Nils Holgerssons wunderbare Reise

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Die Nacht.

Es ist eine alte Wahrheit, daß Eis immer verräterisch ist, und daß man sich nicht darauf verlassen kann. Mitten in der Nacht geriet die Eisscholle auf dem Vombsee in Bewegung, so daß sie an einer einzelnen Stelle gegen das Ufer stieß. Und nun geschah es, daß Reineke Fuchs, der zu jener Zeit an der östlichen Seite des Sees im Park bei Övedskloster wohnte, dies entdeckte, als er auf einer nächtlichen Jagd draußen war, Reineke hatte die wilden Gänse schon am Abend gesehen, aber er hatte nicht erwartet, einer von ihnen habhaft zu werden. Jetzt begab er sich schnell auf das Eis hinaus.

Als Reineke ganz dicht bei den wilden Gänsen angelangt war, glitt er aus, so daß seine Klauen gegen das Eis kratzten. Die Gänse erwachten und schlugen mit den Flügeln, um sich in die Luft emporzuschwingen. Aber Reineke war ihnen zu flink. Wie aus einer Kanone geschossen, kam er angesaust, faßte eine Gans am Flügel und stürzte wieder an das Ufer zurück.

Aber in dieser Nacht waren die wilden Gänse nicht allein auf dem Eise; sie hatten einen Menschen unter sich, wie klein der auch war. Der Knabe erwachte durch das Flügelschlagen des Gänserichs. Er war auf das Eis hinabgefallen und saß da nun ganz wach. Er hatte von dem ganzen Spektakel nichts verstanden, bis er einen kleinen kurzbeinigen Hund mit einer Gans im Maul über das Eis davonlaufen sah.

Der Junge lief gleich hinterdrein, um dem Hund die Gans wegzunehmen. Wohl hörte er den Gänserich hinter sich dreinrufen: »Nimm dich in acht, Däumeling! Nimm dich in acht!« – »Aber vor so einem kleinen Hund brauche ich doch nicht bange zu sein,« dachte der Junge und stürmte dahin.

Die wilde Gans, die Reineke Fuchs geraubt hatte, hörte den Lärm von den Holzschuhen des Jungen, die auf dem Eise klapperten, und sie wollte ihren eigenen Ohren kaum trauen. »Glaubt der Knirps, daß er mich dem Fuchs entreißen kann?« dachte sie. Und wie übel es ihr auch erging, es begann in ihrer Kehle ganz munter zu glucksen, fast als lache sie.

»Das erste, was geschieht, ist, daß er in einen Riß im Eise fällt,« dachte sie.

Aber wie dunkel auch die Nacht war, sah der Junge doch deutlich alle Risse und Löcher, die im Eise waren, und sprang kühn darüber hinweg. Das kam daher, daß er jetzt die guten Nachtaugen der Kobolde hatte und im Dunkeln sehen konnte. Er sah den See wie auch das Ufer so deutlich, als sei es Tag.

Reineke Fuchs lief auf das Eis hinauf, da, wo es ans Land stieß, und gerade als er sich an dem steilen Ufer hinaufarbeitete, rief ihm der Junge zu: »Laß die Gans los, du Schlingel!« Reineke wußte nicht, wer da rief, und ließ sich keine Zeit, sich umzusehen, er beschleunigte nur seinen Lauf.

Der Fuchs lief nun in einen Wald mit großen, prächtigen Buchen, und der Junge folgte ihm, ohne daran zu denken, daß ihm Gefahr drohen könne. Dahingegen dachte er die ganze Zeit daran, wie verächtlich die wilden Gänse ihn am vorhergehenden Abend behandelt hatten, und er hatte wohl Lust, ihnen zu zeigen, daß ein Mensch doch ein wenig über allen andern Geschöpfen steht.

