Sprachwandel - Bedeutungswandel

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3.2.1 Woher und wohin? — Nächster Halt: Sprachwandel

Wenn Sie sich auf eine Reise begeben, dann wissen Sie, dass eine Reise immer einen Anfangspunkt und ein Ziel hat, beispielsweise einen Bahnhof, an dem Sie einsteigen und einen anderen, an dem Sie aussteigen müssen. Jede Reise beginnt und endet irgendwo, egal, wie lang sie ist. Und jede Reise führt über verschiedene Orte, an denen man Halt machen und die man besichtigen kann. Wir wollen einmal eine solche Reise wagen und auf einen Zug aufspringen, den wir für unser Gedankenspiel den Sprachwandel-Express nennen wollen.

Wie jeder weiß, der einmal mit einem Zug gefahren ist, kommt man rascher zum Ziel, wenn der Zug ein Schnellzug ist und keine ‚Bimmelbahn‘. Der Sprachwandel-Express ist eher ein gemächlicher Zug. Eine Direktverbindung von A nach B gibt es nicht, sondern unser Zug wird insgesamt vier Mal anhalten. Für unsere Zwecke – wir möchten ja etwas lernen über den Sprachwandel und sind deswegen unterwegs – ist das praktisch, denn wir können an den Stationen aussteigen und uns ein wenig umsehen.

Der erste Halt ist zugleich der Ort, an dem wir – die interessierten Beobachter des Sprachwandels – den Zug besteigen. Diese erste Station unserer Reise nennen wir „Initialbahnhof“. Hier steigt neben uns ein Reisender ein, den wir der Einfachheit halber Herrn A nennen. Das Einsteigen an dieser Station wollen wir als InitialphaseInitialphase oder auch Innovationsphase bezeichnen.

Herr A hat nicht viele Freunde und er ist auch noch nie verreist. Herr A hat das Ziel, so lange mit dem Zug zu fahren, bis Herr A jedem anderen Reisenden im Zug bekannt ist. Herr A ist aber kein Mensch, Herr A ist ein neues Wort, das bisher noch niemand kennt. Herr A steigt also in den Zug und dieser setzt sich langsam in Bewegung. Mit uns und Herrn A befinden sich alle anderen Wörter einer Sprache in diesem Zug und Herr A muss nun versuchen, sich bei den anderen Wörtern bekannt zu machen. Dazu geht Herr A von Wagen zu Wagen und stellt sich den Mitreisenden vor. Das ist natürlich ein ganz schön mühsames Bestreben und nach einer Weile ist Herr A froh, dass der Zug ein zweites Mal hält. Die Strecke, die wir bisher zurückgelegt haben, nennen wir DiffusionsphaseDiffusionsphase. Nach einer kurzen Rast, bei der Herr A noch weitere neue Bekannte gewinnen konnte, folgt eine sehr schöne Strecke, die wir als ApprobationsphaseApprobationsphase bezeichnen wollen. Diese Strecke ist deswegen so schön, weil Herr A mittlerweile zunehmend von den anderen Wörtern akzeptiert wird. Sie sind nett und freundlich zu Herrn A, schließlich kennen sie ihn ja inzwischen und glauben, dass Herr A gut in ihre Gemeinschaft passt. Diese Strecke ist reizvoll, aber lang. Den nächsten Bahnhof, den wir erreichen, nutzen wir dazu, Herrn A allein weiterreisen zu lassen. Es ist der Bahnhof „Lexikalisierung“. Herr A hat jetzt eine Strecke vor sich, die wir NormierungsphaseNormierungsphase nennen wollen und die streng genommen gar keine Strecke, sondern ein Zustand ist. Wenn Herr A es sich nämlich nicht mit seinen Mitreisenden verscherzt, darf er ab dieser Phase als vollwertiges Mitglied der Reisegruppe weiterreisen. Mit einem weißen Taschentuch winken wir also dem Sprachwandel-Express hinterher. Wir konnten auf unserer Reise erleben, wie aus einem Neuling ‚ein alter Hase‘ geworden ist. Wir wissen jetzt, wie aus einer sprachlichen Neuerung eine eigenständige sprachliche VarianteVariante werden konnte. Die wesentlichen Stufen dieser Entwicklung lassen sich folgendermaßen darstellen (nach GROSSE/NEUBERT 1982: 10ff.):

1 InitialphaseInitialphase: Eine Neuerung gelangt durch innovative Sprachverwendung in das Sprachsystem, wobei entweder die Neuerung für sich allein auftreten oder neben eine bereits existierende Sprachform treten kann.

