den Raum, wobei er die Atmosphäre durchaus wahrzunehmen schien, jedoch begann er nach einem kurzen, skeptischen Blick kommentarlos mit seinem Unterricht.

Ich hätte es ihm sagen können, aber ich wollte nicht noch mehr Schwäche zeigen. Irgendwie würde ich das Ganze schon überleben. Sie würden sich ja hoffentlich irgendwann damit abfinden und selbst einsehen, wie sinnlos ihre ganze Hasstirade war.

Doch ich hatte mich geirrt. Erneut…

„Du kannst dich in den Duschen umziehen! Hier will dich keiner haben, perverses Schwein!“ Man nahm mir einfach meinen Sportbeutel weg und schmiss ihn in die besagten Duschen, wobei ich noch einmal den Blick von Robert suchte. Er wich mir aus und tat so, als würde er mich nicht mehr kennen.

 

Und das alles nur, weil ich schwul war. Ich wünschte mir langsam, dass es anders wäre, doch ich hatte es mir nicht ausgesucht. Mädchen waren für mich einfach uninteressant. Ich empfand es nicht als antörnend, wenn ich Busen sah oder die wohlgeformte Taille. Nein, ich mochte auch nicht diesen süßlichen Geruch, sondern liebte diesen herben, animalischen Moschusduft. Alles Dinge, die mir in den letzten Jahren aufgefallen waren.

Ich seufzte und begab mich zu den besagten Duschen, wobei ich mich dann ohne weitere Umschweife umzog. Ignorierte dabei das Gelächter aus dem anderen Raum. Irgendwie wollte ich einfach nur noch diese schreckliche Zeit hinter mich bringen. Aber es würde noch viel zu lange dauern.

Ob ich einfach die Schule wechseln sollte? Noch einmal von vorne anfangen und dann niemanden das Geheimnis sagen? Ach! Was spielte ich mir vor? Wir waren hier auf dem Land. Jeder kannte jeden und wahrscheinlich würden die Schüler der umliegenden Schulen auch bald herausfinden, wie es um mich stand, also war es auch egal.

Ich zog mir gerade mein T-Shirt über den Kopf als mich plötzlich eine gewaltige Ladung kaltes Wasser traf. Einpaar Sekunden verstrichen, in denen ich nur das spöttische Lachen der anderen wahrnahm, ehe ich begriff, dass jemand die Dusche aufgedreht hatte, unter der ich stand. Sofort drehte ich sie ab, dennoch war es zu spät und ich stand da wie ein begossener Pudel.

Mein weißes T-Shirt klebte an meiner Haut und zeigte deutlich die zierliche Brust darunter. Ich war dürr und man erkannte die Rippen, weil sich aufgrund der Kälte alles in mir zurückzog und ich zitternd da stand.

Verständnislos starrte ich meine Mitschüler an, wobei diese erneut nur laut auflachten und selbst Robert schmunzelte ein wenig. Wie ich ihn dafür hasste. Er könnte wenigstens einen Moment zu mir stehen. Mich nicht so alleine lassen. Aber nein, das ging nicht. Es wollte einfach nicht gehen.

Ich wrang mein T-Shirt aus und versuchte auch aus der Hose ein wenig des Wassers zu bekommen. Allerdings wollte dies alles nicht so recht funktionieren, während ich weiter fror und bereits schon wieder alleine war.

Schließlich erklang der Schulgong und ich wusste, dass ich in der Turnhalle erscheinen musste. Was würde der Lehrer dazu sagen? Und vor allem, was würde ich ihm sagen? Konnte ich meine Mitschüler verpetzen? Machte ich dadurch nicht alles nur noch schlimmer?

Ich seufzte und schritt dann in die besagte Turnhalle, wobei ich einfach hoffte, dass sie mich nun wenigstens den Sport einigermaßen heil überstehen ließen. Die Hoffnung starb ja bekannterweise zuletzt…

„Wieso bist du so nass?“ Die Stimme des Lehrers drang zu mir durch, wobei ich nur kurz mit den Schultern zuckte. „Ich bin aus Versehen an den Hebel der Dusche gekommen, als ich mich darunter umgezogen habe.“

„Wieso das?“ Die Skepsis in der Stimme des Erwachsenen nahm weiter zu, weshalb ich einen kurzen Moment überlegte. Mein Blick huschte dabei immer mal wieder zu meinen Mitschülern, doch ihre Haltung zeigte deutlich, was passieren würde, wenn ich jetzt die Wahrheit sagte, wodurch ich kurz trocken schluckte.