Einmal über das andere rief er dem Hunde zu, daß er die Beute fahren lassen solle. »So ein Hund, der sich nicht schämt, eine Gans zu stehlen!« sagte er. »Laß sie sofort los, sonst prügle ich dich, darauf kannst du dich verlassen. Laß sie los, sage ich, sonst werde ich deinem Herrn erzählen, wie du dich aufführst.«

Als Reineke Fuchs merkte, daß man ihn für einen Hund hielt, der vor Prügel bange ist, fand er das so komisch, daß er kurz davor war, die Gans fallen zu lassen. Reineke war ein großer Räuber, der sich nicht damit begnügte, hinter Mäusen und Ratten auf den Feldern dreinzujagen, sondern der sich auch auf die Höfe wagte, um Hühner und Gänse zu stehlen. Er wußte, daß er in der ganzen Umgegend gefürchtet war. Etwas so Törichtes hatte er nicht gehört, seit er ein ganz kleines Füchslein war.

Aber der Junge lief so, daß er ein Gefühl hatte, als glitten die dicken Buchen rückwärts an ihm vorüber, und er holte Reineke ein. Schließlich war er ihm so nahe, daß er den Schwanz gefaßt bekam. »Jetzt nehme ich dir doch die Gans weg!« rief er und hielt so fest, wie er nur konnte. Aber er war nicht stark genug, um Reineke zurückzuhalten. Der Fuchs zog ihn mit sich, so daß die welken Buchenblätter um ihn herstoben.

Aber jetzt schien es, als wenn Reineke dahintergekommen sei, wie klein der Verfolger war. Er stand still, legte die Gans an die Erde nieder und setzte die Vorderpfoten darauf, damit sie nicht wegfliegen sollte. Er wollte ihr gerade die Kehle durchbeißen, aber er konnte sich nicht enthalten, den Knirps erst ein wenig zu necken: »Mach' daß du nach Hause kommst und verklag mich beim Hausherrn, denn nun beiße ich die Gans tot!« sagte er.

Wer erstaunt war, als er sah, was für eine spitze Schnauze, als er hörte, was für eine heisere und häßliche Stimme der Hund hatte, den er verfolgte, das war der Junge. Aber er wurde nun auch so wütend darüber, daß sich der Fuchs lustig über ihn machte, daß er nicht daran dachte, bange zu sein. Er umklammerte den Schwanz noch fester, stemmte die Füße gegen die Wurzel einer Buche, und im selben Augenblick, als der Fuchs den Rachen über der Kehle der Gans aufriß, zog er mit aller Macht an. Reineke war so überrascht, daß er sich ein paar Schritte rückwärts ziehen ließ, und die wilde Gans wurde frei. Die hob sich mit Mühe in die Luft empor. Einer ihrer Flügel war verletzt, so daß sie ihn kaum gebrauchen konnte, und außerdem konnte sie in der dunklen Nacht nichts im Walde sehen, sondern war so hilflos wie ein Blinder. Deswegen konnte sie dem Jungen in keiner Weise helfen, sondern strebte einer Öffnung im Laubdach zu und flog wieder nach dem See hinab.

Reineke aber stürzte sich über den Jungen. »Krieg' ich die eine nicht, so will ich den andern haben!« sagte er, und man konnte es seiner Stimme anhören, wie wütend er war. »Das bilde dir nur ja nicht ein,« sagte der Junge und war ganz mutig, weil er die Gans gerettet hatte. Er hielt sich noch immer am Fuchsschwanz fest und schwang sich daran auf die andere Seite hinüber, wenn der Fuchs ihn zu fangen suchte.

Das war ein Tanz im Walde, so daß die Buchenblätter aufwirbelten. Reineke drehte sich unaufhörlich herum, aber der Schwanz drehte sich mit, und der Junge hielt sich daran fest, so daß der Fuchs ihn nicht kriegen konnte.

