Unsere Liebe ist unsere Macht

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»An diesem Tag ist das breite Spektrum der Menschheit besonders flexibel.«

Einige Tage später, während ich ruhig dasaß, meditierte und mich mit den Großmüttern verband, kehrte ich ohne besonderen Grund zum Thema des 11. September zurück. Mir kam einfach das Datum in den Sinn. Mein letzter Besuch bei ihnen war am Jahrestag dieses Datums gewesen. Es war meine Sorge um das Schicksal der Welt gewesen, die mich dazu gebracht hatte, zu ihnen zu gehen, und sie hatten meine Sorge als Sprungbrett benutzt, um mich über die viel größere Kraft und Reichweite des Lichtnetzes aufzuklären. »Hmm«, dachte ich, »ich frage mich, warum ich wieder an den 11. September denke.«

Da traten die Großmütter auf die »Leinwand meines Geistes«, lächelten wissend und sagten: »Lasst uns dich über die Bedeutung dieses Datums unterrichten.« »Oh!« rief ich aus, überrascht von ihrem plötzlichen Erscheinen. Dann, als sie auf meine Antwort warteten, erinnerte ich mich an meine Manieren. »Okay, Großmütter«, sagte ich. »Danke.«

Sofort hoben sie ein ungewöhnlich breites Gummiband und hielten es vor sich hin. »An diesem Tag, am 11. September«, erklärten sie, »wird ein Breitband für die Menschheit aktiviert.« Ich blickte erwartungsvoll auf. »Mit der Zeit verfestigen sich die Muster, nach denen die Menschen leben. Sie werden starr«, erklärten sie, »aber an diesem Tag war es anders.« Als ich sie ansah und ihnen zuhörte, kam mir in den Sinn, dass »das Breitband«, von dem sie sprachen, unsere Verbindung miteinander war, die Verbindung, die unter all unseren vielfältigen kulturellen Konditionierungen liegt. Und es ist diese Verbindung mit der tiefsten Grundlage, die es uns ermöglicht, die Starrheit zu überwinden, die uns oft in einer bestimmten »Lebensweise« feststecken lässt.

»Weil die Ereignisse des 11. September so schockierend und der Verlust von Menschenleben so wahllos war«, sagten sie, »wurden der Schmerz und das Entsetzen dieses Tages von Menschen auf der ganzen Welt geteilt. An diesem Tag fühlte sich das ganze Spektrum der Menschheit betroffen. Danach konnten die Menschen Verbindungen miteinander knüpfen, die alle kulturellen und nationalen Grenzen überwanden«, sagten sie und dehnten und entspannten das Band, während ich darüber nachdachte, was sie meinten. »An diesem Tag, dem 11. September«, sagten sie, »ist das breite Band der Menschheit besonders flexibel.

Praktisch gesehen, ermöglicht dieses Band einen engeren Kontakt im Kernbereich des Seins. An diesem Tag könnt ihr leichter über die oberflächlichen Beziehungen zu den tieferen Verbindungen kommen, die euch miteinander verknüpfen – nicht an Gewohnheiten oder Erwartungen gebunden«, sagten sie, »sondern als Seelen, die sich zusammenschließen, um sich zu etwas Größerem zu entwickeln. Das ist eine elementare Verbindung«, erklärten sie, »und birgt eine Chance für Entwicklung, für wahre Evolution.« Dann lächelten sie, schüttelten den Kopf über meinen fragenden Blick und gaben mir zu verstehen, dass sie vorerst nicht weiter darüber sprechen würden.

Als ich über ihre Worte nachdachte, erinnerte ich mich an das Lichtnetz und wie es das letzte Mal ausgesehen hatte. Es war dichter geworden und dehnte sich weiter in alle Richtungen aus – nach außen wie nach innen. Es war beweglicher und allgegenwärtiger als damals, als ich es zum ersten Mal gesehen hatte. Das »breite Band der Menschheit«, von dem die Großmütter sprachen, hatte zweifellos mit dieser Ausdehnung des Lichtnetzes zu tun.

