Mind life balance

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Der Traum – Schatzkammer unseres Unbewussten

Wir alle träumen. Jede Nacht, ausnahmslos. Auch wenn wir uns nicht immer unserer Träume erinnern können. Träume stellen sich hauptsächlich während der sogenannten REM-Schlafphasen ein. Sie nehmen gegen Morgen hin, wenn der Körper sich während der Nacht erholt hat, zu. Deshalb erinnern wir uns am besten an die Träume, die wir kurz vor dem Aufwachen haben. Träume sind unsere Schatzkammern des Unbewussten. Wir sind in der Lage, in unseren Träumen zu lernen, Traumata aufzuarbeiten, Erfahrungen zu machen, uns in Zeit und Raum zu bewegen, mit Problemen fertig zu werden und zu gesunden. Der Traum ist ein Spiegel unseres wahren Selbst, der uns, beziehungsweise einen bestimmten Teilbereich von uns, reflektiert. Diesen meist unbewussten Teilbereich können wir dadurch erkennen und bewusst in unser Leben integrieren.

Im Traum kann sich unsere Ich-Identifikation mehrmals während eines einzigen Traumes auflösen. Wir können uns von außen wie von innen betrachten. Wir können gleichzeitig zu einem unserer Traum-Gegenüber werden und empfinden plötzlich wie er. Wenn wir es schaffen, uns das Geträumte zu merken und uns unserer Emotionen während des Traums bewusst zu werden, können wir viel über uns lernen. Wir können dadurch intuitiv Probleme lösen, schwierige Aufgaben spielerisch meistern und emphatisch verstehen lernen, was unser Gegenüber tatsächlich meint. Auch wenn dieses Gegenüber uns scheinbar verletzt. Es ist nichts als ein innerer Seelenspiegel, die jeweils unbewusste Seite unserer Vollkommenheit.

Im Traum begegnen uns »Feinde« und »Freunde«. Erstere lösen möglicherweise Albträume aus. Solange wir sie nicht »enträtseln«, kehren sie häufig wieder. Aber keine Angst. Sie sind Hilfen, die unendlich wertvoll sind.

Auch wenn das folgende Beispiel für den einen oder anderen ein wenig drastisch anmuten mag, so schildert es doch, wie intensiv unsere Träume versuchen, mit uns zu kommunizieren: Eine Teilnehmerin aus meinen Coachings klagte jahrelang über einen ständig wiederkehrenden Traum. Sie musste sich, während sie inmitten von Schaulustigen stand, immer wieder eine glitschige Masse aus Rachen und Mundraum entfernen. Das war ihr äußerst peinlich und sie schämte sich für das, was da in ihr war.

Im Coaching machte ich mit ihr eine innere Reise zur Bedeutung dieses Traums. Es ist sehr wichtig, selbstständig mental und emotional zu verstehen, was ein Traum sagen möchte. Es nutzt nichts, Handbücher über Traumsymbole zu wälzen, da jeder Mensch eine andere Beziehung zu einem jeweiligen Symbol hat. Für den einen ist zum Beispiel ein Hund ein Herzöffner, für den anderen eine Bestie.

Auf dieser inneren Reise entwickelte sich ihr Albtraum weiter. Es eröffneten sich ihr Räume bis hin zu ihrer Kindheit, in der sie sah, wie sie im Bett eines Familienangehörigen »Höhle« spielen musste. Dieser Familienangehörige machte dabei immer »tierische« Laute. Stück für Stück wurde meiner Klientin bewusst, welch sexuellen Übergriffen sie ausgesetzt war. Sie konnte ab diesem Zeitpunkt plötzlich viele Kindheitsbilder einordnen. Auch im Vorübergehen aufgeschnappte Sätze der Eltern bekamen plötzlich Sinn. Das Entscheidende dabei aber war, dass ihr das niemand von außen erklärt oder vorgeführt hatte. Sie kam von selbst darauf, indem sie ihren Traum, die Stimme ihres Unbewussten, nutzte, um der verdrängten Wahrheit auf den Grund zu kommen.

Da der Traum als solcher jahrelang Spiegelbild ihrer inneren Ahnung war, machte ihr die Entschlüsselung keine Angst. Im Gegenteil. Sie war erleichtert, endlich die Wahrheit erkannt zu haben. Als aus der Ahnung Gewissheit wurde, hatte der Traum seine Aufgabe verloren und kehrte nicht mehr wieder.

