Gösta Berling

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Nach einer Weile, als man dem Bären unter der persönlichen Aufsicht des Majors das Fell abzieht, findet man in seinem Rachen ein Bündel Papiergeld – fünfhundert Reichstaler. Es ist unmöglich zu sagen, wie das dahin gekommen ist, aber es ist ja ein merkwürdiger Bär, und da der Küster den Bären erschossen hat, so gehört ihm das Geld, das ist ja ganz klar.

Als dies bekannt wird, begreift auch der kleine Faber, welche ehrenvolle Tat der Küster ausgeführt hat, und er erklärt, daß er stolz darauf sein wird, ihn seinen Schwager zu nennen.

Freitag abend kehrt Major Fuchs nach Ekeby zurück, nachdem er das Bärenfest im Küsterhaus und den Verlobungsschmaus in der Organistenwohnung mitgemacht hat. Schweren Herzens wandert er von dannen, keine Freude empfindet er darüber, daß der Feind gefallen ist, und keinen Stolz über das prächtige Bärenfell, das ihm der Küster geschenkt hat.

Vielleicht wird nun mancher denken, er traure darüber, daß die kleine feine Jungfer einem andern gehören soll. Ach nein, das verursacht ihm keinen Kummer. Aber was ihm zu Herzen geht, ist, daß der alte einäugige König des Waldes gefallen ist, ohne daß er Gelegenheit gehabt hat, eine Kugel auf ihn abzuschießen.

Und dann kommt er in den Kavalierflügel hinauf, wo die Kavaliere um das Feuer sitzen, und wirft, ohne ein Wort zu sagen, das Bärenfell mitten unter sie. Niemand muß nun glauben, daß er etwas von seinem Abenteuer erzählt hat; erst lange nachher gelang es ihnen, ihm den richtigen Zusammenhang zu entlocken. Auch verriet er nicht das Versteck des Brobyer Pfarrers, und der hat vielleicht niemals den Diebstahl entdeckt.

Die Kavaliere untersuchten das Fell.

»Ein prächtiger Balg«, sagte Beerencreutz. »Ich möchte wohl wissen, wie der Bursche aus seinem Winterschlaf herausgekommen ist, oder hast du ihn vielleicht in der Höhle erschossen?«

Er wurde in Bro erlegt.

»Ja, so groß wie der Gurlita-Bär ist er aber doch nicht«, sagte Gösta. »Ein mächtiges Tier ist es freilich gewesen.«

»Wäre er einäugig gewesen,« sagt Kevenhüller, »so hätte ich geglaubt, du hättest den Alten selbst erlegt, so groß ist er; aber dieser hat weder eine Wunde noch eine Narbe an dem einen Auge, folglich kann er es nicht sein.«

Fuchs fängt an, über seine Dummheit zu fluchen und zu schwören; nach einer Weile aber erhellt sich sein Gesicht so, daß er förmlich schön wird. Dann ist der große Bär also doch nicht von eines andern Mannes Schuß gefallen!

»Herr Gott, wie bist du gut!« sagt er und faltet die Hände.

Die Auktion auf Björne

Oft mußten wir Jungen uns über die Erzählungen der Alten wundern. »War denn jeden Tag Ball, solange eure strahlende Jugend währte?« fragten wir sie. »War denn das Leben ein einziges langes Märchen? Waren zu jener Zeit alle jungen Damen schön und liebenswürdig? Endete denn jedes Fest damit, daß Gösta Berling eine von ihnen entführte?«

Da schüttelten die Alten ihre ehrwürdigen Häupter und fingen an zu erzählen von dem Schnurren der Spindel, dem Klappern des Webstuhls, von der Geschäftigkeit in der Küche, von dem Schlag des Dreschflegels auf der Tenne und dem Klang der Axt im Walde. Aber es währte nie lange, bis sie wieder in den alten Ton verfallen waren. Da hielten die Schlitten vor der Freitreppe, da eilten die Pferde mit den fröhlichen jungen Menschenkindern durch die dunklen Wälder dahin, da wirbelte der Tanz, da sprangen die Saiten der Geige. Mit Lärm und Peitschengeknall sauste die wilde Jagd aus dem Märchen um den Löfsee. In weiter Ferne hörte man das Getöse, die Bäume des Waldes schwankten und fielen, alle Mächte der Zerstörung wurden losgelassen: die Feuersbrunst flammte, der Gießbach trat über seine Ufer, heulend umschlichen die hungrigen Wölfe die Gehöfte. Die Hufe der achtfüßigen Pferde traten alles stille Glück in den Staub. Wo die Jagd vorübersauste, da entflammten die Herzen der Männer in Wildheit, und die Frauen mußten in bleichem Entsetzen von Haus und Hof fliehen.