2 Diffusions- oder Verbreitungsphase: Die Neuerung wird durch frequente Verwendung im Sprachsystem verbreitet (mit oder ohne Auswirkungen auf eine bestehende Sprachform).

3 ApprobationsphaseApprobationsphase: Die Neuerung setzt sich mehr und mehr durch (und verdrängt ggf. eine bestehende Sprachform).

4 Normierung: Der Sprachwandel ist abgeschlossen, wenn die Neuerung zur Norm geworden ist. Eine bestehende Sprachform ist zu diesem Zeitpunkt entweder verschwunden oder es kommt zu einer Koexistenz.

Während die Phasen 1 und 4 den Anfangs- und Endpunkt markieren, kann man die Phasen 2 und 3 zusammenfassend auch als NeuerungsausbreitungNeuerungsausbreitung (HAAS 1998: 844) bezeichnen. In der folgenden Skizze wird dieser Prozess des Sprachwandels vereinfacht dargestellt:

Abb. 7

4-Phasenmodell des Sprachwandels

Wenn wir dieses Modell ein wenig spezifizieren und den Aspekt der FrequenzFrequenz, der für den Sprachwandel von entscheidender Bedeutung ist, mitberücksichtigen, ergibt sich die folgende differenzierte Darstellung:

Abb. 8

Erweitertes 4-Phasenmodell des Sprachwandels

In Abbildung 8 können wir erkennen, dass der Ausgangspunkt für Sprachwandel in einem abweichenden Wortgebrauch liegt. Nun darf man das nicht so verstehen, dass jeder sprachliche FehlerFehlersprachliche zum Sprachwandel führen würde. Im Gegenteil:

[bad img format]„Die allermeisten Fehler bleiben unbeachtete Eintagsfliegen.“ (KELLER/KIRSCHBAUM 2003: 10)

Ein zweiter Blick auf Abbildung 8 zeigt, dass FrequenzFrequenz ein wesentlicher Motor für den Sprachwandel ist. Frequenz bedeutet: Viele Menschen verwenden dieselbe sprachliche Abweichung sehr häufig mit denselben Zielen. Wenn das geschieht, kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass sich die Abweichung etablieren kann. Ein wichtiger Grundsatz lautet daher:

[bad img format]Die systematischen Fehler von heute sind (bei hoher Ausbreitungsfrequenz) die neuen Sprachverwendungsregeln von morgen.

KELLER/KIRSCHBAUM (2003: 9) schreiben dazu: „Der neue Sprachgebrauch wird zunächst einmal als fehlerhaft angesehen“. Das ist auch der Grund, warum Sprachkritiker Angst davor haben, dass Veränderungen des Systems zu einem Verfall desselben führen. Denn: Verstöße gegen Normen werden intuitiv als Gefahr eingestuft, was in vielen Fällen gesellschaftlicher Normverletzungen auch berechtigt ist. Wenn Sie sich beispielsweise ab heute entscheiden, an roten Ampeln nicht mehr anzuhalten, ist Ihr Tun nicht nur egoistisch, sondern zugleich gefährlich. Beim Sprachwandel sieht das anders aus, denn sprachliche FehlerFehlersprachliche – wenn sie kumulativ auftauchen – führen zu Normänderungen, die keine Gefahr, sondern in manchen Fällen eine Bereicherung für das System darstellen. Die Sprachkritiker bedenken nicht, dass „systematisch auftretende Fehler mit der Zeit ihren Charakter als Fehler verlieren und zu neuen Regularitäten werden“ (KELLER/KIRSCHBAUM 2003: 9).