Der Junge war so froh über sein Glück, daß er anfangs nur lachte und sich über den Fuchs lustig machte, aber Reineke war beharrlich, wie es alte Jäger zu sein pflegen, und der Junge wurde allmählich bange, die Sache könne damit enden, daß ihn der Fuchs erwischte.

Da gewahrte er eine kleine, junge Buche. Die so dünn wie eine Gerte in die Luft geschossen war, um schnell in die freie Luft über dem Laubdach zu gelangen, das die alten Buchen über ihr aufgebaut hatten. Schnell ließ er den Fuchsschwanz los und kletterte in die Buche hinauf. Reineke Fuchs war so eifrig, daß er noch eine ganze Weile hinter dem Schwanz her weiter tanzte. »Jetzt brauchst du dir nicht die Mühe zu machen und noch länger zu tanzen,« sagte der Junge.

Aber der Fuchs konnte den Schimpf nicht ertragen, daß er so einen kleinen Knirps nicht zu bewältigen vermochte, und er legte sich unter den Baum und hielt Wache.

Der Junge fühlte sich gar nicht behaglich, wie er dort rittlings über einem dünnen Zweig saß. Die kleine Buche reichte noch nicht bis an das hohe Laubdach hinan. Er konnte nicht auf einen andern Baum hinübergelangen, und er wagte nicht, von dem Baum hinunterzuspringen.

Es fror ihn, so daß er ganz steif wurde und nahe daran war, den Zweig loszulassen, und er war so schrecklich müde, aber er wagte nicht, sich hineinzusetzen, aus Furcht, herunterzufallen.

Es war gar nicht auszudenken, wie unheimlich es war, so zu nächtlicher Zeit draußen im Walde zu sitzen. Er hatte bisher nie gewußt, was es heißt, daß es Nacht war. Es war als sei die ganze Welt versteinert und könne nie wieder Leben gewinnen.

Und dann fing es an zu tagen, und der Junge freute sich, denn jetzt sah alles wieder so aus wie sonst, nur fand er, daß die Kälte noch schneidender wurde, als sie in der Nacht gewesen war.

Als die Sonne endlich aufging, war sie nicht gelb, sondern rot. Der Junge fand, sie sähe so böse aus und er grübelte nach, worüber sie wohl böse sein könne. Vielleicht darüber, daß die Nacht es so kalt und dunkel auf der Erde gemacht hatte, während die Sonne fort war.

Die Sonnenstrahlen kamen in großen Bündeln herbeigeeilt, um zu sehen, was die Nacht Schlimmes angerichtet hatte, und es sah so aus, als wenn alle Dinge erröteten, wie wenn sie ein schlechtes Gewissen hätten. Die Wolken am Himmel, die seidenglatten Buchenstämme, die kleinen ineinandergeflochtenen Zweige des Laubdaches, der Reif, der das Buchenlaub am Waldboden bedeckte, alles erglühte und errötete.

Aber es kamen immer mehr Strahlenbündel durch die Luft dahergeeilt, und bald war all das Unheimliche in der Natur in die Flucht getrieben.

Die Versteinerung war geschwunden, und es kam so erstaunlich viel Lebendes zum Vorschein. Der Schwarzspecht mit dem roten Nacken begann mit dem Schnabel gegen einen Baumstamm zu picken. Das Eichhörnchen hüpfte mit einer Nuß aus seinem Nest heraus, setzte sich auf einen Zweig und machte sich daran, die Nuß zu knacken. Der Star kam mit einer Wurzelfaser geflogen, und im Wipfel des Baumes sang der Buchfink.

Da begriff der Junge, daß die Sonne zu diesen kleinen Geschöpfen gesagt hatte: »Jetzt könnt ihr erwachen und aus euern Nestern herauskommen! Jetzt bin ich hier, jetzt braucht ihr vor nichts bange zu sein!«

Vom See her konnte man die Schreie der wilden Gänse hören, während sie sich zum Fluge anschickten. Gleich darauf kamen alle vierzehn Gänse über den Wald geflogen. Der Junge versuchte, sie zu rufen, aber sie flogen so hoch oben, daß seine Stimme sie nicht erreichen konnte. Sie glaubten wohl, daß der Fuchs ihn schon lange aufgefressen habe. Sie fanden es nicht einmal der Mühe wert, nach ihm zu suchen.

