Gösta Berling

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Aber die Leute blieben stehen.

Die Majorin wandte sich an Marianne. »Ich weiß, daß du liebst,« sagte sie, »du handelst im Wahnsinn der Liebe. Möge nie der Tag kommen, an dem du machtlos zusehen mußt, wie dein Heim zerstört wird! Möchtest du stets die Herrschaft über deine Zunge und deine Hand behalten, wenn Zorn deine Seele anfüllt!«

»Aber kommt jetzt, liebe Kinder, kommt jetzt!« fuhr sie zu den Leuten gewendet fort. »Jetzt muß Gott Ekeby beschützen, ich gehe zu meiner Mutter. Ach, Marianne, wenn du deinen Verstand wiederbekommst und Ekeby zerstört ist und das Land in Not seufzt, dann denke an das, was du über Nacht angerichtet hast, und nimm dich der armen Menschen an!«

Und dann ging sie, und die Leute gaben ihr das Geleit.

Als der Major auf den Hof kam, fand er keine lebende Seele vor außer Marianne und einer langen Reihe von Wagen und Pferden, eine lange, betrübliche Reihe, wo Wagen und Pferd und Besitzer alle gleich gering, alle gleich mitgenommen vom Leben waren.

Marianne ging umher und löste die Gebundenen. Sie bissen die Lippen zusammen und sahen nach der Seite. Sie schämten sich wie nie zuvor. Ein größerer Schimpf war ihnen niemals angetan.

»Mir erging es nicht besser, als ich vor ein paar Stunden auf der Treppe auf den Knien lag«, sagte Marianne.

Und dann, lieber Leser, was sich in jener Nacht weiter zutrug, wie die alten Gefährte wieder in den Schuppen, die Pferde in den Stall und die Kavaliere in den Kavalierflügel kamen, das zu erzählen, darauf will ich mich nicht einlassen. Die Morgenröte begann sich über den Bergen im Osten zu zeigen, und der Tag brach mit Klarheit und Frieden an. Wieviel friedlicher sind nicht die hellen, sonnigen Tage als die dunklen Nächte, unter deren beschützenden Schwingen die Raubtiere jagen und die Eulen schreien.

Nur das will ich sagen, daß, als die Kavaliere wieder hineingekommen waren und in der Punschbowle noch einige Tropfen gefunden hatten, die sie in ihre Gläser füllen konnten, sie eine plötzliche Begeisterung überkam.

»Die Majorin soll leben, hurrah hoch!« riefen sie.

Sie war doch ein Weib ohnegleichen! Was konnten sie wohl Besseres verlangen, als ihr zu dienen und sie anzubeten.

War es nicht traurig, daß der Teufel Macht über sie gewonnen hatte, und daß all ihr Trachten darauf ausging, die Seelen der Kavaliere in die Hölle zu schicken!

Der große Bär auf dem Gurlita-Berge

In der Dunkelheit des Waldes wohnen friedlose Tiere, deren Kiefer mit unheimlich schimmernden Zähnen bewaffnet sind, und deren Füße scharfe Klauen tragen, die sich danach sehnen, sich in einem blutgefüllten Hals festzubeißen, und deren Augen vor Mordlust leuchten.

Da wohnen die Wölfe, die des Nachts zum Vorschein kommen und hinter dem Schlitten des Bauern herjagen, bis die Mutter das kleine Kind nehmen muß, das sie auf dem Schoße hält, und es ihnen hinwirft, um ihr eigenes und ihres Mannes Leben zu retten.

Da wohnt der Luchs, den der Bauer »Göpa« nennt; denn im Walde ist es gefährlich, ihn bei seinem rechten Namen zu nennen. Wer ihn am Tage genannt hat, muß am Abend gut nachsehen, ob die Türen und die Luken des Schafstalls versichert sind, denn sonst kommt er. Er klettert an der steilen Wand herauf, denn seine Krallen sind wie scharfe Stahlhaken, schleicht sich durch den engsten Gang und stürzt sich über die Schafe. Und der Göpa hängt sich an ihre Kehle und trinkt Blut aus der Halsader und mordet und zerreißt, bis das letzte Schaf getötet ist. Er hält nicht inne in seinem wilden Totentanz unter den eingeschüchterten Tieren, solange noch ein einziges von ihnen ein Lebenszeichen von sich gibt. Und am Morgen findet der Bauer alle Schafe tot, mit zerrissenen Kehlen daliegen, denn der Göpa hinterläßt nichts Lebendes, wo er haust.