3.2.2 Welche Sprachen wandeln sich (und welche nicht)?

Die Frage danach, welche Sprachen sich wandeln – oder richtiger: welche Sprachen durch das Handeln der Sprecher gewandelt werden –, hängt eng zusammen mit der Frage, ob es Sprachen gibt, die vom Wandel verschont bleiben. Ein Beispiel für eine Sprache, in der keine Wandelprozesse ablaufen, ist das IthkuilIthkuil. Warum diese – wie viele andere künstliche Sprachen – vom Sprachwandel verschont bleibt und wieso sich alle natürlichen Sprachen, die aktiv gebraucht werden, zwangsläufig wandeln müssen, möchte ich Ihnen an dieser besonderen Sprache zeigen.

Das IthkuilIthkuil ist eine konstruierte Sprache, die von niemandem gesprochen wird, die aber von JOHN QUIJADA in den 1970er-Jahren mit dem Ziel erfunden wurde, alle Prinzipien natürlicher Sprachen zu vereinen. Das Resultat ist mehr ein sprachphilosophisches Spiel als der ernstzunehmende Versuch, eine natürliche Sprache zu erschaffen (was QUIJADA auch nicht beabsichtigt hatte). Das Ithkuil ist eine künstliche Sprache, die absolut perfekt wäre, wäre sie eine natürliche Sprache. Mit einem Haken: Das Ithkuil ist so perfekt, das es zum Sprechen nicht geeignet ist.

Man kann mit einigem Recht behaupten, dass es sich bei dieser Kunstsprache um die wohl schwierigste Sprache der Welt handelt, weil es zugleich auch die wahrscheinlich komplexeste Sprache ist. Sie ist so komplex, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass man sie überhaupt erlernen kann. Das Deutsche ist – wie alle natürlichen Sprachen – ein überaus komplexes Zeichensystem, wie wir in Kapitel 1 erkennen konnten. Aber im Vergleich zum IthkuilIthkuil ist es eine eher einfache Sprache. Dabei ist das Deutsche gemessen an seiner grammatischen KomplexitätKomplexitätgrammatische auch insgesamt nicht so schwer zu erlernen wie andere Sprachen. Im Deutschen gibt es bekanntlich vier Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ) – nicht viel, wenn man sich die 15 Kasus des Finnischen vor Augen führt.

Doch im Vergleich zum IthkuilIthkuil ist das Finnische eine Kindersprache. Das Ithkuil verfügt über 81 Kasus, es gibt insgesamt 65 Konsonanten (darunter aspirierte Konsonanten, Ejektive und Knacklaute) sowie 17 Vokale und es besteht lexikalisch aus 16200 Stämmen, die aus 900 Wurzeln abgeleitet sind. Auch das Schriftsystem ist nicht mit dem der deutschen Sprache vergleichbar: „Im Schriftsystem ist lautliche und morphologische Information kodiert, die Schreibrichtung ist wie bei alten griechischen Inschriften bustrophedonal […], d.h. sie geht von links nach rechts und von rechts nach links“ (SCHLOBINSKI 2014: 35). Damit Sie sich ein besseres Bild von einer bustrophenodalen Schreibweise machen können, versuchen Sie einmal, den folgenden Text in englischer Sprache zu lesen:

 

THE ITHKUIL SCRIPT IS WRITTEN IN A HORIZONTAL BOUSTROPHEDON

TNEUQESBUS YREVE DNA TSRIF EHT HCIHW NI ,RENNAM (GAZ-GIZ ,.E.I)

ODD-NUMBERED LINE OF WRITING IS WRITTEN LEFT-TO-RIGHT, WHILE

-TIRW FO ENIL DEREBMUN-NEVE TNEUQESBUS YREVE DNA DNOCES EHT

ING IS WRITTEN RIGHT-TO-LEFT.

Die Schrift des IthkuilIthkuil, die man Içtaîl nennt, ist eine morpho-phonemische Schrift, eine Schrift also, die Angaben zur lautlichen Realisierung der Schriftzeichen enthält. Wenn man alle möglichen Kombinationen von Teilsymbolen zusammenrechnet, ergibt sich eine Summe von 3606 Schriftzeichen in der Ornamentalschrift das Ithkuil.