Seitdem ich mit ihnen arbeitete, hatten mich die Großmütter immer wieder ermahnt, »das Netz auszuwerfen«, und in all den Jahren hatten ich und Tausende andere es getan. Was sie mir gerade mitgeteilt hatten, erinnerte mich wieder daran, wie wichtig das Lichtnetz war. Und ab heute würde ich, ob in einer Gruppe oder allein, jeden 11. September das Lichtnetz auswerfen. Das Lichtnetz und dieses »breite Band der Menschheit« erwachten zu ihrer grundlegenden Verbindung, und sie hatten viel miteinander zu tun.


KAPITEL 4
Die Welt erfassen

»Jeder sucht nach einer Stellung, sucht nach seinem Vorteil, bewacht eifersüchtig und erkundet gleichzeitig zaghaft.«

Als es mit den Großmüttern weiterging, drängten und weiteten sie mich in vielerlei Hinsicht. Ich wusste jetzt, dass das Lichtnetz »wirklich« war, und wusste auch, dass die kleinen Dramen, die sich in meinem Leben abspielten, eher unbedeutend waren. Aber hin und wieder geriet ich in ein Drama, ohne es gleich zu bemerken, und wenn das geschah, musste ich mich wieder auf das besinnen, was »wirklich« war. Die Großmütter waren mein Kompass, und ich achtete sehr darauf, in welche Richtung ich ging.

Jahrelang habe ich kontinuierlich an Selbstermächtigung gearbeitet. Die Großmütter teilen ihre Botschaften und Lehren mit allen Interessierten und ließen mich auch das Buch schreiben. Dies und die Durchführung der monatlichen Treffen wurden zum Schwerpunkt meines Lebens. Ich führte meine psychotherapeutische Praxis fort, ebenso meine Malerei und Bildhauerei und mein Familienleben, aber ganz gleich, was ich tat, mein Herz war immer bei den Großmüttern. Und wegen meiner Verbundenheit mit ihnen ging meine therapeutische Arbeit tiefer – und meine Kunst ebenso.

Obwohl diese Phase meines Lebens spannend war, war ich doch einsam und frustriert. Es gab niemanden, der wirklich verstand, was ich erfuhr, also hatte ich niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Ich war auch überrascht von den vielen Schwierigkeiten, mit denen ich zu kämpfen hatte, als ich den Großmüttern folgte. Ich hatte angenommen, dass das Universum bei einer Botschaft, die so rein und mächtig wie die ihre ist, alles daransetzen würde, ihre Verbreitung zu fördern. Dies war jedoch nicht der Fall.

Ich konnte niemanden finden, der das Buch veröffentlichte, und an je mehr Agenten und Verleger ich mich wandte, desto mehr Ablehnungen bekam ich. Endlich stand ich vor der Herausforderung, entweder einen Weg zu finden, Selbstermächtigung selbst herauszubringen, oder es wegzutun und zu vergessen. Aber das konnte ich nicht.

Auch bekam ich es mit Eifersüchteleien zu tun. Einige Frauen begannen, meine Beweggründe in Frage zu stellen und das, was ich tat, zu kritisieren und zu sticheln, weil ich wegen dieser Arbeit »etwas Besonderes« war. Auch das überraschte mich. Ich hatte erwartet, dass alle, vor allem die Frauen, die Liebe in der Botschaft der Großmütter spüren und sich von selbst für sie öffnen würden – und für mich, ihren Boten. Stattdessen versuchten einige von ihnen, das Vertrauen zu untergraben: Ich war schockiert. Nachdem dies ein paar Mal passiert war, begann ich mich zu fragen, ob ich mit dieser Arbeit weitermachen sollte oder nicht. Und dann hatte ich einen Traum.