Indem wir im Coaching meditativ in den Albtraum einstiegen und darauffolgende Traumbilder im geschützten Rahmen entstehen lassen konnten, war meine Klientin offen für die neuen und wegweisenden Informationen.

Oft ist es im Tagesbewusstsein schwer, diese Informationen in Form von inneren Filmen ablaufen zu lassen. Aber in der stillen Versenkung einer Meditation können Hirnareale, die für Kreativität, Emotionalität und Intuition verantwortlich sind, aktiver wahrgenommen werden. Im Grunde ist es nichts anderes, als ein bewusst induzierter Traum, der bei seinem Eigenleben beobachtet wird.

In meinem Buch werde ich Ihnen viele Übungen an die Hand geben, mit deren Hilfe Sie genau diese Kreativität in sich wecken und beobachten können.

Im weiteren Verlauf des Coachings konnte meine Teilnehmerin mit diesen neuen Bildern beginnen zu arbeiten. Ich habe sie ermutigt, in den übergriffigen Familienangehörigen »einzusteigen«, um zu begreifen, was in ihm während des Aktes der Persönlichkeitsverletzung vorging. Obwohl es ihr sehr schwerfiel, sich ihrem Peiniger noch einmal zu nähern, schaffte sie es, sich klarzumachen, dass sie in diesem Fall das Steuer in der Hand hielt und den Kurs bestimmen konnte. Sie stieg tatsächlich vollständig in die Person ein. Auf diesem Weg konnte sie emphatisch erleben, was ihn zu dieser grauenhaften Tat trieb. Sie konnte körperlich fühlen, wie sehr dieser Mensch unter dem Verlust seiner Frau litt (etwas, das sie im Tagesbewusstsein vergessen hatte). Er war ein Wrack, das auf perfide Weise Liebe suchte. Das Sehen und Erleben beider Seiten hat sie automatisch ihr altes Trauma ausbalancieren lassen. Bloßes Verzeihen oder Vergeben wäre in diesem Fall tatsächlich nicht ausreichend gewesen. Es bedurfte des Traumes, der sie immer wieder mit der Nase darauf stieß, dass da etwas schlummert, was gehoben und geborgen werden wollte. Meine Klientin konnte ab diesem Zeitpunkt ihr Leben mit neuer Selbstakzeptanz, weiblicher Größe und Schönheit leben.

Alle Erfahrungen, Bilder und Eindrücke jeder Couleur sind in unserem Unbewussten gespeichert. Der Traum ist die Pforte dahin. Wenn wir bereit sind, diese riesige Bibliothek unserer inneren Weisheit zu öffnen, dann können wir ganze Bände dieser Bibliothek neu zusammenstellen, schöpferisch umgestalten und nutzbringend in unser Leben integrieren.

Wir brauchen dazu nichts weiter als unseren Willen, unsere Überzeugung und die tägliche Kraft, beides einzusetzen.

Es gibt unzählige Methoden, in die Traumarbeit einzusteigen. Es gibt Dutzende Bücher über Trauminduktion, luzides Träumen, Traumyoga, tibetanische Traummeditation, Traumtechniken schamanischer Geistheiler und Traumarbeit indigener Stämme. Alle hier aufzuführen würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Mir ist wichtiger, Ihnen den Einstieg in die Traumarbeit zu erläutern, damit Sie die ersten eigenen Schritte hinein in Ihr wahres Selbst gehen können, um so die ersten Traumnuggets an die Oberfläche Ihres Bewusstseins zu holen.

Traumarbeit – das Schürfen im Goldbergwerk

Der kleine Michael kommt zum ersten Mal zu mir ins Coaching. Er will seine Noten verbessern und sucht ein Tool, das ihm das Lernen vereinfacht. Als er die Treppen in meinen Garten hinabsteigt, bleibt er plötzlich stehen und sagt: »Den Garten kenne ich. Genau auf diesen Treppen habe ich heute Nacht in meinem Traum gestanden. Ich habe gesehen, dass ich genau hier runtergehe und dann durch eine Tür gehe.« Er schaut zur Eingangstür meines Hauses und deutet darauf. »Ja, genau die war es! Dahinter habe ich dann etwas bekommen, das mir das Lernen leicht gemacht hat.«