Da wohnt die Eule, die in der Dämmerung schreit. Schreit man dann wieder, so kommt sie auf ihren breiten Flügeln über einen herabgesaust und hackt einem die Augen aus, denn sie ist kein wirklicher Vogel, sondern ein verhexter Geist.

Und da wohnt der schrecklichste von ihnen allen, der Bär, der eine Stärke von zwölf Männern hat und der, wenn er ein »Mannbär« geworden ist, nur mit einer silbernen Kugel getötet werden kann. Kann wohl irgend etwas ein Tier in dem Maße mit dem Nimbus des Schreckens umgeben, wie dies, daß er nur mit einer silbernen Kugel getötet werden kann? Was für furchtbare verborgene Kräfte wohnen in ihm und machen ihn so hart, daß gewöhnliches Blei nichts ausrichtet? Müssen nicht die Kinder viele Stunden wach liegen und sich vor diesem grauenhaften Tier ängstigen, das die bösen Mächte beschützen?

Und sollte man einmal dem Mannbären im Walde begegnen, groß und hoch wie ein wandernder Held, da soll man nicht laufen und sich auch nicht verteidigen, sondern sich glatt an die Erde werfen und so tun, als sei man tot. Viele kleine Kinder haben in Gedanken an der Erde gelegen und den Bären über sich gehabt. Er hat sie aber mit seiner Tatze herumgerollt, und sie haben seinen heißen, fauchenden Atem in ihrem Gesicht gefühlt; aber sie haben still gelegen, bis er weggegangen ist, um ein Loch zu graben und sie darin zu verbergen. Da sind sie leise aufgestanden und haben sich weggeschlichen, zuerst ganz sachte, dann aber in atemloser Hast.

Aber denkt, denkt doch, wenn der Bär nun meinen sollte, daß sie nicht richtig tot waren, wenn er versuchte, in sie hineinzubeißen, oder wenn er sehr hungrig wäre, oder wenn er sähe, daß sie sich rührten, und hinter ihnen drein liefe! Ach Gott!

Das Grauen ist eine Hexe, die in der Dunkelheit des Waldes sitzt und das Ohr der Menschen mit Zauberliedern erfüllt und ihre Herzen mit unheimlichen Gedanken. Daher kommt die lähmende Furcht, die das Leben bedrückt und die Schönheit lächelnder Gefilde verfinstert. Die Natur ist böse und grausam, hinterlistig wie eine schlafende Schlange, nichts kann man glauben. Da liegt der Löfsee in prahlender Schöne, trau ihm aber nicht, er lauert auf Beute: jedes Jahr fordert er seinen Zoll an Ertrunkenen! Da liegt der Wald friedlich lockend, trau ihm aber nicht! Der Wald ist voll von friedlosen Tieren, die von den Seelen böser Hexen und mordlustiger Räuber besessen sind.

Trau nicht dem Bach mit seinem rieselnden Wasser! Es bringt Krankheit und Tod, wenn man nach Sonnenuntergang in ihm watet. Trau nicht dem Kuckuck! Gar lustig ruft er im Frühling. Wenn der Sommer vorüber ist, wird er zum Habicht mit scharfen Augen und fürchterlichen Krallen! Trau nicht dem Moos, nicht dem Heidekraut, nicht dem Berge! Die Natur ist böse, von unheimlichen Mächten besessen, die die Menschen hassen. Es gibt keine Stätte, wohin du mit Sicherheit deinen Fuß setzen kannst, es ist unbegreiflich, wie das schwache Menschengeschlecht all diesen Verfolgungen entrinnen kann.

Das Grauen ist eine Hexe. Sitzt sie noch in der Finsternis der wermländischen Wälder und singt Zauberlieder? Verdunkelt sie noch die Schönheit lächelnder Gefilde? Lähmt sie noch die Freude am Leben? Ihre Macht ist groß gewesen, das weiß ich, in deren Wiege Stahl und in deren Badewasser glühende Kohlen gelegen haben; ich weiß es, ich, die ich ihre eiserne Hand um mein Herz gefühlt habe.

Im übrigen aber soll niemand glauben, daß ich jetzt von etwas Unheimlichem und Schrecklichem erzählen will.

Es ist nur eine alte Geschichte von dem großen Bären auf dem Gurlita-Berge, die ich jetzt erzählen will, und es soll einem jeden freistehen, sie zu glauben oder sie nicht zu glauben, so wie es bei allen richtigen Jagdgeschichten sein soll.