Und wir Jungen saßen staunend, schweigend, grausend und doch glückselig da. »Welche Menschen!« dachten wir. »Ihresgleichen werden wir nimmer sehen.«

»Dachten denn die Menschen jener Zeit niemals über das nach, was sie taten?« fragten wir.

»Freilich dachten sie, Kinder«, erwiderten die Alten.

»Aber nicht so wie wir denken«, behaupteten wir. Und dann verstanden die Alten nicht, was wir meinten.

Wir aber dachten an den wunderlichen Geist der Selbstkritik, der seinen Einzug schon in unsere Herzen gehalten hatte. Wir dachten an ihn mit den Eisaugen und den langen, knöcherigen Fingern, an ihn, der im finstersten Winkel unserer Seele sitzt und unser Wesen in Fasern zerpflückt, so wie alte Frauen Flicken aus Wolle oder Seide zerzupfen.

Stück für Stück hatten die langen, knöcherigen Finger zerpflückt, bis unser ganzes Ich wie ein Haufe alter Lumpen dalag, und dann waren unsere besten Gefühle, unsere unmittelbarsten Gedanken, alles, was wir getan und gesagt hatten, gründlich untersucht, durchforscht, zerpflückt, und die Eisaugen hatten zugeschaut, und der zahnlose Mund hatte höhnisch gelacht und geflüstert: »Seht, es sind Lumpen – nichts als Lumpen!«

Unter den Menschen jener Zeiten waren auch wohl einige, die ihre Seele dem Geist mit den Eisaugen erschlossen hatten. Bei dem einen saß er beobachtend an der Quelle der Handlungen, hohnlachend über Gutes und Böses, alles verstehend, nichts verurteilend, untersuchend, leitend, zerpflückend, die Regungen des Herzens und die Kraft des Gedankens durch sein unablässiges Hohnlachen lähmend.

Die schöne Marianne trug diesen Geist der Selbstkritik in sich. Sie fühlte, daß sein Eisblick, sein Hohnlächeln jedes Wort, jeden Schritt begleiteten. Ihr Leben war zu einem Schauspiel geworden, bei dem er der einzige Zuschauer war. Sie war kein Mensch mehr, sie litt nicht, freute sich nicht, liebte nicht; sie führte die Rolle der schönen Marianne Sinclaire aus, und die Selbstkritik saß mit starrenden Eisaugen und fleißig zupfenden Fingern da und sah zu, wie sie auftrat.

Sie war in zwei Hälften geteilt. Bleich, unsympathisch, höhnisch saß die eine Hälfte ihres Ichs da und schaute spöttisch zu, wie die andere handelte, und niemals hatte der wunderliche Geist, der ihr Wesen zerpflückte, auch nur ein einziges mitfühlendes Wort.

Wo aber war dieser bleiche Wächter der Quelle der Handlungen denn in jener Nacht gewesen, als sie die Fülle des Lebens kennen lernte? Wo war er, als sie, die kluge Marianne, Gösta Berling vor Hunderten von Augenpaaren küßte, als sie sich in ihrer Verzweiflung in den Schnee geworfen hatte, um zu sterben? Da waren die Eisaugen geblendet, da war das Hohnlächeln gelähmt, denn die Leidenschaft hatte ihre Seele mit Sturm erfüllt. Das Getöse der wilden Jagd aus dem Märchen hatte ihr vor den Ohren gesaust. Sie war in jener entsetzlichen Nacht ein ganzer Mensch gewesen.

O du Gott der Selbstverhöhnung! Als es Marianne nach unendlicher Anstrengung gelang, ihre erstarrten Arme zu erheben und sie um Gösta Berlings Hals zu schlingen, da mußtest du in der Gestalt des alten Beerencreutz deine Augen von der Erde ab- und den Sternen zuwenden. In jener Nacht besaßest du keine Macht. Tot warst du, während sie ihre Liebeshymnen dichtete, die schöne Marianne – tot, während sie nach Sjö eilte, um den Major zu holen, tot, als sie die Flammen den Himmel über den Wipfeln der Wälder röten sah.