Michael hatte tatsächlich eine Nacht zuvor einen Traum erlebt, der ihm ein Geschehnis in der Zukunft zeigte. Oft können wir uns nicht mehr an den Traum erinnern und haben im Laufe des Tages ein Déjà-vu-Erlebnis. Wir wissen genau: Diese Situation kenne ich. Das habe ich schon mal erlebt. Gleich müsste dies oder das passieren. Und prompt passiert es. Die meisten Déjà-vus basieren tatsächlich auf Träumen, die in die Zukunft gerichtet waren. Viele von uns haben zwar Schwierigkeiten, die Vorstellung zu akzeptieren, dass wir fähig sind, in die Zukunft zu »schauen«. Sie akzeptieren aber ohne Weiteres Träume, in denen wir uns mit Verstorbenen unterhalten, ein Stück Weg mit ihnen gemeinsam gehen und ein paar Ratschläge erhalten, die wir nie im Leben von ihnen bekamen.

Im Traum arbeitet hauptsächlich unsere rechte, intuitive Hirnhälfte. Sie verarbeitet alles über den Tag Wahrgenommene – sei es bewusst oder unbewusst.

Da wir im Tagesbewusstsein hauptsächlich die linke Hirnhälfte beanspruchen, um klar denken, analysieren und kommunizieren zu können, gleicht die rechte Hemisphäre nachts aus. Die linke, so klug sie ist, kann nur scheibchenweise Realität verarbeiten. Immer nur Augenblick für Augenblick. Daher entsteht in unserem Bewusstsein das Phänomen von Zeit, unsere Wahrnehmung des »Eins-nach-dem-Anderen«.

Unsere rechte Hemisphäre ist dagegen multitasking-fähig. Sie verarbeitet alles gleichzeitig. Ungeheure Mengen von Daten werden auf einmal gespeichert. Dadurch verliert die Zeit ihre einengende Wirkung. So wie im Traum Zeit keine Rolle spielt, löst sich in der Meditation das Phänomen Zeit ebenso auf. Wir sind fähig, im Geiste Zeit und Raumreisen durchzuführen.

Michael hat sie als Déjà-vu erlebt. Er wusste, dass er sich in die Zukunft geträumt hatte. Ich war mir daraufhin sicher, dass ich ihm werde helfen können. Schließlich hatte er es ja bereits gesehen.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass mir nichts ferner liegt, als jemanden zu überzeugen oder von seinen altvertrauten Glaubenssätzen abzubringen. Ich zeige Ihnen Möglichkeiten, die Sie Ihr Leben leichter, bewusster, glücklicher und erfolgreicher gestalten lassen. Was Sie davon annehmen möchten und was Sie letzten Endes tatsächlich in Ihren Alltag integrieren, unterliegt Ihrer persönlichen Schöpferkraft. Ich hoffe allerdings, dass Ihnen meine Wege in die Traumarbeit weiterhelfen mögen auf Ihrem ganz persönlichen Weg hin zu Ihrem ureigensten Glück, das in jedem Moment schlummert.

 

Was Sie dabei jedoch nie unterschätzen sollten: Gehen müssen Sie diesen Weg selbst. Wenn Sie einmal ein Ziel avisiert haben, lassen Sie nicht locker, bis Sie es erreicht haben.

Unsere linke Hemisphäre speichert erlerntes Wissen wie in einem Schulheft. Die rechte Hemisphäre hingegen beinhaltet unser universelles und schöpferisches Wissen, das sich uns in Träumen eröffnet.

Wege der Traumarbeit
Weg A

Wenn Sie interessiert sind zu erfahren, was Sie träumen, sollten Sie sich als Allererstes des Umstandes bewusst sein, dass Sie träumen. Jede Nacht! Mit diesem Wissen legen Sie sich schlafen. Schauen Sie, dass Sie entspannt liegen und achten Sie auf Ihren Atem. Werden Sie sich bewusst, dass Sie nichts dagegen tun können, dass es in Ihnen atmet. Begeben Sie sich in den Fluss Ihres Atems. Verfolgen Sie ihn, ohne ihn zu beeinflussen. Und dann sagen Sie sich: »Ich weiß, dass ich heute Nacht träume.« Wiederholen Sie diesen Satz und glauben Sie an ihn. Schlafen Sie gut.