Darin stand ich allein vor unserem örtlichen Kino, in dem ich als Sprecherin auftreten sollte. Mehrere Männer sollten vor mir sprechen, und während ich wartete, hörte ich zu, wie sie lang und breit ihre Theorien darlegten und sehr darauf drängten, ihre Ideen und Produkte zu verkaufen – so sehr, dass die Leute nach und nach das Kino verließen. Ich hatte Broschüren mit der universellen Botschaft der Großmütter im Foyer ausgelegt, die jetzt eine weitere Gruppe von Männern kritisch beäugte – Pastoren, Rabbiner und muslimische Kleriker, alle in dunklen Anzügen. In dem Traum fühlte ich, wie mein Mut durch die Sohlen meiner Füße aus meinem Körper sickerte, und als ich mich vom Kino abwandte, um nach Hause zu gehen, sah ich den vertrauten heiligen Mann, jenen im orangefarbenen Gewand, der mich jahrelang in meinen Träumen unterrichtet hatte. Er stand allein neben dem Eingang zum Kino und schien mich eingehend zu betrachten. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich zu ihm und rang verzweifelt die Hände. »Das sind wichtige Männer, und sie erlauben nicht, dass ich spreche.«

Er sah mich streng an und antwortete: »Was wirst du tun? Losheulen?« Seine Worte erschreckten mich so, dass ich auf der Stelle erwachte. »Losheulen?« wiederholte ich. »Will ich das? – Nein«, sagte ich zu ihm und zu mir selbst, »das werde ich nicht.« Ich wusste nicht, wie ich den Mut finden sollte, die Arbeit der Großmütter fortzusetzen, aber ich war entschlossen, es zu tun.

Bald darauf begann Wolf – einer meiner Geisthelfer, die mir auf meinen Reisen in die Untere Welt erschienen waren – auch in meinen Träumen aufzutauchen. Manchmal sah ich ihn von Ferne und manchmal stand er einfach ruhig neben mir. Oft hat er mir Angst gemacht. Er war heftig und wild und manchmal schnappte er zu. Als er immer wiederkam, wurde mir klar, dass ich in die Welt der Tiergeister gehen musste, um herauszufinden, warum. Was wollte er?

Zur selben Zeit, als ich lernte, mit den Großmüttern zu arbeiten, begann auch die Arbeit mit den Tiergeisthelfern der »Unteren Welt«, wie die Schamanen sie nennen. Ich merkte bald, dass die Weisheit der Tiergeister ebenso wertvoll war wie die der Großmütter, obwohl sie anders geartet war. Auf meinen Streifzügen in die Welt der Tiergeister hatte ich Wolf nur ein- oder zweimal getroffen und immer nur, wenn ich in Begleitung von Bär war, meinem Haupttierlehrer. Aber jetzt schien es, als hätte ich mit Wolf allein zu tun. Als das klar wurde, beschloss ich, zu ihm zu reisen, um herauszufinden, was er wollte.

»Wolf, Wolf!« rief ich, als ich durch meine Öffnung in die Erde tauchte und hinabfiel, bis ich in das vertraute Gebiet der Unteren Welt gelangte. Da drängte ich mich durch dickes Laub und rief: »Wolf! Bitte komm.« Zuerst sah ich ihn nicht, spürte aber seinen warmen Atem. Überrascht wandte ich den Kopf, und da war er. »Wolf, ich kenne dich nicht besonders gut«, sagte ich, trat einen Schritt zurück und schaute ihm in sein kluges Gesicht, »aber du bist in meine Träume gekommen. Möchtest du etwas von mir?«

 

Wie ein verspielter Hund sprang er auf, legte seine Pfoten auf meine Schultern und sah mir in die Augen. »Bring es mir bei, Wolf«, sagte ich, »zeig mir, was du willst.« »Ich bin ein Lehrer«, sagte er, »vertrau mir.« Ich fing an, das dicke Fell an seinem Hals zu kraulen, und als er sich entspannte, kraulte ich seine Ohren. Dann, Pfoten und Arme umeinander, umarmten wir uns, den Kopf auf die Schulter des anderen gelegt. »Wolf!« lachte ich, als wir zu Boden fielen, uns umdrehten und in den Armen/Pfoten des anderen lagen. Es fühlte sich so natürlich an, so angeschmiegt bei ihm zu liegen, dass ich plötzlich das Gefühl hatte, ihn sehr gut zu kennen.

