Sarah (eBook)

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Sarah war 22, als ihr klar wurde, dass sie schwanger war. Sie ging mit diesem Gewichthebertypen aus, dann trennten sie sich und kamen wieder zusammen und sie wurde schwanger.

Und da trennten sie sich wieder.

Sarah entschied sich, das Problem zu lösen. So nannten sie es, wenn sie darüber sprachen. Das Problem lösen. Eines Abends traf sich Sarah mit ihrer besten Freundin, Hot Girl. Die wusste nichts von der Schwangerschaft. Also sprachen sie über eine ihrer Bekannten, die sich die Brust hatte verkleinern müssen, nachdem sie jahrelang an Rückenschmerzen gelitten hatte. Hot Girl berichtete Sarah den neuesten Klatsch: »Aber jetzt, wo sie die Verkleinerung gemacht hat, findet sie, die haben zu viel weggenommen, also lässt sie sie jetzt wieder vergrößern. Sie will wieder ihre Riesentitten.«

Sie lachten und aßen und sprachen über dies und das und Sarah sagte noch immer nichts über ihre Situation und Hot Girl verbarg auch ihr eigenes Herz vor Sarah. Als sie das Lokal verließen, blickte Hot Girl Sarah an, und Sarah blickte zurück. Es war, als wollte Hot Girl irgendetwas in Sarahs Innerem lokalisieren, aber Sarah sagte nichts. Am nächsten Tag wurde Sarah von dem Typen, der sie geschwängert hatte, nach Charleston gefahren. Sarah war still. Der Typ war ebenfalls still. Sie hörten schweigend den Liedern im Radio zu.

Sarah dachte daran, wie sie einmal mit fünfzehn einer Kirchengruppe dabei geholfen hatte, einen Protest vor einer Abtreibungsklinik zu organisieren. Sie war mit Hot Girl dort gewesen und Sarah hielt Schilder mit Abbildungen toter Babys in die Höhe, obwohl sie das gar nicht wollte.

Als Hot Girl sie einlud, dachte Sarah, es wäre für einen Campingausflug oder so, aber dann stand sie da und hielt Schilder mit toten Babys in die Höhe. Natürlich wollte Sarah Hot Girl nicht enttäuschen. In ihrer Erinnerung brüllte Sarah lauter und schwang ihr Schild wilder hin und her. Sie war gerade mal fünfzehn. Sie war eine verlässliche Freundin.

Daran musste Sarah denken, als sie auf dem Klinikparkplatz standen. Sie lachte. Sie stieg aus dem Wagen und betrat das Klinikgebäude. Sie stand im Wartebereich herum, bis eine Frau ans Anmeldefenster kam. Sarah meldete sich an, füllte die Formulare aus und überreichte der Frau einen Scheck.

Die Frau lächelte und sagte: »Okay, Sarah, dann folgen Sie mir bitte.«

Die Frau wirkte keck und munter und sagte lauter kecke und muntere Dinge. »Heute ist ja ganz schön prächtiges Wetter draußen, oder? Oh, ich hoffe, das hält ein wenig an.«

Die Frau ließ Sarah noch einige weitere Formulare unterschreiben und sagte dann: »Ihre Handtasche ist aber wirklich hübsch.«

Dann bekam Sarah ein Krankenhaushemd. Die Schwester untersuchte Sarah und machte ein Ultraschallbild. Der Glibber auf ihrem Bauch war eiskalt und Sarah fröstelte.

Natürlich hatte Sarah Angst, ihr Vater könnte auf dem Bankauszug sehen, dass Geld fehlte. Er würde sich wundern, wohin es gegangen war.

Die Schwester erklärte ihr zum wiederholten Mal die Prozedur. Also:

1) Leichte Narkose.

2) Ein Instrument würde eingeführt werden und die Prozedur beginnen.

Sarah lachte über das Wort »Instrument«. Es ließ sie an ihren Bruder denken, der in einer Band spielte. Sie dachte daran, wie ihre Mutter immer die Pickel auf dem Rücken ihres Bruders Jack ausgedrückt hatte. Sie selbst genoss es sehr, Pickel platzen zu lassen. Pop. Sie blickte weit in die Zukunft. Sie würde unter allen Schwestern des AHH Hospital als die beste Pickelausdrückerin bekannt sein.