 

Der Junge war nahe daran, vor Angst zu weinen, aber nun stand die Sonne goldgelb und munter am Himmel und flößte der ganzen Welt Mut ein. »Du brauchst nie bange zu sein, oder dich über etwas zu beunruhigen, Niels Holgersen, so lange ich hier bin,« sagte die Sonne.

Das Gänsespiel.

Montag, den 21. März.

Im Walde blieb alles so, wie es war, ungefähr so lange, wie eine Gans braucht, um Frühstück zu essen, aber gerade, als der Morgen im Begriff war, in den Vormittag überzugehen, kam eine einsame wilde Gans unter das dichte Laubdach geflogen. Sie tastete sich zwischen den Stämmen und Zweigen hindurch und flog ganz langsam. Sobald Reineke Fuchs sie sah, verließ er seinen Platz unter der kleinen Buche und schlich auf sie zu. Die wilde Gans flüchtete nicht vor dem Fuchs, sondern flog ganz dicht an ihm vorüber. Reineke sprang hoch in die Höhe nach ihr, konnte sie jedoch nicht packen, und die Gans flog weiter, dem See zu.

Es währte nicht lange, da kam eine neue wilde Gans geflogen. Sie kam denselben Weg wie die erste und flog noch niedriger und langsamer. Auch sie flog dicht an Reineke Fuchs vorüber, und er sprang so hoch nach ihr, daß seine Ohren ihre Füße berührten, aber sie entkam doch unbeschädigt und setzte ihren Weg stumm wie ein Schatten nach dem See zu fort.

Es verging eine kleine Weile, dann kam wieder eine wilde Gans. Sie flog noch niedriger und langsamer, es schien, als werde es ihr noch schwerer, den Weg zwischen den Buchenstämmen zu finden. Reineke machte einen mächtigen Sprung, und es fehlte nur eines Haares Breite, daß er sie gefaßt hätte. Aber auch diese Gans entkam.

Gleich nachdem sie verschwunden war, kam eine vierte wilde Gans. Obgleich sie so langsam und so schlecht flog, daß Reineke meinte, er könne sie ohne Mühe fangen, war er jetzt bange, daß ihm ein Unfall zustoßen könne, und er wollte sie unangerührt wegfliegen lassen. Aber sie flog denselben Weg wie die andere, und als sie gerade über Reineke angelangt war, schwebte sie so tief herab, daß er sich verleiten ließ, nach ihr in die Höhe zu springen. Er gelangte so hoch, daß er sie mit der Pfote berührte, aber sie warf sich schnell auf die Seite und rettete ihr Leben.

Ehe Reineke noch Atem geschöpft hatte, kamen drei Gänse in einer Reihe. Sie kamen genau so geflogen wie die andern, und Reineke sprang nach ihnen allen hoch in die Höhe, aber es gelang ihm nicht, eine von ihnen zu fangen.

Dann kamen fünf Gänse, aber sie flogen besser als die vorhergehenden, und obwohl auch sie so aussahen, als wollten sie Reineke verlocken zu springen, widerstand er der Versuchung.

Ziemlich lange darauf kam eine einsame Gans. Das war die dreizehnte. Die war so alt, daß sie ganz grau war und nicht einen einzigen braunen Strich an ihrem ganzen Körper hatte. Es sah so aus, als könne sie den einen Flügel nicht recht gebrauchen, sie flog so jämmerlich und so schief, daß sie fast die Erde berührte. Reineke begnügte sich nicht damit, hoch nach ihr in die Höhe zu springen, er verfolgte sie in schnellem Lauf bis an den See hinab, aber auch diesmal wurden seine Anstrengungen nicht belohnt.