Der große Bär haust auf dem prächtigen Berggipfel, den man den Gurlita-Felsen nennt und der sich steil und unzugänglich am Ufer des oberen Löfsees erhebt. Die Wurzel einer umgewehten Tanne, an der noch die Grassoden hängen, bildet die Wand und das Dach seiner Behausung; die Zweige und das Gestrüpp beschützen sie, der Schnee macht sie dicht. Er kann dadrinnen liegen und einen guten, ruhigen Schlaf von einem Sommer zum andern halten.

Ist er denn ein Poet, ein krankhafter Träumer, dieser zottige König des Waldes, dieser schiefäugige Räuber? Will er die kalten Nächte und die farblosen Tage des Winters verschlafen, um von brausenden Bächen und Vogelgesang geweckt zu werden? Will er daliegen und von wartenden Erdbeerhügeln träumen und von Ameisenhaufen, voll von leckern braunen kleinen Wesen, und von den weißen Lämmern, die an den Abhängen grasen? Will er dem Winter des Lebens aus dem Wege gehen, der Glückliche?

Der Wind weht und stiebt hinein zwischen die Föhren da draußen; da draußen streifen Wolf und Fuchs umher, wahnsinnig vor Hunger. Warum soll der Bär allein Erlaubnis haben zu schlafen? Mag er aufstehen und fühlen, wie die Kälte beißt, wie schwer es ist, in dem tiefen Schnee zu waten. Er soll herauskommen!

Er hat sich gut gebettet, er gleicht der schlafenden Prinzessin im Märchen: so wie sie von dem Prinzen geweckt wurde, so will er von dem Frühling geweckt werden. Von einem Sonnenstrahl, der sich durch das Gestrüpp stiehlt und ihm die Schnauze wärmt, von einigen Tropfen des schmelzenden Schnees, die durch seinen Pelz dringen, will er geweckt werden. Wehe dem, der ihn zur Unzeit weckt!

Aber den Fall gesetzt, daß niemand fragt, was der König des Waldes wünscht! Den Fall gesetzt, daß jetzt plötzlich ein ganzer Schwarm von Hagelkörnern hereingesaust kommt und ihn sticht wie boshafte Mücken!

Er hört plötzlich Rufe, Lärm und Schüsse. Er schüttelt den Schlaf aus seinen Gliedern und schiebt das Gestrüpp zur Seite, um zu sehen, was es ist. Hier gibt es Arbeit für den alten Raufbold. Es ist nicht der Frühling, der da draußen vor seiner Höhle lärmt und poltert, es ist nicht der Wind, der die Tannen umwirft und den Schnee aufwirbelt, es sind die Kavaliere – die Kavaliere aus Ekeby.

Sie sind alte Bekannte von dem König des Waldes. Er entsinnt sich gar wohl der Nacht, als Beerencreutz und Fuchs in der Scheune eines Bauern, wo man seinen Besuch erwartete, auf der Lauer lagen. Sie waren gerade über dem Schnapsglas eingeschlafen, als er sich durch das Grassodendach hereinschwang; aber sie erwachten, als er die getötete Kuh aus dem Stand herausheben wollte, und fielen mit Büchse und Messer über ihn her. Die Kuh nahmen sie ihm weg und das eine Auge auch, aber das Leben rettete er doch.

 

Ja – er und die Kavaliere sind alte Bekannte. Der König des Waldes entsinnt sich gar wohl eines andern Males, als sie über ihn herfielen, gerade als er und seine hohe Gemahlin sich hier in der alten Königsburg auf dem Gurlita-Felsen mit ihren Jungen zur Winterruhe niedergelassen hatten. Er entsinnt sich noch, wie unerwartet sie über ihn herfielen. Wohl entwischte er ihnen, er fegte alles zur Seite, was ihn hinderte, und sauste dahin, ohne auf die Kugeln zu achten; aber lahm ward er fürs Leben durch einen Schuß, den er in den Schenkel bekam. Und als er des Nachts in seine Königsburg zurückkehrte, war der Schnee rot gefärbt von dem Blut seiner hohen Gemahlin, und die königlichen Kinder waren weggeführt nach der Wohnung der Menschen, um dort aufzuwachsen und Diener und Freunde der Menschen zu werden.