»Was gefällt dir daran so?«, würde eine der Schwestern sie fragen.

Und Sarah würde antworten: »Es ist einfach angenehm für mich. Es ist enorm befriedigend. Jeder hat irgendeine Sache. Ich lass Pickel aufplatzen.«

Aber das alles lag noch viele Jahre in der Zukunft. Jetzt war Sarah in der Abtreibungsklinik und sie hörte der Schwester zu, wie die immer noch die Prozedur erklärte.

3) Nach der Behandlung würden Blutungen und Übelkeit auftreten, und falls die Blutung zu Hause stärker werden würde oder eine dunkelrote Farbe bekam, müsste sie sofort in die Notaufnahme fahren.

Sarah legte sich auf den Tisch und der Arzt kam herein. Er pfiff eine Melodie.

Welches Lied war es?

Sarah wusste es nicht.

Der Arzt fragte, ob sie bequem liege.

Dann sagte die Schwester: »Ich hab ihr gerade gesagt, was das für eine hübsche Handtasche ist.«

Der Arzt blickte sich um und entdeckte Sarahs Kleider, zusammengefaltet auf einem Tisch, darauf die Handtasche.

Er sagte: »Oh ja. Eine wirklich schöne Handtasche.«

Sarah dachte: Fuck yeah, Handtaschen!

Nachdem die Prozedur überstanden war, wurde Sarah mit einem Rollstuhl in einen Raum gebracht, wo sie sich hinlegen und ein wenig ausruhen sollte. In dem Raum gab es eine Menge Matratzen und ­Spitalsbetten und überall lagen Frauen drin. Die Betten waren durch Vorhänge getrennt. Da waren Frauen, die Orangensaft tranken, Frauen, die sich um andere Frauen kümmerten. Frauen, die darauf warteten, dass jemand kam und sie abholte. Und Sarah sah die Frauen und fand, dass es wie ein leichenübersätes Schlachtfeld aus dem Bürgerkrieg aussah. Sarah begriff, dass Kriege gegen uns alle geführt wurden. Sie setzte sich auf eines der vorhangumspannten Betten und legte sich auf die Seite. Sie versuchte zu schlafen, aber da war eine Frau im Bett gegenüber, die ebenfalls auf ihrer Seite lag. Die Frau hatte ihr den Rücken zugekehrt und weinte.

Sarah wünschte sich, die Frau möge die Klappe halten. Sie dachte: Es ist doch nur eine Abtreibung. Meine Güte. Fahr zur Erholung ans Meer. Aber die Frau hörte nicht auf zu weinen. Dann irgendwann rollte sich die Frau auf den Rücken und Sarah konnte sie durch den Vorhang sehen. Die Frau sah wie Hot Girl aus, aber Sarah war sich nicht sicher.

Das nächste Mal, als sie sich mit Hot Girl traf, sagte sie nichts darüber. Hot Girl schwieg ebenfalls. Sarah sagte nichts über die Sommertage, als sie noch klein gewesen und in die Wälder spielen gegangen waren, und Sarah sagte auch nichts darüber, dass sie immer hatte sehen können, wie Hot Girl über ihren Zaun kletterte, wenn sie zu Sarahs Haus herüberkam. Beim Spazierengehen im Wald wollte Sarah immer bestimmen, wo es hinging. Sie sagten nichts über die paar Male, als sie mit dem Ouija-Board gespielt hatten, nichts über ihre Boyfriends, die sie irgendwann einmal heiraten würden, nichts über Hot Girls rebellische Phase mit vierzehn, als sie sich den Kopf rasiert hatte, nichts über Horoskope oder Schuleschwänzen oder wie sie betrunken miteinander herumgemacht hatten, und auch nichts über das absichtliche Unversperrtlassen der eigenen Haustür. Sie hatten die Türen deshalb unversperrt gelassen, damit sie die Schule schwänzen und sich bei der anderen hineinschlei­chen konnten, während die Eltern bei der Arbeit waren. Dann schliefen sie ein paar Stunden nebeneinander.

Aber Sarah sagte nichts über all das, als sie Hot Girl traf. Sie waren beide voller Geheimnisse. Sie waren wie wir. Sie waren Erwachsene.