Die vierzehnte Gans kam, und das sah sehr hübsch aus; sie war weiß, und es schimmerte wie eine Lichtung in dem dunklen Walde, wenn sie ihre großen Flügel schwang. Als Reineke die sah, bot er alle Kräfte auf und hüpfte halbwegs bis an das Laubdach hinauf, aber die weiße Gans flog ganz unbeschädigt davon, genau so wie alle die andern.

Nun wurde es eine Weile still unter den Buchen. Es schien, als sei der ganze Schwarm wilder Gänse vorübergezogen.

Plötzlich fiel Reineke sein Gefangener ein, und er sah zu der Buche hinauf. Wie zu erwarten stand, war der Knirps verschwunden.

Aber Reineke blieb nicht viel Zeit, an ihn zu denken, denn nun kam die erste Gans vom See zurück und flog so langsam wie vorher unter dem Laubdach dahin. Trotz all seines Mißgeschickes freute sich Reineke, daß sie zurückkam, und er stürzte mit einem hohen Sprung auf sie zu. Aber er war zu hastig gewesen und hatte sich keine Zeit gelassen, den Sprung zu berechnen, so daß er nebenbei sprang.

Auf die Gans folgte eine zweite und eine dritte und eine vierte und eine fünfte, bis die Reihe wieder herum war und mit der alten Eisgrauen und der großen Weißen endete.

Sie flogen alle langsam und niedrig. Gerade als sie über Reineke Fuchs dahinschwebten, ließen sie sich herab, als wollten sie ihn auffordern, sie zu fangen. Und Reineke verfolgte sie und machte Sprünge, die ein paar Klafter hoch waren, ohne jedoch auch nur eine einzige von ihnen fangen zu können.

Das war der schlimmste Tag, den Reineke Fuchs jemals erlebt hatte. Die wilden Gänse flogen unaufhörlich über seinem Kopf, kamen und verschwanden. Große, schöne Gänse, die sich auf den deutschen Feldern und Heiden dick gefressen hatten, flogen den ganzen Tag im Walde herum, so in seiner Nähe, daß er sie viele Male berührte, und es gelang ihm nicht, seinen Hunger an einer einzigen von ihnen zu stillen.

Der Winter war kaum vorüber, und Reineke entsann sich langer Tage und Nächte, wo er sich müßig herumgetrieben hatte, ohne daß ihm ein Stück Wild in den Wurf gekommen wäre, denn die Zugvögel waren fort, die Mäuse versteckten sich unter der gefrorenen Erdrinde und die Hühner waren eingeschlossen. Aber all der Hunger des ganzen Winters war nicht so hart gewesen wie die Enttäuschung dieses Tages.

Reineke war kein junger Fuchs mehr. Er hatte gar manches Mal die Hunde hinter sich drein gehabt und die Kugeln um seine Ohren pfeifen hören. Er hatte tief in seinem Bau verborgen gelegen, während die Dachshunde in den Gängen herumkrochen und kurz davor waren, ihn zu finden. Aber all die Angst, die Reineke bei der heißesten Jagd ausgestanden hatte, war nichts im Vergleich zu der, die er jedesmal empfand, wenn es ihm nicht gelang, eine der wilden Gänse zu erwischen.

Am Morgen, als das Spiel begann, war Reineke so fein gewesen, daß die Gänse staunten, als sie ihn sahen. Reineke liebte die Pracht, und sein Pelz war leuchtend rot, die Brust weiß, die Schnauze schwarz und der Schwanz wallend wie ein Federbusch. Aber als es an diesem Tage Abend wurde, hing Reinekes Pelz in Zotteln herunter, er war in Schweiß gebadet, seine Augen waren glanzlos, die Zunge hing ihm lang aus dem keuchenden Rachen, und aus dem Munde floß Schaum.