Ja, jetzt erbebt die Erde, jetzt wird die Schneewehe zerteilt, die die Höhle verdeckt, jetzt bricht er heraus, der große Bär, der alte Feind der Kavaliere. Gib jetzt acht, Fuchs, alter Bärenjäger, gib jetzt acht, Beerencreutz, Oberst und Rabougespieler, gib jetzt acht, Gösta Berling, du Held von hundert Abenteuern!

Wehe über alle Poeten, alle Träumer, alle Liebeshelden! Da steht jetzt Gösta Berling, den Finger am Hahn der Büchse, und der Bär kommt ihm gerade entgegen. Warum schießt er nicht? Woran denkt er? Warum schickt er ihm nicht gleich eine Kugel in die breite Brust? Er steht gerade auf dem rechten Fleck, um das zu tun. Die andern können nicht im rechten Augenblick zum Schuß kommen. Glaubt er vielleicht, daß er vor der Majestät des Waldes Parade stehen soll?

Gösta hat natürlich dagestanden und von der schönen Marianne geträumt, die in diesen Tagen ernstlich krank auf Ekeby liegt, krank von der Nacht, in der sie im Schnee geschlafen hat. Er denkt an sie, die nun auch ein Opfer von dem Fluch des Hasses geworden ist, der auf der Erde ruht, und er schaudert vor sich selbst, daß er ausgegangen ist, um zu verfolgen und zu töten.

Und da kommt der große Bär gerade auf ihn zu. Blind auf dem einen Auge infolge eines Stiches von dem Messer eines der Kavaliere, lahm auf dem einen Bein infolge einer Kugel aus der Büchse eines der Kavaliere. Grausig und struppig, einsam seit der Zeit, als sie seine Gattin töteten und seine Kinder entführten. Und Gösta sieht ihn so, wie er ist: ein armes, verhetztes Tier, das er nicht des Lebens berauben will, des letzten, was ihm noch geblieben, nachdem ihm die Menschen alles andere genommen haben.

»Mag er mich töten,« denkt Gösta, »aber ich schieße ihn nicht tot.«

Und während der Bär auf ihn losstürzt, steht er still wie zur Parade, und als der König des Waldes ihm gerade gegenübersteht, tut er einen Schritt zur Seite und schultert das Gewehr.

Da setzt der Bär seinen Weg fort, wohl wissend, daß er keine Zeit zu verlieren hat, bricht in den Wald ein, bahnt sich einen Weg durch mannshohe Schneeschanzen, rollt an jähen Abhängen herab und ist dann hoffnungslos verschwunden, während alle die, die mit gespannten Hähnen dagestanden und auf Göstas Schuß gewartet haben, ihre Büchsen hinter ihm drein abschießen.

Aber es ist vergebens, der Ring ist gebrochen, und der Bär ist weg. Fuchs schimpft, und Beerencreutz flucht; aber Gösta lacht nur. Wie können sie doch nur verlangen, daß ein Mensch, der so unglücklich ist wie er, einem Geschöpf Gottes ein Leid antun soll?

Der große Bär auf dem Gurlita-Berge entkam also mit dem Leben, und aus dem Winterschlaf aufgeweckt ist er, das sollen die Bauern fühlen. Kein Bär hat eine größere Geschicklichkeit, das Dach auf ihren niedrigen, kellerartigen Viehhäusern zu zerreißen, keiner versteht es besser, aus einem Hinterhalt herauszuschleichen.

Die Leute da oben am oberen Löfsee wußten sich bald nicht vor ihm zu bergen. Einmal über das andere wurde nach den Kavalieren geschickt, sie möchten doch herauskommen und den Bären töten.

Tag für Tag, Nacht für Nacht, den ganzen Februar hindurch ziehen jetzt die Kavaliere nach dem oberen Löfsee hinauf, um den Bären zu finden; aber er entweicht ihnen. Hat er Schlauheit vom Fuchs und Geschwindigkeit von dem Wolf gelernt? Liegen sie auf der Lauer in dem einen Gehöft, so verheert er das andere. Suchen sie ihn im Walde, dann verfolgt er den Bauern, der über das Eis gefahren kommt. Er ist der frechste Räuber geworden: er kriecht auf den Boden hinauf und leert Mutters Honigkruke. Er schlägt das Pferd vor Vaters Schlitten tot.