Der Typ, der sie geschwängert hatte, lächelte, als er sie von der Klinik abholen kam. Er hatte einen Kumpel mitgebracht und sie tranken gemeinsam aus einem riesigen Plastikbecher. Sie waren besoffen und wollten etwas essen gehen.

Sie wollten zu Burger King. Also verließen sie die Klinik und fuhren zu Burger King, und Sarah bestellte Chicken Filets und versuchte, ihre Übelkeit zu ignorieren. Sie tunkte die Chicken Filets in die Chicken-Filet-Sauce und sah, wie die Sauce sich an der Panier des Filets festsaugte, und sie fühlte sich wie ein Geist, der sie selbst beobachtete, und dann steckte sie sich das Stück in den Mund, schluckte und fühlte sich gut. Der Typ fuhr sie nach Beckley zurück und keiner sagte ein Wort. Er ließ sie aussteigen und keiner sagte Tschüß oder Ich liebe dich oder Es tut mir so leid oder Was zum Teufel ist grade passiert oder Warum ist das Leben so verdammt seltsam?

Sarah dachte an all die Dinge im Leben, die keinen Sinn ergaben.

Sie wandte sich an den Typen, der schon im Begriff war wegzufahren, und sagte: »Danke für Burger King.«

Der Typ sagte: »Hey, kein Problem. Burger King ist toll.«

Und dann fuhr er weg.

Und Sarah betrat das Haus, in dem sie aufgewachsen war.

Und ja.

Burger King ist toll.

Und manchmal überkam sie eine Erinnerung daran. Sie wusste, dass es albern war, aber manchmal hielt sie etwas Unsichtbares in Händen und stellte sich vor, dass jedem von uns Hunderte verschiedene Leben zugeteilt werden.

In einem Leben sind wir verheiratet.

In einem Leben sind wir tot.

In einem sind wir reich.

In einem sind wir arm. In einem sind wir Eltern. Aber jedes Mal gehören wir zu irgendwem.

Ich wollte mich tatsächlich gern umbringen, aber ich war zu ungeschickt. Ich hatte eine große Menge Paracetamol und ein bisschen Pepto-Bismol, aber ich wusste, damit kannst du dich nicht umbringen. Am Tag, nachdem mir Sarah erklärt hatte, dass sie sich scheiden lassen wollte, fuhr ich zu unserem Haus, um einige Dinge zu holen. Ich sagte ihr, dass ich mich umbringen würde, aber sie reagierte nicht. Ich nahm mir ein Zimmer in einem anderen Motel und studierte das ganze Zeug, das ich aus unserem Medizinschrank mitgenommen hatte. Ich öffnete die erste Flasche Paracetamol, nahm eine Handvoll Tabletten raus und spülte sie runter. Ich fragte mich, warum Sarah nichts gesagt hatte, als ich ihr erklärt hatte, mein Leben beenden zu wollen. Vielleicht hatte sie mich nicht gehört. Ich beschloss, sie anzurufen, aber es kam gleich die Mobilbox. Ich nahm noch eine Handvoll Tabletten aus der Flasche und schluckte sie runter.

 

Ich sagte: »Ich wollte dir nur sagen, dass ich so nicht weiterleben kann. Ich hasse es, wenn du mich Mangina nennst. Ich bin ein empfindlicher Mensch, und das war dir von Anfang an klar, als du mich geheiratet hast. Du bist eine großartige Mutter und eine großartige Ehefrau, aber ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist. Ich will nur, dass du weißt, dass ich dich lieb habe. Bitte sag den Kindern, dass ich sie lieb habe. Auf Wiedersehen.«

Dann schüttete ich mir weitere Tabletten auf die Hand. Ich nahm wahr, wie die Tabletten herumzitterten, als ich sie aus der Flasche schüttelte. Jetzt rollten sie über meine Handfläche, als wären sie lebendig. Ich versuchte, sie zu schlucken, aber mein Mund war zu voll mit Tabletten und Bier, und ich verschluckte mich und spuckte die schleimige Masse zurück in meine Hand. Ich begriff, dass es schwer war, sich umzubringen. Das musste der Grund sein, weshalb die Leute es nicht öfter taten. Die Menschen brachten sich nicht um, weil sie zu faul waren.