Siehe, sie waren gekommen, die mächtigen Sturmvögel, die Adler dämonischer Leidenschaften. Mit Feuerschwingen und Stahlklauen waren sie sausend über dich herabgekommen, du Geist mit den Eisaugen; sie hatten ihre Klauen in deinen Nacken geschlagen und dich in das Unbekannte hinweggeschleudert. Tot und zerschmettert warst du. Nun aber waren sie weiter gefahren, die Stolzen, die Gewaltigen, sie, deren Weg keine Berechnung kennt, denen noch kein Beobachter zu folgen vermochte; und aus der Tiefe des Unbekannten war der wunderliche Geist der Selbstkritik wiedererstanden und hatte sich wieder in der Seele der stolzen Marianne niedergelassen. – – –

Den ganzen Februar hindurch lag Marianne krank auf Ekeby. Auf Sjö war sie von den Blattern angesteckt worden. Die entsetzliche Krankheit hat sich mit ihrer ganzen Gewalt auf sie geworfen, erkältet, erschöpft, wie sie war; sie war dem Tode nahe gewesen; gegen Ende des Monats aber fing sie an, sich zu erholen. Schwach war sie aber noch und sehr entstellt. Nie wieder würde sie die schöne Marianne genannt werden.

Dieser Verlust, der Trauer über ganz Wermland bringen sollte, als sei einer der köstlichsten Schätze des Landes verloren, war bisher jedoch nur Marianne und ihrer Pflegerin bekannt. Nicht einmal die Kavaliere wußten es. Das Krankenzimmer, in dem die Blattern herrschten, stand nicht einem jeden offen.

Wann aber ist die Selbstkritik stärker als in den langen Stunden der Genesung? Da sitzt sie und starrt und starrt mit ihren Eisaugen und zupft und pflückt mit ihren harten, knöcherigen Fingern. Und sieht man recht zu, so sitzt dahinter ein anderes, gelblich blasses Wesen, das mit seinem Hohnlächeln starrt und lähmt, und dahinter noch eins und noch eins – alle hohnlachend über einander und über die ganze Welt.

Und während Marianne dalag und sich mit allen den starren Eisaugen betrachtete, erstarben alle ursprünglichen Gefühle in ihr.

Sie lag da und spielte die Kranke, sie lag da und spielte die Unglückliche, spielte die Verliebte, spielte die Rachelustige. Sie war dies alles, und doch war es nur Spiel.

Unter dem Blick der Eisaugen wurde alles Spiel und Unwirklichkeit, sie bewachten sie und wurden selber von einem andern Augenpaar bewacht, das wiederum von einem andern bewacht wurde – in endloser Perspektive.

Alle starken Kräfte des Lebens lagen im Zauberschlaf. Sie hatte die Fähigkeit zu glühendem Haß, zu hingebender Liebe nur eine einzige Nacht besessen – nicht länger. Sie wußte nicht einmal, ob sie Gösta Berling liebte. Sie sehnte sich danach ihn zu sehen, um zu versuchen, ob er imstande sei, sie sich selbst vergessen zu machen.

 

Solange die Macht der Krankheit währte, hatte sie nur einen klaren Gedanken gehabt: sie hatte Sorge getragen, daß ihre Krankheit nicht bekannt wurde. Sie wollte ihre Eltern nicht sehen, sie wollte keine Versöhnung mit ihrem Vater, sie wußte, daß er bereuen würde, was er getan, sobald er erfuhr, wie krank sie war. Deswegen befahl sie, daß ihren Eltern und allen andern gesagt werden soll, daß dies Augenleiden, das sie häufig befiel, wenn sie sich auf Björne aufhielt, sie zwänge, hinter herabgelassenen Rouleaus zu sitzen. Sie verbot ihrer Pflegerin zu sagen, wie krank sie sei; sie verbot den Kavalieren, einen Arzt aus Karlstad zu holen. Sie habe ja die Blattern, aber nur sehr leicht, und die Hausapotheke zu Ekeby enthalte genug, um ihr Leben zu fristen.

Sie dachte nie daran, daß sie sterben könne; sie lag nur da und wartete auf ihre Genesung, um mit Gösta zu dem Pfarrer zu fahren und das Aufgebot zu bestellen.

Nun aber waren die Krankheit und das Fieber überstanden. Sie war wieder kühl und klug. Es war ihr, als sei sie in dieser ganzen Welt von Toren die einzig Vernünftige. Sie haßte nicht und liebte nicht. Sie verstand ihren Vater, sie verstand sie alle. Wer versteht, der haßt nicht.