„Ich weiß nicht. Irgendwie ziehe ich mich lieber fern der anderen um“, log ich schließlich und wich dem Blick des Lehrers aus, wobei ich hörte, wie er schwer seufzte und ich spürte, dass ich mich getäuscht hatte. Er glaubte mir nicht, doch er schien auch zu sehen, dass ich nichts anderes von mir geben würde.

„Gut, so kannst du nicht mitmachen. Jetzt ist eh eure letzte Stunde. Zieh dich um und geh nach Hause, bevor du mir krank wirst.“ Seine Stimme war sanft und ich nickte nur. Sah in den Augen meiner Mitschüler, dass sie doch so viel mehr noch mit mir vorhatten. Tja, diese Chance hatten sie sich selbst genommen.

Als ich mich abwandte, konnte ich mir ein siegessicheres Lächeln nicht verkneifen. Schließlich hatte ich diese Schlacht doch noch gewonnen. Die Erste in einem langen Krieg. Und ich wusste noch nicht, wer als Gewinner hervorgehen würde.

Langsam betrat ich wieder die Umkleidekabine und holte mein Zeug. Es war egal, ob ich mich umzog oder nicht, denn auch meine anderen Klamotten waren pitschnass, weswegen ich sie einfach in meine Sporttasche stopfte und den Raum so verließ, wie ich gerade war.

Zuhause würde meine Mutter auf mich warten und sie würde sich bestimmt fragen, warum ich jetzt schon zurückkam. Ich musste mir eine gute Ausrede einfallen lassen.

Erneut seufzte ich. Eigentlich hatte ich es Robert gesagt, damit diese Welt aus Lügen endlich verschwand, doch jetzt musste ich weiter die Wahrheit vertuschen. Es wäre nicht unbedingt das Beste, wenn sich die Erwachsenen nun auch einmischten. Nein, wahrscheinlich würde das Alles die Situation nur noch schlimmer machen. Viel, viel schlimmer.

Ein Seufzer stahl sich über meine Lippen, als ich mein Fahrrad aufschloss und meine Taschen auf dem Gepäckträger befestigte, bevor ich es aus dem Keller schob und schließlich aufsaß.

Noch einmal sah ich auf das Schulgebäude zurück. Gestern war ich noch beliebt gewesen. Ich hatte mit ihnen gelacht und ihre Nähe genossen. Niemand hatte geahnt, dass ich so war, wie ich nun einmal war: Schwul.

Jetzt war alles anders. Ich hatte mich dem falschen Menschen anvertraut. Der Mensch, dem ich blind gefolgt wäre, hatte mich in diese Welt gestoßen. Er hatte meine Gutmütigkeit einfach ausgenutzt und so getan als wäre ich der Feind. Hat es allen erzählt, wie ich zu dem männlichen Geschlecht stand und vielleicht noch viel mehr.

Ich wollte gar nicht wissen, was er gesagt hat oder was sich die Jungs nun dachten. Es würde mich wahrscheinlich nur noch mehr verletzten. Morgen würde ich zurückkommen müssen. Es würde weitergehen. Ich wollte das Alles nicht, aber ich konnte auch nicht mehr lügen. Freiheit. Ich wollte einfach nur frei sein und mich nicht mehr verstecken müssen.

Die Sonne schien warm auf mich herab und begann meine Kleidung langsam zu trocknen, wodurch ich leicht lächelte und noch einmal zurücksah. Das Schulgebäude erhob sich wie ein riesiges Monster vor mir, das mich bedrohte und irgendwann verschlingen würde, es sei denn ich würde es selbst einmal erlegen.

Wer würde aus diesem Kampf als Gewinner hervorgehen?