Ich stopfte die Tablettenmasse zurück in meinen Mund und schluckte sie runter.

Ich dachte: Was, wenn irgendwas nicht funktioniert und Sarah meine Mobilboxnachricht gar nicht bekommen hat. Vielleicht sollte ich ihr noch eine hinterlassen.

Ich rief ihre Nummer an und wieder kam sofort die Mobilbox und ich hinterließ eine weitere Nachricht. Ich sagte: »Ich wollte dir nur sagen, dass ich es nicht mehr aushalte. Du bist eine großartige Mutter und eine wunderbare Ehefrau. Und ich finde, du solltest das mit den Schimpfnamen sein lassen. Es ist einfach gemein. Bitte sag den Kindern, dass ich sie lieb habe. Auf Wiedersehen.«

Dann dachte ich: Scheiße, verdammt. Das wird so verrückt wirken, wenn da zwei identische Nachrichten drauf sind.

Also rief ich sie zurück und sagte: »Ich weiß, das klingt sicher verrückt, aber ich wollte einfach sichergehen, dass dich diese Nachricht erreicht. Also für den Fall, dass die erste nicht gespeichert wurde. Okay. Wiedersehen.«

Ich schluckte die restlichen Tabletten aus der Flasche. Ich öffnete eine zweite. Ich riss den Sicherheitsverschluss mit meinen Zähnen auf und zog den Wattebausch heraus. »Scheiß Watte«, sagte ich und schüttete Tabletten auf meine Hand. Ich schluckte eine Ladung, ich schluckte eine zweite und dann noch eine dritte. Da begriff ich etwas. Sich mit Paracetamol umzubringen war absolut erbärmlich.

Eigentlich hatte ich immer vorgehabt, mich an der Stange oberhalb der Garagentür im Haus meiner Eltern aufzuhängen, aber ich wusste, dass Erhängen wehtat. Ich erinnerte mich an einen Freund aus der High School, der sich in den Kopf schoss, nachdem seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hatte. Aber er traf irgendwie nicht richtig. Es riss ihm bloß den unteren Teil seines Gesichts weg und seine Familie fand ihn und brachte ihn ins Krankenhaus. Er lag drei Wochen im Koma und überlebte. Das einzig Positive an der Geschichte ist, dass er seiner Freundin leidzutun begann und sie so zu ihm zurückkam. Sie sind heute immer noch ein Paar, mit Kindern und allem. Ich dachte darüber nach. Vielleicht sollte ich auch versuchen, mir den unteren Teil meines Gesichts wegzuschießen. Vielleicht würde das Sarah überzeugen. Ich dachte an die Brücke am New River Gorge, von ihr könnte man in die Tiefe springen. Ich saß auf dem Boden des Econo Lodge Motel und schüttete die restlichen Tabletten aus der zweiten Flasche in meinen Mund. Die Tabletten schmeckten so bitter und schäumten in meiner Kehle und ich musste rülpsen und alles war nur noch Tablettengeschmack. Ich griff in meine Büchertasche, in die ich den Inhalt unseres Medizinschranks gekippt hatte, und da war die dritte Flasche. Ich starrte sie an. Es war nicht mal Paracetamol. Es war etwas anderes. Diese dritte Flasche, die ich mir für meinen Selbstmord mitgenommen hatte, enthielt Paracetamol für Kinder. Ich wusste, dass ich mich nicht mit Kinder-Paracetamol umbringen konnte.