Sie hatte erfahren, daß Melchior Sinclaire die Absicht habe, eine Auktion auf Björne abzuhalten und alles zu zerstören, was er besaß, damit sie nichts von ihm erben könne. Man sagte, er wolle die Zerstörung so gründlich wie nur möglich machen; erst wollte er alle Möbel und allen Hausrat verkaufen, dann das Vieh und die Ackergerätschaften und zuletzt den ganzen Hof; und alles Geld wollte er in einen Sack stecken und in den Löfsee versenken. Zerstörung, Vernichtung sollte ihr Erbe sein. Marianne lächelte beifällig, als sie das hörte: so war sein Charakter, so mußte er handeln.

Sonderbar erschien es ihr, daß sie jemals das Lob der Liebe gesungen hatte. Sie hatte von einer Hütte und von seinem Herzen geträumt; jetzt konnte sie nicht verstehen, daß sie jemals einen solchen Traum gehabt hatte.

Sie seufzte nach Natur. Sie war dieses ewigen Spiels müde. Nie hatte sie ein starkes Gefühl. Sie trauerte kaum um ihre Schönheit, aber ihr graute vor fremdem Mitleid.

O, nur eine Sekunde Selbstvergessenheit! Ein Wort, eine Handlung, eine Bewegung, die nicht berechnet war!

Eines Tages, als das Zimmer gelüftet und von der Aufdeckung gereinigt war und sie angekleidet auf einem Sofa lag, ließ sie Gösta Berling rufen. Man antwortete ihr, er sei zur Auktion nach Björne gefahren.

Wahrlich, das war eine große Auktion auf Björne! Es war ein altes, reiches Haus. Meilenweit waren die Leute gereist, um zu bieten.

Der große Melchior Sinclaire hatte alles, was das Haus besaß, in dem großen Saal aufeinander gehäuft. Tausende von Dingen lagen bunt durcheinander in hohen Bergen, die vom Fußboden bis an die Decke reichten. Er selber war wie der Engel der Zerstörung am Tage des Gerichts im Hause umhergegangen und hatte alles zusammengeschleppt, was er verkaufen wollte. Die schwarzen Kochtöpfe, hölzernen Stühle, zinnernen Krüge, die Kupfergeräte, das alles hatte Ruhe vor ihm, denn daran war ja nichts, was an Marianne erinnerte; aber das war auch das Einzige, was seinem Zorn entging.

Er brach in Mariannens Zimmer ein und zerstörte alles. Dort stand ihr Puppenschrank und ihr Bücherbord, der kleine Stuhl, den er für sie hatte machen lassen; ihre Schmucksachen und ihre Kleider, ihr Sofa und ihr Bett, das alles mußte fort.

Dann ging er von einem Zimmer ins andere. Er riß alles an sich, was ihm mißfiel, und trug große Lasten in den Auktionssaal hinab. Er stöhnte unter den schweren Sofas und Marmortischen, aber er hielt stand. Und er warf alles in einem entsetzlichen Wirrwarr bunt durcheinander. Er zerschlug die Schränke und nahm das kostbare Familiensilber heraus. Weg damit! Marianne hatte es berührt. Er nahm die Arme voll von schneeweißem Damast, solide, eigengemachte Arbeit, die Früchte jahrelangen Fleißes, und warf das Ganze auf den Haufen. Weg damit! Marianne war nicht wert, es zu besitzen! Er stürmte mit Stapeln von Porzellan durch die Zimmer, ohne sich daran zu kehren, daß er die Teller zu Dutzenden zerbrach, und er ergriff die alten Sèvrestassen, auf denen das Familienwappen eingebrannt war. Weg damit! Nehme sie, wer da will! Er warf Berge von Betten vom Boden herab: Kissen und Daunendecken so weich, daß man darin versank wie in einer Welle. Weg damit! Marianne hatte darauf geschlafen.

Er warf wütende Blicke auf die alten, wohlbekannten Möbel. Gab es wohl einen Stuhl, ein Sofa, auf dem sie nicht gesessen, ein Gemälde, das sie nicht betrachtet, einen Kronleuchter, der ihr nicht gestrahlt, einen Spiegel, der ihre Züge nicht wiedergegeben hätte? Finster ballte er seine Faust gegen diese Welt von Erinnerungen. Am liebsten wäre er mit einer Keule auf sie losgefahren und hätte das Ganze in Splitter zerschlagen.

Doch fand er, daß die Rache noch gründlicher war, wenn er das Ganze auf die Auktion brachte. Zu Fremden hinaus sollte es! Sollte in Tagelöhnerwohnungen beschmutzt werden, unter den Händen gleichgültiger, fremder Menschen verfallen. Kannte er nicht zur Genüge diese abgestoßenen Auktionsmöbel in den Bauernstuben, verachtet, entehrt, geradeso wie seine schöne Tochter! Weg damit! Mochten sie dastehen mit zerrissenem Polster, aus dem das Krollhaar herausguckte, mit verschlissener Vergoldung, mit zerbrochenen Beinen und geborstenen Tischplatten, mochten sie sich nach ihrem alten Heim sehnen! Weg damit in alle Ecken der Welt, daß kein Auge sie wiederfinden, keine Hand sie wiedersammeln konnte!