Aber dann, nach und nach fängt man an zu verstehen, was für ein Bär es ist und warum Gösta nicht auf ihn schießen konnte. Es ist unheimlich, davon zu sprechen, schrecklich, es zu glauben; aber es ist kein gewöhnlicher Bär. Niemand kann daran denken, ihn zu erlegen, falls er nicht eine silberne Kugel in der Büchse hat. Eine Kugel aus Silber und Glockenerz, an einem Donnerstag-Abend bei Neumond im Kirchturm gegossen, ohne daß Pfarrer oder Küster oder irgendein Mensch davon weiß, die würde ihn töten können; aber eine solche Kugel ist nicht leicht zu beschaffen.

Auf Ekeby wohnt ein Mann, der sich mehr als sonst jemand über dies alles grämen muß. Das ist, wie man sich wohl denken kann, Anders Fuchs, der Bärenjäger. Er verliert die Lust am Essen, er verliert seinen Schlaf aus Groll darüber, daß er den großen Bären auf dem Gurlita-Berge nicht erlegen kann. Schließlich sieht auch er ein, daß der Bär nur mit einer silbernen Kugel erlegt werden kann.

Der barsche Major Fuchs war kein schöner Mann. Er hatte einen schwerfälligen, ungeschickten Körper und ein breites, rotes Gesicht mit schlaffen Wangen und einem vielfachen Doppelkinn. Steif wie Borsten saß der kleine schwarze Schnurrbart über seinen dicken Lippen, und das schwarze Haar stand starr und dicht vom Kopf ab. Dazu war er ein Mann von wenig Worten, aber von mächtigem Appetit. Er gehörte nicht zu denen, die die Frauen mit sonnigem Lächeln grüßen, auch sandte er ihnen keine sanften Blicke zu. Er glaubte, daß er niemals eine Frau finden könne, an der er Gefallen fand, und alles, was mit Liebe und Schwärmerei zu tun hatte, lag ihm fern. Wenn er also im Mondschein umherging und wartete, so muß man nicht glauben, daß er die gute Frau Luna zur Vertrauten in seinen Herzensangelegenheiten machen wollte. Nein, er dachte nur an die silberne Kugel, die bei Neumond gegossen werden mußte.

Und dann kommt ein Donnerstag-Abend, an dem der Mond gerade zwei Finger breit ist und ein paar Stunden, nachdem die Sonne untergegangen ist, über dem Horizont verweilt; da begibt sich Major Fuchs von Ekeby fort, ohne etwas davon zu sagen, was er vorhat. Er hat Feuerstahl und Kugelform in der Jagdtasche und die Büchse auf dem Rücken und geht auf die Broer Kirche zu, um zu sehen, was das Glück für einen ehrlichen Mann tun wird.

Die Kirche liegt an dem östlichen Ufer des schmalen Sunds zwischen dem oberen und dem unteren Löfsee, und Major Fuchs muß über die Brücke gehen, um dahin zu gelangen. Also geht er auf die Brücke zu, in tiefen Gedanken und ohne nach den Brobyer Hügeln hinüberzusehen, wo sich die Häuser scharf von dem klaren Abendhimmel abheben, oder nach dem Gurlita-Felsen, dessen runder Scheitel im Abendschein aufragt. Er sieht nur zu Boden und grübelt darüber nach, wie er des Kirchenschlüssels habhaft werden soll, ohne daß es jemand bemerkt.

Als er an die Brücke hinabkommt, hört er jemand so verzweifelt schreien, daß er gezwungen ist, die Augen vom Erdboden zu erheben.

Zu jener Zeit war Faber, der kleine Deutsche, Organist in Broby. Er war ein kleiner, schmächtiger Bursche, gering auf die eine wie auf die andere Weise. Küster war Jan Larsen, ein tüchtiger Bauer, aber arm, denn der Brobyer Pfarrer hatte ihn um sein väterliches Erbe, um ganze fünfhundert Reichstaler betrogen.

Der Küster wollte sich gern mit der Schwester des Organisten, der kleinen feinen Jungfer Faber, verheiraten, aber der Organist wollte sie ihm nicht geben; daher waren die beiden keine guten Freunde. An diesem Abend begegnete der Küster dem Organisten unten auf der Brücke und fuhr auf ihn los. Er packt ihn bei der Brust und hält ihn mit steifem Arm über das Geländer der Brücke, während er hoch und heilig schwört, daß er ihn ins Wasser werfen will, wenn er die kleine feine Jungfer nicht bekommen soll. Aber der kleine Deutsche will sich nicht ergeben, er zappelt und schreit, sagt aber in einem fort nein, obwohl er tief unter sich die schwarze Furche des offenen Wassers zwischen weißen Eiskanten hervorbrausen sieht.