Der folgende Beispielsatz soll Ihnen die KomplexitätKomplexität vor Augen führen (die englische Übersetzung finden Sie unter dem Beispielsatz):1


Tram-mļöi hhâsmařpţuktôx.

On the contrary, I think it may turn out that this rugged mountain range trails off at some point.

Die Idee hinter der Erfindung des IthkuilIthkuil war, eine Sprache zu konstruieren, die absolut exakt ist und die all das ausschließt, was in natürlichen Sprachen zu Verständigungsproblemen führen kann.

Exaktheit einer Sprache führt aber zwangsläufig dazu, dass sie für Sprecher nicht taugt: Deren HandlungsmaximenMaximeHandlungs- beim Kommunizieren sind nämlich nicht auf völlige Vermeidung von Missverständnissen und auf sprachliche Präzision ausgerichtet, sondern auf die BeeinflussungBeeinflussung des Gegenübers. Damit das gelingen kann, muss eine Sprache offen sein für InnovationenInnovation, was gleichbedeutend ist mit einer Offenheit für sich wandelnde individuelle kommunikative StrategienStrategie.

Das IthkuilIthkuil hingegen ist ein komplexes und in sich geschlossenes System. Diese Sprache ist so perfekt, dass sie sich nicht verändern kann. Es gibt hier weder einen Grund noch eine Möglichkeit zur Veränderung. Wäre dies eine natürliche Sprache, dann würde jeder Sprecher ganz exakt dieselbe Sprache sprechen, VariationenVariation wären völlig ausgeschlossen. Damit wären weder der fehlerhafte Gebrauch von Sprache möglich noch innovative Wortverwendungen abseits der Norm, aus denen sich nicht selten neue sprachliche KonventionenKonvention ergeben, die man dann mit zeitlichem Abstand als Sprachwandel bezeichnen kann. Ein solches System wäre völlig unflexibel – und damit für sprachliches Handeln untauglich. Denn: Sprache haben wir eben nicht, damit wir uns präzise und exakt ausdrücken können. Sie dient uns nicht zur verlustfreien Übermittlung von Botschaften. Im Gegenteil: Sprachliche Kommunikation löst kein Transportproblem. Vielmehr dient sie uns als Mittel, unsere kommunikativen Ziele erreichen zu können. Damit das von Fall zu Fall individuell gelingen kann, muss Sprache offen und dynamisch sein. Eine geschlossene und statische Sprache wie das Ithkuil ist also zwar exakt, aber zum Kommunizieren nicht geeignet – ganz abgesehen davon, dass es wohl fast unmöglich wäre, eine solche Sprache zu erlernen.

Halten wir daher als Grundsatz für die Möglichkeit bzw. hypothetische Unmöglichkeit sprachlichen Wandels in einem Sprachsystem fest:

[bad img format]Je exakter und formalisierter eine Sprache ist, desto weniger Wandel ist möglich. Und: Je weniger Variationsmöglichkeiten ein sprachliches System bereithält, desto weniger eignet es sich als zweckrationales Mittel sprachlichen Ausdrucks.

Sprachen, die sich nicht eignen, werden erfunden, aber nicht gesprochen. Eine Sprache nicht zu sprechen ist die beste Möglichkeit, sie so zu bewahren, wie sie ist: Dadurch, dass niemand diese Sprache verwendet, ist sie statisch – sie verändert sich nicht.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass eine natürliche Sprache nie etwas Stabiles ist. Dies gilt für den individuellen Sprachgebrauch, vielmehr jedoch für die Sprache in ihrer Gesamtheit als System und die auf dieser Basis entstehenden Texte. Für natürliche Sprachen gilt daher:

[bad img format]Natürliche Sprachen sind exakt genug, damit Missverständnisse weitgehend ausgeschlossen werden und zugleich offen genug, um das Potenzial der Anpassung an veränderte Nutzungsbedingungen in sich zu tragen.

Das bedeutet: Sprachen, die verwendet werden, wandeln sich. Sprachwandel ist dabei ein Resultat der Sprachverwendung. Sprachwandel ist also ein deutliches Zeichen für die kommunikative Tauglichkeit einer Sprache; er ist kein Zeichen für Unvollkommenheit.