Als die Auktion begann, hatte er den halben Saal mit einem unglaublichen Wirrwarr von aufgestapeltem Hausgerät angefüllt.

Quer durch den Saal hatte er einen langen Tisch aufgestellt. Dahinter stand der Auktionshalter und rief auf, dort saßen die Schreiber und schrieben auf, und dort hatte Melchior Sinclaire ein Branntweinfäßchen stehen.

Im andern Teil des Saales, auf der Diele und auf dem Hofe befanden sich die Käufer.

Da waren viele Menschen, viel Lärm und Munterkeit. Die Gebote fielen schnell, und die Auktion ging lebhaft vonstatten. Aber an dem Branntweinfäßchen, seinen ganzen Besitz in grenzenlosen Wirrwarr hinter sich, saß Melchior Sinclaire, halb betrunken und halb verrückt. Das Haar umrahmte in wilden Büscheln sein rotes Gesicht, die blutunterlaufenen, wilden Augen rollten. Er rief und lachte, als sei er in bester Laune, und jedesmal, wenn jemand ein gutes Gebot machte, rief er ihn zu sich heran und schenkte ihm einen Schnaps ein.

Unter denen, die ihn dort sahen, befand sich auch Gösta Berling, der sich zwischen die Käufer gemischt hatte, es aber vermied, Melchior Sinclaire vor die Augen zu kommen. Ihm ward unheimlich zumute bei dem, was er sah, und sein Herz schnürte sich zusammen wie im Vorgefühl eines Unglücks.

Er wunderte sich, wo wohl Mariannens Mutter nur sein mochte. Und schließlich ging er, halb wider Willen, aber vom Schicksal getrieben, hin, um Frau Gustava Sinclaire zu suchen.

Er ging durch viele Türen, ehe er sie fand. Der große Gutsherr hatte nicht viel Geduld und war kein Freund von Klagen und Weibertränen. Er hatte es satt, ihre Tränen fließen zu sehen bei dem Geschick, das über die Schätze ihres Hauses hereingebrochen war. Er ward wütend, daß sie über Leinenzeug und Betten weinen konnte, wo doch das, was weit mehr war, seine schöne Tochter selbst, verloren war, und da hatte er sie mit geballten Fäusten vor sich her durch das ganze Haus getrieben, in die Küche hinaus, bis in die Speisekammer.

Weiter konnte er nicht kommen, und er hatte sich damit begnügt, sie dort zusammengekauert hinter der Treppe sitzen zu sehen, harte Schläge, ja vielleicht gar den Tod erwartend. Dort ließ er sie sitzen, die Tür aber schloß er ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Da konnte sie bleiben, bis die Auktion vorüber war. Verhungern konnte sie nicht, und seine Ohren hatten Ruhe vor ihren Klagen.

Da saß sie nun als Gefangene in ihrer eigenen Speisekammer, als Gösta durch den Gang in die Küche kam. Dort erblickte er Frau Gustavas Gesicht an einem kleinen Fenster ganz oben an der Wand; sie war da hinaufgekrochen und guckte aus ihrem Gefängnis heraus.

»Was macht Tante Gustava [1] da droben?« fragte Gösta.

[1] In Schweden, wo es kein eigentliches »Sie« gibt, ist es Sitte, daß jüngere Leute ältere Freunde »Tante« und »Onkel« nennen.

»Er hat mich hier eingesperrt«, antwortete sie.

»Der Gutsherr?«

»Ja – ich glaubte, er würde mich ganz totschlagen. Ach, Gösta, hole doch den Schlüssel, der in der Saaltür steckt, und schließe die Speisekammertür auf, damit ich hinauskommen kann. Der Schlüssel schließt hier.«

Gösta tat, wie ihm geheißen, und wenige Minuten später stand die kleine Frau in der Küche, die ganz menschenleer war.

»Tante hätte eins der Mädchen mit dem Saalschlüssel aufschließen lassen sollen«, sagte Gösta.

»Glaubst du, daß ich die den Kniff lehren will? Dann hätte ich ja nie mehr Frieden in meiner Speisekammer. Und übrigens habe ich die Zeit benutzt, um die oberen Borde aufzuräumen. Das tat groß not! Ich begreife nicht, wie ich es so habe ansammeln lassen können.«

»Tante hat so viel zu tun«, sagte Gösta entschuldigend.