»Nein, nein,« schreit er, »nein, nein!«

Es ist nicht zu wissen, ob der Küster in seiner Wut ihn nicht zuletzt doch noch in das kalte schwarze Wasser hätte hineinplumpsen lassen, wenn nicht Major Fuchs gerade über die Brücke gekommen wäre. Nun wird dem Küster bange, er setzt Faber wieder auf die Brücke nieder und läuft davon, so schnell er kann.

Der kleine Faber fällt nun dem Major um den Hals und dankt ihm für sein Leben; aber der Major schüttelt ihn ab und sagt, da sei gar kein Grund zu danken. Der Major hatte nichts für Deutsche übrig, seit der Zeit, als er in Putbus auf Rügen während des pommerschen Kriegs in Quartier gelegen hatte. Er war nie in seinem Leben so nahe daran gewesen zu verhungern wie dazumal.

Nun will der kleine Faber zum Amtmann Scharling hinauflaufen und den Küster wegen Mordversuchs verklagen; aber der Major teilt ihm mit, daß sich das nicht der Mühe verlohnt, denn hierzulande kostet es nichts, einen Deutschen totzuschlagen, keinen roten Heller. Und um die Wahrheit seiner Worte zu beweisen, erbietet er sich selbst, ihn in den Strom hinabzuwerfen.

Da beruhigt sich denn der kleine Faber und ladet den Major ein, mit nach Hause zu kommen und Schmorwurst zu essen und altes Bier zu trinken.

Der Major begleitet ihn, denn ihm ist eingefallen, daß der Organist sicher daheim einen Kirchenschlüssel haben muß, und so gehen sie denn den Hügel hinan, auf dem die Broer Kirche mitsamt dem Propsthause, dem Küsterhause und der Organistenwohnung liegt.

»Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie,« sagt der kleine Faber, als er und der Major in sein Haus eintreten. »Es ist hier heute gar nicht recht fein. Wir haben heute so viel zu tun gehabt, meine Schwester und ich; wir haben einen Hahn geschlachtet.«

»Ei der Tausend!« rief der Major aus.

Und dann kam die kleine feine Jungfer Faber mit altem Bier in großen Tonkrügen herein. Nun weiß ja ein jeder, daß der Major Frauen nicht mit milden Augen ansah, aber die kleine Jungfrau Faber mußte er doch mit einem gewissen Wohlwollen ansehen, so allerliebst wie sie dastand in Leibchen und Mütze. Das blonde Haar war glatt in die Stirn gestrichen, das selbstgewebte Kleid war so zierlich und so blendend rein; ihre kleinen Hände waren so geschäftig und geschwind, und ihr kleines Gesicht war so rosenrot und rund, daß er es nicht lassen konnte, zu denken, daß, wenn er so ein niedliches Frauenzimmerchen vor fünfundzwanzig Jahren gesehen hätte, er sicher Anstalten gemacht hätte, um sie zu freien. Aber so nett und rotwangig und behende sie auch war, ihre Augen sind doch ganz verweint. Und gerade das flößt ihm so milde Gedanken über sie ein.

Während die Männer essen und trinken, geht sie in der Stube ein und aus. Einmal tritt sie an ihren Bruder heran, macht einen Knix und sagt: »Wie befiehlt mein Bruder, daß wir die Kühe im Schuppen aufstellen sollen?«

»Stelle zwölf zur Rechten und elf zur Linken, dann können sie sich nicht stoßen«, sagte der kleine Faber.

»Das ist doch des Teufels! Hat Faber so viele Kühe?« sagt der Major.

Die Sache hing aber so zusammen, daß der Organist nur zwei Kühe hatte, aber er nannte die eine Elf und die andere Zwölf, damit es großartig klingen sollte, wenn er von ihnen sprach. Und dann erfährt der Major, daß Faber im Begriff ist, seine Scheune umzubauen, so daß die Kühe des Tags draußen gehen und des Nachts im Wetterschuppen stehen.

Die kleine Jungfer Faber geht in der Stube ein und aus. Sie tritt wieder an ihren Bruder heran und macht ihm einen Knix und sagt, daß der Zimmermann fragt, wie hoch die Scheune sein soll.

»Miß die Kuh,« sagt der Organist, »miß die Kuh!«

Major Fuchs findet, daß das eine gute Antwort ist.