Der erste Gedanke, mit dem Sie aufwachen, sollte lauten: »Ich weiß, dass ich geträumt habe!« Bleiben Sie nun in genau der Position liegen, in der Sie erwacht sind und gehen Sie in das Wissen, dass Sie geträumt haben. Mit ein wenig Übung sollten Sie bereits nach ein, zwei Nächten die ersten Träume klar vor sich haben.

Schreiben Sie sie auf jeden Fall auf!

Weg B

Wenn Sie bereits über einige Traumerinnerungen verfügen, legen Sie sich abends entspannt ins Bett und verfahren Sie wie in Weg A beschrieben. Diesmal sagen Sie sich: »Ich werde mich auf jeden Fall an einen für mich wichtigen Traum erinnern.«

Möglicherweise geschieht es, dass Sie morgens oder nachts aufwachen und nur einen kleinen Fetzen eines Traums in Händen halten. Bleiben Sie unbedingt liegen. Ändern Sie ihre Schlafposition nicht und spüren Sie in diesen Traumfetzen hinein. Worum ging es? Was haben Sie erlebt? Woher kennen Sie das Erlebte? Wer kam in diesem Traum vor? Welches Gefühl überwog? Stück für Stück kommt so der Traum wieder in Ihr Bewusstsein. Glückwunsch. Sie haben ein Nugget ausgegraben.

Schreiben Sie den Traum unbedingt in ein Traumtagebuch!

Versehen Sie den Traum mit einem Datum und einem Titel, der auf den Hauptinhalt verweist, und schreiben Sie eine kleine Anmerkung darüber, was Ihnen Ihrer Meinung nach der Traum vermitteln wollte. Achten Sie darauf, dass Sie dabei nicht ins Grübeln kommen. Lassen Sie Ihren Kopf noch schlafen. Beachten Sie Gefühle und Impulse im Zusammenhang mit dem Traum. Gut ist immer, das Gesehene in einen für Sie stimmigen Zusammenhang zu bringen. Fragen Sie sich also immer nach dem Gefühl, das Sie beim Träumen hatten, oder was die Erinnerung an den Traum bei Ihnen ausgelöst hat. Das Erfahrene stellt eine Feedbackschleife dar, die in direktem Zusammenhang zu Ihrer jeweiligen Lebensaufgabe steht. Egal ob es ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl ist. Wichtig ist, dass Sie lernen, dieses Gefühl zuzulassen und sich dann zu fragen, in welchen Lebensbereichen Ihres Alltags Sie sich so fühlen. Das führt Sie auf die richtige Fährte.

Falls Sie jedoch trotz größter Anstrengung nicht auf den Traum kommen, lassen Sie ihn ruhen. Gehen Sie Ihren Tagesgeschäften nach. Achten Sie aber ganz besonders auf Ihre Umgebung, Ihre Mitmenschen, Kollegen, Familienangehörige und Freunde. Irgendwann im Laufe des Tages passiert dann etwas, das Sie an den Traum erinnern lässt. Es kann der Geruch einer Blume, eines Parfums oder gar der des Mülleimers sein.

Seien Sie offen und neugierig.

Weg C

Wenn Sie bereits ein Traumtagebuch führen, legen Sie sich abends hin und befolgen Sie alle Elemente aus Weg A. Sagen Sie sich aber diesmal: »Ich werde wach, wenn ich etwas träume, das für die Entwicklung meiner Persönlichkeit von großer Wichtigkeit ist.«

Unterstützend können Sie sich auch ein Glas Wasser ans Bett stellen, das Sie vor dem Einschlafen halb leeren. Wenn Sie dann nachts wach werden und auf das Glas schauen, fällt Ihnen als Erstes Ihre Absicht ein, sich an Ihren Traum erinnern zu wollen.

Schreiben Sie auf, was Sie geträumt haben.