»Ja, das kannst du glauben. Wenn ich selber nicht überall mit dabei bin, so kommt weder die Spindel noch der Rocken ordentlich in Gang. Und wenn ...«

Hier hielt sie plötzlich inne und trocknete eine Träne aus dem Auge.

»Ach, du lieber Gott,« seufzte sie, »hier stehe ich und rede und bekomme wohl nie wieder etwas, wofür ich sorgen kann. Er verkauft ja alles, was wir besitzen und haben.«

»Ja, das ist ein großer Jammer«, sagte Gösta.

»Du weißt, der große Spiegel unten im Saal. Das war so ein Prachtstück, denn das ganze Glas war aus einem Stück, und an der Vergoldung war auch nicht ein Fleck. Ich habe ihn von meiner Mutter bekommen, und nun will er ihn verkaufen.«

»Er ist ja verrückt!«

»Ja, das kannst du wohl sagen. Verrückt ist er. Er hört wahrhaftig nicht eher auf, als bis wir auf die Landstraße geworfen sind und betteln müssen, so wie die Majorin.«

»So weit wird es wohl nicht kommen«, meinte Gösta.

»Ja, Gösta! Als die Majorin von Ekeby fortging, prophezeite sie uns Unglück, und nun kommt es. Sie würde es nie zugegeben haben, daß er Björne verkaufte. Und stell dir nur vor, sein eigenes Porzellan, die alten Tassen aus seiner eigenen Familie, die verkauft er. Darin hätte sich die Majorin nie gefunden.«

»Aber was hat er nur einmal?« fragte Gösta.

»Ach, es ist nichts weiter, als daß Marianne nicht wieder nach Hause gekommen ist. Er hat darauf gewartet und gewartet. Die ganzen Tage ist er in der Allee auf und nieder gegangen und hat auf sie gewartet. Er sehnt sich so nach ihr, daß ich glaube, er hat den Verstand darüber verloren; aber ich darf ja nichts sagen.«

»Marianne glaubt, daß er ihr zürnt.«

»Das glaubt sie nicht. Sie kennt ihn; aber sie ist stolz und will den ersten Schritt nicht tun. Sie sind störrisch und hart – alle beide, und über mich geht es her, ich sitze zwischen zwei harten Steinen.«

»Tante weiß wohl, daß Marianne sich mit mir verheiraten will?«

»Ach, Gösta, das tut sie niemals. Sie sagt das nur, um dich zu necken. Sie ist viel zu sehr verwöhnt, um sich mit einem armen Mann zu verheiraten, und auch viel zu stolz. Geh du nach Hause und sage ihr, wenn sie nicht bald kommt, so geht ihr ganzes Erbe vor die Hunde. Er läßt das Ganze fort, ohne das Geringste dafür zu bekommen.«

Gösta ward böse auf sie. Dort saß sie auf einem großen Küchentisch und hatte für nichts Sinn als für ihre Spiegel und ihr Porzellan.

»Tante sollte sich schämen!« rief er aus. »Erst stoßt Ihr Eure Tochter in den Schnee hinaus, und dann glaubt Ihr, daß sie nur aus lauter Schlechtigkeit nicht wiederkommt. Und Ihr traut ihr zu, daß sie den verläßt, den sie liebhat, nur um nicht erblos gemacht zu werden!«

»Lieber Gösta! Werde du nun nicht auch noch böse. Ich weiß ja gar nicht, was ich sage. Ich versuchte, Mariannen die Tür zu öffnen, er aber zerrte mich fort. Hier im Hause heißt es stets, daß ich nichts verstehe. Ich gönne dir Marianne von Herzen, wenn du sie glücklich machen kannst. Es ist kein leichtes Ding, eine Frau glücklich zu machen, Gösta.«

 

Gösta sah sie an. Wie konnte er böse mit einem Menschen wie Frau Gustava sprechen! Eingeschüchtert und abgehetzt war sie, aber sie hatte ein so gutes Herz.

»Tante fragt nicht, wie es Mariannen geht«, sagte er leise.