Wie sie so dasitzen, fängt der Major an, den Organisten zu fragen, warum die Augen seiner Schwester so rot sind; und da erfährt er denn, daß sie weint, weil er ihr nicht erlauben will, sich mit dem armen Küster zu verheiraten, verschuldet und erblos, wie der ist.

 

Bei alledem verfällt Major Fuchs mehr und mehr in Sinnen. Er leert die eine Kanne Bier nach der andern und ißt eine Wurst nach der andern, ohne darüber nachzudenken. Der kleine Faber ist ganz entsetzt über einen solchen Appetit und einen solchen Durst; aber je mehr der Major ißt und trinkt, um so klarer wird sein Gehirn, um so entschlossener wird sein Herz. Um so fester wird auch sein Vorsatz, etwas für die kleine Jungfer Faber zu tun.

Es war derselbe Major Fuchs, der merkwürdige Mann, der an einem Abend der Lehnsmannsfrau in Munkerud einen ganzen Preßkopf aufaß, von dem sie gedacht hatte, daß er die Weihnachtszeit über vorhalten sollte.

Ihm ward so fröhlich zumute, wenn er daran dachte, was für eine herrliche Schmorwurst dies doch war. Er, er wollte wahrhaftig dafür sorgen, daß Jungfer Fabers Augen nicht mehr zu weinen brauchten.

Er hat währenddessen die Augen auf den großen Schlüssel mit dem krausen Bart gerichtet, der an einem Haken an der Tür hing, und kaum hat der kleine Faber, der dem Major in dem alten Bier Bescheid tun muß, den Kopf auf den Tisch gelegt und angefangen zu schnarchen, als auch Major Fuchs sich schon des Schlüssels bemächtigt hat, nach der Mütze greift und von dannen eilt.

Eine Minute später tastet er sich die Turmtreppe hinauf. Beim Schein seiner kleinen Hornlaterne gelangt er endlich in den Glockenraum hinauf, wo die Glocken ihre mächtigen Rachen über ihm aufsperren. Da oben schabt er erst mit einer Feile ein wenig Glockenerz ab und will gerade die Kugelform und das Feuerzeug aus der Jagdtasche nehmen, als er merkt, daß ihm das Allerwichtigste fehlt: er hat kein Silber bei sich. Soll Kraft bei der Kugel sein, so muß sie ja dort im Turm gegossen werden. Alles ist in Ordnung: es ist Donnerstag-Abend und Neumond, und niemand hat eine Ahnung davon, daß er da ist, und nun kann er nichts machen. In der Stille der Nacht stößt er einen Fluch aus, und zwar mit einer solchen Wucht, daß die Glocken dröhnen.

Gleich darauf hört er ein leises Geräusch unten aus der Kirche und es ist ihm, als höre er Schritte auf der Treppe. Ja, wahrhaftig, schwere Schritte kommen die Treppe hinauf!

Major Fuchs, der da oben steht und flucht, daß die Glocken widerhallen, wird ein wenig bedenklich. Er kann nicht umhin, daran zu denken, wer es wohl ist, der da herauf kommt, um ihm beim Kugelgießen zu helfen. Die Schritte kommen näher und näher. Der Betreffende will offenbar ganz in den Glockenturm hinauf.

Der Major schleicht beiseite, ganz zwischen die Balken und Sparren hinein, und löscht die Hornlaterne aus. Bange ist er ja gerade nicht, aber die ganze Geschichte würde ja verdorben sein, wenn ihn jemand da oben erblickte. Kaum hat er sich verkrochen, als der Ankömmling den Kopf durch das Treppenloch steckt.

Der Major erkennt ihn sofort: es ist der geizige Pfarrer aus Broby. Er, der fast wahnsinnig ist vor Geiz, pflegt seine Schätze an den wunderlichsten Stellen zu verstecken. Er kommt jetzt mit einem Päckchen Papiergeld, das er im Turm verbergen will. Da er nicht weiß, daß ihn jemand sieht, hebt er eine Diele im Fußboden auf, legt das Geld darunter und entfernt sich sofort wieder.

Aber der Major ist nicht faul, er hebt dieselbe Diele auf. Nein, welch eine Menge Geld! Ein Bündel Papiergeld neben dem andern, und dazwischen braune Lederbeutel voll Silbergeld. Der Major nimmt genau so viel Silber, wie zu einer Kugel nötig ist; das übrige läßt er liegen.