Ich habe im Laufe meiner Traumarbeit auch mit selbst gesprochenen Affirmationen gearbeitet, die ich auf meinem Handy aufgenommen hatte. Als ich begann, luzid zu träumen, habe ich zum Beispiel folgenden Satz nach sechs Stunden Schlaf jede halbe Stunde laufen lassen: »Dies ist nur ein Traum.« Ganz leise. Sodass ich davon nicht geweckt werden würde. Selbstverständlich war ich zu Anfang jede halbe Stunde hellwach. Mit dem Erfolg, dass ich einen dicken Traum an der Angel hatte, den ich aufschrieb. Heute bin ich unendlich dankbar über dieses tiefe Wissen, das ich aus mir selbst schöpfen durfte. Die damaligen Schlafunterbrechungen haben mir, so viel kann ich sagen, nicht geschadet. Sie sollten es aber bitte nicht übertreiben. Erholsamer Schlaf ist wichtig und Sie sollten ihn genießen.

Der Vorteil dieses Erwachens ist allerdings, dass Sie den Traum noch so greifbar vor sich haben, dass Ihnen meist ohne viel Auswertung klar sein dürfte, was er Ihnen mitteilen will.

Die Wege in die Auswertung von Träumen und inneren Bildern, die meist als Metaphern erscheinen, beschreibe ich in den folgenden Kapiteln.

Träumen Sie etwas Interessantes.

Der Traum stellt die Schatzkammer unseres Unbewussten dar. Je bewusster wir uns unserer nächtlichen Botschaften werden, desto mehr bringen wir Seele und Geist in den Zustand heilender Selbstreflexion.

Die Kraft innerer Bilder
Rettung vor der Stasi

Bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr lebte ich im Osten Deutschlands. Mit 20 Jahren stellte ich einen sogenannten Ausreiseantrag, um die DDR zu verlassen. Sie war damals ein geschlossenes System, das seine Einwohner gefangen hielt, um nicht im Massenexodus unterzugehen. Seit meinem 16. Lebensjahr wollte ich dieses Land um jeden Preis verlassen. Mein Vater war als Professor ein sogenannter Reisekader und durfte zu internationalen Kongressen ins westliche Ausland fahren. Meine Mutter, meine Schwester und ich blieben dafür als »Fleischpfand« im Land, damit mein Vater einen Grund hatte, zurückzukehren. Da ich mir auf der Flucht nicht in den Rücken schießen lassen wollte, stellte ich einen Ausreiseantrag. Er konnte genehmigt werden oder auch nicht. Ich war damit der Willkür des Staates ausgesetzt.

Um den Vorgang der Ausreisegenehmigung zu beschleunigen, veranstalteten meine Freunde und ich regelmäßig »staatsfeindliche« Aktionen. Entweder wir spielten mit unserer Theatergruppe Stücke unliebsamer DDR-Autoren oder wir setzten uns auf die Straße und provozierten. Damit wollten wir erreichen, dass wir als »unliebsame Personen« schneller in den Westen abgeschoben werden.

Eine dieser Aktionen, ich war inzwischen 23 Jahre alt, sollte an einem Mittwochmittag um 13:00 Uhr stattfinden. Man muss wissen, dass jeden Mittwochmittag um 13:00 Uhr in der gesamten DDR die Sirenen ertönten. Eine Maßnahme, die nicht nur zur Überprüfung der Funktionalität der Sirenen stattfand, sondern jedes Mal die Macht des Staates über seine Bürger demonstrierte. Ältere Einwohner des Landes erinnerte das an Kriegsszenarien wie Fliegeralarm und die darauf folgenden Bombenabwürfe. Nicht wenige von ihnen litten nach wie vor an starken Kriegstraumata.

Wir planten also, an einem Mittwochmittag um ein Uhr im Zentrum der Stadt ein kleines Happening zu veranstalten. Wir hatten vor, pünktlich um 13:00 Uhr, wenn die Sirenen ertönten, uns alle flach auf den Boden zu werfen und »Fliegeralarm« zu spielen. Wir wollten so daran erinnern, was die Sirenen eigentlich auslösten. Nun ja, wir waren jung.

Besagter Mittwoch brach an und ich legte mir eine Zahnbürste und einen Schlafanzug zurecht. Man konnte ja nie wissen, ob man abends wieder nach Hause kam oder verhaftet war.