„Ich bin Zuhause“, rief ich in die kleine Wohnung, wobei meine Mutter sofort zu mir trat und mich irritiert ansah. „Was ist passiert? Hast du kein Sport?“

„Ja, schon. Aber der Lehrer hat mich nach Hause geschickt, weil es mir nicht so gut ging. Ich habe einen Ball gegen den Kopf bekommen. Aber keine Sorge. Ich habe nur Kopfschmerzen und lege mich sofort hin.“ Mit diesen Worten ging ich einfach an ihr vorbei und missachtete ihren sorgenvollen Blick. Ich hatte genug eigene Gedanken, um die ich mich kümmern musste, da konnte ich mich nicht auch noch damit befassen.

In meinem Zimmer angekommen schloss ich die Tür hinter mir ab und ließ die Taschen einfach irgendwo liegen. Es war mir egal und so schlüpfte ich aus der immer noch leicht feuchten Kleidung, wobei ich auch diese achtlos zu Boden fallen ließ, bevor ich mich einfach auf mein Bett schmiss.

Jetzt erst erlaubte ich es mir zu weinen. Immer wieder spürte ich, wie sich mein Körper unter den Tränen verkrampfte und ich rollte mich immer enger zusammen. Versuchte so die Angriffsfläche zu verkleinern und einfach zu verschwinden. Sie sollten mich in Ruhe lassen. Ich hatte ihnen nichts getan und ich hatte auch nicht laut geschrien, dass ich schwul sein wollte.

Wer konnte schon bestimmen, wen er liebte? Welcher Mensch war in der Lage selbst festzulegen, ob er nur Männer oder nur Frauen toll fand? Niemand.

Ich umschlang mich selbst und versuchte mir so Halt zu geben, weil das Gefühl zu fallen immer stärker wurde. Immer wieder durchlebte ich in Gedanken die Szenen des heutigen Tages, hörte ihre Beschimpfungen, spürte die Stöße gegen meinen Körper und vernahm ihr Lachen, wenn sie mich bloß stellten.

Was hatte ich ihnen getan? Ich liebte keinen von ihnen. Niemand war attraktiv genug, dass ich auch nur eine Sekunde daran dachte, mit einem von ihnen ins Bett zu gehen. Sie waren alle nicht mein Typ. Warum sprachen sie mit mir nicht darüber? Ich könnte es ihnen erklären. Sie könnten mich vielleicht verstehen. Warum lachten sie mich lieber aus? Versuchten mich zu vertreiben?

Meine Hände krallten sich in das Laken unter mir, als die Tränen weiter den Stoff durchnässten, während immer mal wieder ein Wimmern über meine Lippen kam. Ich wollte nicht mehr lügen und mich verstecken. Vor niemanden mehr. Doch ich konnte es keinem sagen, wie sie mit mir umsprangen, weil es dann nur noch schlimmer würde. Warum half mir niemand? Sah es denn keiner? Tat ich niemandem Leid?

Ich fühlte mich so verlassen und schutzlos. Wie sollte ich mich dagegen wehren? Was konnte ich tun, damit sie endlich aufhörten? Ich hatte so viele Fragen und keine einzige Antwort. Es tat einfach nur weh, hier zu liegen und zu wissen, dass der morgige Tag genauso weitergehen würde. Doch ich musste in die Schule gehen. Es irgendwie ertragen. Schließlich waren es nur noch ein paar Jahre. Die konnten doch nicht so schlimm werden, oder?

Ein verzweifeltes Lachen kam über meine Lippen, wobei ich erneut spürte, wie sich mein Magen verkrampfte, wodurch ich mich noch einmal tiefer in das Laken unter mir verkroch. Sie würden mich leiden lassen. Immer mehr und irgendwann würden sie körperlich auf mich losgehen. Das wusste ich. Ich hatte es so oft gehört, gelesen und selbst gesehen gehabt. All das würde mir jetzt auch passieren. Ich hatte keine Chance. Sollte ich vielleicht doch mit jemanden darüber reden?

Erneut verkrampfte sich alles in mir und ich schüttelte den Kopf. Nein, das war keine Lösung. Es würde nichts bringen. Rein gar nichts. Wahrscheinlich würde dadurch nur alles schlimmer werden. Viel schlimmer, als es mir selbst lieb war.

Ein Seufzer stahl sich über meine Lippen und ich zwang mich zur Ruhe. Versuchte zu erzwingen, dass das Zittern in meinem Körper nachließ und die Tränen versiegten. Es dauerte eine Weile, in der ich mich bewusst auf das Atmen konzentrierte und mich so immer mehr beruhigte.