Als er wieder unten anlangt, hat er die silberne Kugel in der Büchse. Er geht und denkt darüber nach, ob ihm das Glück in dieser Nacht wohl noch mehr gute Dinge zugedacht hat; in den Donnerstagnächten können ja die wunderlichsten Dinge geschehen. Erst macht er einen Gang nach der Organistenwohnung. Ob der verteufelte Bär wohl weiß, daß Fabers Kühe in einem elenden Schuppen stehen, so gut wie unter freiem Himmel?

Ja, wahrhaftig! Sieht er nicht etwas Großes, Schwarzes über das Feld auf den Bretterschuppen zukommen? Das muß der Bär sein!

Er legt die Büchse an die Wange und will schon losdrücken, besinnt sich aber wieder.

Jungfer Fabers verweinte Augen erscheinen ihm in der Dunkelheit; er denkt daran, daß er ihr und dem Küster helfen will, aber es kostet ihn eine große Überwindung, nicht selbst den großen Gurlita-Bären töten zu sollen. Er sagte selbst hinterher, daß ihn nichts in der Welt so große Überwindung gekostet habe, aber da die kleine Jungfer eine so feine kleine Person war, mußte er es tun.

Er geht nach dem Küsterhaus, weckt den Küster, zieht ihn halb angekleidet und halb nackend heraus und sagt, er solle auf den Bären schießen, der Fabers Bretterschuppen umschleicht.

»Wenn du den Bären erschießest, so gibt er dir sicher seine Schwester,« sagt er, »denn dann wirst du auf einmal ein geachteter Mann. Es ist kein gewöhnlicher Bär, und die besten Männer des Landes würden sich eine Ehre daraus machen, ihn erlegt zu haben.«

Und er drückt ihm seine eigene Büchse in die Hand, mit der Kugel aus Silber und Glockenerz geladen und in einem Kirchturm an einem Donnerstagabend bei Neumond gegossen; aber er zittert vor Neid bei dem Gedanken, daß ein anderer als er selbst den König des Waldes, den alten Bären vom Gurlita-Berge, erlegen soll.

Der Küster zielt – ja, Gott steh uns bei, er zielt, als wolle er den Großen Bären erschießen, der hoch oben am Himmel sitzt und sich im Kreis um den Polarstern dreht, nicht aber einen Bären, der auf den Brobyer Feldern umherspaziert; und der Schuß geht mit einem Knall los, den man bis oben hinauf auf dem Gurlita-Felsen hören kann.

Aber wie er nun auch gezielt haben mag, der Bär fällt. So ist es, wenn man mit silbernen Kugeln schießt. Man trifft den Bären ins Herz, selbst wenn man auf das Himmelsgestirn gezielt hat.

Aus allen Gehöften und Häusern kommen sogleich die Leute herbeigestürzt und fragen, was da los ist, denn nie hat ein Schuß ärger geknallt und mehr schlafende Eichhörnchen geweckt als dieser; und der Küster wird höchlich belobt, denn der Bär ist eine wahre Landplage gewesen.

Auch der kleine Faber kommt heraus, aber nun wird Major Fuchs arg genarrt. Da steht der Küster, gerühmt und geehrt, und obendrein hat er Fabers Kühe gerettet, aber der kleine Organist ist weder gerührt noch dankbar. Er öffnet ihm nicht seine Arme und begrüßt ihn nicht als Held und Schwager.

Der Major runzelt die Stirn und stampft mit den Füßen vor Zorn über eine solche Schändlichkeit. Er will reden und dem kleinen geizigen, engherzigen Kerl erklären, welch eine Heldentat dies ist, aber da fängt er an zu stottern, so daß er kein Wort herausbringen kann. Und er wird immer ergrimmter bei dem Gedanken, daß er ohne allen Zweck auf die Ehre verzichtet hat, den großen Bären zu fällen. Es ist ihm unmöglich, zu begreifen, daß derjenige, der eine solche Tat vollführt hat, nicht würdig sein sollte, die stolzeste Braut zu gewinnen.

Der Küster und einige junge Burschen wollen sich daran machen, dem Bären das Fell abzuziehen; sie gehen an den Schleifstein, um ihre Messer zu wetzen, die andern gehen nach Hause zu Bett, und der Major bleibt allein bei dem toten Bären zurück.

Da geht er noch einmal nach der Kirche hinauf, steckt den Kirchenschlüssel in das Schloß, klettert die schmale Treppe und die steilen Stiegen hinauf, weckt die schlafenden Tauben und gelangt wieder in den Glockenraum.