Ich beschloss, mich zu übergeben. Ich lief ins Badezimmer und versuchte es. Ich krümmte mich über der Toilette. Ich steckte einen Finger in meinen Rachen und würgte. Ich stellte mir vor, wie sich Leute über mich lustig machten. »Er hat wie versucht, sich umzubringen? Mit dem Kopfwehmittel für Kinder und Magenschutz.« Ich sah mich selbst in einem Krankenhausbett, umringt von Sarah und ihren Schwesternkolleginnen. Alle lachten sie mich aus und sagten: »Mangina, Mangina« – und flüsterten einander zu, was für ein Verlierer ich war. Ich schob mir die Finger in den Rachen und ich würgte, aber es kam immer noch nichts. Ich versuchte einen Finger, dann zwei, dann drei. Ich würgte, bis ich die Haut auf der Rückseite meiner Kehle spüren konnte. Ich spürte das kleine Ding, das im Hals oben von der Decke hängt, von dem die Leute nie wissen, wie es heißt, und ich spürte die Wärme, die von meinem Magen aufstieg. Ich würgte, ngah. Ich bemühte mich, mich möglichst lautlos zu übergeben, weil Sarah es immer gehasst hatte, wie laut ich mich übergab. »Das ist das melodramatischste Kotzen, das mir je untergekommen ist. Es hört sich an wie jemand, der sich über wen lustig macht, der kotzt.« Und dann lachten wir beide, innerhalb der Erinnerung. Da wurde mir bewusst, dass Sarah ja gar nicht da war und ich so laut kotzen durfte, wie ich wollte. Ich steckte mir den Finger tiefer in den Hals und würgte und übergab mich wie der Mensch, der ich war. Ich war der lauteste Kotzer der Welt. Fuck yeah. Ich war der Weltmeister des Kotzens. Ich würgte einen Klumpen Medizin hoch. Eine Pause. Dann fing ich noch mal an und es kam alles – ich würgte all meine Erinnerungen hoch, all die Dinge, die mir durch den Kopf gingen. Ich würgte Küsse und Liebe hoch. Ihren Geruch nach Zigaretten und Kaugummi mit Tropical-Fruit-Geschmack. Ich würgte Listen all der saudummen Dinge hoch, die wir zueinander gesagt hatten, als wir noch auf Dates gingen und uns übereinander lustig machten. Ich sagte, Ich wäre gerne so legendär wie Käse, und sie drauf, Okay, ich pisse dann unser Baby raus.

Ich würgte die dummen Witze hoch und die Momente, die nur Momente waren und keine Geschichten.

Am nächsten Morgen erwachte ich neben meinem klingelnden Handy. Kurz darauf Sarahs ängstliche Stimme auf der Mobilbox. Ich schrieb ihr eine Nachricht, und sie willigte ein, sich später mit mir im Park zu treffen, wo Iris und Sam spielten. Als ich dort ankam, sagte Sarah nicht wirklich viel, nur, dass ich ihr eine Scheißangst eingejagt hatte. Dann sagte sie, dass sie nun die meiste Zeit Angst vor mir hatte. Dann versuchte sie, das Thema zu wechseln, und redete über die Arbeit im Krankenhaus. Sie erzählte mir, dass Rhani beleidigt war, weil ein Patient bei ihrem Anblick gesagt hatte: »Die Frau würde hinter einem Pflug sicher gut aussehen.«

Sie erzählte mir, dass sie bei einem bettlägrigen Patienten eine manuale Desimpaktion hatte vornehmen müssen. Ich fragte, was das bedeutete, und sie erklärte, das sei dann nötig, wenn ein Patient an starker Verstopfung und in seinen Eingeweiden eingeklemmter Kotmasse leide. Dann würmelte sie mit ihrem Finger vor meinem Gesicht herum, um zu illustrieren, wie das aussah, wenn sie Patientenhintern manual desimpaktierte. Sie sagte: »Du musst da reinlangen und den Stuhl mit den Fingern rausziehen.« Ich schüttelte meinen Kopf und sie lächelte fröhlich. Sie sagte: »Im Ernst, du weißt nicht, was echte Freude ist, wenn du noch nie eine manuale Desimpaktion bei jemandem vorgenommen hast.« Sie sagte, die meisten Menschen sterben langsam. Langsame Tode voller Scham. Und dann sagte sie, ich solle sie an mir üben lassen. Ich schüttelte meinen Kopf, nein. Ich war deprimiert, aber wollte immer noch ungern ihren Finger in meinem Hintern haben. Dann kicherte sie los wie verrückt. Sie würmelte ihren Finger herum, als würde sie mich manuell desimpaktieren. Ich bekam Gänsehaut davon. Sarah sagte, ich sollte froh sein, am Leben zu sein. Sie zeigte auf Iris und Sam. Ich schaute zu ihnen. Die beiden waren auf den Felsbrocken spielen. Ich sagte, ich sei ein Idiot gewesen letzte Nacht, ein totaler Dummkopf. Idiot allein schon deshalb, weil man sich nicht umbringen kann, indem man mehrere Flaschen Paracetamol frisst.