»Ich bin dein Beschützer«, sagte er. »Ruf mich.« Wie stark er ist, dachte ich, und wie geschmeidig. »Wolf«, sagte ich, als er mein Gesicht ableckte, »ich dachte, das könnte der Grund sein, warum du in meinen Träumen erschienen bist. Ich dachte, du wolltest vielleicht mit mir arbeiten. Als D. mich angriff«, sagte ich, »und du erschienst, dachte ich, du wärst vielleicht gekommen, um mich zu beschützen.« »Ja«, sagte er, »und es gibt noch andere. Du ziehst Eifersucht auf dich.«

Wir setzten uns auf, lehnten uns aneinander und blickten hinaus über eine Landschaft wie im Südwesten (der USA), und weil wir oben auf einer Hochebene saßen, konnten wir weit in die Ferne sehen. »Schau!« sagte er. Ich schaute, aber seine Augen waren schärfer als meine, und es dauerte eine Weile, bis ich sah, was er sofort gesehen hatte. In der Ferne rannten Tiere umher. Sie schienen überall zu sein. Ich beobachtete, wie die Rudel innehielten, als eine Einheit weiterliefen und dann wieder innehielten. »Rudel!« sagte ich, verblüfft von ihrer großen Zahl und der Art, wie sie sich fortbewegten: nie als Individuen, sondern immer als Einheit. Dann bemerkte ich, dass einige von ihnen aufrecht gingen und wohl keine Tiere waren. Waren es Menschen?

»Der Schleier zwischen dieser Wirklichkeit und der Alltagswirklichkeit wird für dich immer dünner«, sagte Wolf. »Deshalb sind deine Visionen nicht mehr so dramatisch wie früher. Du bist nicht mehr nur zeitweise im interdimensionalen Kontakt«, sagte er, »du bist die ganze Zeit verbunden.« Ich war mir nicht sicher, was er meinte, aber ich wollte so viel wie möglich von ihm lernen, also sagte ich: »Unterweise mich, Wolf, bring es mir bei!« »Ich bin Lehrer«, wiederholte er. »Pass auf.«

Die Rudel näherten sich einander, schnüffelten, umkreisten sich vorsichtig und schauten sich an. »So ist es nun mal«, sagte Wolf. »Jeder sucht nach einer Position, sucht nach seinem Vorteil, bewacht eifersüchtig und erkundet gleichzeitig zaghaft. Sie suchen die Zustimmung der anderen, aber sie vertrauen nicht.« Als ich das hörte, fragte ich mich, ob ich so war. Vielleicht war ich zu vertrauensselig. Vielleicht sollte ich wachsamer sein und mich besser schützen. War es das, was er mir zeigen wollte? »Nein«, knurrte er und beantwortete meine unausgesprochene Frage. »Kümmere dich nicht darum, dich selbst zu schützen. Ich werde das tun. Schau einfach zu.«

Er bewegte mich, vorzutreten, und dann, als er auf Höhe meiner linken Schulter war, ging er nicht einfach, sondern schritt stolz neben mir her. Bei diesen Bewegungen durchlief der vertraute Schauder des Wiedererkennens meinen Körper. »Wolf weiß, wie man beschützt und bewacht«, sagte ich, »hier kennt er sich aus, und er weiß, wie man wohlbehalten bleibt. Er wird auf mich aufpassen.« Mit strahlenden Augen und heraushängender Zunge lächelte Wolf sein Wolfslächeln. »Ich möchte, dass du dich auf mich verlässt«, sagte er. »Ohne mich ist es zu gefährlich für dich, aber mit mir wird sich alles regeln. Er hat mich geschickt«, sagte er und meinte den heiligen Mann. »Du sollst mich die ganze Zeit bei dir behalten.«

Er wies auf die sich langsam sammelnden Rudel in der Ferne, und als ich hinsah, wurde ich mir des Misstrauens bewusst, das sie beherrschte. »Dieses Misstrauen ist das, was wir auf der Erde ›die Suche nach der Nummer eins‹ nennen«, sagte ich. »Das ist hier so üblich, etwas, wonach viele sich richten.« »Aber du musst dich nicht danach richten«, antwortete Wolf. »Du kannst diese Art zu sein beobachten; es ist tatsächlich gut für dich, dir ihrer bewusst zu sein«, fügte er hinzu, »aber du musst sie nicht übernehmen.« »Danke, Wolf«, sagte ich voll Dankbarkeit für seine Bereitschaft, mein Beschützer zu sein. »Weil er diese Art zu leben so gut kennt, werde ich mit ihm an meiner Seite geschützt sein«, seufzte ich erleichtert.