Am Nachmittag war Reineke so müde, daß er ganz von Sinn und Verstand war. Er sah nichts weiter vor seinen Augen als fliegende Gänse. Er sprang nach Sonnenflecken, die er am Erdboden sah, und nach einem armseligen Schmetterling, der zu früh aus der Puppe gekrochen war.

Die wilden Gänse flogen und flogen unermüdlich. Sie peinigten Reineke den ganzen Tag. Es bewegte sie nicht zu Mitleid, daß er vernichtet, erregt, wahnsinnig war. Sie fuhren unerbittlich fort, obwohl sie recht gut verstanden, daß er sie kaum sah, daß er nach ihren Schatten sprang.

Erst als Reineke Fuchs ganz kraftlos und matt auf einem Haufen welker Blätter umsank, kurz davor, den Atem aufzugeben, hielten sie inne, ihr Spiel mit ihm zu treiben.

»Jetzt weißt du, Fuchs, wie es dem geht, der es wagt, sich mit Akka von Kebnekajse einzulassen,« riefen sie ihm dann ins Ohr, und damit ließen sie ihn in Ruhe.

III. Wildvogelleben
Im Bauernhofe.

Donnerstag, den 24. März.

Gerade in jenen Tagen trug sich in Schonen eine Begebenheit zu, die sehr viel beredet wurde, ja sogar in die Zeitung kam. Von vielen wurde sie freilich für Erdichtung gehalten, weil sie nicht imstande waren, sie zu erklären.

In einem Nußholz am Ufer des Bombsees war nämlich ein Eichhörnchenweibchen gefangen und nach einem Bauernhof in der Nähe gebracht. Alle im Bauernhöfe, jung wie alt, freuten sich über das schöne kleine Tier mit dem großen Schwanz, den klugen, neugierigen Augen und den niedlichen, kleinen Beinchen. Sie dachten, sie wollten sich den ganzen Sommer an seinen flinken Bewegungen, seiner drolligen Art, Nüsse zu knacken und seinem munteren Spiel ergötzen. Sie setzten sofort einen alten Eichhörnchenkäfig in Ordnung; der bestand aus einem kleinen, grünangemalten Haus und einem Stahldrahtrad. Das kleine Haus, das sowohl eine Tür als auch Fenster hatte, sollte das Eichhörnchen als Eß- und Schlafzimmer haben; deswegen machten sie ein Bett aus welkem Laub für das Tierchen zurecht und setzten eine Schale mit Milch und einige Nüsse dahinein. Aber das Stahldrahtrad sollte es als Spielstube haben, in der es laufen und klettern und die es herumdrehen konnte.

Die Leute meinten, daß sie es sehr schön für das Eichhörnchen eingerichtet hätten und wunderten sich, daß es nicht gedeihen wollte. Es saß im Gegenteil niedergeschlagen und unwirsch in einer Ecke seiner Stube, und von Zeit zu Zeit stieß es einen lauten Klageschrei aus. Es rührte das Essen nicht an und drehte das Rad nicht ein einziges Mal herum. »Es ist gewiß bange,« sagten die Leute auf dem Bauernhof. »Morgen, wenn es sich erst heimischer fühlt, wird es schon essen und spielen.«

Nun traf es sich so, daß die Frauen im Bauernhof Anstalten zu einem Festschmaus trafen, und gerade an dem Tage, als das Eichhörnchen gefangen wurde, fand großes Backen statt. Und entweder hatten sie Unglück mit dem Teig gehabt, so daß er nicht aufgehen wollte, oder auch sie waren langsam bei der Arbeit gewesen, denn sie waren noch lange nach Hereinbruch der Dunkelheit damit beschäftigt.