Genau dazu sollte es an diesem Mittwoch schneller als erwartet kommen. Um neun Uhr klopfte es laut an meiner Wohnungstür. Ich hörte vor der Tür eine Stimme in bestem Sächsisch bellen: »Herr Godaa, machen Se uff, mir wissen, dass Se da sinn.« Ich hatte außen auf meiner Wohnungstür einen TUI-Aufkleber, auf dem in großen Lettern stand: »Nix wie weg hier.« Als ich die Tür öffnete, kratzte einer der drei Herren in Zivil bereits am Aufkleber: »Un das hür gommd ab.«

»Sind Sie der Hauswart?«, entfuhr es mir ein wenig zu rasch. Der Herr verstand selbstverständlich keinen Spaß. »De Witze wern Ihn noch vorgeen. Gommse mit zur Glärung eines Sachvohalts.«

Da wurde ich also in einem Stasi-Wagen durch die halbe Stadt kutschiert, um in der Keibelstraße, der damaligen Zentrale der Staatssicherheit, abgeliefert zu werden. Ich muss nicht betonen, dass mir die Witze vergingen. Es gab in der DDR keinerlei Rechte für Dissidenten. Wenn Vater Staat in Form der Stasi gewollt hätte, dass ich für die nächsten Jahre in den Knast wandere, wäre das im Handumdrehen geschehen gewesen. Die Situation war also alles andere als komisch.

Als hinter mir die Zellentür zugeschlagen wurde, war ich Gefangener des Willkürsystems. Kein Mensch wusste, wo ich war. Es hätte also alles geschehen können. Ich saß in einer drei mal zwei Meter großen Zelle mit einem Rudiment von Tisch und einem unerreichbar hohen Fenster. Es glich mehr einer Schießscharte. Ich kann nicht mehr sagen, wie lange ich dort saß. Ich hörte nur immer wieder Stiefelabsätze auf dem Flur entlangpatrouillieren. Beschlagene Absätze. Wie bei der SS. Dazwischen immer wieder Sätze wie: »Isser scho so weit?« »Nee, der braucht noch.« Was immer die Jungs da auf dem Gang meinten, es bedeutete nichts Gutes.

Ab einem bestimmten Punkt der Anspannung begann ich allerdings wegzudriften. Die Reisen auf den Rauchkringeln meines Opas gehörten zwar der Vergangenheit an, aber ich hatte mir in der Schule etwas Neues, sehr Innovatives zugelegt. Den »Taucher«, wie ich ihn nannte. Eine Form von Sekundenschlaf, in der ich beides konnte: Schlafen und gleichzeitig wach sein, um an Informationen zu kommen, die ich im Tagesbewusstsein nicht erlangte. Ich war durch die Anspannung in der Zelle so müde und gleichzeitig so überdreht, dass ich von einem Moment zum nächsten immer wieder in einen spontanen Schlaf fiel.

Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass es keinen Plural für das Wort Schlaf gibt? Gibt es etwa nur einen Schlaf? Ist unser Leben möglicherweise ein einziger Schlaf? Träumen wir, wenn wir wachen? Werden wir uns des Traumes bewusst, wenn wir beginnen, den Moment zu erleben? Ich könnte stundenlang über solche Themen philosophieren.

Jetzt aber saß ich im Knast der Deutschen Demokratischen Republik. Im ersten Sekundenschlaf, der mich aus dem Diesseits trug, saß ich plötzlich auf einer Schaukel im Garten meiner Kindheit. Ich übte Weitsprünge. Dabei schaukelte ich bis zum höchsten vorderen Punkt und sprang in hohem Bogen ab. Ich war aber nicht mehr Kind, sondern 23 Jahre alt. Vor mir tollte mein Hund. Mein treuer Rastan, der, als ich 18 Jahre alt war, eingeschläfert werden musste, da er an unheilbarer Hüftdysplasie litt. Er konnte zuletzt nicht mehr selbstständig aufstehen. Ich sah also meinen verstorbenen Rastan, während ich schaukelte. In dem Moment tauchte ich aus dem Flash des Sekundentraums auf und fühlte mich plötzlich sehr geborgen, sehr beschützt. Mein lieber Rastan gab mir weit über seinen Tod hinaus das Gefühl tiefen Selbstvertrauens. Ich spürte augenblicklich, dass sich mein wahres Leben auf einer anderen Ebene abspielte. Auf einer weit freieren als in dieser Zelle hier. Es ist schwer zu verstehen, wie sehr mir dieser kurze Traum Halt gab. Am ehesten ist dieses Gefühl vielleicht mit einer sehr fernen Umarmung aus Kindertagen zu vergleichen, wenn man auf dem Schoß der Mutter saß und nach großem Schmerz in den Schlaf gewiegt wurde. Es ist ein Gefühl tiefer Bodenhaftung. Es ist unerschütterliches Vertrauen in etwas, das größer ist als wir. So etwas wie eine helfende Hand, die uns auf unserem Weg führt.