»Gibt es noch mehr, was ich jetzt lernen soll?« fragte ich ihn. »Nein«, sagte er, machte daraufhin einen Luftsprung, rannte umher und raste hierhin und dorthin. Als er sich um sich selber drehte, seinen Schwanz jagte und Purzelbäume schlug, war er so hinreißend, so überaus lustig, dass ich vor Lachen brüllte. »Ich liebe dein Fell, Wolf«, sagte ich. »Ich liebe deinen kantigen Körper und dein füchsisches Gesicht. Allerdings viel größer als ein Fuchsgesicht«, korrigierte ich mich, »du hast einen tieferen und kraftvolleren Blick. – Oh«, rief ich aus, »jetzt weiß ich es: Ich identifiziere mich mit dir. Ich habe die gleiche Sehnsucht, die ich in deinem Gesicht sehe, Wolf. Du bist weise; du weißt, dass es im Leben mehr gibt, als man auf den ersten Blick sieht, und du willst dieses ›Mehr‹. Und mein Körper ist auch schmal, genau wie deiner.« »Wir passen zusammen«, sagte er.

Ich lehnte mich an ihn und ruhte mich aus. Wolf ist majestätisch; er ist auch bedrohlich, wenn es sein muss. Als er zum ersten Mal in meinen Träumen auftauchte, wusste er, wie er meine Aufmerksamkeit erregen konnte – er machte mir Angst. In beiden Träumen biss mich Wolf, im ersten war er es selbst, im zweiten Wolfswelpen; nicht fest, aber fest genug, um mich zu erschrecken und sicher zu sein, dass ich mich an das Gefühl erinnerte, wenn ich erwachte.

»Danke, dass du zu mir gekommen bist«, sagte ich. »Ich bin mir nicht immer bewusst, dass ich Schutz brauche. Es ist mir nicht so recht klar, und ich denke wohl auch nicht gerne darüber nach.« »Pass auf«, sagt er, und das war alles. Wieder spürte ich ihn hinter meiner linken Schulter, er stellte sich hinter mein Herz. Hier würde er auf mich aufpassen. »Aha«, dachte ich. »Ich sehe, wie es sein wird.« Er war jetzt so nah, dass wir fast verschmolzen, aber wann immer es nötig war, löste er sich ein wenig – gerade genug, um zu sehen und gesehen zu werden. »Danke, Wolf«, sagte ich. »Vielen Dank.«

»Gift kommt aus vielen Leben.«

Die Tiergeister sind überaus mitfühlend und geben uns viel – auf eine Weise, die weit über unser Verständnis hinausgeht. Und im Gegensatz zum Menschen sind sie selbstlos und mächtig zugleich. Sobald Wolf mich seines Schutzes versichert hatte, war ich meine Unschlüssigkeit los, denn ich wusste, dass er mich sowohl in der alltäglichen als auch in der nichtalltäglichen Wirklichkeit beschützen würde.

Kurz nach dieser Begegnung begann ich, mehr Zeit mit den mitfühlenden Tiergeistern zu verbringen als mit den Großmüttern. Das war eine Veränderung, denn in den Monaten vor Wolfs Erscheinen war ich so begierig darauf gewesen zu erfahren, was die Großmütter mir beizubringen hatten, dass ich immer weniger in die Untere Welt gegangen war. Ich war zu lernbegierig, wie sich herausstellte, denn indem ich die Hilfe der mitfühlenden Tiergeister ignorierte und mich stattdessen beeilte, immer mehr zu lernen, begann meine Gesundheit zu leiden, und bevor ich es recht wahrnahm, waren da wieder Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit und Müdigkeit – nur weil ich schneller lernen wollte. Wie meine Freundin Katy gesagt hätte: »Du bist zu sehr yang.«