Ich musste durchhalten. Vielleicht sollte ich sie einfach nur ignorieren. Das wäre zumindest eine Idee, die man ausprobieren könnte…

Der nächste Tag kam und ich versuchte, meine Idee in die Tat umzusetzen. Erneut beschimpfte und bewarf man mich. Ich ignorierte es einfach, so gut es ging, und reagierte in keiner Weise auf irgendetwas von ihnen. Sah sie nicht einmal an und es hörte auf. Sie stoppten tatsächlich.

Ich konnte es gar nicht begreifen und mein Glück kaum fassen, wodurch ich dem Unterricht wieder mit einem kleinen Lächeln verfolgte. Vielleicht war dieser Terror nun vorbei. So hoffte ich es zumindest.

Doch auch dieses Mal sollte ich mich irren. Als die Glocke schließlich zur Pause schlug, ging ich auf den Schulhof und ließ mich in einer ruhigen Ecke nieder, wo der Schatten mich vor der Sonne schützte und ich auch nicht sofort jeden ins Auge fiel. Ich wollte einfach nur verschwinden und niemanden mehr zur Last fallen.

Gerade biss ich in mein Sandwich, als sich plötzlich vier Jungs vor mir aufbauten. Um eine Konfrontation zu vermeiden, unterdrückte ich den Impuls, den Kopf zu heben und sie anzusehen, denn ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Warum ließen sie mich nicht in Frieden? Was erhofften sie sich davon? War meine Anwesenheit wirklich eine solche Pein für sie?

„Wie lange willst du uns noch ignorieren, Felix?“ Es war die Stimme von Robert gewesen, die diese Frage ausgesprochen hatte, was mich trocken schlucken ließ. Nein, es schien ihm nicht zu genügen, dass er mich verraten hatte. Anscheinend führte er diese ganze Bewegung auch noch an. Warum?

Doch ich reagierte nicht, sondern biss noch einmal von meinem Sandwich ab und hoffte, dass sie einfach verschwanden, wenn ich weiter schwieg und so tat, als wären sie nicht da. Warum wurde meine Hoffnung nicht erfüllt?

Man packte mich grob am Kragen und zog mich in die Höhe, wodurch ich in die Augen von Robert blickte. All die Freundlichkeit und Wärme, die ich in den ganzen Jahren unserer Freundschaft dort hatte sehen dürfen, waren verschwunden. Nun spiegelten sich darin nur noch bodenloser Ekel und Hass.

„Wieso?“ Ich konnte nicht mehr sagen und ich bekam auch keine wirkliche Antwort, sondern man schlug mir stattdessen nur das Sandwich aus der Hand und ich sah wie es im Dreck landete. Warum taten sie das? Weshalb tat Robert das Alles?

 

Bevor ich erneut etwas sagen konnte, schlug man mir hart in die Magengrube. Ich stöhnte auf, als der Schmerz durch meinen Körper raste und war kurz davor, dass ich mich übergab, jedoch konnte ich das noch in letzter Sekunde verhindern.

Immer wieder wurde mein Körper von neuen Schmerzen überrannt, als Robert einfach weiter auf mich einschlug. Dabei konzentrierte er sich vorzugsweise auf meinen Oberkörper, damit man die blauen Flecken nicht sofort sah, weshalb ich mich irgendwann nur noch schützend zusammen rollte.

Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern bis die Fäuste und Füße verschwanden und der Schmerz langsam abebben konnte. Nur am Rande nahm ich dabei die Schulglocke war, doch ich blieb einfach liegen und erneut liefen mir Tränen über die Wangen.

Alles tat mir weh und die Hilflosigkeit stürmte meine Gedanken. Warum kam niemand um mir zu helfen? Wieso ließen alle es einfach geschehen?

Erneut warf sich ein Schatten über mich, wodurch ich mich instinktiv noch mehr zusammenrollte aus Angst, dass man mich erneut schlagen könnte, jedoch drang stattdessen eine sanfte Stimme zu mir durch: „Brauchst du Hilfe?“

Unsicher öffnete ich die Augen und blickte in ein Paar Smaragde, die mich besorgt ansahen, was ich nicht verstand.