Auf dem Flur redeten die Offiziere gerade laut über mich: »Er wird gleich vorgeführt. Nu, da würd ihm das Lachen scho noch vergehn.« Selbst das infantile Gerede und die hohlen Drohungen der Stasi konnten mir nichts mehr anhaben. Weder Angst noch Unruhe machten sich in mir breit, nur tiefer innerer Frieden. Ich sank abermals ins Land der Träume.

Mit einem großen Satz sprang ich über meinen freudig bellenden Rastan von meiner Schaukel ab. Ich kam aber nicht auf dem Boden auf, sondern flog. Flog über Gärten, Äcker, Wiesen und Städte. Flog hin zu einer sehr hohen Mauer, die ich mit Leichtigkeit nahm.

 

»Herr Godaaa, gommse. Ab zum Verhöör.« Der Offizier, der plötzlich vor mir in der Zelle stand, schaute etwas pikiert, als ich ihm mit einem breiten Grinsen folgte. Den gesamten Weg durch die engen Korridore der Stasizentrale hielt ich an meinem Kurztraum fest. Ich war mir instinktiv sicher, dass ich meinen »Flug« über die Mauer in den Westen gesehen hatte. Ich wusste, dass das die Ausreise aus diesem Staat bedeutete, der mich seit meiner Kindheit gefangen hielt. Ich war mir so sicher, dass sie mir nichts tun würden, mir nichts anhaben könnten, dass ich beinahe vor Glück in die Luft sprang.

Der Oberst, der mich verhörte, arbeitete mit allen Mitteln. Zuerst mit der Drohung, dass, »wenn ich vorhätte, im sozialistischen Arbeiter– und Bauernstaat unangemeldet Theater zu spielen, ich in diesem Land auch beerdigt werden würde.« Damit spielte er eindeutig auf die vielen unaufgeklärten Morde durch die Stasi an. Ich schaute auf die Uhr. Es war genau ein Uhr Mittag. Ich hörte keine Sirene. »Ganz schön schalldicht, der Kasten hier«, dachte ich. Als der Oberst mir drohte, dass meine ganze Familie nicht glücklich werden würde, wenn ich »irgendwelche Aktionen auf der Straße« vorhätte, schaute er nervös auf seine Uhr. Immer noch war keine Sirene zu hören. »Ihre Eltern wären sicher nicht glücklich, wenn sie ihre Berufe verlieren würden. Oder?« Ich ließ das Ganze in tiefer Seelenruhe über mich ergehen. Woher nahm ich nur diese Kraft?

Man muss wissen: Andere, Gleichgesinnte, waren an diesem Punkt, in genau dieser Situation, bereits verurteilt und für Jahre weggeschlossen worden.

Ich wusste durch meinen Tauchgang und meinen Flug über die Mauer, dass ich etwas gesehen hatte, das eintreten würde. Plötzlich sah ich meinen Rastan in der Ecke neben dem Vernehmer stehen. Er wedelte freudig mit dem Schwanz. Er schaute mich direkt an und schien tatsächlich zu lächeln. Das machte mir unglaublich viel Mut. Ich sah ihn ebenfalls an und musste lachen. Das verunsicherte den Vernehmer. Er war es gewohnt, seine »Gäste« einzuschüchtern und zu Unterschriften zu bewegen, die ihr Schicksal besiegelten. Viele inoffizielle Mitarbeiter der Stasi sind auf diese Weise rekrutiert worden. Ich schmiss in Gedanken Stöckchen, die mein Rastan freudig apportierte. Dabei sabberte er glücklich meinem Vernehmer auf die Uniformhose. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Der Oberst fragte, ob ich mir der Tragweite meiner Taten bewusst sei. »Unangemeldetes Theaterspielen.« »Provokative Aktionen auf öffentlichen Plätzen.« »Kontaktaufnahme zum Klassenfeind.« Das waren die Vorwürfe, die in der DDR jahrelangen »Wegschluss« rechtfertigten. Er drohte mir mit Untersuchungshaft, da man wisse, dass ich am Abend zuvor dem »Imperialistischen Klassenfeind« ein Interview gegeben hätte.