Da brach sie in Tränen aus. »Wirst du nicht böse, wenn ich dich frage?« sagte sie. »Ich habe mich die ganze Zeit danach gesehnt, dich zu fragen. Ich weiß ja nichts weiter von ihr, als daß sie lebt. Nicht einen Gruß habe ich die ganze Zeit hindurch von ihr bekommen, nicht einmal, als ich ihr ihre Sachen sandte, und da dachte ich, du und sie, ihr wolltet mich nichts von ihr hören lassen.«

Gösta konnte es nicht länger aushalten. Er war ein wilder, toller Mensch – zuweilen mußte der Herr seine Wölfe hinter ihm drein senden, um ihn zum Gehorsam zu zwingen – aber die Tränen dieser alten Frau waren für ihn schlimmer als das Geheul der Wölfe. Er erzählte ihr die ganze Wahrheit.

»Marianne ist die ganze Zeit hindurch krank gewesen«, sagte er. »Sie hat die Pocken gehabt. Heute sollte sie zum erstenmal auf das Sofa gebettet werden. Ich habe sie seit jener ersten Nacht nicht gesehen.«

Mit einem Sprung stand Frau Gustava auf ihren Füßen. Sie ließ Gösta stehen und lief, ohne ein Wort zu sagen, zu ihrem Mann hinein.

Die Leute im Auktionssaal sahen sie erregt auf ihn zu laufen und ihm etwas ins Ohr flüstern. Sie sahen, daß sein Gesicht noch röter wurde und daß die Hand, die auf dem Hahn ruhte, diesen herumdrehte, so daß der Branntwein auf den Boden floß.

Das sahen alle – Frau Gustava war mit so wichtigen Nachrichten gekommen, daß die Auktion eine Stockung erlitt. Der Hammer des Auktionators fiel nicht, die Federn der Schreiber kratzten nicht mehr auf dem Papier, kein Gebot ward hörbar.

Melchior Sinclaire fuhr aus seinen Grübeleien auf.

»Nun,« rief er, »wirds bald?«

Und die Auktion war wieder im vollen Gange.

Gösta saß und wartete in der Küche, und Frau Gustava kam weinend zu ihm hinaus.

»Es half nichts«, sagte sie. »Ich dachte, er würde innehalten, wenn er erführe, daß Marianne krank gewesen ist, aber nun läßt er sie fortfahren. Er würde schon aufhören, wenn er sich nicht schämte.«

Gösta zuckte die Achseln und verabschiedete sich von ihr. Auf der Diele begegnete er Sintram.

»Eine verteufelt amüsante Geschichte!« rief Sintram und rieb sich die Hände. »Du bist ein Meister, Gösta! Was du doch alles zustande bringen kannst!«

»Es wird bald noch viel amüsanter!« flüsterte Gösta. »Der Pfarrer aus Broby ist hier mit einem ganzen Schlitten voll Geld; man sagte, er will ganz Björne kaufen und kontant bezahlen. Da will ich doch sehen, was für ein Gesicht der große Gutsherr aufsetzt.«

Sintram zog den Kopf ganz zwischen die Schultern und lachte ein langes, inwendiges Lachen. Dann ging er in den Auktionssaal und trat dicht an Melchior Sinclaire heran.

»Willst du einen Schnaps haben, Sintram, so mußt du, hol mich der Teufel! erst bieten.«

»Du hast doch auch stets Glück, Bruder«, sagte Sintram. »Hier kommt einer mit einem ganzen Schlitten voll Geld gefahren. Er will Björne mit Inventar, Besatzung und allem kaufen. Er hat mit andern die Verabredung getroffen, daß sie für ihn bieten sollen. Er selber will sich solange gar nicht zeigen.«

»Du kannst mir wohl sagen, wer es ist, wenn ich dir einen Schnaps für die Mühe gebe?«

Sintram nahm den Schnaps und trat ein paar Schritte zurück, ehe er antwortete.

»Es soll der Pfarrer von Broby sein, Bruder Melchior!«

Melchior Sinclaire hatte bessere Freunde als den Pfarrer von Broby. Es hatten jahrelange Feindseligkeiten zwischen ihnen bestanden. Die Sage ging, daß der große Gutsherr in dunklen Nächten auf den Wegen, die der Pfarrer zurücklegen mußte, auf der Lauer gelegen und ihm manche Tracht Prügel verabreicht hatte, diesem Bauernschinder, diesem Geizkragen!

Wohl hatte sich Sintram einige Schritte zurückgezogen, doch entging er nicht ganz dem Zorn des großen Mannes. Er bekam ein Schnapsglas an die Stirn und das ganze Branntweinfäßchen vor die Füße gesegelt. Dann aber folgte auch eine Szene, die sein Herz noch für lange Zeiten erfreute.