Sarah sagte eine Weile gar nichts, dann sagte sie: »Doch, das geht.« Sie sagte, dass das recht oft passiert. Die Leute nehmen Paracetamol, weil sie glauben, dadurch nicht zu sterben und so einfach Aufmerksamkeit bekommen, aber dann sterben sie an Leberversagen. Sie sagte, der Tod an Leberversagen sei der längste und schmerzhafteste Tod, den man sich vorstellen könne. Sie sagte: »Wenn du dich nicht übergeben hättest, wer weiß, vielleicht hättest du gekriegt, was du wolltest.« Und dann: ­»Außerdem bringen sich Leute jeden Tag auf akzeptable Arten um.« Ich musste an Menschen denken, die sich Fernseher kauften und sich umbrachten. An Menschen, die sich Häuser kauften und dann umbrachten. Ich dachte an Leute, die einen Job hatten, den sie hassten, und die sich umbrachten. Ich dachte an Leute, die Bücher schrieben und sich umbrachten. Sarah legte eine Hand auf meine Schulter. Dann stand sie auf. Sie blickte mich an, so auf die Art Halt durch, und ich war voller Selbstmitleid wegen meines Selbstmitleids. Ich sah, wie Sarah die Kinder einsammelte und zum Auto brachte. Sie schnallte sie in ihren Kindersitzen fest, und ich schaute ihnen hinterher, wie sie fortfuhren. Ich sah die Zukunft, in der ich Fernseher kaufte und mich umbrachte. Ich sah, wie ich Häuser kaufte und mich umbrachte. Ich sah mich in einem Job, den ich hasste, und ich sah all die winzigen Selbstmorde, aus denen das Leben bestand. Ich wusste, dass es eine Million Arten gab, sich umzubringen, und ich konnte es nicht erwarten, sie alle auszuprobieren.1

1 Ich bin mir sicher, dass es irgendwo einen Buddhisten gibt, der sagt: Alles Leid kommt von Verlangen und vom Glauben, Dinge besitzen zu können, aber in Wahrheit besitzen wir nichts im Leben.

Und ich sag dem Buddhisten Folgendes: FUCK YOU, BUDDHIST.

Es war sieben Jahre her, dass Sarah und ich das Theaterstück gesehen hatten. Aber dann ging ich eines Tages ins Einkaufszentrum. Ich hatte eine Anstellung als Lehrer und ich wollte in einem Restaurant im Einkaufszentrum zu Mittag essen. In den sieben Jahren hatte ich oft nach Sarahs Telefonnummer gesucht. Einmal schrieb sie mir eine Mail, aber ich löschte sie aus Versehen, ohne zurückzuschreiben. Dann verging einige Zeit und ich ging ins Einkaufszentrum und kaufte einen Cheeseburger und eine Diet Coke und bestellte noch ein Bier. Ich trank mein Bier und überlegte, ob ich zurück in die Arbeit gehen sollte oder lieber nicht, aber dann entschied ich mich, in den Buchladen ganz am Ende des Einkaufszentrums zu gehen. Ich bezahlte mein Essen und ging in Richtung Buchladen. Und ich sah eine Frau, die aus dem Buchladen rauskam, und die Frau war Sarah. Sie trug eine Tüte mit dem Logo des Buchladens drauf und blickte zu mir und sah mich. Ich winkte ihr zu und lächelte und sie lächelte zurück. Ich ging zu ihr rüber und sie streckte mir die Hand entgegen, als wollte sie, dass ich ihr die Hand schüttle. Wir lachten beide und ich umarmte sie. Ich erzählte ihr, ich arbeite jetzt in Beckley, und sie sagte, wir sollten uns mal treffen. Also fragte ich nach ihrer Nummer und sie sagte sie mir. 3048275412. Ich frag mich, wer sie wohl wäre, wenn ich heute Abend diese Nummer wählen würde. Wäre sie die Sarah von damals?

So weit die langweilige Geschichte über meinen Tag im Einkaufszentrum und über meinen Cheeseburger und wie sich mein ganzes Leben verändert hat, weil ich den Cheeseburger bestellt habe. Damals wusste ich das noch nicht, aber die Geschichte unseres Lebens ist die Geschichte unserer Cheeseburgerbestellungen.

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