„Der Unterricht beginnt bald. Wir sollten gehen“, sprach er weiter, „kannst du aufstehen? Was ist denn passiert, dass du hier so liegst?“

Ich begriff nicht, warum dieser Junge vor mir stand. Sein braunes Haar fiel in einem Pferdeschwanz über seine Schultern, als er weiter die Hand nach mir ausgestreckt hielt und ich sie schließlich zögerlich ergriff.

„Nichts Besonderes. Ich bin wohl eingeschlafen“, versuchte ich erneut zu lügen, doch ich sah, dass er es mir nicht glaubte. „Dann schläfst du aber verdammt komisch.“ Er lächelte kurz und begann vorsichtig den Dreck von meiner Kleidung zu klopfen „Wir müssen uns echt beeilen, sonst kommen wir beide noch zu spät. Ich würde gerne mit dir ein wenig reden. Lust, dass wir uns in der nächsten Pause hier an diesem Ort treffen?“

Ich musste warm lächeln und nickte dann. „Gerne.“ Zwar kannte ich diesen Jungen nicht, doch er war freundlich zu mir und das tat verdammt gut, wobei ich mich dann schließlich vorstellte: „Mein Name ist Felix.“

„Ich heiße Alex“, nannte er ebenfalls seinen Namen und reichte mir dann noch kurz meine Tasche, „also bis zur nächsten Pause.“ Damit verschwand er auch schon wieder und ich lief ebenfalls zurück in meinen Klassenraum. Es tat gut, nicht mehr alleine zu sein und wer wusste, vielleicht würde die Anwesenheit von Alex mir auch ein wenig Frieden gewähren.

Als ich das Zimmer betrat, war der Lehrer schon da, wodurch ich unbehelligt auf meinen Platz gehen konnte. Jede Bewegung schmerzte, doch ich versuchte, mir so wenig wie möglich anmerken zu lassen.

Nur kurz ließ ich meinen Blick zu Robert wandern, doch dort sah ich etwas, was ich nicht erkennen wollte. Er hasste mich dafür, dass ich hier auftauchte und hatte damit wohl auch nicht gerechnet.

„Gut, dann sind wir ja vollzählig.“ Mit diesen Worten begann der Lehrer den Unterricht, wobei ich erneut die kleinen Schikanen ignorierte und mich weiter auf den Stoff konzentrierte. Die nächste Pause kam bestimmt und dann würde ich Alex wiedersehen.

Alleine bei dem Gedanken legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Es tat gut, wieder gemocht zu werden. Seine Sorge war echt gewesen und obwohl er mich nicht kannte, hatte er mir geholfen. So etwas kam so gut wie nie vor. Er hätte mich auch wie alle anderen ignorieren können. Doch er hatte es nicht getan.

Hoffentlich blieb er auch, wenn er über meine Sexualität erfuhr und das würde er wohl sehr schnell, wenn Robert und die anderen mitbekamen, dass wir zusammen rumhingen. Vielleicht gingen sie dann auch auf ihn los. Konnte ich das verantworten?

Zweifel stiegen in mir auf und ich wusste nicht, ob ich wirklich zu ihm gehen sollte. Ich konnte nicht einfach so in Kauf nehmen, dass jemand anderes wegen mir litt. Er war so nett und er hatte es nicht verdient, dass man ihm Unglück brachte.

Vielleicht sollte ich besser nicht zu ihm gehen und ihn meiden. Er hatte es nicht verdient, dass man ihn so behandelte, wie man momentan mit mir umsprang. Dafür war er viel zu nett.

Nein, ich konnte nicht zu ihm gehen. Ich durfte mich einfach nicht mit ihm treffen. Das würde ihn nur in die Sache mit hineinziehen und das konnte ich nicht zulassen. Es war mein Kampf. Meiner ganz alleine.