Von Anfang an hatten mir die Großmütter gesagt: »Für jedes Mal, da du zu uns kommst, um zu lernen, gehe drei Mal zu den Tiergeisthelfern der Unteren Welt, um zu heilen.« Weil ich viele Jahre lang unter körperlichen Schmerzen gelitten hatte, hörte ich auf sie – aber nur, bis sich mein Gesundheitszustand verbessert hatte. Als ich mich besser fühlte, »vergaß« ich, wie wichtig die Untere Welt war, und hätte wohl noch lange so weitergemacht, die Tierwelt außer acht lassend, wenn nicht Wolf da gewesen wäre – und Bär, der etwa zur gleichen Zeit in meinen Träumen auftauchte. Nacht für Nacht kam Bär, und als er schließlich zweimal in einer Nacht erschien, konnte ich ihn nicht mehr beiseiteschieben. Er würde so lange drängen, bis ich ihn besuchen kam.

Als ich durch meine Öffnung zur Unteren Welt tauchte, rief ich ihn den ganzen Weg den Tunnel hinab, und als ich den Ort erreichte, an dem er sich immer zeigte, sagte ich: »Bär, ich bin hier. Du hast gerufen, und ich bin gekommen.« Ich sah auf, und da war er. Er stand auf zwei Beinen, und als er auf mich zukam, überragte er mich. Ich hatte vergessen, wie groß er war, und als ich auf seine massige Gestalt blickte, sagte ich: »Zumindest glaube ich, dass du mich gerufen hast, Bär.« Je länger ich ihn ansah, desto mehr fragte ich mich, ob ich mich vielleicht geirrt hatte. Vielleicht war dieser nächtliche Besucher nicht mein Bär gewesen. Vielleicht war es nur eine Traumgestalt. »Warst du es, der…« begann ich, aber bevor ich ausreden konnte, packte er mich im Nacken und knurrte vor sich hin, dann trabte er durch den Wald, wobei ich wie ein Junges aus seinem Maul baumelte.

Als wir zu einer Lichtung kamen, drehte ich meinen Kopf ein wenig, damit ich sehen konnte, wo wir waren. Da rief ich schon »Whoa!« als er mich kurzerhand in einen Teich mit heißem Wasser plumpsen ließ. »Bleib da!« grunzte er und schlenderte davon. Das dampfende Wasser fühlte sich so gut an, dass ich mich darin treiben ließ und mit dem Schlamm am Ufer spielte, als Bär zurückkam. Er ging hin und her, warf mir besorgte Blicke zu, und mit jedem Schritt, den er machte, grummelte er.

Endlich erkannte ich, dass sein Knurren und seine Unruhe von seiner Sorge um mich herrührten, und ich schämte mich. »Ich war ja so dumm, nicht hierherzukommen«, sagte ich, als die Erleichterung, wieder bei ihm zu sein, mich übermannte. »Warum habe ich es immer so eilig, zu arbeiten? So eilig zu lernen?« fragte ich mich. »Warum hetze ich immer so?«

»Du hast vergessen, zu mir zu kommen«, sagte Bär, als er mich nach vorne bog und mir Schlamm auf meinen Rücken klatschte. Es fühlte sich wunderbar an, und an der Art und Weise, wie Bär das tat, erkannte ich, dass er nicht so sehr wütend auf mich war, weil ich die Tiere der Unteren Welt vernachlässigt hatte, sondern er wollte mir einfach nur helfen. Was auch immer es war, ich war so erleichtert, diese riesigen Pfoten wieder zu spüren, dass ich losheulen musste. »Ich hatte keine Ahnung«, sagte ich, »keine Ahnung, wie nötig ich es hatte zu kommen. »Umpf«, grunzte er, und mit einer Kralle schlitzte er die Haut an meiner Wirbelsäule auf und packte Schlamm darunter. »Ich muss das tun«, sagte er, und ich fragte mich: »Was meint er damit? Wo sind die Helfer, die normalerweise hier mit ihm arbeiten?« »Ich muss es tun«, betonte er, und ich verstand, dass aus irgendeinem Grund er derjenige war, der diese Arbeit tun musste.