3.3 Weiterführende und vertiefende Literatur

[bad img format]Beiträge zum Themenfeld Wandel mit dem Schwerpunkt Sprachwandel gibt es zahlreiche. Hier eine Empfehlung auszusprechen ist schwer, denn Wandel als Grundbegriff wird in den einschlägigen Publikationen selten isoliert betrachtet, sondern entweder in seinen Grundzügen als bekannt vorausgesetzt oder nur am Rande thematisiert. Wenn Sie sich für den Wandel in sozialen Systemen interessieren, kann ich Ihnen die Schriften von WILLIAM F. OGBURN aus dem Jahr 1965 mit dem Titel Kultur und sozialer Wandel ans Herz legen. Darin enthalten sind viele kluge Gedanken, die sich auch auf den Wandel in der Sprache übertragen lassen.

Lesenswert ist der Beitrag von JAN WIRRER (2009) zum Wandel von Sprache, denn dort werden sowohl die Begriffe SynchronieSynchronie und DiachronieDiachronie anschaulich erklärt als auch die Prinzipien des internen und externen SprachwandelsSprachwandelexterner näher beleuchtet, die wir in diesem Kapitel unter dem Aspekt des endogenen und des induzierten KulturwandelsKulturwandelinduzierter nur angerissen haben.

Daneben empfehle ich Ihnen für einen raschen Überblick dazu, wie man Wandel in der Sprache definieren kann, die Lektüre von KELLER/KIRSCHBAUM 2003: 7ff. sowie KELLER 2003: 30ff. und BECHMANN 2013: 77ff. Prinzipien des Kulturwandels werden hier anschaulich mit Sprachwandel in Verbindung gebracht.

Sollten Sie mehr über künstliche Sprachen wissen wollen, kann ich Ihnen raten, die Internetseite von JOHN QUIJADA (www.ithkuil.net) aufzusuchen und dort die Prinzipien des IthkuilIthkuil näher zu betrachten. Der Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Sprachen wird daran offenkundig.

4 Was sind die Prinzipien des Sprachwandels?

Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständiges und in jedem Augenblicke Vorübergehendes.

WILHELM VON HUMBOLDT (1767–1835)

[bad img format]Ziele und Warm-up

Nachdem wir im vorangegangenen Kapitel bereits erste Einblicke in das Wesen des Sprachwandels gewonnen haben, führt uns dieses Kapitel zu den Prinzipien des Sprachwandels. Nachfolgend werden Erklärungsmodelle diskutiert, die für ein Verständnis des Sprachwandels notwendig sind.

Im Mittelpunkt dieser Lektion stehen die Fragen nach der Erklärung für Sprachwandel im Allgemeinen, nach den Regeln und Gesetzmäßigkeiten, denen Wandel in der Sprache folgt und nach den HandlungsmaximenMaximeHandlungs- sowie den RahmenbedingungenBedingungenRahmen-, unter denen Sprecher durch ihr Sprachhandeln zum Sprachwandel beitragen.

Ziel dieser Einheit ist es, dass Sie wissen, auf welche Weise und durch welche Anlässe Sprachwandel entsteht. Als Lockerungsübung für den Einstieg beantworten Sie bitte die folgenden Fragen auf der Basis Ihres Wissens zu diesem Zeitpunkt:

 Warum können Sie als Einzelner keinen Sprachwandel herbeiführen, wenn Sie ein neues Wort erfinden?

 Unter welchen Umständen könnte es Ihnen gelingen? Was ist dafür nötig?

 Was ist das längste Wort, das Sie kennen? Was ist das kürzeste Wort, das Ihnen einfällt?

 Was passiert mit einem Wort, wenn es zu lang oder zu kurz wird?

 Stellen Sie sich bitte vor, Sie wollen ab sofort Gewichtheben trainieren. Skizzieren Sie anhand eines mathematischen Graphen (x- und y-Achse), wie sich die Steigerung des Gewichts im Verhältnis zur Zeit vermutlich abbilden lässt! Welche Kurve entsteht dabei?