»Will der Pfarrer von Broby mein Gut haben?« brüllte Sinclaire. »Steht ihr da und schlagt dem Pfarrer von Broby meinen Besitz zu? Wie die Hunde solltet ihr euch schämen!« – Er nahm einen Leuchter und ein Tintenfaß und schleuderte beides in die Volksmenge. Alle die Bitterkeit seines armen Herzens machte sich endlich Luft. Brüllend wie ein wildes Tier, ballte er die Faust gegen die Umherstehenden und schleuderte alles, was ihm in die Hand kam, als Wurfgeschosse gegen sie. Schnapsflaschen und Gläser sausten durch den Saal. Er wußte selber nicht, was er tat. »Die Auktion ist beendet!« brüllte er. »Hinaus mit euch! Solange ich lebe, soll der Pfarrer von Broby nun und nimmer Herr auf Björne werden. Hinaus mit euch! Ich will euch lehren, für den Pfarrer von Broby zu bieten.«

Er ging auf den Auktionshalter und die Schreiber los. Sie sprangen zur Seite. In der Verwirrung rissen sie den Tisch um, und der Gutsherr fuhr wie ein Rasender unter die große Schar friedlicher Menschen.

Es entstand Flucht und wilde Verwirrung. Ein paar hundert Menschen drängten nach der Tür aus Furcht vor einem einzigen Manne. Und er stand still, sein »Hinaus mit euch!« brüllend. Er sandte ihnen laute Verwünschungen nach, indem er einen Stuhl wie eine Keule über seinem Haupte schwang.

Er verfolgte sie bis auf die Diele hinaus, aber nicht weiter. Als der letzte Fremde die Treppe hinab war, ging er in den Saal zurück und schloß die Tür hinter sich ab. Dann zog er eine Matratze und ein paar Kissen aus dem Haufen heraus, legte sich darauf nieder und schlief mitten in der Zerstörung ein, um erst am andern Tage wieder zu erwachen. – –

Als Gösta nach Hause kam, erfuhr er, daß Marianne mit ihm sprechen wolle. Das traf sich günstig, er hatte gerade darüber nachgedacht, wie er sie zur Sprache bekommen könne.

Als er in das dunkle Zimmer trat, in dem sie lag, blieb er einen Augenblick an der Tür stehen. Er konnte nicht sehen, wo sie war.

»Bleibe, wo du bist, Gösta«, sagte Marianne. »Es kann gefährlich sein, mir nahezukommen.«

Aber Gösta war die Treppen in ein paar Sprüngen hinangeeilt, bebend vor Eifer und Sehnsucht. Was kümmerte er sich um die Ansteckung. Er wollte die Seligkeit genießen, sie zu sehen.

Denn sie war schön, die Geliebte seines Herzens. Niemand hatte so weiches Haar, eine so klare, strahlende Stirn. Ihr ganzes Gesicht war ein Spiel schön geschwungener Linien.

Er dachte an die Augenbrauen, die sich so scharf und klar abhoben wie die Honiggrübchen einer Lilie, an die keck geschwungene Linie der Nase, an die Lippen, die sich fein kräuselten wie eine rollende Woge, an das Oval der Wangen und die ausgesucht feine Form des Kinns. Er dachte an die zarte Farbe ihrer Haut, an die nachtschwarzen Brauen unter dem blonden Haar, an die blauen Augäpfel in dem klaren Weiß, an den Schimmer in den Augenwinkeln.

Schön war sie, seine Geliebte! Er dachte daran, welch ein warmes Herz sie unter dem stolzen Äußern verbarg. Sie hatte die Kraft, sich hinzugeben, sich zu opfern, verbarg sie aber sorgsam unter dem eleganten Wesen, unter den stolzen Worten. Es war Seligkeit, sie zu sehen.

In zwei Sprüngen war er die Treppe hinaufgekommen, und dann glaubte sie, daß er an der Tür stehenbleiben wolle! Er stürmte durch das Zimmer und sank neben ihrem Lager auf die Knie.

Er wollte sie sehen, sie küssen, Abschied von ihr nehmen. Er liebte sie, er würde niemals aufhören, sie zu lieben, aber sein Herz war daran gewöhnt, in den Staub getreten zu werden.

O, wo sollte er sie finden, diese Rose ohne Stütze, ohne Wurzel, die er zu sich nehmen und die Seine nennen durfte? Nicht einmal sie, die er verworfen und halbtot am Wegesrande gefunden hatte, durfte er behalten. Wann würde wohl seine Liebe ihren Gesang anstimmen, so hoch und rein, daß kein Mißklang hindurchtönte? Wann würde sein Glück auf einem Grund erbaut werden, nach dem sich kein anderes Herz mit Unruhe und Verlangen sehnte?