»Oh, danke, Bär«, sagte ich. »Vielen Dank.« Er sagte kein Wort, noch hielt er inne, vielmehr schlitzte er auch die Rückseite meiner Beine auf und legte einen dampfenden Umschlag aus Blättern und Schlamm darauf, bis ich spürte, wie die Mineralien und Kräuter in meinen Körper sickerten. Als nächstes schnitt er die Unterseite meiner Füße auf, danach öffnete er meine Hüften und packte Schlamm auf meinen Bauch. Ich war jetzt ganz mit Blättern und Erde überzogen, und ihre Wärme und ihr Gewicht beruhigten alles in mir. »Viele Gifte«, sagte Bär, »viele Gifte hier.«

Er machte weiter, legte unerbittlich Schlamm auf mein Herz und tat mehr davon unter meinen Rücken. Er schlitzte meine Schläfen, den Kiefer und die Stirn auf, und mit der Zeit spürte ich, wie das, was er »die Gifte« nannte, aus mir hinausfloss. Das brachte mich zum Schluchzen, und ich weinte lange.

»Davon hatte ich keine Ahnung!« rief ich entsetzt aus, als er mit seinen großen Tatzen auf meine Leber und dann auf meine Milz drückte und eine tropfende Masse aus mir herausquoll. Ein übler Geruch stieg auf, während eine grünlich-schwarze Masse davonlief. Schnell tauchte Bär mich wieder in den Teich – und kurz tauchte er auch meinen Kopf unter. Ich lag eine Zeit lang im Wasser, und es war seltsam, denn obwohl ich sehen konnte, wie die Gifte aus mir herausflossen, verschmutzte dieses dunkle Zeug nicht den Teich, sondern es verschwand einfach, ohne die Farbe des Wassers zu verändern.

 

»Das Gift stammt aus vielen Leben«, sagte Bär. »Nicht du bist es, nicht das, was du jetzt bist. Es ist aus vielen Leben. Dinge, die vom Körper aufgenommen wurden, in ihn eindrangen und mitgeschleppt wurden. An all dem hast du keine Schuld«, sagte er und streichelte mich. »Das ist Seelenmüll.« Während er sprach, machte er weiter und hinderte die klebrige Dunkelheit, die aus meinen Zellen hervortrat, daran, irgendwo anders in meinem Körper Unterschlupf zu finden. Er arbeitete so hart, legte so viele Packungen auf und entfernte sie dann schnell, dass ich wieder weinen musste, aber diesmal aus Dankbarkeit. »Keine Zeit«, sagte er, »keine Zeit, dich zu trösten.« »Ich verstehe, Bär«, stieß ich zwischen den Schluchzern hervor, »und ich bin so dankbar.«

Er drückte und massierte, er zog mir Schleimschichten ab, und während er arbeitete, feuerte ich ihn im Stillen an, denn ich wollte so viel wie möglich von diesem schrecklichen Zeug hier zurücklassen. Schließlich sagte er: »Nur keine solche Eile. Versuch nicht, das alles jetzt loszuwerden. Es wäre mehr, als du ertragen könntest«, sagte er und brummte glücklich über sein Wortspiel.

Als er mir aus dem Wasser half, setzte ich mich mit gekreuzten Beinen an den Rand des Teichs. Die Sonne fühlte sich auf meiner feuchten Haut gut an, und ich döste und schlief fast ein. Aber ich schreckte auf, als ich Bär sagen hörte: »Dies ist eine Zeit des beschleunigten Wandels. Jetzt ist es Zeit für die Arbeit. Das«, sagte er, »ist der planetarische Wandel, von dem du gehört hast. Es sind alle betroffen. Tue deinen Teil«, sagte er und schenkte mir einen Blick von tiefer Ernsthaftigkeit. »Komm jeden Tag her, wenn möglich. Hierher oder zu den Großmüttern«, fügte er hinzu, »drei zu eins.«