4.1 Nach welchen Prinzipien wandeln sich Sprachen?

Sprachwandel passiert nicht einfach so. Dass Sprecher daran beteiligt sind, wissen wir bereits. Wir wissen auch, dass Sprachwandel einem Prozess folgt, wie wir ihn in Kapitel 3 anhand des Sprachwandel-Express’ definiert haben. Zur Erinnerung:

[bad img format]Am Anfang jedes Sprachwandels steht eine Normabweichung, die durch Übernahme und Verbreitung zu einem späteren Zeitpunkt die Normierung einer neuen sprachlichen Form zur Folge hat.

Die unter 3.2.1 beschriebenen Stadien des Sprachwandelprozesses sind dabei als kontinuierliche Verläufe und nicht (wie häufig angenommen) als Fixpunkte zu verstehen.

Sprachwandel stellen wir also mit dem Blick in die Vergangenheit fest. Sprachwandelforschung arbeitet somit diagnostisch, nicht aber prognostisch. Dabei ist unsere Betrachtung i.d.R. diachrondiachron: Wir untersuchen Sprache nicht in einem eng begrenzten Zeitraum, sondern analysieren einen Sprachaspekt innerhalb mehrerer ausgewählter Zeiträume oder wir vergleichen verschiedene Sprachentwicklungsstufen miteinander, beispielsweise die Entwicklung vom Althochdeutschen über das Mittelhochdeutsche zum Neuhochdeutschen, wie wir es mit einem historischen Blick in Kapitel 1 getan haben.

Ist Sprachwandel deshalb aber ein (rein) diachronesdiachron Phänomen? Wie hängen DiachronieDiachronie und SynchronieSynchronie prinzipiell zusammen? Und: Wie funktioniert der diachrone Sprachwandelprozess?

Beginnen wir auf unserer Suche nach Prinzipien des Sprachwandels also mit der Frage nach der SynchronieSynchronie in der DiachronieDiachronie.

Exkurs: SynchronieSynchronie und DiachronieDiachronie — zwei Seiten einer Medaille

Die Begriffe SynchronieSynchronie und DiachronieDiachronie bezeichnen unterschiedliche Ebenen der Sprachbetrachtung. Zurückzuführen sind die Termini auf FERDINAND DE SAUSSURE, der sie zur Untersuchung von Sprachen als geschlossene Zeichensysteme eingeführt hat. Sprachen als Systeme mit ihren beschreibbaren Einzelelementen (Zeichen) lassen sich bestimmen, wenn man die Zeichen des Systems (und die anderen Elemente) in RelationRelationen zueinander betrachtet. Eine solche relationale Betrachtung ist synchronsynchron, also auf der Achse der Gleichzeitigkeit angesiedelt. Synchronie bezeichnet somit einen fixen Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt, wogegen Diachronie die Veränderung eines Sprachzustandes im Laufe der Zeit bezeichnet. Eine diachronediachron Betrachtung zielt also auf die Veränderungen im Laufe der Zeit ab (Sprachentwicklung), eine synchrone Betrachtung hingegen kann Zustände und Veränderungen eines Sprachsystems in der Zeit (also zu einer bestimmten Zeit) beschreiben (SprachstadiumSprachstadien).

Bei der Verwendung der Begriffe kommt es oft zu Missverständnissen. So ist eine vollständige Beschreibung von Sprachwandelphänomenen nur möglich, wenn man beide Betrachtungen vornimmt. SynchronieSynchronie und DiachronieDiachronie sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich: Da Sprachwandel zu jeder Zeit stattfindet, ist er prozessual. Sprachwandel ist damit ein synchronersynchron Prozess, denn es gibt bei gesprochenen Sprachen keine statischen Phasen, sondern eine permanente Entwicklung. Sprachwandel als synchroner Prozess ist also immer diachrondiachron. Die Begriffe Synchronie und Diachronie sind für Probleme des Sprachwandels nicht geschaffen: „Die Begriffe ,Zustand’ und ,Geschichte’ sind sehr verschieden von den Begriffen ,Stase’ und ,Dynamik’“ (KELLER 2003: 169). Richtig ist: „Eine Theorie des Wandels ist keine Theorie der Geschichte, sondern eine Theorie der Dynamik eines ,Zustandes’“ (KELLER 2003: 169).

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