Ich seufzte und spürte, wie das Glücksgefühl wieder verschwand. Ich war alleine und würde es auch bleiben. „Verzeih mir, Alex, aber ich kann dich da nicht mit hineinziehen“, entschuldigte ich mich in Gedanken bei dem Jungen und hoffte, dass er es mir nicht allzu übel nahm. Doch das war mein Kampf und ich konnte nicht zulassen, dass Unbeteiligte mit hineingezogen wurden. Vor allem wenn sie eigentlich nur helfen wollten…

Die nächste Pause kam und ich erkannte, dass Alex wirklich am vereinbarten Ort auf mich wartete. Immer wieder sah er sah sich nach mir um, doch ich blieb im Verborgenen. Warum ging er nicht einfach? Doch er wartete weiter und plötzlich schritt Robert auf ihn zu. Er wusste, dass dies eigentlich mein Ort war, an dem ich die Pause verbrachte. Sie unterhielten sich und die Panik stieg in mir auf.

Ich wusste nicht, was mein ehemals bester Freund erzählte, aber ich konnte erkennen, dass Alex kurz verwundert war. Doch dann lachte Robert los und Hass stürmte Alex Gesicht. Schneller als ich schauen konnte, stürzte er sich auf Robert.

Nein, ich begriff nicht, was dort abging, allerdings konnte ich auch nicht mehr im Verborgenen bleiben. Sofort eilte ich zu den Beiden und zog Alex von Robert runter, wobei mich die anderen Jungs überrascht ansahen und sich mein ehemaliger Freund mit einem zornigen Blick aufrichtete.

„Was fällt dir ein? Hältst du etwa zu dieser Schwuchtel?“ Es war purer Hass, der aus der Stimme von Robert triefte und ich spürte erneut die Angst in meinem Körper, die mir Übelkeit bescherte, wodurch ich Alex schließlich losließ. Dieser baute sich sogleich vor mir auf und hielt mich somit dem Blick von Robert fern.

„Ja, das tue ich! Seit wann ist es ein Verbrechen, wen man liebt?! Ihr seid erbärmlich, wenn ihr andere deswegen niedermacht!“, schnaubte mein neuer Freund, wobei ich nicht wusste, warum er so handelte. Was versprach er sich davon? Wieso tat er das alles für mich?

Mein Blick glitt über den Pausenhof, doch die anderen Kinder und Jugendlichen sahen nur zu uns her. Manche verstohlen und andere offen und ehrlich, aber niemand kam zu uns. Sie alle wollten damit nichts zu tun haben. Feiglinge! Der Lehrer unterhielt sich mit einem von Roberts Leuten und schien nichts von der kurzen Schlägerei mitbekommen zu haben.

„Es ist einfach nur krank und widerlich! Wie kann man einen anderen Mann lieben?!“, begehrte Robert weiter auf, was mich kurz schlucken ließ, jedoch gab Alex nicht auf: „Indem man es nun einmal tut! Niemand kann sich aussuchen, wen er liebt oder warum! Es ist ein Armutszeugnis, wenn man das nicht begreift und andere deswegen angreift!“

„Halt dich da raus oder stehst du etwa auch auf Männer? Das ist eine Sache zwischen mir und Felix! Geh zur Seite!“ Er wollte Alex grob wegstoßen, doch dieser griff einfach nur nach dem Arm und drehte diesen auf den Rücken, wodurch Robert schmerzhaft aufschrie und in die Knie ging.

„Felix wird in Ruhe gelassen! Haben wir uns da verstanden? Und es ist egal, auf wen oder was ich stehe! Ich sehe es nur nicht ein, dass andere deswegen niedergemacht werden. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?!“ Die Stimme von Alex war hart und unnahbar. Ich wusste nicht, warum er das für mich tat, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas Großes dahinter stand.

Robert gab auf und wurde sogleich losgelassen. Noch einmal trafen sich unsere Blicke und ich spürte, dass es noch lange nicht vorbei war, weshalb ein Zittern durch meinen Körper ging. Er entfernte sich und Alex wandte sich zu mir, wobei ein Lächeln auf seinen Lippen lag: „Wo warst du denn die ganze Zeit? Ich dachte schon, dass du wieder irgendwo zusammengeschlagen liegst.“

„Es tut mir Leid. Ich… ich wollte dich da nicht mit hineinziehen“, entschuldigte ich mich und wusste nicht, was ich nun tun sollte. Ich war mit dieser Situation gänzlich überfordert, als ich dann sein Lachen hörte: „Das ist ja süß. Tja, leider habe ich mich wohl selbst in die Sache hineingezogen. Also brauchst du dich jetzt nicht mehr von mir fernhalten.“