Es herrschte natürlich großer Eifer und Geschäftigkeit in der Küche, und niemand ließ sich Zeit, daran zu denken, wie es dem Eichhörnchen ergehen mochte. In dem Hause war aber eine alte Frau, die war zu alt, um noch an dem Backen teilzunehmen. Das begriff sie selbst sehr wohl, aber sie mochte doch nicht gern so außerhalb des Ganzen stehen. Sie war betrübt, und deswegen ging sie nicht zu Bett, sondern setzte sich an das Fenster in der Stube und sah hinaus. In der Küche hatten sie der Hitze halber die Tür aufgemacht, so daß der klare Lichtschein auf den Hof hinausströmte. Es war ein Hofplatz mit Gebäuden nach allen Seiten, und es wurde so hell dort, daß die alte Frau die Risse und Löcher im Kalkputz an der Mauer gegenüber erkennen konnte. Sie sah auch den Eichhörnchenkäfig, der gerade an der Stelle hing, auf die der Lichtschein am allerstärksten fiel, und sie beobachtete, wie das Eichhörnchen die ganze Nacht aus seiner Stube in das Rad hinein und aus dem Rad wieder in die Stube sprang, ohne auch nur einen Augenblick zu ruhen. Sie fand, daß das Tier von einer wunderlichen Rastlosigkeit befallen sei, aber sie glaubte natürlich, daß der grelle Lichtschein es wach halte.

Zwischen dem Kuhstall und dem Pferdestall befand sich auf dem Hofe eine große Einfahrt, und die lag so, daß sie ebenfalls beleuchtet wurde. Und als die Nacht bereits ein wenig vorgeschritten war, sah die alte Frau einen kleinen Knirps, der nicht größer war als eine Handbreit, aber Holzschuhe und Lederhosen trug wie ein Arbeitsmann, leise und vorsichtig aus der Einfahrt auf den Hof schleichen. Die alte Frau begriff sofort, daß es der Kobold sei, und sie wurde nicht im geringsten bange. Sie hatte immer gehört, daß er sich dort auf dem Hofe aufhielt, obgleich sie ihn noch nie gesehen hatte, und ein Kobold hatte ja Glück im Gefolge, wo er sich zeigte.

Sobald der Kobold auf den gepflasterten Hof gekommen war, lief er geradeswegs auf den Eichhörnchenkäfig zu, und da der so hoch hing, daß er ihn nicht erreichen konnte, holte er sich eine Stange aus dem Gerätschaftsschuppen, stellte sie an den Käfig und kletterte daran in die Höhe, wie ein Seemann ein Tau entert. Als er an den Käfig hinaufkam, rüttelte er an der Tür des kleinen grünen Hauses, als wolle er sie öffnen, aber die alte Frau war ganz ruhig, denn sie wußte, daß die Kinder ein Hängeschloß vor die Tür gehängt hatten, aus Furcht, daß die Nachbarjungen versuchen könnten, das Eichhörnchen zu stehlen. Die alte Frau sah, daß, als der Kobold die Tür nicht aufbekommen konnte, das Eichhörnchen in das Stahldrahtrad hinausging. Dort hielt es eine lange Beratung mit dem Kobold ab. Und als der Kobold alles gehört hatte, was das gefangene Tierchen zu erzählen hatte, rutschte er an der Stange herunter und lief zum Tore hinaus.

Die alte Frau dachte, sie würde in dieser Nacht nichts mehr von dem Kobold sehen, aber sie blieb trotzdem am Fenster sitzen. Als eine kleine Weile vergangen war, kam er zurück. Er lief so schnell, daß sie kaum sehen konnte, wie seine Füße den Erdboden berührten, und er eilte auf den Käfig zu. Die alte Frau mit ihren weitsichtigen Augen konnte ihn deutlich sehen, und sie konnte auch sehen, daß er etwas in den Händen trug, aber was es war, konnte sie nicht begreifen. Das, was er in der linken Hand hatte, legte er auf das Steinpflaster, aber das, was er in der rechten hatte, nahm er mit nach dem Käfig hinauf. Hier stieß er mit seinem Holzschuh gegen das kleine Fenster, so daß die Scheibe zerbrach, und dann steckte er das, was er in der Hand hatte, durch das Loch dem Eichhörnchen zu. Darauf ließ er sich wieder hinabgleiten, nahm das, was er an die Erde gelegt hatte, und kletterte auch damit nach dem Käfig hinauf. Und als das getan war, eilte er wieder so hastig von dannen, daß die alte Frau ihm kaum mit den Augen folgen konnte.