Ich hatte tatsächlich dem Reporter eines Westberliner Senders ein Interview gegeben, nachdem wir auf unserem Dachboden ein Stück mit dem Titel »Technik des Glücks« aufgeführt hatten. Es ging selbstverständlich um das Thema Ausreise.

»Für stootsfeindlische Hetze gibt’s bis zu fünf Jahren Bau! Das wissen Se hoffentlisch.« Ich hatte nichts zu verlieren. Egal was ich gesagt hätte, sie hätten mir in jedem Fall einen Strick daraus gedreht.

In diesem Moment sah ich meinen Rastan eines meiner Bücher zerfleddern. Eigentlich hatte er das nur als Welpe mit meinen Turnschuhen getan. Jetzt war es aber eindeutig ein Buch. Mein Gehirn lief auf Hochtouren. Ich war so gebannt von der Szenerie, dass ich tatsächlich keine Zeit für Angst hatte. Ich wollte wissen, was das für ein Buch war. Und in dem Moment stand in einem klaren Flash deutlich ein Buchtitel vor meinem geistigen Auge: »Wo der Hund begraben liegt.«

Das war der Titel eines meiner Lieblingsbücher von Pavel Kohut. Ein tschechischer Autor und Dissident, der sehr oft vom tschechischen Geheimdienst verhaftet worden war. In diesem Buch beschreibt Kohut, wie er regelmäßig Zahnbürste und ein gutes Buch in seine Umhängetasche legt, damit er das Notwendigste im Falle einer Verhaftung bei sich trägt. Er hatte während des Verhörs immer folgenden Satz parat: »Mein Name ist Pavel Kohut, ich bin geboren am …, wohne in … und gebe zu Protokoll, dass ich ab jetzt nichts mehr sage.«

Die Duplizität der Ereignisse wurde mir erst viel später bewusst. Auch ich hatte meine Zahnbürste zurechtgelegt. Auch ich hatte einen Lieblingshund, der mich obendrein auf den Buchtitel brachte, der Bände spricht. Nicht zuletzt mein Flug über die Mauer. Bei dem Gedanken daran bekomme ich heute noch eine Gänsehaut. Zum damaligen Zeitpunkt aber rettete es mir wahrscheinlich das Leben. Ich war so überwältigt von der Inspiration, beziehungsweise dem Hinweis meines Hundes auf das Buch und den Satz von Pavel Kohut, dass ich instinktiv das Richtige tat. Ich sagte: »Mein Name ist Sebastian Goder, ich wohne in …, bin geboren am … und gebe zu Protokoll, dass ich ab jetzt nichts mehr sage und unterschreibe.«

Sosehr der Vernehmer sich auch mühte zu erfahren, wer meine Freunde seien, was wir weiterhin vorhätten, was der Inhalt unserer Aktionen sei. Warum es mir in der DDR nicht mehr gefalle, bis hin zu: »So jemand wie Sie wäre als Mitarbeiter in unseren Reihen stets willkommen«, er hörte von mir an diesem Tag nichts weiter als: »Mein Name ist Sebastian Goder, ich wohne in …, bin geboren am … und gebe zu Protokoll, dass ich ab jetzt nichts mehr sage und unterschreibe.«

Während ich das sagte, verlor mein Rastan immer mehr an Kontur und löste sich schwanzwedelnd Stück für Stück auf. Tatsächlich hatte er seine treue Schuldigkeit getan. Mein liebster Rastan, ich danke dir von Herzen und werde dich nie vergessen.

Nach acht Stunden in der Stasizentrale war ich wieder auf freiem Fuß. Hatte ich nur Glück gehabt? Oder waren es der Traum und die Gegenwart meines Hundes, die mir das Leben gerettet, beziehungsweise die Freiheit geschenkt hatten? Oder wäre ich auch ohne die Vision davongekommen? Was wäre gewesen, wenn ich voller Angst geredet und alle Fragen des Verhörers beantwortet hätte? Ich bin fest davon überzeugt, dass mir meine Traumreise enorm geholfen hat.

Unser Traum-Ich hält eine Bandbreite von unzähligen Möglichkeiten für uns bereit. Diejenige, die uns im Tagesbewusstsein am stärksten motiviert, stellt einen Persönlichkeitsfaktor dar, der gelebt werden sollte.

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