 

Nun aber war an dem Mütterchen die Reihe, nicht mehr still in der Stube sitzen zu können. Ganz leise ging sie auf den Hof hinaus und stellte sich in den Schatten der Pumpe, um auf den Kobold zu warten. Und da war noch eine, die ihn entdeckt hatte und neugierig geworden war, nämlich die Hauskatze. Die kam leise geschlichen und stellte sich an der Mauer auf, gerade ein paar Schritte außerhalb des hellsten Lichtstreifs.

Sie standen beide da und warteten eine ganze Ewigkeit in der kalten Märznacht, und die alte Frau dachte schon daran, wieder hineinzugehen, als sie etwas auf dem Steinpflaster klappern hörte und den kleinen Knirps noch einmal dahergetrabt kommen sah. Ebenso wie vorhin trug er etwas in jeder Hand, und das, was er trug, piepste und zappelte. Und nun ging dem Mütterchen ein Licht auf. Sie begriff, daß der Kobold im Nutzholz gewesen war und die jungen Eichhörnchen geholt hatte, und daß er sie zu der Mutter bracht, damit sie nicht verhungern sollten.

Das Mütterchen stand ganz still, um nicht zu stören, und es schien auch nicht, als wenn der Kobold sie bemerkt hatte. Er wollte gerade das eine Junge an die Erde legen, um mit dem andern nach dem Käfig hinaufzuklettern, als er die grünen Augen der Katze dicht neben sich sah. Ganz ratlos blieb er stehen, ein Junges in jeder Hand.

Er wandte sich um, sah nach allen Seiten aus und gewahrte nun das Mütterchen. Da bedachte er sich nicht lange, sondern ging hin und reichte ihr eins der jungen Eichhörnchen hin.

Und das Mütterchen wollte sich seines Vertrauens nicht unwürdig zeigen, sie beugte sich hinab und nahm das Eichhörnchen entgegen und stand da und hielt es, bis der Kobold mit dem andern nach dem Käfig hinaufgeklettert war und nun kam, um das zu holen, das er ihr anvertraut hatte.

Am nächsten Morgen, als sich die Leute im Bauernhofe um den Morgenimbiß sammelten, konnte die alte Frau ja nicht an sich halten, sie mußte erzählen, was sie in der Nacht gesehen hatte. Und sie lachten natürlich alle zusammen und sagten, das habe sie geträumt. So früh im Jahre gebe es noch gar keine jungen Eichhörnchen.

Sie aber war ihrer Sache sicher und bat sie, im Eichhörnchenkäfig nachzusehen, und das taten sie. Und da lagen auf dem Laubbett in der Stube vier kleine halbnackte und halbblinde Junge, die mindestens ein paar Tage alt waren.

Als der Hausvater die Jungen sah, sagte er: »Es mag nun hiermit sein wie es will, das aber ist gewiß, wir haben uns hier auf dem Hofe so benommen, daß wir uns vor Tieren und Menschen schämen müssen.« Und dann nahm er das Eichhörnchen und alle die Jungen aus dem Käfig heraus und legte sie dem Mütterchen in die Schürze: »Geh du nun mit ihnen in das Nußholz hinaus,« sagte er, »und gib ihnen ihre Freiheit wieder!«

Über diese Begebenheit wurde soviel geredet, und sie kam sogar in die Zeitung. Aber die meisten wollten nicht daran glauben, weil sie sich nicht erklären konnten, wie so etwas geschehen könne.